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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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hemmte seine Rosse, und ließ im innern Kreise den
Strudel der Wagen sich in einander wühlen. Hinter
diesem drein kommend trieb als der letzte Orestes seine
Rosse an. Wie dieser nun Alles gestürzt und in Unord¬
nung und den Athener allein noch übrig sieht, klatscht
er mit der Peitsche seinem Viergespann ins Ohr, und
so fährt bald, beide Führer im Sitz aufrecht und vor¬
gelehnt, das kühne Paar mit einander in die Wette.
Orestes war auf der langen Bahn auch wirklich glück¬
lich vorwärts gekommen, und ließ, auf dieß sein Glück
vertrauend, allmählig mit dem Zügel nach. Da wandte
sich sein linkes Roß, bog um, und streifte kaum merklich
die letzte Säule der Bahn. Und doch war der Stoß
so groß, daß die Nabe mitten durch brach, der Arme
vom Wagensitze glitt, und an seinem Zaume dahinge¬
schleift wurde. Als er auf den Boden sank, flogen seine
Rosse in wilder Flucht durch die Bahn; das Volk jam¬
merte laut auf, denn der schöne Jüngling wurde bald
am Boden hingeschleift, bald streckte er seine Glieder gen
Himmel. Endlich hemmten die Wagenlenker selbst mit
Mühe sein Gespann und lösten den Geschleiften ab, der
so mit Blut befleckt, so entstellt war, daß selbst seine
Freunde den Leib nicht mehr erkannten. Der Leichnam
wurde sofort schleunig auf dem Scheiterhaufen verbrannt,
und wir Abgeordnete aus Phocis bringen in einer klei¬
nen Urne von Erz den jämmerlichen Ueberrest seines
stattlichen Leibes, damit sein Vaterland ihm ein Grab
gönne!"

Der Bote endete: Klytämnestra aber fühlte sich von
widersprechenden Gefühlen bewegt; sie sollte sich eigentlich
über den Tod des gefürchteten Sohnes freuen; aber

hemmte ſeine Roſſe, und ließ im innern Kreiſe den
Strudel der Wagen ſich in einander wühlen. Hinter
dieſem drein kommend trieb als der letzte Oreſtes ſeine
Roſſe an. Wie dieſer nun Alles geſtürzt und in Unord¬
nung und den Athener allein noch übrig ſieht, klatſcht
er mit der Peitſche ſeinem Viergeſpann ins Ohr, und
ſo fährt bald, beide Führer im Sitz aufrecht und vor¬
gelehnt, das kühne Paar mit einander in die Wette.
Oreſtes war auf der langen Bahn auch wirklich glück¬
lich vorwärts gekommen, und ließ, auf dieß ſein Glück
vertrauend, allmählig mit dem Zügel nach. Da wandte
ſich ſein linkes Roß, bog um, und ſtreifte kaum merklich
die letzte Säule der Bahn. Und doch war der Stoß
ſo groß, daß die Nabe mitten durch brach, der Arme
vom Wagenſitze glitt, und an ſeinem Zaume dahinge¬
ſchleift wurde. Als er auf den Boden ſank, flogen ſeine
Roſſe in wilder Flucht durch die Bahn; das Volk jam¬
merte laut auf, denn der ſchöne Jüngling wurde bald
am Boden hingeſchleift, bald ſtreckte er ſeine Glieder gen
Himmel. Endlich hemmten die Wagenlenker ſelbſt mit
Mühe ſein Geſpann und löſten den Geſchleiften ab, der
ſo mit Blut befleckt, ſo entſtellt war, daß ſelbſt ſeine
Freunde den Leib nicht mehr erkannten. Der Leichnam
wurde ſofort ſchleunig auf dem Scheiterhaufen verbrannt,
und wir Abgeordnete aus Phocis bringen in einer klei¬
nen Urne von Erz den jämmerlichen Ueberreſt ſeines
ſtattlichen Leibes, damit ſein Vaterland ihm ein Grab
gönne!“

Der Bote endete: Klytämneſtra aber fühlte ſich von
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[21/0043] hemmte ſeine Roſſe, und ließ im innern Kreiſe den Strudel der Wagen ſich in einander wühlen. Hinter dieſem drein kommend trieb als der letzte Oreſtes ſeine Roſſe an. Wie dieſer nun Alles geſtürzt und in Unord¬ nung und den Athener allein noch übrig ſieht, klatſcht er mit der Peitſche ſeinem Viergeſpann ins Ohr, und ſo fährt bald, beide Führer im Sitz aufrecht und vor¬ gelehnt, das kühne Paar mit einander in die Wette. Oreſtes war auf der langen Bahn auch wirklich glück¬ lich vorwärts gekommen, und ließ, auf dieß ſein Glück vertrauend, allmählig mit dem Zügel nach. Da wandte ſich ſein linkes Roß, bog um, und ſtreifte kaum merklich die letzte Säule der Bahn. Und doch war der Stoß ſo groß, daß die Nabe mitten durch brach, der Arme vom Wagenſitze glitt, und an ſeinem Zaume dahinge¬ ſchleift wurde. Als er auf den Boden ſank, flogen ſeine Roſſe in wilder Flucht durch die Bahn; das Volk jam¬ merte laut auf, denn der ſchöne Jüngling wurde bald am Boden hingeſchleift, bald ſtreckte er ſeine Glieder gen Himmel. Endlich hemmten die Wagenlenker ſelbſt mit Mühe ſein Geſpann und löſten den Geſchleiften ab, der ſo mit Blut befleckt, ſo entſtellt war, daß ſelbſt ſeine Freunde den Leib nicht mehr erkannten. Der Leichnam wurde ſofort ſchleunig auf dem Scheiterhaufen verbrannt, und wir Abgeordnete aus Phocis bringen in einer klei¬ nen Urne von Erz den jämmerlichen Ueberreſt ſeines ſtattlichen Leibes, damit ſein Vaterland ihm ein Grab gönne!“ Der Bote endete: Klytämneſtra aber fühlte ſich von widerſprechenden Gefühlen bewegt; ſie ſollte ſich eigentlich über den Tod des gefürchteten Sohnes freuen; aber

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/43>, abgerufen am 23.04.2024.