„Mit dem Menſchen iſt nicht auszukom¬
men,“ ſagten ſie, als ſie in meinem Gaſthof
die Treppe hinabſtiegen, und ich konnte es noch
deutlich hoͤren. „Jetzt will er wieder ſchlafen
von neun Uhr an, und leben wie ein Murmel-
Thier; wer haͤtte das gedacht vor vier Jahren!“
Sie hatten nicht Unrecht, die Freunde, daß
ſie mich in Unmuth verließen. Gab es ja doch
heute Abend eines der glaͤnzendſten, muſikali¬
ſchen, tanzenden und declamirenden Butter¬
brode in der Stadt und hatten ſie ſich nicht alle
moͤgliche Muͤhe gegeben, mir, dem Landfrem¬
den, einen angenehmen Abend dort zu ver¬
ſchaffen? Aber es war wahrhaftig unmoͤglich;
ich konnte nicht gehen. Warum ſollte ich einen
tanzenden Thee beſuchen, wo ſie nicht tanzte,
warum ein ſingendes Butterbrod, wo ich, (ich
wußte es zum Voraus) haͤtte ſingen muͤſſen,
ohne von ihr gehoͤrt zu werden; warum einen
trauten Kreis von Freunden durch Truͤbſinn
und finſteres Weſen ſtoͤren, das ich nun heute
nicht verbannen konnte. O Gott! ! ich wollte
ja lieber, daß ſie mir auf der Treppe einige
Secunden fluchten, als daß ſie ſich von 9 Uhr
bis 1 Uhr langweilten, wenn ſie nur mit mei¬
nem Koͤrper ſich unterhielten und bei der Seele
umſonſt anfragten, die einige Straßen weiter auf
Unſerer Lieben Frauen-Kirchhof nachtwandelte.
Aber das that mir wehe, daß mich die gu¬
ten Geſellen fuͤr ein Murmelthier hielten und
dem Drang nach Schlafe zuſchrieben, was aus
Freude am Wachen geſchah. O nur Du, ehr¬
licher Hermann, wußteſt es mehr zu wuͤrdigen.
Hoͤrte ich denn nicht, wie Du unten auf dem
Domhof ſagteſt, „Schlaf iſt es nicht, denn
ſeine Augen leuchten. Aber entweder hat er
wieder zu viel oder zu wenig Wein getrunken,
das heißt, er trinkt noch welchen und — al¬
leine.“
Wer verlieh Dir denn dieſe prophetiſche
Kraft? oder konnteſt Du ahnen, daß meine
Augen wacker waren, weil ſie heute Nacht al¬
ten Rheinwein ſchauen ſollten, konnteſt Du
wiſſen, daß ich gerade heute von dem Patent
und Erlaubnißſchein, vom Rathe auf meine
Perſon ausgeſtellt, Gebrauch machen werde, um
die Roſe und eure zwoͤlf Apoſtel zu begruͤßen?
Und uͤberdieß, war denn heute nicht mein
Schalttag?
Meines Erachtens iſt es reine uͤble Ge¬
wohnheit, die ich von meinem Großvater an¬
genommen, naͤmlich hie und da Einſchnitte zu
machen in den Baum des Jahres und ſinnend
dabei zu verweilen. Wenn der Menſch nur
Neujahr und Oſtern, nur Chriſtfeſt oder Pfing¬
ſten feiert, ſo kommen ihm endlich dieſe Ruhe¬
punkte in der Geſchichte ſeines Lebens ſo all¬
taͤglich vor, daß er daruͤber hinweg gleitet ohne
Erinnerung. Und doch iſt es gut, wenn die
Seele, ſonſt immer nach auſſen gerichtet, auch
einmal auf ein paar Stunden einkehrt im ei¬
genen Gaſthof ihrer Bruſt, ſich bewirthet an
der langen Table d'Hôte der Erinnerung und
nachher gewiſſenhaft die Rechnung ad notam
ſchreibt, wie Frau Hurtig dem Ritter. Der
Großvater nannte ſolche Tage ſeine Schalttage.
Nicht daß er etwa ein Banket veranſtaltete mit
ſeinen Freunden, oder den Tag luſtig und in
Freuden lebte, in Saus und Brauß; nein, er
kehrte ein bei ſich, und ſeine Seele ſchmaußte
in der Kammer, die ſie ſeit fuͤnf und ſiebzig
Jahre kannte. Noch jetzt, da er laͤngſt im kuͤh¬
len Friedhof ruht, noch jetzt kann ich es ſeinem
hollaͤndiſchen Horaz anſehen, welche Stellen
er an ſolchen Tagen geleſen; noch jetzt, als
waͤre es geſtern geſchehen, ſehe ich ſein großes
blaues Auge ſinnend auf den vergelbten Blaͤt¬
tern ſeines Stammbuchs weilen; und wie deut¬
lich ſehe ich, wie dieſes Auge nach und nach
ſich fuͤllt, wie eine Thraͤne in den grauen Wim¬
pern zittert, wie der gebietende Mund ſich zu¬
ſammenpreßt, wie der alte Herr langſam und
zoͤgernd die Feder ergreift und „einem ſeiner
Bruͤder, der geſchieden,“ das ſchwarze Kreuz
unter den Namen malt.
„Der Herr haͤlt ſeinen Schalttag,“ pflegten
die Diener uns zuzuwiſpern, wenn wir Enkel
laut und froͤhlich wie gewoͤhnlich die Treppe
hinanſtuͤrmten; „der Großvater haͤlt ſeinen
Schalttag,“ fluͤſterten wir uns zu, und glaub¬
ten nicht anders, als er beſcheere ſich ſelbſt
den heiligen Chriſt, weil er ja doch niemand
habe, der ihm den Chriſtbaum anzuͤnde. Und
war es nicht ſo, wie wir in kindiſcher Einfalt
glaubten? Zuͤndete er nicht den Chriſtbaum
ſeiner Erinnerung an, flammten nicht tauſend
flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsſtunden
eines langen Lebens, und ſchien er nicht, wenn
er am Abend des Schalttags ſtill und ruhig
im Seſſel ſaß, ſich kindlich zu freuen an den
Gaben der Vergangenheit?
Es war ſein Schalttag wieder eingetreten,
als ſie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen,
als ich dachte, daß der alte Mann ſeit langer
Zeit zum erſtenmal wieder in die freie Luft
komme. Sie fuͤhrten ihn den Weg, auf dem
ich ſo oft an ſeiner Seite gegangen war. Aber
nicht lange, ſo beugten ſie uͤber die ſchwarze
Bruͤcke, und legten ihn tief in die Erde. „Nun
haͤlt er ſeinen rechten Schalttag,“ dachte ich,
„aber wundern ſoll es mich doch, wie der alte
Herr wieder da herauf kommen will, denn ſie
haben doch viele Steine und Raſen auf ihn
hinab geworfen.“ Er kam nicht wieder. Aber
ſein Bild blieb in meinem Gedaͤchtniß, und
als ich herangewachſen war, gehoͤrte es zu mei¬
nen liebſten Beſchaͤftigungen, ſeine feine, offene
Stirne, das klare Auge, den gebietenden und
doch ſo freundlichen Mund mir vorzumalen.
Mit ſeinem Bilde ſtiegen tauſend Erinnerungen
auf, und ſeine Schalttage waren mir die Lieb¬
lingsſtuͤcke in der langen Bildergallerie.
Und iſt denn heute nicht der erſte September,
den auch ich mir zum Schalttag erwaͤhlte? Und
ich ſollte Butterbrod verzehren in ſeiner Ge¬
ſellſchaft und allerlei Arien abſingen hoͤren mit
beigefuͤgtem Applaus und Gezwitſcher? Nein!
Heraus mit dir, koͤſtliches Recept, das kein
Arzt der Erde ſo koͤſtlich miſcht! Hinab zu dir,
alte, wahrhaftige Apotheke, um „nach Vor¬
ſchrift, jedesmal einen Roͤmer voll zu neh¬
men.“
Es ſchlug 10 Uhr, als ich die breiten Stu¬
fen des Rathskellers hinabſtieg; ich durfte hof¬
fen, keinen Zecher mehr zu finden, denn es
war Werktag bei andern Leuten und drauſſen
heulte der Sturm, die Windfahnen ſtimmten
ſonderbare Weiſen an und der Regen rauſchte
auf das Pflaſter des Domhofs. Aber der Raths¬
diener maß mich mit fragenden Blicken vom
Kopf bis zum Fuß, als ich ihm die Anweiſung
auf einigen Wein darreichte.
„So ſpaͤt noch, und heute, in dieſer
Nacht?“ rief er.
„Mir iſt es vor zwoͤlf Uhr nie zu ſpaͤt,“
entgegnete ich, „und nachher iſt es wohl fruͤhe
genug am Tage.“
„Aber muß es denn —“ wollte er eben
fragen, doch Sigill und Handſchrift ſeiner
Obern fiel ihm wieder ins Auge, und ſchweigend,
aber nicht ohne Zoͤgern ſchritt er voraus durch
die Hallen. Welch' herzerquickender Anblick,
wenn ſein Windlicht uͤber die lange Reihe der
Faͤßer hinſtreifte, welch' ſonderbare Formen
und Schatten, wenn es an den Schwibbogen
des Kellers zitterte und die Saͤulen im dunkeln
Hintergrunde wie geſchaͤftige Kuͤper um die
Faͤßer ſchwebten! Er wollte mir eines jener
kleineren Gemaͤcher aufſchließen, wo hoͤchſtens
6—8 Freunde, eng zuſammen geruͤckt, den Be¬
cher kreiſen laſſen koͤnnen. Doch, mit trauten
Geſellen liebe ich ein ſolches heimliches Plaͤtz¬
chen; der enge Raum draͤngt Mann an Mann,
und die Toͤne, die hier nicht verhallen koͤnnen,
klingen traulicher; aber allein und einſam
liebe ich freiere Raͤume, wo der Gedanke, gleich
den Athemzuͤgen, ſich freier ausdehnt. Ich
waͤhlte einen alten gewoͤlbten Saal, den groͤ߬
ten in dieſen unterirdiſchen Raͤumen zu mei¬
nem einſamen Gelage.
„Erwarten Sie Geſellſchaft?“ fragte der
Mann an meiner Seite.
„Ich bin allein.“
„Sie koͤnnten ungebeten welche haben,“
ſetzte er hinzu, indem er ſich ſcheu nach den
Schatten umſah, die ſeine Lampe warf.
„Wie meint Ihr das?“ fragte ich ver¬
wundert.
„Ich meinte nur ſo;“ antwortete er, in¬
dem er einige Kerzen anzuͤndete und einen gro¬
ßen Roͤmer vor mich hinſetzte. „Man ſpricht
mancherlei vom erſten September, der Herr
Senator D. waren uͤbrigens ſchon vor zwei
Stunden da und ich erwartete Sie nicht mehr.“
„Der Herr Senator D.? warum? fragte er
nach mir?“
„Nein, er hieß mich nur die Proben her¬
ausnehmen.“
„Welche Proben, mein Freund?“
„Nun die von den Zwoͤlfen und der Roſe;“
erwiederte der alte Mann, indem er anfing,
einige niedliche Flaͤſchchen mit langen Papier¬
ſtreifen an den Haͤlſen hervor zu ziehen.
„Wie! rief ich, man ſagte mir ja, ich
koͤnnte den Wein von den Faͤßern ſelbſt trinken.“
„Ja, aber nur im Beiſeyn eines Herrn
vom Senat. Darum hieß mich der Herr
Doctor die Zungenproͤbchen herausnehmen und
ſo will ſie Ihnen einſchenken, wenn's ge¬
faͤllig.“
„Nicht einen Tropfen,“ unterbrach ich
ihn, „hier kein Glas voll; nein, das iſt der
aͤchte Genuß vom Faß zu trinken, und iſt
es mir nicht mehr moͤglich, ſo will ich doch
am Faße trinken. Kommt Alter, nehmet
die Proben mit, ich will das Licht tragen.“
Ich ſtand ſchon einige Minuten und ſah
dem wunderlichen Treiben des alten Dieners
zu. Bald ſtand er ſtill, ſah auf mich und
raͤuſperte ſich, als wollt er ſprechen, bald
nahm er die Proben vom Tiſche und packte ſie
in ſeine weiten Taſchen , bald nahm er ſie zoͤ¬
gernd wieder heraus um ſie auf den Tiſch zu
2
ſetzen. Es ermuͤdete mich; „nun, ſollen wir
bald gehen?“ rief ich voll Sehnſucht nach dem
Apoſtelkeller; „wie lange wollt Ihr noch an
Euren Glaͤschen hier aus- und einpacken?“
Der ernſte Ton, in welchem ich dieß
ſagte, ſchien ihm Muth zu machen. Ziemlich
beſtimmt antwortete er, „es geht nicht, —
nein! heute geht es nicht mehr, Herr!“
Ich glaubte hierin einen jener gewoͤhnlichen
Kniffe zu ſehen, womit Hausverwalter, Ca¬
ſtellane oder Kellermeiſter dem Fremden Geld
abzuzwacken ſuchen, druͤckte ihm ein hinlaͤng¬
liches Geldſtuͤck in die Hand, und nahm ihn
beim Arm, ihn fortzuziehen.
„Nein, ſo war es nicht gemeint,“ ent¬
gegnete er, indem er das Geldſtuͤck zuruͤckzu¬
ſchieben ſuchte; „ſo nicht, fremder Herr! ich
will es nur gerade heraus ſagen; mich bringt
man nicht mehr in den Apoſtelkeller in dieſer
Nacht, denn wir ſchreiben heute den erſten Sep¬
tember.“
„Und welche Thorheit wollt Ihr daraus
folgern?“
„Nun, in Gottes Namen, Sie koͤnnen
denken davon was ſie wollen; es iſt dort nicht
geheuer in dieſer Nacht, das macht, es iſt der
Jahrestag der Roſe.“
Ich lachte, daß die Halle droͤhnte. „Nein!
in meinem Leben habe ich doch ſo manchen
Spuck erzaͤhlen gehoͤrt, aber einen Weinſpuck
nie! Schaͤmt Ihr Euch nicht mit Euern weißen
Haaren, noch ſolches Zeug zu ſchwatzen? Doch
hier iſt nicht lange zu ſpaßen. Hier iſt die
Vollmacht des Senats; im Keller darf ich
trinken heute Nacht, ohne nach Zeit und Raum
zu fragen. Darum im Namen des Rathes
heiß' ich Euch folgen. Schließe den Keller
des Bachus auf.“
Dieß wirkte; unwillig, aber ohne etwas
zu entgegnen nahm er die Kerzen und winkte
mir zu folgen. Es ging zuerſt wieder durch
den großen Keller, dann durch kleinere, bis
der Weg in einem engern ſchmalen Gang zu¬
ſammenlief. Dumpf toͤnten unſere Schritte
in dieſem Hohlweg, und unſere Athemzuͤge
toͤnten, wenn ſie an den Mauern ſich brachen,
wie fernes Gefluͤſter. Endlich ſtanden wir vor
einer Thuͤre, die Schluͤſſel raſſelten, ſie gaͤhn¬
te aͤchzend auf, der Schein der Lichter fiel
in das Gewoͤlbe, mir gegenuͤber ſaß Freund
Bachus auf einem maͤchtigen Weinfaß. Er¬
quickender Anblick! Sie hatten ihn nicht zart
und fein dargeſtellt, die alten Bremer Kuͤnſt¬
ler, nicht zierlich als einen griechiſchen Juͤng¬
ling; ſie hatten ihn nicht alt und trunken ſich
gedacht, mit graͤßlichem Bauch, verdrehten
Augen und haͤngender Zunge, wie ihn die ge¬
mein gewordene Mythe hin und wieder got¬
teslaͤſterlich abconterfeit. Schmaͤchlicher An¬
thropomorphismus; blinde Thorheit des Men¬
ſchen! weil einige ſeiner, im Dienſt ergrauten
Prieſter alſo einhergehen, weil ihnen voll
guten Muthes der Leib anſchwoll, die Naſe
von dem brennenden Wiederſchein der dunkel¬
rothen Fluth ſich faͤrbte, das in ſtummer
Wonne aufwaͤrts gerichtete Auge ſtehen blieb,
— ſo legten ſie dem Gott bei, was ſeine Diener
ſchmuͤckt!
Anders die Maͤnner von Bremen. Wie froͤh¬
lich und munter reitet der alte Knabe auf dem
Faß! das runde, bluͤhende Geſicht, die klei¬
nen muntern Weinaͤuglein, die ſo klug und
neckend herab ſehen, der breite, laͤchelnde Mund,
der ſich an mancher Kanne ſchon verſuchte;
der kurze kraͤftige Hals, das ganze Koͤrperchen
von behaglichem, gutem Leben ſtrotzend! Ganz
beſondere Kunſt hat aber der Meiſter, der dich
geſchaffen, auf Arme und Beinchen gelegt.
Meint man nicht, dein kraͤftiges Aermlein
werde ſich bewegen, du werdeſt mit den run¬
den Fingerchen ein Schnippchen ſchlagen, und
der breite, laͤchelnde Mund werde ſich aufthun
zu einem munteren Juheiſa, Heiſa, He!
„Iſt man nicht verſucht zu glauben, du wer¬
deſt im tollen Weinmuth die runden Knie beu¬
gen, den Waden anlegen, mit dem Ferſen
ſtauchen und das alte Mutterfaß in Galopp
ſetzen, daß alle Roſen, Apoſtel und andere
gemeinere Faͤßer mit Huſſa und Halloh dir
nachjagen durch den Keller?“
„Herr des Himmels!“ rief der Rathsdie¬
ner, indem er ſich an mir feſt klammerte,
„ſeht Ihr nicht wie er die Augen verdreht und
mit dem Fuͤßchen baumelt?“
„Alter, Ihr ſeyd verruͤckt!“ ſagte ich,
einen ſcheuen Blick nach dem hoͤlzernen Wein¬
gott werfend, „es iſt der Schein der Kerzen,
der an ihm hin und her flackert.“ Dennoch
war mir wunderlich zu Muthe, ich folgte
dem Alten aus dem Bachus-Keller. Und war
es denn auch der Schein der Kerzen, war es
auch Taͤuſchung, als ich mich umſah? Nickte
er mir nicht mit dem runden Koͤpfchen, ſtreckte
er mir nicht das eine ſeiner Beinchen nach und
ſchuͤttelte und kruͤmmte ſich vor heimlichem La¬
chen? Ich rannte unwillkuͤhrlich dem Alten
nach und ſchloß mich dicht hinter ihm an.
„Jetzt zu den zwoͤlf Apoſteln,“ ſprach ich
zu ihm, „wie ſollen uns dort die Proben mun¬
den!“
Er antwortete nichts; kopfſchuͤttelnd ging
er weiter. Man ſteigt vom Keller einige Stu¬
fen aufwaͤrts, zum kleinen Kellerlein, zum
unterirdiſchen Himmelsgewoͤlbe, zum Sitz der
Seligkeit, wo die Zwoͤlfe hauſen. Was
ſeyd ihr Trauergewoͤlbe und Gruͤfte alter Koͤ¬
nigshaͤuſer gegen dieſe Katacomben! Pflan¬
zet Saͤrge neben Saͤrge, ruͤhmet auf ſchwar¬
zem Marmor die Verdienſte des Mannes,
der hier einer „froͤhlichen Urſtaͤnd“ entgegen¬
ſchlaͤft, ſtellt einen ſchwazhaften Cicerone an,
in Trauermantel und florumhaͤngtem Hute,
laßt ihn die abſonderliche Herrlichkeit dieſes
oder jenes Staubes ruͤhmen, laßt ihn erzaͤh¬
len von den trefflichen Tugenden eines Prin¬
zen, der in der Bataille ſo und ſo gefallen,
von der holden Schoͤnheit einer Fuͤrſtin, auf
deren Sarge die jungfraͤuliche Myrthe ſich
um die kaum erbluͤhte Roſenknospe ſchlingt
— es wird euch an die Sterblichkeit mahnen,
es wird euch vielleicht eine Thraͤne koſten;
aber kann es euch alſo ruͤhren, wie der Anblick
dieſer Schlafkammer eines Jahrhunderts, die¬
ſer Ruheſtaͤtte eines herrlichen Geſchlechtes?
Da liegen ſie in ihren dunkelbraunen Saͤrgen,
ſchmucklos, ohne Glanz und Flitter. Kein
Marmor ruͤhmt ihr ſtilles Verdienſt, ihre an¬
ſpruchloſe Tugend, ihren vortrefflichen Cha¬
rakter; aber welcher Mann von einigem Ge¬
fuͤhl fuͤr Tugenden dieſer Art fuͤhlt ſich nicht
innig bewegt, wenn der alte Rathsdiener,
dieſer Aufwaͤrter in den Katacomben, dieſer
Kuͤſter der unterirdiſchen Kirche, die Kerzen
auf die Saͤrge ſtellt, wenn dann das Licht auf
die erhabenen Namen der großen Todten faͤllt!
Wie regierende Haͤupter fuͤhren auch ſie keine
langen Titel und Zunamen; einfach und groß
ſtehen die Namen auf ihren braunen Saͤrge
geſchrieben. Dort Andreas, hier Johannes,
in jener Ecke Judas, in dieſer Petrus. Wen
ruͤhrt es nicht, wenn er dann hoͤrt: dort liegt
der Edle von Nierenſtein, geboren 1718, hier
der von Ruͤdesheim, geboren 1726. Rechts
Paulus, links Jacob, der gute Jacob!
Und ihre Verdienſte? Ihr fraget? Seht
ihr denn nicht, wie er eingießt in den gruͤnen
Roͤmer, wie er das herrliche Blut des Apo¬
ſtels mir darreicht? Gleich dunkelrothem Golde
blinkt es im Glaſe. Als ihn die Sonne auf¬
zog auf den Huͤgeln von St. Johannes, da
war er blond und helle; ein Jahrhundert
hat ihn gefaͤrbt. Welche Wuͤrze des Geruches!
welche Namen leg' ich dir bei, du lieblicher
Duft, der aus dem Roͤmer aufſteigt? Nehmet
alle Bluͤthen von den Baͤumen, pfluͤcket alle
Blumen in den Fluren, fuͤhrt Indiens Ge¬
wuͤrz herbei, beſprengt mit Ambra dieſe kuͤh¬
len Keller, loͤſet den Bernſtein in blaͤuliche
Woͤlkchen auf — miſchet aus ihnen alle die
feinſten Duͤfte, wie die Biene ihren Honig
aus den Bluͤthen ſaugt, wie ſchlecht, wie ge¬
mein, wie unwuͤrdig gegen die zarte Blume
deines Kelches, mein Bingen und Lauben¬
heim, gegen deine Duͤfte Johannes und
Nierenſtein von 1718!
„Ihr ſchuͤttelt den Kopf, Alter? tadelt Ihr
meine Freude an euren alten Geſellen? Da,
nimm dieſen Roͤmer, alter Menſch, trink auf
das Wohlſeyn dieſer Zwoͤlfe! Komm, ſtoß an,
ſie ſollen leben!“
„Gott ſoll mich bewahren, daß ich einen
Tropfen trinke in dieſer Nacht,“ erwiederte er,
„man ſoll mit dem Teufel kein Spiel treiben.
Aber wenn Ihr ſie alle durchgekoſtet, wollen
wir weiter gehen. Mir graut in dieſem
Keller.“
„Gute Nacht denn, Ihr alten Herren vom
Rheine, gute Nacht und herzlichen Dank fuͤr
euer Labſal. Und wenn ich dir, mein ern¬
ſter feuriger Judas, wenn ich dir, mein
ſanfter, lieblicher Andreas, dir, mein Jo¬
hannes, dienen kann, ſo kommt, kommt zu
mir.“
„Herr des Himmels!“ unterbrach mich
der Alte, und ſchlug die Thuͤre zu und drehte
haſtig die Schluͤſſel um, „ſeyd Ihr von den
Paar Tropfen ſchon betrunken, daß Ihr den
Teufel heraufſchwoͤrt?! Wißt Ihr denn nicht,
daß die Weingeiſter aufſtehen dieſe Nacht und
einander beſuchen, wie immer am erſten Sep¬
tember? Und ſollt' ich meinen Dienſt ver¬
lieren, ich laufe davon, wenn Ihr noch ſolche
Worte ſprecht. Noch iſt es nicht zwoͤlf Uhr,
aber kann denn nicht alle Augenblicke einer
aus dem Faß kriechen mit graͤulichem Ge¬
ſicht und uns zu Tode ſchrecken?“
„Alter, du faſelſt! Doch ſey ruhig; ich
will kein Wort mehr ſprechen, daß deine
Weingeſpenſter nicht wach werden. Doch jetzt
fuͤhre mich zur Roſe.“ Wir gingen weiter,
wir traten ein in das Gewoͤlbe, in das Ro¬
ſengaͤrtlein von Bremen. Da lag ſie, die
alte Roſe; groß, ungeheuer, mit einer Art
von gebietender Hoheit. Welch ungeheures
Faß; und jeder Roͤmer ein Stuͤck Goldes werth!
Anno 1615! wo ſind die Haͤnde, die dich
pflanzten! wo die Augen, die ſich an deiner
Bluͤthe erfreuten? wo die froͤhlichen Menſchen
alle, die dir zujauchzten, edle Traube, als
man dich abſchnitt auf den Hoͤhen des Rhein¬
gaus, als man deine Huͤllen abſtreifte und
du als goldener Born in die Kufe ſtroͤmteſt?
Sie ſind dahin, wie die Wellen des Stro¬
mes, der an deinem Rebenhuͤgel hinabzog.
Wo ſind ſie, jene alten Herren der Hanſa,
jene wuͤrdigen Senatoren dieſer alten Stadt,
die dich pfluͤckten, duftende Roſe, dich ver¬
pflanzten in dieſe kuͤhlen Raͤume zum Lab¬
ſal ihrer Enkel? Gehet hinaus auf Angarii
Friedhof, gehet hinauf zur Kirche Unſerer lie¬
ben Frauen, und gießet Wein auf ihre Grab¬
ſteine! Sie ſind hinunter, und zwei Jahrhun¬
derte mit ihnen!
Nun, auf euer Wohlſeyn, alte Herren von
Anno 1615, und auf das Wohl eurer wuͤrdigen
Enkel, die ſo gaſtfreundlich dem Fremdling
die Hand und dieſes Labſal boten!
„So! Und jetzt gute Nacht, Frau Roſe;“
ſetzte der alte Diener freundlicher hinzu, in¬
dem er ſein Koͤrbchen zuſammen raͤumte; „jetzt
gute Nacht und Gott befohlen; hier heraus,
nicht dort um die Ecke, hier heraus geht der
Weg aus dem Keller, werthgeſchaͤtzter Herr.
Kommt, ſtoßet Euch nicht hier an die Faͤſſer,
ich will Euch leuchten.“
„Mit nichten, Alter, erwiederte ich, jetzt
geht das Leben erſt recht an. Das alles war
nur der Vorſchmack. Gib mir zweiundzwanz'¬
ger Ausſtich, ſo etwa zwei bis drei Flaſchen,
in das große Gemach dort hinten. Ich hab'
ihn gruͤnen ſehen dieſen Wein, und war dabei
als ſie ihn kelterten; hab ich das Alter bewun¬
dert, ſo muß ich meiner Zeit nicht minder
ihr Recht anthun.“
Er ſtand da mit weit geoͤffneten Augen,
der Jammermenſch; er ſchien ſeinen Ohren nicht
zu trauen. „Herr,“ ſprach er dann feierlich,
„ſprechet nicht ſolch' gottloſen Scherz. Heute
Nacht wird nun und nimmermehr was dar¬
aus; ich bleibe um keine Seligkeit.“
„Und wer ſagt denn, daß du bleiben ſollſt?
Dort ſetze den Wein hinein und dann mach'
in Gottes Namen, daß du fortkoͤmmſt; ich
will nun einmal dieſe Gedaͤchtnißnacht hier
feiern und habe mir deinen Keller auserſehen;
dich habe ich nicht von Noͤthen.“
„Aber ich darf Euch nicht allein im Keller
laſſen,“ entgegnete er, „ich weiß wohl, nehmt
mir nicht unguͤtig, daß Ihr den Keller nicht
beſtehlet, aber es iſt einmal gegen die Ord¬
nung.“
„Nun, ſo ſchließe mich ein in jenes Gemach;
haͤnge ein Schloß davor, ſo ſchwer als du
willſt, daß ich nimmer heraus kann, und mor¬
gen fruͤh um ſechs Uhr kannſt du mich auf¬
wecken und dein Schlafgeld holen.“
Der Mann des Kellers verſuchte noch man¬
cherlei Einreden, doch umſonſt; er ſetzte end¬
lich drei Flaſchen und neun Kerzen vor mich
hin, wiſchte den Roͤmer aus, ſchenkte mir den
zweiundzwanziger Ausſtich ein und wuͤnſchte
mir, wie es ſchien mit ſchwerem Herzen, gute
Nacht. Richtig ſchloß er auch die Thuͤre zwei¬
mal ab, und haͤngte, wie es mir ſchien, mehr
aus zaͤrtlicher Angſt fuͤr mich als aus Vor¬
liebe fuͤr ſeine Keller noch ein Haͤngeſchloß
vor. Eben ſchlug die Glocke halb Zwoͤlf. Ich
hoͤrte ihn ein Gebet ſprechen und davon eilen.
Seine Schritte hallten immer ferner und fer¬
ner im Gewoͤlbe; doch als er oben das Auſſen¬
thor des Kellers zuſchlug, hallte es wie Ka¬
nonendonner durch die Gaͤnge und Hallen.
So waͤre ich denn allein mit dir, meine
Seele, tief unten im Schooße der Erde. Oben
aus der Erde ſchlafen ſie jetzt und traͤumen,
und auch hier unten, rings um mich her,
ſchlummern ſie in ihren Saͤrgen, die Geiſter
des Weines. Ob ſie wohl traͤumen, von
ihrer kurzen Kindheit traͤumen, und der fernen
Berge, der Heimath, gedenken, wo ſie groß
wurden, und des Stromes, des alten Vaters
Rhein, der ihnen allnaͤchtlich freundlich ein Wie¬
genlied murmelte?
Gedenket ihr der wonnigen Tage, da die
milde Mutter, die Sonne, euch aus dem Schlum¬
mer kuͤßte, da ihr in klarer Fruͤhlingsluft die
Aeuglein oͤffnetet zum Erſtenmal, und hinab¬
ſchautet ins herrliche Rheingau? Und als der
Mai einzog in ſein deutſches Paradies, ge¬
denket ihr noch wie euch die Mutter anthat
mit gruͤnen Kleidchen von Laubwerk, und wie
der alte Vater baß ſich deſſen freute, herauf
lugte aus ſeinem gruͤnen Bette und euch zu¬
winkte und munter rauſchte am Lurlei?
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Und gedenkſt denn auch du der Roſentage
deiner Jugend, o Seele? der ſanften Reben¬
huͤgel der Heimath, des blauen Stromes und
der bluͤhenden Thaͤler des Schwabenlandes?
O Wonnezeit voll holder Traͤume! wie reich
biſt du behaͤngt mit Bilderbuͤchern, Chriſt¬
baͤumen, Mutterliebe, Oſterwochen und Oſter¬
eiern, mit Blumen und Voͤgeln, Armeen aus
Blei und Papier und den erſten Hoͤs'chen und
Collet'chen, in welche ſich deine kleine ſterb¬
liche Huͤlle, ſtolz auf ihre Groͤße, kleiden ließ.
Und wie dich der ſelige Vater auf den Knieen
ſchaukelte, und dir der Großvater gerne das lange
Meerrohr mit dem goldenen Knopf abtrat,
um es dir als Reitpferd zu leihen!
Und ruͤcke mit dem naͤchſten Glaſe um
einige Jahre vorwaͤrts! Erinnerſt du dich des
Morgens, als ſie dich hineinfuͤhrten zu einem
wohlbekannten Mann, deſſen Geſicht ſo blaß
geworden war, deſſen Hand du weinend kuͤ߬
teſt, weinend ohne zu wiſſen warum? denn
konnteſt du glauben, daß die harten Maͤnner,
die ihn in einen Schrank legten und mit ſchwar¬
zen Tuͤchern zudeckten, konnteſt du glauben,
daß ſie ihn nicht mehr zuruͤckbringen wuͤrden?
Sey ruhig, auch er ſchlummert nur ein Weil¬
chen. — Und gedenkſt du des geheimnißvollen
Freudelebens ins Großvaters Buͤcherſaal? Ach,
damals kannteſt du noch keine Buͤcher als den
ſchnoͤden kleinen Broͤder, deinen aͤrgſten Feind;
wußteſt nicht, daß jene Folianten noch zu
etwas anderem in Leder gebunden ſeyen, als
um Huͤtten und Staͤlle daraus zu erbauen fuͤr
dich und dein Vieh?
Gedenkſt du noch des Frevels, wie roh
du mit der deutſchen Literatur, in kleinerem
Format, umgingſt? Haſt du nicht deinem Bru¬
der den Leſſing an den Kopf geworfen, wo¬
fuͤr er dich freilich mit Sophiens Reiſen von
Memel nach Sachſen erbaͤrmlich zudeckte? Da¬
mals dachteſt du freilich nicht daran, daß du
einſt ſelbſt Buͤcher machen werdeſt!
Tauchet auch ihr auf, aus dem Nebel
verſchwundener Jahre, ihr Mauern des alten
Schloſſes; wie oft dienten deine halbverfal¬
lenen Gaͤnge, dein Keller, dein Zwinger,
deine Verließe der froͤhlichen Schaar zum Tum¬
melplatz ihrer Spiele! Soldaten und Raͤuber,
Nomaden und Caravanen! Wie wohl war
uns oft in der untergeordneten Rolle eines
Koſacken, waͤhrend Andere — Generale, Pla¬
tow's, Bluͤcher's, Napoleon und dergleichen
vorſtellten und ſich pruͤgelten? Ja, waren
wir nicht zu Zeiten ſogar ein Pferd, dem
Freunde zu gefallen? O Himmel, wie ſchoͤn
ließ es ſich dort ſpielen!
Wo ſind ſie hin, die Geſpielen deiner
Kindheit, die Genoßen jener goldenen Tage,
wo kein Rang, kein Stand, kein Anſehn
gilt; Grafen und Barone machen jetzt wohl
die große Tour, oder dienen an Hoͤfen als
Kammerherren; arme Teufel pilgern als Hand¬
werksburſche durch's Reich, den ſchweren Buͤn¬
del auf dem Ruͤcken, ohne Schuhe an den
Fuͤßen, haſchen nach Pfennigen aus dem
Kutſchenſchlag, die ſie mit dem vom Regen
gebraͤunten Hut kuͤnſtlich aufzufaſſen wiſſen;
und die Liebe druͤckt ſie oft noch ſchwerer als
das Buͤndel auf dem Ruͤcken. Andere Kame¬
raden, Seelen, die ſich in der Schule durch
geordneten Fleiß in Humanioribus hervorge¬
than, ſitzen jetzt ſchon auf einer Pfarre, im
Schlaf- oder Chorrock bei der Frau Liebſten.
Andere ſind Amtleute, wieder andere Apothe¬
ker, einige Referendaͤre und dergleichen, und
nur wir beide, ausſchweifend aus dem ge¬
woͤhnlichen Gang der Dinge, ſitzen hier im
Bremer Rathskeller und thun uns guͤtlich im
Weine. Und was ſind denn wir abſonder¬
liches geworden? Doctor? Das kann Jeder
werden, der vernuͤnftig genug iſt eine Diſſer¬
tation zu ſchreiben.
Doch ich trinke das vierte Glas, Seele.
Das vierte! Fuͤhlſt Du nicht einen gewiſſen
Nexus zwiſchen dem Wein und der Zunge?
zwiſchen der Zunge und dem Gaumen? hier,
behaupte ich, iſt ein Scheideweg und daran
ein Wegezeiger aufgeſtellt. Naͤmlich auf der
einen Seite ſteht „Weg nach dem Magen.“
Eine breite fahrbare Straße; es geht ſo ſchnell,
ſo glitſchend bergab! daher auch der gemeinere
Stoff gewoͤhnlich dieſen Weg nimmt. Der
andere Arm des Zeigers heißt: „in den
Kopf.“ Dahin ziehen die Geiſter, die ſich
ſchon im Faß lange genug bei dem ſchnoͤden
gemeineren Stoff gelangweilt haben, und jetzt,
da ſie freien Lauf nehmen koͤnnen, ſchielen ſie
nach dem Wegezeiger rechts hinauf. Waͤhrend
die Maſſe links hinabſtroͤmt, ſteigen ſie auf¬
waͤrts und finden ſich im Wirthshaus zur Zir¬
beldruͤſe wieder zuſammen. Es ſind friedliche,
verſtaͤndige Leute, dieſe Geiſter. Sie erhellen
dein Haus, o Seele, ſo lang ihrer vier oder
fuͤnf beiſammen ſind, nachher moͤchte ich wohl
fuͤr nichts ſtehen, denn ſie raufen ſich dann
und treiben allerhand Unfug im Gehirn.
Wie ſchoͤn iſt die vierte Lebensperiode, die
wir mit dem vierten Glas beginnen wollen!
Du biſt vierzehn Jahre alt, o Seele! Aber
was iſt mit dir vorgegangen in der kurzen
Zeit? Du ſpielſt keine Knabenſpiele mehr,
Soldaten und alles dieſes Gezeuge liegt hinter
dir, und du ſcheinſt mir viel zu leſen. Du biſt
hinter Goͤthe und Schiller gerathen und ver¬
ſchlingſt ſie, ohne alles zu verſtehen; oder
wie? du verſtehſt jetzt ſchon alles? du willſt
meinen, du koͤnneſt Liebe verſtehen, weil du
im letzten Sonntagsklubb Elvire hinter der
Commode im Dunkeln gekuͤßt, und Emmas
Zaͤrtlichkeit zuruͤckgewieſen haſt? Barbar! ahneſt
du nicht, daß dieſes dreizehenjaͤhrige Herz auch
den Werther und ſogar etwas von Clauren geleſen
haben kann, und Liebe fuͤr dich fuͤhlt? Aber die
Scene aͤndert ſich. Sey mir gegruͤßt, Du Fel¬
ſenthal der Alb! Du blauer Strom, an wel¬
chem ich drei lange Jahre hauste. Die Jahre
lebte, die den Knaben zum Juͤngling machen.
Sey mir gegruͤßt, du kloͤſterliches Dach, du
Kreuzgang mit den Bildern verſtorbener Aebte,
du Kirche mit dem wundervollen Hochaltar,
ihr Bilder alle in ſchoͤnes Gold des Morgen¬
roths getaucht! Seyd mir gegruͤßt, ihr Schloͤßer
auf den Felſen, ihr Hoͤhlen, ihr Thaͤler, ihr
gruͤnen Waͤlder. Jene Thaͤler, jene Kloſter¬
mauern waren das enge Neſt, das uns aufzog,
bis wir fluͤgge waren, und ihrer rauhen Albluft
danken wir es, daß wir nicht verweichlichten.
Ich komme ans fuͤnfte Glas, ins fuͤnfte
Seculum unſeres Lebens. Ich ſchluͤrfe euch
ein, lieblichen Erinnerungen, wie ich dieß Glas
edeln Rheinweins ſchluͤrfe; ihr duftet auf in
herrlicher Schoͤne, Jahre meiner Jugend, wie
das Aroma aufſteigt aus dem Roͤmer; mein
Auge wird wacker, o Seele, denn ſie ſind um
mich, die Freunde meiner Jugend! Wie ſoll
ich dich nennen, du hohes, edles, rohes, bar¬
bariſches, liebliches, unharmoniſches, geſang¬
volles, zuruͤckſtoßendes und doch ſo mild er¬
quickendes Leben der Burſchenjahre? Wie ſoll
ich euch beſchreiben, ihr goldenen Stunden,
ihr Feierklaͤnge der Bruderliebe? Welche Toͤne
ſoll ich euch geben, um mich verſtaͤndlich zu
machen? welche Farben Dir, du nie begriffe¬
nes Chaos! Ich ſoll dich beſchreiben? Nie!
Deine laͤcherliche Auſſenſeite liegt offen, die ſieht
der Laie, die kann man ihm beſchreiben, aber
deinen innern, lieblichen Schmelz kennt nur
der Bergmann, der ſingend mit ſeinen Bruͤdern
hinabfuhr in den tiefen Schacht. Gold bringt er
herauf, reines, lauteres Gold, viel oder wenig,
gilt gleich viel. Aber dieß iſt nicht ſeine ganze
Ausbeute. Was er geſchaut, mag er dem
Laien nicht beſchreiben, es waͤre allzu ſonderbar
und doch zu koͤſtlich fuͤr ſein Ohr. Es leben
Geiſter in der Tiefe, die ſonſt kein Ohr erfaßt,
kein Auge ſchaut. Muſik ertoͤnt in jenen Hal¬
len, die jedem nuͤchternen Ohr leer und bedeu¬
tungslos ertoͤnt. Doch dem, der mit gefuͤhlt
und mit geſungen, gibt ſie eine eigene Weihe,
wenn er auch uͤber das Loch in ſeiner Muͤtze
laͤchelt, das er als Symbolum zuruͤckgebracht.
Alter Großvater! jetzt weiß ich, was Du vor¬
nahmſt, wenn „der Herr ſeinen Schalttag
feierte.“ Auch du hatteſt deine trauten Geſellen
ſeit den Tagen deiner Jugend, und das Waſſer
ſtand dir in den grauen Wimpern, wenn du
einen beiſetzteſt im Stammbuch. Sie leben!
Wirf die Flaſche weg, Menſch, ſtich eine
neue an zu neuer Freude. Das ſechste! Wer
kann dich berechnen, o Liebe?
Es ging uns, wie es ſo manchem Erden¬
ſohn ergeht. Wir laſen von Liebe und glaub¬
ten zu lieben. Das wunderbarſte und doch
natuͤrlichſte an der Sache war, daß die Perio¬
den oder Grade dieſer Art Liebe ſich nach un¬
ſerer Lectuͤre richteten. Haben wir nicht Vergi߬
meinnicht und Ranunkeln gebrochen, und des
Doktors Tochter in G. verſchaͤmt uͤberreicht,
und uns einige Thraͤnen ausgepreßt, weil wir
laſen: „das ſchoͤnſte ſucht er auf den Fluren,
womit er ſeine Liebe ſchmuͤckt“— „aus ſeinen
Augen brechen Thraͤnen?“ haben wir nicht à la
Wilhelm Meiſter geliebt, d. h. wir wußten
nicht mehr, war es Emeline oder Camilla, die
Zarte, oder gar Ottilie? Haben nicht alle drei
in zierlichen Schlafmuͤtzen hinter den Jalouſien
hervorgeſchaut, wenn wir Staͤndchen brach¬
ten im Winter, und die Guitarre weidlich
ſchlugen, obgleich uns der Froſt die Finger
krumm bog? Und nachher, als es ſich zeigte,
wie ſie alle nur ſchnoͤde Coquetten ſeyen, haben
wir da nicht die Liebe thoͤrigter Weiſe verſchwo¬
ren, und uns vorgenommen, erſt dann zu
heirathen, wenn die Schwaben klug werden,
d. h. im vierzigſten?
Wer kann dich berechnen, verſchwoͤren, o
Liebe? Du tauchſt nieder aus dem Auge der
Geliebten und ſchluͤpfſt durch unſer Auge ver¬
ſtohlen in das Herz. Und dennoch ſo kalt
konnteſt du bleiben, wenn ich meine Lieder
ſang, wollteſt den Blick nicht erwiedern, den
ich ſo oft nach dir ausſandte? Ich moͤchte ein
General ſeyn, nur daß ſie meinen Namen in
der Zeitung laͤſe, daß es ihr bange wuͤrde, wenn
ſie laͤſe: „der General Hauff hat ſich in der
letzten Schlacht bedeutend hervorgethan, und
acht Kugeln ins Herz bekommen, — woran
er aber nicht geſtorben.“ Ich moͤchte ein Tam¬
bour ſeyn, nur daß ich vor ihrem Haus mei¬
nen Schmerz auslaſſen und fuͤrchterlich trom¬
meln koͤnnte, und faͤhrt ſie dann erſchrocken mit
dem Koͤpfchen durchs Fenſter, ſo will ich gerade
das Gegentheil ruſſiſcher Fellraßler machen und
vom Fortiſſimo abwaͤrts trommeln und piano
und im leiſen Adagio-Wirbel ihr zufluͤſtern,
„ich liebe dich.“ Ein beruͤhmter Menſch moͤchte
ich ſeyn, nur daß ſie von mir hoͤrte und ſtolz
zu ſich ſagte: „der hat dich einſt geliebt;“
aber leider reden die Leute nicht von mir, hoͤch¬
ſtens wird man ihr morgen ſagen: „geſtern
Nacht iſt er auch wieder bis Mitternacht im
Weinkeller gelegen!“ Und wenn ich vollends
ein Schuſter oder Schneider waͤre! doch dieß
iſt ein gemeiner Gedanke und deiner unwuͤrdig,
Adelgunde!
Jetzt wacht wohl keiner mehr, als der Hoͤch¬
ſte und Niedrigſte dieſer Stadt, naͤmlich der
Thurmwaͤchter hoch oben auf der Domkirche
und ich tief unten im Rathskeller. Waͤr' ich
doch der auf dem Thurme! in jeder Stunde
wollte ich das Sprachrohr anſetzen und dir ein
Lied hinabſingen ins Schlafkaͤmmerlein; doch
nein! das wuͤrde ja den ſuͤßen Engel aus ſei¬
nem Schlummer wecken, aus ſeinen holden,
lieblichen Traͤumen. Doch hier unten hoͤrt
mich niemand, da will ich eines ſingen. Seele!
komme ich mir denn nicht gerade vor, wie ein
Soldat auf dem Poſten, dem das Heimweh
recht ſchwer und tief im Herzen liegt? Und hat
nicht einer meiner Freunde dieß Lied gedichtet?
Steh' ich in finſtrer Mitternacht
So einſam auf der fernen Wacht,
Dann denk' ich an mein fernes Lieb',
Ob es mir treu und hold verblieb.
Als ich zur Fahne fortgemuͤßt,
Hat ſie ſo herzlich mich gekuͤßt,
Mit Baͤndern meinen Hut geſchmuͤckt,
Und weinend mich ans Herz gedruͤckt.
Sie liebt mich noch, ſie iſt mir gut,
Drum bin ich froh und wohlgemuth,
Mein Herz ſchlaͤgt warm in kalter Nacht,
Wenn es ans ferne Lieb' gedacht.
Jetzt bei der Lampe mildem Schein
Gehſt du wohl in dein Kaͤmmerlein,
Und ſchickſt dein Nachtgebet zum Herrn
Auch fuͤr den Liebſten in der Fern'.
Doch wenn du traurig biſt und weinſt,
Mich von Gefahr umrungen meinſt;
Sey ruhig; ſteh' in Gottes Hut,
Er liebt ein treu Soldaten-Blut.
Die Glocke ſchlaͤgt, bald naht die Rund,
und loͤst mich ab zu dieſer Stund':
Schlaf wohl im fernen Kaͤmmerlein
Und denk' in deinen Traͤumen mein!
Und denkt ſie auch wohl meiner in ihren
Traͤumen? Die Glocken ſummten dumpf auf
den Thuͤrmen, ſie begleiteten meinen Geſang.
Schon Mitternacht? Dieſe Stunde traͤgt eige¬
nen, geheimnißvollen Schauer in ſich; es iſt,
als zittere die Erde leiſe, wenn ſich die ſchlum¬
mernden Menſchen unter ihr auf die andere
Seite legen, die ſchwere Decke ſchuͤtteln und
den Nachbar im Kaͤmmerlein neben an fragen,
„iſts noch nicht Morgen?“ Wie ſo ganz an¬
ders zittert der Ton dieſer Mitternachtsglocke
zu mir hernieder, als wenn er am Mittag
durch die hellen klaren Luͤfte ſchallt. Horch!
ging da nicht im Keller eine Thuͤre? Sonder¬
bar; wenn ich nicht ſo ganz allein hier unten
waͤre, wenn ich nicht wuͤßte, daß die Menſchen
nur oben wandeln, ich wuͤrde glauben, es
toͤnen Schritte durch dieſe Hallen. — Ha! es
iſt ſo; es koͤmmt naͤher; es taſtet an der Thuͤre
hin und her, es faßt und ſchuͤttelt die Klinge;
doch die Thuͤre iſt verſchloſſen und mit Riegeln
verhaͤngt; mich ſtoͤrt heute Nacht kein Sterb¬
licher mehr. Ha, was iſt das? die Thuͤre
ſpringt auf! Entſetzen! —
Vor der Thuͤre ſtanden zwei Maͤnner, und
machten gegenſeitig Complimente uͤber den Vor¬
tritt; der eine war ein langer, hagerer Mann,
trug eine große, ſchwarze Lockenperuͤcke, einen
dunkelrothen Rock nach altfraͤnkiſchem Schnitt,
uͤberall mit goldenen Treſſen und goldgeſpon¬
nenen Knoͤpfen beſetzt; ſeine ungeheuer langen
und duͤnnen Beine ſtacken in engen Beinklei¬
dern von ſchwarzem Sammt mit goldenen
Schnallen am Knie; daran ſchloßen ſich rothe
Struͤmpfe und auf den Schuhen trug er goldene
Schnallen. Den Degen mit einem Griff von
Porzellain hatte er durch die Hoſentaſche ge¬
ſteckt; er ſchwenkte, wenn er ein Compliment
machte, einen dreiſpitzigen kleinen Hut von
Seide, und die Lockenſchwaͤnze ſeiner Peruͤcke
rauſchten dann wie Waſſerfaͤlle uͤber die Schul¬
tern herab. Der Mann hatte ein bleiches, ab¬
gehaͤrmtes Geſicht, tiefliegende Augen und eine
große feuerrothe Naſe. Ganz anders war der
kleinere Geſelle anzuſchauen, dem jener den
Vortritt goͤnnen wollte. Seine Haare waren
feſt an den Kopf geklebt mit Eiweiß und nur
an den Seiten waren ſie in zwei Rollen gleich
4
Piſtolenhalftern gewickelt; ein ellenlanger Zopf
ſchlaͤngelte ſich uͤber ſeinen Ruͤcken; er trug ein
ſtahlgraues Roͤcklein, roth aufgeſchlagen, ſtack
unten in großen Reiterſtiefeln und oben in
einer reichgeſtickten Bratenweſte, die uͤber ſein
wohlgenaͤhrtes Baͤuchlein bis auf die Knie her¬
abfiel, und hatte einen ungeheuern Raufdegen
umgeſchnallt. Er hatte etwas Gutmuͤthiges
in ſeinem feiſten Geſichte, beſonders in den
Aeuglein, die ihm wie einem Hummer hervor¬
ſtanden. Seine Manoeuvres fuͤhrte er mit
einem ungeheuern Filshut aus, der auf zwei
Seiten aufgeklappt war.
Ich hatte, nachdem ich mich von dem er¬
ſten Schrecken erholt, Zeit genug, dieſe Be¬
merkungen zu machen, denn die beiden Herren
machten wohl mehrere Minuten lang vor der
Schwelle die zierlichſten Pas. Endlich riß der
Lange auch den zweiten Fluͤgel der Thuͤre auf,
nahm den Kleinen unter dem Arm und fuͤhrte
ihn in mein Gemach. Sie hingen ihre Huͤte
an die Wand, ſchnallten die Degen ab, und
ſetzten ſich, ohne mich zu beachten, ſtillſchwei¬
gend an den Tiſch. „Iſt denn heute Faſtnacht
in Bremen?“ ſprach ich zu mir, indem ich
uͤber die ſonderbaren Gaͤſte nachdachte; und
doch kam mir ihre ganze Erſcheinung ſo un¬
heimlich vor, beſonders wußte ich mich in ihre
ſtarren Blicke, in ihr Schweigen nicht zu fin¬
den; ich wollte mir eben ein Herz faſſen und
ſie anreden, als ein neues Geraͤuſch im Keller
entſtand. Schritte toͤnten naͤher, die Thuͤre
ging auf und vier andere Herren, nach derſel¬
ben alten Mode wie die erſten gekleidet, traten
ein. Mir fiel beſonders der eine auf, der wie
ein Jaͤger gekleidet war, denn er trug Hetz¬
peitſche und Jagdhorn, und ſchaute ungemein
froͤhlich um ſich.
„Gott gruͤß Euch, Ihr Herren vom Rhei¬
ne!“ ſprach der Lange im rothen Rocke im
tiefen Baß, indem er aufſtand und ſich ver¬
beugte. „Gott gruͤß Euch,“ quickte der Kleine
dazu, „haben uns lange nicht geſehen, Herr
Jacobus!“
„Friſch auf! hollah und guten Morgen,
Herr Matthaͤus, rief der Jaͤger dem Klei¬
nen zu, und auch Euch guten Morgen, Herr
Judas! Aber was iſt das? wo ſind die Roͤmer,
wo Pfeifen und Tabak? iſt der alte Mauereſel
noch nicht wach aus ſeinem Suͤndenſchlaf?“
„Die Schlafmuͤtze!“ erwiederte der Kleine,
„der ſchlaͤferige Bengel, droben liegt er noch
in Unſer lieben Frauen-Kirchhof, aber das Don¬
nerwetter, ich will ihn heraus ſchellen!“ Da¬
bei ergriff er eine große Glocke, die auf dem
Tiſche ſtand, und klingelte und lachte in grel¬
len, ſchneidenden Toͤnen. Auch die drei an¬
dern Herren hatten Huͤte, Stock und Degen
in die Ecken geſtellt, ſich gegenſeitig gegruͤßt
und an den Tiſch geſetzt. Zwiſchen dem Jaͤger
und dem rothen Judas ſaß einer, den ſie An¬
dreas nannten. Es war ein uͤberaus zierlicher
und feiner Herr, auf ſeinen ſchoͤnen, noch ju¬
gendlichen Zuͤgen lag ein wehmuͤthiger Ernſt
und um die zarten Lippen ſchwebte ein mildes
Laͤcheln; er trug eine blonde Peruͤcke mit vie¬
len Locken, was mit ſeinen großen braunen
Augen einen auffallenden, aber angenehmen
Contraſt bildete. Dem Jaͤger gegenuͤber ſaß
ein großer wohlgemaͤſteter Mann, mit roth¬
ausgeſchlagenem Geſicht und einer Purpurnaſe.
Er hatte die Unterlippe weit herabhaͤngen und
trommelte mit den Fingern auf ſeinem dicken
Bauch, ſie hießen ihn Philippus.
Ein ſtarkknochiger Mann, faſt wie ein
Krieger anzuſchauen, ſaß neben ihm; ein mu¬
thiges Feuer brannte in ſeinen dunkeln Augen,
ein kraͤftiges Roth ſchmuͤckte ſeine Wangen und
ein dichter Bart umſchattete den Mund. Er
hieß Herr Petrus.
Wie unter aͤchten alten Trinkern, ſo wollte
unter dieſen Gaͤſten das Geſpraͤch nicht recht
fortgehen ohne Wein; da erſchien eine neue
Geſtalt in der Thuͤre. Es war ein kleines,
altes Maͤnnlein mit ſchlotternden Beinen und
grauem Haar; ſein Kopf ſah aus wie ein Tod¬
tenkopf, uͤber den man eine duͤnne Haut ge¬
ſpannt, und ſeine Augen lagen truͤbe in den
tiefen Hoͤhlen; er ſchleppte keuchend einen gro¬
ßen Korb herbei, und gruͤßte die Gaͤſte demuͤ¬
thig.
„Ha! ſiehe da, der alte Kellermeiſter Bal¬
thaſar, riefen die Gaͤſte ihm entgegen; friſch
heran, Alter, ſetz' die Roͤmer auf und bring'
uns Pfeifen! Wo ſteckſt Du nur ſo lang, es
iſt laͤngſt Zwoͤlf voruͤber.“
Der alte Mann gaͤhnte einigemal etwas
unanſtaͤndig und ſah uͤberhaupt aus wie einer,
der zu lange geſchlafen. „Haͤtte beinahe den er¬
ſten September verſchlafen, kraͤchzte er, ich ſchlief
ſo hart, und ſeitdem ſie den Kirchhof gepflaſtert
haben, hoͤre ich auch ziemlich ſchlecht. Wo
ſind denn aber die andern Herren? fuhr er
fort, indem er Pocale von wunderlicher Form
und anſehnlicher Groͤße aus dem Korb nahm
und auf den Tiſch ſetzte, wo ſind denn die an¬
dern? Ihr ſeyd erſt eurer ſechs und die alte
Roſe fehlt auch noch.“
„Setze nur die Flaſchen her, rief Judas,
daß wir endlich was zu trinken bekommen;
und dann gehe hinuͤber, ſie liegen noch im Faß,
poch' an mit deinen duͤrren Knochen und heiße
ſie aufſtehen, ſage, wir ſitzen ſchon alle hier.“
Aber kaum hatte Herr Judas alſo geſpro¬
chen, als ein großes Geraͤuſch und Gelaͤchter
vor der Thuͤre entſtand. „Jungfer Roſe hoch,
huſſa, hoch! und ihr Schatz, der Bachus hoch!“
hoͤrte man von mehreren Stimmen rufen; die
Thuͤre flog auf, die geſpenſtigen Geſellen am
Tiſche ſprangen in die Hoͤhe und ſchrieen, „ſie
iſts, ſie iſts, Jungfer Roſe und Bachus und
die Andern, hollah! jetzt geht das Freudenle¬
ben erſt recht an;“ und dabei ſtießen ſie
die Roͤmer zuſammen, lachten, und der Dicke
ſchlug ſich auf den Bauch und der blaße Keller¬
meiſter warf die Muͤtze geſchickt zwiſchen den
Beinen durch an die Decke und ſtimmte ein in
das Jucheiſa, heiſa he! daß mir die Ohren
gellten. Welch ein Anblick! der hoͤlzerne Ba¬
chus, ſo auf dem Faß im Keller geritten, war
herabgeſtiegen, nackt, wie er war; mit ſeinem
breiten freundlichen Geſicht, mit den klaren
Aeuglein gruͤßte er das Volk und trippelte auf
kleinen Fuͤßchen in das Zimmer; an ſeiner
Hand fuͤhrte er ganz ehrbarlich wie ſeine Braut
eine alte Matrone von hoher Geſtalt und weid¬
licher Dicke. Noch weiß ich nicht bis dato,
wie es moͤglich war, daß dieß alles ſo geſche¬
hen, aber damals war es mir ſogleich klar,
daß dieſe Dame niemand anders ſey, als die
alte Roſe, das ungeheure Faß im Roſenkeller.
Und wie hatte ſie ſich koͤſtlich aufgeputzt, die
alte Rheinlaͤnderin! Sie mußte in der Jugend
einmal recht ſchoͤn geweſen ſeyn, denn wenn
auch die Zeit einige Runzeln um Stirne und
Mund gelegt hatte, wenn auch das friſche Roth
der Jugend von ihren Wangen verſchwunden
war, zwei Jahrhunderte konnten die edlen
Zuͤge des feinen Geſichtes nicht voͤllig verwiſchen.
Ihre Augbraunen waren grau geworden, und
einige unziemliche graue Barthaare wuchſen
auf ihrem ſpitzigen Kinn, aber die Haare, die
um die Stirne ſchoͤn geglaͤttet lagen, waren
nußbraun und nur etwas weniges mit ſilber¬
grau gemiſcht. Auf dem Kopf trug ſie eine
ſchwarze Sammtmuͤtze, die ſich enge an die
Schlaͤfe anſchloß; dazu hatte ſie ein Wamms
vom feinſten ſchwarzen Tuche an und das Mie¬
der von rothem Sammt, das darunter hervor¬
ſchaute, war mit ſilbernen Hacken und Ketten
geſchnuͤrt. Um den Hals trug ſie ein breites
Halsband von blitzenden Granaten, woran eine
goldene Schaumuͤnze befeſtigt; ein weiter fal¬
tenreicher Rock von braunem Tuch fiel um ihre
wohlbeleibte Geſtalt, und ein kleines weißes
Schuͤrzchen mit feinen Spitzen beſetzt, wollte
ſich recht ſchalkhaft ausnehmen. An der einen
Seite hing ihr eine große lederne Taſche von
Leder, an der andern ein Buͤndel gewaltiger
Schluͤſſel — kurz, ſie war eine ſo ehrbare Frau,
als je eine Anno 1618 in Coͤlln oder Mainz
uͤber die Straße ging.
Aber hinter der Frau Roſe kamen noch ſechs
jubelnde Geſellen, die Dreiſpitzenhuͤte ſchwin¬
gend, die Peruͤcken ſchief auf den Kopf ge¬
ſetzt, mit weitſchoͤßigen Roͤcken und langen,
reich geſtickten Weſten angethan.
Ehrbarlich und ſittſam fuͤhrte unter dem
allgemeinen Jubel Bachus ſeine Roſe oben
an die Tafel; ſie verbeugte ſich mit großem
Anſtand gegen die Geſellſchaft und ließ ſich
nieder, an ihrer Seite nahm der hoͤlzerne Ba¬
chus Platz, und Balthaſar, der Kellermeiſter,
hatte ihm ein tuͤchtiges Polſter untergeſchoben,
weil er ſonſt gar klein und niedrig dageſeſſen
haͤtte. Auch die andern ſechs Geſellen nahmen
Platz, und ich merkte jetzt, daß es wohl die
zwoͤlf Apoſtel vom Rheine ſeyen, die hier um
die Tafel ſaßen, ſonſt aber im Apoſtelkeller in
Bremen liegen.
„Da waͤren wir ja,“ ſagte Petrus, nach¬
dem der Jubel etwas nachgelaſſen, „da waͤren
wir ja, wir junges munteres Volk von 1700,
und alle wohlbehalten wie ſonſt. Nun auf
gutes Wohlſeyn, Jungfer Roſe, auch Sie hat
gar nicht gealtert und iſt noch ſo ſtattlich und
huͤbſch wie vor fuͤnfzig Jahren, gutes Wohl¬
ſeyn, Sie ſoll leben und Ihr Liebſter Herr
Bachus daneben.“
„Soll leben, die alte Roſe ſoll leben!“
riefen ſie und ſtießen an und tranken; Herr
Bachus aber, der aus einem großen ſilbernen
Humpen trank, ſchluckte zwei Maas rheiniſch
ohne viele Beſchwerden hinunter, und er ward
zuſehends dicker davon und groͤßer, wie eine
Schweinsblaſe, die man mit Luft fuͤllt.
„Mich gehorſamſt zu bedanken, werthge¬
ſchaͤtzte Herrn Apoſtel und Vettern, antwortete
Frau Roſalia, in dem ſie ſich freundlich ver¬
neigte; ſeyd Ihr noch immer ſolch ein loſer
Schaͤcker, Herr Petrus? ich weiß von keinem
Schatz nicht, und Ihr muͤßt ein ſittſam Maͤgd¬
lein nicht ſo in Verlegenheit ſetzen.“ Sie
ſchlug die Augen nieder als ſie dieß ſagte,
und trank ein maͤchtiges Paßglas aus.
„Schatz,“ erwiederte ihr Bachus, indem
er ſie aus ſeinen Aeuglein zaͤrtlich anblickte
und ihre Hand faßte, „Schatz, ziere dich doch
nicht ſo; du weißt ja wohl, daß dir mein
Herz zugethan ſchon ſeit zweihundert Herbſten,
und daß ich dich carreſſire vor allen andern.
Sag an, wann wollen wir endlich feiern das
Beilager?“
„Ach, Ihr loſer Schalk,“ antwortete die
alte Jungfrau und wandte ſich erroͤthend von
ihm ab. „Man kann ja nicht neben Euch
ſitzen eine Viertelſtunde, ohne daß Ihr anfan¬
get mit Euren Carreſſen. Und ein ehrbares
Maͤdchen muß ſich ja ſchaͤmen, wenn man
Euch nur anſieht. Was laufet Ihr denn faſt
nackt im Keller? Haͤttet wohl ein Paar Bein¬
kleider entlehnen koͤnnen auf heute. Da Bal¬
thaſar, rief ſie, indem ſie ihre weiße Schuͤrze
abband, lege dem Herrn dieſe Schuͤrze um,
es iſt gar zu unanſtaͤndig!“
„Wenn Du mir einen Kuß gibſt, Roͤs¬
chen,“ rief Bachus in verliebter Laune, „ſo
laß ich mir den Fetzen um den Leib binden,
obgleich es ein ſchlimmer Verſtoß gegen mein
Coſtuͤm iſt; aber was laͤßt man ſich nicht ge¬
fallen ſchoͤner Frauen wegen?“
Balthaſar hatte ihm die Schuͤrze umgebun¬
den und er neigte ſich zaͤrtlich gegen die Roſe,
„wenn nur das junge Volk hier nicht dabei
waͤre,“ fluͤſterte ſie beſchaͤmt, indem ſie ſich
halb zu ihm neigte; — aber unter dem Ju¬
beln und Jauchzen der Zwoͤlfe hatte der Wein¬
gott ſein Schuͤrzenſtipendium nebſt Zinſen ein¬
genommen. Dann leerte er ſeinen Humpen
wieder, und ward um zwei Faͤuſte breiter und
groͤßer, und hub an mit einer rauhen Wein¬
ſtimme zu ſingen:
Vor allen Schloͤſſern dieſer Zeit
Lob' ich ein Schloß zu Bremen,
An ſeinen Hallen hoch und weit
Darf ſich kein Kaiſer ſchaͤmen;
Gar ſeltſam iſt es ausſtaffirt,
Mit ſchmuckem Hausrath ausgeziert,
Doch hat daſelbſt vor allen
Eine Jungfrau mir gefallen.
Ihr Auge blinkt wie klarer Wein
Ihre Wangen ſind nicht bleiche‚
Wie praͤchtig ihre Kleider ſeyn,
Von lauter ſchwerem Zeuche;
Von Eichenholz iſt ihr Gewand
Von Birkenreifen ihre Band',
Das Mieder, das ſie zieret.
Mit Eiſen iſt geſchnuͤret
Doch ach, man hat ihr Schlafcloſett
Mit Riegeln wohl verſehen,
Dort ſchlummert ſie im Roſenbett,
Und ich muß drauſſen ſtehen;
Drum poch' ich an die Kammerthuͤr,
Steh auf mein Schatz und komm herfuͤr,
Damit ich mit dir koſe,
Mach auf herzliebe Roſe.
So ſteig ich jede Mitternacht
Zu ihrer Kammer nieder;
Nur einmal hat ſie aufgemacht
Jetzt will ſie nimmer wieder;
Und ſeit ich einmal ſie gekuͤßt
Mein Herz von Sehnſucht trunken iſt,
Nur einmal Roſamunde ,
Kuͤß mich, daß es geſunde.
„Ihr ſeyd ein Schaͤcker, Herr Bachus,“
ſagte Roſa, als er mit einem zaͤrtlichen Triller
geendet hatte. „Ihr wißt wohl, daß mich
Buͤrgermeiſter und Rath unter gar ſtrenger
Clauſur halten und nicht erlauben, daß ich mit
jedwedem mich einlaſſe.“
„Aber mir koͤnnteſt du doch zuweilen das
Kaͤmmerlein oͤffnen, lieb Roͤſchen!“ fluͤſterte
Bachus; „mich geluͤſtet nach der ſuͤßen Speiſe
deines Mundes.“
„Ihr ſeyd ein Schelm,“ rief ſie lachend,
„Ihr ſeyd ein Tuͤrke und habt es mit vielen
zugleich; meinet Ihr ich wiſſe nicht, wie Ihr
mit der leichtfertigen Franzoͤſin ſcharmirt, mit
dem Fraͤulein von Bourdeaux, und mit dem
Kreidengeſicht, der Champagnerin; geht, geht,
Ihr habt einen ſchlechten Charakter und ver¬
ſtehet Euch nicht auf treue deutſche Minne.“
„Ja, das ſag ich auch! rief Judas, und
fuhr mit der langen knoͤchernen Hand nach der
Hand der Jungfer Roſe, das ſag ich auch;
drum nehmet mich zu Eurem Galan, liebwer¬
theſte Jungfer, und laſſet den kleinen, nack¬
ten Kerl ſeiner Franzoͤſin nachziehen.“
„Was?“ ſchrie der Hoͤlzerne und trank
im Zorn einige Maas Wein, „was? mit dem
jungen Fant von 1726 willſt du dich abgeben,
Roͤschen? Pfui, ſchaͤme dich; was mein nacktes
Coſtuͤm betrifft, Herr Naſeweis, ſo kann ich
eben ſo gut, wie Er, eine Peruͤcke aufſetzen,
einen Rock umhaͤngen und einen Degen an
die Seite ſtecken; aber ich trage mich ſo, weil
ich Feuer im Leibe habe und mich nicht friert
im Keller. Und was Sie da ſagt, Jungfer
Roſe, mit den Franzoͤſinnen, ſo iſt das gaͤnz¬
lich erlogen. Beſucht habe ich ſie zuweilen
und mich an ihrem Geiſte erluſtirt, aber weiter
gar nichts; dir bin ich treu, liebſter Schatz,
und dir gehoͤrt mein Herz.“
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„Eine ſchoͤne Treue, Gott erbarm's!“ er¬
wiederte die Dame; „was hoͤrt man nur aus
Spanien, wie Ihr es dort mit dem Frauen¬
zimmer habt. Von der ſuͤßlichen Metze der
Xeres will ich gar nichts ſagen, das iſt eine
bekannte Geſchichte, aber wie iſt es denn mit
der Jungfer Dentilla di Rota, und mit
der von San Lucas? Und dann mit der
Sennora Pietro Ximenes?“
„Alle Teufel, Ihr treibt die Eiferſucht auch
gar zu weit,“ rief er aͤrgerlich, „man kann
doch alte Verbindungen nicht ganz aufgeben.
Und was die Sennora Pietro Ximenes
betrifft, ſo ſeyd Ihr ſehr ungerecht, ich be¬
ſuche ſie ja nur aus Freundſchaft fuͤr Euch,
weil ſie Eure Verwandte iſt.“
„Was macht Ihr da fuͤr Fabeln? unſere
Verwandte? murmelten Roſe und die Zwoͤlfe
untereinander, wie das?“
„Wißt Ihr denn nicht,“ fuhr er fort, „daß
dieſe Sennora eigentlich eine Rheinlaͤnderin
iſt? Der ehrſame Don Pietro Ximenes hat
ſie heimgefuͤhrt als blutjunges Rebſtoͤcklein aus
dem Rheingau nach ſeiner Heimath Spanien,
und dort hat ſie ſich angeſiedelt und ſeinen Fa¬
milien-Namen angenommen. Noch jetzt, ob¬
gleich ſie den ſuͤßen, ſpaniſchen Charakter
angenommen, noch jetzt hat ſie große Aehn¬
lichkeit mit Euch, wie die Grundzuͤge des Ge¬
ſichtes ſich in der Familie nicht ganz verlieren.
Dieſelbe Farbe und jener ſuͤße Duft, jenes
feine Aroma iſt ihr eigen und macht ſie zu
Eurer wuͤrdigen Baaſe, werthgeſchaͤtzte Jung¬
fer Roſe.“
„Sie ſoll leben, ſoll leben!“ riefen die
Apoſtel und ſtießen an, „Baaſe Ximenes in
Hiſpanien ſoll leben!“
Jungfer Roſe mochte ihrem Galan nicht
ganz trauen und ſtieß mit bitter ſuͤßer Miene
an; doch ſchien ſie nicht ferner mit ihm ha¬
dern zu wollen, ſondern ſprach weiter:
„Und auch ihr, meine lieben Vetter vom
Rhein, ſeyd ihr alle hier? Ja, da iſt ja mein
zarter, feiner Andreas, mein muthiger Judas,
mein feuriger Petrus. Guten Abend, Johan¬
nes, wiſche dir den Schlaf fein aus den Aeug¬
lein, du ſiehſt noch ganz truͤbſelig aus. Bar¬
tholomaͤus, du biſt unmaͤßig dick geworden
und ſcheinſt traͤge zu ſeyn. Ha, mein mun¬
terer Paulus, und wie froͤhlich Jacobus um
ſich ſchaut, noch immer der Alte. Aber wie,
Ihr ſeyd ja zu Dreizehn am Tiſche, wer iſt
denn der dort in fremder Kleidung, wer hat
ihn hieher gebracht?“
Gott, wie erſchrack ich! Sie ſchauten alle
verwundert auf mich und ſchienen mit meiner
Anweſenheit nicht ganz zufrieden. Aber ich
faßte mir ein Herz und ſagte: „Mich gehor¬
ſamſt der werthen Geſellſchaft zu empfehlen.
Ich bin eigentlich nichts weiter als ein zum
Doctor der Philoſophie graduirter Menſch, und
halte mich gegenwaͤrtig hieſigen Orts in dem
Wirthshauſe zur Stadt Frankfurt auf.“
„Wie wagſt Du es aber, hieher zu kom¬
men in dieſer Stunde, graduirtes Menſchen¬
kind?“ ſprach Petrus ſehr ernſt, indem er
Blitze aus ſeinen Feueraugen auf mich ſpruͤhte.
„Du haͤtteſt wohl denken koͤnnen, daß Du
nicht in dieſe noble Societaͤt gehoͤrſt.“
„Herr Apoſtel,“ antwortete ich, und weiß
noch heute nicht, woher ich den Muth bekam,
wahrſcheinlich aus dem Wein; „Herr Apoſtel,
das Du verbitte ich mir vor's Erſte, bis wir
weiter bekannt ſind. Und was die noble So¬
cietaͤt betrifft, in die ich gekommen ſeyn ſoll,
ſo kam ſie zu mir, nicht ich zu ihr, denn ich
ſitze ſchon ſeit drei Stunden in dieſem Gemach,
Herr!“
„Was thut Ihr aber ſo ſpaͤt noch im Raths¬
keller, Herr Doctor,“ fragte Bachus etwas
ſanfter als der Apoſtel, „um dieſe Zeit pflegt
ſonſt das Erdenvolk zu ſchlafen.“
„Euer Excellenz,“ erwiederte ich, „das
hat ſeinen guten Grund. Ich bin ein portirter
Freund des edlen Getraͤnkes, das man hier
unten verzapft, habe auch durch die Verguͤn¬
ſtigung eines wohledlen Senats die Permiſſion
erhalten, denen Herren Apoſteln und der Jung¬
frau Roſe meinen Beſuch abzuſtatten, was ich
auch geziemendſt gethan.“
„Alſo Ihr trinkt gerne Rheinwein?“ fuhr
Bachus fort; „nun das iſt eine gute Eigen¬
ſchaft und ſehr zu loben in dieſer Zeit, wo die
Menſchen ſo kalt geworden ſind gegen dieſe
goldene Quelle.“
„Ja, der Teufel hole ſie All'!“ rief Judas,
„keiner will mehr einige Maas Rheinwein trin¬
ken, außer hie und da ſolch' ein fahrender
Doctor oder vacirender Magiſter, und dieſe
Hungerleider laſſen ſich ihn erſt noch aufwich¬
ſen.“
„Muß ganz gehorſamſt depreciren, Herr
von Judas,“ unterbrach ich den ſchrecklichen
Rothrock. „Nur einige kleine Verſuche habe
ich gethan mit dero Rebenblut von 1700 und
etlichen Jahren, und den hat mir allerdings
der wackere Buͤrgermeiſter einſchenken laſſen;
was Sie aber hier ſehen, iſt etwas neuer und
in baarer Muͤnze von mir bezahlt.“
„Doctor, ereifert Euch nicht,“ ſagte Frau
Roſe, „er meint's nicht ſo boͤſe, der Judas,
und er aͤrgert ſich nur und mit Recht, daß
die Zeiten ſo lau geworden.“
„Ja!“ rief Andreas, der feine, ſchoͤne
Andreas,“ ich glaube, dieſes Geſchlecht fuͤhlt,
daß es keines edlen Trankes mehr werth iſt,
drum ſollen ſie hier ein Geſoͤff von allerlei
Schnaps und Syrup brauen, heißen es Château
Marget, Sillery, St. Julien und ſonſt
nach allerlei pompoͤſen Namen, und credenzen
es bei ihren Gaſtmahlen, und wenn ſie es ſau¬
fen, bekommen ſie rothe Ringe um den Mund,
dieweil der Wein gefaͤrbt war, und Kopfweh
den andern Tag, weil ſie ſchnoͤden Schnaps
getrunken.“
„Ha, was war das fuͤr ein anderes Leben,“
fuͤhrte Johannes die Rede fort, „als wir noch
junge, blutjunge Geſellen waren, Anno 19
und 26. Auch Anno 50 ging es noch hoch her
in dieſen ſchoͤnen Hallen. Jeden Abend, es
mochte die Sonne ſcheinen in hellem Fruͤhling,
oder ſchneien und regnen im Winter, jeden
Abend waren die Stuͤbchen dort gefuͤllt mit
frohen Gaͤſten. Hier, wo wir jetzt ſitzen, ſaß
in Wuͤrde und Hoheit der Senat von Bre¬
men. Stattliche Peruͤcken auf dem Haupt,
die Wehre an der Seite, Muth im Herzen und
jeder einen Roͤmer vor ſich.
„Hier, hier, nicht oben auf der Erde, hier
war ihr Rathhaus, hier die Halle des Senats;
denn hier beim kuͤhlen Weine beriethen ſie ſich
uͤber das Wohl der Stadt, uͤber ihre Nachbarn
und dergleichen. Wenn ſie uneinig in der
Meinung waren, ſo ſtritten ſie ſich nicht mit
boͤſen Worten, ſondern tranken einander wa¬
cker zu, und wenn der Wein ihre Herzen er¬
waͤrmt hatte, wenn er froͤhlich durch ihre Adern
huͤpfte, da war der Beſchluß ſchnell zur Reife
gediehen, ſie druͤckten ſich die Haͤnde, ſie waren
und blieben immer Freunde, weil ſie Freunde
waren des edlen Weines. Am andern Morgen
aber war ihnen ihr Wort heilig, und was ſie
Abends ausgemacht im Keller, das fuͤhrten ſie
oben im Gerichtsſaal aus.“
„Schoͤne, alte Zeiten!“ rief Paulus; „da¬
her koͤmmt es auch, daß noch heut zu Tage
jeder vom Rath ein eigenes Trinkbuͤchlein, eine
jaͤhrliche Weinrechnung hat. Den Herren, die
alle Abende hier ſaßen und tranken, war es
nicht genehm, allemal in die Taſche zu fahren
und ihr Geldſeckelein heraus zu kriegen. Aufs
Kerbholz ließen ſie es ſchreiben und am Neu¬
jahr ward Abrechnung gehalten, und es gibt
einige wackere Herren, die noch jetzt oft Ge¬
brauch davon machen, aber es ſind deren we¬
nige.“
„Ja, ja, Kinder,“ ſprach die alte Roſe,
„ſonſt war es anders, ſo vor fuͤnfzig, hundert,
zweihundert Jahren. Da brachten ſie Abends
ihre Weiber und Maͤdchen mit in den Keller,
und die ſchoͤnen Bremerkinder tranken Rhein¬
wein oder von unſerem Nachbar Moſeler, und
waren weit und breit beruͤhmt durch ihre bluͤ¬
henden Wangen, durch ihre purpurrothen Lip¬
pen, durch ihre herrlichen blitzenden Augen;
jetzt trinken ſie allerlei miſerables Zeug, als
Thee und dergleichen, was weit von hier bei
den Chineſen wachſen ſoll und was zu meiner
Zeit die Frauen tranken, wenn ſie ein Huͤſtlein
oder ſonſtige Beſchwer hatten. Rheinwein,
aͤchten gerechten Rheinwein koͤnnen ſie gar nicht
mehr vertragen; denkt Euch ums Himmels
Willen, ſie gießen ſpaniſchen Suͤßen darunter,
daß er ihnen munde, ſie ſagen, er ſey zu ſauer.“
Die Apoſtel ſchlugen ein großes Gelaͤchter
auf, in das ich unwillkuͤhrlich einſtimmen
mußte, und Bachus lachte ſo graͤßlich, daß
ihn der alte Balthaſar halten mußte.
„Ja die guten alten Zeiten!“ rief der dicke
Bartholomaͤus; „ſonſt trank ein Buͤrger ſeine
zwei Maas, und es war als haͤtt' er Waſſer
getrunken, ſo nuͤchtern blieb er, jetzt wirft ſie
ein Roͤmer um. Sie ſind aus der Uebung ge¬
kommen.“
„Da trug ſich vor vielen Jahren eine ſchoͤne
Geſchichte zu,“ ſagte Fraͤulein Roſe und laͤchelte
vor ſich hin.
„Erzaͤhle, erzaͤhle, Jungfer Roſe, die Ge¬
ſchichte!“ baten alle; ſie aber trank bedeutend
viel Wein, damit ſie eine glatte Kehle bekam,
und hub an:
„Anno 1600 und einige zwanzig, dreißig
Jahre war ein großer Krieg in deutſchen Lan¬
den von wegen des Glaubens; die einen woll¬
ten ſo und die andern anders, und ſtatt daß
ſie bei einem Glaſe Wein die Sache vernuͤnftig
beſprochen haͤtten, ſchlugen ſie ſich die Schaͤdel
ein. Albrecht von Wallenſtein, des Kaiſers
General-Feldmarſchall, hauste ſchrecklich in
proteſtantiſchen Landen. Deß erbarmte ſich der
Schweden Koͤnig, Guſtav Adolph, und kam
mit vieler Mannſchaft zu Roß und zu Fuß.
Es wurden viele Bataillen geliefert, ſie hetzten
ſich herum am Rhein und an der Donau, ge¬
ſchah aber weiter nicht viel, weder vor- noch
ruͤckwaͤrts. Zu der Zeit war Bremen und die
andern Hanſeſtaͤdte neutral, und wollten es
mit keiner Parthei verderben. Dem Schweden
lag aber daran, durch ihr Gebiet zu ziehen und
ſich freundlich mit ihnen einzulaſſen, darum
wollte er einen Geſandten an ſie ſchicken. Weil
aber im Reich bekannt war, daß man in Bre¬
men alles im Weinkeller verhandle, und die
Rathsherren und Buͤrgermeiſter einen guten
Schluck haͤtten, ſo fuͤrchtete ſich der Schweden¬
koͤnig, ſie moͤchten ſeinem Geſandten gar ſehr
zuſetzen mit Wein, daß er endlich betrunken
wuͤrde und ſchlechte Bedingungen einginge fuͤr
die Schweden.“
„Nun befand ſich aber im ſchwediſchen La¬
ger ein Hauptmann vom gelben Regiment, der
ganz erſchrecklich trinken konnte. Zwei, drei
Maas zum Fruͤhſtuͤck war ihm ein Kleines, und
oft hat er Abends zum Zuſpitzen ein halb Imi
getrunken und nachher gut geſchlafen. Als nun
der Koͤnig voll Beſorgniß war, ſie moͤchten
im Bremer Rathskeller ſeinem Geſandten allzu
ſehr zuſetzen, ſo erzaͤhlte ihm der Kanzler Oxen¬
ſtierna von dem Hauptmann, Gutkunſt hieß
er, der ſo viel trinken koͤnne. Deß freute ſich
der Koͤnig und ließ ihn vor ſich kommen.“
„Da brachten ſie einen kleinen, hageren
Mann, der war ganz bleich im Geſicht, hatte
aber eine große, kupferrothe Naſe und hell¬
blaue Lippen, was ganz wunderlich anzuſehen
war. Der Koͤnig fragte ihn, wie viel er ſich
wohl zu trinken getraue, wenn es recht ernſt¬
lich zuginge. „O Herr und Koͤnig, antwortete
er, ſo ernſtlich bin ich noch nie daran gekom¬
men, habe mich bis dato auch noch nicht ge¬
eicht; der Wein iſt nicht wohlfeil, und man
kann taͤglich nicht uͤber ſieben, acht Maas trin¬
ken, ohne in Schulden zu gerathen.“ — „Nun,
wie viel meinſt Du denn fuͤhren zu koͤnnen?“
fragte der Koͤnig weiter. Er aber antwortete
unerſchrocken: „wenn Euer Majeſtaͤt bezahlen
wollen, moͤchte ich wohl einmal zwoͤlf Maͤs¬
chen trinken, mein Reitknecht, der Balthaſar
Ohnegrund, kann es aber noch beſſer.“ Da
ſchickte der Koͤnig auch nach Balthaſar Ohne¬
grund, dem Knecht des Hauptmann Gutkunſt,
und war der Herr ſchon blaß geweſen und ma¬
ger, ſo war es der Diener noch mehr, der ganz
aſchenfarb ausſah, als haͤtt' er ſein Lebenlang
Waſſer getrunken.“
„Da ließ nun der Koͤnig den Hauptmann
und Ohnegrund, den Reitknecht, in ein Zelt
ſetzen und einige Faͤßlein alten Hochheimer
und Nierenſteiner anfahren, und wollte haben,
die beiden ſollten ſich eichen laſſen. Sie tran¬
ken von Morgens eilf Uhr bis Abends vier Uhr
ein Imi Hochheimer und anderthalb Imi Nie¬
renſteiner, und der Koͤnig ging voll Verwunde¬
rung zu ihnen ins Zelt, um zu ſehen, wie es
mit ihnen ſtehe. Die beiden Geſellen waren
aber wohl auf und der Hauptmann ſagte: „ſo,
jetzt will ich einmal die Degenkuppel abſchnal¬
len, dann geht's beſſer;“ Ohnegrund machte
aber drei Knoͤpfe an ſeinem Koller auf.
Da entſatzten ſich alle, die dieß ſahen, der
Koͤnig aber ſprach: „kann ich beſſere Geſandte
finden nach der froͤhlichen Stadt Bremen als
dieſe?“ Und alſobald ließ er dem Hauptmann
praͤchtige Kleider und Waffen geben, wie auch
Ohnegrund, dem Reitknecht, denn dieſer ſollte
den Schreiber des Geſandten vorſtellen. Der
Koͤnig und der Kanzlar unterrichteten den Haupt¬
mann, was er zu ſagen haͤtte bei der Unter¬
handlung, und nahm beiden das Verſprechen
ab, daß ſie auf der ganzen Reiſe nur Waſſer
trinken ſollten, damit nachher das Treffen im
Keller um ſo glorreicher wuͤrde; Gutkunſt aber,
der Hauptmann, mußte ſeine rothe Naſe mit
einer kuͤnſtlichen Salbe anſtreichen, auf daß ſie
weiß ausſah, damit man nicht merke, welch'
ein Kunde er ſey.“
„Ganz elendiglich vom vielen Waſſertrin¬
ken kamen die beiden nach der Stadt Bremen,
und nachdem ſie bei dem Buͤrgermeiſter gewe¬
ſen, ſagte dieſer zum Senat: „o! was hat uns
der Schwede fuͤr zwei bleiche, magere Geſellen
geſchickt; heute Abend wollen wir ſie in den
Rathskeller fuͤhren und zudecken. Ich nehme
den Geſandten auf mich ganz allein, und der
Doctor Schnellpfeffer muß auf den Schreiber.“
So wurden ſie denn Abends nach der Betglocke
feierlichſt in den Rathskeller gefuͤhrt, der Buͤr¬
germeiſter fuͤhrte Gutkunſten, den Hauptmann,
der Doctor Schnellpfeffer, was auch ein gu¬
ter Trinker war, fuͤhrte den Reitknecht am
Arm, der als Schreiber angethan ſich recht
zuͤchtiglich geberdete; hinter ihnen gingen viele
Rathsherren, die zur Verhandlung geladen
waren. Hier in dieſem Gemach ſetzten ſie
ſich um den Tiſch und verſpeißten zuerſt Ha¬
ſenbraten und Schinken und Haͤringe, um ſich
zum Trinken zu ruͤſten. Dann wollte der Ge¬
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ſandte ganz ehrbar mit der Verhandlung an¬
fangen und ſein Schreiber zog Pergament und
Feder aus der Taſche; aber der Buͤrgermeiſter
ſprach: „mit nichten alſo Ihr edlen Herren; ſo
iſt es nicht Gebrauch in Bremen, daß man
die Sache alſo trocken abmacht; wollen ein¬
ander vorerſt auch zutrinken nach Sitte unſerer
Vaͤter und Großvaͤter.“ „Kann eigentlich nicht
viel vertragen,“ antwortete der Hauptmann,
„dieweil es aber ſeiner Magnificenz alſo ge¬
faͤllig, will ich ein Schluͤcklein zu mir neh¬
men.“ Nun tranken ſie ſich zu und hielten
ein Geſpraͤch uͤber Krieg und Frieden und uͤber
die Schlachten, ſo geliefert worden; die Raths¬
herren aber, um den Fremden mit gutem
Beiſpiel voranzugehen, tranken ſich weidlich
zu und bekamen rothe Koͤpfe. Bei jeder neuen
Flaſche entſchuldigten ſich die Fremden, wie
ſie gar den Wein nicht gewohnt waͤren und er
ihnen zu Kopf ſteige; deß freute ſich der Buͤr¬
germeiſter, trank in ſeiner Herzensluſt ein Pa߬
glas um das andere, ſo daß er nicht mehr
recht wußte was zu beginnen. Aber, wie es
zu gehen pflegt in dieſem wunderbaren Zu¬
ſtand, er dachte: „jetzt iſt er betrunken,
der Geſandte, und auch dem Schreiber hat der
Doctor tuͤchtig zugeſetzt;“ und ſprach daher:
„Nun wollen wir anfangen mit unſerem Ge¬
ſchaͤft.“ Das waren die Fremden zufrieden,
thaten, wie wenn ſie voll Weines waͤren und
tranken auf ihrer Seite den Herren weidlich zu.“
„Da wurde nun geſprochen und getrunken,
gehandelt und wieder getrunken, bis der Buͤr¬
germeiſter mitten im Satz einſchlief und der
Doctor Schnellpfeffer unter dem Tiſche lag.
Da kamen denn die andern Rathsherren und
tranken den Fremden zu und fuͤhrten die Ver¬
handlung fort; aber trank der Hauptmann
laͤſterlich, ſo machte es ſein Reitknecht nicht
ſchlimmer; fuͤnf Kuͤper mußten immer hin
und herlaufen und einſchenken, denn der Wein
verſchwand von dem Tiſch als waͤre er in den
Sand gegoſſen worden. So geſchah es, daß
die Gaͤſte nacheinander den ganzen Rath unter
den Tiſch tranken bis auf Einen.“
„Dieſer Eine aber war ein großer ſtarker
Mann, mit Namens Walther, von wel¬
chem man allerlei ſprach in Bremen, und
waͤre er nicht im Rath geſeſſen, man haͤtte
ihn laͤngſt boͤſer Kuͤnſte und Zauberei ange¬
klagt. Herr Walther war ſeines Zeichens ei¬
gentlich ein Zirkelſchmidt geweſen, hatte ſich
aber hervorgethan in ſeiner Gilde, war unter
die Aeltermaͤnner gekommen und nachher in
den Senat. Dieſer hielt aus bei den Gaͤſten,
trank zweimal ſoviel als beide, ſo daß ihnen
ganz unheimlich wurde, denn er war ſo ver¬
ſtaͤndig, wie zuvor, waͤhrend der Hauptmann
ſchon truͤbe Augen bekam und glaubte, es gehe
ihm ein Rad im Kopf herum. So oft der
Senator Walther ein Paßglas getrunken, fuhr
er mit der Hand unter den Hut, und dem Reit¬
knecht kam es vor, als ſehe er ein blaͤuliches
Woͤlkchen, ganz fein wie Nebel, aus ſeinem
rabenſchwarzen Haar hervorſteigen. Er trank
wacker darauf los, bis der Hauptmann Gut¬
kunſt ſelig entſchlief und ſein Haupt ganz weich
auf des Buͤrgermeiſters Bauch legte.“
„Da ſprach der Senator Walther mit ſon¬
derbarem Laͤcheln zu dem Schreiber des Ge¬
ſandten: „Lieber Geſelle, du fuͤhrſt einen maͤch¬
tigen Zug, ich vermeine aber, daß du mit
dem Roßſtriegel beſſer fortkommſt als mit der
Feder.“ Da erſchrack der Schreiber und ſprach:
„Wie meinet Ihr dieß, Herr! ich will nicht
hoffen, daß Ihr mir Hohn ſprechen wollt;
bedenket, daß ich Seiner Majeſtaͤt Geſandt¬
ſchafts-Schreiber bin.“
„Hohoh!“ !“ rief der andere mit ſchrecklichem
Lachen, „ſeit wann haben denn ordentliche
Geſandtſchafts-Schreiber ſolche Kittel an und
fuͤhren ſolche Federn bei der Sitzung?“ Da
ſah der Reitknecht auf ſein Kleid und bemerkte
mit großem Schrecken, daß er ſeinen gewoͤhn¬
lichen Stallkittel an habe, er ſah auf ſeine
Hand, und ſiehe da, ſtatt der Feder hielt er
eine ganz gemeine Krazbuͤrſte. Da entſetzte
er ſich und ſah ſich verrathen, und wußte nicht
wie ihm geſchah. Herr Walther aber laͤchelte
ſeltſam und hoͤhniſch, und trank ihm einen Hum¬
pen von anderthalb Maas zu auf einen Zug,
fuhr dann mit der Hand hinter die Ohren, und
der Reitknecht ſah ganz deutlich, wie ein fei¬
ner Nebel aus ſeinem Kopf kam. „Gott ſoll
mich bewahren, Herr! daß ich fuͤrder mit Euch
trinke,“ rief er; „Ihr ſeyd ein Schwarzkuͤnſt¬
ler, wie ich nun vermuthe, und koͤnnt mehr
als Brod eſſen.“
„Daruͤber waͤre noch vielerlei zu ſagen,“
antwortete Walther ganz ruhig und freund¬
lich, „aber es wuͤrde dir auch nicht viel hel¬
fen, werthgeſchaͤtzter Stallknecht und Roßkamm,
wenn du mir fuͤrder zuſetzteſt mit Trinken,
mich trinkſt du nicht unter den Tiſch, was
maaſen ich einen kleinen Hahnen in mein Ge¬
hirn geſchraubt habe, durch welchen der Wein¬
dunſt wieder herausfaͤhrt. Schau zu!“ Dabei
trank er ein großes Paßglas aus, wandte
ſeinen Kopf heruͤber zu dem Reitknecht Ohne¬
grund, ſtrich ſein Haar zuruͤck, und ſiehe da,
in ſeinem Kopf ſteckte ein kleiner ſilberner
Hahn, wie an einem Faß; da drehte er den
Zapfen um und ein blaͤulicher Dunſt ſtroͤmete
hervor, ſo daß ihm der Weingeiſt keine Be¬
ſchwerden machte in der Hirnkammer.“
Da ſchlug der Reitknecht vor Verwunde¬
rung die Haͤnde zuſammen und rief: „Das
iſt einmal eine ſchoͤne Erfindung, Herr Zau¬
berer! koͤnnet Ihr mir nicht auch ſo ein Ding
an den Kopf ſchrauben, um Geld und gute
Worte?“ „Nein, das geht nicht, antwortete
jener bedaͤchtig; da ſeyd Ihr nicht erfahren ge¬
nug in geheimer Wiſſenſchaft; aber ich habe
Euch liebgewonnen wegen Eurer abſonderlichen
Kunſt im Trinken, darum moͤchte ich Euch
gerne dienen, wo ich kann. Zum Beiſpiel, es
iſt gegenwaͤrtig die Stelle des Kellermeiſters
vacant allhier. Balthaſar Ohnegrund! ver¬
laß den Dienſt dieſer Schweden, wo es doch
mehr Waſſer als Wein gibt, und diene dem
wohledlen Rath dieſer Stadt; wenn wir auch
einige Laſten Wein mehr brauchen des Jahrs,
die du heimlich ſaufeſt, das thut nichts, ein
ſolcher Capitalkerl hat uns laͤngſt gefehlt;
Balthaſar Ohnegrund! ich mach' dich morgen
zum Kellermeiſter, wenn du willſt. Willſt du
nicht, ſo iſt's auch gut; dann weiß aber mor¬
gen die ganze Stadt, daß uns der Schwede
einen Reitknecht als Schreiber geſchickt.“ Die¬
ſer Vorſchlag mundete dem Balthaſar wie
edler Wein; er that einen Blick in dieſes
unermeßliche Weinreich, ſchlug ſich auf den
Magen und ſagte: „ich wills thun.“ Nach¬
her machten ſie noch allerhand Punkte aus,
wie es gehalten werden ſoll nach Ohnegrunds
zeitlichem Hinſcheiden mit ſeiner armen Seele.
Er wurde Kellermeiſter, der Hauptmann Gut¬
kunſt aber zog mit zweideutigen Bedingun¬
gen ab ins ſchwediſche Lager, und als nach¬
her die Kaiſerlichen in die Stadt kamen, war
der Buͤrgermeiſter und Senat froh, daß ſie
ſich mit dem Schweden nicht zu tief eingelaſ¬
ſen, obgleich keiner recht wußte, wie es ſo
gekommen war.“
So erzaͤhlte die Roſe, die Apoſtel und ich
dankten ihr und lachten ſehr uͤber die beiden
Geſandten, Paulus aber fragte: „und Bal¬
thaſar Ohnegrund, der wackere Kunde, was
iſt aus ihm geworden? blieb er Kellermei¬
ſter?“ Die Roſe aber wandte ſich um mit Laͤ¬
cheln, deutete auf eine Ecke des Gemachs und
ſagte: „dort ſitzt er ja noch, wie vor zwei¬
hundert Jahren, der wackere Zecher.“ Mir
graute, als ich hinſah; eine bleiche abgehaͤrmte
Geſtalt ſaß in der Ecke, ſchluchzte und weinte
ſehr und trank dazu ſehr viel Rheinwein; aber
es war niemand anders, als eben der Keller¬
meiſter Balthaſar, der aus Unſer lieben Frauen
Kirchhof herabgekommen war, nachdem ihn
Matthaͤus aus dem Schlaf geſchellt.
„Nun alter Balthaſar,“ rief ihm Jacobus
zu, „du haſt alſo als Reitknecht gedient beim
Hauptmann Gutkunſt und warſt ſogar Ge¬
ſandtſchaftsſchreiber oder Secretaͤr, ehe du Kel¬
lermeiſter wurdeſt? was machte denn der Herr,
ſo den Hahnen im Hirnkaſten hatte, fuͤr Be¬
dingniſſe?“
„O Herr!“ ſtoͤhnte der alte Kellermeiſter
aus tiefer Seele, und es war, als ob ihn der
ewige Tod auf dem Fagott begleitete, ſo graͤu¬
lich toͤnte es aus ſeiner Bruſt, „o Herr! for¬
dert nicht von mir, daß ich es ſage.“
„'Heraus damit,“ ſchrieen die Apoſtel,
„was wollte der mit dem Spiritusableiter?
der Weingeiſtſchroͤpfer, was wollte er?“
„Meine Seele.“
„Armer Kerl,“ ſagte Petrus ſehr ernſt;
„und um was wollte er deine arme Seele?“
„Um Wein;“ murmelte er dumpf, und
mir war es, als ob eine Stimme ohne Hoff¬
nung ſpraͤche.
„Rede deutlicher, Alter, wie hat er es ge¬
macht mit deiner Seele?“ Er ſchwieg lange;
endlich ſprach er: „warum dieß erzaͤhlen, ihr
Herren? Es iſt grauſig, und ihr verſteht doch
nicht, was es heißt, eine Seele verlieren.“
„Wohl wahr,“ ſprach Paulus, „wir ſind
froͤhliche Geiſter und ſchlummern im Weine,
und freuen uns ewiger ungetruͤbter Herrlichkeit
und Freude; darum kann uns aber auch kein
Grauen anwandlen, denn wer hat Macht uͤber
uns, daß er uns elend mache oder uns ſchrecke?
darum erzaͤhle!“
„Aber es ſitzt ein Menſch am Tiſch, der
kann es nicht vertragen,“ ſprach der Todte,
„vor ihm darf ich es nicht ſagen.“
„Nur zu, immer zu,“ erwiederte ich, an
allen Gliedern ſchauernd, „ich kann eine hin¬
laͤngliche Doſis Schauerliches ertragen, und
was iſt es am Ende, als daß Euch der Teufel
geholt?“
„Herr, es waͤre Euch beſſer, Ihr bete¬
tet,“ murmelte der Alte, „aber Ihr wollt es
ſo haben, ſo hoͤret: der Menſch, der in jener
Nacht in dieſem Zimmer bei mir ſaß, — es
war ein boͤſes Ding mit ihm. Der hatte ſeine
Seele dem Boͤſen verhandelt, und es war da¬
bei bedingt, daß er ſich loskaufen koͤnnte durch
eine andere Seele. Schon viele hatte er auf
dem Korn gehabt, aber allemal waren ſie ihm
wieder entgangen. Mich faßte er beſſer. Ich
war wild aufgewachſen ohne Unterricht, und
das Leben im Kriege ließ mich nicht viel nach¬
denken; wenn ich ſo uͤber ein Schlachtfeld ritt,
und der Mondſchein fiel herab, und Freund
und Feind niedergemaͤhet da lagen, da dachte
ich: ſie ſind jetzt halt todt und leben nicht
mehr; von der Seele hielt ich nicht viel und
von Himmel und Hoͤlle noch weniger. Aber
weil man ſo kurz lebt, wollt ich's Leben recht
genießen, und Wein und Spiel war mein Ele¬
ment. Das hatte mir der Hoͤllenknecht abge¬
merkt und ſprach zu mir in jener Nacht: „ſo
zwanzig, dreißig Jahr zu leben in dieſem Kel¬
lerreich, in dieſem Weinhimmel zu trinken
nach Herzensluſt, nicht wahr, Balthaſar, das
muͤßt' ein Leben ſeyn?“ Ja, Herr, ſprach ich,
aber wie koͤnnte ich dieß verdienen? „An was
liegt dir mehr,“ fuhr er fort, „hier recht zu
leben nach Herzensluſt auf der Erde, hier im
Keller, oder an den Geſchichten, die ſich nachher
begeben, wo man gar nicht weiß, ob man nur
noch lebt und Wein trinkt?“ Ich that einen
graͤßlichen Schwur und ſagte: „meine Gebeine
werden dahin fahren, wo die Gebeine meiner
Geſellen liegen; iſt der Menſch todt, ſo fuͤhlt
er nicht und denkt nicht; hab' es an manchem
Cameraden erlebt, dem die Kugel das Hirn
zerſchmetterte, darum will ich leben und luſtig
ſeyn.“ Er aber ſprach zu mir: „wenn du
Verzicht leiſten willſt auf das, was nachher
koͤmmt, ſo iſt es ein Leichtes, dich hier zum
Kellermeiſter zu machen, ſchreib nur deinen
Namen in dieß Buͤchlein und thue einen recht
tuͤchtigen Schwur dazu.“ „Was nachher mit
mir geſchieht, das kuͤmmert mich nicht,“ ſprach
ich; „Kellermeiſter will ich hier ſeyn immer¬
dar und ewiglich, ſo lang ich bin, und der
Teufel oder wer will kann das andere haben
alles, wenn ſie mich einſt einſcharren.“
„Als ich ſo geſprochen, waren wir nicht mehr
zu Zwei, ſondern ein Dritter ſaß neben mir,
und hielt mir das Buͤchlein hin zum Unterſchrei¬
ben; der aber, der dieß that, war nicht der
Zirkelſchmidt, ſondern ein Anderer.“
„Wer war es denn? ſag' an!“ riefen die
Apoſtel ungeduldig.
Die Augen des alten Kellermeiſters fun¬
kelten graͤulich und ſeine bleichen Lippen beb¬
ten; er ſetzte mehreremal an, um zu ſprechen,
aber ein Krampf ſchien ihm die Kehle zuzu¬
ſchnuͤren. Da blickte er auf einmal feſt und
muthig in eine dunkle Ecke, trank ſein Glas
aus und warf es an die Erde; „was hilft alle
Reue, alter Balthaſar,“ ſprach er, indem
große Thraͤnen in ſeinen Wimpern hingen;
„der bei mir ſaß — war der Teufel.“
Es war bei dieſen Worten unheimlich, bis
zur Verzweiflung unheimlich in dem Gemach;
die Apoſtel ſchauten ernſt und ſchweigend
in ihre Roͤmer, Bachus hatte das Geſicht in
die Haͤnde gedruͤckt, und die Roſe war bleich
und ſtille. Kein Athemzug ruͤhrte ſich, man
hoͤrte nur, wie in dem Todtenkopf des Alten
die Zaͤhne ſchaudernd aneinander klapperten.
„Mein Vater hatte mich gelehrt, meinen
Namen zu ſchreiben, als ich noch ein kleiner,
frommer Knabe war; ich unterſchrieb ihn ins
Buch, das mir der Andere mit ſeinen Krallen
vorhielt. Von da an ging mir ein Leben auf in
Saus und Brauß; in ganz Bremen gab es
keinen Mann ſo froͤhlich als den Kellermeiſter
Balthaſar, und getrunken hab' ich, was der
Keller Gutes und Koͤſtliches hatte. Zur Kirche
ging ich nie, ſondern wenn ſie zuſammen laͤu¬
teten, ſchritt ich hinab zum beſten Faß und
ſchenkte mir ein nach Herzensluſt. Als ich
alt wurde, kam oft ein Grauen uͤber mich und
es froͤſtelte mir durch die Glieder, wenn ich
ans Sterben dachte; hatte zwar kein Weib, das
um mich jammerte, aber auch keine Kinder,
die mich troͤſteten, da trank ich denn, wenn
die Todesgedanken uͤber mich kamen, bis ich
von Sinnen war und ſchlief. So trieb ich's
lange Jahre, mein Haar ward grau, meine
Glieder ſchwach, und ich ſehnte mich, zu ſchla¬
fen im Grabe. Da war mir eines Tages, als
ſey ich erwacht und koͤnne doch nicht recht er¬
wachen ; die Augen wollten ſich nicht aufthun,
die Finger waren ſteif, als ich mich aus dem
Bette heben wollte, und die Beine lagen ſtarr
wie ein Stuͤck Holz. An mein Bett aber tra¬
ten Leute, betaſteten mich und ſprachen: „der
alte Balthaſar iſt todt.“
„Todt, dachte ich und erſchrack, todt und
nicht ſchlafen? todt bin ich und denke? Mich
erfaßte eine unnennbare Angſt, ich fuͤhlte, wie
mein Herz ſtille ſtand, und wie ſich doch etwas
in mir regte und in ſich zu ſammen zog und
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bange, bange war; das war mein Koͤrper
nicht, denn der lag ſteif und todt, was war
es denn?“
„Deine Seele!“ ſprach Petrus dumpf;
„Deine Seele!“ fluͤſterten die andern ihm
nach.
„Da maßen ſie meine Laͤnge und Breite,
um die ſechs Brettlein fertig zu machen, und
legten mich hinein und ein hartes Kißen von
Hobelſpaͤhnen unter meinen Schaͤdel, und na¬
gelten die Bahre zu, und meine Seele wurde
immer aͤngſtlicher, weil ſie nicht ſchlafen konnte.
Dann hoͤrte ich die Todtenglocke laͤuten auf der
Domkirche, ſie hoben mich auf und kein Auge
weinte um mich. Sie trugen mich auf Unſer
lieben Frauen Kirchhof, dort hatten ſie mein
Grab gegraben, noch hoͤre ich die Seile ſchwir¬
ren, die ſie heraufzogen, als ich unten lag;
dann warfen ſie Steine und Erde herab und
es ward ſtille um mich her.“
„Aber meine Seele zitterte heftiger, als es
Abend wurde, als es zehn Uhr, eilf Uhr ſchlug
auf allen Glocken. Wie wird es dir gehen,
wie wird es dir gehen? dachte ich bei mir.
Ich wußte noch ein Gebetlein aus alter Zeit,
das wollte ich ſprechen, aber meine Lippen ſtan¬
den ſtill. — Da ſchlug es zwoͤlf Uhr, und mit
einem Ruck ward die ſchwere Grabesdecke ab¬
geriſſen und auf meinen Sarg geſchah ein
ſchrecklicher Schlag.“ —
„Ein Schlag, daß die Hallen droͤhnten,
ſprengte jetzt eben die Thuͤre des Gemaches auf,
und eine große weiße Geſtalt erſchien auf der
Schwelle. Ich war durch Wein und die Schreck¬
niſſe dieſer Nacht ſo exaltirt und auſſer mir
ſelbſt gebracht, daß ich nicht aufſchrie, nicht
aufſprang, wie wohl ſonſt geſchehen waͤre, ſon¬
dern geduldig das Schreckliche anſtarrte, das
jetzt kommen ſollte; mein erſter Gedanke war
naͤmlich: „jetzt kommt der Teufel.“
Habt Ihr je im Don Juan jenen bangen
Moment geſchaut, wo Tritte dumpf und im¬
mer naͤher toͤnen, wo Leporello ſchreiend zu¬
ruͤckkoͤmmt und die Statue des Gouverneurs,
ihrem Streitroß auf dem Monument entſtiegen,
zum Gaſtmal koͤmmt? Rieſengroß, mit abge¬
meſſenem droͤhnendem Schritt, ein ungeheures
Schwert in der Hand, gepanzert, aber ohne
Helm, trat die Geſtalt ins Gemach. Sie war
von Stein, das Geſicht ſteif und ſeelenlos;
aber dennoch that ſich der ſteinerne Mund auf
und ſprach: „Gott gruͤß Euch, vielliebe Reben
vom Rheine; muß doch das ſchoͤne Nachbars¬
kind beſuchen an ihrem Jahrestag. Gott gruͤß
Euch, Jungfrau Roſe. Darf ich auch Platz
nehmen in Eurem Gelaggaden?“
Sie ſchauten alle verwundert nach der rieſigen
Statue, Frau Roſe aber brach das Stillſchwei¬
gen, ſchlug vor Freude die Haͤnde zuſammen
und ſchrie: „Ei, du meine Guͤte! 's iſt ja der
ſteinerne Roland, ſo ſeit vielen hundert Jahren
auf dem Domhofe in der lieben Stadt Bremen
ſteht. Ei, das iſt ſchoͤn, daß Ihr uns die Ehre
anthut, Herr Ritter; leget doch Schild und
Schwert ab, und machet es Euch bequem;
wollet Ihr Euch nicht obenan ſetzen an meine
Seite? O Gott, wie mich das freut!“
Der hoͤlzerne Weingott, ſo indeſſen wieder
um ein Erkleckliches gewachſen, warf muͤrriſche
Blicke bald auf den ſteinernen Roland, bald
auf die naive Dame ſeines Herzens, die ihre
Freude ſo laut und unverholen ausgelaſſen.
Er murmelte etwas von ungebetenen Gaͤſten,
und ſtrampelte ungeduldig mit den Beinen.
Aber Roſe druͤckte ihm unter dem Tiſche die
Hand und beſchwichtigte ihn durch ſuͤße Blicke.
Die Apoſtel waren naͤher zuſammen geruͤckt
und hatten dem ſteinernen Gaſt einen Stuhl
neben dem alten Fraͤulein eingeraͤumt. Er
legte Schwert und Schild in die Ecke, und
ſetzte ſich ziemlich ungelenk auf das Stuͤhlein,
aber ach, dieß war fuͤr ehrſame Bremer Stadt¬
kinder und nicht fuͤr einen ſteinernen Rieſen
gemacht, es knackte, als er ſich ſetzte, morſch
zuſammen, und ſo lang er war, lag er im
Gemach.
„Schnoͤdes Geſchlecht, das ſolche Hitſchen
zimmert, worauf zu meiner Zeit nicht einmal
ein zartes Fraͤulein haͤtte ſitzen koͤnnen ohne
mit dem Sitz durchzubrechen,“ ſagte der Heros
und ſtand langſam auf; der Kellermeiſter Bal¬
thaſar aber rollte ein Halbeimerfaß herbei
an den Tiſch, und lud den Ritter ein Platz
zu nehmen. Es knackten nur ein Paar Dau¬
ben als er ſich ſetzte, aber das Faß hielt aus.
Dann bot ihm der Kellermeiſter ein großes
Roͤmerglas mit Wein, er faßte es mit der
breiten ſteinernen Fauſt, aber krach! war es
entzwei, daß ihm der Wein uͤber die Finger
lief. „Ei, Ihr haͤttet auch die Handſchuh
von Stein fuͤglich ablegen koͤnnen,“ ſprach
Balthaſar aͤrgerlich, und credenzte ihm einen
ſilbernen Becher, ſo ein Maas hielt, und in
fruͤherer Zeit Tummler genannt wurde. Der
Ritter faßte ihn, druͤckte nur einige unbedeu¬
tende Buckeln in den Becher, ſperrte das ſtei¬
nerne Maul auf und goß den Wein hinab.
„Wie mundet Euch der Wein?“ fragte
Bachus den Gaſt; „Ihr habt wohl lange kei¬
nen getrunken?“
„Er iſt gut, bei meinem Schwert! ſehr
gut! was iſt es fuͤr Gewaͤchs?“
„Rother Engelheimer, geſtrenger Herr!“
antwortete der Kellermeiſter.
Das ſteinerne Auge des Ritters bekam Le¬
ben und Glanz, als er dieß hoͤrte, die gemei¬
ſelten Zuͤge verſchoͤnerte ein ſanftes Laͤcheln,
und vergnuͤglich ſchaute er in den Becher.
„Engelheim! du ſuͤßer, trauter Name!“
ſprach er. „Du edle Burg meines ritterlichen
Kaiſers; ſo nennt man alſo noch in dieſer Zeit
deinen Namen und die Reben bluͤhen noch,
die Karl einſt pflanzte in ſeinem Engelheim?
Weiß man denn auch von Roland noch et¬
was auf der Welt, und von dem großen Ka¬
rolus, ſeinem Meiſter?“
„Das muͤßt Ihr den Menſchen dort fra¬
gen,“ erwiederte Judas, „wir geben uns mit
der Erde nicht mehr ab. Er nennt ſich Doc¬
tor und Magiſter, und muß Euch Beſcheid ge¬
ben koͤnnen uͤber ſein Geſchlecht.“
Der Rieſe richtete ſein Auge fragend auf
mich und ich antwortete: „Edler Paladin!
Zwar iſt die Menſchheit in dieſer Zeit lau und
ſchlecht geworden, iſt mit dem hohlen Schaͤdel
an die Gegenwart genagelt und blickt nicht
vor, nicht ruͤckwaͤrts, aber ſo elend ſind wir
doch nicht geworden, daß wir nicht der großen,
herrlichen Geſtalten gedaͤchten, die einſt uͤber
unſere Vatererde gingen und ihren Schatten
werfen noch bis zu uns. Noch gibt es Her¬
zen, die ſich hinuͤberretten in die Vergan¬
genheit, wenn die Gegenwart zu ſchaal und
truͤbe wird, die hoͤher ſchlagen bei dem Klang
großer Namen und mit Achtung durch die
Ruinen wandlen, wo einſt der große Kaiſer
ſaß in ſeiner Zelle, wo ſeine Ritter um ihn
ſtanden, wo Eginhart bedeutungsvolle Worte
ſprach und die traute Emma dem treuſten ſei¬
ner Paladine den Becher credenzte. Wo man
den Namen Eures großen Kaiſers ausſpricht,
da iſt auch Roland unvergeſſen, und wie Ihr
ihm nahe ſtandet im Leben, ſo enge ſeyd Ihr
mit ihm verbunden in Lied und Sage und in
den Bildern der Erinnerung. Der letzte Ton
Eures Hifthorns toͤnt noch immer aus dem
Thal von Ronceval durch die Erde und wird
toͤnen, bis er ſich in die Klaͤnge der letzten
Poſaune miſcht.“
„So haben wir nicht vergebens gelebt,
alter Karl!“ ſprach der Ritter, „die Nach¬
welt feiert unſere Namen.“
„Ha!“ rief Johannes feurigen Muthes;
„dieſe Menſchen waͤren auch werth Waſſer aus
dem Rhein zu ſaufen ſtatt des Rebenblutes
ſeiner Huͤgel, wenn ſie den Namen des Man¬
nes vergeſſen haͤtten, der zuerſt die Reben
pflanzte im Rheingau. Auf, ihr trauten Ge¬
ſellen und Apoſtel, ſtoßet an, unſer herrlicher
Stammvater lebe, es lebe Kaiſer Karl
der Große!“
Die Roͤmer klangen, aber Bachus ſprach:
„Ja, es war eine ſchoͤne, herrliche Zeit,
und ich freue mich ihrer wie vor tauſend Jah¬
ren. Wo jetzt die wundervollen Weingaͤrten
ſtehen vom Ufer bis hinauf an die Ruͤcken
der Berge, und hinauf und hinab im Rhein¬
thal Traube an Traube ſich ſchlingt, da lag
ſonſt wuͤſter, duͤſterer Wald. Da ſchaute einſt
Kaiſer Karl aus ſeiner Burg in Engelheim
an den Bergen hin, er ſah, wie die Sonne
ſchon im Maͤrz ſo warm dieſen Huͤgel be¬
gieße und den Schnee hinabrolle in den Rhein,
wie ſo fruͤhe die Baͤume dort ſich belauben
und das junge Gras dem Fruͤhling voraneile
aus der Erde. Da erwachte in ihm der Ge¬
danke Wein zu pflanzen, wo ſonſt der Wald
lag.“
„Und ein geſchaͤftiges Leben regte ſich im
Rheingau bei Engelheim, der Wald verſchwand,
und die Erde war bereit den Weinſtock auf¬
zunehmen. Da ſchickte er Maͤnner nach Un¬
garn und Spanien, nach Italia und Bur¬
gund, nach der Champagne und nach Lothrin¬
gen, und ließ Reben herbeibringen und ſenkte
die Reiſer in der Erde Schooß.“
„Da freute ſich mein Herz, daß er mein
Reich ausbreite im deutſchen Lande, und als
dort die erſten Reben bluͤhten, zog ich ein im
Rheingau mit glaͤnzendem Gefolge; wir lager¬
ten auf den Huͤgeln, und ſchafften in der Erde
und ſchafften in den Luͤften, und meine Die¬
ner breiteten die zarten Netze aus und fingen
den Fruͤhlingsthau auf, daß er den Reben
nicht ſchade; ſie ſtiegen hinauf und brachten
warme Sonnenſtrahlen nieder, die ſie ſorgſam
um die kleinen Beerlein goßen, ſchoͤpften Waſ¬
ſer im gruͤnen Rhein und traͤnkten die zarten
Wurzeln und Blaͤtter. Und als im Herbſt
das erſte zarte Kind des Rheingaues in der
Wiege lag, da hielten wir ein großes Feſt,
und luden alle Elemente zur Feier ein. Und
ſie brachten koͤſtliche Geſchenke und legten ſie
dem Kindlein als Angebinde in die Wiege.
Das Feuer legte ſeine Hand auf des Kindes
Augen und ſprach: „du ſollſt mein Zeichen
an dir tragen ewiglich; ein reines, mildes
Feuer ſoll in dir wohnen und dich werth ma¬
chen vor allen andern.“ Und die Luft in zar¬
tem, goldenem Gewande kam heran, legte
ihre Hand auf des Kindes Haupt und ſprach:
„zart und licht ſey deine Farbe, wie der goldene
Saum des Morgens auf den Huͤgeln, wie
das goldene Haar der ſchoͤnen Frauen im Rhein¬
gau.“ Und das Waſſer rauſchte heran in ſil¬
bernen Kleidern, buͤckte ſich auf das Kind und
ſprach: „Ich will deinen Wurzeln immer nahe
ſeyn, daß dein Geſchlecht ewig gruͤne und
bluͤhe und ſich ausbreite, ſo weit mein Rhein¬
ſtrom reicht.“ Aber die Erde kam und kuͤßte
das Kindlein auf den Mund und wehte es an
mit ſuͤßem Athem. „Die Wohlgeruͤche meiner
Kraͤuter,“ ſprach ſie, „die herrlichſten Duͤfte
meiner Blumen habe ich fuͤr dich geſammelt
zum Angebinde. Die koͤſtlichſten Salben aus
Ambra und Myrrhen werden gering ſeyn ge¬
gen deine Duͤfte, und deine lieblichſten Toͤchter
wird man nach der Koͤnigin der Blumen
heißen, — die Roſen.“
„So ſprachen die Elemente; wir aber ju¬
belten uͤber die herrlichen Gaben, ſchmuͤckten
das Kindlein mit friſchem Weinlaub und ſchick¬
ten es dem Kaiſer in die Burg. Und er er¬
ſtaunte uͤber die Herrlichkeit des Rebenkindes,
hat es fortan gehegt und gepflegt, und die
Rebe am Rhein ſeinen herrlichſten Schaͤtzen
gleich geachtet.“
„Andreas!“ rief Jungfrau Roſe, „lieber
Vetter, Du haſt ſolch' eine ſchoͤne zarte Stim¬
me, willſt du nicht ſingen zum Ruhme des
Rheingaues und ſeiner Weine?“
„Wenn es Euch erheitert, edle Jungfrau,
und Euch nicht Beſchwerde macht, edler Ba¬
chus, wie auch Euch nicht unangenehm iſt,
mein Herr und Ritter Roland, ſo will ich
eins ſingen.“ Und er ſang eine ſchoͤne Weiſe
voll zarter Toͤne und Worte, klangvoll und
zierlich gefuͤget, ſo, daß man wohl merken
konnte, es ſey ein Lied eines alten Meiſters
von 1400 oder 1500. Verflogen ſind ſeine Worte
aus meinem Gedaͤchtniß, aber ſeine Weiſe
moͤchte ich doch wohl finden, denn ſie war ein¬
fach und ſchoͤn, und Petrus begleitete ihn mit
einem ſonoren, herrlichen Secund. Die Luſt
des Geſanges ſchien uͤber alle herabzukommen,
denn als Andreas geendet, ſang Judas un¬
aufgefordert ein Lied, und ihm folgten die uͤbri¬
gen. Selbſt Roſe, ſo ſehr ſie ſich zierte, mußte
ein Lied von 1615 ſingen, was ſie mit ange¬
nehmer, etwas zitternder Stimme vortrug.
Mit droͤhnendem Baß ſang Roland eine Kriegs¬
hymne der Franken, von welcher ich nur einige
Worte verſtand, und endlich, als ſie alle ge¬
ſungen, ſchauten ſie auf mich, und Roſe nickte
mir zu etwas zu ſingen. Da hub ich denn
an:
Am Rhein, am Rhein, da wachſen unſre Reben,
Da waͤchſt ein deutſcher Wein,
Da wachſen ſie am Ufer hin und geben
Uns dieſen Labewein.
Sie lauſchten, als ſie dieſe Worte hoͤrten,
ſie nickten ſich zu und ruͤckten naͤher zuſam¬
men, und die entfernteren ſtreckten die Koͤpfe
vor, als wollten ſie kein Wort verlieren. Mu¬
thiger erhob ich meine Stimme, lauter und
immer lauter war mein Geſang, denn es
wogte in mir wie Begeiſterung, vor ſolchem
Publicum zu ſingen. Die alte Roſe nickte
den Text mit dem Kopfe und ſummte den
Chorus leiſe, leiſe mit, und Freude und Stolz
blickte aus den Augen der Apoſtel. Und als
ich geendet, draͤngten ſie ſich zu, druͤckten mir
die Haͤnde, und Andreas hauchte einen Kuß
auf meine Lippen.
„Doctor!“ rief Bachus, „Doctor, welch
ein Lied! wie geht einem da das Herz auf.
Herzens-Doctor haſt du das Lied gedichtet in
deinem eigenen graduirten Gehirn?“
„Nein, Euer Excellenz! ſolch ein Meiſter
des Geſanges bin ich nicht. Aber den, der es
gedichtet, haben ſie laͤngſt begraben; er hieß
Matthias Claudius!“
„Sie haben — einen guten Mann
begraben,“ ſagte Paulus. „Wie klar und
munter iſt dieß Lied, ſo klar und helle wie
aͤchter Wein, ſo muthig und munter wie der
Geiſt, der im Weine wohnet und gewuͤrzt mit
Scherz und Laune, die wie ein wuͤrziger Duft
aus dem Roͤmer ſteigen; der Mann hat gewiß
verſtanden, welch' gutes Ding es um ein
Glas lautern Weines iſt.“
„Herr, er iſt lange todt, das weiß ich,
aber ein anderer großer Sterblicher hat geſagt:
„guter Wein iſt ein gutes, geſelliges Ding,
und jeder Menſch kann ſich wohl einmal von
ihm begeiſtern laſſen!“ Und ich denke, der
alte Matthias hat auch ſo gedacht unter gu¬
ten Freunden, haͤtte ja ſonſt ſolch' ein ſchoͤnes
Lied nicht machen koͤnnen, das noch heute alle
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froͤhlichen Menſchen ſingen, die im Rheingau
wandeln oder edeln Rheinwein trinken.“
„Singen ſie das?“ rief Bachus, „nun
ſeht, Doctor, das freut mich, und ſo gar
miſerabel muß Euer Geſchlecht doch nicht ge¬
worden ſeyn, wenn ſie ſo klare, ſchoͤne Lieder
haben und ſingen.“
„Ach, Herr!“ ſprach ich bekuͤmmert; „es
gibt der Ueberſchwaͤnglichen gar viele, das
ſind die Pietiſten in der Poeſie, und wollen
ſolch' Lied gar nicht fuͤr ein Gedicht gelten
laſſen, wie manchen Froͤmmlern das Vater¬
unſer nicht myſtiſch genug zum Beten iſt.“
„Es hat zu jeder Zeit Narren gegeben,
Herr!“ erwiederte mir Petrus, „und jeder fegt
am beſten vor ſeiner eigenen Thuͤre. Aber weil
wir gerade bei ſeinem Geſchlecht ſind, erzaͤhl'
Er uns doch, wie es auf der Erde ging im
letzten Jahr?“
„Wenn es die Herren und Damen intereſ¬
ſirt,“ — ſprach ich zoͤgernd.
„Immer zu,“ rief Roland, „wegen mei¬
ner koͤnntet Ihr die letzten fuͤnfhundert Jahre
erzaͤhlen, denn auf meinem Domhof ſehe ich
nichts als Zigarrenmacher, Weinbrauer, Pfar¬
rer und alte Weiber.“ Auch die uͤbrigen ſtimm¬
ten mit ein, ich hub alſo an:
„Was zuerſt die deutſche Literatur betrifft“ —
„Halt, manum de fabula!“ rief Paulus;
„was ſcheeren wir uns um euer miſerables
Geſchmier, um eure kleinlichen, eckelhaften
Gaßenſtreite und Kneipenraufereien, um eure
Poetaſter, Afterpropheten und —“
Ich erſchrack; wenn dieſen Leuten nicht ein¬
mal unſere wunderherrliche, magnifique Litera¬
tur intereſſant war, was konnte ich ihnen denn
ſagen? Ich beſann mich und fuhr fort: „of¬
fenbar hat Joco im letzten Jahre, was das
Theater anbelangt“ —
„Theater? geht mir weg!“ unterbrach An¬
dreas, „was ſollen wir von euren Puppenſpie¬
len, Marionettenkomoͤdien und ſonſtigen Thor¬
heiten hoͤren! Meinet Ihr etwa, uns komme
viel darauf an, ob einer eurer Luſtſpieldichter
ausgepfiffen wurde oder nicht? Habt Ihr denn
dermalen gar nichts intereſſantes, nichts welt¬
hiſtoriſches, das Ihr etwa erzaͤhlen koͤnntet?“
„Ach, daß Gott erbarm,“ erwiederte ich,
„bei uns iſt die Welthiſtorie ausgegangen, wir
haben in dieſem Fach nur noch den Bundestag
in Frankfurt. Bei unſern Nachbarn hoͤchſtens
gibt es noch hin und wieder etwas; zum Bei¬
ſpiel in Frankreich haben die Jeſuiten wieder
Macht gewonnen und das Scepter an ſich ge¬
riſſen, und in Rußland ſollte es eine Revolu¬
tion geben.“
„Ihr verwechſelt die Namen, Freund!“
ſagte Judas, „Ihr wolltet ſagen, in Ru߬
land ſind die Jeſuiten wieder eingezogen,
und in Frankreich ſollte es eine Revolution
geben?“
„Mit nichten, Herr Judas von Iſcharioth,“
antwortete ich, „ſo iſt es, wie ich geſagt.“
„Ei der tauſend!“ murmelten ſie nachdenk¬
lich, „das iſt ja ganz ſonderbar und verkehrt!
Und,“ fragte Petrus, „keinen Krieg gibt es
nicht?“
„Ein klein wenig, wird aber bald vollends
zu Ende ſeyn, in Griechenland, gegen die
Tuͤrken.“
„Ha! das iſt ſchoͤn,“ rief der Paladin,
und ſchlug mit der ſteinernen Fauſt auf den
Tiſch; „hat mich ſchon vor vielen Jahren
geaͤrgert, daß die Chriſtenheit ſo ſchnoͤde zu¬
ſchaute, wie der Muſelmann dieß herrliche Volk
in Banden hielt; das iſt ſchoͤn, wahrlich! Ihr
lebet in einer ſchoͤnen Zeit und Euer Geſchlecht
iſt edler, als ich dachte. Alſo die Ritter von
Deutſchland und Frankreich, von Italien, Spa¬
nien und England ſind ausgezogen, wie einſt
unter Richard Loͤwenherz, die Unglaͤubigen zu
bekaͤmpfen? Die Genueſer Flotte ſchifft im
Archipel, die Tauſende der Streiter uͤberzuſe¬
ſetzenuͤberzuſe¬
tzen, die Oriflamme naht ſich Stambuls Kuͤ¬
ſten und Oeſterreichs Banner weht im erſten
Reihen? Ha! zu ſolchem Kampfe moͤchte ich
ſelbſt noch einmal mein Roß beſteigen, mein
gutes Schwert Durande ziehen und in mein
Hifthorn ſtoßen, daß alle Helden, die da
ſchlafen, aufſtuͤnden aus den Graͤbern, und
mit mir zoͤgen in die Tuͤrkenſchlacht.“
„Edler Ritter,“ antwortete ich und erroͤ¬
thete vor meiner Zeit, „die Zeiten haben ſich
geaͤndert. Ihr wuͤrdet wahrſcheinlich als De¬
magoge verhaftet werden bei ſothanen Um¬
ſtaͤnden und Verhaͤltniſſen, denn weder Habs¬
burgs Banner noch die Oriflamme, weder
Englands Harfe noch Hiſpaniens Loͤwen ſieht
man in jenen Gefechten.“
„Wer iſt es denn, der gegen den Halb¬
mond ſchlaͤgt, wenn es nicht dieſe ſind?“
„Die Griechen ſelbſt.“
„Die Griechen? iſt es ?“ rief Jo¬
hannes; „und die andern Staaten, wo ſind
denn dieſe beſchaͤftigt?“
„Noch haben ſie Geſandte bei der Pforte.“
„Menſch, was ſagſt du,“ ſprach Roland
ſtarr vor Staunen, „kann man es ignoriren,
wenn ein Volk um ſeine Freiheit kaͤmpft?
Heilige Jungfrau, was iſt dieß fuͤr eine Welt!
Wahrlich, das moͤchte einen Stein erbarmen!“
Er quetſchte im Zorn, waͤhrend er die letzten
Worte ſprach, den ſilbernen Becher wie duͤn¬
nes Zinn zuſammen, daß der Wein darin
hoch an die Decke ſpritzte, fuhr raſſelnd auf
vom Tiſch, nahm ſeine Tartſche und ſein lan¬
ges Schwert, und ſchritt duͤſter mit droͤhnenden
Schritten aus dem Gemach.
„Ei, was iſt der ſteinerne Roland fuͤr ein
zorniger Kumpan,“ murmelte Roſe, nachdem
er die Pforte klirrend zugeworfen, indem ſie
etliche Weintropfen, die ſie benetzten, vom
Buſentuch abſchuͤttelte;“ will der ſteinerne Narr
auf ſeine alten Tage noch zu Felde ziehen!
wenn er ſich ſehen ließe, ſie ſteckten ihn gleich
ohne Barmherzigkeit als Fluͤgelmann unter
die Brandenburger Grenadiere, denn die Groͤße
hat er.“
„Jungfer Roſe,“ erwiederte ihr Petrus,
„zornig iſt er, das iſt wahr, und er haͤtte
koͤnnen auf andere Weiſe davon gehen; aber
bedenket, daß er einſt, Furioſo, wahnſinnig
war und noch ganz andere Sachen gethan,
als ſilberne Becher zerquetſcht und Frauenzim¬
mer mit Wein beſudelt. Und genau beim
Lichte beſehen, kann ich ihm ſeinen Unmuth
auch nicht verdenken; war er doch auch ein¬
mal ein Menſch und dazu ein herrlicher Pa¬
ladin des großen Kaiſers, ein tapferer Ritter,
der, wenn es Karl gewollt haͤtte, allein gegen
tauſend Muſelmannen zu Felde gezogen waͤre.
Da hat er ſich denn geſchaͤmt und iſt unmu¬
thig geworden.“
„Laßt ihn laufen, den ſteinernen Recken!“
rief Bachus, „hat mich genirt, der Burſche,
hat mich genirt. Er paßt nicht unter uns,
der Luͤmmel von zehen Schuh, er ſah immer
hoͤhniſch auf mich herab. Die ganze Freudig¬
keit und mein Vergnuͤgen haͤtt' er geſtoͤrt. Wir
waͤren nicht zum Tanzen gekommen, nur weil
er mit ſeinen ſteifen ſteinernen Beinen keinen
tuͤchtigen HopferHopſer haͤtte riskiren koͤnnen, ohne
elend umzuſtuͤlpen.“
„Ja tanzen, heiſa, tanzen!“ riefen die Apo¬
ſtel; „Balthaſar ſpiel auf, ſpiel auf!“
Judas ſtand auf, zog ungeheure Stuͤlp¬
handſchuhe, die ihm beinahe bis zum Ellbo¬
gen reichten, trat zierlich an die Jungfrau
heran und ſagte: „Ehrenfeſte und allerſchoͤnſte
Jungfer Roſe; duͤrfte ich mir die abſonderliche
Ehre ausbitten mit Ihr den Erſten“ —
„Manum de!“ — unterbrach ihn Bachus
pathetiſch. „Ich bin es, der den Ball arran¬
girt hat, und ich muß ihn eroͤffnen. Tanze
er, mit wem er will, Meiſter Judas, mein
Roͤschen tanzt mit mir. Nicht wahr, Schaͤ¬
zerl?“
Sie machte erroͤthend einen Knix zur Be¬
jahung, und die Apoſtel lachten den Judas
aus und verhoͤhnten ihn. Mir aber winkte
der Weingott heroiſch zu: „Verſteht er Muſik,
Doctor?“ fragte er.
„Ein wenig;“
„Tactfeſt?“
„O ja, tactfeſt wohl.“
„Nun ſo nehme er dieß Faͤßlein da, ſetze
er ſich neben Balthaſar Ohnegrund unſeren
Kellermeiſter und Zinkeniſten, nehme er dieſe
hoͤlzernen Kuͤperhaͤmmer zur Hand und be¬
gleite jenen mit der Trommel.“
Ich ſtaunte und bequemte mich; war aber
ſchon meine Trommel etwas außergewoͤhnlich,
ſo war Balthaſars Inſtrument noch auffallen¬
der. Er hielt naͤmlich einen eiſernen Hahnen
von einem achtfuderigen Faß an Mund, wie
ein Klarinett. Neben mich ſetzten ſich noch
Bartholomaͤus und Jacobus mit ungeheuern
Weintrichtern, die ſie als Trompeten hand¬
habten und warteten des Zeichens, der Tiſch
wurde auf die Seite geruͤckt, Roſe und Bachus
ſtellten ſich zum Tanze. Er winkte und eine
ſchreckliche, quickende, mißtoͤnende Janitſcha¬
ren-Muſik brach los, zu der ich im ſechsachtel
Tact auf mein Faß als Tambour aufſchle¬
gelte. Der Hahn, den Balthaſar blies, toͤnte
wie eine Nachtwaͤchter-Tute und wechſelte nur
zwiſchen zwei Toͤnen, Grundton und abſcheu¬
lich hohem Falſett, die beiden Trichtertrompe¬
ter bließen die Backen auf und lockten aus
ihren Inſtrumenten Angſt- und Klagelaute ſo
herzdurchſchneidend, wie die Toͤne der Trito¬
nen, wenn ſie die Meermuſcheln blaſen.
Der Tanz, den die beiden auffuͤhrten,
mochte wohl vor ein Paar hundert Jahren
uͤblich geweſen ſeyn. Jungfer Roſe hatte mit
beiden Haͤnden ihren Rock ergriffen und ſol¬
chen an den Seiten weit ausgeſpannt, daß
ſie anzuſehen war, wie ein großes weites Faß.
Sie bewegte ſich nicht ſehr weit von der Stel¬
le, ſondern trippelte hin und her, indem ſie
bald auf-, bald niedertauchte und knixte. Le¬
bendiger war dagegen ihr Taͤnzer, der wie ein
Kreiſſel um ſie herfuhr, allerlei kuͤhne Spruͤnge
machte, mit den Fingern knallte und Heiſa,
Juhe! ſchrie. Wunderlich war es anzuſehen,
wie das kleine Schuͤrzlein der Jungfer Roſe,
das ihm Balthaſar umgethan, hin und her
flatterte in der Luft, wie ſeine Bein'chen um¬
herbaumelten, wie ſein dickes Geſicht laͤchelte
vor inniger Herzensluſt und Freude.
Endlich ſchien er ermuͤdet, er winkte Ju¬
das und Paulus herbei, und fluͤſterte ihnen
etwas zu; ſie banden ihm die Schuͤrze ab,
faßten ſolch an beiden Enden und zogen und
zogen, ſo daß ſie ploͤtzlich ſo groß wurde, wie
ein Betttuch; dann riefen ſie die anderen her¬
bei, ſtellten ſie rings um das Tuch und ließen
es anfaſſen. „Ha, dachte ich, jetzt wird wahr¬
ſcheinlich der alte Balthaſar ein wenig geprellt,
zu allgemeiner Ergoͤtzung; wenn nur das Ge¬
woͤlbe nicht ſo nieder waͤre, da kann er leicht
den Schaͤdel einſtoßen.“ Da kam Judas und
der ſtarke Bartholomaͤus auf uns zu und fa߬
ten — mich; Balthaſar Ohnegrund lachte
haͤmiſch; ich bebte, ich wehrte mich; es half
nichts, Judas faßte mich feſt an der Kehle
und drohte mich zu erwuͤrgen, wenn ich mich
ferner ſtraͤube. Die Sinne wollten mir ver¬
gehen, als ſie mich unter allgemeinem Jauch¬
zen und Geſchrei auf das Tuch legten; noch
einmal raffte ich mich zuſammen: „nur nicht
zu hoch, meine werthen Goͤnner, ich renne
mir ſonſt das Hirn ein am Gewoͤlbe,“ rief ich
in der Angſt des Herzens, aber ſie lachten
und uͤberſchrien mich. Jetzt fingen ſie an, das
Tuch hin und her zu wiegen, Balthaſar blies
den Trichter dazu; jetzt ging es auf- und ab¬
waͤrts, zuerſt drei, vier, fuͤnf Schuh hoch,
auf einmal ſchnellten ſie ſtaͤrker, ich flog hin¬
auf und — wie eine Wolke that ſich die Decke
des Gewoͤlbes auseinander, ich flog immer
aufwaͤrts zum Rathdach hinaus, hoͤher, hoͤher
als der Thurm der Domkirche. „Ha,“ dachte
ich im Fliegen, „jetzt iſt es um dich ge¬
ſchehen, wenn du jetzt wieder faͤllſt, brichſt
du das Genick oder zum allerwenigſten ein
Paar Arme oder Beine! o Himmel, und ich
weiß ja, was ſie von einem Mann mit ge¬
brochenen Gliedmaßen denkt! ade! mein
Leben, meine Liebe!“
Jetzt hatte ich den hoͤchſten Punkt meines
Steigens erreicht, und eben ſo pfeilſchnell fiel
ich abwaͤrts; krach! ging es durchs Rathhaus¬
dach und hinab durch die Decke des Gewoͤlbes,
aber ich fiel nicht auf das Tuch zuruͤck, ſondern
gerade auf einen Stuhl, mit dem ich ruͤcklings
uͤber auf den Boden ſchlug.
Ich lag einige Zeit betaͤubt vom Fall. Ein
Schmerz am Kopfe und die Kaͤlte des Bodens
weckten mich endlich. Ich wußte anfangs nicht,
war ich zu Hauſe aus dem Bette gefallen oder
lag ich ſonst wo? Endlich beſann ich mich, daß
ich irgendwo weit herabgeſtuͤrzt ſey. Ich un¬
terſuchte aͤngſtlich meine Glieder, es war nichts
gebrochen, nur das Haupt that mir weh vom
Fall. Ich raffte mich auf, ſah um mich; da
war ich in einem gewoͤlbten Zimmer, der Tag
ſchien matt durch ein Kellerloch herab, auf
dem Tiſche ſpruͤhte ein Licht in ſeinem letzten
Leben, umher ſtanden Glaͤſer und Flaſchen,
und rings um die Tafel vor jedem Stuhl ein
kleines Flaͤſchchen mit langem Zettel am Halſe;
— ha; jetzt fiel mir nach und nach alles wie¬
der ein; ich war zu Bremen im Rathskeller;
geſtern Nacht war ich herein gegangen, hatte
getrunken, hatte mich einſchließen laſſen, da
war —; voll Grauen ſchaute ich um mich,
denn alle, alle Erinnerungen erwachten mit
einemmal. Wenn der geſpenſtige Balthaſar
noch in der Ecke ſaͤße, wenn die Weingeiſter
noch um mich ſchwebten?! Ich wagte verſtoh¬
lene Blicke in die Ecken des duͤſteren Zimmers,
es war leer. Oder wie? haͤtte mir dieß Alles
nur getraͤumt?
Sinnend ging ich um die lange Tafel; die
Probeflaͤſchchen ſtanden wie jeder geſeſſen hatte;
obenan die Roſe, dann Judas, Jacobus, —
Johannes, ſie alle an der Stelle, wo ich ſie
leiblich geſchaut hatte dieſe Nacht. „Nein ſo
lebhaft traͤumt man nicht,“ ſprach ich zu mir,
„dieß alles, was ich gehoͤrt, geſchaut, iſt wirk¬
lich geſchehen!“ Doch nicht lange hatte ich
Zeit zu dieſen Reflexionen; ich hoͤrte Schluͤſſel
raſſeln an der Thuͤre, ſie ging langſam auf
und der alte Rathsdiener trat gruͤßend ein.
„Sechs Uhr hat es eben geſchlagen,“ ſprach
er, „und wie Sie befohlen, bin ich da, Sie
heraus zu laſſen. Nun —“ fuhr fort,
als ich mich ſchweigend anſchickte, ihm zu fol¬
gen, „nun und wie haben Sie geſchlafen dieſe
Nacht?“
„So gut es ſich auf einem Stuhl thun
laͤßt, ziemlich gut.“
„Herr,“ rief er aͤngſtlich und betrachtete
mich genauer, „Ihnen iſt etwas Unheimliches
paſſirt dieſe Nacht. Sie ſehen ſo verſtoͤrt und
bleich aus und Ihre Stimme zittert!“
„Alter, was wird mir paſſirt ſeyn!“ er¬
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wiederte ich, mich zum Lachen zwingend; „wenn
ich bleich ausſehe und verſtoͤrt, ſo koͤmmt es
vom langen Wachen und weil ich nicht im Bette
geſchlafen.“ —
„Ich ſehe, was ich ſehe,“ ſagte er kopf¬
ſchuͤttelnd; „und der Nachtwaͤchter war heute
fruͤhe auch ſchon bei mir und erzaͤhlte, wie er
am Kellerloch voruͤbergegangen zwiſchen 12 und
1 Uhr habe er allerlei Geſang und Gemurmel
vieler Stimmen vernommen aus dem Keller.“
„Einbildungen, Poſſen! ich habe ein wenig
fuͤr mich geſungen zur Unterhaltung und viel¬
leicht im Schlaf geſprochen, das iſt alles.“
„Dießmal Einen im Keller gelaſſen in ſol¬
cher Nacht und von nun an nie wieder,“ mur¬
melte er, indem er mich die Treppe hinauf
begleitete; „Gott weiß, was der Herr Graͤuli¬
ches hat hoͤren und ſchauen muͤſſen! Wuͤnſche
gehorſamſt guten Morgen.“
„Doch hat daſelbſt von allen
Eine Jungfrau mir gefallen.“
Der Worte des froͤhlichen Bachus eingedenk
und von Sehnſucht der Liebe getrieben, ging
ich, nachdem ich einige Stunden geſchlummert,
der Holden guten Morgen zu ſagen. Aber kalt
und zuruͤckhaltend empfing ſie mich, und als
ich ihr einige innige Worte zufluͤſterte, wandte
ſie mir laut lachend den Ruͤcken zu und ſprach:
„gehen Sie und ſchlafen Sie erſt fein aus,
mein Herr.“
Ich nahm den Hut und ging, denn ſo
ſchnoͤde war ſie nie geweſen. Ein Freund, der
in einer andern Ecke des Zimmers am Clavier
geſeſſen, ging mir nach und ſagte, indem er
wehmuͤthig meine Hand ergriff: „Herzensbru¬
der, mit deiner Liebe iſt es rein aus auf im¬
merdar, ſchlage dir nur gleich alle Gedanken
aus dem Sinne.“
„So viel ungefaͤhr konnte ich ſelbſt merken,“
antworte ich; „der Teufel hole alle ſchoͤne Au¬
gen, jeden roſigen Mund und den thoͤrigten
Glauben an das, was Blicke ſagen, was
Maͤdchenlippen ausſprechen.“
„Tobe nicht ſo arg, ſie hoͤren es oben,“
fluͤſterte er; „aber ſag' mir um Gotteswillen,
iſt es denn wahr, daß Du heute die ganze
Nacht im Weinkeller gelegen und getrunken
haſt?“
„Nun ja und wen kuͤmmert es denn?“
„Weiß der Himmel, wie ſie es gleich er¬
fahren hat, ſie hat den ganzen Morgen geweint
und nachher geſagt, vor einem ſolchen Trun¬
kenbold, der ganze Naͤchte beim Wein ſitze und
aus ſchnoͤder Trinkluſt ganz allein trinke, ſolle
ſie Gott behuͤten; Du ſeyſt ein ganz gemeiner
Menſch, von dem ſie nichts mehr hoͤren wolle.“
„So?“ erwiederte ich ganz gelaſſen und
hatte einiges Mitleiden mit mir ſelbſt. „Nun
gut, geliebt hat ſie mich nie, ſonſt wuͤrde ſie
auch mich daruͤber hoͤren; ich laſſe ſie ſchoͤn
gruͤßen, Lebe wohl.“
Ich rannte nach Hauſe und packte ſchnell
zuſammen und fuhr noch denſelben Abend von
dannen. Als ich an der Rolandſaͤule voruͤber
kam, gruͤßte ich den alten Recken recht freund¬
lich und zum Entſetzen meines Poſtillons nickte
er mir mit dem ſteinernen Haupt einen Ab¬
ſchiedsgruß. Dem alten Rathhaus und ſeinen
Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, druͤckte
mich dann in die Ecke meines Wagens und
ließ die Phantaſien dieſer Nacht noch einmal
vor meinem Auge voruͤber gleiten.