Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

jetzt fordert ihn kein Feind mehr von dem Pflug auf
das Schlachtfeld, Vaterland und Heerd zu vertheidigen.
Mit dem Arme des Landmanns füllt er seine Scheunen,
mit den Waffen des Kriegers schützt er sein Gebiet.
Das Gesetz wacht über sein Eigenthum -- und ihm
bleibt das unschätzbare Recht, sich selbst seine Pflicht
auszulesen.

Wie viele Schöpfungen der Kunst, wie viele Wun-
der des Fleisses, welches Licht in allen Feldern des Wis-
sens, seit dem der Mensch in der traurigen Selbstver-
theidigung seine Kräfte nicht mehr unnütz verzehrt,
seitdem es in seine Willkühr gestellt worden, sich mit der
Noth abzufinden, der er nie ganz entfliehen soll; seit-
dem er das kostbare Vorrecht errungen hat, über seine
Fähigkeit frey zu gebieten, und dem Ruf seines Ge-
nius zu folgen! Welche rege Thätigkeit überall, seit-
dem die vervielfältigten Begierden dem Erfindungsgeist
neue Flügel gaben, und dem Fleiß neue Räume auf-
thaten! -- Die Schranken sind durchbrochen, welche
Staaten und Nationen in feindseligem Egoismus ab-
sonderten. Alle denkenden Köpfe verknüpft jetzt ein welt-
bürgerliches Band, und alles Licht seines Jahrhunderts
kann nunmehr den Geist eines neuern Galilei und Eras-
mus bescheinen.

Seitdem die Gesetze zu der Schwäche des Menschen
herunterstiegen, kam der Mensch auch den Gesetzen ent-
gegen. Mit ihnen ist er sanfter geworden, wie er mit
ihnen verwilderte; ihren barbarischen Strafen folgen

die

jetzt fordert ihn kein Feind mehr von dem Pflug auf
das Schlachtfeld, Vaterland und Heerd zu vertheidigen.
Mit dem Arme des Landmanns fuͤllt er ſeine Scheunen,
mit den Waffen des Kriegers ſchuͤtzt er ſein Gebiet.
Das Geſetz wacht uͤber ſein Eigenthum — und ihm
bleibt das unſchaͤtzbare Recht, ſich ſelbſt ſeine Pflicht
auszuleſen.

Wie viele Schoͤpfungen der Kunſt, wie viele Wun-
der des Fleiſſes, welches Licht in allen Feldern des Wiſ-
ſens, ſeit dem der Menſch in der traurigen Selbſtver-
theidigung ſeine Kraͤfte nicht mehr unnuͤtz verzehrt,
ſeitdem es in ſeine Willkuͤhr geſtellt worden, ſich mit der
Noth abzufinden, der er nie ganz entfliehen ſoll; ſeit-
dem er das koſtbare Vorrecht errungen hat, uͤber ſeine
Faͤhigkeit frey zu gebieten, und dem Ruf ſeines Ge-
nius zu folgen! Welche rege Thaͤtigkeit uͤberall, ſeit-
dem die vervielfaͤltigten Begierden dem Erfindungsgeiſt
neue Fluͤgel gaben, und dem Fleiß neue Raͤume auf-
thaten! — Die Schranken ſind durchbrochen, welche
Staaten und Nationen in feindſeligem Egoismus ab-
ſonderten. Alle denkenden Koͤpfe verknuͤpft jetzt ein welt-
buͤrgerliches Band, und alles Licht ſeines Jahrhunderts
kann nunmehr den Geiſt eines neuern Galilei und Eras-
mus beſcheinen.

Seitdem die Geſetze zu der Schwaͤche des Menſchen
herunterſtiegen, kam der Menſch auch den Geſetzen ent-
gegen. Mit ihnen iſt er ſanfter geworden, wie er mit
ihnen verwilderte; ihren barbariſchen Strafen folgen

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="15"/>
jetzt fordert ihn kein Feind mehr von dem Pflug auf<lb/>
das Schlachtfeld, Vaterland und Heerd zu vertheidigen.<lb/>
Mit dem Arme des Landmanns fu&#x0364;llt er &#x017F;eine Scheunen,<lb/>
mit den Waffen des Kriegers &#x017F;chu&#x0364;tzt er &#x017F;ein Gebiet.<lb/>
Das Ge&#x017F;etz wacht u&#x0364;ber &#x017F;ein Eigenthum &#x2014; und ihm<lb/>
bleibt das un&#x017F;cha&#x0364;tzbare Recht, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;eine Pflicht<lb/>
auszule&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Wie viele Scho&#x0364;pfungen der Kun&#x017F;t, wie viele Wun-<lb/>
der des Flei&#x017F;&#x017F;es, welches Licht in allen Feldern des Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ens, &#x017F;eit dem der Men&#x017F;ch in der traurigen Selb&#x017F;tver-<lb/>
theidigung &#x017F;eine Kra&#x0364;fte nicht mehr unnu&#x0364;tz verzehrt,<lb/>
&#x017F;eitdem es in &#x017F;eine Willku&#x0364;hr ge&#x017F;tellt worden, &#x017F;ich mit der<lb/>
Noth abzufinden, der er nie ganz entfliehen &#x017F;oll; &#x017F;eit-<lb/>
dem er das ko&#x017F;tbare Vorrecht errungen hat, u&#x0364;ber &#x017F;eine<lb/>
Fa&#x0364;higkeit frey zu gebieten, und dem Ruf &#x017F;eines Ge-<lb/>
nius zu folgen! Welche rege Tha&#x0364;tigkeit u&#x0364;berall, &#x017F;eit-<lb/>
dem die vervielfa&#x0364;ltigten Begierden dem Erfindungsgei&#x017F;t<lb/>
neue Flu&#x0364;gel gaben, und dem Fleiß neue Ra&#x0364;ume auf-<lb/>
thaten! &#x2014; Die Schranken &#x017F;ind durchbrochen, welche<lb/><choice><sic>Staaaten</sic><corr>Staaten</corr></choice> und Nationen in feind&#x017F;eligem Egoismus ab-<lb/>
&#x017F;onderten. Alle denkenden Ko&#x0364;pfe verknu&#x0364;pft jetzt ein welt-<lb/>
bu&#x0364;rgerliches Band, und alles Licht &#x017F;eines Jahrhunderts<lb/>
kann nunmehr den Gei&#x017F;t eines neuern Galilei und Eras-<lb/>
mus be&#x017F;cheinen.</p><lb/>
        <p>Seitdem die Ge&#x017F;etze zu der Schwa&#x0364;che des Men&#x017F;chen<lb/>
herunter&#x017F;tiegen, kam der Men&#x017F;ch auch den Ge&#x017F;etzen ent-<lb/>
gegen. Mit ihnen i&#x017F;t er &#x017F;anfter geworden, wie er mit<lb/>
ihnen verwilderte; ihren barbari&#x017F;chen Strafen folgen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0017] jetzt fordert ihn kein Feind mehr von dem Pflug auf das Schlachtfeld, Vaterland und Heerd zu vertheidigen. Mit dem Arme des Landmanns fuͤllt er ſeine Scheunen, mit den Waffen des Kriegers ſchuͤtzt er ſein Gebiet. Das Geſetz wacht uͤber ſein Eigenthum — und ihm bleibt das unſchaͤtzbare Recht, ſich ſelbſt ſeine Pflicht auszuleſen. Wie viele Schoͤpfungen der Kunſt, wie viele Wun- der des Fleiſſes, welches Licht in allen Feldern des Wiſ- ſens, ſeit dem der Menſch in der traurigen Selbſtver- theidigung ſeine Kraͤfte nicht mehr unnuͤtz verzehrt, ſeitdem es in ſeine Willkuͤhr geſtellt worden, ſich mit der Noth abzufinden, der er nie ganz entfliehen ſoll; ſeit- dem er das koſtbare Vorrecht errungen hat, uͤber ſeine Faͤhigkeit frey zu gebieten, und dem Ruf ſeines Ge- nius zu folgen! Welche rege Thaͤtigkeit uͤberall, ſeit- dem die vervielfaͤltigten Begierden dem Erfindungsgeiſt neue Fluͤgel gaben, und dem Fleiß neue Raͤume auf- thaten! — Die Schranken ſind durchbrochen, welche Staaten und Nationen in feindſeligem Egoismus ab- ſonderten. Alle denkenden Koͤpfe verknuͤpft jetzt ein welt- buͤrgerliches Band, und alles Licht ſeines Jahrhunderts kann nunmehr den Geiſt eines neuern Galilei und Eras- mus beſcheinen. Seitdem die Geſetze zu der Schwaͤche des Menſchen herunterſtiegen, kam der Menſch auch den Geſetzen ent- gegen. Mit ihnen iſt er ſanfter geworden, wie er mit ihnen verwilderte; ihren barbariſchen Strafen folgen die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789/17
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789/17>, abgerufen am 23.04.2024.