Karlsruhe. (Beschluß der Verhandlungen über die hannover'sche Verfassungsangelegenheit.) v. Rotteck: „Mit leiser Stimme, weil durch ein zeitliches Brustleiden gedrückt, aber mit inniger Empfindung und aus voller Seele unterstütze ich den Antrag des Abg. v. Itzstein. Ueber das Thatsächliche und Rechtliche der hannover'schen Sache jedoch brauche ich nichts zu sagen. Alle Denkenden und Fühlenden in Deutschland, die nicht durch ganz besondere Interessen oder Verhältnisse des unbefangenen Urtheils beraubt sind, sind über diese Sache im Klaren; die lange Reihe von Rechtsverhöhnungen, die das hannover'sche Volk hat erdulden müssen, und die Fruchtlosigkeit aller von ihm gethanen gesetzlichen Schritte zur Wahrung seines heiligsten und evidentesten Rechtes liegen der Nation vor Augen, und leichter wird Einer uns beweisen, daß Tag Nacht und Nacht Tag, daß gerade krumm und krumm gerade, als daß der hannover'sche Verfassungsumsturz, und was damit in Verbindung steht, nicht eine Aufhebung des öffentlichen Rechtszustandes in Deutschland sey. Der Schlag, welcher jüngst von Frankfurt aus auf alles Verfassungsrecht in Deutschland, also auch auf unsere eigene Verfassung gefallen, muß selbst die Schläfrigsten aufregen. Wir wissen jetzt, daß zur Aufhebung einer in hohen Kreisen mißfalligen Verfassung genügt, die bestehende legitime Ständeversammlung aufzulösen, worauf alsdann Niemand im Volke mehr berechtigt seyn soll, das alte, feierlichst gewährte und verbriefte Recht zu reclamiren. Wir wissen auch aus dem von der hannover'schen Regierung entworfenen – dem aus Minoritätswahlen hervorgegangenen Rumpf oder Zerrbild einer Ständeversammlung vorgelegten, nach seinem Inhalte das Repräsentativsystem wahrhaft verhöhnenden – neuen Verfassungsproject, welches der Typus derjenigen Constitutionen ist, die man den edlen deutschen Völkern, welche mit ihrem Herzblute die ihnen feierlichst gemachten Freiheitsverheißungen bezahlt haben, für die Zukunft zudenkt. Freilich haben wir für uns noch die sichernde Bürgschaft des königlichen Wortes, und Niemand zweifelt an dessen Heiligkeit und Unverbrüchlichkeit. Wenn aber in Frankfurt bald unter dem Titel der Competenz, wie beim badischen Preßgesetze, bald unter jenem der Incompetenz (wie jetzt in der hannover'schen Sache) das Urtheil über Verfassungsangelegenheiten durch Stimmenmenmehr gesprochen wird: kann nicht auch, so wie heute das verfassungstreue Volk, so morgen ein verfassungstreuer Fürst einem höhern, weil mächtigern Willen sich zu fügen aufgefordert werden? Kann die Aufforderung nicht wenigstens dahin ergehen, daß ein die Verfassung tödtender Gesetzesentwurf den treu gehorsamen Ständen zur Zustimmung vorgelegt werde? Und dann ist überhaupt die persönliche Gnade allein keine hinreichende, keine dem Rechtsstolze mündiger Völker genügende, auch keine auf die Nachkommen zu vererbende Grundlage eines würdigen Rechtszustandes. Lassen Sie uns treue Hüter der Verfassung seyn, so lange wir noch auf ihrem geheiligten Boden stehen! Lassen Sie uns die Regierung auffordern und beschwören, der für alle deutschen Verfassungsrechte bedeutsamen, ja entscheidenden Sache des hannover'schen Volkes ihre treue und b harrliche Verwendung angedeihen zu lassen. Indem ich mit allen Wohldenkenden in Deutschland dem edeln, standhaften, der Täuschung, Verführung und Bestechung so wie der Einschüchterung unzugänglichen, in seiner entschiedensten Majorität eine männliche, patriotische Gesinnung offenbarenden, und dadurch, trotz seiner bis zum Erstaunen gehenden Mäßigung und Ruhe, der Gewalt imponirenden, hannover'schen Volke den Tribut meiner innigsten Hochachtung und hoffnungsreichen Bewunderung zolle, sey mir nur noch ein Ausruf des Schmerzes erlaubt über die Motive, aus welchen nach Inhalt der wenigstens theilweise bekannt gewordenen Protokolle der hohen Behörde, welche jüngst ihren Ausspruch in der hannover'schen Sache that, solcher – in Sinn und Zweck mir vollkommen deutliche und ganz und gar keinen Zweifel übrig lassende – Ausspruch erfolgt ist. Wir lesen nämlich in dem Votum einer sehr hohen Gesandtschaft als den wichtigsten politischen Grund für die Nichteinmischung in den hannover'schen Verfassungsstreit die Erwägung ausgeführt, daß durch eine Entscheidung des Bundes für die fortdauernde formelle Gültigkeit des gewaltsam aufgehobenen Grundgesetzes von 1833 „die revolutionäre Faction“ in Deutschland und außer Deutschland ermuntert, und das „monarchische Princip“ dergestalt würde gefährdet werden. In demselben Votum stehen gleichwohl die schönen Worte, daß „das Recht der einzig wahrhaft unwandelbare Ausgangspunkt in jeder Angelegenheit ist, die zu gutem Erfolge geführt werden soll...“ Wie kann denn nun, da das Recht doch parteilos seyn muß, die Besorgniß, einer oder der andern Partei durch den Rechtsausspruch Freude oder Betrübniß zu verursachen, auf den Inhalt solchen Ausspruchs von Einfluß seyn? Und wie kann bei solchergestalt erklarter Richtung der Bundespolitik, die – wohl mit Unrecht hier sogenannte – „revolutionäre Faction,“ welche nämlich keine andere ist als die Recht, Freiheit und Ordnung verlangende und darum über den gewaltsamen Umsturz der, nach geschriebenem und ungeschriebenem Rechte, vollgültigen hannover'schen Verfassung seufzende Partei, d. h. also diejenige, welche die Besten und Edelsten der Nation und die unermeßliche Mehrzahl aller ihrer Glieder in sich faßt – wie kann, sage ich, diese rechtliche, patriotische, den Gesetzen treue Partei noch länger das Vertrauen bewahren, zu welchem doch die Regierungen fortwährend ihre Völker auffordern, und ohne welches auch wirklich kein Segen für beide Theile zu hoffen ist? Aber noch mehr! wie kann man es für einen Act der Klugheit halten, die verfassungstreue Partei, welche eben durch solche Gesinnung sich als die festeste Stütze der auf dem Boden der Verfassung ruhenden Regierungen darstellt, zu betrüben, zu entmuthigen, sich zu entfremden? – Hat man es aber nicht so gemeint, hatte man, als man so dachte und sprach, wirklich eine wahrhaft revolutionäre Faction im Auge, oder, wenn man will, die Partei der Radicalen oder Exaltirten, mit Einschluß etwa derer, welche, obschon an und für sich gemäßigter und friedliebender Gesinnung, dennoch, weil bei dem jetzigen Gange der Dinge an der Möglichkeit einer ruhigen Wendung zum Bessern verzweifelnd, endlich den Radicalen sich ergeben haben, hatte man, sage, eine wirklich revolutionäre Faction im Auge, alsdann war die Berechnung zwiefach falsch und der Irrthum zwiefach beklagenswerth. Wahrlich! dieser revolutionären, überhaupt der exaltirten oder radicalen Partei war der jüngste Bundesbeschluß kein Gegenstand der Betrübniß oder der Niedergeschlagenheit, vielmehr einer der Freude und der kräftigsten Ermunterung. Er galt und gilt ihr für eine gewonnene Hauptschlacht; sie knüpft an solche, die Guten betrübende Dinge, ihre stolzesten Hoffnungen; ja es sind – wie jüngst ein geistvoller Beobachter in der Allgemeinen Zeitung sich ausdrückte – solche Kränkungen des Nationalgefühls und des als Palladium aller andern Rechte geachteten Verfassungsrechts in ihren Wirkungen zu vergleichen einer für den auswärtigen Feind erbauten Brücke oder eröffneten, breiten, trefflichen Heerstraße, worauf er bei guter Gelegenheit bis ins Herz des Reiches dringen mag.“
Staatsminister Frhr. v. Blittersdorff entgegnete: „Der Hr. Abg. v. Rotteck hat die dringende Aufforderung an die Regierung gerichtet, das Ihrige zu thun, um den nach seiner Meinung gestörten Rechtszustand in Hannover wiederherzustellen. Er hat geglaubt, durch den einstimmigen Ausspruch der Kammer werde ein sehr kraftiges und neues Motiv für die Regierung geschaffen, auf der von ihm bezeichneten Bahn handelnd zu Werke zu gehen. Ich kann dießfalls nur wiederholen, daß die Regierung einer solchen Aufforderung nicht bedarf. Sie ist sich ihrer Pflicht jederzeit bewußt gewesen, und wird es auch ferner seyn. Sie wird nach ihrer Ueberzeugung und nach Erwägung aller Umstände handeln, und, wie es einer Regierung besonders ziemt, sich vor jedem unvorsichtigen
und gewagten Schritte zu hüten haben. Der Hr. Abg. v. Rotteck hat sich sodann auch gegen einige Stellen des Votums einer Regierung erhoben, das bei der Bundesversammlung abgegeben worden ist. Ich will nicht untersuchen, ob er diese Kenntniß auch aus französischen und englischen Zeitungen geschöpft oder anderswoher erhalten hat; allein es scheint mir doch, als ob er jenem Votum nicht die volle Gerechtigkeit habe widerfahren lassen. Jenes Votum dürfte sich ohne Zweifel vollständig rechtfertigen lassen, wenn eine solche Rechtfertigung hier an ihrer Stelle wäre... Die revolutionäre Tendenz erhalt allerdings Nahrung durch jedes Ereigniß, wodurch der Zustand im Innern eines Landes gestört wird, und insofern ist die Betrachtung auch vollkommen richtig, daß durch die Ereignisse in Hannover die revolutionäre Tendenz Nahrung erhalten hat. Es ist aber unrichtig und gewagt, zu behaupten, daß der Bundesbeschluß diese Nahrung der revolutionären Tendenz erst gab, denn dessen darf der Hr. Abg. v. Rotteck gewiß seyn, daß, wenn auch der Bundesbeschluß gerade in entgegengesetztem Sinne gelautet hätte, die revolutionäre Tendenz sich gleichwohl darauf geworfen und in anderm Sinne dieses Thema ausgebeutet haben würde. Der Hr. Abg. v. Rotteck würde gewiß nicht erwartet haben, daß durch einen solchen Bundesbeschluß wie durch einen Zauberschlag die Verhältnisse in Hannover würden geordnet worden seyn. Die Zerwürfnisse, insofern sie bestehen, würden fortgedauert haben, und diese wären das Feld gewesen, worauf sich die revolutionäre Tendenz herumgetummelt hätte. Gerade vor solchen revolutionären Tendenzen habe ich Sie gewarnt, und es scheint, daß diese Warnung nicht ganz nutzlos war, wiewohl der Hr. Abg. v. Rotteck sie für überflüssig erklärt hat. Uebrigens würde es mir leid thun, wenn Sie sich noch längere Zeit auf diesem Felde bewegten, weil ich nicht dafür stehen könnte, ob nicht zuletzt doch die Gränzen einer ordnungsgemäßen Berathung überschritten würden.“
Welcker: „Ich ergreife das Wort in dieser Sache mit tiefem Schmerz. Deutschland war einst die erste Nation Europa's, freiheitsstolz und kräftig gegenüber den Völkern der gebildeten Erde: selbst noch als unglückliche Ereignisse, als Mangel einer wahrhaft thätigen Nationalgesinnung, als große Mißgriffe in dem Senate des Reichs, als Geringschätzung und ein wahres Vergessen der Nation von Seite eines großen Theils der Fürsten die deutsche Verfassung wesentlich gelähmt hatten, selbst da noch hatte dieselbe für den aufmerksamen Beobachter sehr viel Ehrwürdiges und Gutes; bis auf den letzten Augenblick, bis zur Zertrümmerung des deutschen Reichs durfte kein Fürst das wagen, was der König von Hannover wagte. Ein Mandatum sine clausula wäre auf der Stelle von dem Reichsgericht gekommen, wie in vielen ähnlichen Angelegenheiten deutscher Länder ein solch schnelles und unbedingtes Schutzmittel für den rechtmäßigen Besitzstand die angegriffenen Rechte rettete. Diese Verfassung ist jetzt zerstört, Fürsten und Völker haben für ihre Sünden schwer gebüßt. Viele Schmach und Erniedrigung, Demoralisation, auswärtige Unterjochung und blutige Bürgerkriege, ein schwarzes Register von Elend und Unrecht jeder Art liegt zwischen der Auflösung des Reichs und der Wiederherstellung eines neuen Rechtszustandes. Wie aber wurde dieser neue Rechtszustand herbeigeführt? Die Regierungen und die Völker sprachen einstimmig von einem heiligen, von einem deutschen und von einem Freiheitskriege. Mit der feierlichen Verkündung der Wiederherstellung einer moralischen Ordnung der Dinge, eines heiligen Bandes wechselseitiger Treue zwischen Fürst und Volk, mit dem Fürstenworte, daß Deutschland eins und frei seyn solle, mit so hohen und herrlichen Worten eröffneten die Fürsten den Kampf, und auf diese Bedingungen hin und unter diesem Feldzeichen haben sie Hunderttausende unter die Waffen gebracht. Großherzig haben die Völker geblutet, und treu haben sie ihrerseits ihre Versprechungen, ihre Pflichten erfüllt, treu ausgeharrt bis auf den heutigen Tag. Was aber wurde nun aus jenem ihnen verheißenen Rechtszustande? Nachdem in Hannover ein ehrwürdiger Fürst treu den Versprechungen, die alle Fürsten bei Eröffnung des Kampfes gegeben haben, einen Rechtszustand in dem Lande dieses jetzt unglücklichen Brudervolkes hergestellt hatte, und nachdem durch die Heiligkeit des Eides dieser Rechtszustand in dem ganzen Lande verbürgt war, kommt der neue Fürst, und nun werden die heiligen Eide zerrissen, das Recht zertrümmert und alle Mittel zur Vertheidigung des Rechts bis zum passiven moralischen Widerstande zerstört.... Ich erwarte nicht, daß eine günstige neue Entscheidung oder eine Interpretation des neuern Bundesbeschlusses zu Gunsten des hannover'schen Volks erfolge. Ich theile hierin ganz die Ansicht des Abg. v. Rotteck, und kann sagen, daß auch mir der Sinn dieses Beschlusses nicht zweifelhaft gewesen ist. So bleibt denn also im jetzigen Falle die Hoffnung auf die Möglichkeit eines Rechtsschutzes durch unsere Bitte wirklich sehr gering. Man weiß ja, daß selbst die Stimme deutscher Fürsten, die kräftige Anträge machten, nicht durchdringen konnte. Selbst durch die öffentliche Meinung sollen wir nicht auf den deutschen Bund wirken. Der Hr. Minister der auswärtigen Angelegenheiten ist nämlich davon ausgegangen, wir hätten gar nicht das Recht, auf den Bund zu wirken, und zwar sollen wir nicht einmal mit der öffentlichen Meinung auf ihn einwirken, wie ich ihn wenigstens verstanden habe. Darum werden, wie er sagte, auch die ursprünglich öffentlich mitgetheilten Verhandlungen geheim gehalten, damit die öffentliche Meinung der Nation keinen Einfluß auf den Bundestag gewinne. Muthen Sie mir nicht zu, dasjenige zu sagen, was ich bei diesem Gedanken empfinde. Nur das will ich sagen, daß es das Außerordentlichste ist, was je in einer Gesellschaft, wo der Gedanke an einen Rechtszustand herrschte, gesagt wurde, daß nämlich die öffentliche Meinung der Nation nicht auf die Beschlüsse ihrer höchsten Autorität einwirken solle. Als die Fürsten die Völker aufriefen, als sie in Wien versammelt waren, um den neuen Bund zu gründen, ja da lautete die Stimme ganz anders, da appellirte man laut an die öffentliche Meinung und erklärte, daß der neue Rechtszustand durch ein Zusammenwirken des Volks und der Fürsten gegründet werden solle. Man erklärte die öffentliche Meinung als die Königin der Könige, und als der Bund in Wirksamkeit trat, setzte man ausdrücklich fest, daß von allen Seiten Petitionen an den Bund in allen öffentlichen Angelegenheiten ergehen können, daß der Bund Kenntniß von der Stimmung und den Wünschen des Volkes nehmen, und daß er in Uebereinstimmung mit den Wünschen und der Stimmung der Nation handeln werde. Groß, schön und edel wurde damals von der Unmöglichkeit gesprochen, daß ein Rechtszustand sich halten könne, wenn nicht die öffentliche Nationalstimme ihn in dieser Weise belebe, kräftig unterstütze.... Eine Regierung, die, gesondert von der Volksstimme und der öffentlichen Meinung, herrschen wollte, würde bei dem ersten Kanonenschusse mit Schrecken inne werden, welches Wagspiel sie spielte. So hoffnungslos aber auch in Beziehung auf alle rechtlichen Schutzmittel unser Rechtszustand ist, so kann ich doch mit freudigem Vertrauen den gestellten Antrag unterstützen. Die göttliche Kraft in dem Leben eines großen und edlen Volkes, die göttliche Kraft für das Wahre und Rechte im Volk ist es, die in Hannover herrscht, die in den gesellschaftlichen Kreisen der deutschen Nation allmählich sich verbreitet und Energie gewinnt. Auf diese moralische Kraft vertraue ich. Blicken Sie auf die Hannoveraner selbst, und Sie sehen dort eine moralische Kraft, inwohnend einem schwer gedrückten Volke, die moralische Kraft eines allgemein gesetzlichen Widerstandes gegen die übermächtige Gewalt, wie sie sich bisher noch in keinem deutschen Volksstamme zeigte. Jene heiligen deutschen Freiheitskämpfe, die mit Gott für Freiheit und Vaterland gekämpft wurden, haben ihre Früchte getragen. Die deutsche Nation hat, zersplittert und zerrissen wie sie war, und ohne jenen staatsrechtlich schützenden und erhaltenden Einigungspunkt, den wir hatten und hergestellt zu sehen hofften, sich mehr als je moralisch geeinigt. Sie hat die gemeinschaftliche Idee des deutschen Rechtszustandes, der Einheit aller deutschen Brüderstämme und der Pflicht eines jeden deutschen Volksstammes, die Rechte des andern zu vertheidigen, in sich belebt. Diese moralischen Kräfte, sie sind erwacht, sie sind im Wachsen und werden belebt selbst durch das Unrecht und Unglück in der hannover'schen Sache und durch jeden würdigen Schritt zu Gunsten des Rechts. Keine Macht wird sie niederdrücken. Auch unsere deutschen Fürsten fangen an, diese neuen Erscheinungen zu berücksichtigen. Daß eine so bedeutende Minorität der Stimmen am deutschen Bunde das hannover'sche Recht mit Aufrichtigkeit vertheidigte, ist ein gutes Zeichen. Diese Regierungen sind von der Wahrheit erleuchtet, daß es gefährlich für die Fürsten ist, der öffentlichen Meinung der Völker sich zu entschlagen oder sie verletzen zu wollen. Sie bedenken die Lage, die das arme Deutschland seinen östlichen und westlichen Nachbarn gegenüber hat.... Wenn diese Gesinnungen sich Bahn gebrochen haben in den Herzen vieler deutschen Fürsten und in einer unendlich großen Zahl von deutschen Bürgern, so lassen Sie uns bauen auf diese Grundlage,
auf die Gesinnung für Freiheit, Recht und Nationalehre. Ist einmal die Empörung gegen das Unrecht in allen deutschen Herzen hinlänglich gewachsen, dann wird kein Gott mehr das Unrecht in dem Lande festhalten können. Auf diese Gesinnungen, auf das deutsche Vaterland und auf das deutsche Recht, auf Gott und die gerechte Sache baue ich. Sie sind mächtiger als alle Bundesbeschlüsse.“
Staatsminister Frhr. v. Blittersdorf: „Der Hr. Redner hat mir etwas in den Mund gelegt, was ich durchaus nicht im Sinne haben konnte, denn hätte ich mich in solcher Weise ausgedrückt, so würde ich nichts Anderes als eine Absurdität gesagt haben. Im Traum ist es mir nicht eingefallen, zu sagen, daß der erleuchtete Rath der Fürsten Deutschlands auf die öffentliche Meinung keine Rücksicht nehme; allein wiederholen muß ich, daß es in Deutschland kein anderes Organ der öffentlichen Meinung in Beziehung auf Bundesangelegenheiten gibt als die Bundesversammlung, in der die deutschen Fürsten allein vertreten sind. Wollten Sie andere politische Organe dieser öffentlichen Meinung schaffen, so müßte nothwendigerweise eine Verwirrung der Gewalten entstehen, die nur von den nachtheiligsten Folgen für ganz Deutschland und zunächst auch für Sie seyn würde. Das Grundprinzip des Bundes ist die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der deutschen Bundesstaaten. Ich bitte Sie, dieß nie zu vergessen. Die Einmischung in die innern Angelegenheiten eines Landes ist eine sehr streng zu begränzende Ausnahme. Machen Sie diese Ausnahme zur Regel, erheben Sie sich gar zu Richtern über diese Einmischung auf den Grund der öffentlichen Meinung, als deren Organ Sie sich geriren, so schlagen Sie die Bahn der Willkür ein, und würde dieser nicht gesteuert, so müßte unausbleibliche Anarchie über ganz Deutschland hereinbrechen. Gerade die Beispiele von Sachsen, Hessen und Braunschweig hätten Sie am leichtesten belehren können, wie sehr der Bundestag die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der einzelnen Bundesstaaten in ihren innern Angelegenheiten achtet, und wie wenig er geneigt ist, durch seine Einschreitung Widerwärtiges und Unangenehmes zu entfernen, insofern nur die allgemeine Ruhe und Ordnung von Deutschland nicht bedroht erscheint. Vergessen Sie nicht, was dadurch erhalten worden ist, und legen Sie dieß in die andere Waagschale.“
Sander bemerkt im Verfolg einer größern Rede: „Ich bin kein Freund von Gewalt, allein wenn ich auf den Weg blicke, den man in Hannover seit der Aufhebung der Verfassung betrat, wenn ich bedenke, wie man das einfachste Recht auf jede Art gebeugt und gedreht, wie man zu guter Letzt noch den Grundsatz der Gültigkeit von Minoritätswahlen aufgestellt hat, so muß ich sagen, obschon kein Freund von Gewalt, es wäre mir Gewalt und wieder Gewalt lieber als der Scheinweg Rechtens, den man dort betreten hat. Darum ist es mir auch klar, daß auf demjenigen Wege, worauf die hannover'sche Regierung jetzt steht, es nie und nimmermehr zu einer wahrhaften Vereinbarung kommen wird und kann, denn die Erfahrung hat bis jetzt gezeigt, daß man sich in Hannover immer mehr und mehr im Unrechte verwickelt. Wohl weiß ich, und der Hr. Minister der auswärtigen Angelegenheiten hat es uns auch gesagt, daß unser Beschluß keinen unmittelbaren Erfolg haben wird. Es mag dieß seyn; hätten wir eine größere Kraft der ausführenden Gewalt, wie wir nur des Wortes mächtig sind, hätten wir Hände, wie wir nur Zungen haben, so möchte wohl Manches anders seyn, als es gegenwärtig ist. Nichtsdestoweniger sind unsere bloßen Beschlüsse doch eine Macht, denn mit uns und hinter uns steht die öffentliche Meinung von ganz Deutschland.“
Staatsminister Frhr. v. Blittersdorff: „Ich muß, so ungern ich es thue, eine Aeußerung des Hrn. Abgeordneten releviren, welche dahin ging: „wenn wir Hände hätten, wie Zungen, so würde Manches anders seyn.“ Ich denke nicht, daß er mit unserm Zustand in Baden und Deutschland so unzufrieden ist, daß er, der das Recht sicher stellen will, die Gewalt an seine Stelle setzen möchte. Ich bitte übrigens den Hrn. Abgeordneten, zu erklären, ob seine Worte so oder in einem andern Sinne zu verstehen waren.“
Sander: „Meine Worte hatten keinen andern Sinn als den, den der Hr. Minister selbst ausgedrückt hat, daß nämlich, wenn wir mehr in die Verhältnisse, wie sie sind, eingreifen könnten, wir vielleicht eher die Hoffnung hätten, zu sehen, daß es anders ginge. Daß wir mit Gewalt eingreifen wollten, liegt nicht darin, sondern es sollte bloß so viel damit gesagt seyn, daß, wenn wir mit einer größern parlamentarischen Macht ausgestattet wären, auch in mancher Beziehung ein anderer Zustand eingetreten wäre, als er jetzt ist.“
Staatsminister Frhr. v. Blittersdorff: „Die Hände werden sonst gleichbedeutend mit Fäusten genommen, und sind wohl kein parlamentarisches Mittel.“
Sander: „Die Hände sind hier bloß ein bildlicher Gegensatz von den Zungen, und weiter nichts. Die Hände braucht man übrigens auch zum Schreiben und zum Drucken, und darin sind sie uns nur zu sehr gebunden.“
Knapp, Bader und Bekk unterstützen den Antrag gleich allen übrigen Rednern der Kammer. Der letztere sagt: „Gerade die gemäßigten und ruhigen Bürger sind es, denen die Vorgänge in Hannover als ein großes Unglück erscheinen. Die Radicalgesinnten, die mit Umstoßung alles Bestehenden ihre Ideen von Freiheit im Sturmschritte verwirklichen wollen, können sich in der That über die Vorgänge in Hannover nur freuen, und ich weiß es auch, daß sie sich wirklich darüber freuen. Aber die ruhigen Bürger, die einen allmählichen, geschichtlichen, aber sichern Gang der Entwicklung mit steter Aufrechthaltung der Ordnung wünschen, sind darüber betrübt. Die Radicalen finden in den hannover'schen Vorgängen einen Zündstoff für die Zukunft, der viel mächtiger wirkt, als sie mit allen ihren Agitationen zu wirken vermöchten. Im Interesse der Monarchie selbst, im Interesse einer ruhigen constitutionellen Entwickelung liegt es, daß die Störung der Rechtsordnung in Hannover wieder beseitigt, das öffentliche Vertrauen auf den Bestand einer solchen Ordnung wieder hergestellt, und eben dadurch die Ordnung auch gegen Störungen in einer entgegengesetzten Richtung gesichert werde.“
Die Abg. Mördes und Mohr sprechen sich gleichfalls im Sinne des Itzsteinschen Antrages aus, der letztere unter specieller Anrufung und Entwicklung der betreffenden Paragraphen der Wiener Schlußacte. Der Abg. Gerbel sagt unter Anderm: „Ich habe von dem Hrn. Minister der auswärtigen Angelegenheiten die Aeußerung gehört, daß der Beschluß des Bundes nur in concreto, d. h. nur in Beziehung auf die Verfassungsfrage von Hannover zu interpretiren sey. Diese Aeußerung finde ich aber nicht gan in Uebereinstimmung mit einer von ihm vorher aufgestellten Behauptung, wonach dieser Bundesbeschluß formelles Recht sey. Ich glaube, daß die allgemeine Meinung mit dem ersten ausgesprochenen Satze ganz im Widerspruch ist. Es ist hier nicht bloß eine Frage entschieden, die Hannover, sondern die ganz Deutschland betrifft. Es ist von dem deutschen Bund ausgesprochen worden, daß er sich für incompetent erkläre in Streitigkeiten zwischen Völkern und Fürsten, die Verfassungsangelegenheite betreffen, und dadurch ist allen deutschen Verfassungen der Boden und die Grundlage genommen. Es besteht bloß noch ein tolerirter Zustand, so lange Fürst und Volk mit einander übereinstimmen.“
Staatsminister Frhr. v. Blittersdorff: „Der Hr. Abgeordnete hat mich eines Widerspruchs gezeiht, den ich jedoch nicht finden kann. Ich habe gesagt, daß hier nur über einen speciellen Fall entschieden sey, und daß diese Entscheidung ein formelles Recht bilde. Ich glaube nicht, daß er wird bestreiten wollen, daß es auch für einen speciellen Fall formelles Recht geben könne.“
Gerbel: „Ich habe gesagt, es sey eine allgemeine Vorschrift gegeben, während der Hr. Minister es nur auf einen speciellen Fall bezog.“
Staatsminister Frhr. v. Blittersdorff: „Wenn ich bloß dieß gesagt hätte, so wäre allerdings ein Widerspruch vorhanden; allein ich habe gesagt, es liege eine Entscheidung vor für einen speciellen Fall unter Bezugnahme auf die obwaltenden Verhältnisse in Hannover, und damit fällt das Raisonnement des Hrn. Abgeordneten über den Haufen.“
Gerbel: „Der Hr. Minister hat erklärt, hier sey über die hannover'sche Verfassungsfrage entschieden und daraus könne man keine Folgerung für ganz Deutschland ziehen. Es ist aber nach einer andern Aeußerung von ihm eine allgemeine Frage entschieden worden, und darin liegt der Widerspruch.“
Martin: „Der Abg. Posselt hat bereits bemerkt, daß nicht nur der gebildete Theil des Volkes sich warm für diese Sache interessire, sondern daß auch jeder schlichte Bürger mit einer ungewöhnlichen Theilnahme sich dafür ausspreche. Da ich als Gewählter von einem Landbezirke die Stimmung des Landvolks kenne, so spreche ich pflichtmäßig aus, daß die Ansichten, die hier in diesem Saal über die hannover'sche Sache laut geworden sind,
überall im Lande bei dem Landvolk Anklang und bis im letzten Weiler Theilnahme finden werden.“
Rindeschwender drückt den Wunsch aus: „Es möge die Kammer durch Acclamation ihre Anerkennung des festen, verfassungstreuen, hochachtbaren, würdigen und muthvollen Benehmens des hannover'schen Volks auszusprechen.“ (Viele Mitglieder erheben sich von ihren Sitzen und sprechen hiedurch und durch Zuruf ihre Anerkennung aus.)
Staatsminister Frhr. v. Blittersdorff: „Die Kammer hat keine andere Form, ihre Beistimmung zu erkennen zu geben, als die Form des Beschlusses.“ Rindeschwender: „Der Hr. Minister hat das Recht nicht, sich der so eben gewählten Form entgegenzusetzen.“ Staatsminister Frhr. v. Blittersdorff: „Ueber das Recht können Sie nicht aburtheilen. Das Recht der Regierung auf Aufrechthaltung der Verfassung steht fester als Ihre Worte.“
Der Präsident schloß nunmehr die Discussion und brachte den Antrag des Abg. v. Itzstein zur Abstimmung. Der Antrag ward einstimmig angenommen. Nachdem der Präsident solches verkündigt hatte, ertönte von der gefüllten großen Galerie vielstimmiger Beifallsruf und Händeklatschen.
Staatsminister Frhr. v. Blittersdorff bemerkte, daß dieß eine Störung der Ordnung sey, die eine Rüge verdiene. Er fordere den Hrn. Präsidenten auf, die Galerie sofort räumen zu lassen. Schaaff: „Die Tribunen haben allerdings weder einen Beifall noch ein Mißfallen auszudrücken.“ Präsident: „Ich muß allerdings auf die Bestimmung der Geschäftsordnung aufmerksam machen, wonach jedes Zeichen des Beifalls und des Mißfallens verboten ist, und ich kann daher nicht anders, als meine Mißbilligung über das Geschehene aussprechen.“ Knapp: „Wessen Herz voll ist, dessen Mund geht über, kann man hier sagen.“ Schaaff: „Der Abg. Knapp kann doch etwas Ungesetzliches nicht vertheidigen.“ Damit wurde die Sitzung geschlossen.
Ein im Hamburger Correspondenten enthaltenes Schreiben aus dem Hannover'schen Ende Aprils bemüht sich, den Antrag v. Itzsteins in der badischen Kammer und dessen Beweisführung zu bekämpfen und zu entkräften. Man bemerkt darin folgende Stellen: „Die Beschuldigungen gegen die jetzige Ständeversammlung, welche v. Itzstein macht, haben wir, die wir uns nicht bloß von freisinnigen Wünschen nähren, etwas zu leidenschaftlich ausgemalt gefunden. Das hannover'sche Volk protestire gegen sie? Es ist freilich Ein Mundaufthun, ob man sagt, Volk oder die Opposition; Volk hat aber einen angenehmern Klang. Es haben einige Corporationen protestirt, in diesen jedoch nur die Wahlcollegien, in den Wahlcollegien wiederum bloß Einzelne, wenn auch die Majorität, und diese am Ende durch oppositionelle Führer verleitet. Addiren wir die Personen zusammen, die in den protestirenden Collegien protestirten, so erhalten wir ein sehr kleines Häuflein Männer, die nicht einmal zum Protestiren befugt waren,“ und „sollte man bei so offenbaren Mißhandlungen unserer Verhältnisse nicht auf den Gedanken kommen, daß im Auslande die hiesige Frage dazu dient, das oppositionelle Feuer an der fremden Sache verpuffen zu lassen, um für die innern Angelegenheiten Ruhe zu gewinnen, oder andrerseits, an unserer Verfassungssache Redeübungen im liberalen Styl zu halten, damit diese Sprache nicht verloren geht?“ Endlich: „Die Verhältnisse in Baden und überhaupt im südlichen Deutschland sind wesentlich von den unsrigen verschieden. Wir haben noch nicht die Verwaltungsstadien durchgegangen, die andere Staaten bereits vor langer Zeit durchlaufen. Der staatsrechtliche Boden und die privatrechtlichen Verhältnisse sind nicht so nivellirt als anderwärts, und die Neigung des Volks ruht noch sehr auf den Einrichtungen, die verflossenen Zeiten ihre Entstehung verdanken und höchstens zeitgemäßer Fortbildung bedürfen. Als man uns mit dem Grundgesetz von 1833 eine Verfassung gab, die den Constitutionen der Länder nachgebildet war, wo der frühere rechtliche Baustoff längst zerbröckelt ist, versuchte man damit das Kunststück, einem dürren, magern Menschen den Rock auszuziehen und einem starken als bequeme Kleidung anzubieten. Es gibt keinen Rock, der für alle Männer gleich gut paßt, und eine Verfassung, die für alle Länder gleich gut seyn soll, ist eben so viel werth als ein medicinisches Universalmittel.“