Zweyte Scene.
Frau Staar. Frau Brendel. Frau
Morgenroth. (Beyde nach ihrer Art geputzt.)
Fr. St. Nun Frau Muhme? der liebe
beſcheidene Gaſt!
Fr. Br. Der ſcheint mir ein lockerer
Zeiſig.
Fr. M. Haben Sie bemerkt, wie er das
Brod zu Kugeln drehte, und die Jungfer
Muhme damit warf?
Fr. St. Der boͤſe Menſch! die edle
Gottesgabe!
Fr. Br. Den rothen Wein hat er aufs
Tiſchtuch verſpritzt.
Fr. M.
Fr. M. Was wollen Sie ſagen! beym
Lichtputzen hat er ſogar einen Funken darauf
fallen laſſen.
Fr. St. J du Boͤſewicht! mein damaſt-
nes Tiſchtuch.
Fr. Br. Das Eſſen ſchien ihm auch nicht
recht zu ſchmecken.
Fr. M. Er ließ manche Schuͤſſel ganz
voruͤbergehn. Schickt ſich das?
Fr. St. Ich habe ihm doch genug ge-
ſagt, wie gut jede Schuͤſſel zubereitet ſey,
und aus welchen Ingredienzien ſie beſtehe.
Fr. Br. Ich denke, am Noͤthigen haben
wir es Alle nicht fehlen laſſen.
Fr. M. Er war ja ſo unverſchaͤmt, ſich
das Noͤthigen ganz zu verbitten.
Fr. M. Man ſieht, daß er noch wenig
gute Geſellſchaft frequentirt hat.
Fr. Br. Nicht einmal den Kuchen hat
er gelobt, und der war doch vortreflich.
Fr. M. Außerordentlich muͤrbe.
Fr. Br. Er zergieng auf der Zunge.
Fr. M.
Fr. M. Vermuthlich ſelbſt gebacken?
Fr. St. Zu dienen.
Fr. Br. O das merkt man gleich.
Fr. St. Allzuguͤtig.
Fr. M. Der Teig iſt wie Schaum.
Fr. St. Sie beſchaͤmen mich.
Fr. Br. Darf ich fragen, wie viel Eyer
die Frau Muhme dazu nehmen?
Fr. St. Ich werde die Ehre haben, das
ganze Recept mitzutheilen. Man nimmt Er-
ſtens —
Dritte Scene.
Herr Staar. Die Vorigen.
Hr. St. Bleibt mir vom Halſe mit Eu-
rem vornehmen Gaſte! Der kann ſich erſt
aus meiner Leſebibliothek das Sittenbuͤchlein
holen, und ſolches fleißig ſtudieren.
Fr. Br. Ja wohl, Herr Vicekirchenvor-
ſteher, der iſt gar ſehr in der Erziehung ver-
wahrloſt.
Hr. St.
Hr. St. Erſt hat er nicht einmal or-
dentlich ſein Tiſchgebet verrichtet.
Fr. St. Und noch obendrein uͤber die ar-
men Kinder gelacht, die doch ihr „Komm
Herr Jeſu ſey unſer Gaſt“ recht ordentlich
herunter beteten.
Hr. St. Als ich, nach alter ſcherzhafter
Weiſe, die Geſundheit: Was wir lieben,
ausbrachte, gleich rief er: was uns wieder
liebt und ſeinem Nachbar einen Kuß giebt.
Fr. Br. (ſich verſchaͤmt mit dem Faͤcher wedelnd)
Ich hatte das Ungluͤck ihm an der linken
Hand zu ſitzen.
Fr. St. Die huͤbſche Mamſell Morgen-
roth, die ihm zur Rechten ſaß, wurde feuer-
roth.
Hr. St. Die Sabine warf ihm einen
grimmigen Blick zu.
Fr. St. Am Ende wollte er ja gar ein
heydniſches Lied ſingen: Freude ſchoͤner Goͤt-
terfunken! nein, ſo verrucht geht es bey uns
nicht zu.
Hr. St.
Hr. St. Weil er ſelbſt einen Titel hat,
ſo giebt er auch keinem Menſchen ſeine ge-
buͤhrende Ehre.
Fr. St. Wenn mein Sohn, der Buͤr-
germeiſter, auch Oberaͤlteſte, die wichtigſten
Proceſſe abhandelte, ſo ſaß er und kritzelte
mit der Gabel auf dem Teller.
Fr. Br. Und Zucker hat er in den Kaf-
fe geworfen, eine ganze Hand voll!
Fr. M. Und ſtatt nach Tiſche zur ge-
ſegneten Mahlzeit die Hand zu kuͤſſen, hat
er ſich ein Einzigesmal rings herum verbeugt.
Hr. St. Ich moͤchte nur wiſſen, wie der
Herr Miniſter ſolche Leute empfehlen kann.
Fuͤnfte Scene.
Sabine. Vorige.
Fr. St. Gut Bingen, daß du koͤmmſt.
Sag’ uns doch ein wenig, gleichen die jungen
Herrn in der Reſidenz Alle dieſem Musje
Olmers?
Sab. Alle, die Anſpruch auf ſeine Bil-
dung machen.
Fr. St. So? ſcharmant.
Hr. St. Er iſt ja ein Grobian.
Fr. Br. Dreht Brodkugeln.
Fr. M. Befleckt die Tiſchtuͤcher.
Fr. St. Titulirt keinen Menſchen.
Sperl. Verhoͤhnt die Poeſie.
Fr. Br. Lobt keinen Kuchen.
Fr. M. Laͤßt die Haͤlfte auf dem Teller
liegen.
Hr. St. Weiß von keinem Tiſchgebet.
G Fr. St.
Fr. St. Will heydniſche Lieder ſingen.
Sperl. Kuͤßt die Nachbarin.
Fr. St. Hat weder deinem Vater noch
dem Herrn Paſtor loci geduldig zuge-
hoͤrt.
Sab. O weh! o weh! der arme Olmers!
— Liebe Großmutter, in der Reſidenz ver-
bannt man ſo viel moͤglich allen Zwang.
Komplimente ſind dem, der ſie macht, im
Grunde eben ſo laͤſtig, als dem, der ſie em-
pfaͤngt. Man laͤßt die Leute eſſen wovon ſie
Luſt haben, und ſo viel ſie moͤgen, man noͤ-
thigt nie. Das Tiſchgebet iſt nicht mehr ge-
braͤuchlich, weil die Kinder nur plappern, und
die Erwachſenen nichts dabey denken. Ein
anſtaͤndiger Scherz, ein frohes Lied, wuͤrzen
das Mahl. Der Titel bedient man ſich blos
im Amte, im geſelligen Leben wuͤrden ſie nur
die Freude verſcheuchen. Kurz, ein guter
Wirth ſucht Alles zu entfernen, was die Be-
haglichkeit ſeiner Gaͤſte ſtoͤren koͤnnte. Man
koͤmmt, man ſetzt ſich, man ſteht, Alles nach
Belieben.
Belieben. Man geht wieder ohne Abſchied
zu nehmen.
Fr. St. Hoͤr’ auf! ich bekomme meine
Schwindel.
Fr. Br. Ohne Abſchied! iſt das moͤglich?
Fr. M. Sich nicht einmal zu bedanken
fuͤr genoſſene Ehre!
Sab. Wenn die Gaͤſte vergnuͤgt ſind, ſo
haͤlt der Wirth das fuͤr den beſten Dank.
Fr. St. Ach du mein Gott! iſt denn die
Reſidenz zu einer Dorfſchenke geworden?
Sechſte Scene.
Der Buͤrgermeiſter. Olmers. Vorige.
Buͤrg. Wie ich Ihnen ſage, Herr Ol-
mers, die Stadtheerde hat ſeit 100 Jahren
das Privilegium auf den Rummelsburger
Stoppeln zu weiden —
Olm. So?
G 2 Buͤrg.
Buͤrg. Nun aber hat der Amtmann da-
ſelbſt noch neuerlich einen Hammel gepfaͤn-
det —
Olm. (zu Sabinen) Meine ſchoͤne junge
Wirthin iſt mir entſchluͤpft.
Buͤrg. Einen Hammel, ſag’ ich, hat er
gepfaͤndet —
Olm. Zwar kleidet die haͤusliche Sorge
Sie uͤberaus wohl —
Buͤrg. Einen fetten Hammel ſage ich —
Sab. (halb leiſe) So hoͤren Sie doch
auf den Hammel!
Olm. Laſſen Sie es gut ſeyn, Herr
Buͤrgermeiſter. Ich bin von den Privilegien
Ihrer Stadtheerde ſattſam uͤberzeugt. Der
Amtmann muß den Hammel herausgeben,
das verſteht ſich.
Buͤrg. Ey damit iſts noch nicht gethan.
Olm. Und Strafe dazu, ſo viel Sie
wollen.
(zu Frau Staar) Nicht wahr Ma-
dam? — Sie haben uns ſo ſchoͤn bewirthet,
daß wir in dieſem Augenblicke ſelbſt fuͤr den
fetteſten
fetteſten Hammel uns nicht zu intereſſiren
vermoͤgen.
Fr. St. Es ſcheint uͤberhaupt, mein
Herr, daß vernuͤnftige Geſpraͤche nicht Je-
dermann intereſſiren. Zu meiner Zeit wurde
das Alter in hohen Ehren gehalten. Beti-
telte Perſonen von geſetzten Jahren fuͤhrten
das Wort, die unbetitelte Jugend hoͤrte und
lernte. Sintemalen nun aber dieſe ehrbare
Sitte nicht mehr gebraͤuchlich, ſo thun aͤltere
Perſonen wohl, ſich der Geſellſchaft zu entzie-
hen, und uͤber den Sittenverfall in chriſtli-
cher Einſamkeit zu ſeufzen.
(Sie verneigt ſich
und geht ab.)
Olm. Ich will nicht hoffen, daß Madam
auf mich zuͤrnt?
Hr. St. Meine Frau Mutter, die Frau
Unterſteuereinnehmerin, wird in ganz Kraͤh-
winkel ſo hoch reſpectirt, daß ſie auch dann
nicht einmal zornig wird, wenn Dieſer oder
Jener ihr die gebuͤhrende Titulatur verſagt.
(ab.)
Olm.
Olm. Mein Gott! die Titel ſind hier in
der Provinz ſo lang, und das Studium der-
ſelben ſo beſchwerlich —
Sperl. Beſonders wenn man ſelbſt kei-
nen Titel hat.
(ab)
Olm. Aus einer frohen Geſellſchaft ſoll-
te jeder Zwang verbannt ſeyn.
Fr. Br. Da man aber bey einer Gaſte-
rey nicht zuſammenkoͤmmt, um froh zu ſeyn,
ſonderuſondern um die Gaben Gottes reichlich und
mit Anſtand zu genießen, ſo ſollte man doch
billig auf die reſpective Wuͤrde der Geſell-
ſchaft einige Ruͤckſicht nehmen.
(verbeugt ſich
und geht)
Fr. M. Zumal, da die guten Sitten nur
durch ein ehrbares Ceremoniel in ihrer Rei-
nigkeit erhalten werden.
(verbeugt ſich und geht.)
Olm. Bewahre der Himmel!
Buͤrg. (bey Seite, indem er ſich die Peruͤcke
zurechte zupft) Wenn nur der Miniſter nicht
waͤre, ich wollte es ihm auch ſchon ſagen.
Sab.
Sab. (leiſe) Sie ſind auf dem beſten
Wege, es mit der ganzen Familie zu verder-
ben. Reden Sie mit meinem Vater, ehe es
zu ſpaͤt wird.
(ab) Neunte Scene.
Buͤrgermeiſter. Frau Staar. Herr
Staar. Frau Brendel. Frau Mor-
genroth.
Fr. Br. Da ſind wir auf des Herrn
Buͤrgermeiſters Verlangen.
Fr. St. Was begehrſt du, mein Sohn?
Hr. St. Was will der Herr Bruder?
Buͤrg. Es iſt eine Familienangelegen-
heit zu berathſchlagen; da hab’ ich denn die
lieben Angehoͤrigen verſammeln wollen.
Fr. Br. und Fr. M. Ey was denn?
Herr Vetter, was denn?
Buͤrg. Etwas Nagelneues.
Fr. Br. Doch nicht wegen der neuen
Frau Steuereinnehmerin, die der alten wuͤr-
digen
digen Frau Muhme beym heiligen Liebesmahl
durchaus vortreten will?
Fr. St. Sie ſoll ſich nur unterſtehen —
Buͤrg. Nein, das iſt es nicht.
Fr. M. Oder wegen Feldſcheers Chriſtian,
der ihren Gottlieb einen Strohkopf geſchimpft
hat?
Buͤrg. Auch nicht. Die Sache iſt jetzt
vor einem Hochedeln Rath und kann unter
zwey Jahren nicht beendigt werden.
Fr. St. Nun ſo explicire dich, mein
Sohn.
Buͤrg. Nehmen wir zuvor Platz, um in
gehoͤriger Ordnung zu procediren. Die Frau
Mutter, als Familienpraͤſes, in der Mitte;
die Stammhalter zu beyden Seiten. Die
Frau Muhmen auf dem rechten und linken
Fluͤgel. So.
Fr. Br. (indem ſie ſich ſetzt) Ich ſterbe
vor Verlangen.
Fr. M. (eben ſo) Ich platze vor Neu-
begier.
Buͤrg.
Buͤrg. (raͤuſpert ſich) Es iſt ihnen aller-
ſeits wohl bewußt, welchergeſtalt meine aͤlteſte
Eheleibliche Tochter Sabina nunmehro die
mannbaren Jahre erreicht hat.
Fr. St. Freylich, ſie ſoll ja heirathen.
Fr. Br. Etwas zu jung moͤgte ſie aller-
dings noch ſeyn.
Fr. M. Wenn ſie nicht meine liebe Muh-
me waͤre, ſo wuͤrde ich ſagen, ſie ſey noch ein
wenig naſeweiß.
Hr. St. Getroffen Die Buͤcher aus
meiner Leſebibliothek ſind ihr Alle nicht gut
genug.
Fr. Br. Ein ziemliches Weltkind, das
die neuſten Moden aus der Reſidenz bekoͤmmt.
Fr. M. Neulich ſpottete ſie gar uͤber
unſere Manier uns zu verneigen.
Fr. Br. Unſer alter Tanzmeiſter war zu
ſeiner Zeit doch ein beruͤhmter Mann.
Fr. M. Freylich wußte er nichts von
dem neumodiſchen Hopſaſa!
Fr. Br.
Fr. Br. Und litt auch nicht, daß man
auf der Straße die Schleppe um ſich wickelte
wie einen naſſen Lappen.
Fr. St. Nun, nun, liebwertheſte Frau
Muhmen, der Jugend muß man etwas zu
gute halten. Mein Sabingen hat doch ein
ehrliches Gemuͤth. Fahre fort, mein Sohn
Niclas.
Buͤrg. Obbeſagte, meine Tochter Sabi-
na gedenket nunmehro der Herr Bau-Berg-
und Weginſpectors-Subſtitut Sperling als ſein
eheliches Gemahl heim zu fuͤhren.
Hr. St. Iſt zur Gnuͤge bekannt. Nur
weiter.
Buͤrg. Es findet ſich aber, daß, ehe noch
die ſponſalia vollzogen worden, ein Mitbe-
werber auftritt, welcher gleichfalls chriſtliche
Abſichten heget.
Alle. Wer? wer?
Buͤrg. Es iſt ſolches der mir von Sr.
Excellenz dem hoͤchſt zu verehrenden Herrn
Miniſter
Miniſter auf das dringlichſte empfohlene Herr
Olmers.
Fr. St. Der?
Hr. St. Hm!
Fr. Br. Ey!
Fr. M. Seht doch!
Fr. St. Wirklich?
Hr. St. Curios.
Fr. Br. In der That.
Fr. M. Unvermuthet.
Buͤrg. Was meinen nun die lieben An-
gehoͤrigen nach reiflicher der Sache Erwaͤ-
gung?
Fr. St. Je nun —
Hr. St. Ich meine —
Fr. Br. Was mich betrifft —
Fr. M. Ich habe ſo meine eigenen Ge-
danken.
Fr. Br. Die Heirathen nach der Reſi-
denz gedeihen nicht allzuwohl. Man hat
Beyſpiele.
Fr. St.
Fr. St. Ganz recht Frau Muhme, die
Stadtſecretairs Tochter.
Fr. Br. Das war ein Juchhe und eine
Herrlichkeit, wie ſie den Journalenſchreiber
heirathete.
Fr. M. Drey neue Kleider auf Einmal
wurden angeſchafft.
Fr. St. Aber es dauerte kein Jahr, ſo
kam ſie mit einem Wuͤrmgen zuruͤck.
Fr. Br. Sitzt nun da und nagt am
Hungertuche.
Fr. M. Die ſeidenen Faͤhngen ſind ver-
kauft.
Fr. St. Natuͤrlich, wo ſoll es herkom-
men!
Fr. Br. Das Leben wird alle Tage
theurer.
Fr. M. Ja wohl, Frau Muhme, die
Butter hat auf dem lezten Markttage wieder
einen Groſchen mehr gekoſtet.
Fr. St. Wo will das hinaus!
Fr. Br.
Fr. Br. Die Frau Rentkammerſchreibe-
rin Wittmann tractirt doch alle Tage.
Fr. M. Ich hoͤre ja, ſie hat geſtern wie-
der Kuchen gebacken?
Fr St. Was Sie ſagen!
Fr. Br. Ihr Mann iſt doch nur Su-
pernumerarius.
Fr. St. Wo nehmen nur die Leute das
Geld her?
Fr. M. Ja, wenn ich reden wollte —
Fr. St. und Fr. Br. O reden Sie,
liebe Frau Muhme, reden Sie.
Buͤrg. Ein Andresmal, wenn ich un-
masgeblich bitten darf. Wiederum auf meine
Sabina zu kommen —
Hr. St. Wo denkt der Herr Bruder
hin? Der Menſch hat ja gar keine Familie.
Fr. Br. Man weiß ja nicht einmal, wie
er geboren iſt?
Fr. M. Ob man Hoch- oder Wohledel
an ihn ſchreibt?
Fr. Br.
Fr. Br. Sie wiſſen, daß die Honora-
tioren unſerer Stadt ſeit undenklichen Zeiten
Alle untereinander verwandt ſind.
Fr. M. Der Familie wegen werden ja
eben die Heirathen geſtiftet.
Hr. St. Das hilft ſich einander in den
Hochweiſen Rath.
Fr. Br. Der Herr Vetter wiſſen das
ſelber am beſten.
Fr. M. Ein Fremder iſt eine Raubbiene
in unſerm netten Bienenkorbe.
Hr. St. Weiß nichts von unſern alten
ehrwuͤrdigen Gebraͤuchen —
Fr. Br. Macht ſich luſtig uͤber unſere
ehrbaren Sitten —
Fr. M. Vergiftet die liebe Jugend, die
ohnehin taͤglich ſchlimmer wird —
Fr. St. Ja wohl Frau Muhme! zu un-
ſerer Zeit —
Fr. M. Ey ja wohl! ja wohl!
Fr. St. Ich wundre mich nur, wie ſie
die Hauptſache vergeſſen koͤnnen! Der Menſch
Hiſt
iſt ja gar nichts, nicht einmal ein Supernu-
merarius, oder ſo etwas dergleichen. — Seht
doch! das gefaͤllt mir nicht uͤbel. Die Toch-
ter eines Buͤrgermeiſters auch Oberaͤlteſten!
Die Enkelin eines Unterſteuereinnehmers!
Die Naſe ſteht ihm hoch.
Buͤrg. Das Concluſum dieſer Berath-
ſchlagung fiele alſo dahin aus —
Fr. St. Nein, er bekoͤmmt ſie nicht.
Alle. Er bekoͤmmt ſie nicht.
Buͤrg. Bene! optime! Das iſt auch
meine Meinung. Nur ſtehet annoch zu eroͤr-
tern, wie man auf eine glimpfliche Weiſe ihm
ſolches inſinuiren moͤge? Denn aus ſchuldi-
gem Reſpect vor Sr. Excellenz dem Herrn
Miniſter muß Solches mit beſonderer Scho-
nung tractiret werden.
Fr. St. Wenn er alle Tage zu Gaſte
geladen wird, ſo kann er ſchon zufrieden ſeyn.
Buͤrg. Das waͤre etwas.
Fr. Br. Der Herr Vetter koͤnnen ihm
ja von Rathswegen den Ehrenwein ſchenken.
Buͤrg.
Buͤrg. Nein, Frau Muhme, das waͤre
zu viel.
Fr. M. Oder bey der naͤchſten Kindtau-
fe, welche in der Familie vorfaͤllt, koͤnnte man
ihn zu Gevatter bitten.
Buͤrg. Das laͤßt ſich hoͤren.
Hr. St. Wie waͤr’ es — da es ihm doch
hauptſaͤchlich darauf ankoͤmmt, ſich hier in
Kraͤhwinkel zu etabliren — wenn man ihm
eine andre Frau proponirte?
Buͤrg. Da hat der Herr Bruder einen
geſunden Einfall.
Fr. St. Ja, aber wen?
Hr. St. Deine Urſula. Sie geht ins
neunte Jahr. Er kann warten; kann unter-
deſſen mit Huͤlfe des Miniſters ein ordentli-
cher, honnetter Menſch werden; kann in un-
ſern Geſellſchaften Lebensart lernen; durch
meine Leſebibliothek ſich ausbilden, und dann
wieder zufragen.
Fr. St. Recht. Man bliebe dann noch
immer Herr zu thun oder zu laſſen.
H 2 Buͤrg.
Buͤrg. Wenn er aber nicht ſo lange
warten will? Denn ich kenne die jungen
Herrn, wenn ſie einmal das Heirathen an-
wandelt, ſo geht es uͤber Hals und Kopf.
Hr. St. J nu, ich wollt’ ihm auch wohl
eine reife Schoͤnheit vorſchlagen.
Alle. Wen denn?
Hr. St. Da, unſere Frau Muhme, die
Frau Oberfloß- und Fiſchmeiſterin.
Fr. Br. (verſchaͤmt) Ah! Sie ſpaßen.
Hr. St. Sie iſt ſchon acht Monat
Wittwe.
Fr. Br. Bald neun Monat, Herr Vi-
cekirchenvorſteher, bald neun Monat.
Hr St. Sie hat Vermoͤgen, kann ihm
irgend einen Titel kaufen, ſie ſind wohlfeil
zu haben. Ein huͤbſcher Menſch iſt er doch
nun Einmal.
Fr. Br. Ja, huͤbſch iſt er, das muß man
geſtehn.
Hr. St. So kaͤm’ er denn doch in die
Familie.
Fr. St.
Fr. St. Und darum ſcheint es ihm be-
ſonders zu thun.
Buͤrg. Ja wie waͤr’ es, Frau Muhme?
Fr. Br. (ſich hinter dem Faͤcher verſteckend)
Ach laſſen Sie doch den lieben Gott walten.
Zehnte Scene.
Olmers. Vorige.
Olm. Verzeihen Sie der Ungeduld der
Liebe, die mich raſtlos umher treibt. Ich ſe-
he Sie verſammelt. Vielleicht iſt mein Schick-
ſal ſchon entſchieden. Darf ich mir ſchmei-
cheln bald mit in dieſen Kreis zu gehoͤren?
Buͤrg. (verwirrt und umſtaͤndlich) Ja —
ja — Se. Excellenz der Herr Miniſter haben
dieſelben Allerdings ſo dringend empfohlen
— wenn auch gewiſſe Wuͤnſche nicht gerade
angebrachtermaßen —
Fr. St. So gaͤb’ es denn doch noch
Mittel —
Hr. St.
Hr. St. Mit einigen Modificationen —
Fr. Br. Ach ich bitte! ſchweigen Sie.
Fr. M. Die Familie iſt, dem Himmel ſey
Dank, groß —
Fr. Br. Sie machen, daß ich gluͤhe.
Olm. Was ſoll ich aus dieſen abgebro-
chenen Saͤtzen ſchließen? Ich bitte, Herr
Buͤrgermeiſter, erklaͤren Sie ſich deutlich.
Buͤrg. Meine Frau Mutter iſt das
Haupt der Familie, ihr koͤmmt es zu das
Wort zu fuͤhren.
(ab)
Olm. Von Ihren Lippen, Madam, er-
wart’ ich alſo den Ausſpruch.
Fr. St. (nießt)
Alle. (außer Olmers) Zur Geſundheit!
Gott ſtaͤrke Sie!
Fr. St. (bey Seite) Nicht einmal Pro-
ſit ſagt der Unmenſch.
(laut) Nein, mein
Herr, die Madam hat hier nichts auszuſpre-
chen. Rede du mein Sohn, du kennſt meine
Gedanken.
(ab)
Olm.
Olm. O geſchwind, mein Herr, laſſen
Sie mich nicht laͤnger in dieſer marternden
Ungewißheit.
Hr. St. Eine delicate Sache. Heira-
then und Naͤhnadeln muͤſſen die Frauenzim-
mer einfaͤdeln. Bitte daher, ſich an die Frau
Muhme zu halten.
(ab)
Olm. Sie alſo melnemeine Damen?
Fr. M. Das Herz eines Juͤnglings,
mein Herr, weiß nicht immer was es wuͤnſcht.
Oft waͤhnt es ſich fern vom Ziele, indeſſen
Amor durch einen gluͤcklichen Tauſch, es zu
beſeligen im Begriff ſteht.
Olm. Was ſoll das heißen?
Fr. M. Fragen Sie nur die Frau Ge-
vatterin.
(ab)
Olm. Werden Sie mir endlich dieſe
Raͤthſel loͤſen?
Fr. Br. (minaudirend) Die Familie hat
Abſichten — Sie glaubt Ihnen Erſatz ſchul-
dig zu ſeyn — man thut Vorſchlaͤge — man
entwirft Plaͤne — aber Sie fuͤhlen wohl,
mein
mein Herr, daß es unſchicklich waͤre, wenn
eine junge Frau ſich auf etwas einlaſſen woll-
te, die erſt ſeit zehn Monaten Wittwe iſt.
ab) Dreyzehnte Scene.
Sperling. Vorige.
Olm. (leiſe) Soll ich ihn zur Thuͤr
hinauswerfen?
Sab. (leiſe) Ums Himmelswillen! ver-
derben Sie nicht Alles.
Sperl. Da bin ich, da bin ich, mein
reizendes Sabingen, treu und folgſam wie
die Schleppe an ihrem Kleide.
Olm. Da ſtehen Sie in Gefahr getre-
ten zu werden.
Sperl.
Ach! aber ach! das Maͤdgen kam,
Und nicht in Acht das Veilgen nahm,
Zertrat das arme Veilgen —
Olm. Die Grauſame!
Sperl. Hat nichts zu bedeuten. Nicht
wahr mein Bienchen? Wir wiſſen ſchon, wie
wir mit einander ſtehen.
Olm.
Olm. Nur nicht vor dem Altare.
Sperl. Bald! bald!
Die Myrtenkron’ im blonden Haar
Fuͤhr’ ich die Holde zum Altar.
Olm. (der nur mit Muͤhe noch an ſich haͤlt)
Wie aber, mein Herr Bau- Berg- und
Weginſpectors-Subſtitut, wenn Sie ſich
vorher noch mit einem Nebenbuhler den Hals
brechen muͤßten?
Sperl. Ey, ey, wie das?
Olm. (ruͤckt ihm naͤher) Wenn man Ih-
nen kurz und rund heraus ſagte —
Sperl. (retirirt) Ey was denn? was
denn?
Sab. (tritt zwiſchen ſie) Ja, Herr Ol-
mers, Sie haben Recht, es wird am beſten
ſeyn, dieſen Herrn um Rath zu fragen.
Sperl. Worin denn?
Sab. (Olmers winkend) Er verſteht ſich
darauf, daß duͤrfen ſie mir ſicher glauben.
Sperl. Worauf denn, mein Engel?
Sab.
Sab. (zu Sperling) Sehn Sie nur, die-
ſer Herr hier ſteht im Begriff einen Roman
zu vollenden.
Olm. Ich einen Roman?
Sab. (leiſe) Ey ſo ſchweigen Sie doch.
Sperl. Einen Ritterroman?
Sab. Ja ja, es iſt ſo eine Art von Rit-
terroman. Um nun die Kataſtrophe vorzube-
reiten, iſt es durchaus nothwendig, daß der
Ritter mit ſeinem Maͤdgen eine geheime Un-
terredung habe.
Olm. Ja, mein Herr, das iſt durchaus
nothwendig.
Sperl. Wohl, wohl, ich begreife das.
Sab. Nun iſt aber das arme Maͤdgen
den ganzen Tag von laͤſtigen Augen bewacht.
Bald der Vater, bald die Mutter, bald der
Nebenbuhler —
Sperl. Aha! iſt auch ein Nebenbuhler
dabey? vermuthlich eine widerliche Kreatur?
Olm. Ja wohl, mein Herr, ein uner-
traͤglicher Narr!
Sperl.
Sperl. Ich verſtehe, haͤ! haͤ! haͤ!
haͤ! haͤ!
Sab. Es muß alſo eine Liſt erſonnen
werden, um der Dirne Gelegenheit zu ver-
ſchaffen, unbemerkt mit ihrem Ritter zu
ſchwatzen, denn
(mit Beziehung) ſie hat ihm
hoͤchſt wichtige Dinge zu ſagen.
Sperl. Die der Nebenbuhler nicht hoͤ-
ren darf?
Sab. Nun freylich.
Sperl. Ich verſtehe. Und nun iſt der
Herr da in Verlegenheit, wie er das Ding
einfaͤdeln ſoll?
Olm. Allerdings. Wenn Sie die Guͤte
haben wollten, mir mit gutem Rath beyzu-
ſtehn —
Sperl. Herzlich gern. Nichts leichter
auf der Welt.
(er ſinnt nach) Sehen Sie —
zum Exempel — am Tage darf die Zuſam-
menkunft ſchon nicht geſchehn, denn da geht
der abgeſchmackte Nebenbuhler dem Maͤdgen
nicht von der Seite.
Olm.
Olm. So iſts mein Herr.
Sperl. Alſo bey Nacht! und zwar in
der Geiſterſtunde! um Mitternacht!
Sab. Das moͤgte bedenklich ſeyn, weil
das Maͤdgen zwar munter und muthwillig,
aber doch ſehr ſittſam geſchildert worden.
Olm. Das haͤtte doch ſo viel nicht zu
bedeuten, da der Ritter ohnehin ſchon halb
und halb ihr Braͤutigam iſt.
Sab. Nein, Herr Olmers, die Ehre
Ihrer Heldin iſt mir zu lieb. Um Mitter-
nacht wird nichts daraus. Allenfalls den
Abend.
Sperl. Wohl, wohl, den Abend. Ver-
muthlich iſt der Nebenbuhler eine Schlaf-
muͤtze, die fruͤh zu Bett geht?
Sab. Getroffen.
Sperl. Nun, ſo bleiben wir bey dem
Abend. Da iſt denn ein langer, einſamer
Gang in der Burg, von einem Laͤmpgen
ſchwach erleuchtet —
Sab.
Sab. Nein, nein, das Local iſt bereits
ſehr umſtaͤndlich geſchildert. Da iſt kein ſol-
cher Gang.
Sperl. Oder ein Garten, wo zwiſchen
duͤſtern Taxushecken —
Sab. Sie vergeſſen, Herr Sperling,
das ſittſame Maͤdgen geht nicht zwiſchen die
duͤſtern Taxushecken.
Olm. Mich duͤnkt doch, dahin koͤnnte
man ſie immer gehen laſſen.
Sab. Ey bewahre! das thut ſie nicht.
Sperl. So koͤnnte der Ritter ſich kurz
und gut in ihr Schlafzimmer ſchleichen?
Sab. Behuͤte der Himmel! das thut ſie
noch weniger.
Olm. Es ſcheint faſt, ſie hat kein Ver-
trauen zu ihrem Geliebten.
Sab. Das wohl. Aber was wuͤrden die
Recenſenten von der Moralitaͤt ſagen? nein,
auf ſolche Dinge laͤßt ſie ſich durchaus nicht
ein.
Sperl.
Sperl. Ja, dann ſind wir doch wirklich
in einiger Verlegenheit. Ich wollte, weiß
Gott! herzlich gern die Sache befoͤrdern. —
Schade, mein Herr, daß Sie den Character
des Maͤdgens faſt ein wenig zu ſtreng und
ſittſam angelegt haben.
Olm. Sie haben Recht. Ich ſehe wohl,
ſie wird am Ende doch noch dem albernen
Nebenbuhler zu Theil werden.
Sperl. Nein, nein, nein! das muß nicht
geſchehn. Nein durchaus nicht! das wollen
wir zu verhuͤten ſuchen.
(nachſinnend) Wie —
wenn — das Einzige, wozu das Maͤdgen ſich
allenfalls verſtehen koͤnnte, waͤre etwa, vor
Schlafengehn, eine kurze Unterredung vor der
Hausthuͤr. Da waͤre denn noch Alles rings
umher wach — es giengen Leute voruͤber, der
Nachtwaͤchter und dergleichen. — Was mei-
nen Sie dazu?
Olm. Ein herrlicher Einfall.
Sab. Recht ſchicklich koͤmmt es mir frey-
lich auch nicht vor —
Sperl.
Sperl. Seyn Sie ganz ruhig, das
nehm’ ich auf mich.
(zu Olmers) Veranſtal-
ten ſie in Gottes Namen die Zuſammenkunft
auf dieſe Weiſe; dagegen kann niemand et-
was einwenden.
Sab. Nun ja, Herr Olmers, wenn es
Ihnen ſo gefaͤllt —
Olm. (zu Sperling) Ich befolge Ihren
Rath mit Freuden.
Sperl. (reibt ſich ſehr zufrieden die Haͤnde)
Na, ſo haͤtten wir denn doch dem armen ſitt-
ſamen Maͤdgen aus der Klemme geholfen.
Sab. (macht einen Knix) Dafuͤr muß ſie
ſich bey Ihnen bedanken.
Sperl. Iſt gern geſchehn. Vielleicht
koͤnnte man es auch ſo einrichten, daß der
Nebenbuhler dabey auf eine laͤcherliche Weiſe
hinter das Licht gefuͤhrt wuͤrde?
Sab. Allerdings.
Sperl. Wenn er nemlich dumm genug
dazu iſt?
Olm. O ja, dafuͤr ſteh’ ich Ihnen.
J Sab.
Sab. Wie wenn das Maͤdgen in Ge-
genwart des Nebenbuhlers ihr Rendezvous
mit dem Geliebten veranſtaltete?
Sperl. Bravo! bravo! Da giebt es
etwas zu lachen.
Sab. Man koͤnnte ihn ſogar ſelbſt mit
lachen laſſen.
Sperl. Immer beſſer! immer beſſer!
(er lacht von ganzem Herzen.)
Sab. Horch! die Gaͤſte brechen auf.
Gute Nacht, meine Herren! morgen wollen
wir mehr daruͤber lachen, denn vermuthlich
wird Herr Olmers noch dieſen Abend alles
in Richtigkeit bringen.
Olm. Ganz gewiß.
Sab. Nun dann, auf Wiederſehn!
(ab.)
Sperl. Sie wollen noch heute daran
arbeiten?
Olm. Ja, das erſte Feuer muß man
nutzen.
Sperl. Sie haben — Recht. — Hoͤ-
ren Sie — wenn Ihr Roman fertig iſt —
darf
darf ich mir wohl ein Exemplar davon aus-
bitten?
Olm. Er ſoll Ihnen dedicirt werden.
(ab.)