DIE
GESELLSCHAFT
SAMMLUNG SOZIALPSYCHOLIGISCHER MONOGRAPHIEN
HERAUSGEGEBEN
VON
MARTIN BUBER
DREIUNDDREISSIGSTER BAND :
LOU ANDREAS-SALOMÉ
DIE EROTIK
DIE EROTIK
von
LOU ANDREAS SALOMÉ
FRANKFURT AM MAIN
LITERARISCHE ANSTALT
: RÜTTEN & LOENING :
Übersetzungsrecht , sowie alle anderen Rechte vorbehalten
Copyright 1910 by the
Literarische Anstalt Rütten & Loening , Frankfurt o. M.
Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig
EINLEITUNG
Man mag das Problem des Erotischen anfassen wo man will , stets behält man die Empfindung , es höchst einseitig getan zu haben . Am allermeisten aber wohl dann , wenn es mit Mitteln der Logik versucht wurde : also von seiner Außenseite her .
Bedeutet das an sich ja schon : so lange und so viel unmittelbare Lebendigkeit der Eindrücke abziehn , bis man sich in bequemster Übereinstimmung mit einer möglichst großen Gesellschaft befindet . Oder anders ausgedrückt : die Dinge genügend unsubjektiv , genügend fremd von uns selber vorstellen , um anstatt der Ganzheit , Unzerstücktheit einer Lebensäußerung , ein auseinanderlegliches Stückwerk zu erlangen , das sich eben hierdurch im Wort fest fixieren , praktisch sicher handhaben , einseitig-total überblicken läßt .
Nun muß aber diese nämliche Darstellungsmethode , diese notgedrungen alles verstofflichende , entseelende , auch auf das angewandt werden , was uns im nähern nur subjektiv bekannt , nur individuell zu erleben möglich ist , was wir deshalb gewöhnt sind als die „ geistigen “ oder „ seelischen “ Eindrücke von den Dingen zu bezeichnen , d. h. einfach : die Eindrücke sofern und soweit sie sich grade ihr prinzipiell entziehen . Um der Übereinstimmung willen , die dabei erzielt werden soll , können wir auch solchen andersartigen Wirkungen
immer nur wieder auf Grund dieser einen Wirkung erklärend beikommen , während alles Sonstige , was von ihnen ausgesagt werden könnte , nur gelten darf als Ergänzung im schildernden Sinn , – die , wie sie sich der logischen Übereinstimmbarkeit im übrigen auch anpasse , doch selbst mit deren formaler Hilfe nur mehr oder weniger subjektiv überzeugen kann .
Für das Problem des Erotischen aber ist diese widerspruchsvolle Halbheit , Halbierung , noch besonders typisch insofern , als es selber schon am unbestimmbarsten zwischen leiblich und geistig zu schwanken scheint .
Doch nicht durch eine Verwischung oder Vermischung der verschiedenen Methoden miteinander mildert sich dieser Widerspruch , im Gegenteil nur durch ihr immer schärferes Herausarbeiten , immer strengeres Handhaben ; man könnte sagen : dadurch , daß wir etwas in immer zuverlässigerer Beschränkung , als Stück und Stoff , ganz in die Hand bekommen , bestätigt und bewahrheitet sich uns erst ganz der darüber hinausreichende Umfang unserer selbst . Wir überschauen damit nicht nur die Einseitigkeit des betrachteten Dinges , sondern auch die der Methode : den Weg nach zwei Seiten gleichsam , auf dem allein sich uns Leben erschließt , und den nur eine Augentäuschung für uns in einen Punkt zusammenrückte . Denn je weiter wir in etwas eingehn , nur um desto tiefer tut es sich uns auf nach beiden Richtungen , so , wie die Horizontlinie immer höher auffliegt mit jedem Schritt an sie heran .
Ein Stück Weges noch weiter aber , beginnt die exakte Betrachtungsweise der Dinge sich selbst als einseitig zu betrachten . Überall da nämlich , wo das eigene Material sich ihr über Sinne und Verstand hinaus ins Unkontrollierbare entzieht , während sie es doch auch noch da als existent in
ihrem Sinn feststellen , oder sogar noch praktisch einschätzen kann . Von jenseits der kurzen Kontrollstrecke , die unsrer Beaufsichtigung allein zugänglich ist , ergibt sich für das innerhalb ihrer gelegene ein veränderter Maßstab hinsichtlich „ Wahrheit “ und „ Wirklichkeit “ . Auch das am stofflichsten Greifbare , auch das logisch Begreifbarste wird , daran gemessen , zu einer menschlich sanktionierten Konvention , zu einem Wegweiser für praktische Orientierungszwecke , – darüber hinaus sich verflüchtigend in den gleichen bloßen Symbolwert , wie das von uns als „ geistig “ oder „ seelisch “ Erfaßte . Und an beiden Enden unsres Weges erhebt sich damit so unübertretbar das Gebot : „ Du sollst dir ein Bild und ein Gleichnis machen ! “ daß auch das Sinnbildhafte , nur in Zeichen und Vergleichen Beredte , worauf alle Geistesschilderung angewiesen bleibt , sich mit aufgenommen sieht in den Grundwert menschlicher Erkenntnisweise . Wie in jenem Horizontstrich , von Schritt zu Schritt vor uns zurückweichend , schließt sich dennoch auch immer wieder „ Himmel und Erde “ für uns zusammen zu einem Bilde : die uranfängliche Augentäuschung , – und zugleich das letzte Symbol .
BASIS
Solche letzte Gleichbewertung , weit entfernt , den Außencharakter der Dinge zu unterschätzen , betont ihn vielmehr noch einmal neu in seiner Unabhängigkeit zwischen den ihm sonst zukommenden Ergänzungen . Sie erst lehrt ganz die vorurteilslose Einsicht in alle Verhältnisse des „ Stofflichsten “ , des Leiblichsten noch , – die sachliche Ehrfurcht ihnen gegenüber . Ehrfurcht in einer
Bedeutung , für die wir immer noch längst nicht einfach und hingebend genug geworden sind : ohne alle Seitenblicke auf ethische , ästhetische , religiöse oder sonstige Nebenbedeutungen , – allein gerichtet auf den Sinn des Physischen selbst . Auf ihn gerichtet als auf die für uns anschaulich gewordene Seite unausdenkbar langer Erfahrungen , gleichsam Auskundschaftungen im Bereich des für uns Daseienden , die überall noch davon ablesbar ist , wie an Kampfesnarben oder Siegeszeichen . Als ob an solchem uralt , praktisch urweise Gewordenen , das unserer Prüfung ganz anders als das Geistige standhält , stillhält , die Lebensbewegung uns zu erstarren scheine zu festeren Zügen und Formen , so daß unser Intellekt selbst , dieser zuspätest Nachgeborene in der Welt des Physischen , als ein kleines , zartes und noch törichtes Knäblein mit tastenden Fingern an ihm herumklettern darf wie auf Urahns Schoß .
In bezug auf die Basis des Erotischen , die Geschlechtlichkeit , bedeutet dies deren immer eingehendere Feststellung im physiologischen Sinn . Die Sexualität als eine Form der Notdurft gleich Hunger , Durst oder sonstigen Äußerungen unsres Körperlebens , wird auch für die Einsicht in ihr weiteres Wesen und Wirken erst zugänglich auf solcher Grundlage . Und wie über unsre Nahrungs- oder andern Leibesbedürfnisse nur sorgsame Einzelerforschung und Tatsachenprüfung orientieren kann , so hat auch hier keine andre Richtschnur Gültigkeit als nur die eine , die wir auf ethischem Gebiet gern als die höchste zu feiern pflegen : der das Kleinste , Geringste , am niedrigsten Befundene , um nichts weniger beachtenswürdig erscheint als das mit allen menschlichen Würden Ausgestattete .
Ausschlaggebend dafür erscheint die , durch keinerlei
unsachliche Rücksichten voreingenommene Abschätzung überhaupt , der sexuellen Betätigung wie Abstinenz . Wenn sie nach manchen Seiten immer noch unter die offenen Fragen gehört , so mag es unter anderm damit zusammenhängen , daß uns über die innern Sekretionen der Blutdrüsen sowie deren Verwandtschaft untereinander ( die möglicherweise stellvertretender wirken kann als wir wissen ) nicht im entferntesten so Genaues bekannt ist wie über die geschlechtlichen Außensekretionen ; so daß wir nicht wirklich übersehn können , welchen Einflüssen von ihnen her wir unterstellt sein mögen auch da , wo die sexuelle Betätigung nach außen fortfällt ( wie , im üblichsten Beispiel , bei Entfernung nur von Mutter oder Glied , nicht auch von Eierstöcken und Hodensäcken , die sekundären Geschlechtscharaktere nicht beeinflußt werden ) . Denkbar bliebe es ja , daß von diesem oder jenem andern ähnlichen Punkt aus , sich für die sexuelle Enthaltsamkeit einmal Schlüsse ergeben , die sie nicht bloß gesundheitlich statthaft , sondern wertvoll , – im Sinne des kraftsteigernden , weil kraftresorbierenden und – umsetzenden Wertes , – erscheinen lassen . Und viele Frauen werden es dann sein , die mit einem heimlichen Lächeln fühlen werden , daß sie davon längst etwas wußten , – sie , in denen die zwingende sexuelle Zucht aller christlichen Jahrhunderte , in manchen Schichten wenigstens , zu einer natürlichen Unabhängigkeit gegenüber der nackten Notdurft des Triebhaften geworden ist , – sie , die es sich heute deshalb noch dreimal , nein : zehntausendmal überlegen sollten , ehe sie eine ihnen persönlich schon fast mühelos in den Schoß fallende Frucht langen , harten Kulturringens , sich wieder entgleiten lassen für modernere Liebesfreiheit , denn sehr viel wenigere Generationen genügen zur Beraubung als zur Erwerbung .
Jedoch ganz gleicher weise unbefangen gilt es sich zu den andern Möglichkeiten zu stellen , die vor zu sorgloser Hintenansetzung des Geschlechtlichen warnen können . Zu den Fällen , die den Geschlechtsreiz erkennen lassen als den naturgemäßen Ersatz für die ungeheuren Stimulantien , über die der wachsende kindliche Körper durch die ihm noch so neuen starken Außenreize im gesamten übrigen Sinnenleben verfügte . Zu den Fällen , die von jungen krankenden Menschen erzählen , denen das Erleben des Sexuellen , sogar ohne jeden eignen Antrieb dazu , zur Genesung wurde , oder von anämischen Mädchen , die selbst in unbegehrter Ehe aufblühten , und erstarkten unter dem Einflusse des veränderten Gewebstonus und Stoffwechsels . Zu allen Fällen , wo die Gefahr evident wird , daß die innerste Lebenskraft zwischen Jugend und Alter durch ihre Aufstauung nicht wirksam würde zu fruchtbaren Umsetzungen , sondern , Leben hemmend und aufhaltend , sich zu einer Art von Giftwirkung konzentrierte . Und lassen sich selbst solchen Anzeichen auch andersgeartete gegenüberstellen , so muß man doch dran festhalten , wie oft die leibliche Hemmung den Menschen an seiner geistigen Leistungsfähigkeit , ja an seinem individuellsten Menschenwert Einbußen erleiden läßt .
Aus diesen Gründen muß jegliches , was zur nüchternsten Prüfung solcher Fragen beitragen kann , willkommen sein , und muß sie behandeln können als ein Problem ganz für sich , ohne sich dabei dreinreden zu lassen , sei es von einem Vorwegidealisieren der leiblichen Notstände , wie es manchmal als modernisiertes „ Griechentum “ auf den Plan tritt , sei es von Ansprüchen der Erotik im engern Sinne . Denn auch dies ist zu betonen , wie wenig das heutige Streben nach Verfeinerung und Individualisierung der Liebesgefühle der
artige Fragen durch sich selbst lösen kann . Darum bleibt es doch nicht minder anerkennenswert , und jede reine Kraft , die es fördern hilft , ein hoher Gewinn . Allein das steigend Subtile der Liebeswahl steigert zunächst natürlich nur noch die Schwierigkeiten ihrer eigenen Erfüllung . Unsere physiologische Reife wird ja nur höchst selten mit so ausnahmsweisen Seelenverfassungen zusammenfallen , und alle beide übrigens auch wieder fast ebenso selten mit der Geistes- und Charakterreife eines sich dauernd binden sollenden Menschen .
Überhaupt erweist sich die Vermischung aller möglichen praktischen Gesichtspunkte – hygienisch-romantisch-pädagogisch-utilitaristischer Art , – insofern mißlich , als das rein Sachliche dabei stets vom einen an den andern ausgeliefert erscheint , ehe es noch recht zu Wort kommen konnte . So sieht sich etwa die physiologische Angelegenheit verfrüht spruchreif durch robuste Körperkultur-Ideale , oder umgekehrt durch zarte diskreditiert , diese wiederum , aus Furcht mit ihren robustem Kollegen verwechselt zu werden , sehn sich schnell in ein beschleunigtes Eheverfahren hineingeduckt , das nun seinerseits mit so vielen erleichternden Konzessionen bedacht werden muß , bis es selber sich recht verdächtig physiologisch begründet ausnimmt : womit es dann am Ausgangspunkt wieder glücklich angelangt wäre . Und so wird , um weder in einen frivolen noch in einen traditionellen Ton zu verfallen , wechselweise ein freier , schwärmerischer oder etwas muffig-philiströser angeschlagen ; ungefähr wie in Vorzeiten abgesetzte Gottheiten zu Dämonen degradiert werden , und niemand auf den Einfall kommen kann , soeben noch habe man an sie geglaubt : bis skeptischere Forschung herausfindet , daß auch in ihren Nachfolgern nur sie wieder auflebten . – Weshalb vielleicht einiges Absehn von ihrem jeweiligen
Rang , sowie von sämtlichen Reformausblicken oder Kampfesrückblicken für eine unbefangene Betrachtung der Dinge ersprießlich ist .
THEMA
EIN DOPPELTES ist für das Problem des Erotischen kennzeichnend :
Einmal , daß es als Sonderfall innerhalb der physischen , psychischen , sozialen Beziehungen überhaupt betrachtet werden muß , und nicht nur so selbstherrlich für sich , wie es öfters geschieht . Sodann aber , daß es alle drei Arten dieser Beziehungen in sich noch einmal aufeinander bezieht , und sie damit zu einer einzigen , und zu seinem Problem , zusammenschließt .
Schon dem Untergrund allen Daseins eingewurzelt , wächst es dadurch aus immer dem gleichen reichen , starken Boden , bis zu welcher Höhe es sich auch erstrecken , zu einem wie machtvollen , den Raum raubenden Wunderbaum es sich auch entfalten mag , – um selbst da , wo ihm der Boden total verbaut wird , mit seiner dunklen , erdigen Wurzelkraft dennoch darunter zu beharren . Eben dies ist sein gewaltiger Lebenswert , daß , wie fähig es auch sei , breite Alleingeltung zu erlangen , oder hohe Ideale zu verkörpern , es doch darauf nicht angewiesen bleibt , sondern sich noch aus jeglichem Erdreich Kraftzuwachs saugen kann , jeglichen Umständen sich lebendienend anpaßt . So finden wir es bereits den fast rein vegetativ ablaufenden Vorgängen unsrer Körperlichkeit beigesellt , sich ihnen eng einend , und wenn es auch nicht , wie diese Funktionen , für das Dasein schlechthin bedingend wird , so doch auch auf sie noch den stärksten Einfluß übend . Daher
bleibt ihm auch in seinen eignen höhern Stadien und Arten , ja auf der Spitze kompliziertester Liebesentzückungen noch , etwas von diesem tiefen , einfachen Ursprung unvertilgbar gewahrt : etwas von dieser guten Fröhlichkeit , die das Körperliche im unmittelbaren Sinn seiner Befriedigung als immer wieder neues , junges Erleben , gleichsam als Leben in seinem Ursinn , empfindet . Wie jeder gesunde Mensch sein Erwachen oder tägliches Brot , oder einen Gang durch die Frische der Luft , immer von neuem lust vollgenießt , als mit jedem Tage junggeboren , und wie man mit Recht beginnende Nervenzerrüttungen manchmal daran erkennt , daß sich in diese Alltäglichkeiten , Urnotwendigkeiten , plötzlich die Begriffe von „ langweilig “ , „ eintönig “ , überdrußerweckend hineinmengen , so ist auch im Liebesleben hinter und unter seinen sonstigen Beglückungen , immer die eine mitenthalten , die , unsensationell und untaxierbar , der Mensch mit allem teilt , was mit ihm atmet .
Das Animalisch-Erotische ist schon nicht mehr darauf allein beschränkt , indem das höhere Tier seine geschlechtliche Handlung durch einen Gehirnaffekt begleitet , der seine nervöse Materie in eine exaltierte Erregung bringt : das Sexuelle wird der Sensation , endlich der Romantik , entgegengestoßen , bis hinauf in deren feinst verzweigte Spitzen und Aufgipfelungen im Bereich des menschlich Individuellsten , was es gibt . Aber diese steigende Liebesentwicklung findet von vorn herein statt auf einer steigend schwankenden Grundlage : anstatt des Ewiggleichbleibenden und -Gleichgeltenden , nun auf Grund jenes Gesetzes alles Animalischen , wonach die Reizstärke abnimmt mit ihrer Wiederholung . Das Wählerischere in bezug auf den Gegenstand und den Moment , – so sehr ein höherer Liebesbeweis , – wird bezahlt mit der Ermüdung an dem um so viel heftiger Begehrten , – mit der
Begierde also nach dem Unwiederholten , nach der noch ungeschwächten Reizstärke : nach dem Wechsel . Man kann sagen : das natürliche Liebesleben in allen seinen Entwicklungen , und in den individualisiertesten vielleicht am allermeisten , ist aufgebaut auf dem Prinzip der Untreue . Denn die Gewöhnung , soweit sie das Gegenteil , eine dem entgegenwirkende Macht , darstellt , fällt , wenigstens ihrem groben Sinn nach , ihrerseits noch unter die Wirkungen der mehr vegetativ bedingten , wechselfeindlichen Körperbedürfnisse in uns .
Es ist jedoch das durchaus geistigere , will sagen : lebenskompliziertere , Prinzip , das zur Änderung und zu wählerischem Aufbrauch der Reize drängt , – es ist das sinnvoll gesteigerte Verhalten , das eben darum nichts weiß von jener Altersstetigkeit , Stabilität , der primitivem Prozesse , die diese für uns in manchen Beziehungen zu einer Basis machen von beinahe dem Anorganischen ähnlicher Sicherheit , – fast wie soliden Erd- oder Felsgrund . So ist es weder Schwäche noch Minderwertigkeit des Erotischen , wenn es seiner Art nach auf gespanntem Fuß mit der Treue steht , vielmehr bedeutet es an ihm das Abzeichen seines Aufstiegs zu noch weitern Lebenszusammenhängen . Und darum muß auch da , wo es in solche schon weiter einbezogen wird , ihm von dieser ungenügsamen Sensibilität vieles erhalten bleiben , grade so , wie es seinerseits sich nur begründet auf den ursprünglichsten Vorgängen des Organlebens . Ja , wenn schon diese , das „ Allerleiblichste “ in uns , nicht anders als mit ehrfürchtiger Unbefangenheit betrachtet werden sollen , so gebührt wahrhaftig eine gleiche Hochachtungsbezeugung auch dem Erotischen noch in seinen draufgängerischen Windbeuteleien : trotzdem man an ihnen nur das zu sehen gewohnt ist , was sie zum Sündenbock für jegliche Liebestragödie gemacht hat .
Derjenige Zusammenhang , worin das Erotische , zum mindesten im günstigen Fall , seine schlimmsten Unarten ablegt , ist in unserm geistigen Verhalten gegeben . Wo wir etwas in unsre Einsicht und Bewußtheit aufnehmen , anstatt nur in unser physisches oder seelisches Verlangen , da erleben wir es auch nicht bloß in der abnehmenden Reizstärke der Sättigung dieses Verlangens , sondern im steigenden Interesse des Verstehens , also in seiner Einzigkeit und menschlichen Unwiederholbarkeit . Daraus erst ergibt sich der volle Sinn dessen , was in der Liebe den Menschen zum Menschen drängt , als zum Zweiten , zum andern unwiederholbaren Ich , um in der Wechselwirkung mit ihm als Selbstzweck , nicht als Liebesmittel , sich erst zu erfüllen . Tritt erst damit die Liebe nun auch in ihre soziale Bedeutung ein , so ist doch klar , daß dies nicht für die Außenseite der Sache gilt : denn ihre Abfindung mit deren äußeren Konsequenzen , ihr unumgängliches Verknüpftsein mit dem Interessenkreis der Allgemeinheit , enthält ihre soziale Kehrseite auch schon auf ihren früheren Stufen . Hier aber liegt ihr innerster Lebenssinn frei : der geistige Grad von Lebendigkeit , dem gegenüber selbst der Trieb nach Wechsel noch als ein Mangel an innerer Beweglichkeit erscheint , da er solcher Anstöße von außen bedarf , um frisch ins Rollen zu kommen , während sie hier viel eher stören , ja aufhalten würden . Damit gewinnen Treue und Stetigkeit einen veränderten Hintergrund : in dieser Überlegenheit des Lebensvollsten , Lebenserschließendsten , liegen neue organisatorische Möglichkeiten nach außen vor , – eine Welt des Beharrendem wird wieder realisierbar , ein erneuter sichrerer Boden für alles Werden des Lebens , – analog unserer physischen Basis und dem , was unser Organismus als das leibhafte Liebesendziel aus sich herausstellt im Kinde .
Mit seinen drei Stadien an sich ist jedoch das Wesen des Erotischen noch nicht vollständig umschrieben , sondern erst mit der Tatsache ihres gegenseitigen Aufeinanderbezogenseins . Aus diesem Grunde lassen sich Rangordnungen in seinem Bereich nur überaus schwer abgrenzen , und nicht als der klare Stufenbau , der sich theoretisch draus herstellen läßt , erscheint es , sondern als die immer wieder in sich gerundete , lebendig unzerteilbare Ganzheit . Mögen wir sie jeweils als größer oder kleiner abschätzen , wissen wir dennoch von Fall zu Fall nie , ob sie nicht auch da ihren vollen Gehalt umschließt , wo er ihr selber nicht einmal bewußt werden kann : etwa wie physiologisch das Kind dem vollen Liebeszweck entspricht auch da , wo noch dumpfe Unbewußtheit der Urzeiten es statt dem Sexualvorgang den fremdartigsten Dämonenursachen zuspricht . So muß hier die bisherige Erörterung insofern ergänzt werden , als auch das physische Moment im Erotischen , bis zuletzt alles beeinflussend , schon ebenfalls seinerseits von vornherein beeinflußt ist von den weiteren Momenten , die sich exakten Feststellungen entziehn : erst mit der Totalergriffenheit des Wesens ist das Problem gekennzeichnet .
DER SEXUELLE VORGANG
IN DER WELT der – sehr verhältnismäßig – undifferenziertesten Lebewesen vollzieht sich der Begattungsakt durch eine an sich selber so ungegliederte , runde kleine Ganzheit , daß sie fast ein Sinnbild für diesen Tatbestand abgeben kann . In der Konjugation der Einzeller ( die auch deren Selbstvermehrung noch von Zeit zu Zeit zugrunde zu
liegen scheint ) verschmelzen die beiden Zellkerne , das Neuwesen bildend , total miteinander , und nur Unwesentliches an der Peripherie der alten Zelle löst sich absterbend dabei auf : Zeugung , Kind , Tod und Unsterblichkeit fallen noch in eins zusammen . Noch läßt sich das Kind für sein Elterntier nehmen , das Nächstfolgende für das Vorhergehende , ungefähr wie ein Stück für ein anderes im Bereich dessen , was wir das „ Unbelebte “ nennen . Sobald mit dem Fortschritt der Organgliederung die Konjugation ihre Totalität einbüßt und nur noch partiell zustande kommen kann , klafft der Widerspruch aber in seiner ganzen Schärfe auf : was das Leben erhält , bedingt zugleich den Tod . Öfters so unmittelbar , daß beide Vorgänge doch noch wie ein und derselbe erscheinen , wenn auch sich vollziehend an zwei Wesen als an zwei Generationen . Wo endlich die Differenzierung im Einzelwesen noch unwiederholbarer weit geht , und die Erzeuger also keineswegs in ihrem Zeugungsprodukt tatsächlich überleben , scheidet der Tod aus dem unmittelbaren Bunde aus , indem das Tier sich nur noch indirekt mit seiner eigenen entwickelten Leiblichkeit am Geschlechtsvorgang beteiligt . Das heißt , indem es nur dasjenige von sich drangibt , was es selber schon erblich empfangen und nicht in seine Einzelentwickelung aufgesogen hat : das Geschlecht wird sozusagen unter dem Tisch weitergegeben .
Damit wäre der Prozeß am möglichst entgegengesetzten Ende seines Ausgangs angelangt , und der ganze Selbsterhaltungstrieb , der ursprünglich das Zellkernchen so zeugerisch-erfinderisch erscheinen läßt , hätte sich , gewissermaßen fast pervers , emanzipiert aus dem , was , ursprünglich ein anspruchlos Unwesentliches geblieben , an der Zellperipherie wegstarb . Aber von den Geschlechtszellen selber werden all diese großen Umwälzungen von Urzeiten her einfach ignoriert , grade als be
herrschten sie nach wie vor das gesamte Lebensreich , und nicht nur eine kleinste und immer noch mehr verkleinerte Einzelprovinz darin . Denn indem sich in ihnen alles zusammenfindet , woraus auch ein Individuum von dieser großen Differenziertheit sich wieder aufbauen kann , tragen sie nicht nur an sich selber noch unverändert den gleichen Totalitätcharakter , sondern prägen ihn auch ihrer temporären Einwirkung auf den Körper auf , der sie in sich beherbergt .
Aus solchen Einflüssen mag es wohl stammen , wenn grade die primitivste Verbindungsart zwischen Lebewesen , die Totalverschmelzung der Einzelligen , so wunderlich gleichnishaft dem entspricht , was sich in den höchsten Liebesträumen der Geist unter vollem Liebesglück vorstellen möchte . Und deshalb wohl fühlt Liebe sich so leicht umschwebt von einem Sehnen und Todesbangen , die sich voneinander kaum ganz klar unterscheiden lassen , – von etwas , wie einem Ur-Traum gleichsam : darin das eigene Selbst , der geliebte Mensch , und beider Kind noch eins sein können , und drei Namen nur für dieselbe Unsterblichkeit . Andrerseits liegt hier der Grund für den Kontrast zwischen dem Gröbsten und dem Verklärtesten , der den Liebesdingen eignet , und bereits an Tieren humoristisch auffallen kann , wenn sie ihre sexuelle Notdurft zu verbinden imstande sind mit der empfindsamsten Hypnose . In der Menschenwelt bleibt es nicht immer beim Humor der Sache in diesen Schwankungen von derb zu übergefühlvoll . Ein dunkles Begreifen hiervon bedingt auch die spontane , tief instinktive Scham , die ganz junge unschuldige Menschen der geschlechtlichen Verbindung gegenüber fühlen können : einer Scham , die weder ihrer Unerfahrenheit noch gut gemeinten Moralreden verdankt wird , sondern dem Umstand , daß sie mit ihrem Liebesdrang die Ganzheit ihrer selbst meinten , und der Übergang von da
zu einer körperlichen Teilhandlung sie verwirrt , – fast wie vor der heimlichen Anwesenheit eines Dritten , Fremden : eben des Körpers als einer Teilperson für sich , – so , als seien sie einander kurz zuvor noch , in der hilflosen Sprache ihrer Sehnsucht noch , beinahe näher , totaler , unvermittelter , nahe gewesen .
Das Sexuelle selbst strebt indessen Kontraste und Widersprüche möglichst in sich aufzulösen , mit denen es durch die Arbeitsteilung der Funktionen beirrt wird . Rastlos vergesellschaftet es sich allen Trieben , deren es irgend habhaft werden kann . Anfänglich vielleicht dem Freßtrieb am verwandtesten , der als ein frühest herausgebildeter sich ebenfalls noch auf alles bezog , läßt es ihn bald als schon zu spezialisierten hinter sich . Wenn heute noch Liebende versichern , daß sie einander vor Liebe auffressen möchten , oder wenn arge weibliche Spinnen es mit ihrem bedauernswerten kleinen Spinnerich noch wirklich tun , so findet ein so beängstigender Übergriff nicht vom Fressen aufs Lieben , sondern umgekehrt statt : das geschlechtliche Verlangen als die Totalkundgebung ist es , die alle gesonderten Organe in seine Aufregung mit hineinreißt . Das gelingt ihm auch ganz leicht . Stammen sie doch sämtlich , sozusagen , aus der gleichen Kinderstube wie die Bewohner der Sexualorgane , hätte doch schließlich jedes von ihnen „ Geschlechtszellchen “ spielen können , wenn nicht der Hochmutsteufel sie in eine so weitgehende Differenzierung hinein verstrickt hätte . Drum klingt die Erinnerung , womit das Sexuelle sich ihnen aufzudrängen weiß , mächtig in ihnen an , sie vergessen , wie herrlich weit sie es inzwischen gebracht , und hängen , mehr als es für ein richtiges , gebildetes Organ der höhern Tiergattungen statthaft ist , einer unvermuteten Sehnsucht nach der guten alten Zeit der ersten Bildungen und Scheidungen im Mutterei nach .
Auf einer solchen – auf menschlichem Gebiet würde man sagen : sentimentalen – Anwandlung von Rückständigkeit beruht die unendliche Allgemein-Erregung des Geschöpfes , die der geschlechtliche Vorgang auslöst . Und je mehr er selber im Laufe der Entwicklung gleichsam in die Ecke gedrückt , zu einem Sondervorgang wird , desto stärker nur wächst im selben Grade die Bedeutung seines Gesamteinflusses auf das übrige , denn was da stattfindet : das Ineinanderfließen zweier Wesen im erotischen Rausch , das ist nicht die einzige , und vielleicht nicht einmal die eigentliche Vereinigung dabei . Vor allem sind wir es selber , in denen alle Sonderleben Leibes und der Seele wieder einmal in gemeinsam empfundener Sehnsucht ineinanderflammen , anstatt so interesselos , gegenseitig kaum Notiz nehmend , für sich hinzuleben , wie Glieder einer großen Familie , die nur an Gedenktagen noch wissen , daß sie „ Ein Fleisch und Blut “ sind . Zu je komplizierter geartetem Organismen wir aufsteigen , desto größere Fest- und Jubeltage werden solche Erlebnisse naturgemäß sein , die unter dem Einfluß und Aufwand des Keimolasma , wie eines Großonkels aus Amerika , auf einmal alles allarmieren bis in die verborgensten Extrawinkel unseres Seins , zu einer prunkvollen Herkunfts- und Geschlechterfeier .
So sagt man auch mit gewissem Recht : Liebe beglücke immer , auch die unglückliche – wenn man nur diesen Ausspruch genügend unsentimental faßt , nämlich ohne Berücksichtigung des Partners . Denn obgleich wir von ihm sehr erfüllt zu sein scheinen , sind wir es doch namentlich von unserm eignen Zustand , der uns , als ein typisch berauschter , garnicht recht fähig macht , uns , mit was es auch sei , sachlich zu befassen . Nur erregender Anlaß ist der geliebte Gegenstand dabei : nur so , wie ein Klang oder Duft von außen , ganze Welten
wirkend , sich in einen nächtlichen Traum verfangen kann . Liebende schätzen ihre Zusammengehörigkeit auch ganz instinktiv nach diesem Einen ab : dem gegenseitigen geistigleiblichen Produktivwerden in sich selbst , das sie aneinander konzentriert und entlastet in gleicher Weise , wie es im Liebesakt von Körper zu Körper geschieht . Werden sie statt dessen den verdächtigen Lobpreisungen des andern allzu sachlich zugänglich , so gibt es schnell den bekannten unsanften Sturz aus den Wolken der Verhimmelung , den jeder erfahrenere Mensch für alle Verliebten kopfschüttelnd vorauszusagen pflegt , und wobei die arme Liebestorheit , soeben noch mit Goldflittern zur Prinzessin herausgeschmückt , sich als Aschenbrödel wiederfindet . Im Flitterkleid vergaß sie , daß nur die Dankbarkeit für des andern eigene Wesenbeseligung es ihr umhing , ja daß vielleicht , unbewußt , sogar immer etwas dran hängt von überreichlichem Gutmachenwollen jener erotischen Selbstsucht , die nur sich selbst darin feierte . Und die dazu zwischen sich und den andern , wie einen goldnen Schatten , das unfaßbare Geistergebilde stellte , das erst den Mittler darstellt von ihr zu ihm .
DAS EROTISCHE WAHNGEBILDE
NUN IST es interessant zu sehn , wie grade an diesem Punkt das Thema des Erotischen am stiefmütterlichsten behandelt wird . Allerdings enthält diese Geistesbeteiligung am Liebesrausch so viel – Rausch , so deutliche Symptome der Trunkenheit , daß kein Ausweg zu bleiben scheint , als sie auf romantisches Terrain abzuschieben , oder als einigermaßen pathologisch zu beargwöhnen . Dieser wunde
Punkt an der ganzen Geschichte wird meistens nur so berührt , wie wenn die Narrenkappe , die unser Verstand hier zeitweilig aufsetzt , davon abhielte , seinen Zustand selber ernst zu nehmen . Im allgemeinen begnügt man sich damit , die Sexualität unter die Lupe zu halten wie sie lokalisiert erscheint in den niedern Hirnzentren , und dann ihr das Gefühlsmaterial unerotischer Art anzugliedern , das , Gott sei Lob und Dank , sich allmählich ja auch mit ihr zusammentut , wie etwa Wohlwollen , Güte , Freundschaft , Pflichtbewußtsein und ähnliches , Diese alle werden durch die ins Kraut schießende berauschte Überschätzung nicht einmal gefördert , im Gegenteil steht sie der Liebe als einer sozialen Nutzpflanze zunächst nur hinderlich im Wege .
Aber etwas Menschlichstes am sexuellen Erleben geht leer aus , wenn die menschliche Verrücktheit dabei gar zu sehr als quantité négligeable abgetan wird . An den urteilstollsten Ergüssen von Liebenden aller Zeiten und Völker ergänzt sich uns erst das volle Material dessen , was der Mensch kraft seines mitfiebernden Intellekts aus dem Sexus gemacht hat : und erst dann , wenn wir es weder selber romantisch betrachten , noch auch mit halbwegs medizinischem Interesse .
Denn es enthält ja die geistige Sprache dessen , was seit Urweltstagen das Geschlecht auszudrücken bemüht gewesen ist in körperlicher Deutlichkeit als seinen einzigen Sinn : daß es das Ganze nimmt und gibt . Die Revolution der Geschlechtszellen , die diese allmählich nur noch allein ganz Mitbeteiligten in der übrigen Physis anrichten , der Aufstand dieser Rückständigen , Freigeborenen , – gleichsam unsres Ur-Adels , – im wohlgeordneten Körperstaat , kommt darin dem Geist zu Gehör . In ihm , als dem Obersten , dem zusammenfassenden Organe über der Vielfältigkeit der andern , kann ihr selbst
herrlicher Wille seinen Wiederklang finden , – ja , das bloße Dasein des Geistes schon verwirklicht in etwas ihre anspruchsvollen Wünsche , insofern sie von ihm aus erst wieder als einheitliche Macht auf alles zurückstrahlen , und sei es auch einstweilen nur als ein Scheinfeuerwerk : als Illusion .
Es begreift sich , warum sogar noch Schopenhauer einen tiefen Griff in seinen metaphysischen Sack tat , um diese Liebesillusion als eine der verschmitztesten Mausefallen seines „ Willens zum Leben “ zu verfehmen , mitsamt ihrem blendenden Köder darin : man fühlt förmlich die Wut aller Düpierten heraus . Denn allerdings , von dem Augenblick an , wo das Geschlechtliche einfach eingereiht ist als ein Einzelprozeß unter die vielen sonstigen im hochorganisierten Körper , muß die brennend eifrige Gesamtergriffenheit gewissermaßen ins Leere ausschwingen . Sie kann nur noch Luxussache sein um die geschlechtlichen Tatsachen herum , sozusagen Lock- und Verführungsarbeit , die das Notwendige und Wirkliche dran umkleidet und schmückt mit einem vergeuderischen Überfluß , den ihr keine Wirklichkeit je zurückzahlt . Und dennoch unterliegt sie damit nicht lediglich einer Selbstbetrügerei , wie viele andre sie auch unwillkürlich mitbetrügen mag : sie versucht nur zum erstenmal mit rein geistigen Mitteln sich einen eigenen Weg , einen Geistesweg , durch die körperlichen Bedrängnisse zu bahnen bis in irgend ein verlornes Paradies . Darum erleben wir sie um so gewisser , je echter eine Liebe in uns ist , und mischt sich erst unsre ganze Hirnkraft helfend ein , dann nur um so verrückter .
Nicht selten liegt im ganzen Verhalten von Liebenden gegeneinander ein wenig von dieser Ahnung ausgedrückt , dem andern doch nur verklärt , verhüllt , sichtbar zu sein , und – ohne jede Pose oder Absicht – ein gleichsam davon
gebanntes Eingehen auf sein Traumbild . Gewisse Dinge , die schönsten , lassen sich eben , sozusagen , nur stilisiert , nicht rein realistisch , in ihrem vollen Sein erleben , wie wenn in ihnen eine ungeheuer dichterische Fülle nur mit Hilfe einer um so gehaltenem Form aufgenommen werden könnte : von ehrfürchtiger Schönheitssehnsucht angeordnet , worin man mit mehr Zurückhaltung als je , mehr Rückhaltlosigkeit als je , in einer ganz neuen Wesensmischung also , sich gibt . In dieser wahnvermittelten Wirkung doch von bindenderm Einfluß aufeinander als alle tatsächliche Abhängigkeit je zustande brächte ; denn bleibt der andere damit für uns auch „ draußen “ , außerhalb von uns , – nur eben unsern Wesensumkreis fruchtbar anrührend , – so geht doch von solchem Punkt aus erst die ganze übrige Welt uns auf , er wird uns zum eigentlichen Vermählungspunkt mit dem Leben , diesem sonst nie ganz innerlich einbeziehbaren Außen der Dinge : er wird das Medium , wodurch das Leben für uns beredt ist , die grade unsre Seele treffenden Laute und Akzente findet . Lieben heißt im ernstesten Sinn : Jemanden wissen , dessen Farbe die Dinge annehmen müssen , wenn sie bis ganz zu uns gelangen wollen , so daß sie aufhören gleichgültig oder schrecklich , kalt oder hohl zu sein , und selbst die drohendsten unter ihnen , wie böse Tiere beim Eintritt in den Garten Eden , sich besänftigt uns zu Füßen strecken . In den schönsten Liebesliedern lebt etwas von dieser mächtigen Empfindung , als sei das Geliebte gar nicht nur es selbst , sondern auch das Blatt noch , das am Baume zittert , der Strahl noch , der auf dem Wasser erglänzt , – verwandelt in alle Dinge und Verwandlerin der Dinge : ein Bild , zersprengt in die Unendlichkeit des Alls , damit , wo wir auch wandeln mögen , es in unsrer Heimat geschehe .
Deshalb fürchtet man so berechtigt eines Liebesrausches
Ende durch das allzu gründliche Sichkennenlernen , deshalb beginnt jeder echte Rausch mit etwas wie einem schöpferischen Ruck , der Sinne und Geist in Schwingung versetzt . Deshalb eine bei aller Beschäftigung mit dem andern doch nur geringe Neugier , wie er wohl eigentlich „ ist “ , und selbst bei weit übertroffenen Erwartungen , die einen Bund nach allen Seiten gefestigt und vertieft haben , unter Umständen doch eine starke Enttäuschung bloß deshalb , weil der Spielraum nicht mehr vorhanden ist , um sich zum andern schaffend dichtend , „ spielend “ zu verhalten . Ganz kleine Reizbarkeiten heften sich damit oft an eben dieselben kleinen Züge , die ehemals dazu im besondern anregten und drum besonders entzückten : daß sie uns nun hinterher nicht wenigstens gleichgültig lassen können , vielmehr irritieren , erinnert noch an die Tatsache , einer wie fremden Welt unsre Nerven damals entgegenzitterten , – einer wie fremdgebliebenen .
EROTIK UND KUNST
AM MEISTEN erkennen wir von den letzten , eigentlichen Antrieben des Erotischen , sobald wir es in Vergleich ziehn mit andern starken Phantasieentbindungen , insbesondere den kunstschöpferischen . Sicherlich liegt hier eine tiefe Verwandtschaft vor , – man möchte fast sagen , eine Blutsverwandtschaft , dadurch , daß auch im künstlerischen Verhalten ältere Kräfte mitwirksam werden und sich unter den individuell erworbenen mit einer leidenschaftlichen Erregung durchsetzen : beide Male geheimnisvolle Synthesen von Einst und Jetzt enthaltend als das Grunderlebnis , beide Male den Rausch ihrer heimlichen Wechselwirkung .
Auf diesen dunklen Grenzgebieten ist die Rolle , die auch in diesem zweiten Fall das Keimplasma selber spielen mag , noch wenig , fast gar nicht , erforscht ; daß aber Kunsttrieb und Geschlechtstrieb so weitgehende Analogien bieten , daß ästhetisches Entzücken so unmerklich in erotisches übergleitet , die erotische Sehnsucht so unwillkürlich nach dem Ästhetischen , dem Schmuck , greift ( der Tierheit möglicherweise direkt leibesschöpferisch ihren Schmuck anschuf ) , das scheint ein Zeichen geschwisterlichen Wachstums aus der gleichen Wurzel . Es scheint das nämliche Emporsteigen zu bedeuten unausgegebenen Urlebens bis in alles Persönlichste , die gleiche Heimkehr gewissermaßen der zerstreuten Sonderkräfte in die erdwarmen Tiefen zurück , worauf alles Schöpferische überhaupt beruht und wodurch das Geschaffene als lebendige Ganzheit geboren zu werden vermag . Und läßt sich schon das Sexuelle eine Wiedererweckung von Urältestem nennen , von dessen leiblichem Gedächtnis , so wird es für den künstlerisch Schaffenden ebenso wahr , daß gleichsam Erbweisheit in ihm persönlichste Erinnerung werden muß , Assoziation mit seinem Gegenwärtigsten , Eigensten , eine Art Weckruf aus dem Schlafe des Gewesenen durch den Aufruhr der Stunde .
Beim künstlerischen Vorgang aber hat in diesem Aufruhr die physische Erregung in der Gesamtergriffenheit nur den Zweck eines Begleitmoments , indem das Resultat selber als ein Gehirnprodukt allerindividuellster Verknüpfung heraustritt ; beim Sexuellen dagegen lassen umgekehrt die physischen Vorgänge die geistige Exaltation nur als ein Nebenher mitschwingen , – um kein anderes „ Werk “ , als um eines Kindes leibliche Existenz bemüht . Aus diesem Grunde bringt das Erotische so weit mehr als das Künstlerische seinen Rausch in bloßen Wahnbildern , in so viel „ unwahrem “ , zum Aus
druck . Auch im Künstler bricht wohl sein besonderer Zustand jeweils durch den der Norm hindurch , wie eine Anomalie , eine Vergewaltigung des Gegenwärtigen , festgeordnet Gegebenen , durch das erregende Ineinanderwirken von Vergangenheits- und Zukunftsansprüchen in ihm . Allein dieses „ inwendige Liebesverhalten “ , das auch sein Köstlichstes ist , findet sowohl seine letzte Erklärung wie seine schließliche Erfüllung auf geistigem Boden , sammelt und erledigt sich mehr oder minder restlos in seinem Werk , während der erotische Geisteszustand , weil dieser rechtfertigende Abschluß ihm fehlt , als eine besondere Art von Verschrobenheit , jedenfalls als Unnormalität , in das Getriebe des übrigen Lebens eingereiht bleibt .
Obgleich deshalb der Künstler viel ungebundener phantasieren kann als der Liebende , nicht eingeengt durch dessen Lebensbeziehungen zu einer praktisch sich aufdrängenden Wirklichkeit am Geliebten , so unterstellt tatsächlich doch nur er , der Schaffende , seine Phantasien einer solchen : erschafft nur er das Neuwirkliche aus dem Vorhandenen , während der Liebende es nur machtlos mit seinen Erfindungen beschenkt . Anstatt an der erreichten Harmonie des herausgestellten Werks ausruhen zu können , wie die Künstlerphantasie es darf , geht deshalb die Dichtung der Liebe unvollendet durch das ganze Leben , suchend und schenkend , und in ihrem Außenwerk tragisch insofern , als sie sich von der physischen Gegebenheit ihres Gegenstandes in ihrem Denken weder freimachen , noch auch sich darin begrenzen kann . Die Liebe wird dadurch das Leiblichste wie auch das scheinbar Spiritualistischeste , Geistergläubigste , was in uns spukt ; sie hält sich ganz und gar an den Körper , aber ganz und gar an ihn als Symbol , als leibliche Zeichenschrift für alles , was sich durch die Pforte der Sinne in unsre Seele einschleichen möchte ,
um sie zu wecken zu ihren vermessensten Träumen : überall infolge davon dem Besitz die Ahnung von Unerreichbarem beimischend , überall Erfüllung und Entsagung verschwisternd als nur dem Grade nach unterschieden . Daß Liebe uns schöpferisch macht über unser Vermögen hinaus , das macht sie zu einer solchen Gestalt der Sehnsucht nicht nur zwischen uns und dem von uns erotisch Ersehnten , sondern allem Hohen noch , dem wir darin entgegenträumen .
Während noch im Kunstschöpferischen die körperliche Miterregung beim Geistesschaffen als ein belangloses Nebenher ohne weiteres abklingt , verhält es sich im Erotischen , im Leibesschöpferischen deshalb nicht mehr ebenso . Der geistige nebenherschwingende Überschuß fällt gleichsam in einen neu angeschlagenen Grundton ein , indem er allen Sehnsüchten nach dem unklar Unaussprechlichen das Wort redet . Es ist , als ob etwas schon einfach dadurch , daß es sich bis zur Geistigkeit individualisiert hat , sein Merkmal daran erhielte , sich nicht länger als bloßes Nebenwerkzeug oder Begleitmittel abtun zu lassen , sondern nunmehr von sich aus immer wieder organisierend vorgehn zu müssen , und gelte es selbst die noch unsichtbarste , unvorhandenste Welt mit seinem Atem zu beleben .
IDEALISATION
DIE FRAGE läßt sich hier aufwerfen , welche Bewandtnis es eigentlich hat mit diesem ganzen Idealisationsdrang , der so zu tiefst zu stecken scheint grade in den schöpferischen Vorgängen . Und ob er nicht in der Tat ein wesentliches Moment ihrer Verwirklichungen bildet , sofern sie als Synthese anzusehen waren von außen und innen ,
Entferntestem mit Nächstem , Weltinhalt und Selbstgehalt , Urgrund und Gipfelung .
Auch wo es sich nicht um solche ausnahmsweisern Vorgänge handelt , sondern um unsre Alltagsexistenz , beruht die bloße menschliche Tatsache unsrer Bewußtheit auf einer ähnlichen Unterlage : dem gleichen Zusammenfassenmüssen einer Gegenüberstellung von Welt und Selbst , außen und innen , die darin bereits mitgegeben ist . Die Spannweite dieses Zusammenfassens allein unterscheidet das menschlich Erreichbare von dem des Tieres . Soweit sich das Lebensbewußtsein steigert , tut es gleicherweise dieser Prozeß : entsprechend Tiefergelegenes , Fernwirkenderes umgreifend , und angenähert damit dem von uns im engeren Wortsinn schöpferisch genannten Verhalten . Bis dann ein Gegenüber von so durchschlagender Bedeutung überwunden , bis es zu so fruchtbarer Einheit entladen wird , als würden gewissermaßen noch einmal Weltwerden und Ichgeburt erfahren , durchlebt , – was allein dem von uns Geschaffenen seinen eigenlebenden Kern einsenkt , anstatt bloß abgeleiteten Scheindaseins und Oberflächenwesens .
In demselben Maße nun , als dergleichen geschieht , bemerken wir die idealisierende Tätigkeit in vollem Gange . Der Liebende wie der Schaffende , der im Kinde wie im Geisteswerk Schöpferische , sind kenntlich an ihren naiven , sachlich ganz untaxierbaren Entzückungen . Das erwähnte Gegenüber , um je Bedeutsameres es vertritt um desto mehr , kann sich sichtlich nur infolge einer solchen gegenseitigen Erhöhung auf gemeinsamem Boden finden , nur auf so gesteigertem Niveau seine Ansprüche und Fremdheiten ausgleichen , und die Veranlassung : das erhöhte Lebensgefühl selber , bedingt ein solches Vorgehn auch schon ganz unmittelbar . Es ist , als müßte dadurch eine Art Zuweihung stattfinden , dessen , worin
beide Parteien zum Bündnis zueinandertreten , so daß sie , geeint , dazustehn scheinen , wie auf „ heiligem Grund “ . Als wäre , was wir „ Idealisieren “ nennen , sozusagen ein primärster Schöpfungsakt der Geschöpfe , etwas von ihrer allerersten selbständigen Wiederholung , Fortsetzung allen Lebens , – und auch daher nur so früh , sogar im körperlichen Paarungstrieb schon , vorauswirkend mit den ersten Spuren von Hirntätigkeit überhaupt . Und als entstiege um deswillen daraus der große Jubelrausch des Daseins , wie Vogel jubelstimmen am Morgen , wenn die Sonne aufgehn will über einem neuen Schöpfungstag , – denn keine drei Dinge weiter auf Erden gibt es , die so tief miteinander zu tun hätten wie diese drei : Schaffen , Anbetung und Freude .
Tastet man sich an das Dunkel der menschlichen Ursprünge heran und der Menschheit Vorzeit , dann stößt man als auf die letzten erkennbaren Punkte auf religiöse Äußerungen . Das , worin ihr soeben erwachtes Bewußtsein , plötzlich einer Außenwelt gegenübergestellt , sich mit dieser zusammenschließt , ist immer in irgend einer Form der Gott . Er ist es , der die Einheit von neuem gewährleistet , aus der sich dann die unterschiedlichen Bestrebungen der beginnenden Kultur erst ergeben können . Das Bewußtwerden an sich aber ist , gegenüber der mangelhaft geweckten bloß-tierischen Selbstbesinnung , eine dermaßen hohe Lebenssteigerung , daß man begreift , wie es aus allen , sich damit plötzlich auftuenden Nöten und Hilflosigkeiten , dennoch als erste menschliche Urschöpfung eine gotthafte hob . Denn das bedeutet nichts Geringeres , als daß die entscheidende Waffe im Lebenskampf nicht mehr lediglich die rein stoffliche der vielfach an Kraft so überlegenen Tierheit war , sondern ein Phantasieakt . Nicht zwar als entwaffnende Unterschätzung
des faktisch gegebenen Fremdfeindlichen , eher als seine Überschätzung ins Ungreifbare zauberstarker Wirkungen , – aber doch nur , insofern gleichzeitig auch die menschliche Kraft vertiefter sich bewußt werden fühlt : sich fühlt , als nicht gleichdeutig mit der bloßen Stofflichkeit des Sichtbaren . Und deshalb , in allem Drang der Gegnerschaft , ist der Kampf nicht mehr nur das momentane Beutesuchen , sondern , damit zugleich , auch ein Erfassen der Einheit mit dem Umlebenden , darin das Tier noch ohne weiteres wurzelt ; – ein Versuch , diese Einheit im Gotthaften , Zaubererhöhten zu erfahren . Ja , noch im Blut , das vergossen , im Fleisch , das verschlungen wird , schließt der Mensch , Kräfte tauschend mit dem Feinde , etwas von einem solchen Bund , von einer religiösen Vermählung ; indem er Tatsachen als vorhanden voraussetzt , doch eben damit sie als seine Zukunft setzt , feiert er , zum erstenmal hungernd und dürstend auf eine neue Weise , das Abendmahl seiner geistigen Erlösung vorweg .
Nur weil dieser innere Zwang die Dinge zu steigern , zu idealisieren , schon im primitivsten Sinn : „ schöpferisch sich verhalten “ bedeutet , nur deshalb finden wir ihn auf den Gipfelpunkten menschlicher Betätigungen überall wieder zurück , auslaufend schließlich in die feinsten Spitzen menschlichen Erlebens . Aus diesem Grunde trägt unsre höchste Produktivität den eigentümlichen Charakter , daß sie sich fast mehr wie Empfängnis anfühlt , als wie die letzte Zuspitzung unserer Selbsttätigkeit , und daß unsern äußersten Leistungen ein Hingegebensein innewohnt an Werte über uns hinaus . Wo wir ganz Herrscher über das Leben sind wie niemals sonst , sind wir am allernächsten einer Weihestimmung und Andacht : denn dies sind nicht so sehr Arten eines besondern
Erlebens , als letzte Akzente seiner Intensität an sich . So , als würde , auf dem Weg zu immer fruchtbarerer Entladung , immer schaffenderm Sein , unser Selbst steril , wenn es sich nicht auf seinen Gipfelpunkten geheimnisvoll von neuem geteilt fühlte in die ursprüngliche Zweiheit seiner Basis , die allein seine Einheit verbürgte . So , als ob etwas von den Sinnbildern uranfänglicher Gottheit , unter tausend wechselnden Verkleidungen und Verfeinerungen , hindurch ginge durch alles noch , Weggenosse allen Menschen und Zeiten : als ob die Schöpferkraft selber nur sei die Kehrseite einer Anbetung , – und das letzte Bild für alles Geschehen eine vermählende Befruchtung und Empfängnis .
EROTIK UND RELIGION
DASS RELIGION zu demjenigen gehört , was am verschiedenartigsten definiert , dessen Wesen von jeher auf die widersprechendsten Weisen erklärt wird , mag wohl an diesem Grade liegen , worin sie ihrem Grundaffekt nach eins ist mit unsern intimsten Lebensaffekten überhaupt , – mit solchen innern Tatsachen , durch die wir selber stehn und fallen : die ebendeshalb nicht die Distanz zu sich freizugeben scheinen , welche theoretische Feststellungen erst ermöglicht .
So ist auch das Erotische dem Religiösen zunächst unmittelbar einverleibt und dieses ihm , auf Grund jener Lebenssteigerung an sich schon , der Innen und Außen fruchtbar erregend zum Bewußtsein gelangen , – wobei sich diese vermählende Kraft , diese erhöhte Lust des Lebens , Wollens , zur engern leiblichen oder geistigen Wollust spezialisiert hat .
Der Zusammenhang zwischen ihnen wäre demnach der gleiche wie mit allen sonstigen menschlichen Betätigungen , an denen die Umfärbung des Religiösen nur an deren Basis oder deren Gipfel noch die ursprüngliche Grundfarbe erkennen läßt . Besonders eng verknüpft erscheint das Sexuelle den religiösen Phänomenen aber insofern , als das Schöpferische seines Vorgangs so früh , im Leiblichzeugerischen , sich schon durchsetzt , und dadurch dem rein körperlichen Taumel bereits seinen Charakter einer Allgemeinsteigerung gibt : etwas wie eine vorweggewährte Geistigkeit . Und hat so , zum sexuell Affektiven , der Geist seine Gehirnreize herzuleihn , so sind andrerseits in der religiösen Inbrunst , wie in jedweder starken psychischen Tätigkeit , die tonischen Reize des Körpers mitwirksam : zwischen beiden liegt die gesamte menschliche Entwickelung ausgebreitet , dennoch klafft nichts , – ihre Vielheit schließt sich von Einheit zu Einheit , und Anfang und Ende umfassen einander darin . Denn auch religiöse Inbrunst existierte nicht , ohne die sie tragende Ahnung , daß das Höchste , was wir träumen , aus unserm irdischesten Erdboden hervorkeimen kann . Deshalb verbindet der Religionskult der Vorzeit sich dem Sexualleben noch so viel länger und tiefer , als den übrigen Lebensäußerungen , und selbst in den sogenannten Geistesreligionen ( „ Stifterreligionen “ ) überlebt dieser Zusammenhang stets noch irgendwo .
Allein religiöse und erotische Inbrunst laufen außerdem noch in einer besondern Art parallel , an der aller beider Wesen sich ziemlich weitgehend verdeutlicht : und zwar nach Seite ihrer gedanklichen Auslassungen .
Wie vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist , so könnte man , mit allem schuldigen Respekt und Staunen vor den Gedankenleistungen der großen Religiösen , finden ,
daß der nüchternen Beobachtung der Wirklichkeit gegenüber , die Denkwelt im religiös Affizierten nach einer Richtung hin eine verhängnisvolle Ähnlichkeit aufweist mit den überschwänglichen Vorstellungen in der Phantasie des Liebenden : sowohl ihrer Schaffensmethode wie ihrem wunschhaften Inhalt nach . Mit dem , ihrem Gegenstand angemessenen , ungeheuren Unterschied allerdings in der Wertung davon : denn auch die feurigste Liebe verlangt und erwartet nicht vom unbeteiligten Blick aller , daß er nur mit ihren eigenen , den hellseherisch-blinden , Augen sehen soll , während der religiöse Glaube auf die überwältigende Wahrheit seines Gottesbildes für alle den vollen Nachdruck legt . Nicht etwa , wie man gern hört , aus purer engherziger Unduldsamkeit , sondern aus der innersten Nötigung und dem alleinigen Sinn seines Wesens selber . Und zwar ist es der Fall trotz des zweiten Unterschiedes : trotzdem er aus noch viel ungehemmterer Subjektivität die Umrisse seines Bildes entwirft . Wo der Liebestrieb doch immer noch mit seiner Illusionsbildung gefesselt bleibt an einen Gegenstand der Wirklichkeit , oder wo im Künstlerschaffen etwa , auch noch die freierfundensten Gebilde zugleich doch einen Maßstab abgeben müssen ihrer eigenen Verwirklichung , – da projiziert der Religiöse seine Vorstellungen , ohne sie weder im Ursprung noch im Ziel positiv „ bewahrheiten “ zu müssen , mit unbehinderter Seelengewalt aus sich heraus , und damit so überlebensgroß wirkend an alle Himmel .
Infolgedessen kehrt sich bei diesem Gefühlserfüllten , bei dem man es als am wenigsten angemessen empfindet , am allermeisten grade die theoretische Seite seiner Glaubensunterstellungen so stark in den Vordergrund , ganz besonders weithin sichtbar , ganz besonders anspruchsvoll . Seine ver
schiedenen Annahmen , unkorrigierbarer als irgendwelche andren , weil unassozierbarer irgend etwas anderm , müssen sich zuletzt immer starrer ausbauen zu einer Welt völlig außerhalb aller übrigen Dinge .
Allein es liegt doch nur ein scheinbarer Widerspruch darin : um sich so souverän auszusprechen , muß das Religiöse seine Denkwelt freilich so von allem isolieren ; – dennoch ist diese seine Souveränität selber doch nur ein Reflex jener Allseitigkeit und Ursprünglichkeit seiner praktischen Bedeutung für alles , wonach nichts ohne sie ist , und sie selber gleichsam mitwirkend in jedem , jegliches in der Tiefe begründend , in der Höhe des Erreichten krönend . Das scheinbar Widerspruchsvolle ergibt nichts , als nur die Tatsache , wie wenig Leben sich in seiner eignen Theoretisierung einfangen läßt , wie am allerschiefsten , allerverzeichnetesten es grade in dem Bilde herauskommen muß , dem es in seiner höchsten Lebendigkeit zu Modell gesessen hat . Der Glaube hat dafür die tiefsinnige Formel , daß Gott nur erkannt werden könne im unmittelbaren Erleben seiner selbst , und ein Wahrheitsgrad , wie er ihm etwa anderweitig zugesprochen würde , ihn um nichts „ wahrer “ für uns zu machen imstande sei . Ist im Grunde schon jegliches , was der Gedankenabtastung stillhält , eben insofern bereits dem Leblosen vergesellschaftet ( wie am vollständigsten im wissenschaftlich sezierbaren Objekt ) , so wird das quellennaheste Leben am unerfaßbarsten durch die engsten Gedankenmaschen noch hindurchrinnen . Was immer wieder neu ist , neu da ist , muß alles Fixierte immer wieder hinter sich zurücklassen , es von sich selber sondernd : nicht nur , weil es ihm nur noch teilweise entspricht , sondern weil es von vornherein abgefallene Hülse , überlebte Schlacke , gleichsam Petrefakt schon im Entstehen ist .
Darum ist der Wahncharakter der Vorstellungen , wie beim Religiösen , so auch im Erotischen , an sich kein zu vertilgender Fehler dran , vielmehr ein Ausweis für den echten Lebens-Charakter selbst . Nur daß der physisch bedingte Überschwang des Liebenden gewissermaßen dem vollen geistigen Erleben seine Bilder vorauswirft : bizarr , drollig , rührend , erhebend , eine nebelhaft flüchtige Wiederspiegelung , – während der Fromme , äußerstes Geisteserleben formen wollend , in das minder Geistige zurückgreifen muß , und dadurch immer das Ewig-Vergangene greift . Wahrlich , eine gewaltige , granitne Welt , von der ungeheuren Lebendigkeit der innern Anlässe in das tot Beharrende hinausschleudert ! Und deshalb auch ein so dauerndes Obdach Denen , die in des Daseins Unbill nach Schirm und Schutz suchen . Denn dieser Doppelcharakter bleibt freilich aller Religion : daß sie ein anderes ist in der Glut des Erlebenden wie in der Bedürftigkeit der Für-wahr-haltenden , ein anderes als Flügel wie als Krücke .
Sich des Denkmoments im Ablauf ihrer Vorgänge enthalten , vermöchten Religion und Liebe so wenig , wie irgend etwas im Bereich unsres menschlichen Erlebens dessen entraten kann : denn nichts geschieht , was nicht Innenereignis wäre und Außensymbol zugleich . Doch die Formen dieser Symbole haben genau in dem Maße was zu besagen , als sie weniger prätendieren : am meisten also grade da , wo sie nicht beanspruchen , spontanste Ekstasen oder unanrührbare Allgültigkeit zu verkörpern , sondern im Gegenteil in möglichst vielfache , nachprüfbare Zusammenhänge untereinander treten , sich gegenseitig so stützend und bedingend , daß sie fast ohne merkliche innere Beteiligung unsrerseits fortwährend sich selbst bestätigen können , – oder , wie wir es zu nennen pflegen : die äußere Wirklichkeit darstellen .
Dies aber ist die große Lehre , die für das religiöse wie für das erotische Erleben daraus folgt : daß sein Weg hier umzubiegen hat in das Leben selbst zurück . Daß dem Lebendigsten der andere Weg , der in die gedanklichen Bewahrheitungen und Bestätigungen , nach einer kurzen Zwischenstrecke verbaut ist , hoffnungslos zugerammelt , weil nur Leben das Leben voll wiederspiegeln kann . Das bedeutet für das religiöse Verhalten schrankenloses Eingehen in alles was ist , – denn was gäbe es , das ihm nicht zum Thron und zum Schemel seiner Füße würde , wie das Weltall dem Gott ! Für die Liebe bedeutet es ihre Erfüllung im Sozialen .
EROTISCH UND SOZIAL
DAS EROTISCHE nimmt eine Zwischenstellung ein innerhalb der beiden großen Gefühlsgruppen des Egoistischen und Altruistischen , – unmißverständlicher : der Verengerung , Zusammenziehung unseres Einzelwillens von der Gleichgültigkeit an bis zur Fremdheit , Feindlichkeit , oder seinem Weitwerden bis zum Einbegreifen des andern , des ihm Gegenüberstehenden , als eines Teiles seiner selbst . Beide Gruppen ändern im Verlauf der Zeiten auch ihre Stellung zueinander und ihre menschliche Bewertung fortwährend , und auf welche Weise sie ihren Zwist zum Ausgleich bringen , davon wird der Charakter einer Zeitepoche bedingt . Immer bedarf jede Gruppe der andern zu ihrer Ergänzung , jeder hat an ihnen beiden seinen Anteil und müßte durch zu weitgehende Einseitigkeit darin sich auf das Äußerste gefährden , denn um sich hinzugeben , muß man sich besitzen können , und um zu besitzen , muß man erst den Dingen und Menschen
entnehmen können , was sich nicht rauben , was sich nur mit offener Seele geschenkt erhalten läßt . Die zwei Gegensätze stehen eben , an der Oberfläche unvereinbar auseinander , wachsend , in der Wurzel in tiefster wechselwirkender Zusammengehörigkeit , und das sich verschwendende : „ ich will alles sein ! “ wie das geizig-gierende : „ ich will alles haben ! “ ergeben , auf ein höchstes umfassendes Verlangen gebracht , den gleichen Sinn .
Aus dieser ihnen noch gemeinsamen Mutterwurzel scheint sich die dritte Gruppe von Gefühlsbeziehungen , die des Erotischen , abzuspalten als eine Mittelform , vielleicht die Urform , zwischen dem Einzeltier und dem Bruderwesen : beider Bestandteile seltsam , und um ihre Widersprüche unbekümmert , in sich bindend , wodurch sie sich gegenseitig steigern zu gärenderer Triebkraft . So sind es in der ganzen Natur gerade die differenten Protoplasmakörperchen , die sich zeugerisch suchen , allmählich die Geschlechtsunterschiede aus sich entwickeln , die Spezialisierung zum immer Mannigfaltigem ermöglichen . Und so behält unter Menschen wie Tieren der alte Gemeinplatz recht , nach welchem die Liebe der Geschlechter ein Kampf der Geschlechter sei , und nichts so leicht ineinander überschlage wie Liebe und Haß . Denn erweitert die Selbstsucht in der Sexualität sich , so verschärft sie sich doch zugleich darin zu ihren heftigsten Eigenwünschen , und geht sie in selbstsüchtigem Angriff vor , so doch wiederum nur , um das alles Eroberte auf den Thron , ja hoch über sich selbst zu setzen : überall durch ihre physische Bedingtheit an einer einseitig klaren Herausarbeitung ihrer seelischen Absichten behindert , – und doch tiefer als alles andere mit ihnen deutend auf das All- Eine das wir in uns selber sind .
Deshalb darf man aus dieser ihrer Gebundenheit nicht
schließen , daß ihr die geistigem Egoismen des Menschen , oder sogar auch nur die Geistesverbrüderung aller mit allen , an sich schon überlegen sein müßten , und sie im Grunde nicht viel mehr als eine Vorstufe darstelle zu solchen klarern Entwicklungsstadien . Im Gegenteil durchmißt sie innerhalb ihres Bereichs alle Stadien von den primitivsten bis zu den kompliziertesten , von den leiblich begrenztesten bis zu den geistesbefreitesten , auf ihrem eignen Boden . Wo die Vorkommnisse des Lebens anderweitig erwachsene Beziehungen ihr aufpfropfen , seien sie freundschaftlich oder barmherzig gearteter Natur , da veredelt sie sich nicht weiter daran , sondern gefährdet ebenso oft dadurch die von viel tiefer ihr zuströmenden Triebkräfte ihres Wesens . In sich selber voll von schöpferischen Elementen egoistischer wie altruistischer Art , gibt sie sich auch selbständig aus nach beiden Richtungen . Und so wie sie sich , im vorhergehenden , in geflissentlicher Einseitigkeit , betrachten ließ nach Seite ihres eigenen Freudenrausches , ihrer Vermählung aller Kräfte , die zunächst nur für sie selber eine volle , illusionslose Wahrheit geworden war , ihres Egoismus also : so kann man sie auch altruistisch-produktiv ansehn ; man kann den andern , den Partner , bisher nur Anlaß ihrer Überschwänglichkeiten , Erreger dankbarer Illusionen , zur Wahrheit und zum Lebensereignis für sie werden sehn . Allerdings erscheint auch der „ Egoismus zu Zweien “ stark des Egoismus verdächtig , und erst im Verhältnis zum Kinde überwunden , – also erst in dem Punkt , wo Geschlechterliebe und soziale versöhnt aufeinandertreffen , sich gegenseitig ergänzend . Aber für die Geschlechterliebe , die ihr „ soziales “ Werk im leiblichen Sinn vollbringt , ist es bezeichnend , daß diese physische Betätigung ihrer selbst schon alles mitenthält , was sie auch geistig weiterentwickelt . Zwar läßt sich mit
Recht sagen , alle Liebe erschaffe zwei Menschen , – neben dem in der Vereinigung leiblich gezeugten , auch noch einen erdichteten : jedoch eben dieser leiblich geschaffene , pflegt es zuerst zu sein , was aus der bloßen Liebesbenommenheit hinausführt . Wenigstens soweit es mit dem Naturleben primitiv und von selbst sich ergibt , sozialisiert sich die Brunst in der Brut , die Liebe im Kinde .
MUTTERSCHAFT
ES IST interessant , daß im Weib , das meist den übertriebensten Idealisationen des Liebeslebens am geneigtesten ist , auch dieser Ansatz zum Sozialen am stärksten wirksam heraustritt . An der Mutterliebe , dafür gepriesen und , neuerdings , auch etwas dafür gering geschätzt , daß sie so ganz zwanghaft und wahllos liebe , ohne alle Vorbehalte bezüglich der Beschaffenheit ihres Gegenstandes , findet nämlich beides seinen Zusammenhang . Einerseits läßt allerdings Mutterliebe sich von keinerlei Wirklichkeit stören , beeinträchtigen in ihrem zärtlichen Gefühlsvorurteil , so , als sei ihr das kleine Geschöpf in der Tat nur eine Wunsch-Unterlage dafür . Andrerseits jedoch ist dies ja nur deshalb der Fall , weil Mutterliebe an sich selber gar nichts anders ist , als eine Art von Brutkraft , von weiter fortgesetzter Zeugung gleichsam ; nichts als eine über den Keim gesenkte Wärme , eine seine Möglichkeiten verwirklichende Wärme , die ihn als ein Versprechen nimmt , – ein Versprechen , daß sie sich selbst mit ihm gibt ! Um deswillen ist ihr Idealisieren so dicht und echt dem Schöpferischen verschwistert , wie es seiner ursprünglichsten und höchsten Be
deutung entspricht ; um deswillen sind Taten und Gebete selbst in den kleinen Kosenamen noch , mit denen sie ihr Kind von einem Tag zum andern tiefer hinein in das Leben ruft .
Aus diesem Grunde redet auch schon dem Manne gegenüber bereits etwas andres aus ihrem Überschwang , als nur das Gehirnfeuerwerk unbeschäftigten Sexualüberschusses . Wie sie an ihrem Kinde mit allen sorglosen Verherrlichungen eigentlich nur die eine , die wundervolle Tatsache seines kleinen Lebens feiert , so steht hinter dem Strahlenmantel von Illusionen , die ihr den geliebten Mann zum Einzigen machen , auch immer zugleich das Menschenkind selber , das , wäre es so ungeschmückt und voller Fehl , nackt und bloß , wie es wolle , ihrem tiefsten Leben eingeboren ist . Mit allen Idealbildern , die sie , scheinbar so anspruchsvoll-demutvoll , ihm entgegenschickt , erschließt sie ihm doch nur die ungeheure Wärme , darin einmal gerastet zu haben die Ureinsamkeit des Einzelnen aufhebt , als ob er wieder vom Allmütterlichen umfangen würde , das ihn umfing , ehe er war .
Sie stellt ihn damit für Augenblicke gleichsam wie in den Weltmittelpunkt zurück , in jener Einzigkeit , die , jeglichem zu eigen , eben insofern für keinen einzigen berücksichtigt werden kann , und doch in jedem Geschöpf weiterlebt als das Gefühl , daß selbst dem Geringsten noch , richtig verstanden , allein eine Liebe : „ von ganzem Herzen und aus allen Kräften “ gerechterweise nur grade genug tun könne . Sie schafft ihm damit diese Art höherer Gerechtigkeit neben der sozial oder sachlich abwägenden , – niemanden verkürzend , weil es ihm nur gilt in ihrem Himmel , der andern nichts wäre als ein wenig Blau über dem Erdenrund .
Nicht nur niemanden verkürzend , sondern zum Menschen
als solchem hinleitend dadurch , daß sie aus dem bloßen , etwas lächerlichen , erotischen Wahnbild ein anderes , ein menschlich tiefes Wahrbild aufzurichten weiß , geltend für alle . Bis alle Illusionen dran ihr selber letzten Endes nichts mehr bedeuten können , als kleine blitzende Springfontainen über einer großen , klaren Flut , daraus sie kamen , dahin sie gehen , und bis auch ihrer Frauenliebe noch Menschenliebe sich unterbreitet ohne Rückhalt oder Grenzen . So daß die Verbohrtheit in das Einzige , wie wenn mit solchem winzigen Bruchstäubchen das gesamte All eingeheimst und allem sonstigen unzugänglich gemacht worden sei , sich unmittelbar weitet im Gefühl , als ob auf eine neue Weise jegliches zu ihr rede mit der Stimme seines Lebens , – angefangen von dem , was dem Herzen Nachbar ist , bis zu dem letzten Tier auf dem Felde .
Diese Umdeutung der Affekte vollzieht sich immer unwillkürlicher durch den Verlauf der Elternschaft . Indem im Elterntum sich auch wieder die gleiche Tragik kundgibt , wonach die Geschöpfe , je differenzierter sie sind , desto gewisser , nur in Teilprozessen sich weitergeben können : denn wie im körperlichen Liebesakt nur punktuell eine Verschmelzung Zweier stattfindet , so auch im Kinde lediglich eine Übertragung dessen , was die Liebenden selber schon von den Voreltern übernommen . Der schwerste und kostbarste Erwerb , der persönlich errungene , bleibt außerhalb des Vorgangs stehen , und damit die Individualität in ihrer unwiederholbaren Ganzheit , des Lebens Lebendigstem : Verwalterin ist sie nur , eine bessere oder schlechtere , dem geschlechtlichen Erbstück . Wieder also öffnet sich auch hier der große ratlose Überschuß , der in keine Einheit mehr hinübergenommen wird , der nur hinterher , von innen her , auf eigene Faust und nach
selbsterfundenen Methoden sozusagen , dem mangelhaften Tatbestand abzuhelfen , ihn zu ergänzen suchen muß .
Deshalb ist Mutterschaft ein lebenslänglicher Akt , nicht zu Ende mit der Versorgung der Brut des Tierweibchens , sondern ein Versuch , ihre Seele hinzugeben , wie sie den Körper gab . Und deshalb entwickeln sich dann von hier aus die animalen Instinkte zu noch weiterer Geistigkeit , gerade wie es in der sexuellen Liebe zwischen Mann und Weib geschieht : sie gelangen dazu , sich nicht nur selbst daran zu berauschen und zu feiern unter dem Vorwand eines andern , – des andern gleichsam als eines leibhaften Stückes von sich , – sondern in ihn , in sein Eigenleben einzugehn , als in das des wirklich „ andern “ . Nicht um im Kinde selber physisch fortzuleben , nicht einmal mehr um es psychisch zu prägen nach dem Selbstbildnis , gibt sich die Mutter endlich dem von ihr geborenen Menschenleben hin , – sie gewinnt zuletzt jene feinste und letzte Hingebung , die sich gern davon ihrerseits beschenken , bereichern , größer machen lassen möchte . Die ihm als einer Totalität , als einer unantastbaren Ganzheit für sich , Ehre erweist , als etwas , dem man sich nicht mehr einen kann , es sei denn grade infolge der ausgesprochenen Zweiheit , d. h. auf Grund eines ganz neuartigen Bündnisses . Die Krönung der Mutterschaft vollzieht sich erst in dieser bewußten Hinausstellung des Eigensten von sich , als eines Fremden für sich ; – in einer letzten schmerzhaften Freiwilligkeit , einem höchsten Selbstloswerden daran , hat sie ihre Frucht erst ganz zur Welt geboren , hat sie von ihren Zweigen sinken lassen , und darf herbsten .
Allein dieser Herbst wandelt sich zum Beginn ungezählter Frühlinge für die daran erst ganz mütterlich Gewordene : sie dem Leben einend mit der Wärme dessen , der es nicht nur
liebte , der es aus sich gebar , es vom Herzen lösend in seiner Vollwirklichkeit , und der es darum immer wieder neu , als Welt , an sich selber erlebt . Unter allen menschlichen Verhältnissen ist es darum nur die Mutterschaft , der es gestattet ist , eine Beziehung vom tiefsten Ursprungsquell bis zum letzten Höhepunkt voll zu verwirklichen : vom eignen Fleisch und Blut an bis zum fremden geistigen Selbst , das ihr wiederum zum Weltbeginn wird . Denn wie keine sonstige Beziehung diesen ursprünglichsten Ausgangspunkt haben kann , so kann auch keine sich in diesem Sinn vollenden : endet sie nicht gewaltsamen verfrühten Todes , so bleibt sie gewissermaßen ewig unterwegs , endlos , ziellos , worin der menschliche Begriff der „ Treue “ sich zusammenfaßt . Keiner totalen Einheit entsprungen , mündet sie auch nicht in die Möglichkeit immer erneuter Zweiheit , – in diese Vollständigkeit des Abschlusses , des Absterbens , die fast nur wie ein andrer Name ist für Neubeginn , Lebensaufschluß , Unsterblichkeit .
DAS WEIB
DAS MÜTTERLICHE ist nicht das einzige , woran sich offenbart , wie grade im Physiologischen des Weibes die Keime liegen zu dessen überlegenster Entwicklung über das bloß Erotische hinaus in das Menschlichallgemeinere . Ein zweiter Typus , worin ebenfalls im scheinbar übererotischen Charakter das höchste Liebessymbol gefeiert wird , ist festgehalten unter dem Bilde der Madonna . Wenn auch die Besitznahme der Jungfrau durch den Gott in Urzeiten , später zu den Machenschaften der Priesterhierarchie gehören mochte ,
so ist doch kein Zweifel , daß sie dem Bedürfnis entstammt ist , das Sexuelle dem religiös Sanktionierten zu unterstellen , – selbst , wo sich die orgiastischesten Kulte daran anschlössen , es als geheiligt über die Notdurft des Einzelnen hinauszuheben . Allerdings erscheint diese uranfängliche Madonnenauffassung unserer heutigen Dirnenauffassung angenähert : der Hingabe ohne Wahl , selbst ohne Wollust noch , d. h. der Hingabe zu außererotischen Grundzwecken . Dirnen- und Madonnentypus ähneln sich darin ungefähr wie Fratze und Urbild , berühren sich im Extremen ; was sie jedoch beide ermöglicht , ist schon das nämliche , was das Weib zum tragenden , zum Muttertier bestimmt : ihr Leib als Träger der Kindesfrucht , als Tempel des Gottes , als Tummelplatz und Vermietlokal der Geschlechtlichkeit , wird zum verkörperten Ausdruck , zum Sinnbild , jener Passivität , die sie gleicherweise befähigt , das Sexuelle zu degradieren wie zu verklären .
Wie aber im Mütterlichen das stärkste Passivwerden des Weibes in dessen äußerste Schaffenskraft sich verkehrt , so ließe sich nicht mit Unrecht auch der Madonnenbegriff in das aktiv Bedeutungsvollste vergeistigen . Denn nicht nur eine Negation bedeutet er , nicht nur die von Lüsternheit freie Frau , sondern die mit allen , auch außererotischen , Kräften dem Empfängniszweck Zugeweihte . Je tiefer ein Weib in der Liebe wurzelt , zu je Persönlicherm sie darin geworden ist , desto mehr verkehrt sich die passive Ausschaltung des bloß Genußmäßigen am Sexuellen in ein Tun , eine lebendige Erfüllung und Wirkung . Sinnlichkeit und Keuschheit , Erblühen und Sichheiligen fallen in eins zusammen : in jeder höchsten Stunde der Frau ist der Mann nur der Zimmermann Marias neben einem Gott . Man könnte sagen : insofern Mannesliebe so entgegengesetzt , aktiver und partieller und ihrer eignen
Entlastung bedürftiger ist , läßt sie ihn innerhalb ihrer selbst weit hülfloser werden als das Weib , das , totaler und passiver liebend , in Leib und Seele nach Raumerfüllung drängt , und einen ganzen Lebensinhalt zum Aufblühen , Aufglühen bringt , um ihn hineinzuwerfen . Charakteristisch wie es ist , daß es im Männlichen keinen Namen für Dirne gibt , für den rein passiven Sexualmißbrauch , so auch keinen für den Madonnentypus : für die positiv Geheiligte ; der Mann kann „ Heiliger “ immer nur geschlechtlich negativ , im Sinn der Askese , sein .
Die größere Konzentrationskraft auf dem Liebesgebiet , diese zusammenhaltende Gesamtbeziehung auf ein Einziges , die der Mann eher auf andern Gebieten wettmacht , stellt das Weib sicherlich in einem Punkt von gewaltigstem Lebenswert oft hoch über ihn . Allein es ist doch notwendig , das : richtig abzuschätzen als ein natürliches Produkt ihrer geringern Differenzierung . So könnte man z. B. finden , daß der Umstand allzu preisend betont wird , wie häufig ein weibliches Wesen grade deshalb ins Unglück stürze , weil selbst nach flüchtigem , sinnlichem Momentrausch die seelische Anhänglichkeit bei ihr nachfolge . Es ist aber doch nicht abzusehn , was sie ethisch vor dem leichtfertigen Mann dadurch voraushat , daß sie , hinterher den Schaden besehend , zu eignem Schrecken ihre Leichtfertigkeit verstrickt findet in allerlei tiefere Affekte . Man kann diese schwerere Löslichkeit der leiblich-geistigen Triebmasse sympathisch nennen , doch mit Unrecht setzt man es dem Mann ins Unrecht , nur , weil in einer Frau so vieles sich mit verführen ließ , was sie gar nicht mit gemeint hatte .
Daß Frauen sich um jeden Preis , mit allen Mitteln , weiter differenzieren möchten , und dabei doch Liebende non plus ultra bleiben , ja immer noch mehr werden , in Madonnen- und Mutterhoheit , das ist nicht ganz , konsequent . Wohl
aber wäre es denkbar , daß klare Erkenntnis sie der eigenen Leiblichkeit etwas anders gegenüberstellte als früher . Eine neue , feine Scham ließe sich denken , die nicht der leiblichen Hingegebenheit so prüde mehr gilt , wie die traditionelle Erziehung es zur zweiten Natur machte , sondern eher im Gegenteil grade deshalb zu jeder Selbstzucht sich erzieht , weil die physiologische Genußfreude seelischen Vorgängen Tür und Tor öffnen müßte : die Pforte zu dem innersten Selbst , das sich nicht preisgeben will , zu jenen kostbarsten Geschenken von Mensch zu Mensch , die , einmal vergeudet , sich nie wieder ganz zurücknehmen lassen , weil sie wir selber sind .
Wird im weiblichen erotischen Affekt so viel Psychisches sogar wider Willen in die Physis mit hineingerissen , so gewahrt man aus den gleichen Ursachen das entgegengesetzte Schauspiel bei geistigen Erkrankungen . In seinem Werk „ Die sexuelle Frage “ erörtert Forel diese Tatsache , daß die Sexualität , bei den Männern die niedern Hirnzentren affizierend , beim Weibe im Großhirn lokalisiert erscheine , „ dem Sitz der Geistesstörungen “ . „ Wenn man , selbst in weiblicher Begleitung , durch die Männerabteilung der Irrenanstalt geht , ist man über die blöde Gleichgültigkeit und sexuelle Indifferenz fast aller geisteskranken Männer erstaunt , “ sagt er , und von den Frauen : „ selbst die sittsamsten und sexuell kühlsten Frauen können , wenn sie geistig erkranken , dem wildesten Erotismus verfallen , und zeitweilig sich wie Prostituierte aufführen . “ So wird selbst das letzte Wort , selbst das geistiger Zerstörung , selbst das des tragisch ungewollt Dirnenhaften im Weibe , noch zur Bestätigung für das All- eine , das ihr die Liebe ist .
Das Wesenbestimmendere des Sexualcharakters für das Weib läßt die Entwicklung auch des gesundesten in einer
gewissen Zickzacklinie schwanken zwischen dem Geschlechts- und individuellen Leben ; sei es , daß Frauen und Mütter ihre individuellen Anlagen verkümmern fühlen , sei es , daß sie sie entwickeln müssen auf Kosten des Frauen- oder Muttertums . Trotz der vielen Rezepte , die in dem Punkt empfohlen werden , als handle es sich um eine aufhebbare Störung , gibt es nicht eine allgemeingültige Lösung für diesen Konflikt und kann es keine geben . Aber anstatt in ihm eine Tragik zu bejammern , die damit dem weiblichen Geschöpf anhafte , wäre es besser , des unendlich Lebendigen sich zu freuen , in das die Frau dadurch hineingestellt ist , indem sie ihre Entwicklung nicht in grader Linie abschreiten kann , sondern die Widersprüche ihrer Sachlage sich nur von Fall zu Fall , in höchst persönlicher Tat , schlichten lassen . Denn es ist etwas , was selbst dem kleinsten Frauenschicksal eine große Bedeutsamkeit zu geben vermag , daß es jedesmal von neuem sich so ursprünglich mit dem innern Leben auseinanderzusetzen hat und es bewältigen muß in eigenster Initiative , und nichts Geringeres ist es , als was der Mann in seinen Kämpfen mit dem Dasein „ draußen “ ausgefochten hat , von den Zeiten der Urwildnis an . Ist er darum , auch jetzt noch , nur gerecht zu beurteilen im Zusammenhang mit seinen Außenleistungen , so liegt für das Weib alles in dem Einen beschlossen , wie sie das Daseinsrätsel in sich selbst zum Austrag brachte , und dies ist der Grund , warum Anmut auch noch im höchsten Sinn das Wertmaß ihr gegenüber bleibt , wie es schon ihre leibliche , natürliche Bewertung bildet . Daß „ ethisch “ und „ schön “ auf eine feine Weise das Gleiche bedeuten können , wie „ geheiligt “ und „ sexuell “ : darin drückt sich Vorrecht wie Grenze des weiblichen Geschlechts für immer aus .
Fast als Entgelt für solche einseitig-allseitig getragene Ge
schlechtsbetonung , Überbetonung , sollte es wirken , wenn früher als beim Mann in dem Weibe die Sexualität im physiologischen Sinn außer Tätigkeit tritt : wenn vor dem Eintritt in eigentliches Greisenalter dies ein Sich-Ausblühn all dessen gewährt , was das Leben an Liebe zu köstlichem Wachstum großgezogen hat . Denn – anders wiederum als beim Mann – kennzeichnet es auch hier nicht ein Negatives nur , nicht den Mangel gegenüber Neu-Ausgaben , sondern der Wert gesammelter Einnahmen gelangt daran zu seiner Sichtbarkeit , – hat sich mit seiner Fülle erst dran auszuweisen , gleich einem Hamsterbau vor beginnendem Winter . So liegt eine feinste Liebesnachwirkung grade über diesem Reinmenschlichsten , Geschlechtslosesten des Weibtums noch , etwas , worin des Daseins Inhalt zu so feierlicher Ganzheit sich abrunden soll , wie sie nur dem Blick von Kind und Greis sich auftun könnte , würde er nicht durch Unreife oder Tod beirrt . Ähnlich wie nur in der Mutterschaft eine menschliche Beziehung voll , in ihrer Ganzheit , ausgelebt werden kann und eben deshalb in ewig-neuem Beginn , so gilt dies dadurch dem Weibe auch vom Leben selbst , in einer dem Mann unwiederholbaren Weise . Und um so mehr gilt es , um so größer ist ein Weib als Weib , in je größern Dimensionen ihr dies möglich ist , – je breitere Möglichkeiten , je stärkere Kräfte sie darin umgriff , ihrem Gesamtwesen organisch einzugliedern wußte , wie fern sie ihr als Weib auch gelegen haben , wie entgegengesetzt sie ihr gewesen sein mochten . Nie und nirgends in Einzelzügen oder Sonderrichtungen , mag man sie dem Inhalt nach noch so laut als spezifisch „ weiblich “ ausrufen , unterscheidet sie sich vom Manneswesen : lediglich in dieser Aufeinanderbeziehung ihrer aller zum Lebensinbegriff .
Hierauf beruht wohl die Hoffnungslosigkeit und End
losigkeit von Diskussionen , in denen , ziemlich gleichberechtigt , bald die ganze Schärfe des Weibgegensatzes zum Mann geltend gemacht wird , bald grade die Überwindung davon als Fortschritt gepriesen ; in denen dem Weibe hintereinander so ziemlich alle Eigenschaften , die es gibt , zu- und abgesprochen werden , so daß sie , immer mit ungefähr gleichem Recht , als Leichtsinn und Ernst , Tollheit und Nüchternheit , Unruhe und Harmonie , Laune und Tiefsinn , Klugheit und Dummheit , Zartheit und Derbheit , Erdgeist und Engel , darin auftritt . Denn in der Tat , unter den Weibbegriff fallen , aufs Einzelne besehn , ohne weiteres die unvereinbarsten Eigenschaften , – das Weib ist immer der Widerspruch selber : insofern , ihrem schöpferischen Tun nach , das Lebendige selber in ihr an seinem Werke ist .
MÄNNLICH UND WEIBLICH
ETWAS Ordentliches , Tüchtiges im Mann entrüstet sich zeitweise über diese ganze Weibesart , auch Liebesart , die abwechselnd ihn verwirrt , ihm imponiert oder ihn als verächtlich berührt . So sehr man beider Übereinstimmung in Dingen der Liebe auch wünschen muß , läßt es sich dennoch wohl begreifen , daß der Mann , erfüllt von seinen eignen Leistungsansprüchen , dem retardierenden Überschwang der Frau mit einigermaßen ungeduldiger Gebärde gegenüberstehn kann . Sicherlich gab es ja in ganzen Zeitepochen , und gibt es auch noch in der Gegenwart , genug Beispiele von Frauenanbetung , dennoch wäre es immerhin erträglicher , wenn das Käthchen-Vorbild für extremste Weiblichkeit charakteristisch würde , als der Toggenburger für den
Mann . Denn ohne Zweifel spricht sich eine höchst bezeichnende Übertreibung unsrer Zeit darin aus , allein im Herausarbeiten des Liebesideals in seiner , alles in sich einbeziehenden , Vollkommenheit schlechthin das Wichtigste zu erblicken , die Harmonisierung des Menschentums , das „ Eine , das not tut “ . Es ist eine weibliche , für Männer-Idealbegriffe etwas weibische , Übertreibung , die übersehn läßt , wie sehr unsre Kräfte überhaupt nur auf wechselseitige Kosten zur Entwicklung kommen , wie höchstmögliche Leistungen den Verzicht schon einschließen auf alle mögliche , leibliche oder geistige , Harmonie , wie vorwärts suchende Selbststeigerung durch vielerlei Selbstverstümmelung geht , und daß es nur Ruhepausen sind , die Raststunden der männlich-lebendigsten Beweglichkeit , worin sie feiernd oder liebend , zur Schönheit sich zusammenfaßt . Und wenn dies zu tun Frauen gemäßer ist als Männern , so legt es den Gedanken recht nahe , ob nicht dafür der Mann , jeder einzelnen seiner Anlagen nach , eben der stärker Veranlagte sei , – in jeder einzelnen sein Wesen weiter erstreckend , den Trieben nach sowohl wie auch dem Geiste . Seine erotischen und egoistischen Affekte sozialisieren sich dadurch anders , er steckt ihnen ihre Grenzen ab nach andern Seiten allgemein-menschlicher Tätigkeiten ; der Durchbruch des Gattungshaften , dieser geheimnisreiche Einfluß des Keimplasma auf die ganze Persönlichkeit , wird deshalb häufig grade beim tiefbeschäftigten , tüchtigen oder bedeutenden Mann eher vorkommen als ziemlich akut wirkende Anomalie , als ein zu Kopf steigender Rausch , wie als die neue Normierung , die im Weib Leib und Seele mitschwingen lehrt in den Rhythmen des Alllebens , ihre Einzelentwicklung damit immer wieder in Frage stellend . Um deswillen liebt er das Weib grade am besten , am stärksten , daß sie für ihn gleichsam
Gestalt geworden ist dessen , woraus er selber wurde , woraus seine Kinder werden , – liebt das , was im einzelnen das Weib unausgeprägter erhält , ja sogar ihren Körper unausgeprägter weich , ihre Stimme jung erhält : die Erbschaft von Mensch zu Mensch , – den Menschen als das in allem Seienden Mutter-Ewige , als das Kind-Ewige .
Die Geschlechtsdifferenz wird gegenwärtig für so tief begründet angesehn , daß sie , von keinerlei Entwicklung überholbar , überall auf Urgrund zu stoßen scheint . Allein eben hier liegt jedenfalls auch ihre Ergänzung durch sich selbst : denn je tiefer hergeleitet , desto gewisser müssen ihre Linien sich innerhalb des Umrisses von Mann und Weib an irgend einem Punkte kreuzen , – muß Leben , für sich fortwirkende Totalität , gleichsam doppelt gezeugt sein , wie jeder von uns abstammt von Vater und Mutter . In je tiefere Schichten wir in uns hinabsteigen , um so tiefer nur tut sich dieses zeugerische Ineinander von Zweiheit als Einheit , und Einheit als Zweiheit auf ; am meisten deshalb bei den geistesschöpferischen Tätigkeiten : als ob sie , wie aus Urfernen der Generationen , heraufholen müßten , was sie zu solcher Zweiheit befruchten kann , um selbsteigen Lebendes aus sich zu entlassen . In Übereinstimmung damit wird gern aufmerksam gemacht auf die verhältnismäßig gegengeschlechtlichen Züge an Künstlern , an der Genialität überhaupt : als eines , sozusagen , stationär gewordenen Zeugungszustandes .
Wo wir uns dagegen liebend verhalten , d. h. wo unsre schöpferische Erregung zu einem leiblichen Außenwerk ihrer ergänzenden Hälfte von außen bedarf , da mildert sich deshalb der Geschlechtergegensatz nicht nur nicht , sondern spitzt sich daran erst zu seiner vollen Schärfe zu . Alles , was sich in uns selber unter dem Einfluß des erotischen Affekts zusammen
faßt , bindet , miteinander vermählt , scheint dies nur zu so einseitigstem Zweck zu tun ; ja die Einzelperson erscheint förmlich überladen als Trägerin ihres Geschlechts : nur als die Ergänzung , die „ andere “ Welt , erhebt sie sich zum geliebten Ein und Alles . Und tatsächlich läßt sich der entscheidende Charakter dieser Zustände und Vorgänge auch nur näher darstellen , feststellen , innerhalb einer solchen gewissen Übertreibung , indem der ganze Begriffsinhalt von „ männlich “ oder „ weiblich “ jedesmal unverkürzt aufgehäuft wird auf den einzeln gegebenen Mann , die einzelne Frau .
Insofern muß eine dadurch unberücksichtigter gebliebene Seite der Sache nachbetont werden , die diese erst aus dem allzu Flächenhaften der Gedanklichkeit ins mehrseitig Beleuchtete , Vollwirklichere rückt : nämlich der Umstand , daß auch in Bezug auf die Einzelpersonen das Erlebnis der Liebe einen Doppeleinfluß ausüben kann .
Beruht schon alle Liebe auf der Fähigkeit , das Andersartige mitempfindend in sich zu erleben , und läßt sich von ihren stärkeren Äußerungen geradezu sagen , beider Liebenden Erlebnis sei infolgedessen identisch , so trägt sie bereits damit ein doppelmenschliches Antlitz : umfängt , ungefähr wie leiblich in der Empfängnis , das Geschlecht des andern in ihrem Gefühlsausdruck . Das befähigt sie , ungeachtet der Verschärfung des Geschlechtscharakters , dennoch daneben Züge zu gewinnen , in denen sie ihren eignen Geschlechtsgegensatz gleichsam wiederstrahlt . Freundschaft zwischen verschiedenen Geschlechtern , wo sie wirklich ganz unerotisch gefärbt bleibt , wäre möglicherweise herzuleiten von ähnlicher gegenseitiger Wirkung auf solche Wesenszüge , die nur andeutungsweise vorhanden , weil nur Rudimente des Gegengeschlechts sind , – wodurch der Sexualanteil an der Beziehung sich von selbst ausschaltet . Sind jedoch derartige Züge schon von Haus aus
Wurde in den leiblichen Vorgängen das Keimplasma zur Ursache , die das am latentesten in uns Gebliebene steigernd auf alles zurückwirken läßt , so wird hier die geistig eingehendste Liebe der gleiche Anlaß , in uns das lebenwirkend zu lösen , was in unsrer eignen Entwicklung nicht mitvorgesehn war . Der Affektrausch , den der physische Erregungsgrund entband , erscheint darin fast völlig aufgebraucht zu solchem positiven Schaffen neuer seelischer Tatbestände . Und durch nichts beweist er , der ursprünglich wahnbildende , sich so als Leben , wie daß er auch dabei noch nicht stehn bleiben mußte , zwei Menschen zu einen in sich und im Kind , sondern in jedem von ihnen sogar wiederum jene Zweiheit hervortreibt , die allem Werden schöpferisch eingesenkt ist , auf daß es über sich hinaus wachse . Zum ersten Mal erstrebt er hier selbständig seine geistige Gegenleistung für dieses „ über sich hinaus “ , für das Kind . Darum , wenn schon physische Liebesekstase , durch ihre alles in uns einigende Kraft , ein Glücksempfinden in sich selber trägt , so kann dies letzte , seltenste Liebeserleben abnorm betont , so pflegt sich auch hieraus Erotik zu entwickeln : die der gegenseitig verkehrten Sexualität . Innerhalb dessen sind dann alle Anklänge möglich , an jeden geistigen Hermaphroditismus , bis in sein leibliches Mittönen , und jedes Liebesverhalten endlich zum eigenen Geschlecht . In solchen Fällen ist es , als ob die Doppelung , die unser aller Wesen mitbegründet , in der Wirklichkeitswelt ihren einseitig eindeutigen Halt verloren hätte , so daß sie sich nicht daran vereinheitlichen kann , gleichsam das erlösende Wort für ihre Entzauberung nicht findet . Dadurch berührt das Problem sich mit dem der zeugerischen Zweiteilung und auch der geisteschöpferischen Tätigkeiten : fast , wie wenn irgend etwas um den Ausweg in diese betrogen worden sei , sich statt dessen in die Leiblichkeit verrannt habe , und , in ihr eingefangen , zur physischen Sinnlosigkeit verkrüppelt , sich in die Welt des Einheitlichen zu befreien suche , indem es umsonst ( d. h. : steril ) nach dem gleichgeschlechtlichen Partner greift .
sich innerlich nur als Glück und Erfüllung herausstellen . Ein richtiger Instinkt läßt uns ahnen , daß Liebe , ihrem ursprünglichsten , wie ihrem vollendetesten Sinne nach , ohne weiteres lebenschaffend und beglückend wirke ; daß da , wo ihr Außenschicksal sie anstatt dessen in Not und Tod verkehrt , es nicht ihre eigene Stärke ist , die dies so unüberwindlich macht , sondern im Gegenteil etwas Unvollendetes an ihr , das sie im Gefühlsmäßigen , Leidenden , und einer halb eingebildeten Zusammengehörigkeit stecken läßt . Denn grade hier , wo die Liebenden noch einmal , – wie im Anfang fast , – ganz in ihren eignen Innenvorgängen ihr Schicksal tragen , erscheinen sie nun erst ganz fest einander verbunden : in einem Zusammenhang zwar , der sich nicht mehr beschränkt auf die engste Ergänzung zweier Hälften , – und noch weniger diese Gegensätze abzuschwächen sucht durch Hinzufügung ergänzender Fremdbestandteile zur Liebe . Der vielmehr , in einer jener Paradoxien , wie sie nur das schöpferische Walten aller Dinge selbst ersinnen kann , zwei Menschen , Mann und Weib , eben dadurch ineinander auflöst zu überpersonaler Einheit , daß er jeden von ihnen heraushebt zu seiner tiefsten Unabhängigkeit in sich , – seiner all-ewigen Selbstheit .
WERTMASSE UND GRENZEN
WAS SICH so an einem Einzelteil herausstellen kann : daß grade das Lebendigste , die Lebensspitze dran , nicht eindeutig fixiert werden konnte , sondern der scheinbar widersprechenden Nachtragungen bedarf , das macht sich auch fortwährend hinter der Gesamterörterung einer Sache geltend . Es macht beinah den Anspruch , die Maßstäbe und
Abgrenzungen für sie von Zeit zu Zeit auch wieder zusammengeschoben und auf den Kopf gestellt zu sehn , das ursprüngliche Durcheinander hergestellt , worin sie noch nicht schön klar und übersichtlich war , aber dafür wirklichkeitsbunter . Insbesondre erscheint es notwendig , sich zu erinnern , wie sehr es sich speziell bei dem vorliegenden Thema um eine unlösbare Gesamtheit von Phänomenen handelt , von denen jeder einzelne Zug auf alle übrigen mitbezogen ist , und auch die obersten Resultate immer wieder an das unterste anknüpfen müssen .
So darf man auch nicht vor dem Letzten , Höchsten stehn , was sich daran schildern läßt , ohne ihm ein sehr heiliges Recht zuzugestehn : sich niederzuneigen bis immer wieder zum Anfänglichsten noch zurück , – und um so tiefer nur , je höher es selber stieg . Als gliche es dem indischen Feigenbaum darin , der Erde Wunderbaum , dessen Astwerk seine hängenden Zweige zu Luftwurzeln umbildet , damit er , stets von neuem in ihnen den Boden berührend , lebende Tempel auf Tempel aufeinanderzugliedern vermag , an denen jede einzelne Abzweigung wieder das nächsthöhere Astwerk säulenartig stützen muß , während über allem die Krone des Mutterstammes , des Stammes aus Einer Wurzel , im Sonnenlicht rauscht .
Schon in der Tierwelt durchschauen wir fast nichts an den Erscheinungen , die sich uns auch in ihren seelischen Äußerungen nur so physisch darbieten , und doch waltet im tiefen , kaum belichteten Dunkel dieser für uns untersten Naturtempel ein Leben , dem unsern vergleichbar . Nicht zufällig stoßen wir ja dort schon auf Entzückungen der Geschlechtsliebe bis zu den zartesten ästhetischen Äußerungen neben den brutalsten , nicht zufällig auf die opfermutigste
Fürsorge füreinander und für die Brut . Sind uns doch sogar Papageien- und Affenarten ( leider sollen es gerade die weniger menschenähnlichen sein ! ) in ihrer monogamischen Veranlagung ganz gründlich „ über “ , und müssen uns doch sowohl Bienen wie Ameisen ebenso verdrießend wie beschämend zu Musterbildern sozialen Instinkts werden , die wir nie auch nur im entferntesten erreichen können .
Einigermaßen ähnlich verhält es sich auch schon mit den stehngebliebenen Rassen , die zeitweise als Paradiesesmenschen angesehn , dann wieder als Antikulturelle mißachtet , trotz Roheit oder Grausamkeit ihrer oft ritual bedingten Sitten , uns daneben dennoch an mancher natürlichen Reinheit , Güte oder Treue übertreffen mögen . Wandelt doch gerade das sexuelle Erleben im wesentlichen das ab , was das primitive Geschöpf gleich uns ausmacht ; ist doch , was am Menschen geliebt werden kann , Tiermaterial , unter dem Einfluß sich steigernden Intellekts , und äußert dieser sich doch überall in zwei sehr verschieden wirkenden Richtungen : das gegebene Triebleben sublimierend oder – ruinierend .
Es ruinieren , würde hier heißen , das Sexuale unter hirnbegabten Wesen nicht ihnen entsprechend erleben , – nicht so , daß das Hirn der schließliche unwillkürliche Empfänger immer zusammenfassenderer Erregung ist , sondern selber ein künstlich mißbrauchender Erreger körperlicher Teilgenüsse . Die immer freiere Beweglichkeit des Instinktlebens , endlich die Sprengung der noch tierisch geregelten Brunstzeiten , würde von ihm benutzt , um es desto beliebiger zu zerstücken , zu vereinzelnen , es sozusagen wieder dem minder Belebten , oder Leblosen , anzuähnlichen , das sich zu Stückwerk aufbrauchen läßt , anstatt immer voller empfundener Lebenseinheit , verstärkten , vermählenden Mitfühlens , er
höhter Gesamtbeteiligung . Der raffiniert gewordene Verstand , mit des Lebens Leben hantierend wie mit ihm unterstelltem totem Material , illustriert den Triebruin und die Geschlechtssünde .
Das Entgegengesetzte geschieht dem Intellekt im Sublimieren des Sexuellen : da übertreibt er die Steigerung des immer Belebtem vor sich selbst , indem er ihm bereits seine eignen geistigen Maßstäbe aufdrückt , die noch nirgends hin passen und ihn ins Illusionäre verführen . Für das praktische Verhalten entwickelt sich daraus ein beträchtlicher Leichtsinn . Denn in Wirklichkeit sind ja die Sexualtriebe den selben Gesetzen des Begehrens und der Sättigung , der abnehmenden Reizstärke durch Wiederholung , des draus folgenden Verlangens nach Wechsel , unterworfen , wie der ganze Bereich des Animalischen überhaupt . Man wende nicht ein , daß Individualisieren und Verfeinern der Triebe dies ändere : es individualisiert und verfeinert lediglich den Ablauf . Wo etwa vor Zeiten ein Eheherr auf Reisen ohne weiteres ein Ersatzweib für das seine schon dadurch fand , daß es der gleichen Sorte von Braunen oder Blonden , Dünnen oder Dicken glich , da unterscheiden wir jetzt oft bis auf das haarspaltend Äußerste : aber dafür sind wir so viel ständiger mit irgend etwas von uns „ auf Reisen “ , abwesend , einsam , suchend ! Grade die Differenzierung erhöht das Bedürfnis nach so Verschiedenem in verschiedenen Zeiten und Menschen , und läßt den Variabilitätsdrang dadurch ebensowohl an- wie absteigen . Man soll deshalb der Erotik ruhig zugestehn , was sie schön und gefahrvoll macht ! Ihr rasch ablaufendes , rasch erfüllbares Wunschleben hat mit Dauer selbst da nicht naturnotwendig zu tun , wo es von Intellekt und Seele noch so reich , stark und fein zu einem Fest des ganzen Menschen
ausgestaltet worden ist : wohl aber geht ihre eigene Meinung naturnotwendig jedesmal dahin , daß es von diesem Fest nie ein Erwachen geben werde . Und hierin allein liegt , was ihren Leichtsinn erhebt , ja ihn unter Umständen jeder Größe beigesellen kann .
Zuständen , die hoch über das Mittelmaß hinausreichen , entschwindet das Zeitbewußtsein , die Vorstellung eines noch möglichen Nacheinander , infolge ihrer alles einheitlich und ungeheuer konzentrierenden Kraft ; grade solche , sich an ihrer eignen Heftigkeit am allerraschesten verbrauchenden , deshalb vergänglichsten , Zustände sind infolgedessen wie von tiefer Ewigkeit umgeben , – und erst dieser von ihnen unabtrennbare , fast mystisch unter all dem übrigen wirkende , Akzent läßt ihr Glück selig , ihr Weh tragisch erscheinen . Zwei Menschen , die vollen Ernst machen mit diesem Vergänglich-Ewigsten , es als einzigen Maßstab an ihr Tun anlegen , keine Treue wollen als die ihres Seligseins aneinander , leben einer anbetungswürdigen Tollheit : wenn auch menschlich-schöner oft , als manche lange , echte Treue aussieht , die , unbewußt vielleicht , doch nur einer Verlustfurcht oder Lebensfurcht , einer Habgier oder Schwäche , entstammte . Sie bringen es mit allem Aufwand ihrer glühenden Farben zu einer halbfertigen Liebesskizze nur , aber mehr tiefstes Können und Vollenden kann sich darin aussprechen als in manchem ausgeführten Lebensgemälde . In solchen Fällen ist es geradezu , als sammle sich um den echten Liebesleichtsinn , angezogen von seinem kühnen Glauben , oft alles Große auch , jede Gesinnung der Zartheit und der Aufrichtigkeit , – die nur mehr eins noch fürchtet : ihre ureigene Ethik zu verletzen , weil alles , was außer ihr ist , unter ihr ist .
Die Tragik aber , daß der erotische Affekt sich wahnhaft überlebensgroßen Gesetzen unterstellt , äußert sich nicht bloß an seinem Vergänglichsein , sondern auch , sozusagen , am Zerrbild seines Ewigseinwollens . Denn wo sein Affekt- und Illusionscharakter nicht nachläßt , – oder vielmehr , wo es zu spät geschieht , – da wandelt er sich zu einer Krankheit der Überspannung dessen , was dem Wesen nach auf das nur Temporäre eingerichtet ist . Zu einer Art von Giftwirkung kondensiert , in den treibenden Kräften des Organismus isoliert , mit seinen Exzitantien gleichsam mechanisch , nicht mehr lebendig steigernd , wird er ein Gewaltstoff , Fremdstoff , den der Gesunde auszuscheiden sich bemüht , und sei es in dauerndem Fieber des Kampfes . Für das Affektive des Erotischen heißt die natürliche Fortentwicklung eben nicht : sich erhalten und retten quand même , vielmehr : sich aufgeben , sich zurückgeben an den Kreislauf und Wechsel fließenden Lebens , dem es entstammt , – an das , wodurch es bis zum letzten Unkenntlichwerden aufgelöst wird , anonym mitverarbeitet zu souveränen Zwecken .
Wie das erotische Einanderbedürfen nur ins Seelisch-Sterile gesteigert würde durch weitere gegenseitige Vergottung , während es durch das Kind , im Dienst am ganz Primitiven , erst zum wirklichen Eingehn in das „ andere “ gelangen muß , und damit in das Leben : so verhält es sich auch dem Ganzen nach . Von den Höhen des Affekts aus , muß die Entwicklung , um weiterzugehen , wieder ganz unten einsetzen : in dem ihm scheinbar Entgegengesetztesten , von ihm Ablenkendsten , Absteigendsten , – im gemeinsamen Werktag am alltäglichen Leben .
LEBENSBUND
DASS ABER unsere Liebesträume uns nur so hoch entrücken , um , wie von einem Sprungbrett , diesen Sprung zu tun von ihrem Himmel auf die Erde hinab , das bekommt ihnen desto besser , je machtvoller sie als Träume waren . Denn als ursprünglich bloße Begleiterscheinungen , Überschüsse , an den leiblich bedingten Vorgängen , und dadurch ins Wahnhafte verflüchtigt , sind sie ja schon ihre eignen Wirklichkeitsvorläufer , Lebensverlanger , Zukunftszeichen , Versprechen ; ihr Lebensinstinkt muß in die ganze Breite des „ Wirklichen “ , Simplen , Grobgegebenen greifen , wie ein ins Gespensterhafte Verzauberter nach seinem Leibe greift , und war es die unscheinbarste Leibhaftigkeit , um daran zu sich selbst zu kommen .
Aber es ist nicht unverständlich , warum Leute im Liebesrausch , und mit ihnen Sensitive jeder Art , den Kontakt mit dem Außendasein dennoch als Enttäuschung empfinden können : und nicht allein eine mißratene Verwirklichung ihrer Träume , sondern auch die bestgeratene schon , – ihr Sich-einlassenmüssen mit dem groben Material an sich . Ist doch , was ins Leben tritt , damit gleichsam ein Sterbeakt dessen , was es war , – als Tod um so fühlbarer , je mehr es eine geistig gegebene Einheit war , – äußert es sich doch in einem Auseinanderfallen in Teilungen , Vermischungen , an denen die Erstgestalt so sicher zerbricht , wie der Keim im Mutterleibe unter dem lebenvermählenden Anstoß , der ihn furcht und gliedert . So ist auch zuzugeben , daß Liebesrausch und Lebensbund einander nicht ähnlich bleiben , daß der Hohn nicht total
unrecht hat , der von ihnen behauptet , das eine finge ungefähr da an , wo das andre aufhörte , – und daß es auch hier nicht nur an einem mangelhaften Gelingen liegt , vielmehr bereits enthalten ist in zwei grundverschiedenen Methoden des Erlebens der Liebe .
Denn der erotische Affekt vollendet sich darin in der Tat nur in dem Sinn , wie der Fluß im Meer , und sieht damit seine besondere Art von Gefühlsethik , – wonach er allein eine Gemeinsamkeit adelte oder aufhob , – zunichte werden , – von breitern außererotischen Zusammenhängen miteinbegriffen werden . Ein Lebensbund ist erst in dem geschlossen , was das Hinschwinden eines frühern Affekts , das Hinzukommen eines spätem zu überdauern den Willen hat , – was sich wertvoll genug weiß , um auch auf solche Opfer einzugehn : weil ein Leben darin ausgetragen werden will , das der gleichen Sicherung und Schonung , des gleichen Opferwillens bedarf , wie die leiblich gezeugte Frucht . Im Grunde ist das zwar nichts andres , und auch um nichts mehr , als was man ohne weiteres von jedem erwartet , der sich einem Dienst , einer Sache , auf jedeGefahr hin verpflichtet hat , und sich grade da am meisten schämen würde , an ihr zum Überläufer zu werden , wo er selbst sie in Gefahr gebracht hätte . Dieser männlichere Begriff der Treue muß dem gefühlsmäßigen , oder dem auf weiblich-instinkthaftem Triebzusammenhang beruhenden , hinzugefügt werden : das rein persönliche Belieben , das manchmal auslangt , aber letzten Endes alles auf eine Temperamentsfrage basiert , muß darin überwunden sein . Erst das Hinaussein über das Subjektive allein ( als wie „ sittlich empfunden “ es sich auch gab ) , – ja , wenn man so will , erst das Einbegreifen eines asketischen Moments , unterscheidet Liebesrausch und Lebensbund , und es unterscheidet
sie prinzipiell . Wie es eine altvaterische Äußerlichkeit wäre , sich dabei nach der bürgerlichen oder kirchlichen Sanktion zu richten , so bleibt es eine moderne Weichlichkeit , diese innere Sanktion und Bindung möglichst ins Unklare gerückt zu lassen , und sich vor dem Wort „ Askese “ zu bekreuzigen , als ob irgend ein übersubjektiver Zweck überhaupt erreichbar sei , ohne prinzipielles Zugeständnis an sie als Mittel .
Auch wo es auf das Entscheidendste erotische Liebe war , was den Lebensbund begründete , lernt sie doch darin erst sich so zu verhalten , wie es ihrem intermittierenden Charakter eigentlich in höherm Sinn entspricht : nämlich raumgebend . Denn der Geist , der sie ja selber emporgehoben hatte aus bloßem Sexualtrieb zu einem Fest und Glanz der Seele , bleibt ihr auch da , wo er sie seinem Arbeitstag einordnet , seinem ihr abgewendetesten Tun , doch der ihr einzig mögliche Erfüller . Und Schutzherr auch : indem die Treue ihr gegenüber , nun nicht mehr das überschätzte Einzige , dafür gleichsam verknüpft erscheint allen Treuen im Lebensverhalten , und indem deren Bruch aus einer bloßen Liebeskränkung zu einem Antasten des Lebendigen wird , woran zwei gemeinsam schufen , zu einer Art von Vergehen wider keimendes Leben . Wäre deshalb der Liebesrausch auch vor dem eingegangenen Bunde schon ein ganzer Blütenbaum gewesen , der lange blüht , ehe er welkt , so würde er diesem Boden doch ganz neu eingesenkt zu einem ganz neuen Wachstum . Aus dem , was sein Blühen bestimmte , der Sensation , wäre er herausgehoben , und in das , was ihn zu verwelken pflegte , die Gewöhnung , eingepflanzt : denn für die Lebendigkeit der vollen , in allem gleichbetätigten Gemeinsamkeit ist das Aufreizende und Aufrüttelnde im Kommen und Gehen der Sensationen nicht mehr maßgebend . Liegt
in solchem Auf und Ab der physiologischen Funktionen , und der von ihnen bedingten Affekte , direkt einer ihrer Lebenswerte ausgedrückt – scheint das Dasein uns daraus zuzurufen : „ halte dich nicht wie an einem Endziele auf ! Hier mußt du hindurch ! “ so verlangt der Geist , weil bei sich selber am Ziel , ein Dienstbarwerden des Vorübergehenden , den Bestand . Wo deshalb das Erotische sich so konzentriert ausgibt , als gelte es , sich in diese Momentewigkeit zu retten , um die Vergänglichkeit dennoch zu übertrumpfen , an die es gefesselt ist , – da breitet der Geist es wieder ins Zeitliche aus , in das Nacheinander der Dinge , an denen er zur Tat wird . Denn während in der aufdringlich zusammengefaßten Vollendung das Affektive – wenn auch sozusagen mit geistigen Allüren , – es noch dem Physischen nachmacht , dessen Einzeldinge sich uns einmalig für allemal in ihrer gröbern Wahrheit vor Augen stellen , bewahrheiten geistige Vorgänge sich entgegengesetzt : nur als ein fortgesetztes Sich- zur-Tat-erneuern , das angelegt erscheint auf endlose Zeit und unerschöpfliches Material . Das Geistige , als die lebendigste Steigerung , kann eben ihrerseits ihre Ganzheit garnicht mehr anders darstellen , als indirekt , sinnbildlich , als Initiative , als fruchtbare Zergliederung in die gegebenen Einzelheiten .
Aus diesem Grunde ist ein gewisses immer wieder Hineinführen in das noch zu Vollendende allem geistigen Verhalten eigen , und ist das , was der Geist berührt hat , ungeachtet seiner Steigerung , von außen am unfertigsten anzuschauen . Auch für den Lebensbund der Geschlechter wird dies stets bezeichnend sein , und , gerade in den idealsten Fällen , wird drin Höchstes mit Trivialstem so durcheinandergehn dürfen , daß nichts mehr sich vornehm davon zurückhalten kann , sich erneuern zu lassen bis zur Unkenntlichkeit seiner ehe
maligen selbstgenügsamen Vollendung . Dieser Mischmaschcharakter , den man mit großem Unrecht aller Ehe zum Vorwurf macht , ist ihr keineswegs nur aus äußerlich naheliegenden Gründen aufgeprägt , vielmehr der innere Gesichtspunkt von dem aus sich alles in ihr umorganisierte , ergibt diese gleichmäßigere Bewertung , den verhältnismäßigen Wert selbst noch des simpelsten oder sprödesten Materials . Wenn es in jeder Eheformel irgendwie heißt : „ for better and worse “ , so liegt darin nicht nur ausgedrückt , auch im Ertragen des minder Angenehmen müsse sich die Liebe beweisen : es darf tatsächlich besagen , daß ganz anders als im Liebesrausch Gutes wie Schlimmes wertvoll geworden sei , verwendbar , für den Endzweck der vollen Lebensgemeinsamkeit . Und so gilt es auch für die Beziehung der zwei Menschen zueinander , daß sie gewissermaßen alles umfaßt . Fast könnte man meinen : wiederum , wie in der erotischen Verhimmelung , fänden sie sich gegenseitig in jede Gestalt , jede Wirkung hinein , die der Wunsch phantastisch eingab . Nur ist der Sinn nicht mehr derselbe , weil herausgeboren diesmal aus dem tiefsten Eingehn in die Bedürftigkeit des Wirklichen ; nicht auf eine Schönfärberei am andern geht er , sondern auf eine Arbeit an sich selbst , die mit ungeahnten Kräften begabt und wandelt , wo es gilt , ihm hinzuhalten , wessen er bedürftig ist , – und , je nach dem Maß der Liebe , gibt es keine letzte Grenze da . Gatten einander sein , das kann gleichzeitig heißen : Liebende , Geschwister , Zufluchten , Ziele , Hehler , Richter , Engel , Freunde , Kinder , – mehr noch : voreinander stehen dürfen in der ganzen Nacktheit und Notdurft der Kreatur .
SCHLUSS
INNERHALB des Lebensbündnisses scheint auf diese Weise sich beinah – wie in einer Rekapitulation – noch einmal alles ebenso untaxierbar gleichwertig ineinander zu verbinden , wie es für das Ganze des Liebesproblems selber charakteristisch ist . Und ähnlich wie man den primitivsten Sexualvorgang schon , – die Totaleinigung zweier Zellen , – gewissermaßen als ein Bild vorwegnehmen konnte für die feurigsten Liebesträume , so scheint auch hier ein Bild nahezuliegen , – eine Umschreibung der Lebensgemeinschaft , ebenfalls als reines Symbol erst , ohne Inhalt noch : in den äußern Formen ihrer Sanktion als Ehe . Und geht jenes einfachste Sexualereignis nach eigenen Gesetzen zu immer reichern Zusammenhängen über , deren innere Bewertung sich immer mehr uns entzieht , so lassen sich auch hier zwischen der leeren Formgebung und dem Gehalt des innern Erlebens darin , nirgends die Werte messen , nur ratend ablesen von den verschlossenen Außenzeichen . Wie aber das Geschlechtsleben nicht erst durch seine höhern Kundgebungen zugänglich wird und überall seinen Grundboden unter sich behält , so öffnet sich auch die sozial anerkannte Gemeinschaft jedem Paar und seinem Kinde , gleichviel wie wenig tief es von diesem Außen in das Innere des Verhältnisses zueinander eingehen mag . Auf beiden Gebieten , leiblichem wie geistigem , affektivem wie sozialem , wird der unbegrenzte Reichtum der Dinge immer nur von einigen ganz zu erfassen sein , und im Lieben , wie in allem , bleibt das Höchste das seltene Werk der dazu geborenen Ausnahmemenschen . Was indessen
deren Genialität darin verkörpert , das hat immer wieder das Wegweisende darzustellen , die Hilfe und Hoffnung für alle , die auf den tausend Wegen gehen von unten hinan , wie von außen hinein in das Reich des Geschlechterbundes . Denn nicht das ist das Höchste und Seltenste , das Niedagewesene zu finden , das Unerhörte zu künden , sondern das alltäglich Gewordene , das allen Gegebene , aufzutun zur ganzen Fülle seiner Möglichkeiten im Menschengeist . So , wie wir im Morgennebel jedesmal meinen , in Flachland dahinzuwandern , bis die Sonne ihn berührt , und Bergesgipfel darin aufglänzen läßt , oft von unserm Erdboden so nebelgetrennte , daß sie gleich Phantasmagorien wirken , – immer höhere noch , immer fernere , – und doch auch die unerreichbarsten unser noch , in unser Leben mit hinein gehörig : unsere Landschaft .
Derjenige Liebes- und Lebensmut jedoch , der sich zu neuen Träumen in uns erhebt durch den Blick auf solche Gipfel , und unsern Schritt beflügelt , läßt sich nicht mehr in das Spezialisierte und in das Wort hinein weiter verfolgen ; außerhalb einer gewissen Vergröberung und tag-scharfen ( auch banal-scharfen ) Belichtung der Dinge , werden sie nur in so schemenhaften Allgemeinheiten für uns noch deutbar , so sehr ohne sich ins Bestimmte zu teilen und zu sondern , wie man etwa an einer Engelschar nur helle Schwingen und Gesichte unterschieden dächte , und wüßte ihrer Namen keinen . Ist wirklich auch noch diese verschwiegenste , kraftbeanspruchendste Innenarbeit ebenfalls ein Erleben geworden zu Zweien , so ist sie schon wie eine Religion zu zweit : der Versuch , sich und einander in Beziehung zu setzen zum Höchsten , was man noch eben mit dem Blick erreichen kann , um es zu wandeln zu einem Erlebnis des Täglichen . Damit aber ist es auch gleichzeitig ganz und gar ein Werkschaffen geworden , und
nur als ein solches zugänglich : und so in einer viel tiefern Heimlichkeit stehend , unbefugten Augen noch viel sicherer entrückt , als selbst die heimlichsten Geheimnisse der Liebe . Denn während diese sich entweder absichtsvoll verstecken , d. h. sich hinter Fremdes stellen muß , oder sich laut , d. h. pathetisch , äußern muß entsprechend ihrer überschüssigen Gefühlsfülle , ist hier gleichsam kein Gefühl mehr ledig , sondern verkörpert in seinen selbsteignen Handlungen und Gedanken : garnicht mehr als Gefühl unterwegs , sondern seinerseits allen Dingen in sich Obdach gebend , – ja nun grade in allem ganz , und auch im Geringsten anwesend , wie der ganze Gott noch durch den brennenden Busch spricht .
So gewiß , wie sich die leeren Formen , Hülsen und Sanktionen der Lebensgemeinschaft unüberführbar mit einem Inhalt brüsten können , der gar nicht in sie eingegangen sein mag , so gewiß , umgekehrt , versinnbildlicht er sich fortwährend in Lebensergebnissen , denen wir ihn um ihres Alltagscharakters willen nicht ansehn können . Und tausendmal wohl , gehn wir auf diese Weise unter dem grob Sichtbarsten , banal „ Wirklichsten “ wie unter den Außensymbolen darin schlafender Träume , verzauberter Innerlichkeiten , umher , ohne zu ahnen , daß wir in der Gesellschaft von Erlauchten sind , und dem Lebensvollsten am unmittelbarsten nahe . Denn alles Leben ist nur , als das Wunder , das sich fort und fort seines Wunders begibt .
Diese Worte selber , mit ihrem notgedrungenen Oberflächengriff , vermögen nur , an einem Innenvorgang herumzutasten wie an einem sehr groben Außending , hoffend , daß darunter dennoch , symbolhaft , etwas von dem anklinge , was in ihm ist .
Inhaltsverzeichnis
Einleitung | 5 |
Basis | 7 |
Thema | 12 |
Der sexuelle Vorgang | 16 |
Das erotische Wahngebilde | 21 |
Erotik und Kunst | 25 |
Idealisation | 28 |
Erotik und Religion | 32 |
Erotisch und sozial | 37 |
Mutterschaft | 40 |
Das Weib | 44 |
Männlich und weiblich | 50 |
Wertmasse und Grenzen | 55 |
Lebensbund | 61 |
Schluß | 66 |