V om übel berichteten an den besser zu unterrichtenden Papst appellieren zu müssen ,
bildet eine der am häufigsten wiederkehrenden Aufgaben der deutschen Frauen-
bewegung . Aber vor einem quantitativ so wenig und qualitativ so ungenau informierten
Papst , wie der in dem 26. deutschen Ärztetag verkörperte , hat sie doch noch selten
gestanden . „ Man sollte fast annehmen , daß die Herren in Allongeperücken , Escarpins
und Kniehosen als Vertreter einer verflossenen Kulturperiode getagt haben “ , sagt ein
ärztlicher Kollege ( Dr. med. R. K. ) darüber in der „ Krefelder Zeitung “ vom
7. Juli d. J .
Jn der That will einen dünken , als ob an den erwählten Abgesandten der
deutschen Heilkünstler , die in der letzten Juniwoche d. J. zu Wiesbaden versammelt
waren , um neben sonstigen Standesangelegenheiten auch über das Medizinstudium
der Frauen sich auszusprechen , maßgebende Teile der geistigen , vor allem aber der
sozialen Strömungen der letzten 25 Jahre spurlos vorübergegangen seien . Und doch
könnte billigerweise verlangt werden , daß eine Versammlung von Männern , die zu
einer so tief in unsrer historischen Gesamtentwicklung wurzelnden , so solidarisch mit
den Bedürfnissen der Zeit verbundenen , die Gemüter so energisch und nachhaltig
ergreifenden Sache , wie die Frauenbewegung unsrer Tage , auch nur in einem ihrer
Teile sich offiziell äußert , über das Wesen und Wollen dieser Bewegung einigermaßen
orientiert wäre . Aber davon zeigte sich zu Wiesbaden kaum eine Spur . Nicht einmal
die Elemente eines allenfallsigen Verständnisses hatten die Herren bei sich verarbeitet .
Die wenigen Ausnahmen seien natürlich auch hier freundlich begrüßt .
45
Zum Wiesbadener Ärztetag.
Man hat einen Haufen mangelhafter Jnformationen , veralteter , durch die That-
sachen bereits hundertfältig widerlegter Behauptungen , vager Vorschläge und ungerecht-
fertigter Jnsinuationen als „ Referat “ angehört ; man hat ein ganzes Geschiebe
unbewiesener und nicht zu beweisender Sätze als „ Thesen “ aufgestellt , auf Grund
jenes Referates für „ motiviert “ erklärt und mit überwiegender Mehrheit angenommen .
Das war die Verhandlung . Jmponiert hat sie niemand . Für die Frauen war sie
doch wertvoll . Es ist immer nützlich , einem Gegner so recht in Herz und Hirn zu
schauen , ihn seine eigene Silhouette entwerfen zu sehen , und ad notam zu nehmen ,
wie weit er Taktiker ist , wie weit Stratege .
Bezüglich der Thesen verweise ich auf die Augustnummer dieser Zeitschrift . Sie
sind dort , unter der Rubrik „ Frauenleben und -Streben “ S. 695 , vollständig abgedruckt .
Von meinem abfälligen Urteil nehme ich die drei gleichfalls angenommenen Thesen der
Herren Sachs und Reich ( Breslau ) nachdrücklich aus . Die „ Frau “ hat an der
genannten Stelle auch sie zum Abdruck gebracht . Sie fassen die Sache von der
praktischen Seite . Die darin ausgesprochenen Wünsche in Betreff der Vorbildung der
Frauen zum Universitätsstudium und ihrer Ausbildung für den ärztlichen Beruf stimmen
so völlig mit den Forderungen überein , die von den Sachverständigen innerhalb der
deutschen Frauenbewegung auf diesem Punkt längst formuliert worden sind , daß ihren
Urhebern nur mit Dank und Beifall dafür quittiert werden kann . Jene Sachverständigen
gehen sogar noch weiter . Sie sind durchaus der Meinung , daß überhaupt nur solche
weiblichen Hörer zur Universität zugelassen werden sollten , die die wünschenswerte
allgemeine Bildung und die notwendige wissenschaftliche Vorbildung durch die bestandene
Reifeprüfung nachgewiesen haben . Denn nur so , glauben sie , wäre dem Unfug der
ungenügend vorbereiteten und darum höchst unsichern Eindringlinge zu steuern , unter
dem z. B. in Berlin das Frauenstudium schon jetzt schwer leidet .
Bei eingehenderer Beschäftigung mit den einzelnen Punkten des „ Referates “
drängen sich einem in erster Linie eine Anzahl von Fragen auf . Warum hat der
Herr Referent Professor Penzoldt , Erlangen . von den mancherlei Gutachten , die er über das Medizinstudium der
Frauen bei Universitätslehrern , bei „ den Medizinalverwaltungen auswärtiger Staaten “
eingeholt hat , keines im Wortlaut und mit Nennung seines Ursprungs wiedergegeben ?
Warum die Schriften und Autoren , aus denen er , seiner Angabe nach , Belehrung
geschöpft , nicht namentlich aufgeführt ? Warum vor allem die Schweizer Professoren
nicht genannt , die ihm , aus ihrer Erfahrung heraus , die Lernweise ihrer Schülerinnen
also charakterisierten : „ Die Frau memoriert , der Mann studiert ! “ ? Die Namen gerade
dieser Herren zu kennen , wäre doch sehr interessant . Anonyme Quellen und Gewährs-
männer haben auch nur wenig Anspruch auf Glaubwürdigkeit . Jedenfalls nicht mehr ,
als etwa die „ verschleierte Dame “ im Zola-Prozeß .
Und was speziell das Memorieren und Studieren , d. h. den Unterschied von
wissenschaftlichem Durchdringen und mehr oder weniger mechanischem Aneignen des
Lernstoffes betrifft , so hat der Schöpfer jenes Aphorismus sich vielleicht doch nicht
genugsam daran erinnert , daß der wirklich wissenschaftliche Kopf , um mich einer etwas
kühnen Metapher zu bedienen , überhaupt eine seltene Blüte ist auf dieser Welt , auch
unter den Männern . Und ebenso nimmt er zu wenig Kenntnis davon , daß die Herren
bemoosten Häupter , die flotten Korpsburschen und Bundesbrüder auch nur in
Zum Wiesbadener Ärztetag.
ganz erlauchten Ausnahmefällen den Pfad durch das Labyrinth ihrer Schlußexamina
finden , ohne einen dicken Ariadneknäuel oft keineswegs solid zusammengeraffter
Gedächtnisdinge . Die vollgekritzelten Manschetten , die von erstaunten Müttern und
Schwestern solcher „ studiert “ habenden Prüflinge zuweilen nachher in der Wäsche
gefunden werden , bekunden wenigstens , daß selbst der Verlaß auf diesen „ frauenhaften “
Gedächtniskram nicht immer als unerschütterlich empfunden wird .
Da wir just von den Prüfungen reden , so frage ich weiter : Was bezweckte der
Herr Referent mit seiner Verwunderung darüber , daß nach dem Bericht des preußischen
Kultusministers von 1895-97 von 18 Damen 3-16 Prozent die Reifeprüfung
nicht bestanden haben ? Und was glaubt er mit dieser Thatsache zu beweisen ? Doch
nicht die durchschnittlich geringere Fähigkeit der Frau , Gymnasialkurse zu absolvieren ?
Hat der Herr Referent sich an wirklich unterrichteter Stelle nach den nähern Gründen
dieses Nichtbestehens erkundigt ? Sind ihm die großen Erschwerungen bekannt , unter
denen die jungen Damen in Preußen als Extranerinnen zur Abiturientenprüfung
zugelassen werden ? Weiß er , daß von den männlichen Extranern fünfzig vom Hundert
durchzufallen pflegen ? Warum verschweigt er , daß der preußische Kultusminister , auf
den er sich ja doch beruft , selbst , in öffentlicher Sitzung , ausgesprochen hat , die
Abiturientinnen hätten Examina abgelegt , vor denen man allen Respekt haben müsse ?
Da ein doloses Verhalten mir für ausgeschlossen gilt , so kann ich nur annehmen , daß
der Herr Referent versäumt hat , sich über diese Punkte in angemessener Weise zu unterrichten .
Mit dem ersten Examen kam auch das Durchfallen in die Welt . Bis jetzt hatten
die Männer ein fast ausschließliches Monopol darauf ; künftig müssen auch die Frauen
dran glauben . Jch habe während vieler Jahre meines Lebens einschlägigen Ver-
hältnissen sehr nahe gestanden und in Bezug auf das Durchfallen junger Männer ,
das Herauslaufen aus der Mitte der allerverschiedensten Examina , das Nichterscheinen
bereits gemeldeter Prüflinge , das Menschenmögliche erlebt . Zur diesjährigen
1. juristischen Dienstprüfung in Tübingen hatten sich ursprünglich 56 Kandidaten
gemeldet ; 3 davon erschienen überhaupt nicht , 4 traten während der Prüfung zurück .
Von den noch übrigen 49 Kandidaten wurden 42 für examiniert erklärt . Also : ganz
durchgefallen sind von 49 Prüflingen 7 – etwas über 14 Prozent . Rechnet man
die 4 während des Examens Zurückgetretenen hinzu , so haben wir 11 von 53 – fast
21 Prozent . Zählt man dazu noch die 3 Nichterschienenen , die allerdings auch etwas
anderes als begründete Examensangst fern gehalten haben kann , so ergiebt sich , daß
von 56 bereits dazu Angemeldeten 20-25 Prozent die Prüfung teils gar nicht
abgelegt , teils nicht bestanden haben .
Sollen wir nun nach der Methode von Prof . Penzoldt anzunehmen versuchen ,
daß , weil vom Hundert der Tübinger juristischen Kandidaten 14-25 es zu keiner
Prüfungsnote brachten , das männliche Geschlecht im allgemeinen zum Studium der
Jurisprudenz nicht eben geeignet erscheine ? Gewiß nicht . Aber ebenso müssen wir
auch die 84 vom Hundert der preußischen Abiturientinnen , die in den beiden letzten
Jahren das Reifezeugnis für die Universität erlangt haben , angesichts der für die männlichen
Abiturienten gar nicht bestehenden Schwierigkeiten , unter denen diese jungen Mädchen ihr
Examen ablegten , ohne weiteres als ein außerordentlich günstiges Resultat gelten lassen .
Gegen die Befähigung und Zulassung der Frauen speziell zum ärztlichen Beruf
hat der Referent des 26. deutschen Ärztetages nicht mehr und nicht weniger , auch keine
anderen Gründe vorzubringen gewußt , als die bereits sattsam vorgebrachten und bis
45*
Zum Wiesbadener Ärztetag.
zum Überdruß gehörten . Die Mär vom geringern Hirngewicht und der darauf
beruhenden angeblichen geistigen Minderwertigkeit des Weibes hat er allerdings nur
schüchtern gestreift , die noch zweifelhafteren Argumente vom weniger gefurchten weib-
lichen Scheitellappen und dem physiologischen Wertunterschied des männlichen und
weiblichen Blutes gar nicht erwähnt . Es scheint , daß in der That diese abgedroschenen
Beweismittel endgiltig abgethan sind .
Trotzdem läßt der Herr Referent sich von ungenannter für ihn jedoch „ kom-
petenter Seite “ attestieren , daß die „ Durchschnittsfrau “ zum medizinischen Studium
und Beruf nicht befähigt sei . Du lieber Gott , der Durchschnittsmann wahrscheinlich
auch nicht ! Verschwänden doch nur mit einem Schlage alle die mechanischen Durch-
schnittsköpfe aus der Medizin ! Durchschnittsfrauen werden sich vorderhand zu einem
komplizierten Fachstudium überhaupt nicht drängen , und für die dreihundert Ärztinnen ,
die Prof . Penzoldt in den nächsten dreißig Jahren für Deutschland prophezeiht , werden
wir Ausnahme-Jngenien zur Verfügung stellen können . Und später , wenn die Auf-
merksamkeit auf weibliche Begabung noch mehr geweckt sein wird , deren regelrechte
Ausbildung einmal für selbstverständlich gilt , werden auch steigende Bedürfnisse sich
noch decken lassen .
Jm allgemeinen , meint der Referent , bestehe ein Mangel an ärztlicher Hilfe in
Deutschland gegenwärtig überhaupt nicht . Der ärztliche Stand sei vielmehr überfüllt ,
und die Ärzte kämpften einen schweren Konkurrenzkampf unter sich und mit dem
Kurpfuschertum .
Dem gegenüber ist zu bemerken : die Zahl von 24000 Civilärzten mag für die
Civilbevölkerung Deutschlands allerdings ausreichend sein . Aber Militärärzte sind
nicht genügend vorhanden . Die zur Verfügung stehenden bleiben , wie jeder weiß ,
der den Verhandlungen des letzten Reichstags darüber gefolgt ist , der Ziffer nach ,
sogar hinter dem Etats-Soll der Friedens-Präsenzstärke um fast unglaublich klingende
Prozentsätze zurück . Sollte das Gespenst eines europäischen Krieges , mit dem uns
seit Jahrzehnten fast jede einzelne Zeitungsnummer schreckt , einmal doch zur Wahrheit
werden , so würde der empfindlichste Mangel an Ärzten auf allen Flanken die nächste
Folge sein , und weibliche Stellvertretung für die Ausmarschierenden vermutlich sehr
erwünscht . Auch unser wachsendes Seewesen , unsre sich vermehrenden und erweiternden
Kolonien werden immer zahlreichere ärztliche Kräfte an sich ziehen und verbrauchen ,
so daß es im kommenden Jahrhundert , auch unter normalen Verhältnissen und inner-
halb der bisherigen Zahl der Ärzte , an Lücken für weibliche Kollegen in der deutschen
Heimat wohl kaum fehlen dürfte .
Jm übrigen handelt es sich um all das bei den Forderungen der „ sogenannten “
Frauenbewegung , wie Prof . Penzoldt sie bezeichnet , nur sekundär . Zahl oder Überzahl
der deutschen Ärzte , ihre größeren oder geringeren Existenzschwierigkeiten berühren den
Kern der Sache nicht . Denn wir wollen weder weniger noch mehr , wir wollen auch
nicht hervorragend glänzend situierte , wir wollen weibliche Ärzte .
Die geringere körperliche Stärke der Frau macht dem Wiesbadener Referat
natürlich auch wieder Sorge . Sie werde ihr akut hinderlich sein , meint der Referent ,
bei Durchführung schwerer chirurgischer oder gynäkologischer Eingriffe .
Aber zum Holzfällen , ganze Sommer hindurch , wie ein Holzknecht , zum Loh
kuchentreten , tagelang , zum Holzsägen und -spalten , zum Mörtel- und Backsteintragen
bei Häuser- und Kirchenbauten , da reicht die Kraft ? Weiß der Referent nicht , was
Zum Wiesbadener Ärztetag.
unsere Bauernweiber und Fabrikarbeiterinnen und auch unsre Sportsdamen leisten ?
Was von einem Teil unsrer weiblichen Dienstboten gefordert wird ? Kennt er die
Webesäle großer Baumwollindustrien ?
Die Fähigkeit , Zähne auszuziehen , billigt Prof . Penzoldt der Frau gütigst zu :
weil da Übung und Geschick die Kraft ersetzen könnten . Jch habe die Jdee , daß das
bei den allermeisten operativen Eingriffen sich genau ebenso verhält und kann mir
schlechterdings nicht vorstellen , daß für irgend eine der Operationen , die vom Arzt bis
jetzt ohne Assistenz ausgeführt worden sind , die Kraft einer normal entwickelten , auch
körperlich gut geschulten Frau nicht ausreichen sollte . Wie viele von dem Gros der
praktischen Ärzte nehmen denn halbwegs bedeutendere operative Eingriffe überhaupt
noch vor ? Wenn eines ihrer eigenen Kinder die Armspeiche bricht , wird gleich der
Spezialist herbeigeholt ; der bringt dann seinen Assistenten mit , und da sind sie denn zu
dreien um den einen Radius herum . Und große Operationen werden ja niemals
ohne Beistand ausgeführt . Der Herr Referent weiß doch , daß schon bei schweren ,
langdauernden Geburten die Hebamme sehr häufig dem erschöpften Arzt die Zange
abnehmen und weiter regieren muß , bis er sich wieder erholt hat .
Und sicher hat er schon barmherzige und Diakonissen-Schwesterlein gesehen , die
Kranke und Tote ganz allein auf ihren jungen Armen von einem Bett zum andern
trugen ? Oder vielleicht hat er den Krieg von 1870/71 mitgemacht und weiß noch , was
Frauen , zum Teil nicht einmal geübte , und nur mangelhaft geschulte Frauen , in
Lazaretten und aus Spitalzügen damals verrichteten ? Jch erinnere den Herrn
Referenten geflissentlich nur an solche Dinge , die mir selbst aus eigener Anschauung
bekannt geworden sind .
Warum hat er sich nicht bei einigen der größeren von den 5000 amerikanischen
Ärztinnen , oder bei ein paar der englischen , oder bei den 9 Züricher Ärztinnen , oder ihren
deutschen Kolleginnen in Leipzig , Berlin und Frankfurt darüber erkundigt , wie sie sich
mit den schwereren Aufgaben ihres Berufs abfinden ? Das wären doch die einzig
richtigen Auskunftsstellen gewesen .
Wenn Professor Penzoldt glaubt , daß die schaffende Energie , deren der Arzt in
den verschiedenen Stadien eines Krankheitsfalles bedürfe , der Frau in geringerem
Maße eigen sei , als dem Manne , so zeigt er damit nur , daß er das wahre Wesen
der Frau sehr wenig erfaßt hat .
Die schaffende Energie des Arztes ! Was ist sie anders als das Umsetzen seines
Wissens in ein Können , in eine Kunst ? Aber ein Umsetzen , das bei jedem neuen
Kranken neu beginnt , das in jedem ein neues und neu zu fassendes Problem erblickt ,
das keinen einförmigen Geschäftsgang kennt nach feststehenden Mustern oder die bloße
beschränkte Einwirkung auf ein anatomisch verändertes Organ , sondern das die
jeweilige Persönlichkeit des Kranken , dessen Um und Auf mit in sein Handeln und
Berechnen einbezieht , das , wenn es sein muß , Fühlung findet auch mit unwägbaren
Faktoren , mit einem Wort : das individualisiert .
Und darin sollte das Weib dem Manne nachstehen ? Jch glaube nicht . Wo
findet man denn „ schaffende Energie “ in diesem Sinne häufiger , wo ist sie unentbehrlicher ,
als bei dem Erziehungswerk am kommenden Geschlecht , wie es , als eine ihrer natur-
gemäßen Aufgaben , von treuen und klugen Frauen gethan wird in dieser Welt ? Und
weil sie , so gefaßt , ein spezifisch weibliches Erbteil darstellt , so glauben wir in aller
Bescheidenheit , daß , auch aus den hiermit zusammenhängenden Gründen , der Wieder-
Zum Wiesbadener Ärztetag.
eintritt der Frauen in die Medizin nicht „ eine Minderung des ärztlichen Ansehens “
bedeuten wird , wie eine der Wiesbadener Thesen wissen will , wohl aber den Beginn
einer guten und fördernden Ära für den ärztlichen Beruf . Vielleicht allerdings , daß
dann in kommenden Zeiten das Wort „ Wissenschaft “ nicht etwa an Wertschätzung
verliert , aber einem innerhalb der ärztlichen Welt doch nicht mehr gar so stündlich um
den Kopf fliegt , wie heutzutage , und daß wieder mehr , und mit frisch gewonnener
Zuversicht , bei Ärzten und Patienten die Rede sein wird vom ärztlichen Können .
Es ist schade , daß der Wiesbadener Referent über das Medizinstudium der
Frauen sich vorher nicht auch mit einer oder einigen der Hauptvertreterinnen der
deutschen Frauenbewegung ins Vernehmen gesetzt hat . Er wäre dann gewiß besser über
die vorzüglichsten Gründe unterrichtet gewesen , warum die deutschen Frauen Ärzte
werden , warum sie weibliche Ärzte haben wollen . Der 26. deutsche Ärztetag würde
in diesem Fall zu seiner wichtigsten Verhandlung sicher ein etwas neuzeitlicheres
Rößlein aufgezäumt haben und auch etwas weniger herausfordernd in unsre Vorposten
geritten sein , als es zu Wiesbaden geschah . Eine minder einseitige Beleuchtung
seines Gegenstandes hätte den Herrn Referenten jedenfalls erkennen lassen , daß an-
maßlicher Dünkel , krankhafte Sucht nach Höherem , ein ungerechtfertigtes Streben über
die Grenzen ihrer Zuständigkeit hinaus , wie er sie jetzt vorauszusetzen scheint , bei den
Frauen in dieser Sache nicht die treibenden Mächte sind ; vielleicht aber würde er
ihre unbeirrbare , opferbereite Entschlossenheit wahrgenommen haben , in einen geschichtlich
bedingten , neu und machtvoll sich herandrängenden Pflichtenkreis willig einzutreten .
Vermutlich hätte er dann zu gleicher Zeit entdeckt , daß die deutsche Frauen-
bewegung und der deutsche Ärztestand mehrfach die gleichen Dinge im Auge haben
und nach der gleichen Methode vorgehen . Wie das Wiesbadener Referat von den
deutschen Ärzten sagt , daß sie es als ihr Recht und sogar als ihre Pflicht betrachten ,
in allen Fragen , die das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden , sowie
das Ansehen des ärztlichen Standes angehen , ihre Meinung zu äußern , so betrachten
auch die in der Bewegung zusammengeschlossenen deutschen Frauen es als ihr Recht
und ihre Pflicht , in allen Fragen , die das Wohl , den Schutz und die Würde ihres
Geschlechtes betreffen , ihre Meinung kund zu geben . Noch mehr . Sie halten sich
nicht nur , wie die Ärzte , für verpflichtet zu reden , auch wo es nicht verlangt wird ,
und wo sie nicht sicher erwarten können , daß man ihren Rat befolgt , sondern manch-
mal selbst da , wo sie zum voraus wissen , daß nichts anderes ihnen antwortet , als
Hohn , verbissene Verständnislosigkeit und Brutalität .
Einer der Punkte z.B. , wo die Befürworter des Frauenstudiums mit Sicherheit
darauf rechnen , daß der Eintritt der Frauen in die Medizin dem ärztlichen Stand
zum Nutzen gereichen wird , ist der Kampf gegen das Kurpfuschertum . Vollständig
ausgefochten kann er ja niemals werden . Es sei denn , man schaffte vorher die
Borniertheit überhaupt aus der Welt . Auch die Verdrängung des männlichen
Kurpfuschers muß die Frau nach wie vor ihren männlichen Kollegen überlassen ; aber
mit den weiblichen wird sie auf ihre Weise aufzuräumen versuchen . Der ihr
eigentümlichen Natur gemäß wird sie nach und nach ein anderes Jdeal der praktischen
Medizin für sich aufstellen , als zur Stunde der Mann . Jhr weiblicher Sinn , vielleicht
auch etwas aus ihrer hörigen Vergangenheit , wird es der Frau erleichtern , in dem
Kranken immer vor allem den zu sehen , dem sie mit ihrer Kunst nun dienen soll ,
nicht einen , den seine Hilfsbedürftigkeit jetzt in ihr Machtbereich gestellt hat , oder einen
Zum Wiesbadener Ärztetag.
mehr oder weniger interessanten Fall für ihre berufliche Bethätigung . Sie wird nicht
so sehr darauf erpicht sein , in der Schätzung der Menge doch ja gewiß als eine
Vertreterin der Wissenschaft zu gelten , sondern nach Möglichkeit darnach trachten , eine
immer umfassendere Könnerin zu werden . So wird sie manches , was ihre männlichen
Kollegen im Lauf der Zeit aus den Händen gegeben , wieder in die ihren nehmen ,
und nichts , aber auch gar nichts , fesselt den Patienten fester an seinen Arzt , als die
persönliche Hilfeleistung , die er von ihm empfängt . Wenn so die Kranken einmal
durchempfunden haben , wie wohl die kunstgerechteren Manipulationen ihres weiblichen
Arztes thun , um die sie früher zu Masseusen , zu Hebammen und sonstigen Heil-
gehilfinnen geschickt wurden , ihres Geschlechtes wegen freilich auch gar oft geschickt
werden mußten , so wird es ihnen nicht mehr einfallen , die Hilfe jener untergeordneten
Kräfte aus eigener Machtvollkommenheit aufzusuchen .
Die schamhafte Scheu der Frau , bei gewissen Leiden den männlichen Arzt auf-
zusuchen , und die leidvolle Thatsache , daß dadurch eine Menge schwerer Fälle verschleppt
und erst dann gemeldet werden , wenn auch das Messer des Operateurs keine Hilfe
mehr bringen kann , will das Wiesbadener Referat als Grund für die Einführung
weiblicher Ärzte nicht gelten lassen . Es schlüge unsrer Würde ins Gesicht , darauf zu
erwidern . Unter Männern kann es hierfür keine Sachverständigen geben . Hat der
Herr Referent , während er seine Rede hielt , dies nicht gefühlt ? Die Ungeheuerlichkeit
nicht empfunden , die darin liegt , daß trotzdem , eine ganze Versammlung von Männern
es wagte , sich über diesen Punkt öffentlich auszusprechen ? Ungeheuerlich muß man es
in der That nennen , aber auch blind über alle Maßen . Denn daß gerade von diesem
Platz aus der Kampf gegen die Kurpfuscherei am siegreichsten geführt werden kann
und wird , liegt für jeden Urteilsfähigen auf der Hand .
Unter den pathetischen Schlußsätzen des Wiesbadener Referats ist einer , dem die
Frauen alle von Herzen zustimmen werden . Der Referent meint , wir brauchen keine
gelehrte und halbgelehrte , sondern eine geistig und vor allem auch körperlich tüchtige
Frau : „ Die Kraft eines Volkes “ , sagt der spartanische Gesetzgeber , „ ist im Schoße
blühender Weiber gelegen . “
Wir sind hier sowohl mit Prof . Penzoldt als auch mit dem seligen Lykurg aufs
völligste einverstanden . Zwar die gelehrte Frau werden wir in Zukunft nicht so ganz
entbehren können ; aber die halbgelehrte , präzis gesagt , die halbgebildete geben wir
mit Freuden preis . Bei der gesunden und blühenden Frau liegt auch nach unsrer
Auffassung das Heil unsres Volkes .
Aber während der Referent sich hieraus ein Argument gegen die Zulassung der
Frauen zum ärztlichen Beruf zurechtgeklügelt zu haben scheint , leiten die deutschen
Frauen eben davon die hauptsächlichsten Gründe ab für ihre Forderung weiblicher
Ärzte . Denn überall , wo das Wohl , die Tüchtigkeit , der Schutz ihres Geschlechtes ,
in Betracht kommen , begehrt die deutsche Frau von nun an Sitz und Stimme
im Rat .
Sie hält es für eine namenlose , sagen wir : Naivetät , auf die paar hundert
oder meinetwegen tausend studierender Frauen der Zukunft hinzuweisen als auf eine
Gefahr für die Kraft und Blüte unsrer künftigen Mütter , während ihr eben jetzt von
allen Seiten jene entsetzlichen 80 Prozent aller Männer in die Ohren geschrien werden ,
die , wenigstens in den großen Städten , durch eigene Schuld an Krankheitsformen leiden ,
durch deren nur allzu häufige Übertragung die Gesundheit und einschlägige Leistungs-
Zum Wiesbadener Ärztetag.
fähigkeit unsrer zur Mutterschaft berufenen Frauen aufs schwerste geschädigt , zum Teil
für immer zerstört wird .
Die Frau hat ferner Kenntnis genommen von dem Streit im ärztlichen Lager
über die Anlegung der Geburtszange . Es ist ihr bekannt geworden , welch schwere
und dauernde Gefährdung für Leib und Leben ihr aus sogenannten Luxusoperationen
in der Geburtshilfe erwachsen kann , und leider vielfach auch erwächst . Sie weiß
z.B. , daß unter den Gründen für eine Erhöhung einzelner Taxgebühren in einer
medizinischen Gesellschaft zu Berlin folgender angeführt wurde : „ Die in der neuen
Taxe festgesetzte geringe Gebühr für die ärztliche Hilfeleistung bei der natürlichen Ent-
bindung muß der schon jetzt vielfach beklagten zu großen Häufigkeit der Zangenan-
legung weiteren Vorschub leisten . “ Jst es ein Wunder , wenn angesichts solcher Zustände
und Erörterungen die Frau an diesen Stellen nicht länger rechtlos sein , wenn sie
durch ihre eigenen Sachverständigen hier Sitz und Stimme haben will im Rat ?
Und noch auf einem andern Gebiet , wo sie allmählich die Augen öffnet , begehrt
sie ihrer : auf dem Gebiet der öffentlichen Sittlichkeit . Sie beginnt die jammervolle
Rolle zu begreifen , die ihrem Geschlecht hier zugefallen ist ; sie kennt nunmehr die
volksmörderischen Zustände im Bereich der staatlich reglementierten Prostitution . Sie
weiß , daß unter der ausschließlichen Herrschaft und Verantwortung der Männer die
Dinge sich so fürchterlich gestaltet haben und ist überzeugt , daß ohne ihr , der deutschen
Frau , ausgedehntes Mitwissen und Mithelfen auf eine wirkliche Besserung hier
nimmermehr zu hoffen ist . –
Die Verhandlungen des 26. deutschen Ärztetages machen fast den Eindruck , als
ob man dort der Ansicht gewesen wäre , die Frauen seien selbst nicht ganz im klaren
über die Tragweite ihrer eigenen Forderungen . Glaubt man denn wirklich , wir setzten
soviel Energie an ein Phantom ? Wir stellten uns so , hundertmal geschlagen , auch
zum hundertunderstenmal wieder in Gefechtsordnung für eine Sache , deren welt-
geschichtliches Recht nicht in seinem ganzen Umfang von uns erkannt worden wäre ?
Glaubt man , wir wagten das Köstlichste , was wir besitzen , unsre Mädchenjugend ,
unbedachtsam an einen Kampf , der als ein unerquicklicher und schwerer noch lange
nicht zur Ruhe kommen wird ?
Sicher nicht . Wir wußten , was wir thaten , als wir ihn begannen und sind
fest entschlossen , ihn zu Ende zu führen . Der ganze denkfähige und wohldenkende Teil
der deutschen Frauenwelt , der heute für sein Geschlecht und Volk Heilbringendes von
ihnen erwartet , wird einmal hinter unsern jungen ärztlichen Pionieren stehen und sie
nach Kräften halten , fördern und beschützen .