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Walcker, Karl: Die Frauenbewegung. Straßburg, 1896.

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heft der Review of Reviews. Dieselbe Zeitschrift referierte im April-
heft von 1895 über einen Essay der Lady, welcher unter dem Titel
The Welcome Child im März 1895 in der amerikanischen, in
Boston erscheinenden Zeitschrift The Arena veröffentlicht wurde. Die
Polemik der Verfasserin gegen compulsory maternity enthält viel
Wahres, trotz der orthodoxphantastischen Geschichte von Jngersoll's
Mutter. Das Wort compulsory bezieht sich natürlich auf einen ge-
wissen Mißbrauch ehelicher Rechte, der auch von deutschen Aerzten,
von F. v. Holtzendorff,3) von mir4) und von anderen bekämpft worden ist.

Es kommt vor, daß deutsche Damen von ultramontaner Richtung
einem nichtkonfessionellen (sozusagen: interkonfessionellen) Frauen-
verein angehören, und es kommt natürlich vor, daß Deutschöster-
reicherinnen, Polinnen u. s. w. von römisch-katholischer Konfession
Medizin studieren. Trotzdem ist es eine Thatsache, daß die Frauen-
bewegung
am besten in protestantisch-germanischen und israeli-
tischen
Kreisen gedeiht, weniger gut in griechisch-katholischen
Kreisen, am wenigsten in römisch-katholischen Kreisen. Die tref-
fenden Bemerkungen, welche Frl. Dr. Käthe Schirmacher, eine
talentvolle reichsdeutsche Dame, in der "Frauenbewegung", 1896,
Nr. 7, über Frankreich macht, gelten, mit Veränderung des zu Ver-
ändernden, auch von anderen katholischen Ländern und Gegenden. Jn
der griechischen Kirche hat die Ohrenbeichte der Frauen (und
Männer) eine viel geringere Bedeutung, wie in der römischen Kirche,
schon weil die griechischen Geistlichen verheiratet sind. Russische
Damen haben überhaupt, trotz allen Zweibunds-Phrasen, viel mehr
Geistes- und Jnteressengemeinschaft mit deutschen Damen, z. B. in
der Polen- und Jesuiten-Frage, wie mit französischen Damen. Aus
der Litteratur Jtaliens ist das Werk von Lombroso und Ferrero,
La donna delinquente, das Weib als Verbrecherin und Prostituirte,
deutsch von H. Kurella, 1894, hervorzuheben. Ein französischer Richter
pflegte bekanntlich zu fragen: "Ou est la femme?", oder zu sagen:
"Cherchez la femme!"

Hinsichtlich der übrigen Länder verweise ich auf die angeführten
Arbeiten von Pierstorff, Ostrogorski, Bridel, Frau Jchenhäuser.

J. Duboc's Werk "Fünfzig Jahre Frauenfrage in Deutsch-
land. Geschichte und Kritik", 1896, entspricht nur wenig seinem
Titel. Auf 173 Seiten ist so viel von anderen Zeiten und Ländern
die Rede, daß für das eigentliche Thema zu wenig Raum übrig

heft der Review of Reviews. Dieselbe Zeitschrift referierte im April-
heft von 1895 über einen Essay der Lady, welcher unter dem Titel
The Welcome Child im März 1895 in der amerikanischen, in
Boston erscheinenden Zeitschrift The Arena veröffentlicht wurde. Die
Polemik der Verfasserin gegen compulsory maternity enthält viel
Wahres, trotz der orthodoxphantastischen Geschichte von Jngersoll's
Mutter. Das Wort compulsory bezieht sich natürlich auf einen ge-
wissen Mißbrauch ehelicher Rechte, der auch von deutschen Aerzten,
von F. v. Holtzendorff,3) von mir4) und von anderen bekämpft worden ist.

Es kommt vor, daß deutsche Damen von ultramontaner Richtung
einem nichtkonfessionellen (sozusagen: interkonfessionellen) Frauen-
verein angehören, und es kommt natürlich vor, daß Deutschöster-
reicherinnen, Polinnen u. s. w. von römisch-katholischer Konfession
Medizin studieren. Trotzdem ist es eine Thatsache, daß die Frauen-
bewegung
am besten in protestantisch-germanischen und israeli-
tischen
Kreisen gedeiht, weniger gut in griechisch-katholischen
Kreisen, am wenigsten in römisch-katholischen Kreisen. Die tref-
fenden Bemerkungen, welche Frl. Dr. Käthe Schirmacher, eine
talentvolle reichsdeutsche Dame, in der „Frauenbewegung“, 1896,
Nr. 7, über Frankreich macht, gelten, mit Veränderung des zu Ver-
ändernden, auch von anderen katholischen Ländern und Gegenden. Jn
der griechischen Kirche hat die Ohrenbeichte der Frauen (und
Männer) eine viel geringere Bedeutung, wie in der römischen Kirche,
schon weil die griechischen Geistlichen verheiratet sind. Russische
Damen haben überhaupt, trotz allen Zweibunds-Phrasen, viel mehr
Geistes- und Jnteressengemeinschaft mit deutschen Damen, z. B. in
der Polen- und Jesuiten-Frage, wie mit französischen Damen. Aus
der Litteratur Jtaliens ist das Werk von Lombroso und Ferrero,
La donna delinquente, das Weib als Verbrecherin und Prostituirte,
deutsch von H. Kurella, 1894, hervorzuheben. Ein französischer Richter
pflegte bekanntlich zu fragen: «Où est la femme?», oder zu sagen:
«Cherchez la femme!»

Hinsichtlich der übrigen Länder verweise ich auf die angeführten
Arbeiten von Pierstorff, Ostrogorski, Bridel, Frau Jchenhäuser.

J. Duboc's Werk „Fünfzig Jahre Frauenfrage in Deutsch-
land. Geschichte und Kritik“, 1896, entspricht nur wenig seinem
Titel. Auf 173 Seiten ist so viel von anderen Zeiten und Ländern
die Rede, daß für das eigentliche Thema zu wenig Raum übrig

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[7/0013] heft der Review of Reviews. Dieselbe Zeitschrift referierte im April- heft von 1895 über einen Essay der Lady, welcher unter dem Titel The Welcome Child im März 1895 in der amerikanischen, in Boston erscheinenden Zeitschrift The Arena veröffentlicht wurde. Die Polemik der Verfasserin gegen compulsory maternity enthält viel Wahres, trotz der orthodoxphantastischen Geschichte von Jngersoll's Mutter. Das Wort compulsory bezieht sich natürlich auf einen ge- wissen Mißbrauch ehelicher Rechte, der auch von deutschen Aerzten, von F. v. Holtzendorff, ³⁾ von mir ⁴⁾ und von anderen bekämpft worden ist. Es kommt vor, daß deutsche Damen von ultramontaner Richtung einem nichtkonfessionellen (sozusagen: interkonfessionellen) Frauen- verein angehören, und es kommt natürlich vor, daß Deutschöster- reicherinnen, Polinnen u. s. w. von römisch-katholischer Konfession Medizin studieren. Trotzdem ist es eine Thatsache, daß die Frauen- bewegung am besten in protestantisch-germanischen und israeli- tischen Kreisen gedeiht, weniger gut in griechisch-katholischen Kreisen, am wenigsten in römisch-katholischen Kreisen. Die tref- fenden Bemerkungen, welche Frl. Dr. Käthe Schirmacher, eine talentvolle reichsdeutsche Dame, in der „Frauenbewegung“, 1896, Nr. 7, über Frankreich macht, gelten, mit Veränderung des zu Ver- ändernden, auch von anderen katholischen Ländern und Gegenden. Jn der griechischen Kirche hat die Ohrenbeichte der Frauen (und Männer) eine viel geringere Bedeutung, wie in der römischen Kirche, schon weil die griechischen Geistlichen verheiratet sind. Russische Damen haben überhaupt, trotz allen Zweibunds-Phrasen, viel mehr Geistes- und Jnteressengemeinschaft mit deutschen Damen, z. B. in der Polen- und Jesuiten-Frage, wie mit französischen Damen. Aus der Litteratur Jtaliens ist das Werk von Lombroso und Ferrero, La donna delinquente, das Weib als Verbrecherin und Prostituirte, deutsch von H. Kurella, 1894, hervorzuheben. Ein französischer Richter pflegte bekanntlich zu fragen: «Où est la femme?», oder zu sagen: «Cherchez la femme!» Hinsichtlich der übrigen Länder verweise ich auf die angeführten Arbeiten von Pierstorff, Ostrogorski, Bridel, Frau Jchenhäuser. J. Duboc's Werk „Fünfzig Jahre Frauenfrage in Deutsch- land. Geschichte und Kritik“, 1896, entspricht nur wenig seinem Titel. Auf 173 Seiten ist so viel von anderen Zeiten und Ländern die Rede, daß für das eigentliche Thema zu wenig Raum übrig  

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-04-09T14:25:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-04-09T14:25:10Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Walcker, Karl: Die Frauenbewegung. Straßburg, 1896, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/walcker_frauenbewegung_1896/13>, abgerufen am 18.04.2024.