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Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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zessin.

Gertrud unterbrach den Erzähler. War es denn wirklich so schlimm, Meister Brunkenius? sagte sie. Wie sah denn das Ungeheuer aus?

Entsetzlich sah es aus!

Aber wie denn entsetzlich?

Ich weiß nicht; meine Mutter, die mir die Geschichte erzählte, hat es mir nie beschreiben wollen. Aber sahen Sie denn nie ein Ungeheuer, Fräulein Gertrud?

Sie lächelte. Was reden Sie doch!

Ich weiß wohl, was ich rede, besinnen Sie sich nur! Und dabei stützte er den borstigen Kopf in seine ausgespreizten Finger, als wolle er sich von ihr betrachten lassen.

Das Mädchen erröthete. Erzählen Sie doch weiter! sagte sie, und: Weiter, weiter! riefen die Kinder, indem sie näher zu ihm herankrochen.

Er warf einen Blick auf die kleine Gesellschaft.

Ja so, sagte er, ihr seid auch noch da. So hört denn! -- Und nun begann er seine Scenen auszupinseln: Es war eine unabsehbare Wildniß, die sie durchwanderten. Immer höher wucherten Ginster und Haidekraut, aber kein Vogel sang und keine Biene summte; die seidenen Schuhe der Prinzessin zerrissen an den harten Wurzeln, mit denen der Boden übersponnen war. Todtenstill lag es über der Steppe, nur dort aus der Ferne, wo eben die Sonne glutroth hinter der schwarzen Haide hinabgesunken war, kam es jetzt herangefahren; das war aber der Nachtwind, der sich aufgemacht hatte, er riß

zessin.

Gertrud unterbrach den Erzähler. War es denn wirklich so schlimm, Meister Brunkenius? sagte sie. Wie sah denn das Ungeheuer aus?

Entsetzlich sah es aus!

Aber wie denn entsetzlich?

Ich weiß nicht; meine Mutter, die mir die Geschichte erzählte, hat es mir nie beschreiben wollen. Aber sahen Sie denn nie ein Ungeheuer, Fräulein Gertrud?

Sie lächelte. Was reden Sie doch!

Ich weiß wohl, was ich rede, besinnen Sie sich nur! Und dabei stützte er den borstigen Kopf in seine ausgespreizten Finger, als wolle er sich von ihr betrachten lassen.

Das Mädchen erröthete. Erzählen Sie doch weiter! sagte sie, und: Weiter, weiter! riefen die Kinder, indem sie näher zu ihm herankrochen.

Er warf einen Blick auf die kleine Gesellschaft.

Ja so, sagte er, ihr seid auch noch da. So hört denn! — Und nun begann er seine Scenen auszupinseln: Es war eine unabsehbare Wildniß, die sie durchwanderten. Immer höher wucherten Ginster und Haidekraut, aber kein Vogel sang und keine Biene summte; die seidenen Schuhe der Prinzessin zerrissen an den harten Wurzeln, mit denen der Boden übersponnen war. Todtenstill lag es über der Steppe, nur dort aus der Ferne, wo eben die Sonne glutroth hinter der schwarzen Haide hinabgesunken war, kam es jetzt herangefahren; das war aber der Nachtwind, der sich aufgemacht hatte, er riß

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:17:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:17:45Z)

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/23>, abgerufen am 28.03.2024.