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Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789.

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dung auf uns selbst zu machen, und den verlohrnen An-
fang unsers Geschlechts aus diesem Spiegel wieder her-
zustellen. Wie beschämend und traurig aber ist das
Bild, das uns diese Völker von unserer Kindheit geben!
und doch ist es nicht einmahl die erste Stuffe mehr, auf
der wir sie erblicken. Der Mensch fieng noch verächt-
licher an. Wir finden jene doch schon als Völker, als
politische Körper: aber der Mensch mußte sich erst durch
eine ausserordentliche Anstrengung zur Gesellschaft er-
heben.

Was erzählen uns die Reisebeschreiber nun von dies-
sen Wilden? Manche fanden sie ohne Bekanntschaft
mit den unentbehrlichsten Künsten, ohne das Eisen,
ohne den Pflug, einige sogar ohne den Besitz des Feuers.
Manche rangen noch mit wilden Thieren um Speise
und Wohnung, bey vielen hatte sich die Sprache noch
kaum von thierischen Tönen zu verständlichen Zeichen
erhoben. Hier war nicht einmal das so einfache Band
der Ehe, dort noch keine Kenntniß des Eigenthums;
hier konnte die schlaffe Seele noch nicht einmal eine Er-
fahrung fest halten, die sie doch täglich wiederhohlte;
sorglos sah man den Wilden das Lager hingeben, wor-
auf er heute schlief, weil ihm nicht einfiel, daß er mor-
gen wieder schlafen würde. Krieg hingegen war bey
allen, und das Fleisch des überwundenen Feindes nicht
selten der Preis des Sieges. Bey andern, die mit meh-
rern Gemächlichkeiten des Lebens vertraut, schon eine
höhere Stuffe der Bildung erstiegen hatten, zeigten

Knecht-

dung auf uns ſelbſt zu machen, und den verlohrnen An-
fang unſers Geſchlechts aus dieſem Spiegel wieder her-
zuſtellen. Wie beſchaͤmend und traurig aber iſt das
Bild, das uns dieſe Voͤlker von unſerer Kindheit geben!
und doch iſt es nicht einmahl die erſte Stuffe mehr, auf
der wir ſie erblicken. Der Menſch fieng noch veraͤcht-
licher an. Wir finden jene doch ſchon als Voͤlker, als
politiſche Koͤrper: aber der Menſch mußte ſich erſt durch
eine auſſerordentliche Anſtrengung zur Geſellſchaft er-
heben.

Was erzaͤhlen uns die Reiſebeſchreiber nun von dies-
ſen Wilden? Manche fanden ſie ohne Bekanntſchaft
mit den unentbehrlichſten Kuͤnſten, ohne das Eiſen,
ohne den Pflug, einige ſogar ohne den Beſitz des Feuers.
Manche rangen noch mit wilden Thieren um Speiſe
und Wohnung, bey vielen hatte ſich die Sprache noch
kaum von thieriſchen Toͤnen zu verſtaͤndlichen Zeichen
erhoben. Hier war nicht einmal das ſo einfache Band
der Ehe, dort noch keine Kenntniß des Eigenthums;
hier konnte die ſchlaffe Seele noch nicht einmal eine Er-
fahrung feſt halten, die ſie doch taͤglich wiederhohlte;
ſorglos ſah man den Wilden das Lager hingeben, wor-
auf er heute ſchlief, weil ihm nicht einfiel, daß er mor-
gen wieder ſchlafen wuͤrde. Krieg hingegen war bey
allen, und das Fleiſch des uͤberwundenen Feindes nicht
ſelten der Preis des Sieges. Bey andern, die mit meh-
rern Gemaͤchlichkeiten des Lebens vertraut, ſchon eine
hoͤhere Stuffe der Bildung erſtiegen hatten, zeigten

Knecht-
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[12/0014] dung auf uns ſelbſt zu machen, und den verlohrnen An- fang unſers Geſchlechts aus dieſem Spiegel wieder her- zuſtellen. Wie beſchaͤmend und traurig aber iſt das Bild, das uns dieſe Voͤlker von unſerer Kindheit geben! und doch iſt es nicht einmahl die erſte Stuffe mehr, auf der wir ſie erblicken. Der Menſch fieng noch veraͤcht- licher an. Wir finden jene doch ſchon als Voͤlker, als politiſche Koͤrper: aber der Menſch mußte ſich erſt durch eine auſſerordentliche Anſtrengung zur Geſellſchaft er- heben. Was erzaͤhlen uns die Reiſebeſchreiber nun von dies- ſen Wilden? Manche fanden ſie ohne Bekanntſchaft mit den unentbehrlichſten Kuͤnſten, ohne das Eiſen, ohne den Pflug, einige ſogar ohne den Beſitz des Feuers. Manche rangen noch mit wilden Thieren um Speiſe und Wohnung, bey vielen hatte ſich die Sprache noch kaum von thieriſchen Toͤnen zu verſtaͤndlichen Zeichen erhoben. Hier war nicht einmal das ſo einfache Band der Ehe, dort noch keine Kenntniß des Eigenthums; hier konnte die ſchlaffe Seele noch nicht einmal eine Er- fahrung feſt halten, die ſie doch taͤglich wiederhohlte; ſorglos ſah man den Wilden das Lager hingeben, wor- auf er heute ſchlief, weil ihm nicht einfiel, daß er mor- gen wieder ſchlafen wuͤrde. Krieg hingegen war bey allen, und das Fleiſch des uͤberwundenen Feindes nicht ſelten der Preis des Sieges. Bey andern, die mit meh- rern Gemaͤchlichkeiten des Lebens vertraut, ſchon eine hoͤhere Stuffe der Bildung erſtiegen hatten, zeigten Knecht-

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789/14>, abgerufen am 29.03.2024.