Erſter Akt.
Die Weber. 1
Perſonen des erſten Aktes.
Fabrikantengruppe:
Dreißiger, Parchend-Fabrikant.
Pfeifer, Expedient
Neumann, Caſſirer
Der Lehrling,bei Dreißiger.
Webergruppe:
Bäcker.
Der alte Baumert.
Reimann.
Heiber.
Erſter Weber.
Erſte Weberfrau.
Ein alter Weber.
Ein Junge.
Eine Anzahl Weber und Weberfrauen.
1*
Ein geräumiges, graugetünchtes Zimmer in Dreißigers Haus
zu Peterswaldau. Der Raum, wo die Weber das fertige Ge-
webe abzuliefern haben. Linker Hand ſind Fenſter ohne
Gardinen, in der Hinterwand eine Glasthür, rechts eine eben-
ſolche Glasthür, durch welche fortwährend Weber, Weberfrauen
und Kinder ab- und zugehen. Längs der rechten Wand, die,
wie die übrigen, größtentheils von Holzgeſtellen für Parchend
verdeckt wird, zieht ſich eine Bank, auf der die angekommenen
Weber ihre Waare ausgebreitet haben. Jn der Reihenfolge
der Ankunft treten ſie vor und bieten ihre Waare zur Muſterung.
Expedient Pfeifer ſteht hinter einem großen Tiſch, auf welchen
die zu muſternde Waare vom Weber gelegt wird. Er bedient
ſich bei der Schau eines Cirkels und einer Lupe. Jſt er zu
Ende mit der Unterſuchung, ſo legt der Weber den Parchend auf
die Wage, wo ein Comptoirlehrling ſein Gewicht prüft. Die
abgenommene Waare ſchiebt derſelbe Lehrling in’s Repoſitorium.
Den zu zahlenden Lohnbetrag ruft Expedient Pfeifer dem an
einem kleinen Tiſchchen ſitzenden Kaſſirer Neumann jedesmal
laut zu.
Es iſt ein ſchwüler Tag gegen Ende Mai. Die Uhr
zeigt zwölf. Die meiſten der harrenden Webersleute gleichen
Menſchen, die vor die Schranken des Gerichts geſtellt ſind, wo
ſie in peinigender Geſpanntheit eine Entſcheidung über Tod
und Leben zu erwarten haben. Hinwiederum haftet allen
etwas Gedrücktes, dem Almoſenempfänger Eigenthümliches an,
der, von Demüthigung zu Demüthigung ſchreitend, im Bewußt-
ſein nur geduldet zu ſein, ſich ſo klein als möglich zu machen
gewohnt iſt. Dazu kommt ein ſtarrer Zug reſultatloſen,
bohrenden Grübelns in aller Mienen. Die Männer, einander
ähnelnd, halb zwerghaft, halb ſchulmeiſterlich, ſind in der Mehr-
zahl flachbrüſtige, hüſtelnde, ärmliche Menſchen mit ſchmutzig-
blaſſer Geſichtsfarbe: Geſchöpfe des Webſtuhls, deren Kniee in
Folge vielen Sitzens gekrümmt ſind; ihre Weiber zeigen weniger
Typiſches auf den erſten Blick; ſie ſind aufgelöſt, gehetzt, ab-
getrieben, während die Männer eine gewiſſe klägliche Gravität
noch zur Schau tragen — und zerlumpt, wo die Männer
geflickt ſind. Die jungen Mädchen ſind mitunter nicht ohne
Reiz; wächſerne Bläſſe, zarte Formen, große, hervorſtehende,
melancholiſche Augen ſind ihnen dann eigen.
Caſſirer Neumann (Geld aufzählend). Bleibt ſech-
zehn Silbergroſchen zwei Pfennig.
Erſte Weberfrau (dreißigjährig, ſehr abgezehrt, ſtreicht das
Geld ein mit zitternden Fingern). Sind ſe bedankt.
Neumann (als die Frau ſtehen bleibt). Nu? ſtimmt’s
etwa wieder nich?
Erſte Weberfrau (bewegt, flehentlich). A par Fenniche
uf Vorſchuß hätt’ ich doch halt a ſo netig.
Neumann. Jch hab a par hundert Thaler
nötig. Wenn’s ufs Nötighaben ankäm —!
(Schon
mit Auszahlen an einen andern Weber beſchäftigt, kurz.) Jber den Vor-
ſchuß hat Herr Dreißiger ſelbſt zu beſtimmen.
Erſte Weberfrau. Kend’ ich da vielleicht ama
mit’n Herr Dreißiger ſelber redn?
Expedient Pfeifer (ehemaliger Weber. Das Typiſche an
ihm iſt unverkennbar; nur iſt er wohlgenährt, gepflegt, gekleidet, glatt raſirt,
auch ein ſtarker Schnupfer. Er ruft barſch herüber). Da hätte Herr
Dreißiger weiß Gott viel zu thun, wenn er ſich um
jede Kleenigkeit ſelber bekimmern ſollte. Dazu ſind
wir da.
(Er zirkelt und unterſucht mit der Lupe.) Schwerenotht!
Das zieht.
(Er packt ſich einen dicken Shawl um den Hals.) Machl
de Thire zu, wer ’rein kommt.
Der Lehrling (laut zu Pfeifer). Das is, wie wenn
man mit Klötzen redte.
Pfeifer. Abgemacht ſela! — Wage!
(Der Weber
legt das Webe auf die Wage.) Wenn Jhr ock Eure Sache beſſer
verſtehn thät’t. Treppn hat’s wieder drinne … ich
ſeh gar nich hin. A guter Weber verſchiebt’s Auf-
bäumen nich wer weeß wie lange.
Bäcker (iſt gekommen. Ein junger, ausnahmsweiſe ſtarker Weber
deſſen Gebahren ungezwungen, faſt frech iſt. Pfeifer, Neumann und der Lehr-
ling werfen ſich bei ſeinem Eintritt Blicke des Einvernehmens zu). Schwere
Noth ja! Da ſoll eener wieder ſchwitzn wie a
Laugenſack.
Erſter Weber (halblaut). ’S ſticht gar ſehr nach
Regen.
Der alte Baumert (drängt ſich durch die Glasthür rechts.
Hinter der Thür gewahrt man die Schulter an Schulter gedrängt, zuſammen-
gepfercht wartenden Webersleute. Der Alte iſt nach vorn gehumpelt und hat ſein
Pack in der Nähe des Bäcker auf die Bank gelegt. Er ſetzt ſich daneben und
wiſcht ſich den Schweiß). Hier is ’ne Ruh verdient.
Bäcker. Ruhe is beſſer wie a Beemen Geld.
Der alte Baumert. A Beemen Geld mechte ooch
ſein. Gun Tag ooch Bäcker!
Bäcker. Tag ooch Vater Baumert! Ma muß
wieder lauern wer weeß wie lange!
Erſter Weber. Das kommt nich druf an. A
Weber wart’t an’n Stunde oder an’n Tag. A Weber
is ock ’ne Sache.
Pfeifer. Gebt Ruhe dahinten! Man verſteht
ja ſei eignes Wort nich.
Bäcker (leiſe). A hat heute wieder ſein’n tälſchn
Tag.
Pfeifer (zu dem vor ihm ſtehenden Weber). Wie oft hab
ich’s Euch ſchonn geſagt: Beſſer putzen ſollt er. Was
is denn das für ’ne Schlauderei? Hier ſind Klunkern
drinne, ſo lang wie mei Finger, und Stroh und
allerhand Dreck.
Weber Reimann. ’S mächt halt a neu Nopp-
Zängl ſein.
Lehrling (hat das Webe gewogen). ’S fehlt auch am
Gewicht.
Pfeifer. Eine Sorte Weber is hier ſo. Schade
für jede Kette, die man ausgibt. O Jes’s, zu meiner
Zeit! Mir hätt’s woll mei Meiſter angeſtrichen.
Dazumal da war das noch a ander Ding um das
Spinnweſen. Da mußte man noch ſei Geſchäfte ver-
ſtehn. Heute da is das nich mehr nötig. — Reimann
zehn Silbergroſchen.
Weber Reimann. E Fund wird doch gerechn’t
uuf Abgang.
Pfeifer. Jch hab’ keine Zeit. Abgemacht ſela.
Was bringt Jhr?
Weber Heiber (legt ſein Webe auf. Während Pfeifer unter-
ſucht, tritt er an ihn und redet halblaut und eifrig in ihn hinein). Se
werden verzeihen, Herr Feifer, ich möchte Sie gittichſt
gebet’n habn, ob Se vielleicht und Se wolltn ſo
gnädig ſein und wolltn mir den Gefalln thun und
lieſſen mir a Vorſchuß dasmal nich abrechn.
Pfeifer (zirkelnd und guckend, höhnt). Nu da! Das
macht ſich ja etwan. Hier is woll d’r halbe Einſchuß
wieder auf a Feifeln geblieb’n?
Weber Heiber (in ſeiner Weiſe fortfahrend). Jch wollts
ja gerne uf de neue Woche gleiche machn. Vergangne
Woche hatt’ ich blos zwee Howetage auf’n Dominium
zu leiſtn. Dabei liegt Meine krank derheeme . . . .
Pfeifer (das Stück an die Wage gebend). Das is eben
wieder ne richt’ge Schlauderarbeit.
(Schon wieder ein
neues Webe in Augenſchein nehmend.) So ein Salband, bald
breit, bald ſchmal. Emal hat’s der Einſchuß zu-
ſammen gerißn, wer weeß wie ſehr, dann hat’s wieder
mal ’s Sperrrittl auseinandergezog’n. Und auf a
Zoll kaum ſiebzig Faden Eintrag. Wo is denn
der Jbriche? Wo bleibt da die Reellität? Das wär
ſo was!
Weber Heiber (unterdrückt Thränen, ſteht gedemüthigt und
hilflos).
Bäcker (halblaut zu Baumert). Der Pakaſche mächt
ma noch Garn drzune koofen.
Erſte Weberfrau (welche nur wenig vom Caſſentiſch zurück-
getreten war und ſich von Zeit zu Zeit mit ſtarren Augen hilfeſuchend um-
geſehen hat, ohne von der Stelle zu gehen, faßt ſich ein Herz und wendet ſich
von Neuem flehentlich an den Caſſirer). Jch kann halt balde …
ich weeß gar nich, wenn Se mir das Mal und geb’n
mir keen’n Vorſchuß … o Jeſis, Jeſis.
Pfeifer (ruft herüber). Das is a Gejeſere. Laßt
blos a Herr Jeſus in Frieden. Jhr habt’s ja
ſonſt nich ſo ängſtlich um a Herr Jeſus. Paßt lieber
auf Euern Mann uf, das und man ſieht’n nich aller
Augenblicke hinter’m Kretſchamfenſter ſitz’n. Wir kenn
kein’n Vorſchuß geb’n. Wir miſſ’n Rechenſchaft ab-
legen dahier. ’S is auch nich unſer Geld. Von
uns wird’s nachher verlangt. Wer fleißig is und
ſeine Sache verſteht und in der Furcht Gottes ſeine
Arbeit verricht’t, der braucht iberhaupt nie kein’n
Vorſchuß nich. Abgemacht Seefe.
Neumann. Und wenn a Bielauer Weber ’s
vierfache Lohn kriegt, da verfumfeit er’s vierfache und
macht noch Schulden.
Erſte Weberfrau (laut, gleichſam an das Gerechtigkeitsgefühl
Aller apellirend). Jch bin gewiß ni faul, aber ich kann
ni mehr a ſo fort. Jch hab halt doch zwee Mal an
Jbergang gehabt. Und was de mei Mann is, der is
ooch bloßich halb; a war bei’m Zerlauer Schäfer, aber
der hat’n doch au nich ken’n von ſein’n Schad’n helfn
und da … Zwing’n kann ma’s doch nich … Mir arbeitn
gewiß, was wir ufbringen. Jch hab ſchonn viele Woch’n
keen’n Schlaf in a Augn gehabt, und ’s wird auch ſchonn
wieder gehn, wenn ock ich und ich wer’ de Schwäche
wieder a biſſel raus kriegn aus a Knochn. Aber Se
miſſn halt ooch a eenziges Bißl a Einſehn hab’n.
(Jnſtändig, ſchmeichleriſch flehend.) Sind S’ ock ſchonn gebetn
und bewilligen mer das Mal a par Greſchl.
Pfeifer (ohne ſich ſtören zu laſſen). Fiedler elf Silber-
groſchen.
Erſte Weberfrau. Blos a par Greſchl, daß
m’r zu Brote kommen. D’r Pauer borgt niſcht mehr.
Ma hat a Häuffl Kinder …
Neumann (halblaut und mit komiſchem Ernſt zum Lehrling).
Die Leinweber haben alle Jahre ein Kind, alle walle,
alle walle, puff, puff, puff.
Der Lehrling (giebt ebenſo zurück). Die Blitzkröte
iſt ſechs Wochen blind
(ſummt die Melodie zu Ende) alle walle,
alle walle, puff, puff, puff.
Weber Reimann (das Geld nicht anrührend, welches der
Caſſirer ihm aufgezählt hat). Mer hab’n doch jetzt immer drei-
zehntehalb Beemen kriegt fer a Webe.
Pfeifer (ruft herüber). Wenn’s Euch nich paßt, Rei-
mann, da braucht er blos ein Wort ſag’n. Weber
hat’s genug. Vollens ſolche wie Jhr ſeid. Für ’n
volles Gewichte giebt’s auch ’n vollen Lohn.
Weber Reimann. Das hier was fehl’n ſollte,
an’n Gewichte. . . .
Pfeifer. Bringt ein fehlerfreies Stick Parchent,
da wird auch am Lohn nichts fehl’n.
Weber Reimann. Daſ’s hier und ſollte zu viel
Placker drinne hab’n, das kann doch reen gar nich
meeglich ſein.
Pfeifer (im Unterſuchen). Wer gut webt, der gut lebt.
Weber Heiber (iſt in der Nähe Pfeifer’s geblieben um nochmals einen
günſtigen Augenblick abzupaſſen. Ueber Pfeifer’s Wortſpiel hat er mitgelächelt,
nun tritt er an ihn und redet ihm zu wie das erſte Mal). Jch wollte
ihn gittichſt gebeten hab’n, Herr Feifer, ob Se viel-
leicht und Se wollt’n a ſo barmherzich ſein und rechtn
mir a Fimfbeemer Vorſchuß das Mal nich ab. Meine
liegt ſchon ſeit d’r Fasnacht krumm im Bette. Se
kann mer keen’n Schlag Arbeit nicht verrichtn. Da muß
ich a Spulmädel bezal’n. Deshalb …
Pfeifer (ſchnupft). Heiber, ich hab nich blos Euch
alleene abzufertign. Die Andern woll’n auch dran-
kommen.
Weber Reimann. So hab ich de Werfte kriegt —
a ſo hab ich ſe unfgebäumt und wieder runter ge-
nommen. A beſſer Garn wie ich kriegt hab, kann ich
nich zurickbringen.
Pfeifer. Paßt’s euch nich, da braucht er euch
blos keene Werfte mehr abzuholn. Wir habn ’r genug,
die ſich’s Leder von a Fiſſen dernach ablaufn.
Neumann (zu Reimann). Wollt ihr das Geld nich
nehmen?
Weber Reimann. Jch kann mich durchaus a
ſo nich zufriede geben.
Neumann (ohne ſich weiter um Reimann zu bekümmern).
Heiber zehn Silbergroſchen. Geht ab fünf Silber-
groſchen Vorſchuß. Bleiben fünf Silbergroſchen.
Weber Heiber (tritt heran, ſieht das Geld an, ſteht, ſchüttelt
den Kopf, als könnte er etwas garnicht glauben und ſtreicht das Geld langſam
und umſtändlich ein). O meins, meins! —
(Seufzend.) Nu,
da da!
Der alte Baumert (Heiber’n in’s Geſicht). Ja, ja
Franze! Da kann eens ſchon manchmal ’n Seufzrich
thun.
Weber Heiber (mühſam redend). Sieh ock, ich hab
a krank Mädel derheeme zu liegn. Da mecht a Fläſchl
Medezin ſein.
Der alte Baumert. Wo thut’s er’n fehlen?
Weber Heiber. Nu ſieh ock, ’s war halt von
kleen uf a vermickertes Dingl. Jch weeß garnich …
na, dir kann ich’s ja ſagn: — ſe hat’s mit uf de
Welt gebracht. A ſo ’ne Unreenichkeit iber und iber
bricht ’r halt durch’s Geblitte.
Der alte Baumert. Jberall hat’s was. Wo
eemal’s Armutt is, da kommt ooch Unglicke iber
Unglicke. Da is o kee Halt und keene Rettung.
Weber Heiber. Was haſt d’nn da eingepackt
in dem Tichl?
Der alte Baumert. Mir ſein halt gar blank
derheeme. Da hab ich halt unſer Hundl ſchlachtn laſſen.
Viel is ni dran, a war o halb d’rhungert. ’S war
a klee nettes Hundl. Selber abſtechen mocht ich ’n
nich. Jch konnt mer eemal kee Herze nich faſſn.
Pfeifer (hat Bäcker’s Webe unterſucht, ruft). Bäcker, drei-
zehntehalb Silbergroſchen.
Bäcker. Das is a ſchäbiges Almoſen aber
kee Lohn.
Pfeifer. Wer abgefertigt is, hat’s Lokal zu
verlaſſen. Wir kenn uns vorhero nich rihren.
Bäcker (zu den Umſtehenden, ohne ſeine Stimme zu dämpfen). Das
is a ſchäbiges Trinkgeld, weiter niſcht. Da ſoll eens
treten vom frihen Morgn bis in die ſinkende Nacht.
Und wenn man achtz’n Tage iberm Stuhle gelegn hat,
Abend ver Abend wie ausgewundn, halb drehnig vor
Staub und Gluthitze, da hat man ſich glicklich drei-
z’ntehalb Beemen erſchindt.
Pfeifer. Hier wird nich gemault!
Bäcker. Vo ihn laß ich mer’ſch Maul noch
lange nich verbietn.
Pfeifer (ſpringt mit dem Ausruf) das mecht ich doch
amal ſehn
(nach der Glasthür und ruft in’s Comptoir). Herr Dreißicher,
Herr Dreißicher, mechten ſie amal ſo freundlich ſein!
Dreißiger (kommt. Junger Vierziger, fettleibig, aſtmatiſch. Mit
ſtrenger Miene). Was — giebt’s denn, Pfeifer?
Pfeifer (glupſch). Bäcker will ſichs Maul nich
verbieten laſſen.
Dreißiger (giebt ſich Haltung, wirft den Kopf zurück, fixiert
Bäcker mit zuckenden Naſenflügeln). Ach ſo — Bäcker! — —
(Zu Pfeiffer.) Js das der …?
(Die Beamten nicken.)
Bäcker (frech). Ja, ja, Herr Dreißicher!
(Auf fich
zeigend.) Das is der
(auf Dreißiger zeigend) und das is der.
Dreißiger (indignirt). Was erlaubt ſich denn der
Menſch!?
Pfeifer. Dem geht’s zu gutt! Der geht a ſo
lange auf’s Eis tanzen, bis a’s amal verſehen hat.
Bäcker (brutal). O du Fennigmanndl, halt ock du
deine Freſſe. Deine Mutter mag ſich woll ei a
Neunmonden beim Beſenreit’n am Lucifer verſehn
habn, das a ſo a Teiwel aus dir geworn is.
Dreißiger (in ausbrechendem Jähzorn, brüllt). Maul
halten! auf der Stelle Maul halten, ſonſt …
(er zittert,
thut ein paar Schritte vorwärts).
Bäcker (mit Entſchloſſenheit ihn erwartend). Jch bin nich
taub. Jch höhr noch gut.
Dreißiger (überwindet ſich, fragt mit anſcheinend geſchäftsmäßiger
Ruhe). Js der Burſche nicht auch dabei geweſen?
Pfeifer. Das is a Bielauer Weber. Die ſind
iberall d’rbei, wo’s ’n Unfug zu machen gibt.
Dreißiger (zitternd). Jch ſag’ euch alſo: paſſirt
mir das noch einmal und zieht mir noch einmal ſo
eine Rotte Halbbetrunkener, ſo eine Bande von grünen
Lümmeln am Hauſe vorüber wie geſtern Abend —
mit dieſem niederträchtigen Liede …
Bäcker. ’s Bluttgericht meenen ſe woll?
Dreißiger. Er wird ſchon wiſſen, welches ich
meine. Jch ſag’ euch alſo: hör’ ich das noch einmal,
dann laß’ ich mir einen von euch ’rausholen und —
auf Ehre, ich ſpaße nicht, — den übergebe ich dem
Staatsanwalt. Und wenn ich ’raus bekomme, wer
dies elende Machwerk von einem Liede …
Bäcker. Das is a ſchee Lied, das!
Dreißiger. Noch ein Wort und ich ſchicke zur
Polizei — augenblicklich. — Jch fackle nicht lange. —
Mit euch Jungens wird man doch noch fertig werden.
Jch bin doch ſchon mit ganz andren Leuten fertig
geworden.
Bäcker. Nu das will ich globn. A ſo a
richtiger Fabrikante, der wird mit zwee-dreihundert
Webern fertich, eh man ſich umſieht. Da läßt a och noch
ni a par morſche Knochn ibrich. A ſo eener der hat
vier Magn wie ne Kuh und a Gebiß wie a Wolf.
Nee nee, da hat’s niſcht!
Dreißiger (zu den Beamten). Der Menſch bekommt
keinen Schlag Arbeit mehr bei uns.
Bäcker. O, ob ich am Webſtuhle derhungere,
oder im Straßengrabn, das is mir egal.
Dreißiger. ’Raus, auf der Stelle raus!
Bäcker (feſt). Erſt will ich mei Lohn habn.
Dreißiger. Was kriegt der Kerl, Neumann?
Neumann. Zwölf Silbergroſchen fünf Pfennige.
Dreißiger (nimmt überhaſtig dem Kaſſirer das Geld ab und
wirft es auf den Zahltiſch, ſo daß einige Münzen auf die Diele rollen).
Da! — hier! — und nu raſch — mir aus den Augen!
Bäcker. Erſcht will ich mei Lohn habn.
Dreißiger. Da liegt ſein Lohn; und wenn er
nun nich macht, daß er ’raus kommt. . . . Es iſt
grade zwölf . . . . Meine Färber machen grade Mittag. . . .
Bäcker. Mei Lohn gehört in meine Hand. Hie
her gehört mei Lohn.
(Er berührt mit den Fingern der rechten,
die Handfläche der linken Hand.)
Dreißiger (zum Lehrling). Heben Sie’s auf, Tilgner.
Der Lehrling (thut es, legt das Geld in Bäcker’s Hand).
Bäcker. Das muß alls ſein’n richtchen Paß gehn.
(Er bringt, ohne ſich zu beeilen, in einen alten Beutel das Geld unter.)
Dreißiger. Nu?
(Als Bäcker ſich noch immer nicht entfernt,
ungeduldig.) Soll ich nun nachhelfen?
(Unter den dichtgedrängten Webern iſt eine Bewegung entſtanden. Jemand
ſtößt einen langen, tiefen Seufzer aus. Darauf geſchieht ein Fall. Alles
Jntereſſe wendet ſich dem neuen Ereigniß zu.)
Dreißiger. Was giebt’s denn da?
Verſchiedene Weber und Weberfrauen.
„’Sis eener hingeſchlagn.“ — „’Sis a klee hiprich
Jungl.“ — „Js’s etwa de Kränkte oder was?!“
Dreißiger. Ja … wie denn? Hingeſchlagen?
(Er geht näher.)
Alter Weber. A liegt halt da.
(Es wird Platz
gemacht. Man ſieht einen etwa achtjährigen Jungen wie todt an der Erde liegen.)
Dreißiger. Kennt Jemand den Jungen?
Alter Weber. Aus unſerm Dorfe is a nich.
Der alte Baumert. Der ſieht ja bald aus,
wie Heinrichen’s.
(Er betrachtet ihn genauer.) Ja, ja! Das
is Heinrichen’s Guſtavl.
Dreißiger. Wo wohnen denn die Leute?
Der alte Baumert. Nu, oben bei uns, in
Kaſchbach, Herr Dreißicher. Er geht Muſicke machen,
und am Tage da liegt a iberm Stuhle. Se han
neun Kinder und’s zehnte is unterwegens.
Verſchiedene Weber und Weberfrauen.
„Den Leutn geht’s gar ſehr kimmerlich.“ — Den
regnt’s in de Stube.“ — „Das Weib hat keene zwee
Hemdl fer die neun Burſchen.“
Der alte Baumert (den Jungen anfaſſend). Nu,
Jungel, was hat’s denn mit Dir? Da wach ock uf!
Dreißiger. Faßt mal mit an, wir wollen ihn
mal aufheben. Ein Unverſtand ohne gleichen, ſo’n
ſchwächliches Kind dieſen langen Weg machen zu
laſſen. Bringen Sie mal etwas Waſſer, Pfeifer!
Weberfrau (die ihn aufrichten hilft). Mach ock ni etwa
Dinge und ſtirb, Jungl!
Dreißiger. Oder Cognac, Pfeifer, Cognac is
beſſer.
Bäcker (hat von Allen vergeſſen, beobachtend geſtanden. Nun, die
eine Hand an der Thürklinke, ruft er laut und höhniſch herüber). Gebt ’n
ock was zu freſſen, da wird a ſchonn zu ſich
kommen.
(Ab.)
Dreißiger. Der Kerl nimmt kein gutes Ende.
— Nehmen Sie ihn unter’m Arm, Neumann. —
Langſam … langſam … ſo … ſo … wir wollen
ihn in mein Zimmer bringen. Was wollen Sie
denn?
Neumann. Er hat was geſagt, Herr Dreißiger!
Er bewegt die Lippen.
Dreißiger. Was — willſt Du denn, Jungel?
Der Junge (haucht). Mich h . . hungert!
Dreißiger (wird bleich). Man verſteht ihn nich.
Weberfrau. Jch globe, a meinte …
Dreißiger. Wir werden ja ſehn. Nur ja nich
aufhalten. — Er kann ſich bei mir auf’s Sofa legen.
Wir werden ja hören, was der Doctor ſagt.
(Dreißiger, Neumann und die Weberfrau führen den Jungen in’s Comptoir.
Unter den Webern entſteht eine Bewegung, wie bei Schulkindern, wenn der
Lehrer die Klaſſe verlaſſen hat. Man reckt und ſtreckt ſich, man flüſtert, tritt
von einem Fuß auf den andern und in einigen Sekunden iſt das Reden laut
und allgemein.)
Der alte Baumert. Jch glob immer, Bäcker
hat recht.
Mehrere Weber und Weberfrauen. „A ſagte
ja o a ſo was.“ — „Das is hier niſcht Neues, das
amal een’n d’r Hunger ſchmeißt.“ — „Na, iberhaupt,
was de den Winter erſcht wern ſoll, wenn das hie
und ’s geht a ſo fort mit der Lohnzwackerei.“ —
„Und mit a Kartoffeln wird’s das Jahr gar ſchlecht.“ —
„Hie wird’s au nich anderſcher, bis mer alle vollens
uf’n Rickn liegn.“
Der alte Baumert. Am beſtn, ma macht’s,
wie d’r Nentwich Weber, ma legt ſich a Schleefel um
a Hals un knippt ſich am Webſtuhle uf. Da, nimm der
’ne Priſe, ich war in Neurode, da arbeit mei
Schwager in d’r Fabricke, wo’s ’n machen, a Schnupp-
taback. Der hat m’r a par Kerndl gegebn dahier.
Was trägſt denn du in dem Tichl Schenes?
Alter Weber. ’Sis blos a bißl Perlgraupe.
D’r Wagn vom Ullbrichmiller fuhr vor m’r her. Da
war a Sack a biſſel ufgeſchlitzt. Das kommt mir
gar ſehr zu paſſe, kanſt globn.
Der alte Baumert. Zweiunzwanzich Mihlen
ſein in Peterſchwalde, und fer unſereens fällt doch
niſcht ab.
Alter Weber. Ma muß ebens a Muth nich
ſinkn laſſ’n, ’s kommt immer wieder was und hilft een’
a Stickl weiter.
Weber Heiber. Ma muß ebens, wenn d’r
Hunger kommt, zu a vierzehn Nothhelfern beten, und
wenn ma dadervon etwa ni ſatt wird, da muß ma
an Stein ins Maul nehmen und dran lutſchen. Gell,
Baumert?
(Dreißiger, Pfeifer, ſowie der Caſſirer kommen zurück.)
Dreißiger. Es war nichts von Bedeutung.
Der Junge iſt ſchon wieder ganz munter.
(Erregt und
puſtend umhergehend.) Es bleibt aber immer eine Gewiſſen-
loſigkeit. Das Kind iſt ja nur ſo’n Hälmchen zum
umblaſen. Es iſt rein unbegreiflich, wie Menſchen …
wie Eltern ſo unvernünftig ſein können. Bürden ihm
zwei Schock Parchend auf, gute anderthalb Meilen
Wegs. Es is wirklich kaum zum glauben. Jch werde
einfach müſſen die Einrichtung treffen, daß Kindern
überhaupt die Waare nich mehr abgenommen wird.
(Er geht wiederum eine Weile ſtumm hin und her.) Jedenfalls wünſche
ich dringend, daß ſo etwas nicht mehr vorkommt. —
Auf wem bleibt’s denn ſchließlich ſitzen? Natürlich
doch auf uns Fabrikanten. Wir ſind an allem
ſchuld. Wenn ſo’n armes Kerlchen zur Winters-
zeit im Schnee ſtecken bleibt und einſchläft, dann
kommt ſo’n hergelaufener Scribent, und in zwei Tagen
da haben wir die Schauergeſchichte in allen Zeitungen.
Der Vater, die Eltern, die ſo’n Kind ſchicken . . . .
i bewahre, wo werden die denn ſchuld ſein! Der
Fabrikant muß ’ran, der Fabrikant is’ der Sünden-
bock. Der Weber wird immer geſtreichelt, aber der
Fabrikant wird immer geprügelt: das is ’n Menſch
ohne Herz, ’n Stein, ’n gefährlicher Kerl, den jeder
Preßhund in die Waden beißen darf. Der lebt
herrlich und in Freuden und giebt den armen Webern
Hungerlöhne. — Daß ſo’n Mann auch Sorgen hat
und ſchlafloſe Nächte, daß er ſein großes Riſiko läuft,
wovon der Arbeiter ſich nichts träumen läßt, daß er
manchmal vor lauter dividiren, addiren und multipli-
ciren, berechnen und wieder berechnen nich’ weiß, wo
ihm der Kopf ſteht, daß er hunderterlei bedenken und
Die Weber. 2
überlegen muß und immerfort ſo zu ſagen auf Tod
und Leben kämpft und concurrirt, daß kein Tag ver-
geht ohne Aerger und Verluſt: darüber ſchweigt des
Sängers Höflichkeit. Und was hängt nicht alles am
Fabrikanten, was ſaugt nich’ alles an ihm und will
von ihm leben. Nee, nee! ihr ſolltet nur manchmal
in meiner Haut ſtecken, ihr würd’s bald genug ſatt
kriegen.
(Nach einiger Sammlung.) Wie hat ſich dieſer Kerl,
dieſer Burſche da, dieſer Bäcker hier aufgeführt! Nun
wird er gehen und auspoſaunen, ich wäre wer weiß
wie unbarmherzig. Jch ſetzte die Weber bei jeder
Kleinigkeit mir nichts, dir nichts vor die Thür. Js’
das wahr? Bin ich ſo unbarmherzig?
Viele Stimmen. Nee, Herr Dreißicher!
Dreißiger. Na, das ſcheint mir doch auch ſo.
Und dabei ziehen dieſe Lümmels umher und ſingen
gemeine Lieder auf uns Fabrikanten, wollen von
Hunger reden und haben ſo viel übrig, um den Fuſel
quartweiſe conſumiren zu können. Sie ſollten mal
die Naſe hübſch wo anders neinſtecken und ſehen,
wie’s bei den Leinwandwebern ausſieht. Die können
von Noth reden. Aber ihr hier, ihr Parchentweber,
ihr ſteht noch ſo da, daß ihr nur Grund habt, Gott
im Stillen zu danken. Und ich frage die alten
fleißigen und tüchtigen Weber, die hier ſind: kann
ein Arbeiter, der ſeine Sachen zuſammenhält, bei mir
auskommen oder nicht?
Sehr viele Stimmen. Ja, Herr Dreißicher!
Dreißiger. Na, ſeht ihr! — So’n Kerl, wie
der Bäcker natürlich nicht. Aber, ich rathe euch, haltet
dieſe Burſchen im Zaume; wird mir’s zu bunt, dann
quittire ich. Dann löſe ich das Geſchäft auf, und
dann könnt ihr ſeh’n, wo ihr bleibt. Dann könnt
ihr ſeh’n, wo ihr Arbeit bekommt. Bei Ehren-Bäcker
ſicherlich nicht.
Erſte Weberfrau (hat ſich an Dreißiger herangemacht, putzt
mit kriechender Demuth Staub von ſeinem Rock.) Se habn ſich a brinkel
angeſtrichen, gnädicher Herr Dreißicher.
Dreißiger. Die Geſchäfte geh’n hundsmiſerabel,
das wißt ihr ja ſelbſt. Jch ſetze zu, ſtatt daß ich ver-
diene. Wenn ich trotzdem dafür ſorge, daß meine
Weber immer Arbeit haben, ſo ſetze ich voraus, daß
das anerkannt wird. Die Waare liegt mir da in
tauſenden von Schocken, und ich weiß heut noch nicht,
ob ich ſie jemals verkaufen werde. — Nun hab’ ich
gehört, daß ſehr viele Weber hierum ganz ohne Arbeit
ſind und da … na, Pfeifer mag euch das Weitre
auseinanderſetzen. — Die Sache iſt nämlich die: damit
ihr den guten Willen ſeht … ich kann natürlich keine
Almoſen austheilen, dazu bin ich nicht reich genug,
aber ich kann bis zu einem gewiſſen Grade den Arbeits-
loſen Gelegenheit geben, wenigſtens ’ne Kleinigkeit
zu verdienen. Daß ich dabei ein immenſes Riſiko habe,
iſt ja meine Sache. — Jch denke mir halt: wenn
ſich ein Menſch täglich ’ne Quarkſchnitte erarbeiten
kann, ſo iſt doch das immer beſſer, als wenn er
überhaupt hungern muß. Hab ich nicht recht?
Viele Stimmen. Ja, ja! Herr Dreißicher.
Dreißiger. Jch bin alſo gern bereit, noch
zweihundert Webern Beſchäftigung zu geben. Unter
welchen Umſtänden, wird Pfeifer euch auseinander-
ſetzen.
(Er will gehen.)
Erſte Weberfrau (vertritt ihm den Weg, ſpricht überhaſtet,
flehend und dringlich). Gnädijer Herr Dreißicher, ich wollte
Sie halt recht freindlich gebetn habn, wenn ſe viel-
leicht … ich hab halt zweimal an Jbergang gehabt.
Dreißiger (eilig). Sprecht mit Pfeifer, gute
Frau, ich hab mich ſo ſchon verſpätet.
(Er läßt ſie ſtehen.)
Weber Reimann (vertritt ihm ebenfalls den Weg. Jm Tone
der Kränkung und Anklage). Herr Dreißicher, ich muß mich
wirklich beklagn. Herr Feifer hat mer … Jch hab
2*
doch fer mei Webe jetzt immer zwölftehalb Beemen
kriegt …
Dreißiger (fällt ihm in die Rede). Dort ſitzt der Ex-
pedient. Dorthin wendet euch: das is die richtige
Adreſſe.
Weber Heiber (hält Dreißiger auf). Gnädiger Herr
Dreißicher,
(ſtotternd und mit wirrer Haſt) ich wollte ſe viel-
mals gittigſt gebeten han, ob mir vielleicht und a
kennde mer … ob mer d’r Herr Feifer vielleicht und
a kennde … a kennde.
Dreißiger. Was wollt ihr denn?
Weber Heiber. Da Vorſchuß, dann ich’s letzte
mal, ich meine, da ich …
Dreißiger. Ja, ich verſtehe euch wirklich nicht.
Weber Heiber. Jch war a brinkl ſehr ei Noth,
weil …
Dreißiger. Pfeifers Sache, Pfeifers Sache.
Jch kann wirklich nicht … macht das mit Pfeifer aus.
(Er entweicht in’s Comptoir.)
(Die Bittenden ſehen ſich hülflos an. Einer nach dem andern tritt ſeufzend
zurück.)
Pfeifer (die Unterſuchung wieder aufnehmend). Na, Annl,
was bringſt Du?
Der alte Baumert. Was ſoll’s denn da ſetzn
ſer a Webe, Herr Feifer?
Pfeifer. Für’s Webe zehn Silbergroſchen.
Der alte Baumert. Nu das macht ſich!
(Bewegung unter den Webern, Flüſtern und Murren.)
Ende des erſten Aktes.
Zweiter Akt.
Perſonen des zweiten Aktes.
Der alte Baumert.
Mutter Baumert, ſeine Frau.
Auguſt, ihr Sohn.
Emma,
Bertha,ihre Töchter.
Fritz, uneheliches Kind der Emma.
Der alte Anſorge, Häusler und Weber.
Frau Heinrich, Weberfrau.
Moritz Jäger, enlaſſener Soldat, ehemaliger
Webergeſelle.
Das Stübchen des Häuslers Wilhelm Anſorge zu Kaſchbach,
im Eulengebirge.
Jn einem engen, von der ſehr ſchadhaften Diele bis zur
ſchwarz verräucherten Balkendecke nicht ſechs Fuß hohen Raum,
ſitzen: zwei junge Mädchen, Emma und Bertha Baumert an
Webſtühlen, — Mutter Baumert, eine contracte Alte, auf einem
Schemel am Bett, vor ſich ein Spulrad, — ihr Sohn Auguſt
zwanzigjährig, idiotiſch, mit kleinem Rumpf und Kopf und
langen, ſpinnenartigen Extremitäten auf einem Fußſchemel,
ebenfalls ſpulend. Durch zwei kleine, zum Theil mit Papier
verklebte und mit Stroh verſtopfte Fenſterlöcher der linken Wand
dringt ſchwaches, roſafarbenes Licht des Abends. Es fällt
auf das weißblonde, offene Haar der Mädchen, auf ihre un-
bekleideten, mageren Schultern, ſowie dünne wächſerne Nacken,
auf die Falten des groben Hemdes im Rücken, das, nebſt einem
kurzen Röckchen aus härteſter Leinewand, ihre einzige Be-
kleidung iſt. Der alten Frau leuchtet der warme Hauch voll
über Geſicht, Hals und Bruſt: ein Geſicht, abgemagert zum
Skelett, mit Falten und Runzeln in einer blutloſen Haut, mit
verſunkenen Augen, die durch Wollſtaub, Rauch und Arbeit
bei Licht entzündlich geröthet und wäſſrig ſind — einen langen
Kropfhals mit Falten und Sehnen, eine eingefallene, mit ver-
ſchoſſenen Tüchern und Lappen verpackte Bruſt. — Ein Theil
der rechten Wand, mit Ofen und Ofenbank, Bettſtelle und
mehreren grell getuſchten Heiligenbildern ſteht auch noch im
Licht. — Auf der Ofenſtange hängen Lumpen zum trocknen,
hinter dem Ofen iſt altes, werthloſes Gerümpel angehäuft.
Auf der Ofenbank ſtehen einige alte Töpfe und Kochgeräthe,
Kartoffelſchalen ſind zum dörren auf Papier gelegt ꝛc. ꝛc. — Von
den Balken herab hängen Garnſträhne und Weifen. Körbchen
mit Spulen ſtehen neben den Webſtühlen. Jn der Hinterwand
iſt eine niedrige Thür ohne Schloß. Ein Bündel Weiden-
ruthen iſt daneben an die Wand gelehnt. Mehrere ſchadhafte
Viertelkörbe ſtehen dabei. — Das Getöſe der Webſtühle, das
rythmiſche Gewuchte der Lade, davon Erdboden und Wände
erſchüttert werden, das Schlurren und Schnappen des hin und
her geſchnellten Schiffchens erfüllen den Raum. Da hinein
miſcht ſich das tiefe, gleichmäßig fortgeſetzte Getön der Spul-
räder, das dem Summen großer Hummeln gleicht.
Mutter Baumert (mit einer kläglichen, erſchöpften Stimme,
als die Mädchen mit weben innehalten und ſich über die Gewebe beugen).
Mißt er ſchonn wieder knippn!?
Emma (die ältere der Mädchen, zweiundzwanzigjährig. Jndem ſie
gerißene Fäden knüpft). Eine Art Garn is aber das au!
Bertha (fünfzehnjährig). Das is a ſo a bißel Zucht
mit der Werfte.
Emma. Wo a ock bleibt a ſo lange? A is
doch fort ſchonn ſeit um a neune.
Mutter Baumert. Nu eben’s, eben’s! wo
mag a ock bleiben, ihr Mädel?
Bertha. Aengſt’ euch beileibe ni, Mutter!
Mutter Baumert. ’Ne Angſt is das immer
Emma (fährt fort zu weben).
Bertha. Wart amal, Emma!
Emma. Was is denn?
Bertha. Mir war doch, ’s kam jemand.
Emma. ’S wird Anſorge ſein, der zu Hauſe
kommt.
Fritz (ein kleiner, barfüßiger, zerlumpter Junge von vier Jahren
kommt herein geweint). Mutter mich hungert.
Emma. Wart, Fritzl, wart a bißel! Groß-
vater kommt gleich. A bringt Brot mit und Kerndel.
Fritz. Mich hungert a ſo, Mutterle!
Emma. Jch ſag derſch ja. Bis ock nich einfältich.
A wird ja gleich kommen. A bringt a ſcheenes Brotl
mit und Kerndlkoffee. — Wenn ock wird Feier-
abend ſein, da nimmt Mutter de Kartuffelſchalen,
die trägt ſe zum Pauer, und der gibbt er derfire a ſcheenes
Neegl Puttermilch firſch Jungl.
Fritz. Wo is er’n hin, Großvater?
Emma. Beim Fabrikanten is a, abliefern, an
Käte, Fritzl.
Fritz. Beim Fabrikanten?
Emma. Ja, ja, Fritzl! unten bei Dreißichern
in Peterſchwalde.
Fritz. Kriegt a da Brot?
Emma. Ja, ja, a gibbt ’n ’s Geld, und da
kann a ſich Brot kofen.
Fritz. Gibbt der Großvatern viel Geld?
Emma (heftig). O hör uf, Junge, mit dem Ge-
rede.
(Sie fährt fort zu weben, Bertha ebenfalls. Gleich darauf halten
beide wieder inne.)
Bertha. Geh, Auguſt, frag’ Anſorgen, ob a nich
will anleuchta.
Auguſt (entfernt ſich, Fritz mit ihm).
Mutter Baumert (mit überhandnehmender, kindiſcher Angſt,
faſt winſelnd). Jhr Kinder, ihr Kinder! Wo der Mann
bleibt?!
Bertha. A wird halt amal zu Hauffen rein-
gangen ſein.
Mutter Baumert (weint). Wenn a blos nich etwan
in a Kretſcham gegangn wär.
Emma. Ween ock nich, Mutter! a ſo eener
is unſer Vater doch nich.
Mutter Baumert (von einer Menge auf ſie einſtürzender
Befürchtungen außer ſich gebracht). Nu … nu … nu ſagt amal
was ſoll nu bloß wern? Wenn a ’s nu … wenn
a nu zuhauſe kommt… Wenn a ’s nu verſauft nnd bringt
niſcht ni zuhauſe? Keene Handvoll Salz is mehr im
Hauſe, kee Stickl Gebäcke. ’S mecht an Schaufel
Feurung ſein. …
Bertha. Laß ’s gutt ſein, Mutter! m’r habn
Mondſchein. M’r gehn in a Puſch. M’r nehmen
uns Auguſtn mite und holn a par Rittl.
Mutter Baumert. Gelt, das Euch d’r Jäger
und kriecht Euch zu packn!
Anſorge (ein alter Weber mit hühnenhaftem Knochenbau, der ſich
tief bücken muß, um in’s Zimmer zu gelangen, ſteckt Kopf und Oberkörper durch
die Thür. Haupt und Barthaare ſind ihm ſtark verwildert). Was ſoll
denn ſein?
Bertha. Se mechten Licht machen!
Anſorge (gedämpft, wie in Gegenwart eines Kranken ſprechend).
’Sis ja noch lichte.
Mutter Baumert. Nu laß Du uns och noch im
Finſtern ſitzen.
Anſorge. Jch muß mich halt och einrichten.
(Er zieht ſich zurück.)
Bertha. Nu da ſiehſte’s, a ſo geizig is a.
Emma. Da muß man nu ſitzen, bis ’n wird paſſen.
Frau Heinrich (kommt. Eine dreißigjährige Frau, die ein
Kind unter’m Herzen trägt. Aus ihrem abgemüdeten Geſicht ſpricht marternde
Sorge und ängſtliche Spannung). Gu’n Abend mitnander.
Mutter Baumert. Nu, Heinrichen, was bringſt’
uns denn?
Frau Heinrich (welche hinkt). Jch hab mer an
Scherb eingetreten.
Bertha. Nu komm her, ſetz dich. Jch wer
ſehn, das ich’n rauskriche.
(Frau Heinrich ſetzt ſich, Bertha kniet vor ihr nieder und macht ſich an ihrer
Fußſohle zu ſchaffen.)
Mutter Baumert. Wie geht’s d’n drheeme,
Heinrichen?
Frau Heinrich (verzweifelter Ausbruch). ’S geht heilich
bald nimehr.
(Sie kämpft vergebens gegen einen Strom von Thränen.
Nun weint ſie ſtumm.)
Mutter Baumert. Fer unſer eens, Heinrichen,
wärſch am beſten, d’r liebe Gott thät a Einſehn habn
und nähm uns gar von d’r Welt.
Frau Heinrich (ihrer nicht mehr mächtig, ſchreit weinend heraus).
Meine armen Kinderderhungern m’r!
(Sie ſchluchzt und winſelt.)
Jich wees mr keen’n Rat nimehr. Ma mag anſtelln,
was ma will, ma mag rumlaufen bis man liegen bleibt.
Jch bin mehr tot wie lebendig, und is doch und is
kee anders werden. Neun hungriche Mäuler, die ſoll
eens nu ſatt machen. Von was d’n hä? Nächten Abend
hatt’ ich a Stickel Brot, ’s langte noch nich amal fir
die zwee Kleenſtn. Wem ſold’ ich’s d’n gebn, hä?
Alle ſchrien ſie in mich nein: Mutterle mir, Mutterle
mir. … Nee, nee! Und dadrbei kann ich jetzt noch laufen.
Was ſoll erſcht wern, wenn ich zum Liegn komme.
Die par Kartoffeln hat uns ’s Waſſer mitgenommen.
Mir habn niſcht zu brechen und zu beißen.
Bertha (hat die Scherbe entfernt und die Wunde gewaſchen). M’r
wolln a Fleckl drum bindn;
(zu Emma) ſuch’ amol eens!
Mutter Baumert. ’S geht uns ni beſſer,
Heinrichen.
Frau Heinrich. Du haſt doch zum wenigſten
noch deine Mädel. Du haſt ’n Mann, der de arbeiten
kann, aber meiner der is m’r vergangne Woche wieder
hingeſchlagn. Da hat’s ’n doch wieder geriſſen und
geſchmiſſen, das ich vor Himmelsangſt ni wußte, was
anfangen mit’n. Und wenn a ſo an Anfall gehabt
hat, da liegt a m’r halt wieder acht Tage feſte im
Bette.
Mutter Baumert. Meiner is och niſcht nimehr
werth. A fängt och an und klappt zuſammen. ’S liegt
’n uf d’r Bruſt und im Kreuze. Und abgebrannt ſind
m’r ebenfalls och bis uf a Fennich. Wenn a heut ni
und a bringt a par Greſchl mit, da weeß ich och
ni, was weiter werdn ſoll.
Emma. Kanſt’s globen, Heinrichn. Wir ſein a
ſo weit. … Vater hat mußt Ami’n mitnehmen. Wir
miſſn ’n ſchlachtn laſſn, das m’r ock reen wieder
amal was in a Magn kriegn.
Frau Heinrich. Hätt’r nich an eenziche Handvoll
Mehl ibrich?
Mutter Baumert. O ni a ſo viel, Heinrichen,
kee Kerndel Salz is mehr im Hauſe.
Frau Heinrich. Nu da wees ich nich!
(Erhebt
ſich, bleibt ſtehen, grübelt.) Do wees ich wirklich nee! — Da
kann ich m’r eemal nich helfen.
(Jn Wuth und Angſt ſchreiend.) Jch
wär ja zufriede, wenn’s uf Schweinfutter langte! —
Aber mit leeren Händn darf ich eemal nich heemkommen.
Das geht eemal nich. Da verzeih merſch Gott. Jch
weeß mer da eemal keen’n andern Rath nimehr.
(Sie
hinkt, links mit der Ferſe nur auftretend, ſchnell hinaus.)
Mutter Baumert (ruft ihr warnend nach). Heinrichen,
Heinrichen! mach ni etwan ne Tummheit.
Bertha. Die thut ſich kee leids an. Glob ock
du das nich.
Emma. A ſo machts doch die immer.
(Sie ſitzt
wieder am Stuhl und webt einige Sekunden.)
Auguſt (leuchtet mit dem brennenden Talglicht ſeinem Vater, dem
alten Baumert, der ſich mit einem Garnpack hereinſchleppt, voran).
Mutter Baumert. O jees’s, o jees’s Mann,
wo bleibſt ock du a ſo lange!?
Der alte Baumert. Na, beeß ock ni gleich.
Laß mich ock erſcht a brinkl verblaſen. Sieh lieber
dernach, wer de mitkommt.
Moritz Jäger (kommt gebückt durch die Thür. Ein ſtrammer,
mittelgroßer, rothbäckiger Reſerviſt, die Huſarenmütze ſchief auf dem Kopf, ganze
Kleider und Schuhe auf dem Leibe, ein ſaubres Hemd ohne Kragen dazu. Ein-
getreten nimmt er Stellung und ſalutirt militäriſch. Jn forſchem Ton). Gu’n
Abend, Muhme Baumert!
Mutter Baumert. Nu da, nu da! biſt du
wieder zuhauſe? Huſt du uns noch nich vergeſſen? Nu
da ſetz dich ock. Komm her, ſetz dich.
Emma (einen Holzſtuhl mit dem Rocke ſäubernd und Jägern hin-
ſchiebend). Gu’n Abend, Moritz! willſt amal wieder
ſehn, wie’s bei armen Leuten ausſieht?
Jäger. Nu ſag m’r ock, Emma! ich wollt’s ja
ni globn. Du haſt ja a Jungl, das balde kann
Soldate werden. Wo haſt d’r d’n den angeſchafft?
Bertha, (die dem Vater die wenigen mitgebrachten Lebensmittel
abnimmt, Fleiſch in eine Pfanne legt und in den Ofen ſchiebt, während Auguſt
Feuer anmacht). Du kennſt doch a Finger Weber?
Mutter Baumert. M’r hatn’ ’n doch hier mit
im Stibl. A wollt ſe ja nehmen, aber a war doch
halt eemal ſchonn ganz marode uf de Bruſt. Jch
ha doch das Mädel gewarnt genug. Konnt’ ſe woll
hörn? Nu is a längſt tot und vergeſſen, und die
kann ſehn, wie’s a Jungen durchbringt. Nu ſag m’r
ock, Moritz, wie is denn dir’ſch gangen?
Der alte Baumert. Nu bis ock ganz ſtille
Mutter, fer den is Brot gewachſen; der lacht uns
alle aus; der bringt Kleeder mite wie a Fürſcht und
an ſilberne Cilinderuhre und oben druf noch zehn
Thaler bar Geld.
Jäger (großpraſchig hingepflanzt, im Geſicht ein prahleriſches
Schwerenötherlächeln). Jch kann nich klagen. Mir is’s ni
ſchlecht gangen under a Soldaten.
Der alte Baumert. A is Purſche geweſt bein
Rittmeeſter. Hör ock, a redt wie de vornehmen Leute.
Jäger. Das feine Sprechen hab’ ich mer a ſo
angewehnt, das iich’s gar nimeh loo’n kann.
Mutter Baumert. Nee, nee, nu ſag mir ock!
a ſo a Niſchtegutts, wie das geweſt is, und kommt
a ſo zu Gelde. Du warſcht doch nie nich fer was
Geſcheuts zu gebrauchen; du konntſt doch kee Strähnl
hintereinander abhaspeln. Ock immer fort, naus;
Meeſekaſten ufſtelln und Rothkätlſprenkel, das war
dir lieber. Nu, iß nich wahr?
Jäger. ’S is wahr, Muhme Baumert. Jch
fing ni ock Kätl, ich fing o Schwalben.
Emma. Dakonnten mir immerzu reden: Schwalben
ſein giftich.
Jäger. Das war mir egal. Wie iß euch d’n
d’rgangen, Muhme Baumert?
Mutter Baumert. O jee’s, gar gar ſchlimm
in a letzten vier Jahrn. Sieh ock, ich ha halt’s
Reißen. Sieh d’r bloß amal meine Finger an. Jch
weß halt gar nich, hab ich an Fluß kricgt oder was?
Jch bin d’r halt a ſo elende! Jch kann d’r kee Glied
ni bewegen. ’S globts kee Menſch, was ich muß
fer Schmerzen derleiden.
Der alte Baumert. Mit der iß jetzt gar
ſchlecht. Die machts nimehr lange.
Bertha. Am Morgen zieh merſche an, am Abend
zieh merſche aus. M’r miſſen ſe fittern wie a kleenes Kind.
Muttert Baumert (fortwährend mit kläglicher, weinerlicher
Stimme). Jch muß mich bedien’ laſſen hinten und vorne.
Jch bin mehr als krank. Jch bin ock ne Laſt.
Was hab ich ſchon a lieben Herrgott gebeten, a ſoll
mich doch bloßich abruffen, o Jees’s, o Jees’s, das is
doch halt zu ſchlimm mit mir. Jch weeß doch gar
nich … de Leute kennten denken … aber ich bin doch
’s Arbeiten gewehnt von Kindheet uf. Jch hab doch
meine Sache immer konnt leiſten, und nu uf eemal
(ſie verſucht umſonſt ſich zu erheben) ’s geht und geht nimehr. —
Jch hab an guten Mann und gute Kinder hab ich, aber
wenn ich das ſoll mit anſehn …! Wie ſehn die Mäd’l
aus!? Kee Blutt haben ſe bald nimehr in ſich. An
Farbe haben ſe wie de Leinticher. Das geht doch
immer egal fort mit dem Schemeltreten, obs a ſo
an Mäd’l dient oder nich. Was habn die fer a bißl
Leben. ’S ganze Jahr kommen ſi nich vom Bänkl
runter. Ni amal a par Klunkern haben ſe ſich der-
ſchindt, das ſe ſich kennten d’rmite bedecken und kennten
ſich amal vor a Leuten ſehn laſſen, oder an Schritt ei
die Kirche machen und kennten ſich amal ne Erquickung
holen. Ausſehn thun ſe wie de Galgengeſchlinke,
junge Mädel von funfzehn und zwanzig.
Bertha (am Ofen). Nu das raucht wieder a ſo
a bißl!
Der alte Baumert. Nu da ſieh ock den Rauch.
Na da nimm amal an, kann woll hier Wandel werden?
A ſtürzt heilig bald ein, d’r Owen. Mir miſſen’n ſtürzen
laſſen, und a Ruß, den miſſen m’r ſchlucken. Mir
huſten alle, eener mehr wie d’r andre. Was huſt’t, huſt’t,
und wenn’s uns derwircht, und wenn gleich die Plautze
mitegeht; da frägt uns ooch noch kee Menſch dernach.
Jäger. Das is doch Anſorchens Sache, das
muß a doch ausbeſſern.
Bertha. Der wä uns woll anſehn. A mukſcht
a ſo mehr wie genug.
Mutter Baumert. Dem nehmen m’r a ſo
ſchonn zu viel Platz weg.
Der alte Baumert. Und wemmer erſcht uff-
mucken, da fliegen mer naus. A hat bald a halb Jahr
keene Mietzinſe ni beſehn.
Mutter Baumert. A ſo a eelitzicher Mann, der
kennte doch umgänglich ſein.
Der alte Baumert. A hat au niſcht, Mutter,
’s geht ’n o beeſe genug, wenn a ooch keen’n Stat macht
mit ſeiner Noth.
Mutter Baumert. A hat doch ſei Haus.
Der alte Baumert. Nee, Mutter, was redtſt’n.
An dem Hauſe dahier, da is och noch nich a klee Split-
terle ſeine.
Jäger (hat ſich geſetzt und eine kurze Pſeife mit ſchönen Quaſten
aus der einen, eine Quartflaſche Branntwein aus der andern Rocktaſche geholt).
Das kann auch hier bald nimehr a ſo weiter gehn. Jch
hab mei Wunder geſehn, wie das hierum a ſo ausſieht
under a Leuten. Da leben ja in a Städten de Hunde
noch beſſer wie ihr.
Der alte Baumert (eifrig). Gelt, gelt ock? Du
weeßt’s auch!? Und ſagt man a Wort, da heeßt’s bloß,
’s ſein ſchlechte Zeiten.
Anſorge (kommt, ein irdenes Näpfchen mit Suppe in der einen, in
der anderen Hand einen halbfertig geflochtenen „Viertelkorb“). Willkommen,
Moritz! Bis du auch wieder da?
Jäger. Scheen Dank, Vater Anſorge.
Die Weber. 3
Anſorge (ſein Näpfchen in’s Röhr ſchiebend). Nu ſag m’r
ock an: du ſiehſt ja bald aus wie a Graf.
Der alte Baumert. Zeich amal dei ſcheen Uhrla.
A hat ’n neuen Anzug mit gebracht und zehn Thaler
bar Geld.
Anſorge (kopfſchüttelnd). Nu jaja! — Nu nee nee! —
Emma (die Kartoffelſchalen in ein Säckchen füllend). Nu will
ich ock gehn mit a Schal’n. Vielleicht wird’s langen
uf a Neegl Abgelaſſene.
(Sie entfernt ſich.)
Jäger (während alle mit Spannung und Hingebung auf ihn achten).
Na nu nehmt amal an: wie oft habt ihr m’r nich de
Helle heiß gemacht. Dir wern ſe Moritz lehrn, hiß’s
immer, wart ock, wenn de wirſcht zum Miltär kommen.
Na nu ſeht’ erſch, mir is gar gutt gegangen. A halb
Jahr da hat ich de Kneppe. Willich muß man ſein,
das is ’s Haupt. Jch ha ’n Wachtmeiſter de Stieweln
geputzt; ich ha ’n ’s Ferd geſtriegelt, Bier geholt.
Jch war a ſo gefirre, wie a Wieslichen. Und uf ’n
Poſten war ich: Schwerkanon ja, mei Zeug, das
mußt ock immer a ſo finkeln. Jch war d’r erſchte
im Stalle, d’r erſchte beim Appell, d’r erſchte im
Sattel; und wenn’s zur Attake ging — marſch marſch!
heiliges Kanonrohr, Kreuzdonnerſchlag, Herrrdumeine-
gitte!! Und aufgepaßt hab ich, wie a Schißhund. Jch
docht’ halt immer: hier hilft’s niſcht, hier mußt de dran
globen; und da rafft ich m’r halt a Kopp zuſammen,
und da ging’s och; und da kam’s a ſo weit, das d’r
Rittmeiſter und ſagte vor d’r ganzen Schwadron iber
mich: Das is ein Huſar, wie a ſein muß.
(Stille. Er
ſetzt die Pfeife in Brand.)
Anſorge (kovfſchüttelnd). Da haſt du a ſo a Glicke
gehabt?! Nu jaja! — nu nee nee!
(Er ſetzt ſich auf den
Boden, die Weidenruthen neben ſich und flickt, ihn zwiſchen den Beinen haltend,
an ſeinem Korbe weiter.)
Der alte Baumert. Da wolln m’r hoffen, das
de uns dei Glicke mitebringſt. — Nu ſoll mer woll
amal mit trinken?
Jäger. Nu ganz natürlich, Vater Baumert,
und wenn’s alle is, kommt mehr.
(Er ſchlägt ein Geldſtück
auf den Tiſch.)
Anſorge (mit blödem, grinſenden Erſtaunen). O mei, mei,
das giht ja hier zu… da kreeſcht a Braten, da ſteht
a Quart Branntwein,
(er trinkt aus der Flaſche) ſollſt leben,
Moritz! — Nu jaja! nu nee nee!
(Von jetzt an wandert die
Schnapsflaſche.)
Der alte Baumert. Kennten m’r nich zum
wenigſten zu allen heilichen Zeiten a ſo a Stickl Gebratnes
habn, ſtat’s das ma kee Fleiſch zu ſehn kriecht iber
Jahr und Tag? — A ſo muß ma warten, bis een wieder
amal a ſo a Hundl zulauft, wie das hier vor
vier Wochen: und das kommt ni ofte vor im Leben.
Anſorge. Haßt Du Ami’n ſchlachten laſſen?
Der alte Baumert. Ob a m’r vollens o noch
derhungern that …
Anſorge. Nu jaja, — nu nee nee.
Mutter Baumert. Und war a ſo a nette,
bethulich Hundl.
Jäger. Seit ihr hierum immer noch a ſo happich
uf Hundebraten.
Der alte Baumert. O Jes’s, Jes’s, wenn
m’r ock und hätta ’n genug
Mutter Baumert. Nu da da, a ſu a Stickl
Fleeſch is gar rathlich.
Der alte Baumert. Haſt’ Du ken’n Geſchmak
nimehr uf ſu was? Nu da bleib ock bei uns hier,
Moritz, da werd’ a ſich baal wieder einfinden.
Anſorge (ſchnüffelnd). Nu jaja, — nu nee nee, das is
o noch ne Guttſchmecke — das macht gar a lieblich Gerichl.
Der alte Baumert (ſchnüffelnd). D’r reene Zimmt,
mecht man ſprechen.
Anſorge. Nu ſag uns amal deine Meinung,
Moritz. Duweißt’ doch, wie’s in d’r Welt drauſſen zugeht.
Werd das nu hier amal anderſch werden mit uns
Webern, oder wie?
3*
Jäger. Ma ſollts wirklich hoffen.
Anſorge. Mir kenn d’r nich leben und nich ſterben
hier oben. Uns geht’s loda böſe, kanſt’s globen. Eener
wehrt ſich bis uf’s Blutt. Zuletzt muß man ſich
drein geb’n. De Noth frißt een ’s Dach iberm
Koppe und a Boden unter a Fiſſen. Friher, da man
noch am Stuhle arbeiten konnte, da hat man ſich halb-
wegens mit Kummer und Noth doch kunnt a ſo durch-
ſchlagn. Heute kann ich m’r ſchon’n iber Jahr und
Tag kee Stickl Arbeit mehr erobern. Mit der Korb-
flechterei is och ock, das man ſei bißl Leben a ſo
hinfriſten tutt. Jch flechte bis in de Nacht nein,
und wenn ich in’s Bette falle, da hab ich an Beemen und
ſechs Fenniche derſchindt. Du haſt doch Bildung, nu
da ſag amal ſelber. Kann da woll a Auskommen
ſein bei der Theurung. Drei Thaler muß ich hin-
ſchmeißen uf Hausſteuer, een’n Thaler uf Grund-
abgaben. Drei Thaler uf Hauszinſe, virzehn Thaler
kann ich Verdienſt rechen, bleibn fer mich ſieben Thaler
uf’s ganze Jahr. Da dervon ſoll ma ſich nu
bekochen, beheizen, bekleiden, beſchuhn, ma ſoll ſich
beſtricken und beflicken, a Quartier muß ma habn und
was da noch alles kommt. — Js’ s da a Wunder, wenn
man de Zinſe ni zahln kann.
Der alte Baumert. ’S mißt amal eener
hingehn nach Berlin, und mißt’s ’n Keeniche vorſtelln,
wie’s uns a ſo geht.
Jäger. Och nich a ſo viel nutzt das, Vater Baumert.
’S ſein er ſchonn genug in a Zeitungen druf zu
ſprechen gekommen. Aber die Reichen, die drehn und die
wenden an Sache a ſo … die iberteifeln a beſten
Chriſten.
Der alte Baumert (kopfſchüttelnd.) Das ſe in Berlin
den Pli nich habn!
Anſorge. Sag Du amal, Moritz, kann das woll
meglich ſein? Js da gar kee Geſetze d’rfor? Wenn een’s
nu und ſchindt ſich’s Baſt von a Händen und kann doch
ſeine Zinſe ni ufbringen; kann m’r d’r Pauer mei
Häusl da wegnehmen? ’Sis halt a Pauer, der
will ſei Geld habn. Nu weeß ich gar nich, was de noch
werdn ſoll? — Wenn ich halt und ich muß aus
dem Häusl nausgehn. …
(Durch Thränen hervor würgend.)
Hier bin ich gebor’n, hier hat mei Vater am Web-
ſtuhle geſeſſen, mehr wie virzig Jahr. Wie oft hat
a zu Muttern geſagt: Mutter, wenn’s mit mir amal
a Ende nimmt, das Häusl halt feſte. Das Häusl
hab ich errobert meent a iber’ſche. Hie is jeder
Nagl an durchwachte Nacht, a jeder Balken a Jahr
trocken Brot. Da mißt ma doch denken …
Jäger. Die nehmen een’s Letzte, die ſein’s cumpabel.
Anſorge. Nu, ja, ja! — nu, nee, nee! kommt’s
aber a ſo weit, da wär mirſch ſchonn lieber, ſe trügen
mich naus, ſtats das ich uf meine alten Tage noch
naus laufen müßte. Das bißl ſterben da! Mei Vater
ſtarb o gerne genug. — Ock ganz um de Letzte, da
wolld’n a wing Angſt wern. Wie ich aber zu’n eis
Bette kroch, da wurd a ooch wieder ſtille. — Wenn
ma’s a ſo bedenkt: Dazemal war ich a Jungl von
dreizehn Jahrn. Müde war ich, und da ſchlief ich
halt ein, bei dam kranken Manne, — ich verſtand’s
doch nich beſſer — und da ich halt aufwachte war a
ſchonn kalt.
Mutter Baumert (nach einer Pauſe). Greif amal
in’s Röhr, Bertha, und reich Anſorgen de Suppe.
Bertha. Dahier eßt, Vater Anſorge!
Anſorge (unter Thränen eſſend). Nu nee, nee — —
nu jaja!
Der alte Baumert (hat angefangen das Fleiſch aus der
Pfanne zu eſſen).
Mutter Baumert. Nu Vater, Vater, du
wirſcht dich doch gedulden kenn’n. Laß ock Berthan
vor richtich vorſchirrn.
Der alte Baumert (kauend). Vor zwee Jahren
war ich’s letztemal zum Abendmale. Gleich dernach
verkooft ich a Gottstiſchrock. Da dervon kooften m’r
a Stickl Schweinernes. Seit dem da hab ich kee
Fleeſch nimehr geſſen bis heut Abend.
Jäger. Mir brauchen o erſcht kee Fleeſch, ver
uns eſſen’s de Fabrikanten. Die waten im Fette rum
bis hie her. Wer das ni gloobt, der brauch ock
nunter gehn nach Bielau und nach Peterſchwalde. Da kann
ma ſei Wunder ſehn: immer e Fabrikantenſchloß hintern
andern. Jmmer e Palaſt hintern andern. Mit Spiegel-
ſcheiben und Thürmeln und eiſernen Zäunen. Nee, nee,
da ſpürt keener niſcht von ſchlechten Zeiten. Da langt’s
uf Gebratnes und Gebacknes, uf Eklipaſchen und
Kutſchen, uf Guvernanten und wer weeß was. Die
ſticht d’r Haber a ſo ſehr! die wiſſen gar nich, was de
ſchnell anſtelln vor Reechthum und Jbermuth.
Anſorge. Jn a alten Zeiten da war das ganz
a ander Ding. Da liſſen de Fabrikanten a Weber
mitleben. Heute da bringen ſe alles alleene durch.
Das kommt aber daher ſprech ich: d’r hohe Stand
gloobt nimehr a kenn Herrgott und kenn Teiwel o nich.
Da wiſſen ſe niſcht von Geboten und Strafen. Da
ſtehln ſe uns halt a letzten Biſſen Brot und ſchwächen
und untergraben uns das bißl Nahrung, wo ſe
kenn’n. Von den Leuten kommt’s ganze Unglicke. Wenn
unſere Fabrikanten und wärn gute Menſchen, da wärn
ooch fer uns keene ſchlechten Zeiten ſein.
Jäger. Da paßt amal uf, da wer ich euch
amal was ſcheenes vorleſen.
(Er zieht einige Papierblättchen aus
der Taſche.) Komm, Auguſt, renn in de Schelzerei und
hol noch a Quart. Nu Auguſt, Du lachſt ja ei en’
Biegen fort.
Mutter Baumert. Jch weeß nich, was mit dem
Jungen is, dem geht’s immer gut. Der lacht ſich
de Hucke voll, mag’s kommen wie’s will. Na, feeder,
feeder!
(Auguſt ab mit der leeren Schnapsflaſche.) Gelt ock Alter,
du weeßt, was gut ſchmeckt?
Der alte Baumert (kauend, vom Eſſen und Trinken muthig
erregt). Moritz, du biſt unſer Mann. Du kannſt leſen und
ſchreiben. Du weeßt’s, wie’s um de Weberei beſtellt
is Du haſt a Herze fer de arme Weberbevölkerung.
Du ſolltſt unſere Sache amal in de Hand nehmen dahier.
Jäger. Wenn’s mehr ni is. Das ſollte mir
ni drauf ankommen; dahier! den Fabrikantenräudeln,
den wollt ich viel zu gerne amal a Liedl ufſpiel’n.
Jch thät m’r niſcht draus machen. Jch bin a umgäng-
licher Kerl, aber, wenn ich amal falſch wer und ich
krieg’s mit der Wuth, da nehm ich Dreißichern in de
eene, Dittrichen, in de andre Hand und ſchlag ſe mit
a Keppen annander, das n’s Feuer aus a Augen ſpringt. —
Wenn mir und mer kennten’s ufbringen, das m’r zu-
ſammen hielten, da kennt m’r a Fabrikanten amal an
ſolchen Krach machen.... Do braucht m’r keen’n Keenich
derzu und keene Regierung, da kennten m’r eenfach ſagen:
mir wolln das und das, und a ſo und a ſo ni, und da
wärſch bald aus een’n ganz andern Loche feifen dahier.
Wenn die ock ſehn, das ma Kriin hat, da zieh’n ſe
bald Leine. Die Betbrider kenn’ ich! das ſein gar
feige Luder.
Mutter Baumert. ’S is wirklich bald wahr.
Jch bin gewiß ni ſchlecht. Jch bin gewiß immer
diejenigte geweſt, die geſagt hat, die reichen Leute
miſſen ooch ſein. Aber wenn’s a ſo kommt. . . .
Jäger. Vor mir kennte d’r Teiwel alle holn,
der Raſſe vergönnt ich’s.
Bertha. Wo is denn Vater?
(Der alte Baumert hat
ſich ſtillſchweigend entfernt.)
Mutter Baumert. Jch weeß nich, wo a mag hinſein.
Bertha. Js etwan, das a das Fleeſcherne nimehr
gewehnt is?!
Mutter Baumert (außer ſich, weinend). Nu da ſeht
irſch, nu da ſeht irſch! Da bleibt’s ’n noch ni amal.
Da wird a das ganze bißel ſcheenes Eſſen wieder von
ſich geben.
Der alte Baumert (kommt wieder, weinend vor Jngrimm).
Nee, nee! mit mir is bald gar alle. Mich habn ſe
bald a ſo weit! Hat man ſich amal was gutes
dergattert, da kann ma’s ni amal mehr bei ſich behaltn.
(Er ſitzt weinend nieder auf die Ofenbank.)
Jäger (in plötzlicher Aufwallung, fanatiſch). Und da derbei
gibt’s Leute, Gerichtsſchulzen, garnich weit von hier,
Schmärwampen, die de’s ganze Jahr niſcht weiter zu
thun haben, wie uns ’n Herrgott im Himmel a Tag
abſtehln. Die wolln behaupten, de Weber kennten gut
und gerne auskommen, ſe wern bloß zu faul.
Anſorge. Das ſein gar keene Menſche. Das
ſein Unmenſche, ſein das.
Jäger. Nu laß ock gut ſein, a hat ſei Fett.
Jch und d’r rothe Bäcker mir habn’s ’n eingetränkt und
bevor m’r abzogen zu guter letzte, ſangen m’r noch’s
Bluttgerichte.
Anſorge. O Jees’s, Jees’s, is das das Lied?
Jäger. Ja, ja, hie hab ich’s.
Anſorge. ’S heeßt doch glob ich’s Dreißicher
Lied oder wie.
Jäger. Jch wer’ſch amal vorleſen.
Mutter Baumert. Wer hat denn das Lied
derfundn?
Jäger. Das weeß kee Menſch nich. Nu hört
amal druf.
(Er ließt, ſchülerhaft buchſtabirend, ſchlecht betonend aber
mit unverkennbar ſtarkem Gefühl. Alles klingt heraus: Verzweiflung, Schmerz,
Wuth, Haß, Rachedurſt.)
Hier im Ort iſt ein Gericht
Noch ſchlimmer als die Vehmen,
Wo man nicht erſt ein Urtheil ſpricht,
Das Leben ſchnell zu nehmen.
Hier wird der Menſch langſam gequält,
Hier iſt die Folterkammer,
Hier werden Seufzer viel gezählt
Als Zeugen von dem Jammer.
Der alte Baumert (hat, von den Worten des Liedes gepackt
und im Tiefſten aufgerüttelt, mehrmals nur mühſam der Verſuchung wider
ſtanden, Jäger zu unterbrechen. Nun geht alles mit ihm durch: ſtammelnd,
unter Lachen und Weinen zu ſeiner Frau). Hier iſt die Folterkammer.
Der das geſchrieben, Mutter, der ſagt die Wahrheet.
Das kannſt Du bezeugen… wie heeßt’s? Hier werden
Seufzer … wie? … hie wern ſe viel gezählt …
Jäger. Als Zeugen von dem Jammer.
Der alte Baumert. Du weeßt’s, was mir a ſo
ſeufzn een’n Tag um a andern, ob m’r ſtehn oder liegen.
Jäger, (während Anſorge, ohne weiter zu arbeiten, in tiefer Er-
ſchütterung zuſammengeſunken daſitzt, Mutter Baumert und Bertha fortwährend
die Augen wiſchen, fährt fort zu leſen).
Die Herr’n Dreißiger die Henker ſind,
Die Diener ihre Schergen,
Davon ein Jeder tapfer ſchindt,
Anſtatt was zu verbergen.
Jhr Schurken all, ihr Satansbrut,
Der alte Baumert (mit zitternder Wuth den Boden ſtampfend)
Ja, Satansbrut!!!
Jäger (lieſt).
Jhr hölliſchen Dämone,
Jhr freßt der Armen Hab und Gut,
Und Fluch wird euch zum Lohne.
Anſorge. Nu, jaja, das is auch an Fluch werth.
Der alte Baumert, (die Fauſt ballend, drohend). Jhr
freßt der Armen Hab und Gut.
Jäger (lieſt).
Hier hilft kein Bitten und kein Fleh’n,
Umſonſt iſt alles klagen.
„Gefällt’s euch nicht, ſo könnt ihr gehn
Am Hungertuche nagen.“
Der alte Baumert. Wie ſteht’s? Umſonſt iſt
alles klagen? Jedes Wort … jedes Wort … da
is alls a ſo richtig, wie in d’r Bibel. Hier hilft kein
Bitten und kein Fleh’n.
Anſorge. Nu, jaja! nu, nee nee! da thutt ſchonn
niſcht helfen.
Jäger (lieſt).
Nun denke man ſich dieſe Noth
Und Elend dieſer Armen,
Zu Haus oft keinen Biſſen Brod,
Jſt das nicht zum Erbarmen!
Erbarmen, ha! ein ſchön’ Geſühl,
Euch Kannibalen fremde,
Ein jedes kennt ſchon euer Ziel,
’S iſt der Armen Haut und Hemde.
Der alte Baumert (ſpringt auf, hingeriſſen zu deliranter
Raſerei). Haut und Hemde. Alls richtich, ’s is der
Armuth Haut und Hemde. Hier ſteh ich, Robert
Baumert, Webermeiſter von Kaſchbach. Wer kann
vortreten und ſagn. . . . Jch bin ein braver Menſch ge-
weſt mei Lebe lang, und nu ſeht mich an! Was hab ich
davon? Wie ſeh ich aus? Was habn ſe aus mir ge-
macht? Hier wird der Menſch langſam gequält.
(Er reckt ſeine Arme hin.) Dahier, greift amal an, Haut und
Knochen. Jhr Schurken all, ihr Satansbrut!!
(Er bricht
weinend vor verzweifelten Jngrimm auf einen Stuhl zuſammen.)
Anſorge (ſchleudert den Korb in die Ecke, erhebt ſich, am ganzen
Leibe zitternd vor Wuth, ſtammelt hervor). Und das muß anderſcher
wern, ſprech ich, jetzt uf der Stelle. Mir leiden’s
nimehr! Mir leiden’s nimehr, mag kommen, was will.
Ende des zweiten Aktes.Dritter Akt.
Perſonen des dritten Aktes.
Bäcker.
Moritz Jäger.
Der alte Baumert.
Der alte Anſorge.
Welzel, Gaſtwirt.
Frau Welzel, ſeine Frau.
Anna Welzel, ſeine Tochter.
Ein Reiſender.
Wiegand, Tiſchler.
Hornig, Lumpenſammler.
Ein Bauer.
Ein Förſter.
Wittich, Schmied.
Kutſche, Gensdarm.
Eine Anzahl alter und junger Weber.
Die Schenkſtube im Mittelkretſcham zu Peterswaldau, ein
großer Raum, deſſen Balkendecke durch einen hölzernen Mittel-
pfeiler, um den ein Tiſch läuft, geſtützt iſt. Rechts von dem
Pfeiler, ſo daß der Pfoſten nur verdeckt wird, liegt die Ein-
gangsthür in der Hinterwand. Man ſieht durch ſie in den
großen Hausraum, der Fäſſer und Brauergeräth enthält.
Jm Jnnern, rechts von der Thür in der Ecke, befindet ſich
das Schenkſims: eine hölzerne Scheidewand von Manns-
höhe mit Fächern für Schankutenſilien, dahinter ein Wand-
ſchrank, enthaltend Reihen von Schnapsflaſchen, zwiſchen
Scheidewand und Likörſchrank ein kleiner Platz für den
Schenkwirth. Vor dem Schenkſims ſteht ein mit bunter
Decke gezierter Tiſch. Eine hübſche Lampe hängt darüber,
mehrere Rohrſtühle ſtehen darum. Unweit davon an der
rechten Wand führt eine Thür mit der Aufſchrift „Wein-
ſtube“ ins Honoratiorenſtübchen. Noch weiter vorn rechts
tickt die alte Standuhr. Links von der Eingangsthür,
an der Hinterwand ſteht ein Tiſch mit Flaſchen und Gläſern
und weiterhin in der Ecke der große Kachelofen. Die linke
Seitenwand hat drei kleine Fenſter, darunter hinlaufend
eine Bank, davor je einen großen hölzernen Tiſch, die ſchmale
Seite der Wand zugekehrt. An den Breitſeiten der Tiſche
ſtehen Bänke mit Lehnen, an den inneren Schmalſeiten je ein
einzelner Holzſtuhl. Das große Lokal iſt blau getüncht, mit
Plakaten, bunten Bilderbogen und Oeldrucken behangen,
darunter das Portrait Friedrich Wilhelms IV.
Scholz Welzel, ein gutmütiges Koloß von über 50 Jahren,
läßt hinter dem Schenkſims Bier aus einem Faſſe in ein Glas
laufen.
Frau Welzel plättet am Ofen. Sie iſt eine ſtattliche,
ſauber gekleidete Frau von noch nicht 35 Jahren.
Anna Welzel, eine 17 jährige, hübſche Perſon mit pracht-
vollen, rothblonden Haaren ſitzt propper gekleidet und mit einer
Stickarbeit beſchäftigt hinter dem gedeckten Tiſch. Einen Augen-
blick blickt ſie von der Arbeit auf und lauſcht, denn aus der
Ferne kommen Töne eines von Schulkindern geſungenen
Grabchorals.
Meiſter Wiegand, der Tiſchler, ſitzt an dem gleichen Tiſch
in ſeiner Arbeitstracht hinter einem Glaſe bairiſchen Bieres.
Er iſt ein Mann, dem man anmerkt, er weiß, worauf es in
der Welt ankommt, wenn man ein Ziel erreichen will, nämlich
auf Pfiffigkeit, Schnelligkeit und rückſichtsloſes Fortſchreiten.
Ein Reiſender am Säulentiſch kaut mit Eifer an einem
deutſchen Beafſteak. Er iſt mittelgroß, wohlgenährt, wohlauf-
geſchwemmt, aufgelegt zur Heiterkeit, lebhaft und frech. Er
trägt ſich modern, ſeine Reiſeeffekten, Taſche, Muſterkoffer,
Schirm, Ueberzieher und Plüſchdecke liegen neben ihm auf
Stühlen.
Welzel, (dem Reiſenden ein Glas Bier zutragend, ſeitwärts zu
Wiegand). ’S is ja heute d’r Teifel los in dem Peterſch-
walde.
Wiegand (mit einer ſcharfen trompetenden Stimme). Nu ’s
is halt doch Liefertag bei Dreißichern oben.
Frau Welzel. ’S ging aber doch ſonſte nich a
ſo lebhaft zu.
Wiegand. Nu ’s kennde vielleicht ſein, ’s wär
wegen da Zweehundert neuen Webern, die a will noch
annehmen jetzte.
Frau Welzel, (immer plättend). Ja, ja, das wird’s
ſein. Will a zweehundert, da wern er woll ſechs-
hundert kommen ſein. M’r habn ’r ja genug von der
Sorte.
Wiegand. O jes’s, jes’s, die langen zu. Und
wenn’s den och ſchlecht geht, die ſterben ni aus. Die
ſetzen mehr Kinder in de Welt, wie mer gebrauchen ken’n.
(Der Choral wird einen Augenblick ſtärker hörbar.) Nu kommt au noch
das Begräbniß d’rzu. D’r Nentwich Weber is doch
geſtorben.
Welzel. Der hat lange genug gemacht. Der
lief doch ſchonn iber Jahr und Tag ock bloß rum
wie a Geſpenſte.
Wiegand. Kannſt’s glooben, Welzel, a ſo a klee
numpern Särgl, a ſo a rasnich klee, winzich Dingel,
das hab ich doch noch kee mal ni zuſammengeleimt. Das
war d’r a Leichel, das wog noch nich neunzig Fund.
Der Reiſende, (kauend). Jch verſtehe blos nich …
wo man hinblickt, in irgend ’ne Zeitung, da lieſt man
die ſchauerlichſten Geſchichten von der Webernot, da
kriegt man einen Begriff von der Sache, als wenn
hier die Leute alle ſchon dreiviertel verhungert wären.
Und wenn man dann ſo’n Begräbniß ſieht. Jch kam
grade im Dorfe rein. Blechmuſik, Schullehrer, Schul-
kinder, der Paſtor und ein Zopp Menſchen hinter-
drein, Herrgott, als wenn der Kaiſer von China
begraben würde. Ja, wenn die Leute das noch
bezahlen können …!
(Er trinkt Bier. Nachdem er das Glas wieder
hingeſtellt, plötzlich mit frivoler Leichtigkeit.) Nich wahr, Fräulein?
Hab’ ich nich Recht?
Anna (lächelt verlegen und ſtickt eifrig weiter).
Der Reiſende. Gewiß ’n Paar Morgenſchuhe
für ’n Herrn Papa.
Welzel. O ich mag ſolche Dinger erſcht nich
an a Fuß ziehn.
Der Reiſende. Na, hör’n Sie mal an! Mein
halbes Vermögen gäb’ ich, wenn die Pantoffeln für
mich wär’n.
Frau Welzel. Fer ſowas, da hat er eemal kee
Verſtändnis nich.
Wiegand, (nachdem er mehrmals gehüſtelt, mit dem Stuhle ge-
rückt und einen Anlauf zum Reden genommen hat). Der Herr haben
ſich iber das Begräbnis wunderlich ausgedrückt. Nu
ſagen ſie mal, junge Frau, das is doch ’n kleines
Leichenbegängnis?
Der Reiſende. Ja, da frag ich mich aber…
Das muß doch barbariſch Geld koſten. Wo kriegen
die Leute das Geld nu her?
Wiegand. Se werden ergebenſt entſchuldigen,
Die Weber. 4
mein Herr, das is ſo’ne Unverſtändlichkeit unter der
hieſigen armen Bevölkerungsklaſſe. Mit Erlaubnis
zu ſagen, die machen ſich ſo’ne ibertriebliche Vor-
ſtellichkeit von wegen der ſchuldigen Ehrfurcht und
pflichtmäßigen Schuldigkeit gegen ſelig entſchlafene
Hinterbliebene. Wenn das und ſind gar verſtorbene
Eltern, da is das nu ſo ein Aberglaube, da wird
von den nächſten Nachkommen und Erblaſſern das
letzte zuſammengekratzt, und was die Kinder nich auf-
treiben, das wird von den nächſten Magnaten ge-
borgt. Und da kommen die Schulden bis iber die
Ohren; Hochwürden der Paſtor wird verſchuldet, der
Küſter und was da alles fer Leute herumſtehen.
Und das Getränk und das Eſſen und dergleichen
Notdurft. Nee, nee, ich lobe mir reſpective Kindlich-
keit, aber nich, daß die Leidtragenden ihr ganzes
Leben unter Verpflichtigungen davor gedrückt werden.
Der Reiſende. Erlauben Sie mal, das müßte
doch der Paſter den Leuten ausreden.
Wiegand. Se werden ergebenſt entſchuldigen,
mein Herr, ich muß hier befürworten, daß jede kleine
Gemeinde ihr kirchliches Gotteshaus hat und ihren
Seelenhirten Hochwürden erhalten muß. An ſo’nem
großen Begräbnisfeſt, da hat die hohe Geiſtlichkeit
ihre ſcheene Jbervorteilung. Deſto zahlreicher ſo eine
Grablegung gehandhabt wird, je umfänglicher auch
die Offertorien fließen. Wer die hieſigen arbeitenden
Verhältniſſe kennt, der kann mit unmaßgeblicher Be-
ſtimmtheit behaupten, die Herren Farrer dulden bloß
widerſtreblich die ſtillen Begräbniſſe.
Hornig (kommt, kleiner, obeiniger Alter, ein Ziehband um Schulter
und Bruſt. Er iſt Lumpenſammler). Scheen gun Tag och. An
eefache mecht ich bitten. Na, junge Frau, habn ſe
was Lumpiges? Jungfer Anna! Scheene Zopbändl,
Hemdbändl, Strumpbändl hab ich im Wägl, ſcheene
Stecknadeln, Haarnadeln, Häkel und Esel. Alles geb
ich fer a par Lumpen.
(Jn verändertem Tone.) Von den
Lumpen da wird a ſcheen weiß Papierl gemacht, und
da ſchreibt der liebe Schatz a hibſch Briefel druf.
Anna. O, ich bedank mich, ich mag keen’n Schatz.
Frau Welzel, (einen Bolzen einlegend). A ſo is das
Mädel. Vom Heirathen will ſe niſcht wiſſen.
Der Reiſende. (ſpringt auf, ſcheinbar freudig überraſcht, tritt
an den gedeckten Tiſch und ſtreckt Anna die Hand hinüber). Das is ge-
ſcheidt, Fräulein, machen Sie’s wie ich. Topp! Geben
Sie mir den Patſch! Wir beide bleiben ledig.
Anna, (puterroth, giebt ihm die Hand). Nu Sie ſein doch
ſchon verheirathet?!
Der Reiſende. J Gott bewahre, ich thu bloß
ſo. Sie denken wohl, weil ich den Ring trage?!
Ach den habe ich bloß an den Finger geſteckt um
meine beſtrickende Perſönlichkeit vor unlauteren An-
griffen zu ſchützen. Vor Jhnen fürchte ich mich nicht.
(Er ſteckt den Ring in die Taſche.) — Sagen Sie mal im Ernſt,
Fräulein, wollen Sie ſich niemals auch nur ſo’n ganz
kleenes biſſel verheirathen?
Anna, (kopfſchüttelnd). O wärſch doch!
Frau Welzel. Die bleibt Jhn ledich oder’ſch
muß was ſehr Rares ſein.
Der Reiſende. Nu warum auch nich? ’N
reicher ſchleſiſcher Magnat hat die Kammerjungfer ſeiner
Mutter geheirathet, und der reiche Fabrikant Dreiſſiger
hat ja auch ’ne Scholzentochter genommen. Die is
nich halb ſo hibſch wie Sie, Fräulein, und fährt jetzt
fein in Equipage mit Livréediener. Warum d’n nich?
(Er geht umher ſich dehnend und die Beine vertretend.) Eine Taſſe
Kaffee wer’ ich trinken.
Anſorge und der alte Baumert (kommen, jeder mit
einem Pack, und ſetzen ſich ſtill und demütig zu Hornig an den vorderſten
Tiſch links).
Welzel. Willkommen! Vater Anſorge, ſieht man
Dich wider amal.
4*
Hornig. Kommſt Du o noch amal aus Den’n
verräucherten Geniſte gekrochen?
Anſorge, (unbeholfen und ſichtlich verlegen). Jch hab m’r
wieder amal ne Werfte geholt.
Baumert. A will fer zehn Behmen arbeiten.
Anſorge. Jch hätt’s ni gemacht, aber mit der
Korbflechterei hat’s auch a Ende genommen.
Wiegand. ’s is immer beſſer wie niſcht. A
tut’s ja ock, daß d’r ne Beſchäftigung habt. Jch bin
ſehr gut bekannt mit Dreißigern. Vor acht Tagen
nahm ich ’n de Doppelfenſter raus. Da redten m’r
driiber. A tut’s bloß aus Barmherzigkeet.
Anſorge. Nu ja, ja — nu nee, nee.
Welzel (den Webern je einen Schnaps vorſetzend). Hie wird
ſein. Nu ſag amal, Anſorge. Wie lange haſt Du Dich
ni mehr raſirn loſſen? — Der Herr mechts gerne wiſſen.
Der Reiſende (ruft herüber). Ach, Herr Wirt, das
hab’ ich doch nich geſagt. Der Herr Webermeiſter
iſt mir nur aufgefallen durch ſein ehrwürdiges Aus-
ſehen. Solche Hühnengeſtalten bekommt man nicht
oft zu ſehn.
Anſorge (kraut ſich verlegen den Kopf). Nu ja, ja —
nu nee, nee.
Der Reiſende. Solche urkräftige Naturmenſchen
ſind heutzutage ſehr ſelten. Wir ſind von der Kultur
ſo beleckt . . . . aber ich hab’ noch Freude an der
Urwüchſigkeit. Buſchige Augenbrauen! So’n wilder
Bart. . . .
Hornig. Nu ſehn’s ock, werter Herr, ich wer
ihn amal was ſagn: bei da Leuten da langt’s halt ni
uf a Balbier, und a Raſiermeſſer kenn ſe ſich ſchonn
lange ni derſchwingen. Was wächſt, wächſt. Uf a
äußern Menſchen kenn die niſcht nich verwenden.
Der Reiſende. Aber ich bitte Sie, lieber
Mann, wo wer’ ich denn. . . .
(Leiſe zum Wirt.) Darf
man dem Haarmenſchen ’n Glas Bier anbieten?
Welzel. J beileibe, der nimmt niſcht. Der
hat gar kom’ſche Mucken.
Der Reiſende. Na, dann nich. Erlauben
Sie, Fräulein?
(Er nimmt an dem gedeckten Tiſche Platz.) Jch
kann Sie verſichern, Jhr Haar ſticht mir ſchon, ſeit
ich rein kam, derart in die Augen, dieſer matte Glanz,
dieſe Weichheit, dieſe Fülle!
(Er küßt gleichſam entzückt ſeine
Fingerſpitzen.) Und dieſe Farbe . . . . wie reifer Weizen.
Wenn Sie mit dem Haar nach Berlin kommen, Sie
machen Furore. Parole d’honneur, mit dem Haar
können Sie an den Hof gehen. . . .
(Zurückgelehnt das Haar
betrachtend.) Prachtvoll, einfach prachtvoll.
Wiegand. Derwegen hat ſe ja auch eine ſcheene
Benennung erfahren.
Der Reiſende. Wie heißt ſie denn da?
Anna (lacht immerfort in ſich hinein). O. Hörn Se nich
drauf!
Hornig. Das is doch d’r Fuchs, ni wahr?
Welzel. Nu heert aber uf! Macht m’r das
Mädel ni noch vollens gar verdreht! Se habn ’r ſchonn
Raupen genug in a Kopp geſetzt. Heute will ſe an
Grawen, morgen ſoll’s ſchonn a Firſcht ſein.
Frau Welzel. Mach Du das Mädel ni ſchlecht,
Mann! Das is kee Verbrechen, wenn d’r Menſch will
vorwärts kommen. A ſo wie Du freilich denkſt, a ſo
denken ni alle. Das wär auch ni gutt, da käm Keener
vom Flecke, da blieben ſe alle ſitzen. Wenn Dreißi-
gers Großvater a ſo hätte gedacht, da wär a woll
ſein a armer Weber geblieben. Jtzt ſein ſe ſteinreich.
D’r alte Tromtra war o nich mehr wie a armer Weber,
nu hat a zwelf Rittergiiter und is oben druf adlig
geworn.
Wiegand. Alles, was de Recht is, Welzel.
Ei der Sache da is Deine Frau uf’m rechtlichen
Wege. Das kann ich underfertigen. Hätt ich a
ſo wie Du gedacht, wo wern ock itzt meine ſieben
Geſellen?
Hornig. Du weeßt druf zu laufen, das muß
Dir dr Neid laſſen. Wenn d’r Weber noch uf zwee
Been’n rumlauft, da machſt Du’n ſchonn a Sarg
fertig.
Wiegand. Wer de will mitkummen, muß ſich
derzu halten.
Hornig. Ja, ja, Du hälſt Dich o noch derzu.
Du weeßt beſſer wie a Dokter, wenn d’r Tod um
a Weberkindl kommt.
Wiegand (kaum noch lächelnd, plötzlich wüthend). Und Du
weßt’s beſſer wie de Poll’zei, wo de Nipper ſitzen unter
a Webern, und die de ſich jede Woche a hibſch Neegl
Spul’n ibrig machen. Du kommſt nach Lumpen und
nimmſt o a Feifl Schußgarn, wenn’s druf ankommt.
Hornig. Und Dei Weizen bliht uf’m Kirchhowe.
Je mehr das uf de Hobelſpähne ſchlafen gehn, um
deſto beſſer fer Dich. Wenn Du die vielen Kinder-
gräbl anſiehſt, da kloppſt Du dr uf a Bauch und
ſagſt: ’S war heuer wieder a gudes Jahr; die kleen’n
Kreppe ſein wieder gefalln, wie de Maikäwer von a
Bäumen. Da kann ich m’r wieder a Quart zulegen
de Woche.
Wiegand. Derwegen, da wär ich noch lange
kee Hehler.
Hornig. Du machſt heechſtens amal an reichen
Parchenfabrikanten an toppelte Rechnung, oder holſt
a Paar ibrige Brätel von Dreißijerſch Bau, wenn
d’r Mond amal grade ni ſcheint.
Wiegand (ihm den Rücken wendend). O, räd’ Du mit
wem De willſt, ock mit mir nich.
(Plötzlich wieder.) Lügen-
hornich!!
Hornig. Toten-Tiſchler!
Wiegand (zu den Anweſenden). A kann’s Vieh behexen.
Hornig. Sieh Dich vor, ſag ich d’r bloß
ſonſt mach ich amal mei Zeichen.
(Wiegand wird bleich.)
Frau Wetzel (war hinausgegangen und ſetzt nun dem Reiſenden
Kaffe vor). Soll ich Jhn’n a Kaffee lieber in’s Stiebel
tragen?
Der Reiſende. J, was denken Sie!
(Mit einem
ſchmachtenden Blick auf Anna.) Hier will ich ſitzen, bis ich ſterbe.
Ein junger Förſter und ein Bauer (der
Letztere mit einer Peitſche kommen, Beide) Gu’n Mittag!
(Sie bleiben
am Schenkſims ſtehen.)
Der Bauer. Zwee Jngwer mechten mir habn.
Welzel. Willkommen mit n’ander!
(Er gießt das
Verlangte ein; die Beiden ergreifen die Gläschen, ſtoßen damit an, trinken davon
und ſtellen ſie auf das Schenkſims.)
Der Reiſende. Nun, Herr Förſter, tüchtigen
Marſch gemacht?
Der Förſter. ’S geht. Jch komme von Stein-
ſeifferſchdorf.
(Erſter und zweiter alter Weber kommen und ſetzen ſich zu Anſorge, Baumert
und Hornig.)
Der Reiſende. Entſchuldigen Sie, ſind Sie
Gräflich Hochheimſcher Förſter?
Der Förſter. Gräflich Keil’ſch bin ich.
Der Reiſende. Freilich, freilich, das wollt’ ich
ja auch ſagen. Es is hier zu ſchlimm mit den vielen
Grafen und Baronen und Freiherrlichen Gnaden.
Man muß ’n Rieſengedächtnis habn. Zu was haben
Sie denn die Axt, Herr Förſter?
Der Förſter. Die hab ich Holzdieben weg-
genommen.
Der alte Baumert. Unſe Herrſchaft, die
nimmt’s gar ſehr genau mit a par Scheiten
Brennholz.
Der Reiſende. Nu erlauben Sie, das geht
doch ooch nich, wenn da jeder holen wollte …
Der alte Baumert. Mit Verlaub zu reden,
hie is das wie iberall, mit a klein’n und a großen
Dieben; hier ſein welche, die treiben Holzhandel im
Großen und wer’n reich von geſtohlnen Holze. Wenn
aber a armer Weber …
Erſter alter Weber (unterbricht Baumert). Mir derfen
kee Zweigl nehmen, aber de Herrſchaft, die greift uns
deſto forſcher an, die zieht uns ’s Leder egelganz
iber de Ohren runter. Da ſein zu entrichten Schutz-
gelder, Spinngelder, Naturalleiſtungen, da muß ma
umſonſte Gänge laufen und Howearbeit thun, ob ma
will oder nich.
Anſorge. ’S is halt a ſo: was uns dr
Fabrikante ibrich läßt, das holt uns d’r Edelman
vollens aus dr Taſche.
Zweiter alter Weber (hat am Nebentiſch Platz genommen).
Jch hab’s o ’n gnädijen Herrn ſelber geſagt. Se
werdn gittigſt verzeihn, Herr Graf, meent ich ibern,
das Jahr kann ich a ſo viel Howetage eemal ni
leiſten. Jch ſtreits eemal nich! Denn warum? Se
wern entſchuldijen mir hat’s Waſſer alles zu
Schanden gemacht. Mei bißel Acker hat’s weg-
geſchwemmt. Jch muß Tag und Nacht ſchaffen,
wenn ich will leben. A ſo a Unwetter … Jhr
Leute, Jhr Leute! Jch ſtand ock immer und rang
de Hände. Der ſcheene Boden, der kam ock immer
a ſo über a Berg rundergewellt und in’s Häusl
nein; und der ſcheene, teure Samen! … O Jes’s,
o jes’s, da hab ich ock immer a ſo in de Wolken nein
geprillt und acht Tage lang hab ich geflennt, daß ich
bald keene Straße ni mehr ſah … Und dernach
konnt ich mich mit achtzig ſchweren Radwern Boden
über a Berg wieder nufquäln.
Der Bauer (roh). Jhr macht ja a ſchauderhaftiges
Gelammetire dahier. Was de d’r Himmel ſchickt, das
miſſ’ mir uns alle gefalln laßn. Und wenn’s euch
ſonſt’ nich zum Beſten geht, wer is denn Schuld, wie
Jhr ſelber? Wie’s Geſchäft gutt ging, was habt’r
gemacht? Alls verſpielt und verſoffen habt’r. Hätt’ Jhr
euch dazemal was derſpart, da wär jetzt a Nothpfennig
da ſein, da braucht’r kee Garn und kee Holz ſtehln.
Erſter junger Weber. (mit einigen Kameraden im
„Hauſe“, ſpricht laut zur Thüre herein). A Pauer bleibt a Pauer,
und wenn a ſchläft bis um Neune.
Erſter alter Weber. Das is jetzt a ſo: D’r
Pauer und d’r Edelmann, die ziehn a een’n Strange.
Will a Weber an’ Wohnung habn, da ſagt d’r Pauer,
ich geb d’r a klee Lechl’ zum drinne Wohn, Du zahlſt
m’r ſcheene Zinſe und hilfſt m’r mei Heu und mei Ge-
treide reinbringen, und wenn de ni willſt, da ſieh, wo
de bleibſt. Kommt eener zum Zweeten, der machts
wie d’r erſchte.
Baumert (grimmig). Ma is wie a Griebſch, an
dem alle rumfreſſen.
Der Bauer. (aufgebracht). O, Jhr verhungerten
Luder, zu was wär’t Jhr zu gebrauchen? Kennt Jhr
an Flug in a Acker dricken? Kennt Jhr woll ne gleiche
Furche ziehn, oder ne Mandel Habergarben uf a Wagn
reechen? Jhr ſeid ja zu niſcht nutze wie zum Faullenzen,
und bei a Weibern liegen. Jhr wär’t Scheißkerle! Jhr
kennt een was nitzen.
(Er hat indeß gezahlt und geht ab. Der Förſter
folgt ihm lachend. Welzel, der Tiſchler und Frau Welzel lachen laut. Der
Reiſende für ſich. Als das Gelächter verſtummt, tritt Stille ein.
Hornig. A ſo a Pauer der is wie a
Bremmerochſe … Wenn ich ni wiſſte, was hie fir
ne Noth is. Jn den Derfern hi nuff. Was hat man
da alles zu ſehn kriicht. Zu viern und fünfen lagen
ſe nackt uf en’n eenzichen Strohſack.
Der Reiſende (in milde verweiſendem Tone). Erlauben
Sie mal, lieber Mann. Ueber die Not im Gebirge
ſind doch die Anſichten recht verſchieden, wenn Sie
leſen können …
Hornig. O, ich les alls vom Blatte runder,
a ſo gutt wie Sie. Nee, nee, ich werſch wiſſen ich
bin genug rumkommen bei da Leuten. Wenn man’s
Kupſel Stick a vierzig Jahr uf’m Puckel gehabt hat,
da wird ma woll was wiſſen zu guder letzt. Wie
warſch denn mit Fullern? Die Kinder, die klaubten
mit Nachbarſch Gänſen im Miſte rum. Geſtorben ſein
de Leute — nackend — uf a Flieſen im Hauſe.
Stinkende Schlichte habn ſe gefreſſen vor Himmels-
angſt. Hingerafft hat ſe d’r Hunger zu hunderten
und aberhunderten.
Der Reiſende. Wenn Sie leſen können, müſſen
Sie doch auch wiſſen, daß die Regierung genaue
Nachforſchungen hat anſtelln laſſen, und daß …
Hornig. Das kennt man, das kennt man: Da
kommt ſo a Herr von d’r Regierung, der alles ſchon
beſſer weeß, wie wenn a’s geſehn hätte, der geht a
ſo a bißl im Dorfe rum, wo de Bache ausfließt, und
de ſcheenſten Häuſer ſein. De ſcheen’n blanken Schuhe,
die will a ſich weiter ni beſchmutzen. Da denkt a halt,
’s wird woll ieberall a ſo ſcheen ausſehn und ſteigt
in de Kutſche und fährt wieder heem. Und da ſchreibt
a nach Berlin, ’s wär und wär eemal keene Not nich.
Wenn a aber und hätte a biſſel Geduld gehabt und
wär in da Derfern nuf geſtiegen, bis wo de Bache
eintritt, und ieber de Bache nieber uf de kleene Seite,
oder gar abſeit wo de kleen’n eenzelnen Klitſchen ſtehn,
die alten Schaubenneſter an a Bergen, die de manchmal
a ſo ſchwarz und hinfällig ſein, daß ſ’n ſ’Streichhelzl
ni verlohnt um a ſo a Ding anzuſtecken, da wär a woll
anderſch habn nach Berlin bericht’t. Zu mir hätten ſe
ſolln kommen de Herrn von d’r Regierung, die’s nich
haben globen wollen — daß hier ne Noth wär. Jch
hätt’n amal was ufgezeicht. Jch wollt’n amal de Augen
ufkneppen in allen den Hungerneſtern hier nein.
(Man hört draußen das Weberlied ſingen.)
Welzel. Da ſingen ſe ſchonn wieder das
Teifelslied.
Wiegand. Die ſtell’n ja ’s ganze Dorf uf
a Kopp.
Frau Welzel. S’is reen, als wenn was in
d’r Luft läg’.
(Jäger und Bäcker Arm in Arm, an der Spitze einer Schaar junger Weber-
burſchen, betreten lärmend das „Haus“ und von da die Wirtsſtube.)
Jäger. Schwadron halt! Abgeſeſſen!
(Die An-
gekommenen begeben ſich zu den verſcheidenen Tiſchen, an denen bereits Weber
ſitzen, mit ihnen Geſpräche anknüpfend.)
Hornig, (Bäcker zurufend). Nu ſag ock blos, was
geht denn vor, daß d’raſoei hellen Haufen beinander ſeid?
Bäcker (bedeutſam). Vielleichte wird amal was vor-
gehn. Gelt ock, Moritz?!
Hornig. Nu werſch doch! Macht ock ni Dinge.
Bäcker. ’Sis o ſchonn Blut gefloſſen. Willſt’s
ſehn?
(Er ſtreift ſeinen Ärmel herauf und zeigt ihm blutende Jmpfſtellen
am nackten Oberarm. Wie er, ſo thun auch viele der jungen Weber an den
übrigen Tiſchen.)
Bäcker. Beim Bader Schmidt warn mir, impfen
laſſen.
Hornig. Na nu wirds Tag. Da kan man ſich
ni wundern, daß a ſo a Teeps is uf allen Gaſſen.
Wenn ſolche Leubel im Dorfe rum ſchwuchtern.!
Jäger, (ſich protzenhaft aufſpielend, mit lauter Stimme). Gleich
zwee Quart, Welzel! Jch zahl’s. Denkſt etwan, ich
hab kee Puttputt? Nu harr ock ſachte! Wenn mir
ſonſt wollten, da kennten mir Scheps trinken und Kaffee
lappern, bis morgen frih, a ſo gutt wie a Reiſender.
(Gelächter unter den jungen Webern.)
Der Reiſende (mit komiſchem Erſtaunen). Meinen Sie
mir oder meinen Sie mich?
(Der Wirt, die Wirtin und ihre
Tochter, Tiſchler Wiegand und der Reiſende lachen.)
Jäger. Jmmer den, der fragt.
Der Reiſende. Erlauben Sie mal, junger
Menſch, Jhr Geſchäft ſcheint recht gut zu gehn.
Jäger. Jch kann ni klagn. Jch bin Konfektions-
reiſender. Jch mach mit’n Fabrikanten Halbpart.
Je mehr d’r Weber hungert, um deſto fetter ſpeis ich.
Je gröſſer de Noth, deſto gröſſer mei Brot.
Bäcker. Das haſte gutt gemacht, ſollſt leben,
Moritz!
Welzel (hat den Kornſchnaps gebracht. Auf dem Rückwege zum
Schenkſims bleibt er ſtehn und wendet ſich langſam in all ſeinem Phlegma und
ſeiner Maſſigkeit wieder den Webern zu. Mit eben ſoviel Ruhe als Nachdruck.)
Laſſt Jhr den Herrn zufrieden, der hat Euch niſcht
nich gethan.
Stimmen junger Weber. Mir thun ’n ja
auch niſcht.
(Frau Welzel hat mit dem Reiſenden einige Worte gewechſelt. Sie nimmt die
Taſſe mit dem Kaffeereſt, und bringt ſie in das Nebenſtübchen. Der Reiſende
folgt ihr dahin unter dem Gelächter der Weber.)
Stimmen junger Weber (ſingend). Die Herren
Dreißiger die Henker ſind, die Diener ihre Schergen....
Welzel. Pſcht, pſcht! Das Lied ſingt, wo er
wollt. Ei mein’ Hauſe duld ich’s nich.
Erſter alter Weber. A hat ganz Recht, laßt
Jhr das Singen.
Bäcker (ſchreit). Aber bei Dreißigern miß mer noch
amal vorbeiziehn. Der muß unſer Lied noch amal
zu hörn kriegen.
Wiegand. Treibt’s ock ni gar zu tolle, daß a
ni etwa amal falſch verſteht!
(Gelächter und Hoho!!)
Der alte Wittig (ein grauhaariger Schmied, ohne Mütze, in
Schurzfell und Holzpantinen, ruſſig, wie er aus der Werkſtatt kommt, iſt ein-
getreten und wartet am Schenkſims ſtehend auf ein Glas Brantwein). Laß
ock Du die geruhig a biſſel a Theater machen. Die
Hunde, die de viel kläffen, beißen nich.
Stimmen alter Weber. Wittig, Wittig!
Wittig. Hie hengt a. Was gibbt’s denn?
Stimmen alter Weber. „Wittig is da.“
„Wittig, Wittig.“ „Komm her, Wittig, ſetz Dich zu
uns.“ „Komm her zu uns, Wittig.“
Wittig. Jch wer mich in Obacht nehmen und
wer mich zu ſolchen Gothen ſetzen.
Jäger. Komm, trink amal mit.
Wittig. O behalt dir den’n Branntwein. Will
ich trinken, zahl ich ’n ſelber.
(Er ſetzt ſich mit ſeinem Schnaps-
glas zu Baumert und Anſorge. Dem letzteren auf den Bauch klopfend.)
Was haben die Weber fer eine Speiſ’? Sauerkraut
und Läuſefleiſch.
Der alte Baumert (extatiſch). Nu aber wie d’n
da, wenn ſe nu, und ſein nimmehr zufriede dermit?
Wittig (mit gemachtem Staunen den Weber dumm anglotzend).
Nu, nu, nu, ſag mer ock, Heinerle, biſt Du’s?
(Unbändig
herauslachend.) Jhr Leute, Jhr Leute, ich lach mich tot.
Der ale Baumert will Rebellion machen. Nu wer’n
merſch habn: Jtzt fangen de Schneider o an, dann wer’n
de Bälämmel rebelliſch, dann de Mäuſe und Ratten.
O du meine Gitte, das werd a Tanz werden.
(Er will
ſich ausſchütten vor Lachen.)
Der alte Baumert. Nu ſieh ock, Wittig, ich
bin no immer derſelbigte wie frieher. Jch ſag o itzt
noch, wenn’s im Guten ging, wärſch beſſer.
Wittig. Dreck! werds gehn, aber nich im Guden.
Wo wer a ſo was im Guden gangen? Js etwa ei
Frankreich im Guden gangen? Hat etwa d’r Robſpiir
a Reichen de Patſchel geſtreechelt? Da hiß bloß:
Allee ſchaff fort. Jmmer nuff uff de Giljotine. Das
muß gehn, allong ſangfang. De gebratnen Gänſe
kommen een ni ins Maul geflogn.
Der alte Baumert. Wenn ich ock und hätte
hallwäge mein Auskommen …
Erſter alter Weber. Uns ſteht halt’s Waſſer
bis hierum, Wittig.
Zweiter alter Weber. Ma mag bald gar ni
mehr heem gehn. Ob ma nu ſchachtert oder ma legt
ſich ſchlafen, ma hungert uf beede Arten.
Erſter alter Weber. D’rheeme verliert man
vollens ganz a Verſtand.
Der alte Anſorge. Mir is jetzt ſchonn eegal, ’s
kommt a ſo, oder a ſo.
Stimmen alter Weber (mit ſteigender Erregung). „Nir-
gend hat ma Ruh.“ „O ken’n Geiſt nich zur Arbeit hat
man.“ Oben bei uns in Steenkunzendorf ſitzt eener
ſchonn a ganzen Tag an d’r Bache und wäſcht ſich,
nackt wie ’n Gott gemacht hat. Dem hat’s gar a
Kopp verwirrt.
Dritter alter Weber (erhebt ſich, vom Geiſte getrieben
und fängt an mit „Zungen“ zu reden, den Finger drohend erhoben). Es
iſt ein Gericht in der Luft! Geſellet euch nicht zu
den Reichen und Vornehmen! Es iſt ein Gericht in
Luft! Der Herr Zebaot …
(Einige lachen. Er wird auf den
Sitz niedergedrückt.)
Welzel. Der derf ock a eenzichtes Gläsl’
trinken, da wirrt’s n gleich aus’n Koppe.
Dritter alter Weber (fährt wieder auf). Doch ha!
ſie glauben an keinen Gott, noch weder Höll noch
Himmel. Religion iſt nur ihr Spott …
Erſter alter Weber. Laß gutt ſein, laß!
Bäcker. Laß Du da Mann ſei Geſetzel beten.
Das kann ſich manch eens zu Herzen nehmen.
Viele Stimmen (tumultuariſch). „Laßt’ n reden!“
„Laßt’ n!“
Dritter alter Weber (mit gehobener Stimme). Daher
die Hölle die Seele weit aufgeſperrt und den Rachen
aufgethan, ohne alle Maaße, daß hinunterfahren alle
die, ſo die Sache der Armen beugen und Gewalt
üben im Recht der Elenden, ſpricht der Herr.
(Tumult.)
Dritter alter Weber, (plötzlich ſchülerhaft declamirend).
Und doch wie wunderlich geht’s,
Wenn man es recht will betrachten,
Wenn man des Leinewebers Arbeit will verachten!
Bäcker. Mir ſein aber Parchenweber.
(Gelächter.)
Hornig. A Leinwebern gehts noch viel elender.
Die ſchleichen ock bloſſich noch wie de Geſpenſter zwiſcher
a Bergen rum. Jhr dahier habt doch noch Kriin zum
Uffmucken.
Wittig. Denkſt Du etwan hie is ſchon ’s
Schlimmſte vorüber? Das bißl Forſche, was die
noch im Leibe habn, das werd ’n d’r Fabrikante ſchon
och vollens austreiben.
Bäcker. A hat ja geſagt: De Weber werden noch
fer ne Quargſchnitte arbeiten.
(Tumult.)
Verſchiedene alte und junge Weber. Wer
hat das geſagt?
Bäcker. Das hat Dreiſſiger iber Weber geſagt.
Ein junger Weber. Das Aas ſollt man
ärſchlich ufknippen.
Jäger. Hör a mal uf mich, Wittig, Du
haſt immer a ſo viel derzählt von d’r franzeſchen Re-
volution. Du haſt immer ’s Maul a ſo voll ge-
nommen. Nu kennde vielleicht bald Gelegenheit wer’n,
daß eener und kennde zeigen, wie’s mid’n beſchaffen
is: ob a a Großmaul is oder a Ehrenmann.
Wittig. (jähzornig aufbrauſend). Sag noch e Wort
Junge! Haſt Du gehört Kugeln pfeiffen? Haſt Du
uf Vorpoſten geſtanden ei Feindesland?
Jäger. Nu, bis ock ni falſch. Mir ſein ja
Kamraden. Jch hab’s ja ni ſchlimm gemeent.
Wittig. Uf die Kamradſchaft plamp ich. Du
Laps, ufgeblaſener!
Gendarm Kutſche (kommt).
Mehrere Stimmen. Pſcht, pſcht, Polzei!
(Es wird eine unverhältnißmäßig lange Zeit geziſcht, bis völlige Ruhe ein-
getreten iſt.)
Kutſche (unter tiefem Schweigen aller übrigen ſeinen Platz an der
Mittelſäule einnehmeud). An kleen’n Korn mecht ich bitten.
(Wiederum völlige Ruhe.)
Wittig. Nu, Kutſche ſollſt woll amal zum
Rechten ſehn hier bei uns?
Kutſche (ohne auf Wittig zu hören). Gun Tak’ o,
Meiſter Wiegand.
Wiegand (noch immer in der Ecke vor dem Schenkſims). Scheen
Dank, Kutſche.
Kutſche. Wie gehts Geſchäft?
Wiegand. Dank fer de Nachfrage.
Bäcker. D’r Verwalter hat Angſt, m’r kennten
uns a Magen verderben, von dem vielen Lohn, das m’r
kriegen.
(Gelächter.)
Jäger. Gell ock, Welzel, mir habn alle Schweinernes
gegeſſen und Fetttunke und Klößl und Sauerkraut, und
itzt trink mer erſcht noch Schlampanjerwein.
(Gelächter.)
Welzel. Hinten rum ſcheint de Sonne.
Kutſche. Und wenn Jhr und hätt gleich
Schlampanjer und Gebratnes, derwegen werd Jhr noch
lange ni zufrieden ſein. Jch hab o keen’n Schlampanjer,
und ’s muß halt auch gehn.
Bäcker (mit Bezug auf Kutſches Naſe). Der begißt ſeine
kohlrote Gurke mit Brantwein und Schepsbier. Da
dervon wird ſe ooch reif.
(Gelächter.)
Wittig. A ſo a Schandarm hat a ſchweres
Leben: eemal muß a an verhungerten Betteljungen ins
Loch ſtecken, dann muß a wieder amal a hibſch
Webermädel verfihrn, dann muß a ſich wieder amal
ſternhagelsmäßig bekreeſchen und’s Weib durchprigeln,
das ſe vor Himmelangſt zu a Nachbarn gelaufen
kommt; und a ſo uf’n Ferde rumſchappern, in a
Federn liegen bis um neune, das is gar kee leichte
Ding dahie!
Kutſche. Schwatz Du immerzu. Du wirſcht dich
ſchonn noch bei Zeiten um a Hals räden. Ma weeß ja
längſt, was Du fer a Briderle biſt. Dei ufrihreriſch
Maulwerk das is längſt bekannt bis nuff zum Land-
rath. Jch kenn een’n, der bringt iber Jahr und Tag
Weib und Kind eis Armenhaus mit Saufen und
Kretſchamhocken und ſich ſelber in’s Gefängnis, der
wird uufhetzen und uufhetzen, bis ’s wird a Ende
mit Schrecken nehmen.
Wittig (lacht bitter heraus). Wer weeß ooch, was
kommt?! Uf de letzte kannſte gar Recht haben.
(Jähzornig
hervorbrechend.) Kommt’s aber a ſo weit, dann weeß ich
ooch, wem ich’s zu verdanken hab, wer mich verklatſcht
hat bei a Fabrikanten und uf d’r Herrſchaft, und ver-
ſchändt und verleumdt, daß ich keen’n Schlag Arbeit mehr
beſeh, — wer mir de Pauern hat uf a Hals gehetzt
und de Miller, daß ich de ganze Woche kee Pferd zum
beſchlagen kriege, oder an Reefen um a Rad zu machen.
Jch weeß, wer das is. Jch hab die infame Karnalje
emal vom Ferde gezogen, weil ſe an kleen’n tummen
Jungen wägen a par unreifen Birnen mit’n Ochſen-
ziemer hat durchgewalkt. Und ich ſag Dir, Du kennſt
mich, bringſt Du mich in’s Gefängniß, da mach Du
ooch gleich Dei Teſtament. Hör ich ock was von weiter
Ferne läuten, da nehm ich, was ich kriege, ’s is nu
a Hufeiſen oder Hammer, ne Radſpeiche oder a Waſſer-
eimer, und da ſuch ich Dich uf, und wenn ich Dich
ſoll aus’n Bette holen, von Deinem Menſche weg, ich
reiß Dich raus und ſchlag D’r a Schädel ein, ſo wahr
wie ich Wittich heeße.
(Er iſt aufgeſprungen und will auf Kutſche
losgehen.)
Alte und junge Weber (ihn zurückhaltend). Wittich,
Wittich, bleib bei Verſchtande.
Kutſche (hat ſich unwillkürlich erhoben, ſein Geſicht iſt blaß. Wäh-
rend des Folgenden retirirt er. Je näher der Thür, deſto muthiger wird er
Die letzten Worte ſpricht er ſchon auf der Thürſchwelle, um im nächſten Augen-
blick zu verſchwinden). Was willſt Du von mir? Mit Dir
hab ich niſcht nich zu ſchaffen. Jch hab mit a hiichten
Webern zu reden. Dir hab ich niſcht nich gethan. Du
gehſt mich niſcht an. Euch Webern aber ſoll ich’s
ausrichten: D’r Herr Polzeiverwalter läßt Euch ver-
bieten das Lied zu ſingen — das Dreißigerlied, oder
wie ſich’s genennt. Und wenn das Geſinge uf dr
Gaſſe ni gleich ufheert, da wird a d’rfire ſorgen, daß ihr
Die Weber. 5
im Stockhauſe mehr Zeit und Ruhe kriegt. Da kennt
’r dann ſingen bei Waſſer und Brot, a ſo lange, wie
d’r luſtig ſeid.
(Ab.)
Wittig (ſchreit ihm nach). Garniſcht hat a uns zu
verbieten, und wenn mir prilln, daß de Fenſter ſchwirrn,
und wenn ma uns hört bis in Reechenbach, und
wenn mir ſingen, daß allen Fabrikanten de Häuſer iber’m
Koppe zuſammenſtirzen und allen Verwaltern de Helme
uf’m Schädel tanzen. Das geht niemanden niſcht an.
Bäcker (iſt inzwiſchen aufgeſtanden, hat pantomimiſch das Zeichen
zum Singen gegeben und beginnt nun ſelbſt mit allen gemeinſchaftlich).
Hier im Ort iſt ein Gericht,
Viel ſchlimmer als die Vehmen,
Wo man nicht mehr ein Urtheil ſpricht,
Das Leben ſchnell zu nehmen.
(Der Wirth ſucht zu beruhigen, wird aber nicht gehört. Wiegand hält ſich die
Ohren zu und läuft fort. Die Weber erheben ſich und ziehen unter dem Geſang
der folgenden Verſe Wittig und Becker nach, die durch Winke ꝛc. das Zeichen
zum allgemeinen Aufbruch gegeben haben.)
Hier wird der Menſch langſam gequält,
Hier iſt die Folterkammer,
Hier werden Seufzer viel gezählt,
Als Zeugen von dem Jammer.
(Der größte Theil der Weber ſingt den folgenden Vers ſchon auf der Straße, nur
einige junge Burſchen noch im Jnnern der Stube, während ſie zahlen. Am
Schluß der nächſten Strophe iſt das Zimmer leer bis auf Welzel, ſeine Frau,
ſeine Tochter, Hornig und den alten Baumert.)
Jhr Schurken all’, ihr Satansbrut!
Jhr hölliſchen Cujone!
Jhr freßt der Armen Hab’ und Gut,
Und Fluch wird euch zum Lohne.
Welzel (räumt mit Gleichmut Gläſer zuſammen). Die ſein ja
heute gar tälſch.
Der alte Baumert (iſt im Begriff zu gehen).
Hornig. Nu ſag blos, Baumert, was is denn
im Gange?
Der alte Baumert. Zu Dreißigern gehn wolln
ſe halt, ſehn das a ’was zulegt zum Lohne, dahier.
Welzel. Machſt Du ooch noch mit bei ſolchen
Tollheeten?!
Der alte Baumert. Nu ſieh ock, Welzel, an
mir liegts nich. A Junges kann manchmal und a Altes
muß.
(Ein wenig verlegen ab.)
Hornig (erhebt ſich). Das ſollt mich doch wundern,
wenn’s hie ni amal böſe käm.
Welzel. Das die alten Krepper o vollens a Ver-
ſtand verliern!?
Hornig. A jeder Menſch hat halt ne Sehnſucht!
Ende des dritten Aktes.Vierter Akt.
Perſonen des vierten Aktes.
Bäcker.
Moritz Jäger.
Der alte Baumert.
Der alte Anſorge.
Dreißiger.
Pfeifer.
Wittich.
Kutſche.
Frau Dreißiger.
Kittelhaus, Paſtor.
Frau Kittelhaus.
Weinhold, Kandidat der Theologie, Hauslehrer
bei Dreißiger.
Heide, Polizeiverwalter.
Junge und alte Weber und Weberfrauen.
Peterswaldau. — Privatzimmer des Parchent-Fabrikanten
Dreißiger. Ein im froſtigen Geſchmack der erſten Hälfte
unſeres Jahrhunderts luxuriös ausgeſtatteter Raum. Die
Decke, der Ofen, die Thüren ſind weiß; die Tapete gradlinig klein-
gcblümt und von einem kalten, bleigrauen Ton. Dazu kommen
rothüberzogene Polſtermöbel aus Mahagoniholz, reich geziert
und geſchnitzt, Schränke und Stühle von gleichem Material
und wie folgt vertheilt: Rechts, zwiſchen zwei Fenſtern mit
kirſchrothen Damaſtgardinen ſteht der Schreibſekretär, ein
Schrank, deſſen vordere Wand ſich herabklappen läßt, — ihm
gerade gegenüber das Sofa, unweit davon ein eiſerner Geld-
ſchrank, vor dem Sofa der Tiſch, Seſſel und Stühle, — an der
Hinterwand ein Gewehrſchrank. Dieſe, ſowie die anderen
Wände ſind durch ſchlechte Bilder in Goldrahmen theilweiſe
verdeckt. Ueber dem Sofa hängt ein Spiegel mit ſtark vergoldetem
Roccoccorahmen, Eine einfache Thür links führt in den Flur,
eine offene Flügelthür der Hinterwand in einen mit dem
gleichen ungemüthlichen Prunk überladenen Salon. Jm Salon
bemerkt man zwei Damen, Frau Dreißiger und Frau Paſtor
Kittelhaus damit beſchäftigt, Bilder zu beſehen, — ferner den
Paſtor Kittelhaus im Geſpräch mit dem Kandidaten und
Hauslehrer Weinhold.)
Kittelhaus (ein kleines, freundliches Männchen tritt gemüthlich
plaudernd und rauchend mit dem ebenfalls rauchenden Kandidaten in das
Vorderzimmer; dort ſieht er ſich um und ſchüttelt, da er Niemand bemerkt, ver-
wundert den Kopf). Es iſt ja durchaus nicht zu verwundern,
Herr Kandidat: Sie ſind jung. Jn Jhrem Alter
hatten wir Alten — ich will nicht ſagen dieſelben
Anſichten, aber doch ähnliche. Aehnliche jedenfalls.
Und es iſt ja auch was ſchönes um die Jugend —
um alle die ſchönen Jdeale, Herr Kandidat. Leider
nur ſind ſie flüchtig, flüchtig wie Aprilſonnenſchein.
Kommen Sie erſt in meine Jahre. Wenn man erſt
mal dreißig Jahre, das Jahr zweiundfünfzigmal —
ohne die Feiertage — von der Kanzel herunter den
Leuten ſein Wort geſagt hat, dann iſt man noth-
wendigerweiſe ruhiger geworden. Denken Sie an
mich, wenn es mit Jhnen ſo weit ſein wird, Herr
Kandidat.
Weinhold (neunzehnjährig, bleich, mager, hochaufgeſchoſſen mit
ſchlichtem langen Blondhaar. Er iſt ſehr unruhig und nervös in ſeinen Be-
wegungen). Bei aller Ehrerbietung, Herr Paſtor … Jch
weiß doch nicht … Es exiſtirt doch eine große Ver-
ſchiedenheit in den Naturen.
Kittelhaus. Lieber Herr Kandidat, Sie mögen
ein noch ſo unruhiger Geiſt ſein —
(im Tone eines Verweiſes)
und das ſind Sie — Sie mögen noch ſo heftig
und — ungeberdig gegen die beſtehenden Verhältniſſe
angehen. Das legt ſich alles. Ja, ja, ich gebe
ja zu, wir haben ja Amtsbrüder, die in ziemlich
vorgeſchrittenem Alter noch recht jugendliche Streiche
machen. Der eine predigt gegen die Branntweinpeſt
und gründet Mäßigkeitsvereine, der andere verfaßt
Aufrufe, die ſich unleugbar recht ergreifend leſen.
Aber was erreicht er damit? Die Noth unter den
Webern wird, wo ſie vorhanden iſt, nicht gemildert.
Der ſociale Frieden dagegen wird untergraben; nein,
nein, da möchte man wirklich faſt ſagen: Schuſter
bleib bei Deinem Leiſten, Seelſorger, werde kein
Wanſtſorger. Predige dein reines Gotteswort, und
im übrigen laß Den ſorgen, der den Vögeln ihr Bett
und ihr Futter bereitet hat und die Lilie auf dem
Felde nicht läßt verderben. — Nun aber möcht’ ich
doch wirklich wiſſen, wo unſer liebeswürdiger Wirth
ſo plötzlich hingekommen iſt.
Frau Dreißiger (kommt von der Paſtorin gefolgt nach
vorn. Sie iſt eine dreißigjährige, hübſche Frau von einem kernigen und robuſten
Schlage. Ein gewiſſes Mißverhältniß zwiſchen ihrer Art zu reden, oder ſich zu
bewegen und ihrer vornehm reichen Toilette iſt auffällig). Se haben
ganz recht, Herr Paſter. Wilhelm macht’s immer
ſo. Wenn’n was einfällt, da rennt er fort und
läßt mich ſitzen. Da hab’ ich ſchon ſo drüber
geredt, aber da mag man ſagen, was man will.
Kittelhaus. Liebe, gnädige Frau, dafür iſt er
Geſchäftsmann.
Weinhold. Wenn ich nicht irre, iſt unten etwas
vorgefallen.
Dreißiger. (kommt. Echauffirt aufgeregt). Nun, Roſa,
iſt der Kaffee ſervirt?
Frau Dreißiger (ſchmollt). Ach, daß Du ooch
immer fortlaufen mußt.
Dreißiger (leichthin). Ach was weißt Du!
Kittelhaus. Um Vergebung! Haben Sie
Aerger gehabt, Herr Dreißiger?
Dreißiger. Den habe ich alle Tage, die Gott
der Herr werden läßt, lieber Herr Paſtor. Daran
bin ich gewöhnt. Nun Roſa?! Du ſorgſt wohl dafür.
Frau Dreißiger (geht mißlaunig und zieht mehrmals heftig
an dem breiten, geſtickten Klingelzug).
Dreißiger. Jetzt eben,
(nach einigen Umgängen.) Herr
Candidat, hätte ich Jhnen gewünſcht, dabei zu ſein.
Da hätten Sie was erleben können. Uebrigens …
Kommen Sie, fangen wir unſern Whiſt an.
Kittelhaus. Ja, ja, ja und nochmals ja!
Schütteln Sie des Tages Staub und Laſt von den
Schultern und gehören Sie uns.
Dreißiger (iſt an’s Fenſter getreten, ſchiebt eine Gardine beiſeit
und blickt hinaus. Unwillkürlich). Bande!!! — komm doch mal
her, Roſa!
(Sie kommt.) Sag doch mal: … Dieſer lange,
rothhaarige Menſch dort! …
Kittelhaus. Das iſt der ſogenannte rothe
Bäcker.
Dreißiger. Nu ſag mal, iſt das vielleicht der-
ſelbe, der Dich vor zwei Tagen inſultirt hat? Du
weißt ja, was Du mir erzählteſt, als Dir Johann in
den Wagen half.
Frau Dreißiger (macht einen ſchiefen Mund, gedehnt). Jch
wös nich mehr.
Dreißiger. Aber ſo laß doch jetzt das be-
leidigt thun. Jch muß das nämlich wiſſen. Jch
habe die Frechheiten nun nachgerade ſatt. Wenn es
der iſt, ſo zieh ich ihn nämlich zur Verantwortung.
(Man hört das Weberlied ſingen.) Nun hören Sie blos, hören
Sie blos!
Kittelhaus (überaus entrüſtet.) Will denn dieſer
Unfug wirklich immer noch kein Ende nehmen? Nun
muß ich aber wirklich auch ſagen: es iſt Zeit, daß die
Polizei einſchreitet. Geſtatten Sie mir doch mal!
(Er tritt
ans Fenſter.) Nun ſehen Sie an, Herr Weinhold! Das ſind
nun nicht blos junge Leute, da laufen auch alte, geſetzte
Weber in Maſſe mit. Menſchen, die ich lange Jahre
für höchſt ehrenwerth und gottesfürchtig gehalten habe.
Sie laufen mit. Sie nehmen theil an dieſem uner-
hörten Unfug. Sie treten Gottes Geſetz mit Füßen.
Wollen Sie dieſe Leute vielleicht nun noch in Schutz
nehmen?
Weinhold. Gewiß nicht Herr Paſtor. Das
heißt, Herr Paſtor … cum grano salis. Es ſind
eben hungrige, unwiſſende Menſchen. Sie geben halt
ihre Unzufriedenheit kund, wie ſie’s verſtehen. Jch
erwarte gar nicht, daß ſolche Leute…
Fr. Kittelhaus (klein, mager, verblüht, gleicht mehr einer alten
Jungfer als einer Frau.) Herr Weinhold, Herr Weinhold!
aber ich bitte Sie!
Dreißiger. Herr Candidat, ich bedaure ſehr ..
Jch habe Sie nicht in mein Haus genommen, damit
Sie mir Vorleſungen über Humanität halten. Jch
muß Sie erſuchen, ſich auf die Erziehung meiner
Knaben zu beſchränken, im Uebrigen aber meine An-
gelegenheiten mir zu überlaßen, mir ganz allein!
Verſtehen Sie mich?
Weinhold (ſteht einen Augenblick ſtarr und todtenblaß, und verbeugt
ſich dann mit einem fremden Lächeln. Leiſe.) Gewiß, gewiß, ich
habe Sie verſtanden. Jch ſah es kommen; es ent-
ſpricht meinen Wünſchen.
(Ab.)
Dreißiger. (brutal). Dann aber doch möglichſt
bald, wir brauchen das Zimmer.
Frau Dreißiger. Aber Wilhelm, Wilhelm!
Dreißiger. Biſt Du wohl bei Sinnen? Du
willſt einen Menſchen in Schutz nehmen, der ſolche
Pöbeleien und Schurkereien wie dieſes Schmählied
da vertheidigt.
Frau Dreißiger. Aber Männdel, Männdel, er
hat’s ja garnicht …
Dreißiger. Herr Paſtor, hat er’s vertheidigt?
Oder hat er’s nicht vertheidigt?
Kittelhaus. Herr Dreiſſiger, man muß es
ſeiner Jugend zugute halten.
Fr. Kittelhaus. Jch weiß nicht, der junge Menſch
iſt aus einer ſo guten und achtbaren Familie. Vierzig
Jahr war ſein Vater als Beamter thätig und hat
ſich nie auch nur das geringſte zu ſchulden kommen
laſſen. Die Mutter war ſo überglücklich, daß er hier
ein ſo ſchönes Unterkommen gefunden hatte. Und
nun … nun weiß er ſich das ſo wenig wahrzunehmen.
Pfeifer (reißt die Flurthür auf, ſchreit herein). Herr Dreiſſicher,
Herr Dreiſſicher! ſe habn ’n feſte. Se mechten kommen.
Se haben een’n gefangen.
Dreißiger (haſtig). Jſt Jemand zur Polizei gelaufen?
Pfeifer. D’r Herr Verwalter kommt ſchonn die
Treppe ruff.
Dreißiger (in der Thür). Ergebener Diener, Herr
Verwalter! Es freut mich, daß Sie gekommen ſind.
Kittelhaus (macht den Damen pantomimiſch begreiflich, daß
es beſſer ſei, ſich zurückzuziehen. Er, ſeine Frau und Frau Dreiſſiger ver-
ſchwinden in den Salon).
Dreißiger (im höchſten Grade aufgebracht, zu dem inzwiſchen einge-
tretenen Polizeiverwalter) Herr Verwalter, ich habe nun endlich
einen der Hauptſänger von meinen Färbereiarbeitern feſt-
nehmen laſſen. Jch konnte das nicht mehr weiter mit
anſehen. Die Frechheit geht einfach in’s Grenzenloſe.
Es iſt empörend. Jch habe Gäſte und dieſe Schufte er-
dreiſten ſich … ſie inſultiren meine Frau, wenn ſie ſich zeigt,
meine Knaben ſind ihres Lebens nicht ſicher. Jch
riskire, daß ſie meine Gäſte mit Püffen traktiren. Jch
gebe Jhnen die Verſicherung, wenn es in einem ge-
ordneten Gemeinweſen ungeſtraft möglich ſein ſollte,
unbeſcholtene Leute, wie ich und meine Familie, fort-
geſetzt öffentlich zu beſchimpfen … ja dann … dann
müßte ich bedauern, andere Begriffe von Recht und
Geſittung zu haben.
Polizeiverwalter (etwa fünfzigjähriger Mann, mittelgroß,
corpulent, vollblütig. Er trägt Cavalleriuniform mit Schleppſäbel und Sporen).
Gewiß nicht … Nein … gewiß nicht, Herr Dreißiger! —
Verfügen Sie über mich. Beruhigen Sie ſich nur,
ich ſtehe ganz zu Jhrer Verfügung. Es iſt ganz in
der Ordnung … Es iſt mir ſogar ſehr lieb, daß Sie
einen der Hauptſchreier haben feſtnehmen laſſen. Es
iſt mir ſehr recht, daß die Sache nun endlich mal
zum klappen kommt. Es ſind ſo’n paar Friedens-
ſtörer hier, die ich ſchon lange auf der Pike habe.
Dreißiger. So’n paar grüne Burſchen, ganz
recht, arbeitsſcheues Geſindel, faule Lümmels, die
ein Luderleben führen, Tag für Tag in den
Schenken rumhocken, bis der letzte Pfennig durch
die Gurgel gejagt iſt. Aber nun bin ich ent-
ſchloſſen, ich werde dieſen berufsmäßigen Schand-
mäulern das Handwerk legen, gründlich. Es iſt
im allgemeinen Jntereſſe, nicht nur im eigenen
Jntereſſe.
Polizeiverwalter. Unbedingt! ganz unbedingt,
Herr Dreißiger. Das kann Jhnen kein Menſch ver-
denken. Und ſo viel in meinen Kräften ſteht …
Dreißiger. Mit dem Kanſchu müßte man hin-
einfahren in das Lumpengeſindel.
Polizeiverwalter. Ganz recht, ganz recht.
Es muß ein Exempel ſtatuirt werden.
Gensdarm Kutſche (kommt und nimmt Stellung. Man
hört, da die Flurthür offen iſt, das Geräuſch von ſchweren Füßen, welche die
Treppe heraufpoltern). Herr Verwalter, ich melde gehorſamſt:
m’r habn einen Menſchen feſtgenommen.
Dreißiger. Wollen Sie den Menſchen ſehen,
Herr Polizeiverwalter?
Polizeiverwalter. Ganz gewiß, ganz gewiß.
Wir wollen ihn zuallererſt mal aus nächſter Nähe be-
trachten. Thun Sie mir den Gefallen, Herr Dreißiger,
und bleiben Sie ganz ruhig. Jch verſchaffe Jhnen
Genugthuung, oder ich will nicht Heide heißen.
Dreißiger. Damit kann ich mich nicht zu-
frieden geben, der Menſch kommt unweigerlich vor den
Staatsanwalt.
Jäger (wird von fünf Färbearbeitern herein geführt, die an Geſicht,
Händen und Kleidern mit Farbe befleckt, direct von der Arbeit herkommen.
Der Gefangene hat die Mütze ſchief ſitzen, trägt eine freche Heiterkeit zur
Schau und befindet ſich in Folge des vorherigen Brantweingenuſſes in gehobenem
Zuſtand). O ihr älenden Kerle! — Arbeiter wollt ’r
ſein? Kamraden wollt ’r ſein? Eh ich das machte
— eh ich mich vergreifen thät a mein’n Genoßen, da
thät ich denken, de Hand mißt m’r verfauln dahier!
(Auf einen Wink des Verwalters hin veranlaßt Kutſche, daß die Färber ihre Hände
von dem Opfer nehmen. Jäger ſteht nun frei und frech da, während um ihn
alle Thüren verſtellt werden.)
Polizeiverwalter (ſchreit Jägern an). Mütze ab,
Flegel!
(Jäger nimmt ſie ab, aber ſehr langſam, ohne ſein ironiſches Lächelu
aufzugeben.) Wie heißt Du?
Jäger. Hab ich mit Dir ſchonn die Schweine
gehitt?
(Unter dem Eindruck der Worte entſteht eine Bewegung unter den
Anweſenden.)
Dreißiger. Das iſt ſtark.
Polizeiverwalter (wechſelt die Farbe, will aufbrauſen
kämpft den Zorn nieder). Das übrige wird ſich finden. —
Wie Du heißt frage ich Dich? —
(Als keine Antwort erfolgt,
raſend.) Kerl ſprich, oder ich laſſe Dir fünfundzwanzig
überreißen.
Jäger (mit vollkommener Heiterkeit und ohne auch nur durch ein
Wimperzucken auf die wüthende Einrede zu reagiren, über die Köpfe des An-
weſenden hinweg zu einem hübſchen Dienſtmädchen, welches, im Begriff den
Kaffee zu ſerviren, durch den unerwarteten Anblick betroffen, mit offenem Munde
ſtehen geblieben iſt.) Nu ſag m’r ock, Plättbrettl-Emilie,
biſt Du jetzt bei der Geſellſchaft. Na da ſieh ock, das
de hier nausfindſt. Hie kann amal dr Wind gehn,
und der bläſt alles weg iber Nacht.
(Das Mädchen ſtarrt Jäger
an, wird, als ſie begreift, daß die Rede ihr gilt, roth vor Scham, ſchlägt ſich
die Hände vor die Augen und läuft hinaus, das Geſchirr zurücklaſſend, wie es
gerade ſteht und liegt. Wiederum entſteht eine Bewegung unter den Anweſenden.)
Polizeiverwalter (nahezu faſſungslos zu Dreißiger). So
alt, wie ich bin … eine ſolche unerhörte Frechheit iſt
mir doch …
Jäger (ſpuckt aus).
Dreißiger. Kerl, Du biſt in keinem Viehſtall,
verſtanden?!
Polizeiverwalter. Nun bin ich am Ende mit
meiner Geduld. Zum letzten Mal: wie heißt Du?
Kittelhaus, (der während der letzten Scene hinter der ein wenig
geöffneten Salonthür hervorgeblickt und gehorcht hat, kommt nun, durch die
Geſchehniſſe hingeriſſen, um, bebend vor Erregung, zu interveniren). Er heißt
Jäger, Herr Verwalter. Moritz … nicht? … Moritz
Jäger.
(Zu Jäger.) Nu ſag blos, Jäger, — kennſt Du
mich nich mehr?
Jäger (ernſt). Sie ſein Paſter Kittelhaus.
Kittelhaus. Ja, Dein Seelſorger, Jäger!
Derſelbe, der Dich als kleines Wickelkind in die
Gemeinſchaft der Heiligen aufgenommen hat. Der-
ſelbe, aus deſſen Händen Du zum erſten Mal den
Leib des Herrn empfangen haſt. Erinnerſt Du Dich
noch? Da hab ich mich nun gemüht und gemüht
und Dir das Wort Gottes an’s Herz gelegt. Jſt
das nun die Dankbarkeit?
Jäger (finſter, wie ein geduckter Schuljunge). Jch hab ja
cen’n Thaler Geld uufgelegt.
Kittelhaus. Geld, Geld … Glaubſt Du viel-
leicht, daß das ſchnöde, erbärmliche Geld … Behalt
Dir Dein Geld … das iſt mir viel lieber. Was das
für ein Unſinn iſt. Sei brav, ſei ein Chriſt! Denk
an das, was Du gelobt haſt. Halt Gottes Gebote,
ſei gut und ſei fromm. Geld, Geld…
Jäger. Jch bin Quäker, Herr Paſter, ich glob
an niſcht mehr.
Kittelhaus. Was, Quäker, ach rede doch nicht!
Mach, daß Du Dich beſſerſt, und laß unverdaute
Worte aus dem Spiel! Das ſind fromme Leute,
nicht Heiden wie Du. Quäker! was Quäker!
Polizeiverwalter. Mit Erlaubniß, Herr Paſtor
(Er tritt zwiſchen ihn und Jäger.) Kutſche! binden Sie ihm
die Hände!
(Wüſtes Gebrüll von draußen: „Jäger! Jäger, ſull rauskumma!“)
Dreißiger, (gelinde erſchrocken, wie die übrigen Anweſenden, iſt
unwillkürlich an’s Fenſter getreten). Was heißt denn das nun
wieder?
Polizeiverwalter. O, das verſteh ich: das
heißt, daß ſie den Lumpen wieder raus haben wollen.
Den Gefallen werden wir ihnen nun aber mal nicht
thun. Verſtanden, Kutſche? Er kommt in’s Stock-
haus.
Kutſche (mit dem Strick in der Hand zögernd). Mit Reſpect
zu vermelden, Herr Verwalter, mir werden woll unſere
Noth haben. Es is eine ganz verfluchte Hetze
Menſchen. De richt’ge Schwefelbande, Herr Ver-
walter. Da is der Bäcker, da is der Schmied …
Kittelhaus. Mit gütiger Erlaubniß, — um
nicht noch mehr böſes Blut zu machen, würde es
nicht angemeſſener ſein, Herr Verwalter, wir verſuchten
Die Weber. 6
es friedlich? Vielleicht verpflichtet ſich der Jäger
gutwillig mitzugehen oder ſo …
Polizeiverwalter. Wo denken Sie hin!!
Meine Verantwortung! Auf ſo etwas kann ich
mich unmöglich einlaſſen. Vorwärts Kutſche! nich
lange gefakelt.
Jäger (die Hände zuſammenlegend und lachend hinhaltend). Jmmer
feſte, feſte, a ſo feſt, wiet’er kennt. ’Sis ja doch nich
uf lange.
(Er wird gebunden von Kutſche mit Hülfe der Kameraden).
Polizeiverwalter. Nu vorwärts, marſch!
(Zu Dreißiger.) Wenn Sie Sorge haben, dann laſſen
Sie ſechs Mann von den Färbern mitgehen. Die
können ihn in die Mitte nehmen. Jch reite voran,
Kutſche folgt. Wer ſich entgegenſtellt wird nieder-
gehauen.
(Geſchrei von unten: „Kikeriki—i!! Wau, wau, wau“.)
Polizeiverwalter (nach dem Fenſter drohend). Ca-
naillen! ich werde euch bekikerikien und bewauwauen.
Marſch, vorwärts!
(Er ſchreitet voran hinaus mit gezogenem Säbel,
die andern folgen mit Jäger.)
Jäger (ſchreit im Abgehen). Und wenn ſich de gnädge
Frau Dreißichern o noch a ſo ſtolz macht, die is
deshalb ni mehr, wie unſer eens. Die hat mein Vater
viel hundertmal fer drei Fennige Schnaps vorgeſetzt.
Schwadron links ſchwenkt, marſch, ma—rſch!
(Ab mit
Gelächter.)
Dreißiger (nach einer Pauſe ſcheinbar gelaſſen). Wie denken
Sie, Herr Paſter? Wollen wir nun nicht unſern
Whiſt machen? Jch denke der Sache ſteht nun nichts
mehr im Wege.
(Er zündet ſich eine Cigarre an, dabei lacht er mehr-
mals kurz, ſo bald ſie brennt, laut heraus.) Nu fang ich an, die
Geſchichte komiſch zu finden. Dieſer Kerl!
(Jn einem
nervöſen Lachausbruch.) Es iſt aber auch unbeſchreiblich
lächerlich. Erſt der Krakel bei Tiſch mit dem Candi-
daten. Fünf Minuten darauf empfiehlt er ſich. Fort
über alle Berge, dann dieſe Geſchichte. Und nun
ſpielen wir unſern Whiſt weiter.
Kittelhaus. Ja aber …
(Gebrüll von unten.) Ja
aber .. Wiſſen Sie: die Leute machen einen ſo
ſchrecklichen Standal.
Dreißiger. Ziehen wir uns einfach in das
andere Zimmer zurück. Da ſind wir ganz ungeſtört.
Kittelhaus (unter Kopfſchütteln). Wenn ich nur
wüßte, was in dieſe Menſchen gefahren iſt. Jch
muß dem Candidaten darin recht geben, wenigſtens
war ich bis vor Kurzem auch der Anſicht, die Webers-
leute wären ein demüthiger, geduldiger und lenkſamer
Menſchenſchlag. Geht es Jhnen nicht auch ſo, Herr
Dreißiger?
Dreißiger. Freilich waren ſie geduldig und
lenkſam, freilich waren es früher geſittete und ordent-
liche Leute. So lange nämlich die Humanitätsdusler
ihre Hand aus dem Spiele ließen. Da iſt ja den
Leuten lange genug klar gemacht worden, in welchem
entſetzlichen Elend ſie drin ſtecken. Bedenken Sie
doch, all die Vereine und Comités zur Abhilfe der
Webernoth. Schließlich glaubt es der Weber, und
nun hat er den Vogel. Nun komme einer her und
rücke ihnen den Kopf wieder zurecht. Jetzt iſt er im
Zuge. Jetzt murrt er ohne Aufhören. Jetzt paßt ihm
das nicht und jens nicht. Jetzt möchte alles gemalt
und gebraten ſein.
(Plötzlich ein vielſtimmiges aufſchwellendes Hurrahgebrüll.)
Kittelhaus. So haben ſie denn mit all ihrer
Humanität nichts weiter zuwege gebracht, als daß aus
Lämmern über Nacht buchſtäblich Wölfe geworden ſind.
Dreißiger. Ach was! bei kühlem Verſtande, Herr
Paſter, kann man der Sache vielleicht ſogar noch ’ne
gute Seite abgewinnen. Solche Vorkommniſſe werden
vielleicht in den leitenden Kreiſen nicht unbemerkt
bleiben. Möglicherweiſe kommt man dort doch mal
zu der Ueberzeugung, daß es ſo nicht mehr lange
6*
weiter gehen kann, daß etwas geſchehen muß, wenn
unſre heimiſche Jnduſtrie nicht völlig zugrunde
gehen ſoll.
Kittelhaus. Ja, woran liegt aber dieſer enorme
Rückgang, ſagen Sie blos?
Dreißiger. Das Ausland hat ſich gegen uns
durch Zölle verbarrikadirt. Dort ſind uns die beſten
Märkte abgeſchnitten und im Jnland müſſen wir eben-
falls auf Tod und Leben concurriren, denn wir ſind
preisgegeben, völlig preisgegeben.
Pfeifer (kommt athemlos und blaß hereingewankt). Herr
Dreißicher, Herr Dreißicher!
Dreißiger (bereits in der Salonthür, im Begriff zu gehen, wendet
ſich geärgert). Nu, Pfeifer, was giebt’s ſchon wieder?
Pfeifer. Nee … nee … nu laßt mich zufriede!
Dreißiger. Was is denn nu los?
Kittelhaus. Sie machen ein ja Angſt, reden
Sie doch.
Pfeifer (immer noch nicht bei ſich). Na, da laßt mich
zufriede! nee ſo was! nee ſo was aber och! Die
Obrigkeit .... na, den wird’s gutt gehn.
Dreißiger. Jn’s Teufels Namen, was is Jhnen
denn ſo in die Glieder geſchlagen. Hat Jemand den
Hals gebrochen?
Pfeifer (faſt weinend, vor Angſt ſchreit heraus). Se habn a
Jäger Moritz befreit, a Verwalter gepriegelt und fort-
gejagt, a Schandarm gepriegelt und fortgejagt. Ohne
Helm … a Säbel zerbrochen … nee, nee!
Dreißiger. Pfeifer, Sie ſind wohl überge-
ſchnappt.
Kittelhaus. Das wäre ja Revolution.
Pfeifer (auf einem Stuhl ſitzend, am ganzen Leibe zitternd,
wimmernd). Herr Dreißicher, ’s wird ernſt! Herr
Dreißicher, ’s wird ernſt!
Dreißiger. Na, dann kann mir aber die ganze
Polizei …
Pfeiffer. Herr Dreißicher, ’s wird ernſt!
Dreißiger. Ach, halten Sie’s Maul, Pfeiffer!
Zum Donnerwetter!
Frau Dreißiger (mit der Paſtorin aus dem Salon). Ach,
das iſt aber wirklich empörend, Wilhem. Der ganze
ſchöne Abend wird uns verdorben. Nu haſt Du’s,
nu will de Frau Paſtern am liebſten zu Hauſe gehn.
Kittelhaus. Liebe, gnädige Frau Dreißiger,
es iſt doch vielleicht heute wirklich das beſte…
Frau Dreißiger. Aber Wilhem, Du ſollteſt
doch auch mal gründlich dazwiſchen fahren.
Dreißiger. Geh Du doch und ſags ’n! Geh
Du doch! Geh Du doch!
(Vor dem Paſtor ſtillſtehend, unver-
mittelt.) Bin ich denn ein Tyrann? Bin ich denn ein
Menſchenſchinder?
Kutſcher Johann (kommt). Gnädge Frau, ich
hab de Pferde d’rweile angeſchirrt. A Jorgel und’s
Carlchen hat d’r Herr Candedate ſchon in a Wagen
geſetzt. Kommt’s gar ſchlimm, da fahr m’r los.
Frau Dreißiger. Ja, was ſoll denn ſchlimm
kommen?
Johann. Nu ich weeß halt au ni. Jch meen
halt aſo! ’s wern halt immer mehr Leute. Se habn
halt doch a Verwalter mit ſammſt ’n Schandarme
fortgejagt.
Pfeifer. ’S wird ernſt, Herr Dreißiger! ’s
wird ernſt!
Frau Dreißiger (mit ſteigender Angſt). Ja, was ſoll
denn werden? — Was wollen die Leute? — Se
könn’ uns doch nich iberfallen, Johann?
Johann. Frau Madame, ’s ſein rüde Hunde
drunter.
Pfeifer. ’S wird Ernſt, bitt’rer Ernſt.
Dreißiger. Maul halten, Eſel! Sind die
Thüren verrammelt.
Kittelhaus. Thun Sie mir den Gefallen …
Thun Sie mir den Gefallen … Jch habe einen Ent-
ſchluß gefaßt … Thun Sie mir den Gefallen …
(Zu Johann.) Was verlangen denn die Leute?
Johann (verlegen). Mehr Lohn wolln ſe halt haben,
die tummen Luder.
Kittelhaus. Gut, ſchön! — Jch werde hinaus-
gehen und meine Pflicht thun. Jch werde mit den
Leuten mal ernſtlich reden.
Johann. Herr Paſter, Herr Paſter! das laſſen
ſe ock unterwegens. Hie is jedes Wort umſonſte.
Kittelhaus. Lieber Herr Dreißiger, noch ein
Wörtchen. Jch möchte Sie bitten: ſtellen Sie Leute hinter
die Thür, und laſſen Sie ſogleich hinter mir abſchließen.
Frau Kittelhaus. Ach, willſt Du das wirklich,
Joſeph?
Kittelhaus. Jch will es. Jch will es. Jch
weiß, was ich thue. Hab’ keine Sorge, der Herr
wird mich ſchützen.
Frau Kittelhaus (drückt ihm die Hand, tritt zurück und
wiſcht ſich Thränen aus den Augen).
Kittelhaus (indeß von unten herauf ununterbrochen das dumpfe
Geräuſch einer großen, verſammelten Menſchenmenge heraufdringt). Jch
werde mich ſtellen … Jch werde mich ſtellen, als ob
ich ruhig nach Hauſe ginge. Jch will doch ſehen,
ob mein geiſtliches Amt … ob ich nicht mehr ſo viel
Reſpekt genieße bei dieſen Leuten … Jch will doch
ſehen …
(Er nimmt Hut und Stock). Vorwärts alſo, in Gottes
Namen.
(Ab, begleitet von Dreißiger, Pfeifer und Johann.)
Frau Kittelhaus. Liebe Frau Dreißiger,
(ſie
bricht in Thränen aus und umhalſt ſie) wenn ihm nur nicht ein
Unglück zuſtößt!
Frau Dreißiger (wie abweſend). Jch weeß garnich,
Frau Paſtern, mir is a ſo … Jch weeß garnich, wie
mir zu muthe is. So was kann doch reen garnich
menſchenmeeglich ſein. Wenn das a ſo is … das is
ja grade, als wie wenn’s Reichthum a Verbrechen wär.
Sehn’s ock, wenn mir das hätte Jemand geſagt, ich
weeß garnich, Frau Paſtern, am ende wär ich lieber
in mein’ kleenlichen Verhältniſſen drinne geblieben.
Frau Kittelhaus. Liebe Frau Dreißiger, es
giebt in allen Verhältniſſen Enttäuſchungen und
Aerger genug.
Frau Dreißiger. Nu freilich, nu freilich, das
denk ich mir doch och eben. Und das mir mehr
haben, als andere Leute … nu Jes’s, mir haben’s
doch och nich geſtohlen. ’S is doch Heller fer Fennig
uf rechtlichem Wege erworben. So was kann doch
reen garnich meeglich ſein, daß die Leute iber een her-
fallen. Js denn mein Mann ſchuld, wenn’s Geſchäfte
ſchlecht geht?
(Von unten herauf dringt tumultuariſches Gebrüll. Während
die beiden Frauen noch bleich und erſchrocken einander anblicken, ſtürzt Drei-
ßiger herein.)
Dreißiger. Roſa, wirf Dir ’was über und
ſpring in den Wagen, ich komme gleich nach!
(Er
ſtürzt nach dem Geldſchrank, ſchließt ihn auf und entnimmt ihm verſchiedene
Werthſachen.)
Johann (kommt). Alles bereit. Aber nu ſchnell,
eh’s Hinterthor noch beſetzt is.
Frau Dreißiger (in paniſchem Schrecken den Kutſcher umhalſend).
Johann, liebſter, beſter Johann! Rett’ uns, aller aller
allerbeſter Johann! Rette meine Jungen, ach, ach …
Dreißiger. Sei doch vernünftig! Laß doch den
Johann los.
Johann. Madam, Madam! Sein ’s ock ganz
geruhig. Unſe Rappen ſein gutt imſtande, die holt
keener ein, wer de ni beiſeite geht, wird ibergefahrn.
(Ab.)
Frau Kittelhaus (in rathloſer Angſt). Aber mein
Mann? Aber … aber mein Mann? Aber, Herr
Dreißiger, mein Mann?
Dreißiger. Fran Paſter, Frau Paſter, er is
ja geſund. Beruhigen Sie ſich doch nur, er is ja
geſund.
Frau Kittelhaus. Es iſt ihm ’was Schlimmes
zugeſtoßen. Sie ſagen’s blos nich, Sie ſagen’s blos nich.
Dreißiger. O laſſen Sie’s gut ſein, die werden’s
bereun. Jch weiß ganz genau, weſſen Hände dabei
waren. Eine ſo namenloſe, ſchamloſe Frechheit bleibt
nich ungerochen. Eine Gemeinde, die ihren Seel-
ſorger mißhandelt, pfui Teufel! Tolle Hunde,
nichts weiter, toll gewordene Beſtien, die man dem-
gemäß behandeln wird.
(Zu Frau Dreißiger, die wie betäubt daſteht.)
Nu ſo geh’ doch und rühr’ Dich!
(Man hört ſchlagen gegen
die Hausthür.) Hörſt Du denn nich, das Geſindel iſt
wahnſinnig geworden.
(Man hört Klimpern von zerbrechenden
Scheiben, die im Parterre eingeworfen werden.) Das Geſindel hat
den Sonnenkoller. Da bleibt nichts übrig, wir müſſen
machen, daß wir fortkommen.
(Man hört vereint rufen: „Expedient Feifer ſull rauskumma!“
— Expedient Feifer ſull rauskommen!“)
Frau Dreißiger. Feifer, Feifer, ſie wollen
Feifer raushaben.
Pfeifer (ſtürzt herein). Herr Dreißicher, am Hinter-
thor ſtehn o ſchonn Leute. De Hausthir hält keene
drei Minuten mehr. D’r Wittigſchmied haut mit an
Ferdeeimer drauf nei wie a Unſinniger.
(Von unten Ge-
brüll lauter und deutlicher: „Expedient Feifer ſoll raus-
kommen! — Expedient Feifer ſoll rauskommen!“)
Fr. Dreißiger (rennt davon, wie gejagt; ihr nach Frau Kittel-
haus. Beide ab).
Pfeifer (horcht auf, wechſelt die Farbe, verſteht den Ruf und iſt
im nächſten Moment von wahnſinniger Angſt erfaßt. Das folgende weint,
wimmert, bettelt, winſelt er in raſender Schnelligkeit durcheinander. Dabei
überhäuft er Dreißiger mit kindiſchen Liebkoſungen, ſtreichelt ihm Wangen und
Arme, küßt ſeine Hände und umklammert ihn ſchließlich, wie ein Ertrinkender,
ihn dadurch hemmend und feſſelnd und nicht von ihm loslaſſend). Ach
liebſter, ſcheenſter, allergnädigſter Herr Dreißicher,
laſſen ſe mich nich zuricke, ich hab ihn immer treu ge-
dient; ich hab och de Leute immer gutt behandelt.
Mehr Lohn, wie feſtgeſetzt war, konnt’ ich’n doch nich
geben. Verlaſſen Se mich nich, ſe machen mich kalt.
Wenn ſe mich finden, ſchlagen ſe mich todt. Ach
Gott im Himmel, ach Gott im Himmel! Meine
Frau, meine Kinder …
Dreißiger (indem er abgeht, vergeblich bemüht, ſich von Pfeifer
loszumachen). Laſſen Sie mich doch wenigſtens los,
Menſch! Das wird ſich ja finden; das wird ſich ja
alles finden.
(Ab mit Pfeifer.)
(Einige Secunden bleibt der Raum leer. Jm Salon zerklirren Fenſter. Ein
ſtarker Krach durchſchallt das Haus: hierauf brauſendes Hurrah! danach Stille.
Einige Secunden vergehen, dannn hört man leiſes und vorſichtiges Trappen die
Stufen zum erſten Stock empor, dazu nüchterne und ſchüchterne Ausrufe:
„links!“ „oben nuff!“ „pſcht!“ „langſam! langſam!“
„ſchipp ock nich!„ „hilf ſchirjen!“ „praatz, hab ich
a Ding!“ „macht fort ihr Würgebänder!“ „mir gehn
zur Hochzeit!“ „geh Du nei!“ „o geh Du!“
Es erſcheinen nun junge Weber und Webermädchen in der Flurthür, die nicht
wagen einzutreten, und eines das andere hereinzuſtoßen ſuchen. Nach einigen
Secunden iſt die Schüchternheit überwunden, und die ärmlichen, mageren, theils
kränklichen, zerlumpten oder geflickten Geſtalten vertheilen ſich in Dreißigers
Zimmer und im Salon, alles zunächſt neugierig und ſcheu betrachtend, dann
betaſtend. Mädchen verſuchen die Sofas, es bilden ſich Gruppen, die ihr Bild
im Spiegel bewundern. Es ſteigen einzelne auf Stühle, um die Bilder zu be-
trachten und herabzunehmen, und inzwiſchen ſtrömen immer neue Jammergeſtalten
vom Flur herein.)
Erſter alter Weber (kommt). Nee, nee, da laßt
mich aber doch zufriede! Unten da fangen ſe
gar ſchonn an und richten an Sache zugrunde. Nu
die Tollheet! Da is doch kee Sinn und kee Verſtand
o nich drinne. Ums Ende wird das noch gar ſehr a beeſe
Ding. Wer hie an hellen Kopp behält, der macht
ni mit. Jch wer mich in Obacht nehmen und wer
mich an ſolchen Unthaten betheiligen.
(Jäger, Bäcker, Wittig mit einem hölzernen Eimer, Baumert und eine
Anzahl junger und alter Weber kommen, wie auf der Jagd nach etwas herein-
geſtürmt, mit heiſeren Stimmen durcheinander rufend.)
Jäger. Wo is a hin?
Bäcker. Wo is der Menſchenſchinder?
Baumert. Könn’ mir Gras freſſen, friß du
Sägeſpäne.
Wittig. Wenn m’rn kriegen, knippen mer’n uf.
Erſter junger Weber. Mir nehmen’n bei a
Been’n und ſchmeißen’n zum Fenſter naus, uff de
Steene, das a bald fer immer liegen bleibt.
Zweiter junger Weber (kommt). A is fort iber
alle Berge.
Alle. Wer denn?
Zweiter junger Weber. Dreißicher.
Bäcker. Feifer o?
Stimmen. Sucht Feifern! ſucht Feifern!
Baumert. Such, ſuch Feiferla, s’ is a Weberſch-
mann auszuhungern.
(Gelächter.)
Jäger. Wenn merſch o ni kriegen, das Dreißicher-
viehch …, arm ſoll a wer’n.
Baumert. Arm ſoll a wer’n, wie ne Kirchen-
maus. Arm ſoll a wer’n:
(Alle ſtürmen in der Abſicht zu
demoliren auf die Salonthüre zu.)
Bäcker (der voran eilt, macht eine Wendung und hält die Anderen auf.)
Halt, hört uf mich! Sei mer hier fertig, da fang m’r
erſcht recht an. Von hier aus geh m’er nach Bielau
niber, zu Dittrichen, der de di mechanſchen Webſtihle
hat. Das ganze Elend kommt von a Fabriken.
Der alte Anſorge (kommt vom Flur herein. Nach-
dem er einige Schritte gemacht, bleibt er ſtehen, ſieht ſich ungläubig um,
ſchüttelt den Kopf, ſchlägt ſich vor die Stirn und ſagt). Wer bin ich?
D’r Weber Anton Anſorge. Js a verruckt geworn,
Anſorge? ’S is wahr, mit mir dreht ſich’s um’s
Kreisel rum wie ne Bremſe. Was macht a hier?
Was a luſtig is, wird a woll machen. Wo is a
hier, Anſorge?
(Er ſchlägt ſich wiederholt vor den Kopf.) Jch bin ni
geſcheut! Jch ſteh fer niſcht. Jch bin ni recht
richtig. Geht weg, geht weg! Geht weg, Jhr Rebeller!
Kopp weg, Beene weg, Hände weg. Nimmſt du m’r
mei Häusl, nehm ich d’r dei Häusl. Jmmer druff!
(Mit Geheul ab in den Salon. Die Anweſenden folgen ihm mit Gejohl
und Gelächter.)
Ende des vierten Aktes.Fünfter Akt.
Perſonen des fünften Aktes.
Bäcker.
Moritz Jäger.
Der alte Baumert.
Wittich.
Hornig.
Der alte Hilſe, Weber.
Seine Frau.
Gottlieb, ſein Sohn.
Luiſe, deſſen Frau.
Schmidt, Chirurgus.
Junge und alte Weber und Weberfrauen.
Langen-Bielau. — Das Weberſtübchen des alten Hilſe. Links
ein Fenſterchen, davor ein Webſtuhl, rechts ein Bett, dicht daran
gerückt ein Tiſch. Jm Winkel rechts der Ofen mit Bank. Um
den Tiſch, auf Ritſche, Bettkante und Holzſchemel ſitzend:
der alte Hilſe, ſeine ebenfalls alte, blinde und faſt taube
Frau, ſein Sohn Gottlieb und deſſen Frau Luiſe, bei der
Morgenandacht. Ein Spulrad mit Garnwinde ſteht zwiſchen
Tiſch und Webſtuhl. Auf den gebräunten Deckbalken iſt aller-
hand altes Spinn-, Spul- und Webegeräth untergebracht.
Lange Garnſträhne hängen herunter. Vielerlei Praſt liegt
überall im Zinmer umher. Der ſehr enge, niedrige und
flache Raum hat eine Thür nach dem „Hauſe“ in der Hinter-
wand. Dieſer Thür gegenüber im „Hauſe“ ſteht eine andere
Thür offen, die den Einblick gewährt in ein zweites, dem
erſten ähnliches Weberſtübchen. Das Haus iſt mit Steinen
gepflaſtert, hat ſchadhaften Putz und eine baufällige Holztreppe
hinauf zur Dachwohnung. Ein Waſchfaß auf einem Schemel
iſt theilweiſe ſichtbar; ärmlichſte Wäſcheſtücke, Hausrath armer
Leute ſteht und liegt durcheinander. Das Licht fällt von der
linken Seite in alle drei Räumlichkeiten.
Der alte Hilſe (ein bärtiger, ſtarkknochiger, aber nun von Alter,
Arbeit, Krankheit und Strapazen gebeugter und verfallener Mann. Veteran,
einarmig. Er iſt ſpitznafig von fahler Geſichtsfarbe, zittrig, ſcheinbar nur Haut,
Knochen und Sehne und hat die tiefliegenden, charakteriſtiſchen, gleichſam wunden
Weberaugen. — Nachdem er ſich mit Sohn und Schwiegertochter erhoben, betet er:)
Du lieber Herrgott, mir kenn Dir gar nich genug Dank
bezeigen, das Du uns auch dieſe Nacht in deiner Gnade
und Güte … und haſt Dich unſer erbarmt. Das mir
auch dieſe Nacht nich han keen’n Schaden genommen.
„Herr Deine Güte reicht ſo weit“, und mir ſein arme,
beeſe ſindhafte Menſchenkinder, ni wert, daß dei Fuß uns
zertritt, a ſo ſindhaftich und ganz verderbt ſein mir.
Aber Du lieber Vater willſt uns anſehn und annehmen
um Deines teuren Sohnes unſers Herrn und Heilands
Jeſus Chriſtus willen. „Jeſu Blut und Gerechtig-
keit, das is mein Schmuck und Ehrenkleid.“ Und
wenn auch mir, und mer wern manchmal kleenmütich
under Deiner Zuchtrute — wenn, und der Owen
d’r Läutrung und brennt gar zu rasnich heiß — da
rech’s uns ni zu hoch an, vergieb uns unſre Schuld.
Gieb uns Geduld, himmliſcher Vater, daß mir nach
dieſem Leeden und wern theilhaftig Deiner ewigen
Selichkeet, amen.
Mutter Hilſe (welche vorgebeugt mit Anſtrengung gelauſcht hat,
weinend). Nee, Vaterle, Du machſt a zu a ſcheenes
Gebete machſt Du immer.
(Luiſe begiebt ſich an’s Waſchfaß, Gottlieb in’s gegenüberliegende Zimmer.)
Der alte Hilſe. Wo is denn’s Madel?
Luiſe. Niber nach Peterſchwalde — zu
Dreißichern. Se hat wieder a par Strähne verſpult
nächt’n Abend.
Der alte Hilſe (ſehr laut ſprechend). Na, Mutter,
nu wär ich D’r’ſch Rädla bringen.
Mutter Hilſe. Nu brings, brings, Aaler.
Der alte Hilſe (das Spulrad vor ſie hinſtellend). Sieh
ock, ich wollt D’r’ſch ja zu gerne abnehmen…
Mutter Hilſe. Nee .. nee .. was thät ock ich
anfangen mit der vielen Zeit!?
Der alte Hilſe. Jch wer D’r de Finger a
biſſel abwiſchen, das nich ernt’s Garn und wird fettig
— herſcht de
(Er wiſcht ihr mit einem Lappen die Hände ab.)
Luiſe (vom Waſchfaß). Wo hätt’ mir ock Fettes gegeſſen!?
Der alte Hilſe. Hab’n mer kee Fett, eſſ’ mir’ſch
Brot trocken — hab’n mer kee Brot, eſſ mer Kartoffeln
— hab’n mer keene Kartoffeln ooch nich, da eſſ mer
rockne Kleie.
Luiſe (bazich). Und habn mer kee Schwarzmehl,
da machen mer’ſch wie Wenglerſch unten, da ſehn m’r
dernach, wo d’r Schinder a verreckt’ Ferd hat ver-
ſcharrt das graben m’r aus, und da leben mer a mal
a par Wochen von Luder —: a ſo mach mer’ſch! nich wahr?
Gottlieb (aus dem Hinterzimmer). Was Geier haſt
Du fer a Geſchwatze!?
Der alte Hilſe. Du ſolltſt Dich mehr vorſehn
mit gottloſen Reden!
(Er begiebt ſich an den Webſtuhl, ruft). Wolltſt
m’r ni helfen, Gottlieb — ’s ſein ock a par Fädel
z’um durchziehn.
Luiſe (vom Waſchfaß aus). Gotlieb, ſollſt Vatern
zureechen.
(Gottlieb kommt. Der Alte und ſein Sohn beginnen nun die mühſame Arbeit des
„Kammſtechen“: Fäden der Werfte werden durch die Augen der Kämme oder Schäfte
am Webſtuhl gezogen. Kaum haben ſie begonnen, ſo erſcheint im „Hauſe“ Hornig.
Hornig (in der Stubenthür). Viel Glick zum Handwerk!
Der alte Hilſe und Sohn. Scheen Dank,
Hornig! Nu ſag amal, wenn ſchläfſt Du d’n eegntlich?
Bei Tage gehſt uf a Handel, in dr Nacht ſtehſt de uf
Wache.
Hornig. Jch hab doch garken’n Schlafnimehr!…?
Luiſe. Willkommen, Hornig!
Der alte Hilſe. Na was bringſt Du Gudes?
Hornig. Scheene Neuigkeeten, Meeſter. De
Peterſchwalder habn amal ’n Teiwel riskirt und haben
a Fabrikant Dreißiger mit ſamſt der ganzen Familie
zum Loche naus gejagt.
Anna (mit Spuren von Erregung). Hornig lügt wieder
amal in a hellen Morgen nein.
Hornich. Dasmal nich junge Frau! dasmal nich.
— Scheene Kinderſchirzl’ hätt’ ich im Wagen. Nee
nee ich ſag reene Warheet. Se haben ’n heilig fort-
gejagt. Geſtern Abend is a nach Reechenbach kommen.
Na Gott zu Dir! Da han’ſ’n doch ni erſcht amal
wolln behaltn, — aus Furcht vor a Webern, — da
hat a doch plutze wieder fortgemußt uf Schweinitz nein —
Die Weber. 7
Der alte Hilſe (Er nimmt Fäden der Werfte vorſichtig auf
und bringt ſie in die Nähe des Kammes, durch deſſen eines Auge der Sohn von
der anderen Seite mit einem Drahthäkchen greift, um die Fäden hindurchzuziehen.)
Nu haſt’ aber Zeit, das de unfhörſcht, Hornig!
Hornig. Jch will ni mit heilen Knochen von d’r
Stelle gehn. Nee, nee, das weeß ja bald jedes Kind.
Der alte Hilſe. Nu ſag amal, bin ich nu
verwirrt, oder biſt Du verwirrt.
Hornig. Nu das heeßt. Was ich Dir erzählt,
hab, das is a ſo wahr, wie Amen in d’r Kirche; ich
wollte ja niſcht ſagen, wenn ich und ich hätte nich d’rbei
geſtanden, aber a ſo hab ichs doch geſehn. Mit eegnen
Augen, wie ich Dich hier ſehn thu, Gottlieb. Gedemolirt
haben ſe’n Fabrikanten ſei Haus, unten vom Keller uf
bis oben ruff unter de Dachreiter. Aus a Dachfenſtern
haben ſe’s Porzlan geſchmiſſen — immer iberſch Dach
nunter. Wie viel hundert Schock Parchend liegen blos
in d’r Bache?! ’S Waſſer kann nimehr fort, kannſt’s
glooben, ’s kam immer iber a Rand riber gewellt, ’s
ſah orntlich ſchwefelblau aus von dem vielen Jndigo,
den ſe haben aus a Fenſtern geſchüt’t. Die himmel-
blauen Staubwolken, die kamen blos immer a ſo gepul-
wert. Nee, nee, dort haben ſe ſchonn fürchterlich geäſchert.
Ni ock etwa im Wohnhauſe. … Jn d’r Färberei …
uf a Speichern …! ’S Treppengeländer zerſchlagen, de
Dielen ufgeriſſen — Spiegel zertrimmert — Sofa,
Seſſel, alles zerriſſen und zerſchliſſen, zerſchnitten und zer-
ſchmiſſen — zertreten und zerhackt — nee verpucht! —
kannſt’s glooben, ſchlimmer wie im Kriege.
Der alte Hilſe. Und das ſollten hieſige Weber
geweſt ſein!?
(Er ſchüttelt langſam und ungläubig den Kopf. An der
Thür haben ſich neugierige Hausbewohner geſammelt).
Hornig. Nu, was denn ſonſte? Jch kennte ja
alle mit Namen genen’n. Jch fihrt a Landrath durch’s
Haus. Da hab ich ja mit vielen geredt. Se warn
a ſo umgänglich, wie ſonſte. Se machten ihre Sache
a ſo ſachte weg, aber ſe machten’s grindlich. D’r Land-
rath redte mit vielen. Da warn ſe a ſo dehmütig wie
ſonſte. Aber abhaltn ließen ſe ſich nich. Die ſcheenſten
Möbelſticke, die wurden zerhackt, ganz wie fürſch
Lohn.
Der alte Hilſe. A Landrath hättſt Du durchs
Haus geführt?
Hornig. Nu, ich wer mich doch ni fürchten.
Jch bin doch bekannt bei den Leuten, wie a beeſe
Greſchel. Jch hab doch mit keen’n niſcht. Jch ſteh
doch mit allen gut. A ſo gewiß, wie ich Hornig
heeße, ſo wahr bin ich durchgegangen. Und ihr kennt’s
dreiſte glooben —: mir is orntlich weech worn hie rum —
und’n Landrath, dem ſah ich’s woll ooch an — ’s ging
’n nahe genug. Denn warum? — Ma hörte ooch
noch nich amal a eenzichtes Wort, a ſo ſchweigſam
ging’s her. Orntlich feierlich wurd’ een zu Mutte,
wie die armen Hungerleider und nahmen amal ihre
Rache — dahier.
Luiſe (mit ausbrechender, zitternder Erregung. Zugleich die Augen
mit der Schürze reibend). A ſo is ganz recht, a ſo muß kommen!
Stimmen der Hausbewohner. „Hier gäbs o
Menſchenſchinder genug.“ „Da drüben wohnt glei
eener.“ „Der hat vier Pferde und ſechs Kutſch-
wagen im Stalle und läßt ſeine Weber d’rfüre
hungern.“
Der alte Hilſe (immer noch ungläubig.) Wie ſollte das
a ſo rauskommen ſein, dort driben?
Hornig. Wer weeß’nu!? Wer weeß’ ooch!? Eener
ſpricht ſo, d’r andre ſo.
Der alte Hilſe. Was ſprechen ſe denn?
Hornig. Na, Gott zu Dir, Dreißiger ſollte
geſagt habn: de Weber kennten ja Gras freſſen, wenn ſe
hungern täten. Jch weeß nu weiter nich.
(Bewegung auch unter den Hausbewohnern, die es einer dem andern unter
Zeichen der Entrüſtung weiter erzählen.)
Der alte Hilſe. Nu hör amal, Hornig. Du
7*
kennſt mir meinswegn ſagen: Vater Hilſe, morgen
mußt Du ſterben. Das kann ſchonn meeglich ſein, würd’
ich ſprechen — warum denn ni? — Du kenntſt mir
ſagen: Vater Hilſe, morgen beſucht Dich d’r Keenich von
Preußen — aber das Weber, Menſchen wie ich und
mei Sohn — und ſollten ſolche Sachen haben vor-
gehabt. Nimmermehr! Nie und nimmer wer’ ich
das glooben.
Mielchen (ſiebenjähriges, hübſches Mädchen, mit langen, offenen
Flachshaaren, ein Körbchen am Arm, kommt hereingeſprungen. Der Mutter
einen ſilbernen Eßlöffel entgegenhaltend). Mutterle, Mutterle! ſieh
ock, was ich hab! Du ſollſt mer a Kleedl d’rfor koofen.
Luiſe. Was kommſt ’n Du a ſo gejähdert,
Mädel?
(Mit geſteigerter Aufregung und Spannung.) Was bringſt
’n da wieder geſchleppt, ſag emal. Du biſt ja ganz
hinter a Oden gekommen. Und de Feifel ſein noch im
Körbel. Was ſoll denn das heeßen, Mädel?
Der alte Hilſe. Mädel, wo haſt Du den
Löffel her?
Luiſe. Kann ſein, ſe hat’n gefunden.
Hornig. Seine zwee, drei Thaler is der gut
werth.
Der alte Hilſe (außer ſich). Naus, Mädel! naus!
Glei machſt das d’ naus kommſt. Wirſcht Du glei
folgen, oder ſoll ich a Prügel nehmen?! Und den
Leffel trägſt hin, wo d’n her haſt. Naus! Willſt
Du uns alle mitſammen zu Dieben machen, hä? Dare,
Dir wer ich’s mauſen austreiben
(er ſucht etwas zum hauen).
Mielchen (ſich an der Mutter Röcke klammernd, weint). Groß-
vaterle, hau mich nich — mer — haben’s — doch
ge—gefunden. De — Spul … Spul — Kinder —
haben — alle — welche.
Luiſe (zwiſchen Angſt und Spannung hervor ſtoßend). Nu da
ſiehſt’s doch, gefunden hat ſi’s. Wo haſt’s denn ge-
funden?
Mielchen (ſchluchzend). Jn Peterſch — walde haben —
merſch ge—funden, vor Dreißigerſch — Hauſe.
Der alte Hilſe. Nu da hätt m’r ja de Be-
ſcheerung. Nu mach aber lang, ſonſter wer ich d’r
auf a Trabb helfen.
Mutter Hilſe. Was geht denn vor?
Hornig. Jtz will ich dr was ſagn, Vater Hilſe.
Laß Gottlieben a Rock anziehn, a Löffel nehmen und
auf’s Amt tragen.
Der alte Hilſe. Gottlieb, zieh d’r a Rock an!
Gottlieb (ſchon im Anziehen begriffen, eifrig). Und da wer
ich uf de Kanzlei gehn und ſprechen: ſe ſollten’s nich
übel nehmen, a ſo a Kind hätte halt doch no nich a
ſo’s Verſtändniß dervon. Und da brächt ich da
Löffel. Hier uf zu flern Mädel!
(Das weinende Kind wird von der Mutter in’s Hinterzimmer gebracht, deſſen
Thür fie ſchließt. Sie ſelbſt kommt zurück.)
Hornig. Seine drei Thaler kann der gutt
werth haben.
Gottlieb. Gieb ock a Tichl, Luiſe, daß a nich
zu Schaden kommt. Nee nee, a ſo, a ſo a teuer
Dingel
(er hat Thränen in den Augen, während er den Löffel einwickelt.)
Luiſe. Wenn mir a hätt’n, kennt mer viele
Wochen leben.
Der alte Hilſe. Mach, mach, feder Dich!
Feder Dich a ſo ſehr, wie de kannſt! Das wär a ſo
was! Das fehlt’ mir noch grade. Mach, das mir
den Satansleffel vom Halſe kriegen.
(Gottlieb ab mit dem Löffel.)
Hornig. Na nu wer ich ooch ſehn, das ich
weiter komme.
(Er geht, unterhält ſich im Haus noch einige Sekunden,
dann ab.)
Chirurgus Schmidt (ein queckſilbriges, kugliches Männchen
mit weinrothem, pfiffigem Geſicht kommt in’s Haus). Gu’n morgen, Leute!
Na, das ſind m’r ſcheene Geſchichten. Kommt mir nur!
(Mit dem Finger drohend.) Jhr habt’s dick hinter’n Ohren.
(Jn der Stubenthür, ohne herein zu kommen.) Gu’n morgen, Vater
Hilſe!
(Zu einer Frau im „Hauſe“.) Nu Mutterle, wie ſteht’s
midn Reißen? Beſſer, wie? Na ſäht ihr woll.
Vater Hilſe, ich muß doch och mal ſchaun, wie’s bei
Euch ausſieht. Was Teuwel, is denn dem Mutterle?
Luiſe. Herr Docter, de Lichtadern ſein er
vertrocknt, ſe ſieht gar gar niſcht mehr.
Chirurgus Schmidt. Das macht der Staub
und das Weben bei Licht. Na ſagt amal, kennt ihr
Euch dariber ’n Verſch machen? Ganz Peterſchwaldau
is ja auf’n Beinen hierriber. Jch ſetz mich heut frieh
in meinen Wagen, denke niſcht ibels, nicht mit einer
Faſer. Höre da förmlich Wunderdinge. Was in
drei Teiwels Namen iſt denn in die Menſchen gefahren,
Hilſe? Wüthen da wie ’n Rudel Welfe. Machen
Revolution, Rebellion; werden renitent, plündern
und marodiren … Mielchen! wo is denn Mielchen?
(Mielchen, noch roth vom Weinen, wird von der Mutter herein geſchoben.)
Da, Mielchen, greif mal in meine Rockſchöße.
(Mielchen
thut es.) Die Fefferniſſe ſind Deine. Na, na; nich
alle auf einmal. Schwernotsmädel! Erſt ſingen!
Fuchs du haſt die … na? Fuchs du haſt die …
Gans … Wart nur Du, was Du gemacht haſt:
Du haſt ja die Sperlinge uf’n Pfarrzaune Stengel-
ſcheißer genannt. Die haben’s angezeigt bei’m Herr
Kanter. Na nu ſag blos ein Menſch. An finfzehn-
hundert Menſchen ſind auf der Achſe.
(Fernes Glockenläuten.)
Hört mal: — in Reichenbach leuten ſie Sturm. Finf-
zehnhundert Menſchen. Der reine Weltuntergang.
Unheimlich!
Der alte Hilſe. Da kommen ſi wirklich hierriber
nach Bielau?
Chirurgus Schmidt. Nu freilich, freilich, ich
bin ja durchgefahren. Mitten durch a ganzen Schwarm.
Am liebſten wär ich abgeſtiegen und hätte glei jed’m
a Pulwerle gegeben. Da trottelt eener hinter’m andern
her, wie’s graue Elend und verführen ein Geſinge, daß
een förmlich a Magen umwendt, daß een richtig zu
wirgen anfängt. Mei Friedrich uf’m Bocke, der hat
genatſcht wie a alt Weib. Mir mußten uns glei
d’rhinter her ’n tichtichen Bittern koofen. Jch mechte
kee Fabrikante ſein, und wenn ich gleich uf Gummi-
rädern fahr’n kennte.
(Fernes Singen.) Horcht mal! Wi-
wenn man mit a Knecheln ’n alten, zerſprungenen
Bunzeltopp bearbeit’. Kinder, das dauert nich fünf
Minuten, da haben mer ſe hier. Adje Leute. Macht
keene Tummheiten. Militär kommt gleich dahinter her.
Bleibt bei Verſtande. Die Peterswaldauer habm a
Verſtand verloren.
(Nahes Glockenläuten.) Himmel nu
fangen unſere Glocken auch noch an, da müſſen ja
die Leute vollens ganz verrikt werd’n.
(Ab in den Oberſtock.)
Gottlieb (kommt wieder. Noch im „Hauſe“ mit fliegendem Athem).
Jch hab ſe geſehn, ich hab ſe geſehn.
(Zu einer Frau im
„Hauſe“.) Se ſein da, Muhme, ſe ſein da!
(Jn der Thür.)
Se ſein da, Vater, ſe ſein da! Se haben Bohnen-
ſtangen und Stichliche und Hacken. Se ſtehn ſchonn
bei’m oberſchten Dittriche und machen Randal. Se
kriegen gloob ich Geld ausgezahlt. O jes’s, was wird
ock noch werden dahier? Jch ſeh nich hin. A ſo viel
Leute, nee a ſo viel Leute! Wenn die erſcht, und
nehmen an Anlauf — o verpucht, o verpucht! da ſein
unſere Fabrikanten o beeſe dran.
Der alte Hilſe. Was biſt de denn ſo gelaufen.
Du wirſcht a ſo lange jächen, biſte wirſcht wieder
amal dei altes Leiden haben, biſte wirſcht wieder amal
unf’n Ricken liegen und um dich ſchlagen.
Gottlieb (halb und halb freudig erregt). Nu ich mußte
doch laufen, ſonſte hätten die mich ja feſte gehalten. Se
prillten ja ſchonn alle: ich ſollte de Hand auch hinrecken.
Pate Baumert war ooch dr’bei. Der meent’ iber mich,
hol d’r ock ooch an Finfbehmer, du biſt o a armer
Hungerleider. A ſagte gar: ſag du’s dein’n Vater. …
Jch ſollt’s ihn ſagen, Vater, ſe ſollten kommen und ſollten
mit helfen a Fabrikanten de Schinderei heemzahlen.
(Mit
Leidenſchaft.) ’s kämen jetzt andre Zeiten, meent’ a. Jetzt
thät a ganz andre Ding werden mit uns Webern.
M’r ſollten alle kommen und’s mithelfen durchſetzen. Mir
wollten alle jetzt o unſer Halbfindl Fleeſch zum Sonn-
tage haben, und an allen heiligen Tagen amal an Blutt-
wurſcht und Kraut. Das thät jetzt alles a ganz andre
Geſichte kriegen, meent’ er über mich.
Der alte Hilſe (mit unterdrückter Entrüſtung). Und das
will dei Pate ſein?! Und heeßt dich a an ſolchen
ſträflichen Werke mit theelnehmen?! Laß du dich nich
in ſolche Sachen ein, Gottlieb. Da hat d’r Teifel
ſeine Hand im Spiele. Das is Satansarbeit, was
die machen.
Luiſe (übermannt von leidenſchaftlicher Aufregung, heftig). Ja,
ja, Gottlieb, kaffer du dich hinter a Owen in de Helle,
nimm d’r an Kochleffel in de Hand und ne Schiſſel voll
Puttermilch uf de Kniee, zieh d’r a Reckel an und
ſprich Gebetel, ſo biſt’n Vater recht. — Und das
will a Mann ſein?
(Lachen der Leute im „Hauſe“.)
Der alte Hilſe (bebend mit unterdrückter Wuth). Und du
willſt ne richtige Frau ſein, hä? Da wer ich dirſch amal
orntlich ſagen. Du willſt ne Mutter ſein und haſt
ſo a meſchantes Maulwerk dahier. Du willſt dein’n
Mädel Lehren geben und hetzt dein’n Mann uf zu
Verbrechen und Ruchloſichkeiten?!
Luiſe (maßlos). Mit euren bigotten Räden . . . .
dadervon da is mir o noch nich amal a Kind ſatt
geworn. Derwegen han ſe gelegen, alle viere in Unflat
und Lumpen. Da wurd ooch noch nich amal a eenzichtes
Winderle trocken. Jch will ne Mutter ſein, daß d’s
weeßt! und deswegen, daß d’s weeßt, winſch ich a
Fabrikanten de Hölle und de Peſt in a Rachen ’nein. Jch
bin ebens ne Mutter. — Erhält ma woll ſo a
Wirmel?! Jch hab mehr geflennt wie Oden geholt,
von dem Augenblicke an, wo a ſo a Hiperle uf de
Welt kam, bis d’r Tot und erbarmte ſich drüber.
Jhr habt euch an Teiwel geſcheert. Jhr habt gebet’t
und geſungen, und ich hab m’r de Fiſſe bluttich gelaufen
nach een’n eenzichten Neegl Puttermilch. Wie viel
hundert Nächte hab ich mir a Kopp zerklaubt, wie
ich ock und ich kennte ſo a Kindel ock a eenzich
mal um a Kirchhoof rumpaſchen. Was hat ſo a
Kindel verbrochen, hä? und muß ſo a elendigliches
Ende nehmen — und drieben bei Dittrichen, da wern
ſe in Wein gebadt und mit Milch gewaſchen. Nee,
nee! wenn’s hie losgeht — ni zehn Pferde ſolln mich
zuricke halten. Und das ſag ich: ſtirmen ſe Dittrichens
Gebäude — ich bin de Erſchte — und Gnade jeden
der mich will abhalten. — Jch habs ſatt, a ſo viel
ſteht feſte.
Der alte Hilſe. Du biſt gar verfallen, dir is
ni zu helfen.
Luiſe (in Raſerei). Euch is nich zu helfen. Lappärſche
ſeid ihr. Haderlumpe aber keene Manne. Gattſchliche
zum anſpucken. Weechquarggeſichter, die vor Kinder-
klappern reißaus nehmen. Kerle, die dreimal „ſcheen
dank“ ſagen fer ne Tracht Prügel. Euch haben ſe de
Adern ſo leer gemacht, das ihr ni amal mehr
kennt rot anlaufen im Geſichte. An Peitſche ſollt ma
nehmen und euch a Kriin einbläun in eure faulen
Knochen.
(Schnell ab.)
(Verlegenheitspauſe.)
Mutter Hilſe. Was is denn mit Liesl’n, Vater?
Der alte Hilſe. Niſchte, Mutterle. Was ſoll
denn ſein?!
Mutter Hilſe. Sag amal, Vater, macht mirſch
blos a ſo was vor, oder läuten de Glocken?
Der alte Hilſe. Se wern een’n begraben, Mutter.
Mutter Hilſe. Und mit mir wills halt immer
noch kee Ende nehmen. Warum ſterb ich ock gar
nich, Mann?
(Pauſe.)
Der alte Hilſe (läßt die Arbeit liegen, richtet ſich auf, mit
Feierlichkeit). Gottlieb! — Dei Weib hat uns ſolche
Sachen geſagt. Gottlieb, ſieh amal her!
(Er entblößt
ſeine Bruſt.) Dahier ſaß Ding, a ſo groß wie a Finger-
hutt. Und wo ich men’n Arm hab gelaſſen, das weiß
d’r Keenich. De Mäuſe haben mer’n nich abgefreſſen.
(Er geht hin und her.) Dei Weib — an die dachte noch gar
kee Menſch, da hab ich ſchonn mei Blutt quartweiſe
ferſch Vaterland verſpritzt. Und deshalb mag ſe
plärrn, ſo viel wie ſe Luſt hat. — Das ſoll mir
recht ſein. Das is mir Schißkojenne. — Ferchten?
Jch und mich ferchten? Vor was denn ferchten, ſag
m’r a eenzigtes mal. Vor da Par Soldaten, die de
vielleicht und kommen hinter a Rebellern her? O
Jekerle! wärſch doch! Das wär halb ſchlimm. Nee,
nee, wenn ich ſchonn a biſſel morſch bin uf a Rick
grat. — Wenn’s druf ankommt, hab ich Knochen wie
Elfenbeen. Da nehm ich’s ſchonn noch uf mit a
par lumpigten Bajonettern. — Na und wenn’s gar
ſchlimm käm!? O viel zu gerne, viel zu gerne thät
ich Feirabend machen. Zum Sterben ließ ich mich
gewiß ni lange bitten. Lieber heut wie morgen. Nee,
nee. Und’s wär o gar! denn was verläßt eens denn?
Den alten Marterkaſten wird ma doch ni etwa beweinen?
Das Häuffel Himmelsangſt und Schinderei da, das
ma Leben nennt, das ließ man gerne genug im Stiche
— Aber dann, Gottlieb! dann kommt was — und
wenn ma ſich das auch noch veſcherzt — dernachert is’s
erſcht ganz alle.
Gottlieb. Wer weeß, was kommt, wenn eens tot
is? Geſehn hats keener.
Der alte Hilſe. Jch ſag dirſch, Gottlieb! zweifle
nich an dem Eenzigten, was mir armen Menſchen haben.
Fer was hätt ich denn hier geſeſſen — und Schemmel
getreten uf Mord vierzig und mehr Jahr? und
hätte ruhig zugeſehn, wie der dort drüben in Hoffart
und Schwelgerei lebt — und Gold macht aus mein’n
Hunger und Kummer. Fer was denn? Weil ich
ne Hoffnung hab. Jch hab was in aller der Noth.
(Durch’s Fenſter weiſend.) Du haſt hier deine Parte — ich
driben in jener Welt: das hab ich gedacht. Und ich
laß mich viertheeln — ich hab ne Gewißheet. Es iſt
uns verheißen. Gericht wird gehalten: aber nich mir
ſein Richter, ſondern: mein is die Racha, ſpricht der
Herr, unſer Gott.
Eine Stimme (durchs Fenſter). Weber raus!
Der alte Hiſe. — Vor mir — macht was dr
luſtig ſeid.
(Er ſteigt in den Webſtuhl.) Mich werd’r woll
miſſen drinne laſſen.
Gottlieb (nach kurzem Kampf). Jch wer gehn und
wer arbeiten. Mag kommen, was will.
(Ab. Man hört das
Weberlied, vielhundertſtimmig und in nächſter Nähe geſungen: es klingt wie ein
dumpfes monotones Wehklagen.)
Stimmen der Hausbewohner (im „Hauſe“.) „O
jemerſch, jemerſch, nu kommen ſe aber wie de Ameiſen.“
— „Wo ſein ock die vielen Weber her?“ — „Schipp
ock nich, ich will ooch was ſehn.“ — „Nu ſieh ock die
lange Latte, die de vorne weg geht.“ — „Ach! ach!
nu kommen ſe knippeldicke!“
Hornig (tritt unter die Leute im „Hauſe“). Gellt, das is
amal a ſo a Teater? So was ſieht man nich alle Tage.
Jhr ſollt’t ock ruf kommen zum oberſchten Dittriche.
Da haben ſe ſchonn wieder a Ding gemacht, das an
Art hat. Der hat kee Haus nimehr, keene Fabricke
nimehr — keen Weinkeller nimehr, kee garniſchte mehr.
Die Flaſchen, die ſaufen ſe aus … da nehmen ſe ſich
gar nich erſcht amal Zeit de Froppen rauszureißen.
Eens, zwee, drei, ſein de Hälſe runter. Ob ſe ſich ’s
Maul ufſchneiden mit a Scherben oder nich. Manche
laufen rum und bluten wie de Schweine. — Nu wern
ſe den hieſigen Dittrich ooch noch hochnehmen.
(Der Maſſengeſang iſt verſtummt).
Stimmen der Hausbewohner. Die ſehn doch
reen gar nich a ſo beeſe aus.
Hornig. Nu laßt’s gutt ſein! wart’s ock ab!
jetzt nehmen ſ’n de Gelegenheet erſchte richtig in
Augenſchein. Sieh ock, wie ſe den Palaſt von allen
Seiten uf’s Korn nehmen. Seht ock den kleenen
dicken Mann — a hat ’n Pferdeeimer mite. Das
is a Schmied von Peterſchwalde, a gar a ſehr gefirre
Männdl. Der haut die dickſten Thüren ein, wie
Schaumprezeln — das kennt ’r glooben. Wenn
der amal an Fabrikanten in de Mache kriegt —
der hat aber verſpielt, dahier!
Stimmen der Hausbewohner. „Praaz haſt
a Ding!“ „Da flog a Stein in’s Fenſter!“
„Nu kriegt’s d’r alte Dittrich mit d’r Angſt.“
„A hängt an Tafel raus.“ „An Tafel hängt a
raus?“ „Was ſtehts denn druff?“ „Kannſt du ni
leſen?“ „Was ſollte ock aus mir wern, wenn ich ni
leſen kennte.“ „Na, lies amal!“ „Jhr — ſollt — alle
befrie — digt werden, Jhr — ſollt — alle — befrie-
digt werden.“
Hornig. Das konnt a underwegens laſſen.
Helfen thutt’s ooch nich a ſo viel. Die Briider haben
eegne Mucken. Hier is uf de Fabrike abgeſehn. De
mechanſchen Stihle, die wolln ſe doch aus d’r Welt
ſchaffen. Die ſein’s doch halt eemal, die a Hand-
weber zu Grunde richten: das ſieht doch a Blinder.
Nee, nee! die Chriſten ſein heut eemal im Zuge.
Die bringt kee Landrath und kee Verwalter zu
Verſtande — und keene Tafel ſchonn lange nich. Wer
die hat ſehn wirtſchaften — der weeß, was ’s ge-
ſchlagen hat.
Stimmen der Hausbewohner. „Jhr Leute,
ihr Leute a ſo ne Menſchheet!“ — „Was wolln denn
die?“ —
(haſtig.) „Die kommen ja iber die Bricke riber!?
—
(ängſtlich.) „Die kommen woll uf de kleene Seite?“
(in höchſter Ueberraſchung und Angſt.) „Die kommen zu uns, die
kommen zu uns.“ „Se holn de Weber aus a Häuſern
raus.“
(Alle flüchten, das „Haus“ iſt leer. Ein Schwarm aufſtändiſcher beſchmutzt,
beſtaubt, mit von Schnaps und Anſtrengung gerötheten Geſichtern, wüſt, über-
nächtigt, abgeriſſen, dringt mit dem Ruf: „Waber raus!“ in’s
„Haus“ und zerſtreut ſich von da in die einzelnen Zimmer. Jn’s Zimmer
des alten Hilſe kommt Bäcker und einige junge Weber mit Knütteln und Stangen
bewaffnet. Als ſie den alten Hilſe erkennen, ſtutzen ſie, leicht abgekühlt.)
Bäcker. Vater Hilſe, hört uf mit der Exterei.
Laßt ihr das Bänkl dricken, wer Luſt hat. Jhr
braucht Euch keen’n Schaden nichmehr antreten. Dafor
wird geſorgt wern.
Erſter junger Weber. Jhr ſollt och ken’n Tag
nich mehr hungrich ſchlafen gehn.
Zweiter junger Weber. D’r Weber ſoll wieder
a Dach iber a Kopp und a Hemde uf a Leib kriegen.
Der alte Hilſe. Wo bringt euch d’r Teiwel
her mit Stangen und Aexten.
Bäcker. Die ſchlag mer inzwee uf Dittrichens
Puckel.
Zweiter junger Weber. Die mach m’r glühend
und ſtoppen ſe a Fabrikanten in a Rachen. Das ſe auch
amal merken, wie Hunger brennt.
Dritter junger Weber. Kommt mit, Vater
Hilſe! mir geben kee Pardon.
Zweiter junger Weber. Mit uns hat o keener
Erbarmen gehabt. Weder Gott noch Menſch. Jetzt
ſchaffen mir uns ſelber Recht.
Der alte Baumert (kommt herein, ſchon etwas unſicher auf
den Füßen, einen geſchlachteten Hahn unter’m Arm. Er breitet die Arme aus). Brii
— derle — mir ſein alle Briider! Kommt an mei Herze,
Briider!
(Gelächter.)
Der alte Hilſe. A ſo ſiehſt du aus, Willem!?
Der alte Baumert. Guſtav, Du!? Guſtav,
armer Hungerleider, komm an mei Herze.
(Gerührt.)
Der alte Hilſe (brummt). Laß mich zufriede.
Der alte Baumert. Guſtav, a ſo is’s. Glick
muß d’r Menſch habn. Guſtav, ſchmeiß amal a Auge
uf mich. Wie ſeh ich aus? Glick muß d’r Menſch
haben! Seh ich nich aus wie a Graf?
(Sich auf den Bauch
ſchlagend.) Rat amal, was in dem Bauche ſteckt?
A Edelmansfreſſen ſteckt in dem Bauche. Glick
muß d’r Menſch haben, da kriegt a Schlampancher
und Haſengebratnes. — — Jch wer Euch was ſagen:
mir haben halt an Fehler gemacht: Zulangen miß mer.
Alle (durcheinander). Zulangen miß mer, hurrah!
Der alte Baumert. Und wem’ ma de erſchten
gutten Biſſen verdrickt hat, da ſpiirt ma’s woll balde
in d’r Natur. H—uchjeſus, da kriegt man ne Forſche,
a ſo ſtark wie a Bremmer. Da treibt’s een de Stärke
aus a Gliedmaßen ock a ſo raus, das man gar nimehr
ſieht, wo man hinhaut. Verflugaſich die Luſt aber ooch!
Jäger (in der Thür, bewaffnet mit einem alten Kavallerieſäbel).
Mir habn a par famoſte Attacken gemacht.
Bäcker. Mir haben die Sache ſchon ſehr gutt
begriffen. Eens, zwee, drei, ſind mer drinne in a Häuſern.
Da gehts aber o ſchonn wie helles Feuer. Daß’ ock
a ſo praſſelt und zittert. Daß’ de Funken ſpritzen, wie
ei d’r Feuereſſe.
Erſter junger Weber. Mir ſollten gar amal a
klee Feuerle machen.
Zweiter junger Weber. Mir ziehn nach Reechen-
bach und zinden a Reichen de Häuſer iberm Koppe an.
Jäger. Das wär den a Geſtrichnes. Da
kriegten ſe erſcht gar viel Feuerkaſſe.
(Gelächter.)
Bäcker. Von hier ziehn mer na Freiburg zu
Tromtra’n
Jäger. M’r ſollten amal de Beamten hoch
nehmen. Jch hab’s geleſen, von a Birokratern kommt
alles Unglicke.
Zweiter junger Weber. Mir ziehn balde nach
Breslau. Mir kriegen ja immer mehr Zulauf.
Der alte Baumert (zu Hilſe). Nu trink amal,
Guſtav!
Der alte Hilſe. Jch trink nie keen’n Schnaps.
Der alte Baumert. Das war in d’r alten Welt,
heut ſind mir in eener andern Welt, Guſtav!
Erſter junger Weber. Alle Tage is nich
Kirms.
(Gelächter.)
Der alte Hilſe (ungeduldig). Jhr Höllenbrände, was
wollt Jhr bei mir.
Der alte Baumert (ein wenig verſchüchtert, überfreundlich).
Nu ſieh ock, ich wollt d’r a Hähndl bringen. Sollſt
Muttern dervon an Suppe kochen.
Der alte Hilſe (betroffen, halb freundlich). O, geh und
ſags Muttern.
Mutter Hilſe (hat, die Hand am Ohr, mit Anſtrengung hin-
gehorcht, nun wehrt ſie mit den Händen ab). Laſſt mich zufriede.
Jch mag keene Hühndlſuppe.
Der alte Hilſe. Haſt recht, Mutter. Jch ooch
nich. A ſo eene ſchonn gar nich. Und Dir, Baumert!
Dir will ich a Wort ſagn. Wenn de Alten ſchwatzen
wie de kleen’n Kinder, da ſteht d’r Teiwel uf’m Koppe
vor Freeden. Und das ihr’ſch wißt! Das ihr’ſch alle
wißt: Jch und Jhr, mir haben niſcht nich gemeen.
Mit mein’n Willen ſeit’r nich hier. Jhr habt hier nach
Recht und Gerechtichkeet niſcht nich zu ſuchen!
Stimme. Wer nich mit uns is, der is wider uns.
Jäger (brutal drohend). Du biſt gar ſehr ſchief ge-
wickelt. Hör amal, Aaler, mir ſind keene Diebe.
Stimme. Mir haben Hunger, weiter niſcht.
Erſter junger Weber. Mir wolln leben und
weiter niſcht. Und deshalb haben mer a Strick
durchgeſchnitten an dem mer hingen.
Jäger. Und das war ganz recht!
(Dem Alten
die Fauſt vor’s Geſicht haltend.) Sag Du noch ee Wort. Da
ſetzt’s a Ding ’nein — mitten in’s Zifferblatt.
Bäcker. Gebt Ruhe, gebt Ruhe, laß Du den
alten Mann. — Vater Hilſe: a ſo denken mir eemal:
eher tot, wie a ſo a Leben noch eemal anfangen.
Der alte Hilſe. Hab ich’s nich gelebt ſechzig
und mehr Jahr?
Bäcker. Das is eegal, anderſcher muß doch
werden.
Der alte Hilſe. Am Nimmermehrſchtage.
Bäcker. Was mir nich guttwillig kriegen, das
nehmen mir mit Gewalt.
Der alte Hilſe. Mit Gewalt?
(Lacht.) Nu da
laßt Euch bald begraben dahier. Se werns Euch be-
weiſen, wo de Gewalt ſteckt. Nu wart ock, Pirſchl!
Jäger. Etwa wegen a Soldaten? Mir ſein auch
Soldaten geweſt. Mit a par Companieen wern mir
ſchonn fertig werden.
Der alte Hilſe. Mid’n Maule, da gloob ich’s.
Und wenn ooch: Zweee jagt’r naus, zehne kommen
wieder rein.
Stimmen (durch’s Fenſter). Militär kommt. Seht
Euch vor!
(Allgemeines, plötzliches Verſtummen. Man hört einen Moment ſchwach Quer-
pfeifen und Trommeln. Jn die Stille hinein ein kurzer, unwillkürlicher Ruf:
„O verpucht! Jch mach lang!“
(Allgemeines Gelächter.)
Bäcker. Wer redt hier von ausreißen? Wer
is das geweſt?
Jäger. Wer tutt ſich hier firchten, vor a par
lumpichten Pickelhauben? Jch wer Euch kommandiren.
Jch bin beim Commis geweſt. Jch kenne den Schwindel.
Der alte Hilſe. Mit was wollt’ern ſchiſſen?
Woll mit a Priegeln, hä?
Erſter junger Weber. Den alten Kropp laßt
zufriede, a is ni recht richtig im Oberſtibel.
Zweiter junger Weber. A biſſel ibertrabt
is a ſchonn.
Gottlieb (iſt unbemerkt unter die Aufſtändiſchen getreten, packt den
Sprecher). Sollſt Du an alten Manne ſo vlämſch kommen?
Erſter junger Weber. Laß mich zufriede, ich
hab niſcht geſagt beeſes.
Der alte Hilſe (ſich ins Mittel legend). O laß Du a
labern. Vergreif Dich nich, Gottlieb. A wird balde
genug einſehn, wer de heute verwirrt is, ich oder er.
Bäcker. Gehſt’ mit uns, Gottlieb?
Der alte Hilſe. Das wird a woll bleiben laſſen.
Luiſe (kommt in’s Haus, ruft herein). O halt Euch ni
uf erſcht. Mit ſolchen Gebetbichl-Hengſten verliert
erſcht keene Zeit. Kommt uf a Platz! Uf a Platz
ſollt’r kommen. Pate Baumert kommt a ſo ſchnell wie
er kennt. Dr Major ſpricht mit a Leuten vom Ferde
runter. Se ſollten heem gehn. Wenn ihr ni ſchnell
kommt, haben mer verſpielt.
Jäger (im Abgehen). Du haſt’n ſcheen’n tapfern Mann.
Luiſe. Wo hätt ich an Mann? Jch hab gar
keen’n Mann!
(Jm „Hauſe“ ſingen einige.)
’S war amal a kleener Mann
Hee, juchhee!
Der wollt a groß Weibl han
Hee didel didel dim dim dim heiraſſaſſa!
Der alte Wittig (iſt, einen Pferdeeimer in der Fauſt, vom
Oberſtock gekommen, will hinaus, bleibt im „Hauſe“ einen Augenblick ſtehen.)
Druf! wer de kee Hundsfott ſein will, Hurrah!
(Er ſtürmt hinaus. Eine Gruppe, darunter Luiſe und Jäger folgen ihm mit „Hurrah“.)
Bäcker. Lebt gſund, Vater Hilſe, mir ſprechen
uns wieder.
(Will ab.)
Der alte Hilſe. Das gloob ich woll ſchwerlich.
Fünf Jahr leb ich nimehr. Und eher kommſte ni
wieder raus.
Die Weber. 8
Bäcker (verwundert ſtehen bleibend). Wo denn her, Vater
Hilſe?
Der alte Hilſe. Aus ’n Zuchthauſe, woher
denn ſonſte?
Bäcker (wild herauslachend). Das wär mir ſchonn lange
recht. Da kriegt ma wenigſtens ſatt Brot, Vater
Hilſe!
(Ab.)
Der alte Baumert (war in ſtumpfſinniges Grübeln, auf
einem Schemel hockend, verfallen; nun ſteht er auf). ’S is wahr,
Guſtav, an’ kleene Schleuder hab ich. Aber derwegen
bin ich noch klar genug im Kopfe — dahier. Du
haſt deine Meenung von der Sache, ich hab meine.
Jch ſag: Bäcker hat recht, nimmt’s a Ende in Ketten
und Stricken: — Jm Zuchthauſe is immer noch beſſer
wie drheeme. Da is ma verſorgt; da braucht ma
nich darben. Jch wollte ja gerne nich mitmacha. Aber
ſieh ock, Guſtav; d’r Menſch muß doch a eenziges
Mal an Augenblick Luft kriegen.
(Langſam nach der Thür.)
Leb geſund, Guſtav. Sollte was vorfalln, ſprich a
Gebetl fer mich mit, herſcht!
(Ab.)
(Von den Aufſtändiſchen iſt nun keiner mehr auf dem Schauplatz. Das „Haus“
füllt ſich allmälig wieder mit neugierigen Bewohnern. Der alte Hilſe knüpft an
der Werfte herum. Gottlieb hat eine Art hinterm Ofen hervor geholt und prüft
bewußtlos die Schneide. Beide, der Alte und Gottlieb, ſtumm bewegt. Von
draußen dringt das Summen und Brauſen einer großen Menſchenmenge.)
Mutter Hilſe. Nu ſag ock, Mann — de Dielen
zittern ja a ſo ſehr — was geht denn vor. Was ſoll
denn hier werdn?
(Pauſe.)
Der alte Hilſe. Gottlieb!
Gottlieb. Was ſoll ich denn?
Der alte Hilſe. Laß du die Axt liegen.
Gottlieb. Wer ſoll denn Holz kleene machen?
(Er lehnt die Axt an den Ofen.)
(Pauſe.)
Mutter Hilſe. Gottlieb, hör du uf das, was
dr Vater ſagt.
Stimme (vor dem Fenſter ſingend).
Kleener Mann blei ock d’rheem
Hee, juchhee!
Mach Schiſſel und Teller reen
Hei didel didel, dim dim dim. (Vorüber.)
Gottlieb (ſpringt auf, gegen das Fenſter mit geballter Fauſt)
Aas, mach mich ni wilde!
(Es kracht eine Salve.)
Mutter Hilſe (iſt zuſammengeſchrocken). O, Jeſus
Chriſtus, nu donnert’s woll wieder!?
Der alte Hilſe (mit unwillkürlich gefalteten Händen). Nu,
lieber Herrgott im Himmel! ſchitze die armen Weber,
ſchitz meine armen Briider!
(Es entſteht eine kurze Stille.)
Der alte Hilſe (für ſich hin, erſchüttert). Jetzt fließt
Blut.
Gottlieb Hilſe (iſt im Moment, wo die Salve kracht, auf-
geſprungen und hält die Axt mit feſtem Griff in der Hand, verfärbt, kaum
ſeiner mächtig, vor tiefer, innerer Aufregung). Na, ſoll man ſich
ernt jetzt o noch kuſchen?
Ein Webermädchen (vom „Haus“ aus in’s Zimmer
rufend). Vater Hilſe, Vater Hilſe, geh vom Fenſter
weg. Bei uns oben ins Oberſtübl is ’ne Kugel
durch’s Fenſter geflogen.
(Berſchwind …)
Mielchen (ſteckt den lachenden Kopf zum Fenſter hinein). Groß-
vaterle, Großvaterle, ſe haben mit a Flinten geſchoßen.
A pare ſind hingefalln, eener der dreht ſich ſo um’s
Kringl rum, immer um’s Rädl rum, eener der that
ſo zappeln wie a Sperling, dem man a Kopp weg-
reißt. Ach, ach und a ſo viel Blut kam getreetſcht —!
(Sie verſchwindet.)
Eine Weberfrau. A par habn ſe kalt gemacht.
Ein alter Weber (im „Hauſe“). Paßt ock uf, nu
nehmen ſie’s Militär hoch.
Ein zweiter Weber (faſſungslos). Nee, nu ſeht
bloß, de Weiber, ſeht bloß de Weiber! wern ſe
ni de Recke hoch heben! wern ſe ni’s Militär anſpucken.
8*
Eine Weberfrau (ruft herein). Gottlieb, ſieh dir
amal dei Weib an, die hat mehr Kriin wie Du, die ſpringt
vor a Bajonettern rum, wie wenn ſe zur Muſicke
tanzen thät.
(Vier Männer tragen einen Verwundeten durch’s Haus. Stille. Man hört
deutlich eine Stimme ſagen) ’S is d’r Ulbrichs Weber.
Die Stimme (nach wenigen Secunden abermals). ’S wird
woll Feierabend ſein mit’n, a hat ne Prellkugel
in’s Ohr gekriegt.
(Man hört die Männer eine Holztreppe hinauf
gehen. Draußen plötzlich). Hurrah, Hurrah!
Stimmen im Hauſe. „Wo habens’n de Steene
her?“ „Nu, zieht aber Leine!“ „Vom Chauſſeebau.“
„Nu hattjee Soldaten.“ „Nu regnet’s Flaſterſteene.“
(Draußen Angſtgekreiſch und Gebrüll ſich fortpflanzend bis in den Hausflur.
Mit einem Angſtruf wird die Hausthür zugeſchlagen.
Stimmen im „Hauſe“. „Se laden wieder“.
„Se wern glei wieder ’ne Salve gebn“. „Vater
Hilſe, geht weg vom Fenſter“.
Gottlieb Hilſe (rennt nach der Axt). Was, was,
was! Sein mir tolle Hunde!? Soll’n mir Pulver
und Blei freſſen, ſtat’s Brot?
(Mit der Axt in der Hand einen
Moment lang zögernd, zum Alten.) Soll mir mei Weib der-
ſchoßen werd’n? Das ſoll nich geſchehn!
(Jm Fortſtürmen.)
Ufgepaßt, jetzt komm ich!
(Ab.)
Der alte Hilſe. Gottlieb, Gottlieb!
Mutter Hilſe. Wo is denn Gottlieb?
Der alte Hilſe. Bei’m Teiwel is a.
Stimme vom „Hauſe“. Geht vom Fenſter
weg, Vater Hilſe!
Der alte Hilſe. Jch nich! Und wenn ihr alle
vollens drehnig werd!
(Zu Mutter Hilſe mit wachſender Exſtaſe.)
Hi hat mich mei himmliſcher Vater hergeſetzt. Gell
Mutter? Hi bleiben mer ſitzen und thun, was mer
ſchuldig ſein, und wenn d’r ganze Schnee verbrennt.
(Er fängt an zu weben.)
(Eine Salve kracht. Zu Tode getroffen richtet ſich der alte Hilſe hoch auf und
plumpt vornüber auf den Webſtuhl. Zugleich erſchallt verſtärktes Hurrah-Rufen.
Mit Hurrah ſtürmen die Leute, welche bisher im Hausfiur geſtanden, ebenfalls
hinaus. Die alte Frau ſagt mehrmals fragend) „Vater, Vater, was
is denn mit Dir?“
(Das ununterbrochene Hurrah-Rufen entfernt
ſich mehr und mehr. Plötzlich und haſtig kommt Mielchen ins Zimmer gerannt.)
Milchen. Großvaterle, Großvaterle, ſe treiben
de Soldaten zum Dorfe naus, ſe haben Dittrichen’s
Haus geſtirmt, ſe machen’s a ſo, als wie driben bei
Dreißigern. Großvaterle!?
(Das-Kind erſchnickt, wird auf-
merkſam, ſteckt den Finger in den Mund und tritt vorſichtig dem Todten näher.)
Großvaterle!?
Mutter Hilſe. Nu mach ock, Mann, und ſprich
a Wort, ’s kann een’n ja orntlich Angſt werd’n.
Schluß.
Das Weberlied wird geſungen nach der Melodie:
„Es liegt ein Schloß in Oeſterreich“.