Deutscher
Novellenschatz.
Herausgegeben von
Paul Heyse und Hermann Kurz.
Band 5
Berlin
Globus Verlag
G. m. b. H.
1910
Inhalt:
Seite Ein Karnevalsfest auf Ischia. Von August Kopisch 1
Die Entscheidung bei Hochkirch. Von Friederike
Lohmann 63
Der Karneval und die Somnambüle. Von Karl
Immermann 139
Der arme Spielmann. Von Franz Grillparzer 275
Die Entscheidung bei Hochkirch.
Eine Erzählung aus dem siebenjährigen Kriege.
Von
Friederike Lohmann.
(Emilie) Friederike (Sophie) Lohmann, geb. 29. Mai 1783 zu Schönebeck bei Magdeburg, begann ihre schriftstellerische Laufbahn in Leipzig um 1810 auf den Wunsch und unter dem Namen ihrer todtkranken Mutter, der jetzt vergessenen Schriftstellerin (Johanne) Friederike Lohmann, deren Erfolge sie bald überflügelte. Sie starb zu Leipzig am 16. September 1830. Ihre Schriften erschienen gesammelt und mit einer biographischen Skizze von Fr. Kind begleitet unter dem Titel „Neueste gesammelte Erzählungen“ in 16 Bänden, Leipzig 1828—32, dann wieder unter dem Titel „Sämmtliche Erzählungen. Ausgabe letzter Hand; mit einem Vorworte der Verfasserin von Godwie Castle rc. rc.“ (Frau von Paalzow), in 18 Bänden, Leipzig 1844. Von Talent, Gewandtheit und edler Herzensbildung zeugend, gehören diese Schriften den besseren Hervorbringungen jener Periode an, wiewohl sie nur an dem Maßstab ihrer eigenen Zeit gemessen werden dürfen, zumal die historischen Novellen aus dem Mittelalter, die so unhistorisch harmlos, dabei aber so sauber und gemüthvoll, nur mit mehr Reichthum der Erfindung gemalt sind, als des Goldschmieds Töchterlein und ähnliche Cabinetsbildchen der Düsseldorfer Schule. Wo aber die Erzählerin Anschauung und Verständniß der geschilderten Zeit hat, wie in der vorliegenden Novelle aus dem 18. Jahrhundert, da entwickelt sie einen ganz andern Nerv und führt uns ein Gebilde voll wahrhaften Lebens vor, bei dessen Entwerfung männliche Kraft und weibliche Milde einander die Wage hielten. Auch der Humor war ihr nicht versagt: er zeichnet — neben der Erzählung „Der Dichter“ — ganz besonders die gegen-
wärtige aus, deren Heldin, die alte Justine, man kecklich eine Prachtfigur wird nennen dürfen. Als eine Feinheit unserer Erzählung ist noch hervorzuheben der Hauch politischer Versöhnung, der schon in Lessing’s Minna von Barnhelm athmet und keinem keinem echten Bilde aus der Zeit des siebenjährigen Krieges fehlen darf.
Als zu Anfang des siebenjährigen Krieges die braven sächsischen Truppen im Lager bei Pirna entwaffnet wurden, die Soldaten gezwungen in die Reihen ihrer Feinde traten, die Offiziere aber ihr Ehrenwort geben mußten, nicht gegen Friedrich zu dienen, kehrte der Hauptmann von Pistor nach Dresden zurück, das er voll trüber Ahnung verlassen hatte, um in jenem Feldlager ein entmuthigendes Schicksal zu erwarten. Es gab in der entwaffneten Armee mehrere Individuen, die das gegebene Wort zu brechen nicht für ehrlos hielten; er beneidete sie um ihre Ueberzeugung, aber er konnte sie nicht theilen, und seine ehrwürdige Mutter gab ihm Recht. Er beschloß also, die Welt, die ihn jetzt schwer verletzte, bei den Wissenschaften zu vergessen und sein mäßiges Vermögen durch schriftstellerische Arbeiten zu mehren, bis er den früheren Beruf wieder ergreifen dürfe. Nachdem diese Hoffnungen in seiner Seele Wurzel gefaßt hatten, schloß sich seinen Träumen eine noch schönere auf: der ruhige Besitz der Geliebten, mit der ihn eine frühere Jugendneigung verband. Mariane Ellinger war die Gespielin seiner verstorbenen Schwester
und schien von jeher gleichsam das dritte Kind der Frau von Pistor; sie hatte keine Mutter, die alte Frau bald keine Tochter mehr, und das innige Verhältniß ward noch inniger durch Marianens und Leo's Liebe. Anspruchslos in ihrer Erscheinung, eine kleine, gekrümmte Gestalt mit einer leisen schüchternen Stimme, fremd in der Welt, aber Freundin aller Menschen, waltete Frau von Pistor wie ein guter Geist in ihrem Kreise, und es ward den Liebenden leicht, sich ihr zu vertrauen, weil nie eine Mutter mehr verstand, die Gefühle der Jugend zu würdigen. Vor Marianens Vater blieb dagegen das Bündniß noch unter seiner Hülle, er hätte die Tochter errathen müssen, um ihr Herz zu öffnen; doch, obgleich Pistor bis zum Ausmarsch der Truppen ein gern gesehener Gast in seinem Hause war, obgleich die lustige Mariane nach Leo's Abreise sehr traurig wurde, und vier andere Augen tief in ihre Brust schaueten, schien der sorgenvolle Geschäftsmann blind für ihre Gefühle.
Auf einem wichtigen Posten, als Haupteinnehmer öffentlicher Gelder, stand der * * Rath Ellinger, seiner gediegenen Rechtlichkeit wegen in großer Achtung, sowohl bei seinem Landesherrn, als seinen Mitbürgern. Sein Charakter hatte etwas Finsteres, man näherte sich ihm mit einiger Scheu, that aber Unrecht daran, denn er zeigte Denen, die sich von dieser Außenseite nicht schrecken ließen, nicht bloß unbestechliche Gerechtigkeit, sondern auch Milde. Seine Kinder liebte er sehr, bewies es jedoch mehr durch Thaten als Worte oder
Liebkosungen. Aeußerungen der Zärtlichkeit, Lobsprüche, wurden ihnen nur selten; deshalb hatte ein Lächeln über Marianens muntere Einfälle, eine häusliche Stunde, die er ihr und ihren kleinen Schwestern schenkte, doppelten Werth. Was er sprach, war ohne Schmuck, ohne Wendungen; was er wollte, dabei blieb es unabänderlich, da es keine verdeckte Schwäche gab, die man gegen ihn brauchen konnte, und die Liebe der Kinder nicht ganz frei von Furcht war. Seit der preußischen Besitznahme vertieften sich die Furchen auf seinem Gesicht, seine Laune ward mürrisch; wenn er sich gegen den König aussprach, von den feindlichen Autoritäten redete, geschah es mit Bitterkeit, mit eben so großem Haß gegen den Feind, als offener Anhänglichkeit gegen sein Herrscherhaus; die Nothwendigkeit des Verkehrs mit der neuen Regierung, der Verdruß, seine Einnahmen in ihren Schatz fließen zu sehen, verfolgten ihn in sein Haus, er sah Alles mit andern Augen an, tadelte öfter, oder sprach gar nicht und sah mit finstern Blicken umher, daß die lustigen Stimmen der kleinen Mädchen bis zum Flüstern gedämpft wurden. Indessen blieb Marianens Leben, trotz dieser Wolken, ziemlich ungetrübt, so lange sie sich über die bedenkliche Lage der Sachsen, im Pirnaischen Lager, täuschen konnte. Die Tugend hat einen Schatz von gutem Muth; ob sie auch immer daraus schöpft, er versiegt nicht: Marianen besonders war ein reiches Erbe davon zu Theil geworden. Ernst und unzugänglich war ihr Vater von jeher gewesen; so lange sie denken konnte,
bemühte sie sich mit abwechselndem Erfolge, ihn durch ihre Heiterkeit zu zerstreuen; jetzt fühlte sie die Nothwendigkeit doppelt, nicht auch ein trübes Gesicht zu haben. War er einmal hart und unfreundlich gegen sie oder die Kinder, so hütete sie sich, Empfindlichkeit zu zeigen; sie wußte, er danke ihr im Stillen das ruhige Ertragen, werde aber durch Widerspruch und Leidenschaftlichkeit zu einem Zorn gereizt, den sie fürchtete. Nur gegen Eine Person des kleinen Haushalts litt dies eine Ausnahme. Seit Mariane lebte, war eine betagte Jungfer in der Familie, Anfangs als Gehülfin der kränkelnden Frau, nach ihrem Tode als Pflegerin der Kinder. Mit Mutterliebe hatte Justine die Mädchen erzogen, ihre Gesundheit gehütet, sie in Krankheiten bewacht, die tausend kleinen und großen Opfer gebracht, die des Kindes Hülflosigkeit von hingebender Treue empfangen muß. Ellinger schätzte dies Verdienst nach seinem ganzen Werthe. Er war gegen Niemand nachsichtiger, gefälliger, als gegen Justinen, und achtete ihr Wirken so hoch, daß er ihren Mangel an Bildung, ihren Eigensinn, ihre Altersschwäche freundlich ertrug, sogar heftige Vorwürfe geduldig anhörte, wenn er etwas ihr Mißfälliges gethan, etwas ohne sie über die Kinder beschlossen, oder ihnen, nach Justinens Begriffen, weh gethan hatte. Ich kann sie, sagte er oft, für die schlaflosen Nächte und die hingeopferte Ruhe ihres Alters nicht belohnen, kann es ihr nicht bezahlen, daß meine Kinder gesund an Seel' und Leib
heranwachsen; sie bedarf nichts, als die Freiheit sich auszusprechen, und die soll sie haben; so lange sie lebt, mag sie reden wie und was sie will. — Nach diesem Grundsatz durfte Justine den Hausherrn freimüthig tadeln, wo es außer ihr keine Stimme gewagt hätte, sie würde es aber auch ohne seine Erlaubniß gethan haben. Keine Rücksicht hatte jemals ihren Mund verschlossen, wo ihr Herz voll war; sie kannte weder Furcht noch Bedenklichkeit, wenn der Fluß der Rede über die Zunge strömte. Dazu, meinte sie, habe uns Gott die Sprache gegeben, als Vorzug vor der unvernünftigen Kreatur, daß wir einander ermahnten und nicht abließen, in den Irrenden hinein zu reden, bis er der Wahrheit die Ehre gäbe, möge auch, was er irrt, uns selbst nicht brennen noch verwunden. — Und die Männer, dachte sie, die hochmüthigen Männer müssen und sollen uns wenigstens hören; sie haben Degen und Federn, und Uebermacht von Kindheit an; wir aber haben Zungen, die wollen wir denn brauchen, und uns nicht fürchten, mögen sie sich noch so wild geberden! — Durch ein dunkles Gefühl geleitet, sagte sie indessen dem Herrn ihre Wahrheiten nur unter vier Augen; aber wenn ihr Herz solcher Erleichterung bedurfte, schien einer ihrer vornehmsten Lebenstriebe gehemmt, und sie umschlich ihn in großer Unruhe, bis es gelang, ihn in der Einsamkeit zu überraschen.
Justine hatte das vierundsiebenzigste Jahr zurückgelegt, aber es fehlte ihr nicht an Kraft und Rüstigkeit.
Sie war früh am Morgen auf, im netten Anzuge, mit Contusche und Rock vom feinsten Zitz, zierlich klappende Pantöffelchen an den Füßen, eine stattliche Dormeuse über dem grauen, gepuderten Haar. Ihre schwarzen Augen blickten frisch und lebhaft über eine gekrümmte Nase hin, sie drangen nicht mehr in die Ferne, waren aber in gehöriger Nähe nicht leicht zu täuschen. Sie gab oft Winke, wie sie in ihrer Jugend ein sehr hübsches Mädchen gewesen sei; die Kinder konnten sich das nicht denken; das vorlaute Lottchen zupfte Marianen bei solcher Erzählung und flüsterte ihr zu: Glaubst du das, Marianchen? Ich nicht. Die gute Justine sieht doch leibhaftig aus, wie Hofmarschalls alter Papagei. — Mariane fand heimlich den Vergleich treffend, gab aber Lottchen einen ernsten Verweis, und nun verzog das Kind keine Miene wieder. Galt es, die Nachlässigkeit der Dienerschaft zu verbessern, Flecken vom Fußboden zu tilgen, Spinngewebe zu vernichten, oder das blanke Geräth spiegelhell zu machen, so beschämte Justinens Hand noch immer das jüngste Mädchen, und sie war hoch verwundert, wenn sie eine verlorene Masche am Strumpf nicht wieder finden konnte, wenn Mariane sie suchen mußte. Der enge Bezirk des Hauses war ihre Welt, seit vier Jahren kam ihr Fuß nicht mehr auf die Straße; es wäre ihr eben so möglich gewesen, sich zu einer Reise nach Rom als zu einem Gange über die Brücke zu entschließen, die sie aus ihrem Fenster sah.
Doch, so lange wir leben, macht die Welt ihre
Rechte über uns geltend: auch Justine wurde durch die Kriegsereignisse noch einmal zur Theilnahme an Welthändeln aufgeregt. Sie war eine Preußin und stolz auf ihren König, der zwar Vielen weh that, an Marianens Thränen, an Pistor's Gefahr Schuld hatte, aber dennoch, selbst in dem gedrückten Lande, bewundert, ja angebetet ward. Als achtzehnjähriges Mädchen hatte sie in Wustrau auf dem Schlosse gedient, wo der General Ziethen geboren wurde, und war seine Wärterin gewesen. Der kräftige Knabe hing sehr an ihr, der reifende Mann vergaß das nicht, er fand sie nach vielen Jahren in Spandau wieder, als er schon in den Reihen der Krieger stand, und beschenkte sie mit einer gehenkelten Goldmünze, die sie noch jetzt um den Hals trug. Später, ehe das Schicksal sie zu Ellingers führte, war sie noch einmal von ihm aufgesucht worden; der stattliche Husarenoffizier, der sich mit seiner hohen Pelzmütze unter der niedern Thüre bücken mußte, blieb, zur Verwunderung der Nachbarn, eine volle Stunde bei Justinen, ließ sich von ihr Anekdoten aus seinen frühesten Jahren erzählen, und als er schied und sie ihm lange mit Thränen nachsah, hatte er zwanzig Louisd'or unter ihr Nähzeug geschoben. Die gute Alte hatte ihr Leben nur für Andere gelebt, die Sterne ihres Daseins waren die Kinder, die sie heraufgezogen, die Menschen, denen sie gedient hatte; des vornehmen Kriegsmanns Dankbarkeit glühte am hellsten in ihr Alter hinein; sie konnte anfangs kaum glauben, daß er General, ein Liebling seines
Königs sei; als sie es glauben mußte, weinte sie vor Freuden und sonnte sich sichtbar in seinen Strahlen. Ich bin nur ein schlechtes altes Mädchen, sagte sie, aber wenn ich den Junker Joachim nicht so treu gepflegt hätte, wäre er vielleicht jetzt kein großer General, und unser König hätte keinen Ziethen. Niemand weiß, was für kleine Tropfen ins Wasser fließen, ehe es ein breiter Strom wird. Kinderwärterinnen, sage ich, sind wichtiger in der Welt, als man glaubt. Die großthuenden Mannspersonen sehen uns über die Achsel an, aber ich sage: bedenkt nur, daß ihr einmal hülflos waret und eure geraden Gliedmaßen nächst Gott eurer Wärterin dankt. Mein General, segne ihn Gott, hat das immer erkannt.
Justine wurde nun die eifrigste Zeitungsleserin im Hause. Früher gab es für sie keine Lectüre, als das Gesangbuch und den Kalender, deßhalb ging das Lesen schwer von Statten, besonders die Kriegsberichte mit den vielen bedenklichen Namen und Ausdrücken. Mariane und Lottchen machten also die Vorleserinnen, zögerten sie aber einmal zu lange, so saß die Alte mit der Brille vor dem Blatte, verfolgte die Zeilen mit dem Finger und bewegte buchstabirend die Lippen; ein Anblick, über welchen die kleine Luise mit stolzer Ueberhebung lächelte. Größeres Vergnügen gaben ihr mündliche Kriegsberichte. Ein alter Bürger, ihr Gevatter, König Friedrichs warmer Anhänger, kam fast täglich, brachte ein gutes Prischen in ihre Dose und eine Menge wahrer und falscher
Nachrichten. Da jedoch Justine eben so gut sächsisch als preußisch gesinnt war, that ihr dieser Enthusiast oft nicht minder weh, als Ellinger, besonders wenn er die Gefangennehmung der Truppen vorhersagte, denen sie, um Pistor's willen, einen ehrenvollen Abzug wünschte.
Außer dem Hauptmann besuchte noch ein anderer junger Mann das Haus, der Calculator Börner, der unter Ellinger bei der Casse arbeitete. Seine lange Gestalt hatte etwas Steifes, Ungelenkes, sein schmales blasses Gesicht empfahl nur der durchdringend kluge Blick, dagegen stieß ein Zug von Satyre, der auch in seinem Gespräche der Grundton war, Manchen zurück. Ellinger kannte ihn lange, hatte ihm viel Dienste geleistet, eben so viele Beweise des Dankes erhalten und glaubte seinen Charakter vollkommen erforscht zu haben. Der spielende Witz, der Dörnern zu Gebote stand, erheiterte die Abendstunden seines älteren Freundes, aber er war nicht weniger bereit zu ernster Unterhaltung; es gab kein Fach, in welchem er sich nicht mit Leichtigkeit bewegte, er konnte Alles mit großer Beredsamkeit vertheidigen, wußte selbst Scheingründe siegreich ins Feld zu stellen, blieb keiner Frage eine Antwort schuldig und verstand doch zu rechter Zeit, der Meinung Anderer zu weichen. In seinem Wesen war nichts Jugendliches, er gefiel daher mehr den Alten, als seines Gleichen, mehr den Vätern, als ihren Töchtern. Doch hörte Mariane
ihm gern zu, lachte über seinen treffenden Witz und vermißte ihn, wenn er ausblieb, weil der Vater ihn so lieb hatte. Justine konnte ihn nicht leiden; eben so offen, wie sie den Hauptmann begünstigte, zeigte sie sich als Börner's Widersacherin. Das weiß ich nicht, sagte sie zu Marianen, was der Vater an Dem hat. Meine Augen sind die schlechtesten im ganzen Hause, den Wolf im Schafspelz werden sie doch gewahr. Und ich merke noch was, das Andere nicht merken. Ich bin ihm auch ein Dorn im Auge, ja, mir zur Kränkung trägt er allemal die ganze Straße an den Füßen mit herauf und beschmutzt mir den gebürsteten Teppich.
Glaube das nicht, Justine, sagte Mariane, Börner scheint nicht viel auf Zierlichkeit zu halten.
Das ist wahr, erwiderte die Alte, weiß er doch nicht, wie er die langen Glieder tragen soll, seine Kleider stehen ihm an, als gehörten sie jemand Anderem, sein Jabot und seine Manschetten sind so vergelbt und zerknittert, daß es mir in den Fingern zuckt, sie unter die Plätte zu nehmen. Der Hauptmann ist ein ganz anderer Mann. Ich habe mich immer gefreut, wenn er so freundlich mit mir war, als hätte er mir Großes zu danken. Er glaubt vielleicht nicht, wie die alte Justine sein Glück wünscht. Du darfst nicht roth werden, Marianchen, was ich weiß, weiß ich lange, und Niemand soll es erfahren.
Ach, Justine, seufzte das Mädchen, es geht den Sachsen traurig im Lager. Ich zittre, daß sie gefangen
werden, und zittre noch mehr, wenn sie sich durchschlagen. Wer weiß, ob wir Pistor wiedersehen.
Diese Besorgnisse wurden endlich entschieden, die Liebenden sahen sich wieder, sahen sich fast täglich, da Mariane viel bei Frau von Pistor, Leo öfter als sonst in Ellinger's Hause war. Gleiche Kränkung drückte beide Männer, Pistor trug indessen sein Schicksal ruhiger, er arbeitete viel, indem er unter fremdem Namen über historische und kriegswissenschaftliche Gegenstände schrieb; eine neue Thätigkeit, die seinen Geist von der Gegenwart abzog, da hingegen Ellinger's Geschäfte fortwährend mit seinem Verdruß zusammenhingen. Je mehr indessen Leo die Stunden in Marianens Familienkreise als wirksamen Trost empfand, je größeres Bedürfniß wurde es ihm, seine Liebe von ihrem Vater gebilligt zu sehen. Sobald er also den ersten günstigen Erfolg seiner Thätigkeit erntete, beschloß er mit Ellinger zu sprechen. Marianen erschreckte und überraschte der Gedanke, sie war nicht ganz ohne Furcht vor dem entscheidenden Schritt; seit sie Leo wieder hatte, seit er etwas ruhiger geworden war, schien ihr ihre Lage glücklich genug, um nichts daran verrücken zu wollen, und eben jetzt, da des Vaters Stimmung täglich finsterer wurde, da er oft um geringer Anlässe willen hart sein konnte, fehlte ihr der Muth, das Vertrauen zu seiner Güte. Leo's offener männlicher Sinn kannte keine solche Bedenklichkeit, allein er sah ihre Angst, wollte ihr die peinliche Erwartung ersparen und ging deßhalb an einem Sommerabend, als Ma-
riane auf einem nahen Weinberge war, zu dem alten Ellinger.
Justine hatte den Hauptmann kommen sehen, sie war gewohnt, daß er zum Abendessen blieb, und trat ihm verwundert in den Weg, als er nach einer halben Stunde, rasch, mit glühendem Gesicht, an ihrer Thüre vorüber ging. Pistor bedachte sich einen Augenblick, dann ergriff er schnell ihre Hand und sagte: Liebe Justine, Sie haben Marianen erzogen. Sie sind ihr Mutter gewesen, und wissen lange, wie ich sie liebe. Eben habe ich ihren Vater um ihre Hand gebeten, bin aber so abgewiesen worden, daß mir keine Hoffnung bleibt, daß ich dies liebe Haus nicht mehr betreten kann. Sagen Sie das Marianen, liebe Justine, sie weiß nichts von meinem Vorhaben, sie wird jetzt mit meiner Mutter den schönen Abend genießen. Sagen Sie es ihr vorsichtig, ersetzen Sie ihr heute die Mutter. Ich werde ewig derselbe sein, auch ohne Aussicht auf Glück!
Dem Alten will ich zuerst die Wahrheit sagen, unterbrach ihn Justine heftig, jetzt gleich, sonst drückt es mir das Herz ab. Es ist kein Auskommen mehr mit ihm. Roß und Mann fürchten sich vor seinem grimmigen Gesichte, nur ich nicht; ich will ihn fragen, warum er des Kindes Glück stört. Er thut mir jetzt alle Tage gebranntes Herzeleid an, ich denke dann: rede du, spotte du, du hast deine Sorgen und bist am schlimmsten dran. Wenn er aber die Kinder angreift, bricht er mir das Herz, und da muß ich ihm ins Gewissen reden.
Thun Sie das nicht, liebe Justine, sagte der Hauptmann, es ist vergebens, und Sie werden sich eine üble Stunde bereiten.
Ei was! ich fürchte mich nicht, erwiderte sie. Was wahr ist, muß ich sagen, und wenn ich vor Kaiser und König stände und wüßte, daß es mein Letztes wäre, es muß Alles vom Herzen herunter. Wenn ein Stäubchen ins Auge kommt, da thränt es und thränt, bis das Stäubchen weg ist, und wenn ich ein Unrecht sehe, hat meine Zunge nicht Ruhe, bis sie ausgeredet hat. Helfen wird es freilich nichts — nein — das weiß ich. Er ist ein König Pharao, der sein Herz verstockte. Das darf mich aber nicht irren, ich thue, was ich nicht lassen kann.
Der Hauptmann drückte Justinen stumm die Hand, wehrte ihre Begleitung ab und ging. Männlicher Stolz hatte bisher seine Standhaftigkeit erhalten, aber als ihm an der Treppe die Kinder entgegen kamen, Luischen sich an ihn hing und ihn nicht loslassen wollte, Lottens Aehnlichkeit mit Marianen ihn lebhafter als je ansprach, da fühlte er seine Augen naß werden, küßte Beide wie ein scheidender Bruder und ging ohne Lebenslust und Hoffnung durch das Menschengewühl in sein einsames Haus zurück.
Justine sah ihm nach und ordnete in Gedanken den unendlichen Reichthum von Worten, deren keines verloren gehen sollte. Dann schritt sie glühend auf Ellinger's Zimmer los. Er saß mit finsterm Gesicht am
Tische, den Kopf in die Hand gestützt, und warf einen Blick auf die Eintretende, der jeden Anderen entmuthigt hätte. Justinen störte er nicht, allein eine Unordnung im Zimmer, eine unverzeihliche Nachlästigkeit des windigen Bedienten brachte sie doch aus ihrer Bahn. Mechanisch fing sie an, die herumliegenden Sachen wegzuräumen, bis sie sich auf einmal aus einer gebückten Stellung aufrichtete und mit bewegter Stimme sagte: Sie sitzen da, als wäre nichts geschehen, und haben doch das letzte bischen Glück und Ruhe eben aus dem Hause gejagt. Was soll denn die arme Mariane für einen Mann freien, wenn der nicht gut genug ist? Was ist denn an dem Herrn Hauptmann zu tadeln?
Woher wissen Sie, was in meinem Zimmer verhandelt wird? fragte Ellinger scharf.
Ei, auf rechtlichem Wege gewiß, antwortete Justine. Der Herr Hauptmann selbst hat es mir gesagt, er weiß, wie mein Herz an den Kindern hängt, wie lange ich schon zu Gott bitte, er möge dies Liebesband segnen. Grüßen Sie Marianen, Sie sind wie ihre Mutter! sagte er. O! er hat Recht, an meinem Herzen soll sie sich ausweinen. Was lange vergessen und verschmerzt ist, wird auf einmal lebendig, ich fühle meine Jugend wieder, mit allem Kummer, den keine Seele getheilt hat. Da waren auch Dornen, die Menschen gepflanzt hatten in ihrem Dünkel, und sie zerrißen mein Herz. Aber der Herr zählt die Thränen der Vergessenen, Verlassenen, die vielen, die ungesehen fließen. Was
soll denn Marianchen für einen besseren Mann freien? Soll sie auch einsam bleiben in der Welt, weil es die Menschen besser verstehen als der liebe Gott? Was kann denn eine Christenseele an dem Hauptmann aussetzen?
Der Hauptmann ist ohne Tadel, sagte Ellinger, aber meine Grundsätze verbieten seine Verbindung mit Marianen. Ich begreife wohl, daß Sie des Mädchens Partei halten und gegen mich ungerecht sein müssen, ich muß mich sogar darüber freuen, denn es beweiset Ihre Liebe zu meiner Tochter. Auch werde ich keinen Versuch machen, Ihr Urtheil zu berichtigen, nur überzeugen Sie sich, daß hier nichts zu ändern ist.
Mag das sein, sagte sie, ich will mein Herz ausschütten. Grundsätze! das ist ein vornehmer Ausdruck; ich nenne es Eigensinn. Eigensinn heißt es, wenn eine arme Frau auf ihrem Sinn besteht; es ist doch dasselbe Ding, das die Männer Grundsatz tituliren. Solche Grundsätze haben sie Alle, Einer wie der Andere; die Weiber müssen sich schmiegen, opfern und entsagen, ihren Willen Unterthan geben, ihre Neigungen bezwingen. Je wilder das Mannsgesicht drein sieht, je freundlicher sollen sie lachen; je härter er droht, je leiser sollen sie schmeicheln und bitten. Wenn das unser Loos ist, so laßt uns wenigstens der Liebe folgen, die das Schwere leicht macht; hindert keine glückliche Ehe, denn was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht trennen.
Schöpfen Sie Athem, Justine, sagte Ellinger spöt-
tisch, ich unterbreche Sie nicht. Sie wissen, daß ich an Ihren Ton gewöhnt bin.
Es hilft nichts, fuhr sie fort, Höflichkeit ist gut, Wahrheit besser. Sie werden immer mürrischer und härter. Was mich selbst angeht, darüber will ich nicht klagen. Ich fühle es zwar, wenn meine Landsleute unbarmherzig geschmäht werden, man hat doch auch ein Herz fürs Vaterland. Es kränkt mich auch, daß mein unschuldiger Hang zur Ordnung und Reinlichkeit bespöttelt wird, und ich sehe die stille Wuth genau, wenn ich wische oder räume, fegen oder waschen lasse. Mochten Sie mit mir umgehen, wie Sie wollten, so lange Sie nur die liebe Jugend der Kinder ungetrübt ließen, ertrug ich es gern. Nun hat Ihr harter Sinn mein letztes Glück angegriffen. Wenn Mariane sang, daß es durchs ganze Haus erscholl, oder mit den Kleinen lachte und sprang, als wäre sie selbst ein Kind, da konnte ich alle bösen Gesichter vergessen. Das ist nun aus! Singen und Tanzen wird ihr vergehen.
Sind Sie fertig? fragte Ellinger aufstehend; meine Geduld ist zu Ende. Es thut mir leid, aber ich werde niemals in Pistor's Verbindung mit Marianen willigen. Die Gründe soll sie von mir selbst hören.
Justine war nach den letzten Worten von dem einzigen Feinde ihrer Beredsamkeit überwältigt worden, Thränen erstickten ihre Stimme, sie weinte noch heftiger, als die schwache Hoffnung verschwand, mit welcher sie den Sturm auf Ellinger's Herz begann. Alles werden
Sie mir nicht abschlagen wollen, sagte sie schluchzend; ich habe durch meine Muttersorgen doch auch ein Theil an Ihren Kindern. Sie sollen Marianen heute nichts sagen und nicht grilliger aussehen als gewöhnlich, ich will erst mit ihr reden; ich bin auch jung gewesen und weiß, wie es ihr ums Herz ist.
Ellinger gewährte das gern, denn die Thränen der Alten waren ihm noch unangenehmer als ihr Geschwätz. Als Justine die Thür öffnete, stand Börner dicht vor ihr, sie glaubte, er sehe mit Schadenfreude in ihre verweinten Augen und habe wohl Alles listig mit angehört. Deßhalb konnte sie eine höhnische Anspielung nicht unterdrücken, indem sie ihn einzutreten nöthigte. Börner schien sie nicht zu verstehen, seine kalt lächelnde Miene blieb dieselbe, seine Beflissenheit, den Hausherrn zu unterhalten, war noch größer als sonst. Auch gelang dies der unermüdeten Geduld, mit welcher er den Gegenstand des Gesprächs wechselte und einsilbige Antworten durch eigene Lebhaftigkeit ersetzte; die Wolken auf Ellinger's Stirn wurden leichter, und der neue Verdruß wich in den Hintergrund.
Der Mond war schon aufgegangen, über den stillen Fluthen der Elbe schwamm sein freundliches Silber, und ein luftiger Schleier legte sich um die blauen Berge am Horizont, da Mariane mit einer Schaar junger Mädchen nach der Stadt zurückkehrte. Sie war fröhlich im Nachgenuß des schönen Tages, ja es dünkte ihr, als könne ihre Brust kaum so viel Hohes und Herr-
liches fassen, wie ihr heute in Gottes Natur zu Theil geworden war. Den Vater, die Kinder und Börner fand sie schon bei Tische, setzte sich und erzählte, nahm keinen Theil an dem Mahle, sorgte aber mit liebenswürdiger Wirthlichkeit um so mehr für die Andern. Sie ward es nicht gewahr, daß ihr Vater bei ihren Scherzen, bei ihrer Freude stiller und düsterer wurde, und wenn sie auch zuweilen einem durchdringenden, sonderbaren Blicke von Börner begegnete, der heute kein Auge von ihr wandte, dachte sie sich doch nichts dabei. Nun verließ sie der Gast, sie sagte dem Vater gute Nacht, an jede ihrer Hände hing sich eine Schwester, und so ging der fröhliche Lauf nach Justinens Zimmer. Mariane, sagte Lottchen, der Hauptmann war da; will er verreisen? Er nahm Abschied von uns, und — du wirst es nicht glauben — es kam mir vor, als ob er weinte.
Wunderliches Kind, erwiderte Mariane, das werde ich dir freilich nicht glauben. Solch ein Mann weint nicht, wie ich und du. Ich denke, er würde selbst den Abschied von Ellinger's Lottchen standhaft ertragen.
Es ist kein Mensch vor Thränen sicher, sagte Justine leise, darüber darf man nicht spaßen.
Ach, da hast du recht, liebe Justine, antwortete Mariane, ein einziger ernstlicher Gedanke an solche Möglichkeit möchte mich wohl lange vor allem Muthwillen bewahren. Sollte ich jemals Thränen in Leo's Augen sehen, sie würden mich mehr erschüttern, als aller Jam-
mer schwächerer Menschen. Seine Kraft ist so schön, sie hat sich in großer Kränkung bewährt; die Thränen eines solchen Mannes müßten schwere Bedeutung haben.
Justine war ungewöhnlich still, sie brachte die Kinder zur Ruhe und trat dann zögernd wieder ins Zimmer, voll Angst vor dem nächsten Augenblick. Mariane sah so glücklich, so lieblich aus, unter dem Schleier ihrer reichen ausgelösten Haare, die ihre Hand ordnete, blickte ihr Auge wahrhaft selig in den hellen Mond und wandte sich jetzt freundlich nickend nach der alten Freundin. Ich bin heute recht von Herzen froh gewesen, sagte sie, ich muß dir davon erzählen. Hundertmal dachte ich an dich und wünschte, du wärest einmal draußen in Gottes Welt; du entbehrst mehr, als du denkst. Wenn meine Hoffnungen wahr werden, da sollst du einmal in Ruhe unter schattigen Bäumen sitzen, ganz nach deiner Neigung, in solcher Luft, wie sie dir wohlthut, zwei Schritte von einem Gartenstübchen, wo du gleich dem kleinsten Zuge entwischen und das kleinste Sonnenblickchen genießen kannst. Nicht wahr, Herzens-Justine, darauf darf ich mich freuen?
Ach, Kind, du brichst mir das Herz, sagte die Alte. Wir werden solches Glück nicht erleben.
Warum denn nicht? fragte das Mädchen; du bist noch rüstig, du hast dich nur im Hause eingesponnen wie ein Seidenwürmchen. Die liebe Mutter Pistor war heute mitten unter uns jungen Mädchen, alle meine Freundinnen drängten sich um die herrliche Frau und
beneideten mich, weil sie am traulichsten mit mir umging. Wie es dunkelte, faßte sie meinen Arm, sie hatte sich den ganzen Tag uns hingegeben, unsere Lust getheilt, es mochte ihr nun nach Sammlung verlangen, — sie führte mich an ihr Lieblingsplätzchen, unter einen großen Nußbaum, der, gleich einem Familienvater, die Arme über niederes Gesträuch und Gras und Blumen ausbreitete. Da saßen wir lange, die weite Aussicht vor uns, Hand in Hand, stumm und glücklich. Es war Alles voll abendlicher Ruhe. Der Bogen von Gold, der in Westen die Wolken umspann, ward kleiner und kleiner, ein sanftes Dämmerlicht deckte die Ferne zu. Blauer Wald schloß sich dunkel an hellgrünes Korn, am Rande des Busches trieb die bunte Heerde, auf dem Elbstrom zitterte der letzte Sonnenstrahl. Ich könnte das Strömen und Fluthen stundenlang ansehen, ohne es müde zu werden; es bringt mir dunkle feierliche Gedanken und führt sie mit sich fort, ehe ich sie recht erkenne. Heute neigte sich die Sonne in das kühle Bett, als wäre es ein wohlthätiges Leben, das nun Rast fände, und das Rauschen der Wogen klang mir wie ein Wiegenlied für die ganze müde Erde. Der lieben Mutter mochte es auch so sein, denn als sie endlich die Stille mit Worten unterbrach, sah ich wohl, daß sie den Abend ihres Lebens mit dem feierlichen Bilde vor uns verglich. Das Leben vergeht so schnell, sagte sie; ehe wir es wähnen, haben wir die Aussicht hinter uns, der wir lange entgegen gingen, und der Mond geht da
auf, wo noch vor Kurzem Alles im Sonnenlicht schwamm. Aber je tiefer der Abend sinkt, je heller wird es in der Seele! Wie die Sinne stumpf werden für Manches, was die Jugend reizt, öffnet sich ein neuer Sinn den tausend Wundern der Natur; was im Rasen blüht, was im Staube sich freut, in Lüften schwebt, im Laube des Haines rauscht, das redet lauter von Gottes Gegenwart, je näher wir dem Ziele sind! —
Sie sprach dann von unseren Hoffnungen, von Leo's Glück, und wie sie einen Traum habe, den sie mir vertrauen möchte. Ihr kleines Gut bei Meißen, am waldigen Berge gelegen, der Wohnplatz ihrer Kindheit, würde mehr Ertrag geben, wenn wir es selbst bewohnten, Leo würde die Kränkung seiner Ehre in ländlicher Einsamkeit besser verschmerzen, als hier, wo jeder Blick ihn daran mahnte, wenn auch nur durch mitfühlende Theilnahme. Sie fragte mich, ob ich die Stadt vergessen könnte, ob ich eine kleine Wirthschaft auf dem Lande führen wollte, bis der Krieg vorüber wäre und Pistor seine neue Laufbahn antreten könnte? Du denkst schon, was ich antwortete! Wo er ist, und wo es ihr wohlgefällt, da bin ich glücklich. — So saßen wir denn und träumten süß! Sie schilderte mir Alles, die Wohnung, den Garten, den Berg, die Aussicht, auch das kleine Stübchen mit einem Fenster, wo im Sommer meine Justine als Gast leben soll, von mir bedient und gepflegt. — Aber du weinst ja, und recht ernstlich. Mein Gott, was ist dir denn widerfahren?
Denke ich denn nur an mich? rief Justine; dir, du armes Kind, ist ein Leid geschehen, und jetzt mußt du es von mir erfahren. Sie stand auf, schloß das erschrockene Mädchen in die Arme und erzählte ihr Alles, oft von Thränen, oft von heftigen Klagen gegen den harten Vater unterbrochen. Mariane war ganz stumm, kein Wort ging über ihre Lippen, sie lag bewegungslos an Justinens Brust, die sie beschwor, sich auszuweinen, auszusprechen: Worte und Thränen wären gleich dem Regen beim Gewitter, und nichts in der Welt so ängstlich, als solches Schweigen. Aber Mariane hatte noch keinen klaren Gedanken, Justinens Heftigkeit that ihr nicht wohl, sie bat nur mit leiser Stimme: Laß mich ganz ruhig, du gute, getreue Seele; wenn du meine Mutter wärest, du könntest jetzt nichts weiter für mich thun. Und geh zu Bette, sei so gut! Ich bleibe noch hier, wenn ich dich nicht störe.
Justine legte sich nieder, schlafen mochte sie nicht, sie lauschte durch den Vorhang und sah Marianen noch nach Mitternacht am Fenster sitzen, den Kopf in die Hände gestützt; sie räusperte sich, hustete und machte mancherlei Geräusch, immer in der Erwartung, das arme Mädchen sollte Trost im Gespräch finden. Endlich war sie doch eingeschlummert, und nichts unterbrach die Ruhe der Nacht, als das einförmige Picken der Wanduhr. Es schlug Eins, der Mond war untergegangen, die Finsterniß schreckte Marianen aus ihren Gedanken auf. Wie war dein Licht so schön, sagte sie zu sich selbst, nun ist
es todt! Süßes Glück der Hoffnung, Jugendmuth und Frohsinn, wollt ihr schon jetzt mich verlassen? Leise auf den Zehen schleichend ging sie ins Nebenzimmer, blickte wehmüthig auf die schlafenden Schwestern und suchte ihr Lager zum erstenmal ohne Erwartung des Schlummers.
Am andern Morgen war Marianens erster Gedanke eine Erklärung mit ihrem Vater. Die Pflicht, sich seinem Willen zu fügen, war ihr in den Kämpfen dieser Nacht klar geworden, vorher aber wollte sie versuchen, ob Bitten und Thränen vielleicht sein Herz rühren könnten. Ueber die Furcht, mit welcher sie ihm seit langer Zeit nahete, erhob sie heute der Schmerz und das Gefühl, sie handle für die heiligste Angelegenheit ihres Lebens. Blaß und zitternd trat sie zu ihm ins Zimmer, sie hatte bedachtsam überlegt, was sie sagen wollte, doch der erste Blick in sein Gesicht änderte Alles. Mitleidig, ja zärtlich, wie sie es sich nie erinnerte, sah er sie an, und sie lag in seinen ausgebreiteten Armen und weinte heiße Thränen, welche die überlegten Worte aus ihrem Gedächtniß wegwuschen. Es ist mir leid, mein armes Kind, es ist mir herzlich leid, sagte er, aber es kann nicht sein! Ueberzeuge dich, daß die Liebe die wahrste ist, die zu deinem Besten selbst einen kurzen Schmerz für dich wählt.
Vater, lieber Vater! sagte Mariane, es ist das Glück meiner Jugend, die Hoffnung meines ganzen Lebens, was ich verlieren soll. Hören Sie meine Bitten! Verschließen Sie mir Ihr Herz nicht! Um meiner Mutter willen flehe ich Sie an; wenn Sie noch bei uns wäre, würde sie für mich sprechen. Es ist nicht möglich, daß Sie Leo's Verdienste verkennen; er ist der beste Mann, den je ein Mädchen wählte, ich liebe ihn, seit ich mich selbst begreifen lernte, und werde ihn immer lieben. Vater, ich möchte viel sagen, und bin so arm an Worten, aber Angst und Thränen sprechen doch auch!
Mariane! erwiderte Ellinger mit verdüstertem Gesicht, Worte und Thränen können mir wohl schmerzlich weh thun, aber hier nichts ändern. Daß ich im fünfzigsten Jahre anders über die Liebe denke, als du, begreift sich leicht, weniger wirst du mir glauben, daß meine Ansicht die rechte ist. Leidenschaft ist vergänglich, ob sie sich gleich Unsterblichkeit zutraut; ein langer Lebensweg mit offenen Augen zeigt uns tausend Beispiele davon. Hast du dich jahrelang mit Hoffnungen genährt, so hätte ein offenes Geständniß gegen deinen Vater dich vor der gefährlichen Täuschung bewahren können. Dem Mädchen vergebe ich die Heimlichkeit, dem Manne nicht, der das Mädchen zu gewinnen sucht, ehe er weiß, ob sie ihm angehören darf. Diesen einzigen Fehler gegen mich ausgenommen, achte ich Pistor hoch; es ist nicht seine Persönlichkeit, sondern sein Stand, seine Verhältnisse, was eure Verbindung trennt. Ein Adeliger, ein
Offizier bekommt keine meiner Töchter, das ist mein Grundsatz. Eben jetzt spricht das Schicksal unserer braven Armee laut für mich. Die Ehre, dies schimmernde Trugbild, das Einzige, was so viel Elend überstrahlen muß, hindert diese Krieger, für ihren König gegen den gemeinschaftlichen Feind zu kämpfen; während der niedrige Soldat sich den Fesseln entreißt und die Reihen der Preußen verläßt, wo er kann, muß der adelige Offizier müßig zusehen, wie sein Vaterland blutet. Und wenn er sich waffnen darf, dann sollte er lieber kein Weib zurücklassen, das ihm nachjammert, oder meine Tochter soll doch dies zitternde unglückliche Geschöpf nicht sein. Die Schlacht bei Prag hat eben jetzt tausend trostlose Wittwen gemacht. — Zudem ist Pistor arm, sein kleines Vermögen kann heute oder morgen der Krieg verschlingen, Nahrungssorgen aber tödten Liebe und Frieden. Sagst du mir, daß er arbeitet und gewinnt, so entgegne ich dir, wie eben die Schriftstellerei mir ein so unsicheres Fahrzeug scheint, um Weib und Kind einzuschiffen, als das stolzere Kriegsschiff.
Du hast nun meine Gründe gehört, die war ich dir schuldig, mein Wille ist ganz fest, und ich wünsche von nun an über diese Sache zu schweigen. Wenn ich todt bin, bist du frei, es läuft gegen meine Ansichten, die Freiheit meiner Kinder durch Gelübde zu binden. — Mein Tod also giebt dir das Recht, die Verbindung anzuknüpfen, die jetzt gelös't ist. —
Diese Worte machten einen furchtbaren Eindruck
auf Marianen, sie gelobte Gehorsam und Ergebung, sie fragte jammernd, womit sie solche Härte verdiene, und schwor, der väterliche Wille solle ihr heilig sein, so lange sie lebe. Das Alles sagte sie so heftig und überspannt, wie sie niemals gesprochen hatte, selbst der Vater fühlte sich von ihrem Schmerz erschüttert. Nachdem Beide etwas ruhiger geworden waren, kam noch ein schweres Räthsel zur Sprache. Wenn Pistor Ellinger's Haus mied und die Ehre ihm gebot, Marianen nicht aufzusuchen: sollte sie sich auf immer von seiner Mutter verbannen, die alte Frau nicht mehr sehen, ihr die Besuche entziehen, die seit so vielen Jahren eine liebe Gewohnheit geworden waren? Ellinger wagte nicht, diese Frage nach seinem Wunsche zu entscheiden, und Mariane mochte nicht versprechen, was ihr zu halten unmöglich schien. War doch schon jetzt der einzige Trost, der in ihrer Seele dämmerte, das Wiedersehen der Mutter, die gemeinschaftliche Klage! Daß eine leise Hoffnung auf fortdauerndes Bündniß mit dem Geliebten sich in ihre Sehnsucht mischte, gestand sie sich selbst nicht, und eben so wenig die Schwierigkeit, zwischen Pflicht und Liebe getheilt auf ebener Bahn zu wandeln.
Das Schicksal ersparte ihr indessen die harte Probe. Auch Frau von Pistor hatte mit ihrem Sohne eine traurige Nacht durchwacht und mit ihm gelitten, was sie auf Erden nicht mehr zu leiden fürchtete. Sie sah sein Glück zerstört, sie wußte, er werde den Verlust ertragen, aber niemals Ersatz finden. Wie ihr Lebensweg voll Sorgen
gewesen war, hatte sie auch oft erfahren, daß eine höhere Hand, gleichsam aus den Wolken reichend, das Unmögliche wirklich gemacht, das Aufgegebene zu Stande gebracht hatte; sie bewahrte deshalb noch eine stille Hoffnung, doch die lag tief in ihrer Brust und gründete sich nur auf Zeit und Glauben. Für diesen Augenblick schien ihr nichts rathsamer, als Ergebung, Unterwerfung unter den väterlichen Willen, und um dies der armen Mariane zu erleichtern, Trennung der Liebenden. Sie schlug ihrem Sohne deshalb vor, das Gut bei Meißen zu beziehen, er willigte ein, ohne Ahnung, mit welchen ganz anderen Erwartungen sie an jenem Abend mit Marianen an diesen Aufenthalt gedacht hatte. Es wurde Alles überlegt, Alles geordnet, ein schwerer Tag ging langsam hin. Aber Pistors blieben doch beneidenswerth gegen Ellinger und Marianen, sie waren einig, trauerten mit einander, nahmen und gaben Trost, Jedes bekämpfte sich selbst, um dem Andern nicht weher zu thun. Leo war nicht bloß ein unerschrockener Soldat, er besaß auch die Tapferkeit der Seele, die den Mann ziert, seine Mutter dagegen wandelte im kindlichen Glauben durch Sturm und Sonnenschein, und beide ihrem Geschlecht eigenthümliche Tugenden dienten jetzt vereinigt, ihnen über die rauheste Strecke des Lebensweges zu helfen. Als Mariane nach zwei Tagen der Sehnsucht in später Abenddämmerung einen Besuch wagte und Frau von Pistor im Garten allein fand, wirkte schon die Nähe der alten Frau und ihre beruhigende Stimme wohlthätig
auf sie. Diesem armen, gedrückten Herzen glaubte die Mutter ihren heimlichen Hoffnungsschatz zeigen zu müssen, damit es einen Stern hätte, sich zu laben. Traue auf Gott, mein Kind, sagte sie, was geschehen soll, samt kein sterblicher Wille stören. Thue jetzt, was du mußt, ihm überlaß die Zukunft. Ach, ich habe in diesen Tagen viel um euch Kinder gelitten. Wie aber mein Mutterherz liebt, so liebt doch auch dein Vater, wenn er uns gleich schmerzlich kränkt. Daran laß uns denken! Bleibe ein gutes Kind! Bewahre dein reines Gemüth vor Bitterkeit, laß deine Liebe zu einem guten Manne den Engel sein, der deine Pflicht erleichtert!
Einige Wochen waren noch zur Ordnung ihrer Angelegenheiten nöthig, dann verließen Pistors die Stadt, eben als die Schlacht bei Collin geschlagen war. Ellinger war mit ihrem Entschluß sehr zufrieden, sah Marianen ihre Traurigkeit väterlich nach und hoffte eben so fest auf die Wirkungen der Zeit, wie die Matrone. Auch schien seine Erfahrung fast Recht zu behalten, denn ehe die Weinlese herankam, hatte sich Marianens Jugendmuth über den drückenden Gram erhoben, sie konnte wieder lächeln, scherzen, mit den Kindern fröhlich sein, ihr Gesicht hatte seine frische Farbe wieder, ihr Gang seine rasche Lebendigkeit. Aber sie hatte deßhalb nicht vergessen; das harte Wort des Vaters war nur in den Hintergrund gerückt, von der Hoffnung Strahlen verdrängt. Briefe an Frau von Pistor, denen sie Alles vertraute, was sie dachte und that, Antworten von ihr,
die ihr die Häuslichkeit ihrer Lieben bis zur Anschauung mittheilten, machten ihr Glück.
Der Herbst wich dem Winter, dieser brachte trotz des Krieges viel gesellige Freuden, und so sehr der Vater sonst solchen Zerstreuungen abhold war, so sehr sie in dieser Zeit gegen sein Gefühl streiten mochten, jetzt forderte er Marianen selbst auf, Einladungen anzunehmen, machte ihr Geschenke zum Ballstaat und war unzufrieden, wenn sie wenig Interesse an Putz und Tanz nahm. Justine dachte anders. Als sie Marianen zum ersten Ball kleiden half, sprach sie laut gegen die listige Verführung. Laß dich nicht blenden, Marianchen, sagte sie, halte fest an der Treue, denke an deinen Liebsten. Das wäre mir ein Tausch! Ei, seht doch, wenn mir Einer aus klarem Eigensinn einen braven Mann verweigert und will es mit einem rothen Schlender bezahlen, mag er auch noch so schön mit todten Blumen und Flor und Tand angeputzt sein. Der Herr Börner ist auch von der Partie, höre ich. Der wird um dich herumschwänzeln, wie eine glatte Katze, gieb Acht, ich sage es dir. Seit der Hauptmann abgewiesen wurde, trägt er sein gebücktes Haupt viel höher, der garstige Horcher! Ich weiß, was er will, aber wenn du das thust, wende ich mich im Grabe um.
Was will er denn? fragte Lottchen, wohl gar Marianen? Das habe ich lange gedacht. Die mag ihn nicht, und ich möchte ihn auch nicht.
Schweig, Jungfer Vorlaut! schalt Justine. Von
solchen Sachen muß ein Mädchen, wie du, noch gar nichts wissen. Zu unserer Zeit schlugen wir die Augen nieder, wenn nur das Wort Heirath genannt wurde. Die Welt wird immer schlimmer.
Mariane sagte nichts, aber sie vergaß Justinens Bemerkung eben so wenig. Sie konnte es nicht leugnen, daß Börner sich an sie drängte, ihr auffallenden Vorzug bewies, sie mit Blicken und Schmeicheleien, mit Gefälligkeiten aller Art verfolgte. Sonst war sie zu unbefangen, jetzt oft zu traurig gewesen, um viel darauf zu achten; zuweilen fand sie sich wohl von seiner Aufmerksamkeit belästigt, doch das hielt sie sich nicht zu Gute, schrieb es auf ihre Verstimmung und zwang sich zu doppelter Freundlichkeit. Justinens Warnung erschreckte sie, sie dachte nach und fand Ursache, ihr Recht zu geben. Seit ihrem Unglück begegnete sie oft einem seltsamen freudigen Blick in Börner's Augen, besonders wenn Pistor's Name zufällig genannt wurde oder irgend eine Wendung des Gesprächs ihr Herz traf und das Blut verrätherisch in ihre Wange trieb. Schadenfreude oder Haß malte sich in diesem Blicke. Einmal hat er sogar über das Mißgeschick der Truppen gespöttelt und das höhnende Witzwort: „sächsisches Piquet“ gebraucht. Sie konnte das nicht ruhig hören und erhob zitternd ihre Stimme, ihm zu sagen, wie dies Erliegen der Armee keine Schande bringe, sondern ihr langer Widerstand in solcher Bedrängniß noch von späten Zeiten geehrt werden würde. Ein Verweis von ihrem Vater, sobald sie allein waren,
strafte ihre Dreistigkeit. — Du hattest nicht Unrecht, sagte er, aber es ziemt sich nicht für ein junges Mädchen, es ziemt sich am wenigsten für dich, die Waffen im politischen Kampfe zu tragen, du weißt, wie lieb mir Börner ist, ein unbesonnenes Wort darf ihm bei uns keine Unhöflichkeit zuziehen. — Alles das fiel Marianen jetzt aufs Herz. Sie wunderte sich über ihre Blindheit, da selbst Lottchen schärfer gesehen hatte, und von diesem Augenblicke ward ihr der gleichgültige, oft belustigende Gesellschafter fast unerträglich.
Das Schicksal, das jetzt mit zermalmenden Schritten über ganz Europa ging, warf indessen einen seiner unerwarteten Sonnenblicke auf den schleichenden, gebückten Börner. Ein entfernter Vetter starb und hinterließ ihm ein bedeutendes Gut; er ward auf einmal ein reicher Mann, vor dem sich Viele neigten, dessen Verstand und Witz heller schimmerten, dessen sonst als natürlich geachtete Schmiegsamkeit nun liebenswürdige Humanität, anspruchslose Bescheidenheit war. Wirklich überhob er sich auch des neuen Vorzugs nicht, ja er nahm ein noch demüthigeres Wesen an, nur Marianen trat er immer näher, und wenn sich gleich Ellinger der Veränderung durchaus nicht bewußt war, schien doch Börner's Stellung gegen die Familie unwillkürlich etwas anders zu werden, seit das Glück ihn so sehr begünstigt hatte. Mariane glaubte eine schwarze Wolke über ihr Haupt herziehen zu sehen, aber der Gehorsam, mit welchem sie ihrem Glück entsagt hatte, dünkte ihr hier ein Frevel
gegen sich selbst, und sie beschloß fest und treu zu bleiben, möge es auch die härtesten Opfer kosten.
Ellinger sah die wachsende Annäherung Börner's mit ganz anderen Gefühlen. Ihm konnte kein Schwiegersohn willkommener sein; nur des jungen Mannes Armuth hatte bis hierher solchen Gedanken entgegen gestanden. Als daher Börner eines Abends, nachdem er den Nachmittag mit Ellinger gearbeitet hatte, ein augenblickliches Gehör forderte und im Tone heißer Leidenschaft, der ihm eigentlich fremd schien, um Marianens Besitz bat, umarmte ihn der Vater sehr gerührt und erklärte, es werde sein Alter beglücken, wenn Mariane in das gewünschte Bündniß willige. Er hielt es indessen für Pflicht, seinem jungen Freunde Marianens Herzensangelegenheit zu entdecken, und die Ungewißheit, wie weit sie sich über jene Hoffnungen beruhigt habe. — Börner's Gesicht überflog bei der Erzählung derselbe wunderliche Ausdruck, mit welchem er einst Justinen an Ellinger's Thür entgegentrat und ihr zu dem Argwohne Anlaß gab, er habe ihre Unterredung mit ihrem Herrn gehört.
Suchen Sie nur das Mädchen zu gewinnen, sagte Ellinger. Sie haben dazu meine volle Einwilligung, ich betrachte Sie gern als meinen Sohn. Sollte sie noch an der ersten Liebe hängen, so wollen wir ihr Zeit lassen, ohne deshalb unsern Wunsch aufzugeben. Daß sie mich erfreuen wird, daß sie wieder einen Lichtstrahl auf mein verdunkeltes Leben werfen kann, will ich ihr
ans Herz legen. Zwingen kann ich sie nicht; jede Art des Zwanges, in welchem Gewände sie erschiene, wäre gegen mein Gefühl.
Die Thür eines Nebenzimmers war während dieser Unterredung offen gewesen, hierher hatte sich Lottchen mit Gellert's Fabeln geflüchtet, während Justine, durch einen Besuch ihres Gevatters zerstreut, sie am Nähpulte nicht vermißte. Mitten in der anziehenden Lektüre hörte Lottchen Börner's feurige Erklärung, sie schlug das Buch zu, vergaß die kranke Frau mit sammt dem Schneider, der eben zu ihrer Belustigung die Heilung vollzog, und horchte mit gespannter Aufmerksamkeit. Wie sie Alles vernommen hatte und Börnern gehen hörte, schlich auch sie hinaus, suchte Marianen überall und trat endlich zu Justinen ins Zimmer. Da saß der Gevatter Neumann und erzählte so lebhaft und anschaulich, daß Justinens Hände im Schooße ruheten, ihr Auge, weit geöffnet, an seinem Munde hing, und des Mädchens Eintritt sie wie aus einer anderen Welt zurückrief. Ein unwilliger Blick empfing Lottchen, die hastig fragte: Wo ist denn Mariane?
Ausgegangen, war die Antwort. Und wo warst denn du?
Der Gevatter, der sich ungern unterbrechen ließ, überhob Lottchen der Antwort, indem er fortfuhr, die Verheerung von Küstrin zu schildern, wozu er sich der grellsten Farben bediente; besonders entwarf er das Bild der fürchterlichen Kosacken mit aller Uebertreibung einer
rohen, erhitzten Einbildungskraft. Dann ging er zur Stärkung seiner Zuhörerin auf den Ruhm des Königs Friedrich über, und die Begeisterung, die dieser Held damals so vielen Gemüthern einflößte, machte sein unbedeutendes Gesicht lebendig und beseelt. Das ist kein Wunder, wertheste Gevatterin, rief er aus, daß solch ein König solche Soldaten hat! Wie Sie mich hier sehen, ich bin ein friedlicher Mann, aber wenn ich recht an ihn denke, ich glaube, ich könnte selbst mit dreinschlagen. Ueberlegen Sie nur: die Schlacht bei Leuthen! Dreimal so schwach war er, wie der Feind; bei ihm Mangel, bei jenem Ueberfluß; seine Leute hatte der Marsch erschöpft, die Anderen hatten Ruhe genossen. Das konnte Alles nichts ausrichten gegen sein Genie und seinen Blick. Angegriffen, und gesiegt. Und die Sterbenden, als sie am Boden lagen, riefen ihren Brüdern noch zu: Fechtet wie brave Preußen, an uns ist nichts gelegen, wir sterben für den König!
Justine trocknete die Augen. War denn mein General Ziethen auch dabei? fragte sie. Du lieber Gott, hätte ich das denken sollen, als ich ihn auf dem Arme trug! Aber ich sagte oft: Junker Joachim, sagte ich —
Er ist überall dabei, wo der König ist, unterbrach sie Neumann; dieses Mal hat er die Feinde bis Böhmen gejagt, 2000 Gefangene und 3000 Wagen erbeutet. Es sind überhaupt nach meiner Berechnung —
Junker Joachim, sagte ich, fiel ihm Justine wie-
der ins Wort, wird einmal ein Offizier. Denn erstens —
Mit Vergunst, wertheste Gevatterin, sagte Neumann, ich muß nun fort. Es hat sieben Uhr geschlagen. Noch ein Prischen, und eine gute Nacht! — Er ging, Lottchen saß still im Winkel.
Wo warst du denn? fragte Justine noch einmal; wer auf dich achten soll, dem muß der Himmel Falkenaugen bescheeren.
Ich war in der grünen Stube, antwortete Lottchen kleinmüthig, ich las ein bischen, und dabei habe ich etwas erfahren, das Marianen angeht.
Nun, das gefällt mir nicht übel! rief Justine; lesen statt zu arbeiten, und kundschaften statt zu lesen! Nun, so laß doch hören, ich bin begierig.
Es ist etwas, wovon ein Mädchen, wie ich, nicht reden darf, antwortete Lottchen schnippisch, ich denke aber, weil Mariane es wissen muß, und weil ich es doch einmal gehört habe, kann das heute nicht gelten. Börner will Marianen heirathen, der Vater hat Ja gesagt und wird die arme Mariane bitten, daß sie sein Alter erfreuen soll. Was kann sie da thun, Justine? Börner ist häßlich, aber wenn der Vater das sagte, müßte ich ihn wahrhaftig nehmen. Er sieht jetzt so elend und kummervoll aus.
Das darf nicht geschehen, sagte Justine, so lange noch Athem in mir ist! In großer Bewegung verließ sie das Zimmer und stand blitzschnell in der Wohnstube
vor Ellinger, erhitzt und zornig wie ein Vogel mit sträubenden Federn. Herr Rath! rief sie aus, wenn Sie das thun, schüttele ich den Staub von meinen Füßen und nehme den Wanderstab! Das ist ein Rabenvater, der sein Kind zur Ehe zwingt. Lottchen hat gehört, wie Sie dem Börner Ihr Wort gegeben haben, aber dagegen rede ich, bis meine Zunge lahm wird. Es soll am jüngsten Tage nicht heißen, ich hätte Sie geschont, nein, gewiß nicht; ich will Ihrer seligen Frau erzählen können, wie ich meine Pflicht erfüllt habe. Börner ist ein Heuchler, ein Schmeichler, ein Spötter; glatt wie eine Schlange, falsch wie ein Fuchs, beschmutzt anderer Menschen Leumund mit seinem Witz und Ihre Teppiche mit seinen Stiefeln, ehrt das Alter nicht, kann Niemanden gerade ansehen!
Zwingen Sie Ihre Tochter, den schlechten Mann zu heirathen, so morden Sie Leib und Seele des armen Kindes, und mich bringen Sie mit Jammer unter die Erde. Die ganze Welt ist ein Trauerhaus. Alle bösen Geister sind los und rücken auf uns an, kein Mensch ist seines Lebens sicher. Von Sengen und Brennen, Plündern und Todtschießen, Betteln und Flüchten hört man am Tage und träumt man Nachts; wie man sich sonst vor dem bösen Feinde fürchtete, denkt man jetzt an den wüthenden Kosacken und den gräulichen Kroaten. In solcher Zeit sollte jeglicher Christ barmherzig sein gegen den andern, sintemal er nicht weiß, wann sein Stündlein kommt, geschweige ein Vater gegen sein Blut.
Während Justine mit unzähligen Thränen und steigender Heftigkeit die letzten Worte sprach, war Mariane eingetreten, sie stand erstaunt, bald ihren Vater, bald die Alte anblickend, und Ellinger fühlte die Nothwendigkeit, ihr den Auftritt zu erklären. Sie erschrak und äußerte zum ersten Male in ihrem Leben entschlossenen Widerspruch, zwar durch kindliche Bitten um Vergebung gemildert, aber doch überraschend genug bei ihrem sanften, furchtsamen Sinn. Justine hob ihr Haupt in die Höhe; der Vater sprach unbewegt weiter. Er wolle und werde sie niemals zwingen, nicht einmal überreden, sagte er, und damit sei Justinens unbesonnene Rede beantwortet. Das dürfe er nicht verhehlen, daß diese Heirath sein Alter beglücken könne. Sein Haar werde weiß, der Druck der Zeiten und manche heimliche Sorge, die Niemand kenne, mache ihn vor den Jahren alt, ein kräftiger Stab für die Pflanzen um ihn her wäre längst sein Gebet gewesen, da er ahne, wie Stamm und Krone des väterlichen Baums bald genug in den Staub sinken könne. Mariane sei arm, ihre Geschwister arm; der Kinder Stütze zu werden, lege Gott jetzt in ihre Hand. Sie möge nicht rasch entscheiden, er fordere nur ihr Versprechen, sich einige Zeit zu prüfen, Börnern nicht abzuweisen, denn er liebe sie so sehr, daß er ihre früheren Gefühle achten wolle. — Justine wird dir sagen, was sie von Börnern denkt, fuhr er fort, es wäre vergebens, das Gegentheil zu erwarten, höre also deines Vaters Meinung. Es ist ein unbescholtener, redlicher Mann,
ein heller Kopf, ein zuverlässiger Freund, frei von Schwärmerei, einfach und gediegen. So kenne ich ihn und glaube nicht zu irren. Er ist im Besitze meines höchsten Vertrauens; ihr wißt, ich werfe das nicht weg. Uebrigens bitte ich dich, sprich dich nicht aus, bis du ganz entschieden bist, am wenigsten gegen mich. Meine Seele liegt unter einer Last von Sorgen, die ich allein trage, und ich möchte dir nicht gern mehr als einmal sagen, daß du mich zum Theil davon befreien kannst.
Die Thüre öffnete sich, ein Geschäft nahm den Vater in Anspruch, die Kinder kamen herein und verlangten nach Justinen, Mariane fand sich allein gelassen; die größte Wohlthat, die sie jetzt wünschte. Sie war wie vernichtet, ihr Muth gebrochen, ihre Ruhe gemordet. Mußte sie den Bitten des alternden Vaters widerstehen, wie wollte sie Frieden haben; und mußte sie nachgeben, wie wollte sie die kommenden Tage und Jahre ertragen, die schwarz und freudenlos vor ihrem Blicke aufstiegen?
Es ist nichts unbegreiflicher, als das feste Beharren, mit welchem selbst stolze Männer zuweilen ein Bündniß zu erringen suchen, das sie weder ehren noch beglücken kann. Börner's dringende Werbungen, die unzarte Sicherheit, durch des Vaters Beifall erzeugt, die Eifersucht, die Marianens Schritte verfolgte, ihren Briefwechsel mit Frau von Pistor ausspähete, ihre Mienen,
ihr Erröthen bewachte und anklagte, verbitterten dem armen Mädchen die kurze Sommerfreude. Sie wich ihm aus, wenn es möglich war, gelang es ihm aber, sie allein zu finden, so folterten sie Bitten und versteckte Drohungen, deren Sinn sie nicht begriff, die wie schwarze Gespenster ihre Tage und Nächte verdunkelten. Sie möge sich hüten, sagte er oft mit einem eisig kalten Lächeln, er habe ihre Ruhe, ihr Glück in seiner Gewalt, und sei zu Allem fähig, wenn sie ihn verwerfe. Forderte sie, von solcher Qual ermüdet und gereizt, ihn zur Erklärung auf, so hüllte er sich in Räthsel, deren wahrscheinlichste Lösung zu furchtbar war, um ihnen weiter nachzuforschen. Dann blieb Marianen nur der einzige Trost: wie das kalt prosaische Wesen des Mannes und der höhnische Blick, mit welchem er sie ansah, der Raserei des Selbstmordes widerspreche. Ihrem Vater konnte sie dieses Leiden nicht klagen, er würde ihr nicht geglaubt haben; in seiner Gegenwart war Börner ernst, bescheiden, demüthig, wünschend, aber doch leidenschaftslos, wie ein vernünftiger Mann; die ängstigende aufregende Rolle spielte er nur gegen sie, und sie schämte sich, zu gestehen, was sie in schwarzen Stunden fürchtete. Oeffentliche Noth gesellte sich zu diesen geheimen Leiden. Die Reichstruppen hatten den Sonnenstein belagert und eingenommen: General Daun näherte sich Dresden, das schwach besetzt war; um so kräftigere Maßregeln glaubte der preußische Commandant nehmen zu müssen. Er erklärte, er werde die Vorstädte abbrennen, und ließ unter
allgemeinem Wehklagen die Häuser mit brennbaren Stoffen füllen. Alles kam in Bewegung, der Hof, der Magistrat, die Einwohner baten um Schonung, man glaubte das Schloß und die königliche Familie gefährdet. Da der Commandant unbeweglich blieb, ergingen nun die Bitten an den österreichischen Feldherrn, aber Anfangs vergebens. Tage des Schreckens schlichen langsam vorüber, bis Daun endlich seinen Anschlag auf Dresden aufgab, die brennbaren Sachen wieder aus den Häusern genommen wurden, und die Ruhe in die bedrohte Stadt zurückkehrte.
Um diese Zeit war Mariane mit einer Freundin auf eben dem Weinberge, wo sie ihren letzten sorglosen Abend genossen hatte. Die Trauben fingen an zu reifen, der Herbsttag war ohne Wolken, mancherlei ländliche Geschäfte hatten den Tag erheitert. Die Mädchen sammelten das Obst ein, füllten die Körbe und sandten sie zur Stadt, suchten die besten Trauben aus und das letzte Gemüse von den Beeten. Als die Sonne unterging, gab es für Marianen nichts mehr zu thun, ihre Gespielin mahnte sie, das Plätzchen am Berge zu besuchen, das ihr ja so lieb sei, und versprach bald nachzukommen. Mariane ging. Ach, es war noch ganz so still und schön hier, wie ehedem, ihre Seele aber war umschleiert. Das Rauschen des Wassers zu ihren Füßen schien heute eine Trauermusik und begleitete harmonisch die Gedanken der Wehmuth, in die sie sich tiefer und tiefer einwiegte. Da kam ein Schritt durchs Gebüsch
am Berge, sie blickte auf: Pistor stand vor ihr. Ein Freudenschrei empfing ihn; er setzte sich zu ihr unter die breiten Aeste des Nußbaumes, es war ihr, als sei es ein schöner Traum. Jetzt erst fühlte sie, wie Mittheilung und Vertrauen das Herz erleichtert, wie die Gegenwart, die Stimme, der Blick so viel mehr gilt, als ein geschriebenes Wort. — Eine halbe Stunde an seiner Seite, in seinem Schutze, und sie dünkte sich wieder die frohe, glückliche Mariane, obgleich Thränen ihr Auge benetzten; sie faßte wieder Muth und Hoffnung und gelangte zu einer Sicherheit des Gefühls, die sie lange entbehrt hatte. — Indessen verschwanden die blitzenden Strahlen auf den Wellen, die Freundin kam, an den Heimweg zu mahnen, umarmte Marianen herzlich und sah fast so glücklich aus, als sie selbst. Du hast gewußt, daß er kommt ! flüsterte Mariane. Freilich, antwortete Jene, ich wußte es, aber die Mama nicht. —
Wie schön war der Weg in der abendlichen Kühle, da er nun neben ihr ging und jedes Wort eine vertraute Beziehung, einen geheimen Sinn hatte. Nur zu bald erreichten sie die Stadt; es war dunkel geworden, die beiden Andern schieden an ihrer Wohnung, Leo nahm Marianens Arm, sie gingen mit unaussprechlichem Behagen durch die dämmerigen Straßen hin. Plötzlich erschien ein Begleiter an ihrer Seite, der mehrere Schritte dicht neben Marianen blieb, sie dreist ansah, laut und höhnisch mit ihrem Namen grüßte und dann
schneller voranschritt. Mariane hatte Börner erkannt, ein Theil ihres Glückes war vor seiner Stimme entflohen, sie nahm eilig von ihrem Freunde Abschied und mochte kaum der Hoffnung Raum geben, ihn noch einmal bei ihrer Gespielin zu finden.
Als sie ins Wohnzimmer trat, brannte schon Licht, der Vater war nicht zu Hause, Börner saß bei einem Buche und erwartete ihn. Er stand auf, kam ihr entgegen und redete sie mit Vorwürfen an, die, von allem Scheine erkünstelter Feinheit entkleidet, ein empörend niedriges Gemüth aufdeckten. Mariane staunte, ihr Muth wuchs, und auf die trotzige Frage: ob sie ihm gleich ihr Wort geben wolle oder nicht? — glaubte sie das peinliche Verhältniß mit einem Schlage lösen zu können. Es war kein Zweifel mehr in ihr über Recht und Unrecht dieses Schrittes, denn wie er jetzt, mit dem hämisch-boshaften Gesicht, vor ihr stand, erkannte sie: es sei unmöglich, mit solchem Manne den heiligen Bund zu schließen, wenn sie auch nie geliebt hätte. Sie sprach also ihr Nein ernst und fest aus und bat ihn nur, sich zu erinnern, wie sie ihn niemals täuschen gewollt, sondern auf seinen eigenen Wunsch diesen schwankenden Zustand geduldet habe, der ihrer offenen Seele zuwider sei.
Ich werde also dem Herrn von Pistor aufgeopfert! sagte Börner kalt. Mögen Sie den Stolz nicht bereuen, mit welchem Sie meine standhafte Liebe von sich weisen. Sie wissen nicht, wie sehr Ihr Schicksal in
meiner Gewalt steht; wüßten Sie es, Sie würden mich nicht aufs Aeußerste treiben. Ich besitze ein Zauberwort, das volle Rache in meine Hände giebt. Diese Warnung, ist nur für Sie, sollten Sie sie Jemand mittheilen, so würden Sie mich zwingen zu thun, was eine unselige innere Stimme von mir verlangt. Wollen Sie mich aber von der Versuchung retten, so verzeihen Sie was mich Eifersucht sprechen ließ, und geben Sie mir die früheren Hoffnungen zurück.
Denken Sie nicht so klein von mir, antwortete Mariane, daß ich aus grundloser Furcht einen überlegten Entschluß ändern könnte. Ihre Drohungen verstehe ich nicht, sie lassen mich ruhig, sie befestigen nur meinen Willen. Thun Sie, was Sie mögen. Gott hat mich in so glückliche Umgebungen gestellt, mit so tugendhaften Menschen verbunden, daß ich von keiner Seite etwas fürchten kann. Schweigen will ich aber, das verspreche ich Ihnen, es würde mir leid thun, wenn ein unbesonnenes Wort Sie um die Achtung meines Vaters brächte.
Ellinger's Eintritt machte dem Gespräch ein Ende, Mariane konnte sich entfernen. Zum ersten Male vergaß Börner jetzt seine geschmeidige Unterwürfigkeit, er klagte mit Heftigkeit über Marianens Entscheidung und verlangte: Ellinger möge die väterlichen Rechte für ihn geltend machen. Der alte Mann wies ihn ernst in seine Schranken zurück, äußerte zwar Kränkung und Schmerz über die verlorene Hoffnung, wiederholte aber:
er könne die Tochter nicht zwingen, ja er würde aufhören, den Mann zu achten, dem eine erzwungene Ehe noch wünschenswerth scheine. Hierauf trennten sie sich mit stillem Verdruß. Doch dieser Same des Unmuths war gar bald aus dem offenen Gemüth des Einen verschwunden, während er in der Brust des Anderen Wurzel faßte und eine giftige Pflanze trieb.
Mariane schlief die ganze Nacht nicht. Immer tönten Börner's Worte vor ihren Ohren. Was konnte er meinen? Ueber sie selbst vermochte er kein Unheil zu bringen, nur durch die, die sie liebte, konnte er ihr Herz verwunden. Ihre Einbildungskraft rang mit furchtbaren Bildern. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater jenes Mal von Sorgen sprach, deren Last ihn allein drücke, wie er sagte: Börner hat mein ganzes Vertrauen. — Namenlose Angst faßte sie, sie strebte vergebens, sich durch den Gedanken zu stärken: es könne kein Unrecht an dem Vater zu finden sein, seine Seele, sein Wandel könne keinen Flecken haben. Zuweilen ergriff sie die Reue, daß sie nicht Alles gewagt hatte, den Sinn des Räthsels zu lösen, Zweifel quälten sie: ob sie sich dem Vater entdecken solle, vor dessen erstem Wiedersehen ihr ohnedem bangte. Endlich fand sie Ruhe, indem sie Gott um Schutz gegen wahres und eingebildetes Schrecken anrief, und mit dem Grau des Morgens hatte der Schlaf ihre Augen zugedrückt. Beim Frühstück war Ellinger kalt und finster, er ging aus, ohne einen freundlichen Abschied von ihr. — Um Mittag kamen zwei preußische
Offiziere, ein Civilbeamter und vier Mann Soldaten. Sie fragten nach dem **Rath; auf Justinens höfliche Auskunft verlangten sie die Oeffnung seines Zimmers und machten Miene, sich der Schlüssel, der Papiere zu bemächtigen. Die Töchter waren ohne Fassung, Justine zeigte nicht die mindeste Furcht und schickte sich an, das Eigenthum ihres Herrn zu vertheidigen. Wirklich gewann ihre kecke Sprache wenigstens einige Augenblicke, und mitten in dieser Verwirrung trat der nichts ahnende Hausherr über die Schwelle. Mariane flog weinend in seine Arme, er war blaß, doch männlich und gefaßt. Auf Befehl des Königs und des Commandanten wurden seine Schriften in Beschlag genommen, er mußte die Schränke öffnen, die Herren durchsuchten Alles, gaben aber keine Antwort auf seine Fragen; so stand er stumm, die Arme über einander geschlagen, und verfolgte in furchtbarer Spannung die Bewegungen der Suchenden.
In diesem Schranke befindet sich ein geheimes Fach, sagte einer der Männer, wollen Sie es öffnen, Herr **Rath?
Wenn es so wäre, antwortete Ellinger, so beantwortet die Bestimmung des Behältnisses Ihre Frage. Meine Geheimnisse können mir nur durch Gewalt entrissen werden.
Im Namen des Königs also ! rief der älteste Offizier dem Beamten zu, öffnen Sie das Fach, es verwahrt die fraglichen Schriften. Ellinger sah die verborgene Feder weichen, die Scheidewand aufrollen, die Papiere in den
Händen des Offizianten, Marianen schien es, als ob die Gestalt ihres Vaters in diesem Augenblicke von krampfhaftem Zittern ergriffen würde, seine Hand faßte die Lehne eines Stuhls, sein Gesicht zuckte, aber er ermannte sich sogleich. Justine stand von fern und begriff nicht, wie ihr Herr das Alles so geduldig ansehen konnte, sie wollte mehr als einmal sprechen, ein gebietender Blick von Ellinger schloß ihren Mund.
Jetzt war das Geschäft geendet. Der älteste Offizier wandte sich zu dem Rath und sagte: Sie sind ein Gefangener, Herr Ellinger. Der Commandant will indessen, daß Sie, bis zur Entscheidung des Königs, in Ihrem Hause bewacht werden. Wir wünschen, Ihre Papiere möchten die Schuld vermindern, deren man Sie anklagt.
Das werden sie nicht, erwiderte Ellinger, aber ich bin stolz auf das, was Sie meine Schuld nennen. Für meinen Landesherrn, für meine Königin ist es geschehen.
Der König von Preußen ist jetzt Ihr Landesherr, sagte Jener hart. Was Sie ihm entzogen haben, ist in den Händen seiner Feinde gegen ihn genutzt worden und hat wichtige Folgen herbeigeführt; zufällig trifft diese Kunde mit Ihrer Anklage zusammen und erschwert Ihr Schicksal.
Ich will nicht stärker scheinen, als ich bin, sagte Ellinger, mein Schicksal bekümmert mich, weil ich Vater bin. Es ist indessen Gottes Schickung, denn ich handelte
nach meiner Ueberzeugung. Jetzt erschüttert mich etwas Anderes noch mehr. Wer ist mein Ankläger? Ich hoffe, ich darf auf diese Frage von einer freisinnigen Verwaltung Antwort hoffen.
Calculator Börner heißt der Mann, erwiderte der Major. Ellinger bedeckte das Gesicht mit den Händen; Mariane umfaßte ihn, sie fühlte, wie er zitterte, sie fühlte mit ihm. Die Offiziere verließen das Haus, aber die Wachen, die zurückblieben, erinnerten jeden Augenblick an den schrecklichen Schicksalswechsel und die ungewisse Zukunft.
Man untersuchte nun die Schriften, deren Dasein nur Ellinger und Börner kannten, und fand klare Beweise, daß Ellinger Mittel gewußt hatte, einen großen Theil seiner Einnahmen dem Könige von Polen und der Königin zu erhalten, die sich damals fast aller Quellen ihres Reichthums beraubt sahen. Unglücklicherweise ward Friedrich zugleich durch aufgefangene Briefe belehrt, diese Schätze wären in den Händen seiner Feinde Waffen gegen sein Interesse geworden. Die Beamten des besetzten Landes waren allerdings für ihn in Pflicht genommen, Ellinger's Vergehen fand also vor seinem Richterstuhl keine Entschuldigung, obgleich er that, was ihm Pflicht war, und sich aus reiner Liebe für sein Fürstenhaus der Gefahr Preis gegeben hatte. Nach einigen Tagen banger Erwartung brachte der abgesandte Courier
den Befehl: den **Rath Ellinger nach Spandau in strengen Gewahrsam zu bringen. Die Ausführung schien jedoch für den Moment unmöglich, denn seit jenem Morgen lag der Rath an den Folgen heftiger Gemüthsbewegung krank.
Die armen Kinder verließen das Bett ihres Vaters keinen Augenblick, sie konnten nichts weiter thun, als durch verdoppelte Zärtlichkeit seine Lage erleichtern, und sie hofften in ihrer Unschuld, man werde sie nicht von ihm trennen. Justine sah sich auf einmal zu ungewohnter Einsamkeit verurtheilt, denn ihr heftiger Kummer, den sie durch ungestümes Reden äußerte, bewog Marianen, sie von dem Kranken entfernt zu halten. Nur die kleine Luise war zuweilen bei ihr, und von dem Kinde erfuhr Mariane mit Verwunderung, daß Justine zwei Abende nach einander ausgegangen sei. Sie habe, erzählte Luischen, ein hübsches Kleid angezogen und einen kurzen grünen Pelz umgehangen, auch ihren Kopf dreifach verwahrt und sehr geklagt: wie sie nicht gedacht hätte, noch einmal mit ihren Füßen in das Getümmel zu gehen und sich die rauhe Herbstlust anwehen zu lassen. Marianen befremdete das, und am Morgen, nachdem sie die Nacht bei dem Vater durchwacht hatte, suchte sie Justinen auf. Wie geht es denn? fragte die Alte bekümmert, soll ich sein Angesicht gar nicht sehen? Ich will stumm sein wie ein Fisch, mit Gottes Hülfe.
Es geht sehr gut, antwortete Mariane, wenn wir
uns nur darüber freuen könnten. Aber wenn er gesund ist, wird er von uns gerissen, und wir sollen nicht mit ihm. Du siehst auch blaß aus und recht eingefallen. Um Gottes willen, mache mir nicht auch Angst! Du bist ausgegangen, Abends, in der Herbstluft, ist das auch recht? Versprich mir heilig, es nicht wieder zu thun. Wo warst du auch?
Bei dem Gevatter, sagte Justine. Denkst du, es wäre ohne Ursach geschehen? Es war mir selbst, als sollte ich in den Tod gehen, mir schwindelte auf der Straße und ich befahl dem Herrn meine Seele. Aber ich kam doch glücklich an und habe nur einen Schnupfen davongetragen.
Du darfst nicht wieder fort! rief Mariane, es wäre unrecht von dir, wenn du noch mehr Angst auf mich häuftest. Ach, Justine, was wird aus uns werden? Wenn in der Nacht Alles still ist und ich mir den Vater im feuchten Kerker denke, kränklich und ohne seine Kinder! — da ergreift mich Todesangst, und ich mache mir bittere Vorwürfe, weil das Unglück durch mich gekommen ist. Ja, ich denke oft in der Verzweiflung, ich hätte Börner nicht abweisen sollen.
Gott bewahre und behüte dich, sagte Justine mit der alten Lebendigkeit. Das wäre wie in dem Lande, wovon ich gehört habe, und wo die Mädchen einem abscheulichen Ungeheuer geopfert werden. Ich weiß nicht, wo es gleich war, aber wahr ist es. Ihr kennt ihn nun, den Bösewicht. Wenn mich der Herr erhält, will
ich ihm schon einmal in die Ohren donnern; so lange liegt es mir auf der Brust, wie ein Mühlstein. Aber jetzt gibt es Anderes zu thun. —
Nach Mittag, als Ellinger schlief, schlich Lottchen auf den Zehen herein, ihre Augen waren naß und glänzten wie verklärt. Ich habe dir viel zu sagen, hob sie an; das Beste zuerst. Ich schlug die Bibel auf, weil ich gar zu betrübt war, Justine thut das oft. Was meinst du, was da vor meinen Augen stand, wie mit feurigen Buchstaben? „Raguel sprach: Ich zweifle nicht, daß Gott meine heißen Thränen und mein Gebet erhört hat.“ Ist das nicht schön, Mariane? Wir wollen auch nicht zweifeln.
Mariane umarmte sie und wiederholte die Worte. Sie fand einen Trost darin, den der Ruhige nicht ahnet. Dann ist auch der Hauptmann hier gewesen, fuhr Lottchen fort, und hat nach dem Vater gefragt; er geht nicht aus Dresden, bis er weiß, wie Alles ist. Und denke nur, Justine ist schon wieder ausgegangen, angezogen wie zu einer Schlittenfahrt, und mit solchen Umständen, als käme sie zeitlebens nicht wieder, und diesen Zettel an dich hat sie dagelassen.
Mariane entzifferte die Schrift und las: „Mein Herzenskind, ich muß doch wieder fortgehen und werde wohl ein paar Tage und ein paar Nächte weg sein, was gar nicht anders angeht. Ich glaubte, ich wäre eben so sicher vor einem Gange die Treppen hinunter, als mein alter Nußbaumschrank, den vier Männer nicht
hinabschleppen wollten. Nun, der steht ruhig, und ich wandele. Des Herrn Wille geschehe! Habe keine Angst um mich, ich bin warm angezogen und in alle Wege verwahrt. Und frage nicht nach mir. Wenn ich etwa nicht wiederkäme, ist dafür gesorgt, daß du mein Weniges erben sollst, aber es hat keine Noth. Siehe der Rosine ein bischen auf die Finger, die wird froh sein, daß ich fort bin; sieh auch Abends nach dem Licht, die Dirnen schlafen und lassen's brennen. Lottchen könnte morgen in der guten Stube abwischen, weil es eben Freitag ist, und sie soll auch die Schlüssel verwahren, wo mein Eingemachtes steht, ihr Kinder lacht zwar darüber, aber ich sage: Der Wolf frißt auch die gezählten Schafe. Nun lebe wohl, Marianchen, und bitte Gott, daß er meinen Gang segnet.“
Der Vater war erwacht, er rief die Mädchen, Mariane glaubte eine ungewöhnliche Rührung in seinen Zügen zu lesen, ohne Zweifel hatte er Lottchens Worte gehört. Er verlangte Jemanden von der Wache zu sprechen, weil er um den Besuch eines Freundes und einige andere Vergünstigungen bitten wolle. Die Kinder mußten sich entfernen. Gegen Abend sahen sie einen alten Rechtsgelehrten kommen, mit dem der Vater zwei Stunden allein blieb, dann wurde Mariane wieder gerufen. Sie ahnete, was er für ein Geschäft abgethan hatte, der Gedanke an die Trennung fiel ihr drückend aufs Herz, da sie ihn außer dem Bette, angezogen und ziemlich kräftig fand; sie fiel weinend um seinen Hals.
Da ging die Thüre nach leisem Pochen auf, und Pistor trat herein. Mariane erschrak, ihre Arme sanken nieder, sie zitterte und wagte nicht, den Vater anzusehen. Aber welch ein Gefühl schmerzlicher Freude bewegte ihre Brust, als er Pistor freundlich entgegenging, ihm beide Hände reichte und ihn mit einer Bewegung anredete, die sie niemals an ihm gekannt hatte. Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, und daß ich Ihr Auge wie sonst finde, sagte er. Sie wissen mein Unglück. Ich bereue nichts; indem ich die Folgen trage, untersage ich mir alles Grübeln über Geschehenes, ja ich würde schwerlich anders handeln, könnte ich die vergangene Zeit zurückkaufen. Nur daß ich einem Heuchler vertraute, mehr noch — ihn liebte wie meinen Sohn, daß er meinen grauen Kopf überlistete, vergebe ich mir nicht.
Die Kinder der Welt sind klüger als die Kinder des Lichts, antwortete Leo, die Redlichkeit hat kein Senkblei, das in die Tiefe solcher Arglist reicht.
Meine Kräfte kehren wieder, fuhr Ellinger fort, man bestimmt den Tag, wo ich reisen soll, meine Kinder sind ohne Schutz. Habe ich Sie einst beleidigt, junger Mann, so nehmen Sie die einzige Genugthuung, die ich geben kann. Ich will Ihnen meine Kinder vertrauen, meine Vatersorge will ich auf Ihr Haupt legen und ruhig meinem Schicksal entgegen gehen. Führen Sie Marianen treu durchs Leben und wachen Sie über ihre Schwestern. Das Unglück hat über meine Grundsätze gesiegt, die bitterste Erfahrung meines Lebens
hat mich belehrt, wie sehr ich irrte, da ich meinen Wünschen nachgab. Ich hoffe, noch ehe ich euch verlassen muß, Zeuge eurer Verbindung zu sein. Dann bringen Sie Marianen und die Kleinen zu Ihrer ehrwürdigen Mutter. Das Uebrige wird der Herr lenken.
Ich will Ihr Geschenk verdienen, sagte Pistor, und eine Thräne benetzte sein männliches Gesicht, indem er Ellinger umarmte. Dann nahete er sich Marianen, und, von tausend namenlosen Gefühlen bewegt, fand sie sich an seiner Brust, und die segnende Hand des Vaters lag auf ihrer Stirn. Einige Minuten gab sie sich dem Genuß der Liebe, des schönen Friedens hin, aber plötzlich durch ein Wort Ellinger's über ihre stille Hochzeitsfeier aufgeschreckt dachte sie wieder an seinen Verlust. Nein, nein, wir wollen in solchen Tagen kein Fest feiern, rief sie aus. Ich gehe mit Leo zu seiner Mutter, aber nicht früher, als bis mein Vater frei ist, können wir an unser Glück denken. Gott wird meine heißen Thränen und mein Gebet hören, ich zweifle nicht. Es ist eine Vorstellung an den König abgegangen, von vielen Einwohnern Dresdens unterzeichnet, mit den wichtigsten Gründen ausgestattet.
Ich weiß das, und weiß seit heute den Erfolg, sagte Ellinger. Die Bitte war vergebens.
So bleibe ich Leo's Braut, bis mir Gott den Vater wiedergibt, erwiderte sie fest. Hat er mir nicht eben jetzt geschenkt, was ich niemals hoffte? Wie sollte ich ihm nicht ferner vertrauen?
Amen, mein Kind, sagte Ellinger. Thue, was dein Herz befiehlt. Und wenn du eine Waise würdest, bevor wir uns wiedersehen, dann denke, daß dein freier Vater unsichtbar den Bund eurer Liebe segnet.
Der König von Preußen stand im Lager bei Hochkirch, den Oesterreichern gegenüber, in einer gefahrvollen Stellung, wie es sein Feldherrnblick wohl erkannte, da ihm der Feind bei Besetzung der Berge zuvorgekommen war, von deren Besitz die Haltbarkeit des Lagers abhing. Er wollte sich indessen erst zu einer bestimmten Zeit zurückziehen, indem er auf die bekannte Behutsamkeit seines Gegners baute, und hatte den fünfzehnten October zum Abzüge festgesetzt. Am dreizehnten Morgens ritten etwa zehn Offiziere, aus der Umgebung des Lagers dahin zurückkehrend, durch den Frühnebel. Zwei waren weit voran, der Eine im schlichten Ueberrock, einen kleinen schlechten Hut auf dem Kopfe, — der Andere im Husarenpelz. Ihre Unterhaltung war belebt und heiter, sie scherzten über die ungewohnte Nähe des feindlichen Lagers, selbst über die Gefahr dieser kühnen Annäherung. — Jetzt, ganz nahe an der Zeltstadt, am Rande eines Grabens hinreitend, hörten sie sich von einer gellenden Stimme angerufen: Mit Permission, meine lieben Herren, Sie könnten mir wohl gütigst zu ein paar Worten mit dem Herrn General Ziethen verhelfen. Ich muß ihn sprechen, und wenn er nicht da
ist, muß ich zum Könige selbst gehen, ja wahrhaftig. Sehen Sie, ich bin eben nicht furchtsam, aber man will sich doch nicht so geradezu unter das gottlose Kriegsvolk wagen.
Die Stimme gehörte einer kleinen alten Frau, die mitten im trockenen Graben unter drei breitästigen Bäumen saß. Sie war vom Kopf bis zum Fuß in Pelz gehüllt, nur eine krumme Nase und funkelnde schwarze Augen sahen aus den Hüllen hervor. Der Nebel wob noch außerdem seinen geheimnißvollen Schleier über die Gestalt.
Mit Ew. Majestät Erlaubniß, sagte der Husar, will ich zurückbleiben und hören, was die Frau begehrt.
Frage Er sie nur, erwiderte der König, Er hört ja, daß es mich angeht. Aber ich will mit der Fee Fanferlüsche nichts weiter zu schaffen haben. Frage Er sie.
Der Husar gehorchte; die Alte raffte sich mit wunderbarer Schnelligkeit auf, klimmte den Graben hinan und stand dicht vor den Reitern. Sie werden sich wundern, gnädiger Herr, sagte sie, ihre Kleidung streichend und säubernd, daß ein Frauenzimmer von meiner Art hier sitzt, als ob es eine Zigeunerin wäre. Ja, du lieber Gott, Noth bricht Eisen! Der furchtsame Hase von Fuhrmann, den mein Gevatter so rühmte, riß aus, wie er ein Paar Flinten von fern blitzen sah; her mußte ich, also machte ich das Stückchen mit meinen alten Füßen.
Nun, was soll's! was soll's! nur kurz gesagt! rief
der König. Wir haben nicht Zeit, Ihre Aventuren anzuhören.
Ei, du lieber Herrgott, das klingt ja ganz gefährlich, sagte unsere Freundin Justine, die beide Männer nach ihren Kleidern würdigte. Wenn's der gnädige Herr hier mit anhört, wird's für anderer Leute Ohren auch nicht zu viel sein. Ich sehe vielleicht jetzt schlecht aus, nun ja, ich gehe auf ungewohnten Wegen, aber es ist Mancher mehr, als man eben denkt.
Womit kann ich dienen? fragte der Husarenoffizier in großer Verlegenheit, weil ein Wink des Königs ihm gebot, sein Incognito zu ehren. Ich bin der General Ziethen selbst.
Ach, mein Schöpfer! ist das möglich? ist das wahr? rief die Alte aus. O Junker Joachim, o werthester Herr General, ich möchte weinen vor Freude und Rührung! Ich hätte Dieselben nicht gekannt, nein gewiß nicht. Sie sind doch auch ein bischen alt geworden in der langen Zeit, und die alte Justine Wiedemann, nicht wahr, die ist vertrocknet wie ein Nußkern vom vorigen Jahr. Ja, ja, es ist die alte Justine, Junker Joachim, die dich gewartet hat, die dich laufen lehrte mit gebücktem Rücken, die in den Pocken bei dir blieb, obgleich sie sie selbst nicht gehabt hatte, die dich Nachts umhertrug, wenn du nicht schlafen mochtest, und noch dazu vom Papa dafür gescholten ward. Die ist nun da und will ihren Lohn haben.
Rede frei, sagte der General, ich weiß recht gut,
was ich dir schuldig bin. Es freut mich, dich noch einmal wiederzusehen. Kann ich etwas thun, deine alten Tage zu erleichtern? Ich will's gern.
Für mich nichts, antwortete sie, aber um meinetwillen für einen andern guten Menschen. Ich denke, wer ein Wort reden kann mit den Gewaltigen der Erde, der soll es thun, und wer eine Schuld zu bezahlen hat, der soll nicht fragen, an welchen Nebenmenschen er sie abträgt. Ja, so denke ich, und darum bin ich hier. Sie können mit dem Könige umgehen, so zu sagen, wie ich mit Ihnen — nun, der hat jetzt ein großes Unrecht gethan, und das müssen Sie ihm sagen, daß er's wieder gut macht. Ich will's ausführlich erzählen, und wenn's dem andern Herrn zu viel wird, weil er mich so durchbohrend ansieht, da dacht' ich, er könnte lieber weiter reiten; aus dem Concepte last' ich mich nicht bringen, mit Gottes Hülfe. Sehen Sie, seit vier Jahren hat mein Fuß die Straße nicht betreten, und jetzt bin ich hier, so weit von dem lieben Dresden, mitten unter Soldaten und Zelten und Kanonen, in der Herbstluft und dem garstigen Nebel, und ganz außer mir über ein erbärmliches Nachtquartier. Das Alles habe ich erlitten, weil ich hoffe. Sie werden dem Könige die Wahrheit sagen, und er wird in sich gehen.
Das ist ein curioses Verlangen, mein lieber Ziethen, sagte der König lächelnd. Es ist zwar nicht das erste Mal, daß Ziethen dem Könige die Wahrheit sagt, aber ich bin nur dubiös, ob der König in sich gehen wird.
Ei, warum denn nicht, eiferte Justine, da müßte er der alte Friedrich nicht sein, den alle Unterthanen anbeten und alle fremden Menschen, selbst die Feinde. Wenn's ihm nur recht ordentlich vorgestellt wird. Er kann nicht dafür, daß so viel Blut und Thränen fließen, und so viel Tausend Menschenkinder auf Schlachtfeldern umkommen, die ihren Eltern sauer geworden sind, und daß Unzählige ohne Obdach umherirren, oder Leute, denen es nicht an der Wiege gesungen ist, am Wege in Gräben sitzen und denken, es ist ein schwerer Traum. Nein, dafür kann er nicht. Sie haben ihn ja angefallen mit gesammter Macht, und es ist eine Freude, wie er sich wehrt, und wie Gott ihm hilft. Aber wo er ein Unheil abwenden kann, da muß er es thun, und das muß man ihm sagen. Er will meinen Herrn, den **Rath Ellinger in Dresden, auf die Festung schicken, weil er seiner Landsherrschaft ein bischen von ihrem rechtmäßigen Einkommen erhalten hat; ist das recht? Soll es den treuen Diener nicht erbarmen, wenn er weiß, daß eine große Königin ihr gewohntes Glück entbehrt? — Wenn der Rath sein Unterthan wäre, würde er da nicht seine Treue loben? — Wird er nicht wünschen, daß die Seinen ihm anhangen, ohne Furcht vor eigener Gefahr? — Was du willst, daß dir die Leute thun, da drücke auch ein Auge zu, wenn's für deinen Feind geschieht. — Ellinger hat drei liebe Kinder, die weinen und ringen die Hände, und flehen zu Gott, und es ist ein starker, eifriger Gott. Hier steht der König
unter dem offenen Himmel und hat kein Dach über sich, als ein Leinwandfähnchen, drüben sind die Feinde mit ihren Todesgeschossen, die können alle Augenblicke losbrechen, und Niemand kann sagen, wer unterliegen wird. Er ist ein großer König, aber weiß er, wie es morgen um ihn steht, wenn die Sonne herauf kommt? In solcher Lage muß der Mensch die Wagschale seiner Verschuldungen nicht um ein einziges Härlein überfüllen, denn das Härlein kann sie zu Boden ziehen.
Mit unglaublicher Schnelle war diese Rede von Justinens Lippen geströmt, jetzt hielt sie erschöpft inne, denn sie fühlte doch, wie die Reise, die schlechte Nacht ihre Kraft verminderte. In diesem Augenblicke langten die zurückgebliebenen Generale auf dem Platze an, man nannte den König, Justine hörte staunend, wer der einfach gekleidete Mann war, vor welchem sie so offen gesprochen hatte. Doch es kam keine Furcht in ihre Seele, sie empfand nur die Liebe für ihren angestammten König, seinen Ruhm, seine Größe, und daß sie ihn nun sah, nahe und ungestört, da es ihr in Dresden nie gelang, etwas mehr als seinen kleinen Hut oder den Umriß seiner Gestalt zu erblicken. Sie faltete die Hände und trat dicht an des Monarchen Pferd. Das ist also mein König, sagte sie sehr gerührt, der große, tapfre, herrliche Friedrich! Ja, ich bin auch eine Preußin! Und wenn ich ein Mann wäre, möcht' ich's gar nicht besser haben, als meine braven Landsleute, die für ihn fechten und sterben.
Mit dem Ellinger kann es nicht anders werden,
als ich befohlen habe, sagte Friedrich. Ich muß ein Exempel statuiren. Der Mann hat ja gewußt, daß ich jetzt sein Herr bin, und daß ich nicht mit mir spaßen lasse. Die Feinde sind weit weniger scrupulös, sie haben die armen Magistratspersonen von Cottbus als Geiseln fortgeschleppt und sie obenein gemißhandelt. Wir müssen ihnen zeigen, daß wir Repressalien nehmen können.
Mit Ew. Majestät Verlaub, antwortete Justine unerschrocken, die Rache will sich Gott selbst vorbehalten, und, das einzige Wort muß ich noch von mir geben, wenn es auch das letzte wäre, das über meine Zunge geht, die Russen sind in Königsberg und haben Alles in Besitz genommen, da kann leicht ein guter Preuße für Ew. Majestät thun, wie mein armer alter Herr für —
Er wird wohl für die Sicherheit der Frau sorgen, mein lieber Ziethen, sagte der König, da sie Ihm so attachirt ist. Sie hat Bravour genug für eine Weibsperson, mag aber doch machen, daß sie wieder in ihre Heimath kommt. Nun, en avant, meine Herren! —
Das war also umsonst, rief Justine, als die Reiter blitzschnell aus ihren Augen verschwanden und nur der General noch neben ihr hielt. Nun, ich habe das Meinige gethan, und der Herr General werden wohl die alte Justine nicht hier im Graben sitzen lassen. Ich bin müde bis zum Sterben, ich fühle es nun erst, da ich meinem Herzen Luft gemacht habe. Wenn ich leben-
dig wieder nach Dresden kommen soll, muß ich bis morgen ausruhen. Ach Gott, wenn das die Kinder wüßten, und die Leute, und selbst der Herr, wie würden die über mich lamentiren.
Du sollst in Hochkirch ein gutes Quartier haben, sagte der General, und morgen früh will ich für deine Reise sorgen. Bleibe nur hier, bis ich dir Jemand schicke, denn ich muß dem Könige folgen.
Die Nacht senkte sich über das Lager, eine merkwürdige, schicksalschwere Nacht, die den hohen Geist des Königs noch der Nachwelt im hellsten Lichte zeigt, und seinem Ruhme, dem sie Verderben drohte, neuen Glanz gab. Nie war Friedrich größer, als im Unglück, das Unglück nahete ihm jetzt auf den Flügeln der Dunkelheit.Archenholz's Geschichte des siebenjährigen Krieges Die Oesterreicher verließen ihr Lager, ihn zu überfallen, ihre Zelte blieben stehen, ihre Wachfeuer brannten fort, die Arbeiter an den Verschanzungen waren thätiger als jemals, sangen und riefen einander zu, um die preußischen Vorposten zu täuschen. Einige Husaren entdeckten dessen ungeachtet die Bewegungen des Feindes, es wurde im Zelte des Königs, wo Seidlitz und Ziethen sich befanden, darüber gerathschlagt, und obgleich Friedrich durchaus keinen Angriff vermuthete, gab er doch Befehl, daß einige Brigaden aufstehen, einige Regimenter Cavalerie ihre Pferde satteln mußten. Gegen Morgen aber, da Alles ruhig geblieben war, wurde der Befehl
zurückgenommen, und der Soldat überließ sich dem Schlafe.
Es schlug in Hochkirch fünf Uhr, war aber noch finstere Nacht, als plötzlich der Feind vor dem Lager stand. Haufen von Soldaten meldeten sich als Ueberläufer, ihre Zahl wuchs, bis sie Feldwachen und Vorposten überwältigen konnten, und nun drang die österreichische Armee von allen Seiten ins Lager ein. Die Schlafenden wurden erst durch den Schall ihrer eigenen Kanonen geweckt, die Finsterniß machte ihre Verwirrung noch schrecklicher. Selbst der anbrechende Tag schien sie nicht zu enden, denn ein dicker Nebel bedeckte die Kämpfenden. Aber die Kriegszucht des überfallenen Heeres wirkte hier Wunder, weil der Geist, der es schuf und führte, im Augenblick der Gefahr die Schaaren beseelte. An seinen Platz flog der betäubte, halb schlafende Soldat; mit dem Gewehr, das er zuerst erfaßte, warf er sich den Feinden entgegen, die aus der Erde zu wachsen schienen, und schlug sie an mehreren Orten zurück, bis die Uebermacht neue Vortheile errang. Das Dorf Hochkirch stand in Flammen, hier fochten die Preußen den blutigsten Kampf; der König selbst führte frische Truppen ins furchtbarste Feuer, sein Pferd sank unter ihm, zwei Pagen fielen an seiner Seite, und nur durch die Tapferkeit der Husaren entging er der Gefangenschaft. Nach fünfstündigem Kampfe zog sich die überfallene Armee in bewunderungswürdiger Ordnung zurück, und der erschöpfte Feind wagte nicht, ihren
Marsch zu stören, den weder Kanonen noch Munition mehr beschützten.
Eine halbe Meile vom Wahlplatze lagerten sich die Truppen, sie hatten den größten Theil ihrer Bagage verloren, keinen Schutz gegen die rauhe Jahreszeit, als ihre karge Bekleidung. Die meisten Generale waren verwundet, auch der König hatte eine leichte Verletzung. Er saß an einem hochlodernden Feuer, umgeben von seinen Kampfgenossen, unter denen er mit verhehltem Schmerz Manchen vermißte. Aber er bemühte sich, den harten Unfall zu vergessen, sein Gesicht zeigte muthige Heiterkeit, und er erwiderte den Morgengruß des Generals Golz mit den Worten: Mein lieber Golz, man hat uns nicht gut geweckt, aber wir werden den Herren ihre Unhöflichkeit schon verweisen. — Während die Wundärzte seine Wunde besorgten, gab er Befehle, dictirte Ordres und musterte die Artillerie, wie sie sich in geringer Entfernung sammelte. Wo habt ihr eure Kanonen? fragte er die nächsten Leute. Sie stellten sich kerzengrade, und Einer sagte mürrisch: Der Teufel hat sie in der Nacht geholt. — Seid ruhig, Kinder, sagte Friedrich, wir wollen sie ihm am Tage wieder abnehmen. — Und ein lautes Vivat tönte durch die Luft, wiederholte sich wie ein Echo in den Bergen und rief in manche zagende Brust neue Kraft und Hoffnung zurück.
Die Fee Fanferlüsche im Graben hat doch Recht behalten, mein lieber Ziethen, sagte der König nach einer Pause, wir sind heute in einer anderen Situation,
als gestern. Ihre Worte können jetzt für Orakelsprüche passiren. Wo ist sie denn hingekommen?
Es ist nichts mehr von ihr übrig, antwortete der General gerührt, sie war diese Nacht in Hochkirch, und die Bewohner des Hauses, das jetzt in Asche liegt, vergaßen die hülflose Fremde, als sie sich retteten. Das Leben der alten Frau ist nichts als Aufopferung gewesen, und ihr Tod, bei meiner Soldatenehre, ein Heldentod im Dienste der Menschheit.
Es thut mir leid, sagte der König; nun, sie soll wenigstens nicht umsonst gestorben sein. Ich will über ihrem Grabe Pardon für den Ellinger sprechen. Anders können wir ihren Muth nicht ehren. Erinnere Er mich an die Geschichte, wenn wir wieder Ruhe haben, mein lieber Ziethen. Ist Er nun mit mir zufrieden?
Ich danke Ew. Majestät für Ihre Gnade, sagte der General, aber ich wünschte doch, die ehrliche Justine könnte sie selbst erfahren.
Sehe Er nicht rückwärts, das taugt nicht für uns, erwiderte der König. Dort liegt Viel, was mein Herz bekümmert, ich muß es verschmerzen. Denke Er, daß ich Keith verloren habe. — Das Glück hat mir gestern den Rücken gekehrt. Ein andermal wollen wir unsere Sache besser machen.
Es war ein heller Wintertag zu Anfang des December; die Sonne spiegelte sich in dem glatten fest-
gefrorenen Elbstrome und leuchtete mit so warmen Strahlen in die Fenster eines hochgelegenen Landhauses, als wolle sie durch ihre Freundlichkeit die Kürze des Besuchs vergüten. In einem kleinen Saale zu ebener Erde war Frau von Pistor geschäftig, eine festliche Tafel anzuordnen, während Lottchen und Luise noch an den grünen Kränzen flochten, die der Gärtnerbursche zum Schmuck der weißen Wände benutzte. Ein lustiges Feuer knackte in dem großen Ofen und schuf im Bunde mit der Sonne eine angenehme Wärme, vor welcher die Eisblumen des Fensters verblühten und die künstlichen Rosen auf der Tafel natürlich erschienen. Ellinger sah in die Ferne hinaus, und während das Landschaftsbild im winterlichen Kleide sein Auge ergötzte, erging sich sein Geist in den Zeiten, die vorüber waren, und ruhete mit behaglicher Rührung auf der Freude der Gegenwart aus. Oben in Marianens kleiner Stube standen Pistor und die Braut Hand in Hand am Fenster. Sie war schon im Hochzeitstaate, in einem weißen Mohrkleide, mit hohem Besatz von Blumen und Blonden, schönen Blondenmanschetten und reichem Blondenputz um die Brust, die eine lange Schnur Perlen und ein großes goldenes Kreuz zierte. Ihre Frisur stieg heute einige Zoll höher auf, als an minder festlichen Tagen, und trug den grünen Myrtenkranz, das Sinnbild der Liebe und Unschuld.
Wie der Winter schön sein kann, Leo, sagte Mariane, wenn er so freundlich aussieht wie heute. Sieh, wie die weißen Eisdiamanten an jedem Zweige hangen,
und wie die goldbeglänzten krausen Bäume sich gegen den blauen Himmel hervorheben. O mein Freund, welch ein liebes, trauliches Plätzchen seiner Welt hat uns Gott gegeben, um die Stürme auszudauern, die rings umher das Land erschüttern. Er schütze es nur gegen Gewalt! Ach, er gebe doch überall Frieden und heile alle Wunden, die der Krieg schlägt!
Du bist nicht froh wie ich, Mariane, sagte Pistor; indem du Fröhliches aussprichst, schwimmt dein Auge in Thränen, und deine Bewegung gehört nur halb der Freude an.
Halte mich nicht für undankbar, geliebter Freund, erwiderte Mariane, glaube nicht, daß ich unser Glück weniger fühle als du. Mein Vater ist frei, und du bist mein! Wohin ich sehe, begegne ich den Blicken der Menschen, die mir auf der Welt die liebsten sind, ich bleibe bei ihnen, darf für sie sorgen und mich ihrer sorgenden Liebe trösten; es kann Niemand glücklicher sein, als deine Mariane. Aber, Leo! mir fehlt heute die alte Justine so schmerzlich. Kannst du dir es nicht denken? Es war ihre süßeste Hoffnung, unsern Hochzeitstag zu erleben, nun ist sie nicht mehr da, ach! und keine kindliche Hand hat ihr Auge geschlossen, kein Beistand hat ihren letzten Kampf erleichtert.
Entferne diese Gedanken, liebe Mariane, bat Pistor. Ich möchte heute dein liebes Auge ohne Wolken sehen.
Nein, laß mich immer an sie denken, sie hat es
wohl um mich verdient, sagte Mariane. Wir sollen auch in den Stunden der Freude der Vorangegangenen nicht ganz vergessen, ja es wäre strafbare Weichlichkeit, wenn ich ihr Bild, das mich umschwebt, gewaltsam wegdrängen wollte. Sie hat uns den Vater erhalten; der Offizier, der ihm seine Befreiung ankündigte, sprach selbst mit Rührung von ihrer Treue, und der Vater, den ich niemals so weich sah, hat um sie geweint.
Lottchen sprang zur Thür herein. Es kommt ein Wagen den Berg herauf, sagte sie, das ist der Pastor; der Vater läßt Leo bitten, ihn zu empfangen. Pistor ging. — Mama Pistor zieht sich an, fuhr Lottchen fort, nun will ich mich auch putzen. Ach, Mariane, wie allerliebst du aussiehst! die Ohrringe à la Pompadour stehen dir herrlich, ich möchte auch ein Paar. Aber ich lasse mich mehr pudern, das ist hübscher, Rosine wird es schon machen. Sonst mußte sie mich freilich immer nach Justinens altmodischem Geschmack frisiren. Ich war oft recht ärgerlich darüber, und wenn ich mich dann beständig in dem Spiegel besah, bloß aus Verdruß, und weil ich dachte, es sollte einmal besser aussehen, da dachtet ihr noch, ich wäre eitel. Ach, lieber Gott, wie herzlich gern wollte ich heute solchen Kopf mit mir herum tragen, wenn die alte gute Justine noch da wäre.
Ganz leise öffnete sich die Thür, und an der jubelnden Luise Hand trat Justine ins Zimmer. — Die Mädchen waren außer sich, sie jauchzten und weinten,
erdrückten die Alte fast mit ihren Liebkosungen, hatten unzählige Fragen und dankten immer aufs Neue Gott für diese Stunde, Justinen aber machte, zum ersten Mal in ihrem Leben, die Freude stumm. Hat dich denn der Vater nicht gesehen? und Pistor? fragte Lottchen. Ach, welche herrliche Ueberraschung zu Marianens Hochzeit!
Zu Marianens Hochzeit! sagte Justine, ja wohl, nun sehe ich wahrhaftig erst den grünen Kranz und das festliche Kleid, und Pistor ist der Bräutigam, kein anderer Mensch, das weiß ich. Kinder, es ist kein Unglück so groß, es ist zu etwas gut, aber mir giebt die Freude vollends den Rest. Ich will mich ein bischen setzen, sonst kann ich kein Wort reden. Nein, Niemand hat mich gesehen, bloß das Kind, das Luischen; ich bin durch eine Hinterthür in den Garten gekommen mit einem recht höflichen Burschen, denn ich sah nicht aus wie Jemand, der zur ordentlichen Hausthüre eingeht. Seht mich nur an, Ordnung und Sauberkeit habe ich am schwersten vermißt bei aller meiner Noth. Ich weiß nicht mehr, wie eine Bürste aussieht, und fremder Menschen Gerätschaften, die ich nicht gerne angreife, habe ich mit gar schönem Danke gebrauchen müssen. Kinder, das begreif ich nicht, wie die Leute zum Vergnügen reisen können. Herr des Himmels! in was für Stuben habe ich aushalten müssen! wo der Fußboden wie eine Dreschtenne aussah, und der Staub in hellen Säulen wirbelte, und Tauben und Hühner das Bürger-
recht hatten! So lange meine Augen offen stehen, will ich an Hochkirch denken. — Aber ich vergesse das Wichtigste. Wie ich nach Dresden kam — ach mein Himmel! das arme Dresden, sie haben ja unterdessen den Leuten in den Vorstädten die Häuser über dem Kopfe weggebrannt; ja, wie ich ankam, es war mein Erstes, zum Gevatter zu gehen und ihm ein bischen die Wahrheit zu sagen wegen des Hasen von Fuhrmann, den er mir gedungen hat. Nun, da erfuhr ich denn, unser Vater wäre freigesprochen, und ihr alle wäret hinausgezogen auf Pistor's Gut bei Meißen.
Und du weißt nicht, daß deine Bitten den Vater befreit haben? sagte Mariane. Der General Ziethen hat uns in einigen eigenhändigen Zeilen gemeldet, wie du für den Vater bei dem Könige gesprochen hast, und dann schrieb er weiter, weil deine Treue dich nach Hochkirch in den Tod geführt hätte, wollte der König sie ehren und uns Gnade schenken.
Gott segne den König! rief Justine. O, ich will niemals wieder über die Beschwerden der Reise und über die abscheuliche Angstnacht bei dem Ueberfall klagen, nein, gewiß nicht. Der Gedanke, wie ich alter, schwacher Wurm euch den Vater befreit habe, der soll mir noch in meiner Todesstunde wohlthun. Seht ihr nun, Kinder, wie gut es ist, wenn man sich mit der Zunge behelfen kann, und wenn man sich von ein paar durchdringenden Augen nicht irren läßt? — Ausgestanden habe ich freilich Vieles, ich kann nun sagen: ich
habe eine Bataille mitgemacht, und hätte mich nicht ein guter Mensch nach Bautzen gerettet aus dem brennenden Hause und unter dem gräulichen Kanonendonner, es wäre kein Stäubchen mehr von mir vorhanden. Da habe ich denn krank gelegen, viele Wochen lang, und als ich wieder zu mir kam, ging Alles bunt in meinem Kopfe herum. Erstlich, wie ich ein Fremdling in der Welt auf die Gasse trat, und der wüste Menschenlärm mich schwindlig machte, und wie der Gevatter mich in den Wagen packte, und wie ich die Frauenkirche zum letzten Male ansah. Wie ich dann ein garstiges Nachtlager überstand, und früh in einem Graben saß, ja seht mich nur groß an, im dicken Nebel saß ich mit meiner guten Pelzcontusche und dem dicken Mantel hier, den man in seiner Jammergestalt nicht mehr erkennt, unter drei Bäumen im trockenen Graben! Aber das war mein Glück, denn da kam der König mit meinem General. — Von der Bataille will ich gar nicht sprechen, wer so was nicht erlebt hat, mag unserm Herrgott danken.
Wir wollen die Braut holen, sagte Frau von Pistor, die jetzt in ihrer bescheidenen Matronentracht eintrat, von Leo begleitet. — Leo! Mutter! ich habe meine Justine wieder! rief ihnen Mariane entgegen, aber ich muß sie erst putzen, damit sie mich zum Altar führen kann. — Wie wird sich der Vater freuen!
Tausendmal willkommen bei uns, liebe getreue Freundin, sagte Frau von Pistor, indem sie Justinen
umarmte. Sie bringen das schönste Brautgeschenk. Lassen Sie sich denn von den Händen Ihres dankbaren Pfleglings ein wenig schmücken, so unnöthig es auch sein mag. Denn wenn Ihre aufopfernde Treue nicht das wahre hochzeitliche Kleid wäre, so hätte ich die Schrift niemals verstanden.