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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Sitze, wie ein gescheuchtes Wild, ihr Herz wußte Alles,
was ihr bevorstand, sie war gewiß, daß der Schluß des
Schicksals nicht zu ändern sey; und, hätte sie ihn ändern
können, sie hätte doch der Rachegöttin den Feind ihres
Volkes nicht entziehen wollen, und weil er doch ihr
Retter war, so verdroß es sie nicht, mit ihm zu sterben.

Im Pallaste wurden der Fürst Agamemnon und
alle mit ihm Angekommenen durch Zurüstungen zu einem
prächtigen Gastmahle getäuscht. Bei diesem Mahle hätte
er von den gedungenen Knechten des Aegisthus wie ein
Stier an der Krippe erschlagen werden sollen. Die Ankunft
der Wahrsagerin aber bestimmte die Königin und ihren
Ehebrecher, die Entscheidung nicht auf diesen Hinterhalt
auszusetzen, sondern rascher und einsamer zu Werke zu gehen.

Agamemnon, von der Fahrt ermüdet, und vom
Wege durch das Land nach der Stadt bestäubt, verlangte
nach einem erquicklichen Bade, und Klytämnestra erklärte
ihm mit liebreicher Zuvorkommenheit, daß sie dieses Be¬
dürfniß längst vorhergesehen und daß ein warmes Bad
für ihn bereit gehalten sey. Der König betrat ahnungs¬
los das Badegewölbe seines Pallastes, legte Panzer,
Waffen und alle Gewande ab, und bestieg wehrlos und
entkleidet den Badebehälter. Da brachen Aegisthus und
Klytämnestra aus ihrem Verstecke hervor, warfen ihm
ein festgewundenes Netz über den Leib und durchbohrten
ihn mit wiederholten Dolchstichen. Sein Hülferuf drang
aus dem unterirdischen Gemache, wo die Bäder sich
befanden, nicht hinauf in den obern Pallast. Unmittel¬
bar nachher ward Kassandra, die einsam durch die dun¬
keln Vorhallen des Königspallastes hin und her irrte,
niedergemacht.

Sitze, wie ein geſcheuchtes Wild, ihr Herz wußte Alles,
was ihr bevorſtand, ſie war gewiß, daß der Schluß des
Schickſals nicht zu ändern ſey; und, hätte ſie ihn ändern
können, ſie hätte doch der Rachegöttin den Feind ihres
Volkes nicht entziehen wollen, und weil er doch ihr
Retter war, ſo verdroß es ſie nicht, mit ihm zu ſterben.

Im Pallaſte wurden der Fürſt Agamemnon und
alle mit ihm Angekommenen durch Zurüſtungen zu einem
prächtigen Gaſtmahle getäuſcht. Bei dieſem Mahle hätte
er von den gedungenen Knechten des Aegiſthus wie ein
Stier an der Krippe erſchlagen werden ſollen. Die Ankunft
der Wahrſagerin aber beſtimmte die Königin und ihren
Ehebrecher, die Entſcheidung nicht auf dieſen Hinterhalt
auszuſetzen, ſondern raſcher und einſamer zu Werke zu gehen.

Agamemnon, von der Fahrt ermüdet, und vom
Wege durch das Land nach der Stadt beſtäubt, verlangte
nach einem erquicklichen Bade, und Klytämneſtra erklärte
ihm mit liebreicher Zuvorkommenheit, daß ſie dieſes Be¬
dürfniß längſt vorhergeſehen und daß ein warmes Bad
für ihn bereit gehalten ſey. Der König betrat ahnungs¬
los das Badegewölbe ſeines Pallaſtes, legte Panzer,
Waffen und alle Gewande ab, und beſtieg wehrlos und
entkleidet den Badebehälter. Da brachen Aegiſthus und
Klytämneſtra aus ihrem Verſtecke hervor, warfen ihm
ein feſtgewundenes Netz über den Leib und durchbohrten
ihn mit wiederholten Dolchſtichen. Sein Hülferuf drang
aus dem unterirdiſchen Gemache, wo die Bäder ſich
befanden, nicht hinauf in den obern Pallaſt. Unmittel¬
bar nachher ward Kaſſandra, die einſam durch die dun¬
keln Vorhallen des Königspallaſtes hin und her irrte,
niedergemacht.

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[11/0033] Sitze, wie ein geſcheuchtes Wild, ihr Herz wußte Alles, was ihr bevorſtand, ſie war gewiß, daß der Schluß des Schickſals nicht zu ändern ſey; und, hätte ſie ihn ändern können, ſie hätte doch der Rachegöttin den Feind ihres Volkes nicht entziehen wollen, und weil er doch ihr Retter war, ſo verdroß es ſie nicht, mit ihm zu ſterben. Im Pallaſte wurden der Fürſt Agamemnon und alle mit ihm Angekommenen durch Zurüſtungen zu einem prächtigen Gaſtmahle getäuſcht. Bei dieſem Mahle hätte er von den gedungenen Knechten des Aegiſthus wie ein Stier an der Krippe erſchlagen werden ſollen. Die Ankunft der Wahrſagerin aber beſtimmte die Königin und ihren Ehebrecher, die Entſcheidung nicht auf dieſen Hinterhalt auszuſetzen, ſondern raſcher und einſamer zu Werke zu gehen. Agamemnon, von der Fahrt ermüdet, und vom Wege durch das Land nach der Stadt beſtäubt, verlangte nach einem erquicklichen Bade, und Klytämneſtra erklärte ihm mit liebreicher Zuvorkommenheit, daß ſie dieſes Be¬ dürfniß längſt vorhergeſehen und daß ein warmes Bad für ihn bereit gehalten ſey. Der König betrat ahnungs¬ los das Badegewölbe ſeines Pallaſtes, legte Panzer, Waffen und alle Gewande ab, und beſtieg wehrlos und entkleidet den Badebehälter. Da brachen Aegiſthus und Klytämneſtra aus ihrem Verſtecke hervor, warfen ihm ein feſtgewundenes Netz über den Leib und durchbohrten ihn mit wiederholten Dolchſtichen. Sein Hülferuf drang aus dem unterirdiſchen Gemache, wo die Bäder ſich befanden, nicht hinauf in den obern Pallaſt. Unmittel¬ bar nachher ward Kaſſandra, die einſam durch die dun¬ keln Vorhallen des Königspallaſtes hin und her irrte, niedergemacht.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/33>, abgerufen am 25.04.2024.