Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

denn wozu noch weiter sie bemühen? Seine größte
Angelegenheit ist jetzt, die zusammen gehäuften Ge-
dächtnißschätze zur Schau zu tragen, und ja zu verhü-
ten, daß sie in ihrem Werthe nicht sinken. Jede Er-
weiterung seiner Brodwissenschaft beunruhigt ihn, weil
sie ihm neue Arbeit zusendet, oder die vergangene un-
nütz macht; jede wichtige Neuerung schreckt ihn auf,
denn sie zerbricht die alte Schulform, die er sich so müh-
sam zu eigen machte, sie setzt ihn in Gefahr, die ganze
Arbeit seines vorigen Lebens zu verlieren. Wer hat
über Reformatoren mehr geschrieen, als der Haufe der
Brodgelehrten? Wer hält den Fortgang nützlicher Re-
volutionen im Reich des Wissens mehr auf, als eben
diese? Jedes Licht, das durch ein glückliches Genie,
in welcher Wissenschaft es sey, angezündet wird, macht
ihre Dürftigkeit sichtbar; sie fechten mit Erbitterung,
mit Heimtücke, mit Verzweiflung, weil sie bey dem
Schulsystem, das sie vertheidigen, zugleich für ihr gan-
zes Daseyn fechten. Darum kein unversöhnlicherer Feind,
kein neidischerer Amtsgehülfe, kein bereitwilligerer Ke-
tzermacher, als der Brodgelehrte. Je weniger seine
Kenntnisse durch sich selbst ihn belohnen, desto größere
Vergeltung heischt er von außen; für das Verdienst der
Handarbeiter und das Verdienst der Geister hat er nur
Einen Maaßstab, die Mühe. Darum hört man nie-
mand über Undank mehr klagen, als den Brodgelehr-
ten; nicht bey seinen Gedankenschätzen sucht er seinen
Lohn, seinen Lohn erwartet er von fremder Anerken-
nung, von Ehrenstellen, von Versorgung. Schlägt

ihm

denn wozu noch weiter ſie bemuͤhen? Seine groͤßte
Angelegenheit iſt jetzt, die zuſammen gehaͤuften Ge-
daͤchtnißſchaͤtze zur Schau zu tragen, und ja zu verhuͤ-
ten, daß ſie in ihrem Werthe nicht ſinken. Jede Er-
weiterung ſeiner Brodwiſſenſchaft beunruhigt ihn, weil
ſie ihm neue Arbeit zuſendet, oder die vergangene un-
nuͤtz macht; jede wichtige Neuerung ſchreckt ihn auf,
denn ſie zerbricht die alte Schulform, die er ſich ſo muͤh-
ſam zu eigen machte, ſie ſetzt ihn in Gefahr, die ganze
Arbeit ſeines vorigen Lebens zu verlieren. Wer hat
uͤber Reformatoren mehr geſchrieen, als der Haufe der
Brodgelehrten? Wer haͤlt den Fortgang nuͤtzlicher Re-
volutionen im Reich des Wiſſens mehr auf, als eben
dieſe? Jedes Licht, das durch ein gluͤckliches Genie,
in welcher Wiſſenſchaft es ſey, angezuͤndet wird, macht
ihre Duͤrftigkeit ſichtbar; ſie fechten mit Erbitterung,
mit Heimtuͤcke, mit Verzweiflung, weil ſie bey dem
Schulſyſtem, das ſie vertheidigen, zugleich fuͤr ihr gan-
zes Daſeyn fechten. Darum kein unverſoͤhnlicherer Feind,
kein neidiſcherer Amtsgehuͤlfe, kein bereitwilligerer Ke-
tzermacher, als der Brodgelehrte. Je weniger ſeine
Kenntniſſe durch ſich ſelbſt ihn belohnen, deſto groͤßere
Vergeltung heiſcht er von außen; fuͤr das Verdienſt der
Handarbeiter und das Verdienſt der Geiſter hat er nur
Einen Maaßſtab, die Muͤhe. Darum hoͤrt man nie-
mand uͤber Undank mehr klagen, als den Brodgelehr-
ten; nicht bey ſeinen Gedankenſchaͤtzen ſucht er ſeinen
Lohn, ſeinen Lohn erwartet er von fremder Anerken-
nung, von Ehrenſtellen, von Verſorgung. Schlaͤgt

ihm
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0008" n="6"/>
denn wozu noch weiter &#x017F;ie bemu&#x0364;hen? Seine gro&#x0364;ßte<lb/>
Angelegenheit i&#x017F;t jetzt, die zu&#x017F;ammen geha&#x0364;uften Ge-<lb/>
da&#x0364;chtniß&#x017F;cha&#x0364;tze zur Schau zu tragen, und ja zu verhu&#x0364;-<lb/>
ten, daß &#x017F;ie in ihrem Werthe nicht &#x017F;inken. Jede Er-<lb/>
weiterung &#x017F;einer Brodwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft beunruhigt ihn, weil<lb/>
&#x017F;ie ihm neue Arbeit zu&#x017F;endet, oder die vergangene un-<lb/>
nu&#x0364;tz macht; jede wichtige Neuerung &#x017F;chreckt ihn auf,<lb/>
denn &#x017F;ie zerbricht die alte Schulform, die er &#x017F;ich &#x017F;o mu&#x0364;h-<lb/>
&#x017F;am zu eigen machte, &#x017F;ie &#x017F;etzt ihn in Gefahr, die ganze<lb/>
Arbeit &#x017F;eines vorigen Lebens zu verlieren. Wer hat<lb/>
u&#x0364;ber Reformatoren mehr ge&#x017F;chrieen, als der Haufe der<lb/>
Brodgelehrten? Wer ha&#x0364;lt den Fortgang nu&#x0364;tzlicher Re-<lb/>
volutionen im Reich des Wi&#x017F;&#x017F;ens mehr auf, als eben<lb/>
die&#x017F;e? Jedes Licht, das durch ein glu&#x0364;ckliches Genie,<lb/>
in welcher Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft es &#x017F;ey, angezu&#x0364;ndet wird, macht<lb/>
ihre Du&#x0364;rftigkeit &#x017F;ichtbar; &#x017F;ie fechten mit Erbitterung,<lb/>
mit Heimtu&#x0364;cke, mit Verzweiflung, weil &#x017F;ie bey dem<lb/>
Schul&#x017F;y&#x017F;tem, das &#x017F;ie vertheidigen, zugleich fu&#x0364;r ihr gan-<lb/>
zes Da&#x017F;eyn fechten. Darum kein unver&#x017F;o&#x0364;hnlicherer Feind,<lb/>
kein neidi&#x017F;cherer Amtsgehu&#x0364;lfe, kein bereitwilligerer Ke-<lb/>
tzermacher, als der Brodgelehrte. Je weniger &#x017F;eine<lb/>
Kenntni&#x017F;&#x017F;e durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ihn belohnen, de&#x017F;to gro&#x0364;ßere<lb/>
Vergeltung hei&#x017F;cht er von außen; fu&#x0364;r das Verdien&#x017F;t der<lb/>
Handarbeiter und das Verdien&#x017F;t der Gei&#x017F;ter hat er nur<lb/>
Einen Maaß&#x017F;tab, die Mu&#x0364;he. Darum ho&#x0364;rt man nie-<lb/>
mand u&#x0364;ber Undank mehr klagen, als den Brodgelehr-<lb/>
ten; nicht bey &#x017F;einen Gedanken&#x017F;cha&#x0364;tzen &#x017F;ucht er &#x017F;einen<lb/>
Lohn, &#x017F;einen Lohn erwartet er von fremder Anerken-<lb/>
nung, von Ehren&#x017F;tellen, von Ver&#x017F;orgung. Schla&#x0364;gt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ihm</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0008] denn wozu noch weiter ſie bemuͤhen? Seine groͤßte Angelegenheit iſt jetzt, die zuſammen gehaͤuften Ge- daͤchtnißſchaͤtze zur Schau zu tragen, und ja zu verhuͤ- ten, daß ſie in ihrem Werthe nicht ſinken. Jede Er- weiterung ſeiner Brodwiſſenſchaft beunruhigt ihn, weil ſie ihm neue Arbeit zuſendet, oder die vergangene un- nuͤtz macht; jede wichtige Neuerung ſchreckt ihn auf, denn ſie zerbricht die alte Schulform, die er ſich ſo muͤh- ſam zu eigen machte, ſie ſetzt ihn in Gefahr, die ganze Arbeit ſeines vorigen Lebens zu verlieren. Wer hat uͤber Reformatoren mehr geſchrieen, als der Haufe der Brodgelehrten? Wer haͤlt den Fortgang nuͤtzlicher Re- volutionen im Reich des Wiſſens mehr auf, als eben dieſe? Jedes Licht, das durch ein gluͤckliches Genie, in welcher Wiſſenſchaft es ſey, angezuͤndet wird, macht ihre Duͤrftigkeit ſichtbar; ſie fechten mit Erbitterung, mit Heimtuͤcke, mit Verzweiflung, weil ſie bey dem Schulſyſtem, das ſie vertheidigen, zugleich fuͤr ihr gan- zes Daſeyn fechten. Darum kein unverſoͤhnlicherer Feind, kein neidiſcherer Amtsgehuͤlfe, kein bereitwilligerer Ke- tzermacher, als der Brodgelehrte. Je weniger ſeine Kenntniſſe durch ſich ſelbſt ihn belohnen, deſto groͤßere Vergeltung heiſcht er von außen; fuͤr das Verdienſt der Handarbeiter und das Verdienſt der Geiſter hat er nur Einen Maaßſtab, die Muͤhe. Darum hoͤrt man nie- mand uͤber Undank mehr klagen, als den Brodgelehr- ten; nicht bey ſeinen Gedankenſchaͤtzen ſucht er ſeinen Lohn, ſeinen Lohn erwartet er von fremder Anerken- nung, von Ehrenſtellen, von Verſorgung. Schlaͤgt ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789/8
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789/8>, abgerufen am 18.04.2024.