Ideen
zu
einer Physiognomik
der
Gewächse,
von
Alexander von Humboldt.
(Vorgelesen in der öffentlichen Sitzung der Königl. Preuß.
Academie der Wissenschaften am 30. Januar 1806.)
Herrn Geh. Rath v. Goethe
als ein schwaches Zei-
chen seiner dankbaren
Verehrung
der Verf.
Wenn der Mensch mit regsamem Sinne die
Natur durchforscht, oder in seiner Phantasie die
weiten Räume der organischen Schöpfung mißt,
so wirkt unter den vielfachen Eindrükken, die er
empfängt, keiner so tief und mächtig als der,
welchen die allverbreitete Fülle des Lebens er-
zeugt. Ueberall, selbst am beeisten Pol, ertönt
die Luft von dem Gesange der Vögel, wie von
dem Sumsen schwirrender Insecten. Nicht die
unteren Schichten allein, in welchen die verdich-
teten Dünste schweben, auch die oberen ätherisch-
reinen, sind belebt. Denn so oft man den Rük-
ken der Peruanischen Cordilleren, oder, südlich
vom Leman-See, den Gipfel des Weißen-Berges
bestieg, hat man selbst in diesen Einöden noch
Thiere entdeckt. Am Chimborazo, sechsmal hö-
her als der Brokken, sahen wir Schmetterlinge
und andere geflügelte Insecten. Wenn auch,
von senkrechten Luftströmen getrieben, sie sich
dahin, als Fremdlinge, verirrten, wohin unruhi-
ge Forschbegier des Menschen sorgsame Schritte
leitet; so beweiset ihr Daseyn doch, daß die bieg-
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samere animalische Schöpfung ausdauert, wo die
vegetabilische längst ihre Grenze erreicht hat.
Höher, als der Kegelberg von Teneriffa auf den
Aetna gethürmt; höher, als alle Gipfel der Andes-
kette, schwebte oft über uns der Cundur, der
Riese unter den Geiern. Raubsucht und Nach-
stellung der zartwolligen Vikunnas, welche gem-
senartig und heerdenweise in den beschneiten
Grasebenen schwärmen, lokken den mächtigen
Vogel in diese Region.
Zeigt nun schon das unbewafnete Auge den
ganzen Luftkreis belebt, so enthüllt noch größere
Wunder das bewafnete Auge. Räderthiere, Bra-
chionen, und eine Schaar mikroskopischer Ge-
schöpfe heben die Winde aus den troknenden
Gewässern empor. Unbeweglich und in Schein-
tod versenkt, schweben sie vielleicht Jahrelang in
den Lüften, bis der Thau sie zur Erde zurükführt,
die Hülle löst, die ihren durchsichtigen wirbeln-
den Körper einschließt, und (wahrscheinlich
durch den Lebensstoff, den alles Wasser enthält,)
den Organen neue Erregbarkeit einhaucht.
Neben den entwikkelten Geschöpfen trägt der
Luftkreis auch zahllose Keime künftiger Bildun-
gen, Insecten-Eier und Eier der Pflanzen, die
durch Haar- und Feder-Kronen zur langen Herbst-
reise geschikt sind. Selbst den belebenden Staub,
den, bei getrennten Geschlechtern, die männ-
lichen Blüthen ausstreuen, tragen Winde und ge-
flügelte Insekten über Meer und Land den einsa-
men weiblichen zu. Wohin der Blik des Natur-
forschers dringt, ist Leben, oder Keim zum Leben,
verbreitet.
Dient aber auch das bewegliche Luftmeer, in
das wir getaucht sind, und über dessen Oberfläche
wir uns nicht zu erheben vermögen, vielen or-
ganischen Geschöpfen zur nothwendigsten Nah-
rung; so bedürfen dieselben dabei doch noch
einer gröberen Speise, welche nur der Boden die-
ses gasförmigen Ozeans darbietet. Dieser Boden
ist zwiefacher Art. Den kleineren Theil bildet
die trokkene Erde, unmittelbar von Luft umflos-
sen; den größeren Theil bildet das Wasser, viel-
leicht einst vor Jahrtausenden durch elektrisches
Feuer aus luftförmigen Stoffen zusammengeron-
nen, und jezt unaufhörlich in der Werkstatt der
Wolken, wie in den pulsirenden Gefäßen der
Thiere und Pflanzen, zersezt.
Unentschieden ist es, wo größere Lebens-
fülle verbreitet sei; ob auf dem Continent, oder
in dem unergründeten Meere. In diesem er-
scheinen gallertartige Seegewürme, bald lebendig,
bald abgestorben, als leuchtende Sterne. Ihr
Phosphorlicht wandelt die grünliche Fläche des
unermeßlichen Ozeans in ein Feuermeer um.
Unauslöschlich wird mir der Eindruck jener stil-
len Tropen-Nächte der Südsee bleiben, wo aus
der duftigen Himmelsbläue das hohe Sternbild
des Schiffes und das gesenkt-untergehendegesenkt untergehende Kreuz
ihr mildes planetarisches Licht ausgossen, und wo
zugleich in der schäumenden Meeresfluth die
Delphine ihre leuchtenden Furchen zogen.
Aber nicht der Ozean allein, auch die Sumpf-
wasser verbergen zahllose Gewürme von wunder-
barer Gestalt. Unserem Auge fast unerkennbar
sind die Cyclidien, die gefranzten Trichoden und
das Heer der Naiden, theilbar durch Aeste, wie
die Lemna, deren Schatten sie suchen. Von
mannichfaltigen Luftgemengen umgeben, und
mit dem Lichte unbekannt, athmen: die geflekte
Askaris, welche die Haut des Regenwurms, die
silberglänzende Leukophra, welche das Innere
der Ufer-Naide, und der Echynorynchus, welcher
die weitzellige Lunge der tropischen Klapper-
schlange bewohnt. So sind auch die verborgen-
sten Räume der Schöpfung mit Leben erfüllt.
Wir wollen hier bescheiden bei den Geschlech-
tern der Pflanzen verweilen; denn auf ihrem Da-
sein beruht das Dasein der thierischen Schöpfung.
Unablässig sind sie bemüht, den rohen Stof der
Erde organisch an einander zu reihen, und vor-
bereitend, durch lebendige Kraft, zu mischen, was
nach tausend Umwandlungen zur regsamen Ner-
venfaser veredelt wird. Derselbe Blick, den wir
auf die Verbreitung der Pflanzendekke heften,
enthüllt uns die Fülle des thierischen Lebens, das
von jener genährt und erhalten wird.
Ungleich ist der Teppich gewebt, den die
blüthenreiche Flora über den nakten Erdkörper
ausbreitet; dichter, wo die Sonne höher an dem
nie bewölkten Himmel emporsteigt; lokkerer ge-
gen die trägen Pole hin, wo der wiederkehrende
Frost bald die entwikkelte Knospe tödtet, bald die
reifende Frucht erhascht. Doch überall darf der
Mensch sich der nährenden Pflanzen erfreuen.
Trennt im Meeresboden ein Vulkan die kochende
Fluth, und schiebt plözlich (wie einst zwischen
den griechischen Inseln) einen schlakkigen Fels
empor; oder erheben (um an eine friedlichere Na-
turerscheinung zu erinnern) die einträchtigen Nerei-
den ihre zelligen Wohnungen, bis sie nach Jahrtau-
senden über dem Wasserspiegel hervorragend, ab-
sterben, und ein flaches Corallen-Eiland bilden: so
sind die organischen Kräfte sogleich bereit, den tod-
ten Fels zu beleben. Was den Saamen so plözlich
herbeiführt: ob wandernde Vögel, oder Winde,
oder die Wogen des Meeres; ist bei der großen
Entfernung der Küsten schwer zu entscheiden.
Aber auf dem nakten Steine, so baldsobald ihn zuerst die
Luft berührt, bildet sich in den nordischen Ländern
ein Gewebe sammtartiger Fasern, die dem unbe-
wafneten Auge als farbige Flekken erscheinen.
Einige sind durch hervorragende Linien bald
einfach bald doppelt begränzt; andere sind in
Furchen durchschnitten und in Fächer getheilt.
Mit zunehmendem Alter verdunkelt sich ihre
lichte Farbe. Das fernleuchtende Gelb wird braun,
und das bläuliche Grau der Leprarien verwandelt
sich nach und nach in ein staubartiges Schwarz.
Die Gränzen der alternden Dekke fließen in ein-
ander, und auf dem dunkeln Grunde bilden sich
neue zirkelrunde Flechten von blendender Weiße.
So lagert sich schichtenweise ein organisches Ge-
webe auf das andere; und wie das sich ansie-
delnde Menschengeschlecht bestimmte Stufen der
sittlichen Kultur durchlaufen muß, so ist die all-
mälige Verbreitung der Pflanzen an bestimmte
physische Geseze gebunden. Wo jezt hohe Wald-
bäume ihre Gipfel luftig erheben, da überzo-
gen einst zarte Flechten das erdenlose Gestein.
Laubmoose, Gräser, krautartige Gewächse und
Sträucher, füllen die Kluft der langen aber unge-
messenen Zwischenzeit aus. Was im Norden
Flechten und Moose, das bewirken in den Tro-
pen Portulacca, Gomphrenen und andere niedrige
Uferpflanzen. Die Geschichte der Pflanzendekke,
und ihre allmälige Ausbreitung über die öde Erd-
rinde, hat ihre Epochen, wie die Geschichte des
spätern Menschengeschlechts.
Ist aber auch Fülle des Lebens überall ver-
breitet; ist der Organismus auch unablässig be-
müht, die durch den Tod entfesselten Elemente
zu neuen Gestalten zu verbinden: so ist diese
Lebensfülle und ihre Erneuerung doch nach Ver-
schiedenheit der Himmelsstriche verschieden.
Periodisch erstarrt die Natur in der kalten Zone;
denn Flüssigkeit ist Bedingniß zum Leben. Thiere
und Pflanzen (Laubmoose und andere Cryptoga-
men abgerechnet) liegen hier viele Monate hin-
durch im Winterschlaf vergraben. In einem
großen Theile der Erde haben daher nur solche
organische Wesen sich entwikkeln können, welche
einer beträchtlichen Entziehung von Wärmestoff
widerstehen, oder einer langen Unterbrechung der
Lebensfunctionen fähig sind. Je näher dagegen
den Tropen, desto mehr nimmt Mannichfaltigkeit
der Bildungen, Anmuth der Form und des Far-
bengemisches, ewige Jugend und Kraft des orga-
nischen Lebens zu.
Diese Zunahme kann leicht von denen be-
zweifelt werden, welche nie unsern Welttheil
verlassen, oder das Studium der allgemeinen Erd-
kunde vernachlässiget haben. Wenn man aus
unsern dicklaubigen Eichenwäldern über die Al-
pen- oder Pyrenäen-Kette nach Welschland oder
Spanien hinabsteigt; wenn man gar seinen Blick
auf die afrikanischen Küstenländer des Mittel-
meeres richtet: so wird man leicht zu dem Fehl-
schlusse verleitet, als sei Baumlosigkeit der Cha-
rakter heißer Klimate. Aber man vergisst, daß
das südliche Europa eine andere Gestalt hatte, als
pelasgische oder carthagische Pflanzvölker sich
zuerst darin festsezten; man vergißt, daß frühere
Bildung des Menschengeschlechts die Waldungen
verdrängt, und daß der umschaffende Geist der
Nazionen der Erde allmälig den Schmuck raubt,
der uns in dem Norden erfreut, und der (mehr,
als alle Geschichte) die Jugend unserer sittlichen
Kultur anzeigt. Die große Katastrophe, durch
welche das Mittelmeer sich gebildet, indem es,
ein anschwellendes Binnenwasser, die Schleusen
der Dardanellen und die Säulen des Herkules
durchbrochen, diese Katastrophe scheint die an-
gränzenden Länder eines großen Theils ihrer
Dammerde beraubt zu haben. Was bei den
griechischen Schriftstellern von den Samothraci-
schen Sagen erwähnt wird, deutet die Neuheit
dieser zerstörenden Naturveränderung an. Auch
ist in allen Ländern, welche das Mittelmeer be-
gränzt, und welche die Kalkformation des Jura
charakterisirt, ein großer Theil der Erdoberfläche
nackter Fels. Das Malerische italienischer Ge-
genden beruht vorzüglich auf diesem lieblichen
Kontraste zwischen dem unbelebten öden Gestein
und der üppigen Vegetation, welche inselförmig
darin aufsprosst. Wo dieses Gestein, minder zer-
klüftet, die Wasser auf der Oberfläche zusammen
hält, wo diese mit Erde bedeckt ist, (wie an den
reizenden Ufern des Albaner Sees) da hat selbst
Italien seine Eichenwälder, so schattig und grün,
als der Bewohner des Nordens sie wünscht.
Auch die Wüsten jenseits des Atlas, und die
unermesslichen Ebenen oder Steppen von Süd-
Amerika, sind als bloße Lokalerscheinungen zu
betrachten. Diese findet man, in der Regenzeit
wenigstens, mit Gras und niedrigen, fast krautar-
tigen Mimosen bedeckt; jene sind Sand-Meere im
Innern des alten Continents, große pflanzenleere
Räume, mit ewiggrünen waldigen Ufern umge-
ben. Nur einzeln stehende Fächerpalmen erin-
nern den Wanderer, daß dieſediese Einöden Theile
einer belebten Schöpfung sind. Im trügerischen
Lichtspiel, das die stralende Wärme erregt, sieht
man bald den Fuß dieser Palmen frei in der Luft
schweben, bald ihr umgekehrtes Bild in den
wogenartig-zitternden Luftschichten wiederholt.
Auch westlich von der peruanischen Andeskette,
an den Küsten des stillen Meeres, haben wir
Wochen gebraucht, um solche wasserleere
Wüsten zu durchstreichen. Der Ursprung der-
selben, diese Pflanzenlosigkeit großer Erdstrek-
ken, in Gegenden, wo umher die kraftvolleste Ve-
getation herrscht, ist ein wenig beachtetes geo-
gnostisches Phänomen, welches sich unstreitig in
alten Naturrevoluzionen (in Ueberschwemmun-
gen, oder vulkanischen Umwandelungen der Erd-
rinde) gründet. Hat eine Gegend einmal ihre
Pflanzendekke verloren, ist der Sand beweglich
und quellenleer, hindert die heiße, senkrecht auf-
steigende Luft den Niederschlag der Wolken: so
vergehen Jahrtausende, ehe von den grünen Ufern
aus organisches Leben in das Innere der Einöde
dringt.
Wer demnach die Natur mit Einem Blicke zu
umfassen, und von Lokalphänomenen zu abstra-
hiren weiß, der sieht, wie mit Zunahme der be-
lebenden Wärme, von den Polen zum Aequator
hin, sich auch allmälig organische Kraft und Le-
bensfülle vermehren. Aber bei dieser Vermeh-
rung sind doch jedem Erdstriche besondere Schön-
heiten vorbehalten: den Tropen Mannigfaltigkeit
und Größe der Pflanzenformen; dem Norden der
Anblick der Wiesen, und das periodische Wieder-
erwachen der Natur beim ersten Wehen der Früh-
lingslüfte. Jede Zone hat außer den ihr eigenen
Vorzügen auch ihren eigenthümlichen Charakter.
So wie man an einzelnen organischen Wesen eine
bestimmte Physiognomie erkennt; wie beschrei-
bende Botanik und Zoologie, im engern Sinne des
Worts, fast nichts als Zergliederung der Thier- und
Pflanzenformen ist: so giebt es auch eine gewisse
Naturphysiognomie, welche jedem Himmelsstrich
ausschließlich zukommt.
Was der Maler mit den Ausdrükken schwei-
zer Natur, italienischer Himmel, bezeichnet, grün-
det sich auf das dunkle Gefühl dieses lokalen Na-
turcharakters. Himmelsbläue, Beleuchtung, Duft,
der auf der Ferne ruht, Gestalt der Thiere, Saft-
fülle der Kräuter, Glanz des Laubes, Umriß der
Berge — alle diese Elemente bestimmen den To-
taleindruck einer Gegend. Zwar bilden unter
allen Zonen dieselben Gebirgsarten Felsgruppen
von einerlei Physiognomie. Die Grünsteinklip-
pen in Süd-Amerika und Mexiko gleichen denen
des deutschen Fichtelgebirges, wie unter den
Thieren die Form des Alco oder der ursprüng-
lichen Hunderace des neuen Continents, mit der
der europäischen Race genau übereinstimmt.
Denn die unorganische Rinde der Erde ist gleich-
sam unabhängig von klimatischen Einflüssen; sei
es, daß der Unterschied deder Klimate neuer als das
Gestein ist; sei es, daß die erhärtende, Wärme-
entbindende Erdmasse sich selbst hierihre Temperatur
gab, statt sie von außen zu empfangen. Alle
Formationen sind daher allen Weltgegenden ei-
gen, und in allen gleichgestaltet. Ueberall bildet
der Basalt Zwillings-Berge und abgestumpfte Ke-
gel; überall erscheint der Trapporphyr in grotes-
ken Felsmassen, der Granit in sanftrundlichen
Kuppen. Auch ähnliche Pflanzenformen, Tan-
nen und Eichen, bekränzen die Berggehänge in
Schweden, wie die des südlichsten Theils von Me-
xiko. Und bei aller dieser Uebereinstimmung in
den Gestalten, bei dieser Gleichheit der einzelnen
Umrisse, nimmt die Gruppirung derselben zu
einem Ganzen doch den verschiedensten Cha-
rakter an.
So wie die Kenntniß der Fossilien sich von
der Gebirgslehre unterscheidet; so ist von der in-
dividuellen Naturbeschreibung die allgemeine,
oder die Physiognomik der Natur, verschieden.
Georg Forster in seinen Reisen und in seinen
kleinen Schriften; Göthe in den Naturschilderun-
gen, welche so manche seiner unsterblichen Wer-
ke enthalten; Herder, Büffon, Bernardin de St.
Pierre, und selbst Chateaubriand, haben mit un-
nachahmlicher Wahrheit den Charakter einzelner
Himmelsstriche geschildert. Solche Schilderun-
gen sind aber nicht bloß dazu geeignet, dem Ge-
müth einen Genuß der edelsten Art zu verschaf-
fen; nein, die Kenntniß von dem Naturcharak-
ter verschiedener Weltgegenden ist mit der Ge-
schichte des Menschengeschlechts, und mit der sei-
ner Kultur, aufs innigste verknüpft. Denn wenn
auch der Anfang dieser Kultur nicht durch phy-
sische Einflüsse allein bestimmt wird; so hängt
doch die Richtung derselben, so hängen Volks-
charakter, düstere oder heitere Stimmung der
Menschheit, großentheils von klimatischen Ver-
hältnissen ab. Wie mächtig hat der griechische
Himmel auf seine Bewohner gewirkt! Wie sind
nicht in dem schönen und glüklichen Erdstriche
zwischen dem Oxus, dem Tigris, und dem ägei-
schen Meere, die sich ansiedelnden Völker zu-
erst zu sittlicher Anmuth und zarteren Gefühlen
erwacht? Und haben nicht, als Europa in neue
Barbarei versank, und religiöse Begeisterung
plözlich den heiligen Orient öfnete, unsere Vor-
ältern aus jenen milden Thälern von neuem mil-
dere Sitten heimgebracht! Die Dichterwerke der
Griechen und die rauheren Gesänge der nordi-
schen Urvölker verdankten größtentheils ihren
eigenthümlichen Charakter der Gestalt der Pflan-
zen und Thiere, den Gebirgsthälern, die den
Dichter umgaben, und der Luft, die ihn umwehte.
Wer fühlt sich nicht, um selbst nur an nahe Ge-
genstände zu erinnern, anders gestimmt, in dem
dunkeln Schatten der Buchen, oder auf Hügeln,
die mit einzeln stehenden Tannen bekränzt sind;
oder auf der Grasflur, wo der Wind in dem zit-
ternden Laube der Birken säuselt! Melancholi-
sche, ernsterhebende, oder fröhliche Bilder ru-
fen diese vaterländischen Pflanzengestalten in uns
hervor. Der Einfluß der physischen Welt auf
die moralische, dies geheimnißvolle Ineinander-
Wirken des Sinnlichen und Außersinnlichen,
giebt dem Naturstudium, wenn man es zu höhe-
ren Gesichtspunkten erhebt, einen eigenen, noch
zu wenig gekannten Reiz.
Wenn aber auch der Charakter verschiedener
Weltgegenden von allen äußeren Erscheinungen
zugleich abhängt; wenn Umriß der Gebirge, Phy-
siognomie der Pflanzen und Thiere, wenn Him-
melsbläue, Wolkengestalt und Durchsichtigkeit
des Luftkreises, den Totaleindruk bewirken; so ist
doch nicht zu läugnen, daß das Hauptbestimmen-
de dieses Eindruks die Pflanzendekke ist. Dem
thierischen Organismus fehlt es an Masse, und
die Beweglichkeit der Individuen entzieht sie oft
unsern Blikken. Die Pflanzenschöpfung dagegen
wirkt durch stetige Größe auf unsere Einbildungs-
kraft. Ihre Masse bezeichnete ihr Alter, und in
den Gewächsen allein ist Alter und Ausdruk stets
sich erneuernder Kraft mit einander gepaart. Der
riesenförmige Drachenbaum, den ich auf den Ka-
narischen Inseln sah, und der 16 Schuh im Durch-
messer hat, trägt noch immerdar (gleichsam in
ewiger Jugend) Blüthe und Frucht. Als franzö-
sische Abentheurer, die Bethencourts, im vier-
zehnten Jahrhundert die glüklichen Inseln er-
oberten, war der Drachenbaum von Orotava (den
Eingeborenen heilig wie der Oelbaum in der Burg
zu Athen, oder die nordische Esche, unter der
Odin und Asi zusammenkamen,) von eben der
kolossalen Stärke als jetzt. In den Tropen ist ein
Wald von Hymeneen und Caesalpinien vielleicht
das Denkmahl von einem Jahrtausend.
Umfaßt man die verschiedenen Pflanzenar-
ten, welche bereits auf dem Erdboden entdeckt
sind, und von denen Willdenow's großes
Werk allein über 20000 genau zergliedert, mit
Einem Blick; so erkennt man in dieser wunder-
vollen Menge wenige Hauptformen, auf welche
sich alle andere zurückführen lassen. Zur Be-
stimmung dieser Formen, von deren individuel-
ler Schönheit, Vertheilung und Gruppirung die
Physiognomie der Vegetation eines Landes ab-
hängt, muß man nicht (wie in den botanischen
Systemen aus anderen Beweggründen geschieht)
auf die kleinsten Theile der Blüthen und Früch-
te, sondern nur auf das Rücksicht nehmen, was
durch Masse den Totaleindruck einer Gegend in-
dividualisirt. Unter den Hauptformen der Vege-
tation giebt es allerdings ganze Familien der so-
genannten natürlichen Systeme. Bananenge-
wächse und Palmen werden auch in diesen ein-
zeln aufgeführt. Aber der botanische Systemati-
ker trennt eine Menge von Pflanzengruppen,
welche der Physiognomiker sich gezwungen sieht,
mit einander zu verbinden. Wo die Gewächse
sich als Massen darstellen, fließen Umrisse und
Vertheilung der Blätter, Gestalt der Stämme und
Zweige, in einander. Der Maler (und gerade
dem feinen Naturgefühle des Künstlers kommt
hier der Ausspruch zu!) unterscheidet in dem
Mittel- und Hintergrunde einer Landschaft Tan-
nen- oder Palmengebüsche von BüchenBuchen, nicht
aber diese von andern Laubholzwäldern!
Sechszehn Pflanzenformen bestimmen haupt-
sächlich die Physiognomie der Natur. Ich zähle
nur diejenigen auf, welche ich bei meinen Rei-
sen durch beide Welttheile, und bei einer viel-
jährigen Aufmerksamkeit auf die Vegetation der
verschiedenen Himmelsstriche zwischen dem
55sten Grade nördlicher und dem 12ten Grade
südlicher Breite, beobachtet habe. Die Zahl die-
ser Formen wird gewiß ansehnlich vermehrt
werden, wenn man einst in das Innere der Con-
tinente tiefer eindringt, und neue Pflanzengat-
tungen entdekt. Im südöstlichen Asien, im In-
neren von Afrika und Neuholland, in Süd-Ame-
rika vom Amazonenstrome bis zum Gebirge
Chiquitos hin, ist uns die Vegetation noch völlig
unbekannt. Wie, wenn man gar ein Land ent-
deckte, in welchem holzige Schwämme, z. B.
Clavarien oder Moose, hohe Bäume bildeten?
Nekera dendroïdes, ein deutsches Laubmoos,
ist in der That baumartig, und die tropischen
Farrenkräuter, oft hoherhöher als unsere Linden und Er-
len, sind für den Europäer noch jezt ein eben so
überraschender Anblick, als dem ersten Entdek-
ker ein Wald hoher Laubmoose seyn würde!
Größe und Entwickelung der Organe hangt von
der Begünstigung klimatischer Verhältnisse ab.
Die kleine aber schlanke Form unserer Eidechse
dehnt sich im Süden zu dem kolossalen und ge-
panzerten Körper furchtbarer Crocodyle aus. In
den ungeheuren Katzen von Afrika und Amerika,
im Tiger, im Löwen und Jaguar, ist die Gestalt
eines unserer kleinsten Hausthiere nach einem
größeren Maasstabe wiederholt. Dringen wir gar
in das Innere der Erde, durchwühlen wir die
B
Grabstätte der Pflanzen und Thiere, so verkündi-
gen uns die Versteinerungen nicht bloß eine Ver-
theilung der Formen, die mit den jetzigen Klima-
ten in Widerspruch steht; nein, sie zeigen uns
auch kolossale Gestalten, welche mit den klein-
lichen, die uns gegenwärtig umgeben, nicht min-
der contrastiren, als die einfache Heldennatur der
Griechen gegen die Charaktergröße neuerer Zeit.
Hat die Temperatur des Erdkörpers beträchtliche,
vielleicht periodisch wiederkehrende Veränderun-
gen erlitten; ist das Verhältniß zwischen Meer
und Land, ja selbst die Höhe des Luftozeans und
sein Druck nicht immer derselbe gewesen: so
muß die Physiognomie der Natur, so müssen
Größe und Gestalt des Organismus, ebenfalls
schon manchem Wechsel unterworfen gewesen
sein. Unfähig, diese Physiognomie des alternden
Planeten nach ihren gegenwärtigen Zügen voll-
ständig zu schildern, wage ich nur diejenigen Cha-
raktere auszuheben, welche jeder Pflanzengruppe
vorzüglich zukommen. Bei allem Reichthum und
aller Biegsamkeit unserer vaterländischen Sprache,
ist es ein schwieriges Unternehmen, mit Worten
zu bezeichnen, was eigentlich nur der nachah-
menden Kunst des Malers darzustellen geziemt.
Auch wünschte ich, das Ermüdende des Eindrucks
zu vermeiden, das jede Aufzählung einzelner
Formen unausbleiblich erregen muß.
Wir beginnen mit den Palmen, der höch-
sten und edelsten aller Pflanzengestalten. Denn
ihr haben stets die Völker (und die früheste Men-
schenbildung war in der asiatischen Palmenwelt,
oder in dem ErdstrisheErdstriche, der zunächst an die Pal-
menwelt gränzt) den Preis der Schönheit zuer-
kannt. Hohe, schlanke, geringelte, bisweilen
stachliche Schäfte mit anstrebendem, glänzendem,
bald gefächertem, bald gefiedertem Laube. Die
Blätter sind oft grasartig gekräuselt. Der glatte
Stamm erreicht bis 180 Fuß Höhe. Die Palmen-
form nimmt an Pracht und Größe ab, vom Aequa-
tor gegen die gemäßigte Zone hin. Europa hat
unter seinen einheimischen Gewächsen nur einen
Repräsentanten dieser Form, die zwergartige Kü-
stenpalme, den Chamaerops, der in Spanien und
Italien sich nördlich bis zum 44sten Breitengrade
erstreckt. Das eigentliche Palmenklima der Erde
hat 21°. mittlerer Wärme. Aber die aus Afrika zu
uns gebrachte Dattelpalme, welche minder schön
als andere Arten dieser Gruppen ist, vegetirt
noch im südlichen Europa in Gegenden, deren
mittlere Temperatur 14°. also mehr als doppelt
größer, als die von Berlin, ist. Palmenstämme
und Elephantengerippe liegen im nördlichen
Deutschlande im Inneren der Erde vergraben,
und ihre Lage macht es wahrscheinlich, daß sie
nicht von den Tropen her gegen Norden ge-
schwemmt wurden; sondern, daß in den großen
Revoluzionen unseres Planeten die Klimate, wie
die durch sie bestimmtenbestimmte Physiognomie der Na-
tur, vielfach verändert worden sind.
Zu den Palmen gesellt sich in allen Welt-
theilen die Pisang oder Bananenform, die Scita-
B 2
mineen der Botaniker, Heliconia, Amomum, Strelitzia.
Ein niedriger aber saftreicher, fast krautartiger
Stamm, an dessen Spitze sich dünn und lokker-
gewebte, zartgestreifte, seidenartig-glänzende
Blätter erheben. Pisanggebüsche sind der Schmuck
feuchter Gegenden. Auf ihrer Frucht beruht die
Nahrung aller Bewohner des heißen Erdgürtels.
Wie die mehlreichen Cerealien oder Getreide-
arten des Nordens, so begleiten Pisangstämme
den Menschen seit der frühesten Kindheit seiner
Kultur. Asiatische Mythen setzen die ursprüng-
liche Heimath dieser nährenden Tropenpflanze an
den Euphrat, oder an den Fuß des Himalus in
Indien. Griechische Sagen nennen die Gefilde
von Enna als das glückliche Vaterland der Cerea-
lien. Wenn diese, durch die Kultur über die
nördliche Erde verbreitet, und dort einförmige
weitgedehnte Grasfluren bildend, wenig den An-
blick der Natur verschönern, so vervielfacht da-
gegen der sich ansiedelnde Tropenbewohner
durch Pisangpflanzungen eine der herrlichsteuherrlichsten
und edelsten Gestalten.
Malvenform, Sterculia, Hibiscus, Lavatera,
Ochroma. Kurze aber kolossalisch dikke Stämme
mit zartwolligen, großen, herzförmigen, oft ein-
geschnittenen Blättern, und prachtvollen oft pur-
purrothen Blüthen. Zu dieser Pflanzengruppe ge-
hört der Affenbrodbaum, Adansonia digitata, der
bei 12 Fuß Höhe 30 Fuß Durchmesser hat, und
der wahrscheinlich das größte und älteste orga-
nische Denkmahl auf unserm Planeten ist. In
Italien fängt die Malvenform bereits an, der
Vegetation einen eigenthümlichen südlichen Cha-
rakter zu geben.
Dagegen entbehret unsere gemäßigte Zone
im alten Continent leider ganz die zartgefieder-
ten Blätter, die Form der Mimosen, Gleditsia.,
Porleria, Tamarindus. Den vereinigten Staaten von
Nord-Amerika, in denen unter gleicher Breite
die Vegetation mannichfaltiger und üppiger als in
Europa ist, fehlt diese schöne Form nicht. Bei
den Mimosen ist eine schirmartige Verbreitung
der Zweige, fast wie bei den italienischen Pi-
nien, gewöhnlich. Die tiefe Himmelsbläue des
Tropenklimas durch die zartgefiederten Blätter
schimmernd, ist von überaus malerischem Effekte.
Eine meist afrikanische Pflanzengruppe sind
die Heidekräuter; dahin gehören auch die An-
dromeda, Passerinen und Gnidien, eine Gruppe, die
mit der der Nadelhölzer einige Ähnlichkeit hat,
und eben deshalb mit dieser durch die Fülle glok-
kenförmiger Blüthen, desto reizender contrastirt.
Die baumartigen Heidekräuter, wie einige andere
afrikanische Gewächse, erreichen das nördliche
Ufer des Mittelmeers. Sie schmükken Welsch-
land und die Cistus-Gebüsche des südlichen
Spaniens. Am üppigsten wachsend habe ich sie
auf den afrikanischen Inseln, am Abhange des
Pics von Teyde gesehen. Bei uns in den bal-
tischen Ländern, und noch nördlicher hin, ist
diese Pflanzenform gefürchtet, Dürre und Un-
fruchtbarkeit verkündigend. Unsere Heidekräuter,
Erica vulgaris und tetralix sind gesellschaftlich le-
bende Gewächse, gegen deren fortschreitenden
Zug die akkerbauenden Völker seit Jahrhunderten
mit wenigem Glükke ankämpfen. Sonderbar, daß
der Hauptrepräsentant dieser Form blos einer
Seite unsers Planeten eigen ist. Von den 137
jezt bekannten Arten von Erica findet sich auch
nicht eine einzige im neuen Continent von Pen-
silvanien und Labrador bis gegen Nootka und
Alaschka hin.
Dagegen ist bloß dem neuen Continent ei-
genthümlich die Cactusform, bald kugelförmig,
bald gegliedert, bald in hohen, vielekkigen Säulen,
wie Orgelpfeifen, aufrechtstehend. Diese Gruppe
bildet den höchsten Contrast mit der Gestalt der
Liliengewächse und der Bananen. Sie gehört
zu den Pflanzen, welche Bernardin de St. Pierre
sehr glücklich die vegetabilischen Quellen der
Wüste nennt. In den wasserleeren Ebenen von
Südamerika suchen die von Durst geängsteten
Thiere den Melonen-Cactus, eine kugelförmige,
halb im dürren Sande verborgene Pflanze, deren
saftreiches Innere unter furchtbaren Stacheln ver-
steckt ist. Die seidenartigen Cactus-Stämme er-
reichen bis 30 Fuß Höhe und candelaberartig ge-
theilt, haben sie eine auffallende Ähnlichkeit der
Physiognomie mit einigen afrikanischen Euphor-
bien.
Wie diese grüne Oasen in den pflanzenlee-
ren Wüsten bilden, so beleben die Orchideen
den vom Licht verkohlten Stamm der Tropen-
bäume und die ödesten Felsenritzen. Die Vanil-
lenform zeichnet sich durch hellgrüne saftvolle
Blätter und durch vielfarbige Blüthen von wun-
derbarem Baue aus. Diese Blüthen gleichen bald
den geflügelten Insekten, bald den zarten Vögeln,
welche der Duft der Honiggefäße anlokket. Das
Leben eines Malers wäre nicht hinlänglich, um
alle die prachtvollen Orchideen abzubilden, wel-
che die tiefausgefurchten Gebirgsthäler der perua-
nischen Andeskette zieren.
Blattlos, wie fast alle Cactusarten, ist die
Form der Casuarinen, einer Pflanzengestalt,
bloß der Südsee und Ostindien eigen. Bäume
mit schachtelhalmähnlichen Zweigen. Doch fin-
den sich auch in andern Weltgegenden Spuren
dieses mehr sonderbaren als schönen Typus.
Plumier's Equisetum altissimum, die Ephedra
aus Nord-Afrika, die peruanischen Colletien und
das sibirische Calligonum Pallasia, sind der Casua-
rinenform nahe verwandt.
So wie in den Pisanggewächsen die höchste
Ausdehnung, so ist in den Casuarinen und in den
Nadelhölzern die höchste Zusammenziehung
der Blattgefäße. Tannen, Thuja und Cypressen
bilden eine nordische Form, die in den Tropen
selten ist. Ihr ewig-frisches Grün erheitert die
öde Winter-Landschaft. Es verkündigt gleich-
sam den Polarvölkern, daß wenn Schnee und Eis
den Boden bedekken, das innere Leben der
Pflanzen, wie das Prometheische Feuer, nie
auf unserm Planeten erlischt.
Parasitisch wie bei uns Moose und Flechten,
überziehen in der Tropenwelt außer den Orchi-
deen auch die Pothosgewächse den altern-
den Stamm der Waldbäume. Saftige, krautartige
Stengel mit großen, bald pfeilförmigen, bald ge-
fingerten, bald länglichen aber stets dik-adrigen
Blättern. Blumen in Scheiden. Pothos, Dra-
contium, Arum, leztere dem Norden fehlend, aber
in Spanien und Italien mit saftvollem Huflattig,
hohen Distelstauden und Acanthus, die Ueppig-
keit des südlichen Pflanzenwuchses bezeichnend.
Zu dieser Arumform gesellt sich die Form
der Lianen, beide in heißen Erdstrichen von
Süd-Amerika in vorzüglicher Kraft der Vegeta-
tion. Paullinia, Banisteria, Bignonien. Unser ran-
kender Hopfen und unsere Weinreben erinnern an
diese Pflanzengestalt der Tropenwelt. Am Ori-
noco haben die blattlosen Zweige der Bauhinien
oft 40 Fuß Länge. Sie fallen theils senkrecht aus
dem Gipfel hoher Swietenien herab; theils sind
sie schräg wie Masttaue ausgespannt, und die
Tigerkatze hat eine bewundernswürdige Geschik-
lichkeit, daran auf- und abzuklettern.
Mit den biegsamen sich rankenden Lianen,
mit ihrem frischen und leichten Grün, kontrastirt
die selbstständige Form der bläulichen Aloege-
wächse; Stämme, wenn sie vorhanden sind, fast
ungetheilt, enggeringelt und schlangenartig gewun-
den. An dem Gipfel sind saftreiche, fleischige,
lang-zugespitzte Blätter stralenartig zusammen-
gehäuft. Die hochstämmigen Aloegewächse bil-
den nicht Gebüsche, wie andere gesellschaftlich
lebende Pflanzen. Sie stehen einzeln in dürren
Ebenen, und geben der Tropengegend dadurch
oft einen eigenen melancholischen (man möchte
sagen afrikanischen) Charakter.
Wie die Aloeform sich durch ernste Ruhe
und Festigkeit, so charakterisirt sich die Gras-
form, besonders die Physiognomie der baum-
artigen Gräser, durch den Ausdruk fröhlicher
Leichtigkeit und beweglicher Schlankheit. Bam-
busgebüsche bilden schattige Bogengänge in bei-
den Indien. Der glatte, oft geneigt-hinschwe-
bende Stamm der Tropen-Gräser übertrift die
Höhe unserer Erlen und Eichen. Schon in Ita-
lien fängt im Arundo Donax diese Form an, sich
vom Boden zu erheben, und durch Höhe und
Masse den Naturcharakter des Landes zu be-
stimmen.
Mit der Gestalt der Gräser ist auch die der Far-
renkräuter in den heißen Erdstrichen veredelt.
Baumartige, oft 35 Fuß hohe Farrenkräuter ha-
ben ein palmenartiges Ansehen; aber ihr Stamm
ist minder schlank, kürzer, schuppig-rauher als
der der Palmen. Das Laub ist zarter, lokker ge-
webt, durchscheinend, und an den Rändern sau-
ber ausgezakt. Diese kolossalen Farrenkräuter
sind oft ausschließlich den Tropen eigen, aber
in diesen ziehen sie ein gemäßigtes Klima dem
ganz heißen vor. Da nun die Milderung der
Hitze bloß eine Folge der Höhe ist; so darf man
Gebirge, die 2 bis 3000 Fuß über dem Meere er-
haben sind, oder die Höhe unsers deutschen
Brokkens, als den Hauptsiz dieser Form nennen.
Hochstämmige Farrenkräuter begleiten in Süd-
Amerika den wohlthätigen Baum, der die heilen-
de Fieberrinde darbietet. Beide bezeichnen die
glükliche Region der Erde, in der ewige Milde
des Frühlings herrscht.
Noch nenne ich die Form der Lilienge-
wächse, (Amaryllis, Pancratium) mit schilfartigen
Blättern und prachtvollen Blüthen, eine Form,
deren Hauptvaterland das südliche Afrika ist;
ferner die Weidenform, in allen Welttheilen
einheimisch; und wo Salix fehlt, in den Banksien
und einigen Proteen wiederholt; Myrthenge-
wächse, (Metrosideros Eucalyptus, Escallonia)
Melastomen- und Lorbeerform.
Es wäre ein Unternehmen, eines großen
Künstlers werth, den Charakter aller dieser Pflan-
zengruppen nicht in Treibhäusern oder in den Be-
schreibungen der Botaniker, sondern in der gro-
ßen Tropen-Natur selbst, zu studiren. Wie in-
teressant und lehrreich für den Landschaftsma-
ler wäre ein Werk, welches dem Auge die aufge-
zählten sechszehn Hauptformen, erst einzeln, und
dann in ihrem Contraste gegen einander, darstellte.
Was ist malerischer, als baumartige Farrenkräu-
ter, die ihre zartgewebten Blätter über die Mexi-
kanischen Lorbeereichen ausbreiten! Was rei-
zender, als Pisanggebüsche von hohen Bambus-
gräsern umschattet! Dem Künstler ist es gegeben,
die Gruppen zu zergliedern, und unter seiner
Hand löst sich (wenn ich den Ausdruk wagen
darf) das große Zauberbild der Natur, gleich den
geschriebenen Werken der Menschen, in wenige
einfache Züge auf!
Am glühenden Sonnenstral des tropischen
Himmels gedeihen die herrlichsten Gestalten der
Pflanzen. Wie im kalten Norden die Baumrinde
mit dürren Flechten und Laubmoosen bedekt ist,
so beleben dort Cymbidium und duftende Vanille
den Stamm der Anacardien und der riesenmäßigen
Feigenbäume. Das frische Grün der Pothosblätter
und der Dracontien kontrastirt mit den vielfarbi-
gen Blüthen der Orchideen. Rankende Bauhi-
nien, Passifloren und gelbblühende Banisterien
umschlingen den Stamm der Waldbäume. Zarte
Blumen entfalten sich aus den Wurzeln der Theo-
broma, wie aus der dichten und rauhen Rinde der
Crescentien und der Gustavia. Bei dieser Fülle
von Blüthen und Blättern, bei diesem üppigen
Wuchse und der Verwirrung rankender Gewächse,
wird es dem Naturforscher oft schwer zu erkennen,
welchem Stamme Blüthen und Blätter zugehören.
Ein einziger Baum mit Paullinien, Bignonien
und Dendrobium geschmükt, bildet eine Gruppe
von Pflanzen, welche, von einander getrennt,
einen beträchtlichen Erdraum bedekken würden.
In den Tropen sind die Gewächse saftstrot-
zender, von frischerem Grün, mit größeren und
glänzenderen Blättern geziert, als in den nördli-
chern Erdstrichen. Gesellschaftlich lebende Pflan-
zen, welche die europäische Vegetation so ein-
förmig machen, fehlen am Aequator fast gänz-
lich. Bäume, fast zweimal so hoch als unsere
Eichen, prangen dort mit Blüthen, welche groß
und prachtvoll wie unsere Lilien sind. An den
schattigen Ufern des Madalenenflusses in Süd-
Amerika wächst eine rankende Aristolochia, de-
ren Blume, von vier Fuß Umfang, sich die in-
dischen Knaben in ihren Spielen über den Schei-
tel ziehen.
Die außerordentliche Höhe, zu welcher sich
unter den Wendekreisen nicht blos einzelne Berge,
sondern ganze Länder erheben, und die Kälte,
welche Folge dieser Höhe ist, gewähren dem Tro-
pen-Bewohner einen seltsamen Anblik. Ausser
den Palmen und Pisanggebüschen umgeben ihn
auch die Pflanzenformen, welche nur den nordi-
schen Ländern anzugehören scheinen. Cypressen,
Tannen und Eichen, Berberissträucher und Erlen
(nahe mit den unsrigen verwandt) bedekken die
Gebirgsebenen im südlichen Mexiko, wie die An-
deskette unter dem Aequator. So hat die Natur
dem Menschen in der heißen Zone verliehen,
ohne seine Heimath zu verlassen, alle Pflanzen-
gestalten der Erde zu sehen; wie das Himmelsge-
wölbe von Pol zu Pol ihm keine seiner leuchten-
den Welten verbirgt.
Diesen und so manchen andern Naturgenuß
entbehren die nordischen Völker. Viele Gestirne
und viele Pflanzenformen, von diesen gerade die
schönsten, (Palmen und Pisanggewächse, baum-
artige Gräser und feingefiederte Mimosen) bleiben
ihnen ewig unbekannt. Die krankenden Gewäch-
se, welche unsere Treibhäuser einschließen, ge-
währen nur ein schwaches Bild von der Majestät
der Tropenvegetation. Aber in der Ausbildung
unserer Sprache, in der glühenden Phantasie des
Dichters, in der darstellenden Kunst der Maler,
ist uns eine reiche Quelle des Ersatzes geöfnet.
Aus ihr schöpft unsere Einbildungskraft die leben-
digen Bilder einer exotischen Natur. Im kalten
Norden, in der öden Heide, kann der einsame
Mensch sich aneignen, was in den fernsten Erd-
strichen erforscht wird, und so in seinem Innern
eine Welt sich schaffen, welche das Werk seines
Geistes, frei und unvergänglich, wie dieser, ist.