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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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in sich selbst hat. Warum betreibt man etwas, das in der
Wirklichkeit nie zu Ende kommt und kommen kann? Nun
zunächst: zu rein praktischen, im weiteren Wortsinn: technischen
Zwecken: um unser praktisches Handeln an den Erwartungen
orientieren zu können, welche die wissenschaftliche Erfahrung uns
an die Hand gibt. Gut. Aber das bedeutet nur etwas für
den Praktiker. Welches aber ist die innere Stellung des
Mannes der Wissenschaft selbst zu seinem Beruf? - wenn
er nämlich nach einer solchen überhaupt sucht. Er behauptet:
die Wissenschaft "um ihrer selbst willen" und nicht nur dazu
zu betreiben, weil andere damit geschäftliche oder technische Er-
folge herbeiführen, sich besser nähren, kleiden, beleuchten,
regieren können. Was glaubt er denn aber Sinnvolles damit,
mit diesen stets zum Veralten bestimmten Schöpfungen, zu
leisten, damit also, daß er sich in diesen fachgeteilten, ins Un-
endliche laufenden Betrieb einspannen läßt? Das erfordert
einige allgemeine Erwägungen.

Der wissenschaftliche Fortschritt ist ein Bruchteil, und zwar
der wichtigste Bruchteil, jenes Jntellektualisierungsprozesses,
dem wir seit Jahrtausenden unterliegen, und zu dem heute
üblicherweise in so außerordentlich negativer Art Stellung
genommen wird.

Machen wir uns zunächst klar, was denn eigentlich diese
intellektualistische Rationalisierung durch Wissenschaft und
wissenschaftlich orientierte Technik praktisch bedeutet. Etwa,
daß wir heute, jeder z. B., der hier im Saale sitzt, eine größere
Kenntnis der Lebensbedingungen hat, unter denen er existiert,
als ein Jndianer oder ein Hottentotte? Schwerlich. Wer von
uns auf der Straßenbahn fährt, hat - wenn er nicht Fach-
physiker ist - keine Ahnung, wie sie das macht, sich in Be-
wegung zu setzen. Er braucht auch nichts davon zu wissen. Es
genügt ihm, daß er auf das Verhalten des Straßenbahnwagens
"rechnen" kann, er orientiert sein Verhalten daran; aber wie man
eine Trambahn so herstellt, daß sie sich bewegt, davon weiß
er nichts. Der Wilde weiß das von seinen Werkzeugen
ungleich besser. Wenn wir heute Geld ausgeben, so wette ich,
daß, sogar wenn nationalökonomische Fachkollegen im Saale

in ſich ſelbſt hat. Warum betreibt man etwas, das in der
Wirklichkeit nie zu Ende kommt und kommen kann? Nun
zunächſt: zu rein praktiſchen, im weiteren Wortſinn: techniſchen
Zwecken: um unſer praktiſches Handeln an den Erwartungen
orientieren zu können, welche die wiſſenſchaftliche Erfahrung uns
an die Hand gibt. Gut. Aber das bedeutet nur etwas für
den Praktiker. Welches aber iſt die innere Stellung des
Mannes der Wiſſenſchaft ſelbſt zu ſeinem Beruf? – wenn
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die Wiſſenſchaft „um ihrer ſelbſt willen“ und nicht nur dazu
zu betreiben, weil andere damit geſchäftliche oder techniſche Er-
folge herbeiführen, ſich beſſer nähren, kleiden, beleuchten,
regieren können. Was glaubt er denn aber Sinnvolles damit,
mit dieſen ſtets zum Veralten beſtimmten Schöpfungen, zu
leiſten, damit alſo, daß er ſich in dieſen fachgeteilten, ins Un-
endliche laufenden Betrieb einſpannen läßt? Das erfordert
einige allgemeine Erwägungen.

Der wiſſenſchaftliche Fortſchritt iſt ein Bruchteil, und zwar
der wichtigſte Bruchteil, jenes Jntellektualiſierungsprozeſſes,
dem wir ſeit Jahrtauſenden unterliegen, und zu dem heute
üblicherweiſe in ſo außerordentlich negativer Art Stellung
genommen wird.

Machen wir uns zunächſt klar, was denn eigentlich dieſe
intellektualiſtiſche Rationaliſierung durch Wiſſenſchaft und
wiſſenſchaftlich orientierte Technik praktiſch bedeutet. Etwa,
daß wir heute, jeder z. B., der hier im Saale ſitzt, eine größere
Kenntnis der Lebensbedingungen hat, unter denen er exiſtiert,
als ein Jndianer oder ein Hottentotte? Schwerlich. Wer von
uns auf der Straßenbahn fährt, hat – wenn er nicht Fach-
phyſiker iſt – keine Ahnung, wie ſie das macht, ſich in Be-
wegung zu ſetzen. Er braucht auch nichts davon zu wiſſen. Es
genügt ihm, daß er auf das Verhalten des Straßenbahnwagens
„rechnen“ kann, er orientiert ſein Verhalten daran; aber wie man
eine Trambahn ſo herſtellt, daß ſie ſich bewegt, davon weiß
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[15/0014] in ſich ſelbſt hat. Warum betreibt man etwas, das in der Wirklichkeit nie zu Ende kommt und kommen kann? Nun zunächſt: zu rein praktiſchen, im weiteren Wortſinn: techniſchen Zwecken: um unſer praktiſches Handeln an den Erwartungen orientieren zu können, welche die wiſſenſchaftliche Erfahrung uns an die Hand gibt. Gut. Aber das bedeutet nur etwas für den Praktiker. Welches aber iſt die innere Stellung des Mannes der Wiſſenſchaft ſelbſt zu ſeinem Beruf? – wenn er nämlich nach einer ſolchen überhaupt ſucht. Er behauptet: die Wiſſenſchaft „um ihrer ſelbſt willen“ und nicht nur dazu zu betreiben, weil andere damit geſchäftliche oder techniſche Er- folge herbeiführen, ſich beſſer nähren, kleiden, beleuchten, regieren können. Was glaubt er denn aber Sinnvolles damit, mit dieſen ſtets zum Veralten beſtimmten Schöpfungen, zu leiſten, damit alſo, daß er ſich in dieſen fachgeteilten, ins Un- endliche laufenden Betrieb einſpannen läßt? Das erfordert einige allgemeine Erwägungen. Der wiſſenſchaftliche Fortſchritt iſt ein Bruchteil, und zwar der wichtigſte Bruchteil, jenes Jntellektualiſierungsprozeſſes, dem wir ſeit Jahrtauſenden unterliegen, und zu dem heute üblicherweiſe in ſo außerordentlich negativer Art Stellung genommen wird. Machen wir uns zunächſt klar, was denn eigentlich dieſe intellektualiſtiſche Rationaliſierung durch Wiſſenſchaft und wiſſenſchaftlich orientierte Technik praktiſch bedeutet. Etwa, daß wir heute, jeder z. B., der hier im Saale ſitzt, eine größere Kenntnis der Lebensbedingungen hat, unter denen er exiſtiert, als ein Jndianer oder ein Hottentotte? Schwerlich. Wer von uns auf der Straßenbahn fährt, hat – wenn er nicht Fach- phyſiker iſt – keine Ahnung, wie ſie das macht, ſich in Be- wegung zu ſetzen. Er braucht auch nichts davon zu wiſſen. Es genügt ihm, daß er auf das Verhalten des Straßenbahnwagens „rechnen“ kann, er orientiert ſein Verhalten daran; aber wie man eine Trambahn ſo herſtellt, daß ſie ſich bewegt, davon weiß er nichts. Der Wilde weiß das von ſeinen Werkzeugen ungleich beſſer. Wenn wir heute Geld ausgeben, ſo wette ich, daß, ſogar wenn nationalökonomiſche Fachkollegen im Saale

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/14>, abgerufen am 28.03.2024.