Jesuitenfrage und Frauenstimmrecht.
Zur Kritik der Ausnahmegesetze.
Von Dr.
Ludwig Heyde, Halensee.
Man kann Politik mit und ohne Prinzipien machen.
Jm allgemeinen werden sich aber nur diejenigen politischen
Gruppen behaupten, die Prinzipien haben; denn es liegt
eine große Werbekraft in der Tatsache, daß man bei einer
Partei mit unbedingtem Vertrauen auf das Festhalten an
einigen Grundforderungen rechnen kann. Es ist töricht, einer
Partei durch ein Uebermaß an Prinzipien alle Bewegungs-
freiheit zu nehmen; aber weit törichter noch ist die Selbst-
täuschung, alle Politik müsse der Augenblickssituation angepaßt
und könne ohne jede vorgefaßte Meinung durchgeführt werden.
Die prinzipienfreieste Partei in Deutschland ist die national-
liberale; sie ist zugleich innerlich und äußerlich die schwächste
und bestünde längst nicht mehr, wenn Deutschland ein poli-
tischeres Land wäre. Große Teile ihrer Wähler sind nämlich
durch und durch unpolitische Naturen und wählen nur deshalb
nationalliberal, weil ihnen diese Partei als die prinzipien-
loseste zugleich gewissermaßen am unpolitischsten vorkommt
und zu grundsätzlichem politischen Denken am wenigsten zwingt.
Für diejenigen Politiker, die sich auf den Boden des
Grundsatzes „Gleiches Recht für alle ‟ stellen,
gibt es gegenwärtig zwei Prüfsteine Ausnahmegesetzen gegen-
über: die Jesuitenfrage und das Frauenstimmrecht.
Man braucht nicht über jeden Politiker, der, wiewohl
er die Gleichberechtigung aller im Staate verlangt, in diesen
beiden Fragen versagt, für alle Zeiten den Stab zu brechen.
Aber die Unbedingtheit des Vertrauens ist erschüttert,
wo man dieses Versagen findet.
Wer sagt „gleiches Recht für alle‟, der muß auch
sagen: kein Ausnahmegesetz gegen irgend
jemanden. Dabei muß es ganz gleichgültig sein, ob
ihm das Objekt des Ausnahmegesetzes sympathisch oder
unsympathisch ist. Er kämpft gar nicht für oder gegen
dieses Objekt, sondern er streitet für einen Grund-
satz. Darum hat er auch die Pflicht, sich mit
genau demselben Eifer im einen wie im andern
Falle gegen ein Ausnahmegesetz ins Zeug zu legen. Die-
jenigen, die ein in den Objekten liegendes Sonderinteresse
am Nichtzustandekommen oder an der Aufhebung eines Aus-
nahmegesetzes haben, darf er nicht an Eifer ihn übertreffen
lassen; denn grundsätzlich ist er genau so stark interessiert
wie jene. Das Jesuitengesetz ist nur ein Ausnahme-
gesetz. Es ist so, das mit sophistischen Argumenten
bestreiten zu wollen. Die Wenigsten, die es leugnen, sind
von ihren Beweisen selber überzeugt; sie wollen zu einem
anderen Ergebnis kommen, weil es kein populäreres Aus-
nahmegesetz je gegeben hat als das Jesuitengesetz. Der Wunsch
ist der Vater des Gedankens, die Beweiskette von vornherein im
Hinblick auf das Ergebnis zugeschnitten. Manche sagen auch, das
Jesuitengesetz sei gewiß ein Ausnahmegesetz, aber die ganze
Stellung des Staates zur Kirche sei ein einziger großer Komplex
von Ausnahmegesetzen; warum solle man gerade das einzige
Glied dieses Komplexes, das für den Klerikalismus ungünstig
sei, beseitigen? Werde Staat und Kirche getrennt, dann wolle
man gern die Jesuiten ins Land lassen. Aber auch von dieser
Logik darf man sich nicht blenden lassen. Wer ernstlich gegen
Ausnahmegesetze ist, hebt sie auf, wo er nur kann. Gibt es
für Trennung von Staat und Kirche keine Parlaments-
mehrheiten, so fange man mit der Durchführung des Grund-
satzes „keine Ausnahmegesetze!‟ dort an, wo die
Mehrheitsverhältnisse es gestatten, – gleichviel, ob das
angenehm oder unangenehm scheint.
Wer gleiches Recht für alle will, muß
wollen, daß das Parlament ein getreues Spiegelbild der
politischen Kräfte des Landes sei. Jhm ist darum die
Forderung des allgemeinen, gleichen,
geheimen und direkten Wahlrechts (unter
Berücksichtigung der Minderheiten durch Verhältniswahl)
Selbstverständlichkeit. Er geht nicht von den Folgen aus,
die dieses Wahlrecht haben kann: daß nämlich durch seine
Anwendung die Politik letzten Endes auf Grund der Mehr-
heitsverhältnisse eine ihm höchst unsympathische Wendung
nehmen kann. Diese Folgen darf nur derjenige zur Orien-
tierung seiner Stellung zum Wahlrecht benutzen, der eben
im Parlament nicht ein Spiegelbild der politischen Kräfte
sehen will, sondern eine zum Zwecke der gegebenenfalls auch
gegen den Willen des Volkes erfolgenden Durchführung
politischer Absichten getroffene Auslese. Wer aber an dem
Gedanken des Spiegelbildes festhält, der darf nicht an einer
beliebigen Stelle plötzlich Halt machen und fragen: diese oder
jene politische Kraft muß unvertreten bleiben, weil sie „noch
nicht reif‟ ist und daher immer nur bestimmten, uns partei-
politisch unbequemen Richtungen zuneigen wird. Zu dem
wirklichen Spiegelbild der politischen Kräfte gehört auch das
allgemeine, gleiche, geheime und direkte (ev. mit Proportional-)
Wahlrecht der Frauen. Wer die Frauen vom Wahlrecht
ausschließen will, der gibt den Gedanken einer alle politischen
Kräfte widerspiegelnden Volksvertretung auf und begibt
sich damit, wie eifrig er auch an dem allgemeinen usw.
Männerwahlrecht festhalten mag, auf den schlüpfrigen Boden der
Wahlrechtsopportunisten, die von dem vorgefaßten
Wunsche, ein Parlament so oder so zusammengesetzt wissen
zu wollen, sich hinsichtlich der Art des von ihnen geforderten
Wahlrechts bestimmen lassen. Wem hingegen der Gedanke,
das Parlament müsse das Spiegelbild des Volkes sein, ein
unverrückbarer Grundsatz ist, der muß konsequenter Weise
auch für das allgemeine usw. Frauenstimmrecht eintreten,
gleichviel, ob ihm die Folgen sympathisch sind, ob er Frauen-
feind schlechthin ist, ob er meint, die Frauen „läsen die
Zeitungen von hinten‟, oder wie immer sonst er steht. Er
hat kein Recht zuzulassen, daß irgend welche – und wäre
es auch die geringe oder gar eine negative – Potenz bei
der Reflexion aufs Parlament ins Leere fällt.
So liegt denn also bei der Jesuitenfrage und beim
Frauenstimmrecht die Sache ganz gleichartig. Wer keine
politischen Grundsätze hat, möge nach Gutdünken für Auf-
hebung des Jesuitengesetzes und gegen Frauenstimmrecht
oder auch gegen beides, für beides oder gegen die erstere
und für das letztere sein. Wer aber das gleiche Recht
für alle fordert und kein Ausnahmegesetz
zulassen will – und so viel Grundsätzlichkeit bringen doch
eigentlich eine ganze Anzahl Menschen fertig –, für den
gibt es nur einen gangbaren Weg; gegen das Jesuiten-
gesetz und für das Frauenstimmrecht.
Wir werden voraussichtlich in allernächster Zeit im
Reichstag eine Abstimmung über die Jesuitenfrage erleben
und dann beobachten können, inwieweit grundsätzliche Be-
trachtung oder Einflüsse der Erziehung, Vorurteile, berech-
tigte Bedenken, ehrliche Furcht ums Staatswohl usw. die
Stellungnahme der Politiker beeinflussen werden. Was uns
vom Standpunkt der Frauenstimmrechts-
bewegung aus daran interessiert, das wird der
Umstand sein, daß – wenn es sich auch nicht gewisser-
maßen um eine Probeabstimmung zur Stimmrechts-
frage handelt, da das Zentrum im vorliegenden
Falle neben den grundsätzlichen mindestens gleich starke auf
den zufälligen Gegenstand der Streitfrage, die Jesuiten, ge-
richtete Gründe für die Abstimmung zugunsten der Beseiti-
gung des Ausnahmegesetzes hat, – man immerhin bei einer
ganzen Anzahl von Abgeordneten die Kraft ihrer grund-
sätzlichen Überzeugung wird einschätzen lernen.
Das ist für die Beurteilung der Aussichten der Stimmrechts-
bewegung bei den gesetzgebenden Körperschaften von vielleicht
größerer Bedeutung als bisherige gelegentliche Abstimmungen
über Stimmrechtspetitionen, weil es mehr Schlüsse auf die
Zukunft zulassen wird.