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Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Spinne von Ast zu Ast hinaufrücken, und nicht lange, so schaukelte er sich im höchsten Wipfel und sang laut über den Wald hinaus. Er war schon mitten in seinem holländischen Lieblingsliede: "Ick see din Bild in de Fonteyn", oder wie es in der seltsamen Sprache heißen mag, als er plötzlich verstummte. Statt dessen hörte ich Kindergeplauder durch die Bäume, und bald sah ich auch Gertrud mit der ganzen Schaar heranziehen. Auf meine Einladung lagerte sich Alles neben mir auf die weichen Moospolster, und die Kinder riefen: Geschichten erzählen!

Was denn erzählen? fragte Gertrud.

Und die Einen wollten von Schneewittchen hören, die Andern vom dummen Hansel, bis sich endlich Alles in der Geschichte von dem Ungeheuer und der weißen Rose vereinigte. Aber Gertrud kannte die Geschichte nicht. Da, während sie aufs Neue die Titel ihres Märchenschatzes auskramte, schwang sich plötzlich Freund Brunken von einem Baumast zur Erde. Die Geschichte, sagte er, noch stoßweise mit dem Athem kämpfend, ist meine Domäne, schöne Dame, ich bitte um die Erlaubniß, sie zu erzählen. Dann, unter dem Händeklatschen der Kinder, verbeugte er sich tief vor dem jungen Mädchen.

Und wie, Meister Brunkenius, sagte diese, der Sie so unverhofft wie eine reife Frucht vom Baume fallen, wie kommen Sie zu einer solchen Domäne?

Ich, versetzte der Maler, bin mit dieser Geschichte

Spinne von Ast zu Ast hinaufrücken, und nicht lange, so schaukelte er sich im höchsten Wipfel und sang laut über den Wald hinaus. Er war schon mitten in seinem holländischen Lieblingsliede: „Ick see din Bild in de Fonteyn“, oder wie es in der seltsamen Sprache heißen mag, als er plötzlich verstummte. Statt dessen hörte ich Kindergeplauder durch die Bäume, und bald sah ich auch Gertrud mit der ganzen Schaar heranziehen. Auf meine Einladung lagerte sich Alles neben mir auf die weichen Moospolster, und die Kinder riefen: Geschichten erzählen!

Was denn erzählen? fragte Gertrud.

Und die Einen wollten von Schneewittchen hören, die Andern vom dummen Hansel, bis sich endlich Alles in der Geschichte von dem Ungeheuer und der weißen Rose vereinigte. Aber Gertrud kannte die Geschichte nicht. Da, während sie aufs Neue die Titel ihres Märchenschatzes auskramte, schwang sich plötzlich Freund Brunken von einem Baumast zur Erde. Die Geschichte, sagte er, noch stoßweise mit dem Athem kämpfend, ist meine Domäne, schöne Dame, ich bitte um die Erlaubniß, sie zu erzählen. Dann, unter dem Händeklatschen der Kinder, verbeugte er sich tief vor dem jungen Mädchen.

Und wie, Meister Brunkenius, sagte diese, der Sie so unverhofft wie eine reife Frucht vom Baume fallen, wie kommen Sie zu einer solchen Domäne?

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[0021] Spinne von Ast zu Ast hinaufrücken, und nicht lange, so schaukelte er sich im höchsten Wipfel und sang laut über den Wald hinaus. Er war schon mitten in seinem holländischen Lieblingsliede: „Ick see din Bild in de Fonteyn“, oder wie es in der seltsamen Sprache heißen mag, als er plötzlich verstummte. Statt dessen hörte ich Kindergeplauder durch die Bäume, und bald sah ich auch Gertrud mit der ganzen Schaar heranziehen. Auf meine Einladung lagerte sich Alles neben mir auf die weichen Moospolster, und die Kinder riefen: Geschichten erzählen! Was denn erzählen? fragte Gertrud. Und die Einen wollten von Schneewittchen hören, die Andern vom dummen Hansel, bis sich endlich Alles in der Geschichte von dem Ungeheuer und der weißen Rose vereinigte. Aber Gertrud kannte die Geschichte nicht. Da, während sie aufs Neue die Titel ihres Märchenschatzes auskramte, schwang sich plötzlich Freund Brunken von einem Baumast zur Erde. Die Geschichte, sagte er, noch stoßweise mit dem Athem kämpfend, ist meine Domäne, schöne Dame, ich bitte um die Erlaubniß, sie zu erzählen. Dann, unter dem Händeklatschen der Kinder, verbeugte er sich tief vor dem jungen Mädchen. Und wie, Meister Brunkenius, sagte diese, der Sie so unverhofft wie eine reife Frucht vom Baume fallen, wie kommen Sie zu einer solchen Domäne? Ich, versetzte der Maler, bin mit dieser Geschichte

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:17:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:17:45Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/21>, abgerufen am 28.03.2024.