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Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789.

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dem blinden Ohngefähr, der gesetzlosen Freyheit zu
entziehen, und sich einem übereinstimmenden Ganzen
(das freylich nur in seiner Vorstellung vorhanden ist)
als ein passendes Glied anzureyhen. Bald fällt es
ihm schwer, sich zu überreden, daß diese Folge von
Erscheinungen, die in seine Vorstellung soviel Regel-
mäßigkeit und Absicht annahm, diese Eigenschaften in
der Wirklichkeit verläugne; es fällt ihm schwer, wieder
unter die blinde Herrschaft der Nothwendigkeit zu ge-
ben, was unter dem geliehenen Lichte des Verstandes
angefangen hatte eine so heitre Gestalt zu gewinnen.
Er nimmt also diese Harmonie aus sie selbst heraus,
und verpflanzt sie ausser sich in die Ordnung der Dinge
d. i. er bringt einen vernünftigen Zweck in dem Gang
der Welt, und ein teleologisches Prinzip in die Welt-
geschichte
. Mit diesem durchwandert er sie noch ein-
mal, und hält es prüfend gegen jede Erscheinung, wel-
che dieser große Schauplatz ihm darbietet. Er sieht es
durch tausend beystimmende Fakta bestätigt, und durch
eben soviele andre widerlegt; aber so lange in der
Reyhe der Weltveränderungen noch wichtige Bindungs-
glieder fehlen, so lange das Schicksal über so viele Be-
gebenheiten den letzten Aufschluß noch zurückhält, er-
klärt er die Frage für unentschieden, und diejenige
Meinung siegt, welche dem Verstande die höhere Be-
friedigung, und dem Herzen die größre Glückselig-
keit anzubieten hat.

Es

dem blinden Ohngefaͤhr, der geſetzloſen Freyheit zu
entziehen, und ſich einem uͤbereinſtimmenden Ganzen
(das freylich nur in ſeiner Vorſtellung vorhanden iſt)
als ein paſſendes Glied anzureyhen. Bald faͤllt es
ihm ſchwer, ſich zu uͤberreden, daß dieſe Folge von
Erſcheinungen, die in ſeine Vorſtellung ſoviel Regel-
maͤßigkeit und Abſicht annahm, dieſe Eigenſchaften in
der Wirklichkeit verlaͤugne; es faͤllt ihm ſchwer, wieder
unter die blinde Herrſchaft der Nothwendigkeit zu ge-
ben, was unter dem geliehenen Lichte des Verſtandes
angefangen hatte eine ſo heitre Geſtalt zu gewinnen.
Er nimmt alſo dieſe Harmonie aus ſie ſelbſt heraus,
und verpflanzt ſie auſſer ſich in die Ordnung der Dinge
d. i. er bringt einen vernuͤnftigen Zweck in dem Gang
der Welt, und ein teleologiſches Prinzip in die Welt-
geſchichte
. Mit dieſem durchwandert er ſie noch ein-
mal, und haͤlt es pruͤfend gegen jede Erſcheinung, wel-
che dieſer große Schauplatz ihm darbietet. Er ſieht es
durch tauſend beyſtimmende Fakta beſtaͤtigt, und durch
eben ſoviele andre widerlegt; aber ſo lange in der
Reyhe der Weltveraͤnderungen noch wichtige Bindungs-
glieder fehlen, ſo lange das Schickſal uͤber ſo viele Be-
gebenheiten den letzten Aufſchluß noch zuruͤckhaͤlt, er-
klaͤrt er die Frage fuͤr unentſchieden, und diejenige
Meinung ſiegt, welche dem Verſtande die hoͤhere Be-
friedigung, und dem Herzen die groͤßre Gluͤckſelig-
keit anzubieten hat.

Es
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[28/0030] dem blinden Ohngefaͤhr, der geſetzloſen Freyheit zu entziehen, und ſich einem uͤbereinſtimmenden Ganzen (das freylich nur in ſeiner Vorſtellung vorhanden iſt) als ein paſſendes Glied anzureyhen. Bald faͤllt es ihm ſchwer, ſich zu uͤberreden, daß dieſe Folge von Erſcheinungen, die in ſeine Vorſtellung ſoviel Regel- maͤßigkeit und Abſicht annahm, dieſe Eigenſchaften in der Wirklichkeit verlaͤugne; es faͤllt ihm ſchwer, wieder unter die blinde Herrſchaft der Nothwendigkeit zu ge- ben, was unter dem geliehenen Lichte des Verſtandes angefangen hatte eine ſo heitre Geſtalt zu gewinnen. Er nimmt alſo dieſe Harmonie aus ſie ſelbſt heraus, und verpflanzt ſie auſſer ſich in die Ordnung der Dinge d. i. er bringt einen vernuͤnftigen Zweck in dem Gang der Welt, und ein teleologiſches Prinzip in die Welt- geſchichte. Mit dieſem durchwandert er ſie noch ein- mal, und haͤlt es pruͤfend gegen jede Erſcheinung, wel- che dieſer große Schauplatz ihm darbietet. Er ſieht es durch tauſend beyſtimmende Fakta beſtaͤtigt, und durch eben ſoviele andre widerlegt; aber ſo lange in der Reyhe der Weltveraͤnderungen noch wichtige Bindungs- glieder fehlen, ſo lange das Schickſal uͤber ſo viele Be- gebenheiten den letzten Aufſchluß noch zuruͤckhaͤlt, er- klaͤrt er die Frage fuͤr unentſchieden, und diejenige Meinung ſiegt, welche dem Verſtande die hoͤhere Be- friedigung, und dem Herzen die groͤßre Gluͤckſelig- keit anzubieten hat. Es

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789/30>, abgerufen am 20.04.2024.