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Walcker, Karl: Die Frauenbewegung. Straßburg, 1896.

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zösinnen 1870 ergriffen waren.11) 1870 sollen gewisse deutsche Frauen
und Mädchen in anstößiger Weise mit gefangenen Franzosen und
Turkos kokettiert haben. Deutsche protestantische Mädchen haben
manchmal Jtaliener, ja Polen geheiratet, ihre Kinder katholisch er-
ziehen lassen. Jn katholischen Gegenden herrschen die Ultramontanen
weit mehr durch die Frauen, wie durch die Männer. Jn Frankreich,
in den polnischen u. s. w. Gegenden sind Damen auch die Haupt-
trägerinnen des kulturfeindlichen, antideutschen Chauvinismus u. s. w.

III. Auf dem Wege der Nachahmung verbreiten sich auch gute
Dinge, aber das Horazische Wort "imitatoram servum pecus" ist
noch heute für Nachäffer und Nachäfferinnen beachtenswert. Auch
Lassalle spottet über diejenigen, "welche abgeschmackt genug sind,
um zu behaupten, Napoleon I. und die Hebamme Müller hätten sich
nur durch ihr Geschlecht unterschieden".12) Was würde Lassalle erst
zur modernen, in England und Amerika aufgetauchten Behauptung
sagen, die Frauen seien nicht ein Geschlecht, sondern eine Klasse?!
Nach dieser weisen Logik würden z. B. die reichste Herzogin und die
ärmste Bettlerin Englands zu derselben Klasse gehören. Es macht
einen widerwärtigen Eindruck, wenn ein Weib ihre Haartracht, ihren
Kragen und Slips so arrangiert, daß man ihr Bild auf den ersten
Blick für das Porträt eines bartlosen, oder rasierten Mannes halten
kann; daß man erst durch die Unterschrift Mrs. oder Miss, Frau
oder Fräulein, recht orientiert wird. Extreme Frauenrechtlerinnen,
sog. Feministinnen, bringen es fertig, in einem Atem zu sagen:
"Die Männer sind schlecht" und "Wir wollen werden, wie die
Männer". Trotz allen Gleichberechtigungs-Phrasen läuft ihre Doktrin
eigentlich auf den ungeheuerlichen Satz hinaus: "Die Frau soll das
Wesen des Mannes nachäffen, die Äffin des Mannes sein."
Die Gemäßigten lehren dagegen, daß zwischen beiden Geschlechtern
eine ähnliche Arbeitsteilung und Differenzierung stattfindet und
stattfinden soll, wie z. B. zwischen Städtern und Landwirten, Gene-
ralen und Admiralen, Goethe und Schiller, A. und W. v. Humboldt.
"Eines schickt sich nicht für Alle." Die Gemäßigten beider Geschlechter
sagen mit diesen oder jenen Worten: "Wir fordern eine in jeder
Beziehung würdige, angemessene Stellung der Frauen.
"
Diese Formel ist vorsichtig, maßvoll gefaßt, und doch immer genügend.
Sie paßt auf alle berechtigten Forderungen der Damen, selbst auf
die weitgehendsten.
2*

zösinnen 1870 ergriffen waren.11) 1870 sollen gewisse deutsche Frauen
und Mädchen in anstößiger Weise mit gefangenen Franzosen und
Turkos kokettiert haben. Deutsche protestantische Mädchen haben
manchmal Jtaliener, ja Polen geheiratet, ihre Kinder katholisch er-
ziehen lassen. Jn katholischen Gegenden herrschen die Ultramontanen
weit mehr durch die Frauen, wie durch die Männer. Jn Frankreich,
in den polnischen u. s. w. Gegenden sind Damen auch die Haupt-
trägerinnen des kulturfeindlichen, antideutschen Chauvinismus u. s. w.

III. Auf dem Wege der Nachahmung verbreiten sich auch gute
Dinge, aber das Horazische Wort «imitatoram servum pecus» ist
noch heute für Nachäffer und Nachäfferinnen beachtenswert. Auch
Lassalle spottet über diejenigen, „welche abgeschmackt genug sind,
um zu behaupten, Napoleon I. und die Hebamme Müller hätten sich
nur durch ihr Geschlecht unterschieden“.12) Was würde Lassalle erst
zur modernen, in England und Amerika aufgetauchten Behauptung
sagen, die Frauen seien nicht ein Geschlecht, sondern eine Klasse?!
Nach dieser weisen Logik würden z. B. die reichste Herzogin und die
ärmste Bettlerin Englands zu derselben Klasse gehören. Es macht
einen widerwärtigen Eindruck, wenn ein Weib ihre Haartracht, ihren
Kragen und Slips so arrangiert, daß man ihr Bild auf den ersten
Blick für das Porträt eines bartlosen, oder rasierten Mannes halten
kann; daß man erst durch die Unterschrift Mrs. oder Miss, Frau
oder Fräulein, recht orientiert wird. Extreme Frauenrechtlerinnen,
sog. Feministinnen, bringen es fertig, in einem Atem zu sagen:
„Die Männer sind schlecht“ und „Wir wollen werden, wie die
Männer“. Trotz allen Gleichberechtigungs-Phrasen läuft ihre Doktrin
eigentlich auf den ungeheuerlichen Satz hinaus: „Die Frau soll das
Wesen des Mannes nachäffen, die Äffin des Mannes sein.“
Die Gemäßigten lehren dagegen, daß zwischen beiden Geschlechtern
eine ähnliche Arbeitsteilung und Differenzierung stattfindet und
stattfinden soll, wie z. B. zwischen Städtern und Landwirten, Gene-
ralen und Admiralen, Goethe und Schiller, A. und W. v. Humboldt.
„Eines schickt sich nicht für Alle.“ Die Gemäßigten beider Geschlechter
sagen mit diesen oder jenen Worten: „Wir fordern eine in jeder
Beziehung würdige, angemessene Stellung der Frauen.

Diese Formel ist vorsichtig, maßvoll gefaßt, und doch immer genügend.
Sie paßt auf alle berechtigten Forderungen der Damen, selbst auf
die weitgehendsten.
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[19/0025] zösinnen 1870 ergriffen waren. ¹¹⁾ 1870 sollen gewisse deutsche Frauen und Mädchen in anstößiger Weise mit gefangenen Franzosen und Turkos kokettiert haben. Deutsche protestantische Mädchen haben manchmal Jtaliener, ja Polen geheiratet, ihre Kinder katholisch er- ziehen lassen. Jn katholischen Gegenden herrschen die Ultramontanen weit mehr durch die Frauen, wie durch die Männer. Jn Frankreich, in den polnischen u. s. w. Gegenden sind Damen auch die Haupt- trägerinnen des kulturfeindlichen, antideutschen Chauvinismus u. s. w. III. Auf dem Wege der Nachahmung verbreiten sich auch gute Dinge, aber das Horazische Wort «imitatoram servum pecus» ist noch heute für Nachäffer und Nachäfferinnen beachtenswert. Auch Lassalle spottet über diejenigen, „welche abgeschmackt genug sind, um zu behaupten, Napoleon I. und die Hebamme Müller hätten sich nur durch ihr Geschlecht unterschieden“. ¹²⁾ Was würde Lassalle erst zur modernen, in England und Amerika aufgetauchten Behauptung sagen, die Frauen seien nicht ein Geschlecht, sondern eine Klasse?! Nach dieser weisen Logik würden z. B. die reichste Herzogin und die ärmste Bettlerin Englands zu derselben Klasse gehören. Es macht einen widerwärtigen Eindruck, wenn ein Weib ihre Haartracht, ihren Kragen und Slips so arrangiert, daß man ihr Bild auf den ersten Blick für das Porträt eines bartlosen, oder rasierten Mannes halten kann; daß man erst durch die Unterschrift Mrs. oder Miss, Frau oder Fräulein, recht orientiert wird. Extreme Frauenrechtlerinnen, sog. Feministinnen, bringen es fertig, in einem Atem zu sagen: „Die Männer sind schlecht“ und „Wir wollen werden, wie die Männer“. Trotz allen Gleichberechtigungs-Phrasen läuft ihre Doktrin eigentlich auf den ungeheuerlichen Satz hinaus: „Die Frau soll das Wesen des Mannes nachäffen, die Äffin des Mannes sein.“ Die Gemäßigten lehren dagegen, daß zwischen beiden Geschlechtern eine ähnliche Arbeitsteilung und Differenzierung stattfindet und stattfinden soll, wie z. B. zwischen Städtern und Landwirten, Gene- ralen und Admiralen, Goethe und Schiller, A. und W. v. Humboldt. „Eines schickt sich nicht für Alle.“ Die Gemäßigten beider Geschlechter sagen mit diesen oder jenen Worten: „Wir fordern eine in jeder Beziehung würdige, angemessene Stellung der Frauen.“ Diese Formel ist vorsichtig, maßvoll gefaßt, und doch immer genügend. Sie paßt auf alle berechtigten Forderungen der Damen, selbst auf die weitgehendsten. 2*

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-04-09T14:25:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-04-09T14:25:10Z)

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Zitationshilfe: Walcker, Karl: Die Frauenbewegung. Straßburg, 1896, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/walcker_frauenbewegung_1896/25>, abgerufen am 23.04.2024.