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Walcker, Karl: Die Frauenbewegung. Straßburg, 1896.

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bieten Durchgreifendes geschehen. Vgl. oben S. 10, 14 ff., 27, 28.
Man hat längst, ohne Beziehung auf die Frauenfrage, gesagt, das
Deutsche Reich solle all' die Waren selbst erzeugen, die es ohne
Not einführt. Die Einfuhr von Wiener Stühlen und Aluminium-
federn, italienischen Eiern, französischem Geflügel u. s. w. ist z. B.
schwerlich nötig. Es ist in der Regel unpatriotisch, Schaumweine,
Modeartikel, Tuche und anderes einzuführen. Diese Sachen werden
bei uns ebenso gut und billig, oder noch besser und billiger hergestellt.
Es sollte Sitte werden, jeden übermäßigen Luxus zu vermeiden, und
die ersparten Summen zu gemeinnützigen Zwecken zu verwenden, z. B.
dem Gustav-Adolf-Verein zu schenken. Der allzu rasche und große
Modewechsel ist nach Roscher's treffenden Ausführungen in privat-
und volkswirtschaftlicher Beziehung schädlich.23)
F. Von der Frauenbildung ist bereits oben S. 11, 13, 17 ff.
die Rede gewesen. Auch sog. höhere Töchter sollten im Geschichts-
unterricht gewisse Daten über die Geschichte der Nationalökonomie,
Politik, biblischen Kritik
erhalten.24) Der Turnunterricht an
Mädchen sollte aus Anstandsgründen nie von Männern, nur von
Frauen, erteilt werden.
G. Eine mechanische Gleichstellung beider Geschlechter vor der
Strafjustiz würde zu Härten gegen die Frauen führen. Wenn die
Redakteurin A in B und der Redakteur C in D aus einer Partei-
korrespondenz denselben strafbaren Artikel abdrucken, so kann es gerecht
sein, A gelinder zu bestrafen wie C, weil sie weniger sachverständig
ist, und mehr von Gefühlseindrücken bestimmt wird. Noch schlagender
ist folgender Fall. E, ein Mädchen, tötet, halb bewußtlos, ihr neu-
geborenes Kind sofort nach der schweren Geburt. F, ein unehelicher,
ganz zurechnungsfähiger Vater, tötet sein neugeborenes Kind auch
gleich nach der Geburt. Jn Amerika und anderswo giebt es bereits
sog. Polizeimatronen25) und Frauen, welche Beamtinnen von Ge-
fängnissen, Fabrikinspektorinnen u. s. w. sind. Das Eintreten für
die Jnteressen unehelicher Kinder darf nicht soweit getrieben wer-
den, daß die Ehefrauen und ehelichen Kinder darunter leiden; daß
sozusagen Prämien auf Verführungen reicher Männer durch leicht-
sinnige Mädchen, auf Gelderpressungen, falsche Anklagen und Meineide
gesetzt werden. Es kommt z. B. vor, daß ein im ersten Stadium der
Schwangerschaft befindliches Mädchen einen bemittelten Mann verführt,
um ihm die Vaterschaft zuzuschreiben, von ihm Alimente zu erhalten.
bieten Durchgreifendes geschehen. Vgl. oben S. 10, 14 ff., 27, 28.
Man hat längst, ohne Beziehung auf die Frauenfrage, gesagt, das
Deutsche Reich solle all’ die Waren selbst erzeugen, die es ohne
Not einführt. Die Einfuhr von Wiener Stühlen und Aluminium-
federn, italienischen Eiern, französischem Geflügel u. s. w. ist z. B.
schwerlich nötig. Es ist in der Regel unpatriotisch, Schaumweine,
Modeartikel, Tuche und anderes einzuführen. Diese Sachen werden
bei uns ebenso gut und billig, oder noch besser und billiger hergestellt.
Es sollte Sitte werden, jeden übermäßigen Luxus zu vermeiden, und
die ersparten Summen zu gemeinnützigen Zwecken zu verwenden, z. B.
dem Gustav-Adolf-Verein zu schenken. Der allzu rasche und große
Modewechsel ist nach Roscher‘s treffenden Ausführungen in privat-
und volkswirtschaftlicher Beziehung schädlich.23)
F. Von der Frauenbildung ist bereits oben S. 11, 13, 17 ff.
die Rede gewesen. Auch sog. höhere Töchter sollten im Geschichts-
unterricht gewisse Daten über die Geschichte der Nationalökonomie,
Politik, biblischen Kritik
erhalten.24) Der Turnunterricht an
Mädchen sollte aus Anstandsgründen nie von Männern, nur von
Frauen, erteilt werden.
G. Eine mechanische Gleichstellung beider Geschlechter vor der
Strafjustiz würde zu Härten gegen die Frauen führen. Wenn die
Redakteurin A in B und der Redakteur C in D aus einer Partei-
korrespondenz denselben strafbaren Artikel abdrucken, so kann es gerecht
sein, A gelinder zu bestrafen wie C, weil sie weniger sachverständig
ist, und mehr von Gefühlseindrücken bestimmt wird. Noch schlagender
ist folgender Fall. E, ein Mädchen, tötet, halb bewußtlos, ihr neu-
geborenes Kind sofort nach der schweren Geburt. F, ein unehelicher,
ganz zurechnungsfähiger Vater, tötet sein neugeborenes Kind auch
gleich nach der Geburt. Jn Amerika und anderswo giebt es bereits
sog. Polizeimatronen25) und Frauen, welche Beamtinnen von Ge-
fängnissen, Fabrikinspektorinnen u. s. w. sind. Das Eintreten für
die Jnteressen unehelicher Kinder darf nicht soweit getrieben wer-
den, daß die Ehefrauen und ehelichen Kinder darunter leiden; daß
sozusagen Prämien auf Verführungen reicher Männer durch leicht-
sinnige Mädchen, auf Gelderpressungen, falsche Anklagen und Meineide
gesetzt werden. Es kommt z. B. vor, daß ein im ersten Stadium der
Schwangerschaft befindliches Mädchen einen bemittelten Mann verführt,
um ihm die Vaterschaft zuzuschreiben, von ihm Alimente zu erhalten.
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[34/0040] bieten Durchgreifendes geschehen. Vgl. oben S. 10, 14 ff., 27, 28. Man hat längst, ohne Beziehung auf die Frauenfrage, gesagt, das Deutsche Reich solle all’ die Waren selbst erzeugen, die es ohne Not einführt. Die Einfuhr von Wiener Stühlen und Aluminium- federn, italienischen Eiern, französischem Geflügel u. s. w. ist z. B. schwerlich nötig. Es ist in der Regel unpatriotisch, Schaumweine, Modeartikel, Tuche und anderes einzuführen. Diese Sachen werden bei uns ebenso gut und billig, oder noch besser und billiger hergestellt. Es sollte Sitte werden, jeden übermäßigen Luxus zu vermeiden, und die ersparten Summen zu gemeinnützigen Zwecken zu verwenden, z. B. dem Gustav-Adolf-Verein zu schenken. Der allzu rasche und große Modewechsel ist nach Roscher‘s treffenden Ausführungen in privat- und volkswirtschaftlicher Beziehung schädlich. ²³⁾ F. Von der Frauenbildung ist bereits oben S. 11, 13, 17 ff. die Rede gewesen. Auch sog. höhere Töchter sollten im Geschichts- unterricht gewisse Daten über die Geschichte der Nationalökonomie, Politik, biblischen Kritik erhalten. ²⁴⁾ Der Turnunterricht an Mädchen sollte aus Anstandsgründen nie von Männern, nur von Frauen, erteilt werden. G. Eine mechanische Gleichstellung beider Geschlechter vor der Strafjustiz würde zu Härten gegen die Frauen führen. Wenn die Redakteurin A in B und der Redakteur C in D aus einer Partei- korrespondenz denselben strafbaren Artikel abdrucken, so kann es gerecht sein, A gelinder zu bestrafen wie C, weil sie weniger sachverständig ist, und mehr von Gefühlseindrücken bestimmt wird. Noch schlagender ist folgender Fall. E, ein Mädchen, tötet, halb bewußtlos, ihr neu- geborenes Kind sofort nach der schweren Geburt. F, ein unehelicher, ganz zurechnungsfähiger Vater, tötet sein neugeborenes Kind auch gleich nach der Geburt. Jn Amerika und anderswo giebt es bereits sog. Polizeimatronen ²⁵⁾ und Frauen, welche Beamtinnen von Ge- fängnissen, Fabrikinspektorinnen u. s. w. sind. Das Eintreten für die Jnteressen unehelicher Kinder darf nicht soweit getrieben wer- den, daß die Ehefrauen und ehelichen Kinder darunter leiden; daß sozusagen Prämien auf Verführungen reicher Männer durch leicht- sinnige Mädchen, auf Gelderpressungen, falsche Anklagen und Meineide gesetzt werden. Es kommt z. B. vor, daß ein im ersten Stadium der Schwangerschaft befindliches Mädchen einen bemittelten Mann verführt, um ihm die Vaterschaft zuzuschreiben, von ihm Alimente zu erhalten.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-04-09T14:25:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-04-09T14:25:10Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Walcker, Karl: Die Frauenbewegung. Straßburg, 1896, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/walcker_frauenbewegung_1896/40>, abgerufen am 25.04.2024.