Ueber
die
bildende Nachahmung
des
Schönen.
von
Karl Philipp Moritz.
Braunſchweig 1788.
In der Schul-Buchhandlung.
Wenn der griechiſche Schauſpieler, in der Komö¬
die des Ariſtophanes dem Sokrates auf dem Schauplatze,
und der Weiſe ihm im Leben nachahmt: ſo iſt das
Nachahmen von beiden ſo ſehr verſchieden, daſs es
nicht wohl mehr unter einer und eben derſelben Be¬
nennung begriffen werden kann: wir ſagen daher der
Schauſpieler parodierte den Sokrates, und der Weiſe
ahmt ihm nach.
Dem Schauſpieler war es freilich nicht darum zu
thun, dem Sokrates im Ernſt nachzuahmen, ſondern
vielmehr nur, das Eigenthümliche desſelben, oder
ſeine Individualität in Gang, Miene, Stellung und
Gebehrden, auf eine gewisſe übertriebne Art, wo¬
durch ſie bei dem Zuſchauer lächerlich werden ſollte,
nachzubilden. Weil dieſs nun der Schauſpieler mit
Bewuſstſeyn, und gleichſam im Scherz that, ſo ſagen
wir: er parodierte den Sokrates.
Wäre
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Wäre aber der Schauſpieler, den wir hier vor
uns ſehen, nicht Schauſpieler, ſondern irgend einer aus
dem Volke, der dem Sokrates, welchem er ſich in¬
nerlich ſchon ähnlich dünckte, nun auch im Aeusfern,
in Gang, Stellung und Gebehrden, im Ernſt nach¬
zuahmen ſuchte; ſo würden wir von dieſem Thoren
ſagen: er äfft dem Sokrates nach; oder, er verhält
ſich zum Sokrates ohngefähr ſo, wie der Affe, in ſei¬
nen posſierlichen Stellungen und Gebehrden, ſich zum
Menſchen verhält.
Der Schauſpieler alſo ſchlieſst den Weiſen aus,
und parodiert nur den Sokrates; denn die Weisheit
läſst ſich nicht parodieren: der Weiſe ſchlieſst in ſei¬
ner Nachahmung den Sokrates aus, und ahmt in ihm
nur den Weiſen nach; denn die Individualität des So¬
krates kann wohl parodiert und nachgeäfft, aber nie
nachgeahmt werden. Der Thor hat keinen Sinn für
die Weisheit und hat doch Nachahmungstrieb: er er¬
greift alſo, was ihm am nächſten liegt; äfft nach, um
nicht nachahmen zu dürfen; trägt die ganze Oberflä¬
che einer fremden Individualität auf die ſeinige über,
und die Baſis oder das Selbſtgefühl dazu legt ihm ſeine
Thorheit unter.
Wir ſehen alſo aus dem Sprachgebrauch, daſs Nach¬
ahmen, im edlern moraliſchen Sinn, mit den Begrif¬
fen von nachſtreben und wetteifern faſt gleichbedeu¬
tend wird; weil die Tugend, welche ich z. B. in ei¬
nem gewisſen Vorbilde nachahme, etwas Allgemein¬
nes, über die Individualität Erhabnes iſt, das von jeder¬
mann,
mann, der darnach ſtrebt, und alſo auch von mir ſo¬
wohl, als von meinem Vorbilde, mit dem ich zu
wetteifern ſuche, erreicht werden kann. Weil ich
aber dieſem Vorbilde doch einmal nachſtehe, und ein
gewisſer Grad von edler Geſinnung und Handlungs¬
weiſe mir ohne dasſelbe vielleicht nicht ſo bald, oder
gar nie denkbar geworden wäre: ſo nenne ich mein
Streben nach einem gemeinſchaftlichen Gute, daſs auch
von meinem Vorbilde erſt muſste errungen werden,
eine Nachahmung dieſes Vorbildes.
Ich ahme meinem Vorbilde nach; ich ſtrebe ihm
nach; ich ſuche mit ihm zu wetteifern. — Durch
mein Vorbild iſt mir bloſs das Ziel höher, als von mir
ſelbſt, hinaufgeſteckt. Nach dieſem Ziele muſs ich nun,
nach meinen Kräften, auf meine Weiſe, ſtreben; zu¬
letzt mein Vorbild ſelbſt vergeſſen, und ſuchen, wenn
es möglich wäre, das Ziel noch weiter hinaus zu
ſtecken.
Durch dieſe Geſinnung muſs das Nachahmen im
edlern moraliſchen Sinn erſt ſeinen eigentlichen Werth
erhalten. — Und es frägt ſich nun: wie von dieſem
Nachahmen im moraliſchen Sinn, das Nachahmen in
den ſchönen Künſten, oder von der Nachahmung des
Guten und Edlen, die Nachahmung des Schönen un¬
terſchieden ſey? —
Dieſe Frage muſs ſich alsdann von ſelbſt beantwor¬
ten, wenn wir die Begriffe von Schön und Gut, wie¬
derum nach dem Sprachgebrauch, gehörig unterſchei¬
den: denn daſs dieſer ſie oft verwechſelt, darf uns
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hier
hier nicht kümmern, wo es beym Nachdenken über
die Sache bloſs aufs Unterſcheiden ankömmt; und
nothwendig, ſo wie auf dem Globus, gewisſe feſte
Grenzlinien, die in der Natur ſelbſt nicht Statt finden,
gezogen werden müsſen, wenn die Begriffe ſich nicht
wiederum eben ſo, wie ihre Gegenſtände, unmerklich
in einander verlieren und verſchwimmen ſollen: ein
getreuerer Abdruck der Natur können ſie in dieſem
letztern Falle ſeyn, aber das eigentliche Denken, wel¬
ches nun einmal im Unterſcheiden beſteht, hört auf.
Nun ſchlieſst ſich aber im Sprachgebrauch das
Gute und Nützliche, ſo wie das Edle und Schöne,
natürlich aneinander; und dieſe vier verſchiednen Aus¬
drücke bezeichnen eine ſo feine Abſtufung der Begriffe,
und bilden ein ſo zartes Ideenſpiel, daſs es dem Nach¬
denken ſchwer werden muſs, das immer ineinander
ſich unmerklich wieder Verlierende gehörig auseinan¬
der zu halten, und es einzeln und abgeſondert zu be¬
trachten. So viel fällt demohngeachtet deutlich in
die Augen, daſs das bloſs Nützliche dem Schönen und
Edlen, mehr als das Gute, entgegenſtehe; weil durch
das Gute vom bloſs Nützlichen zum Schönen und Ed¬
len ſchon der Uebergang gemacht wird.
Wir denken uns z. B. unter einem nützlichen Men¬
ſchen einen ſolchen, der nicht ſowohl an und für ſich
ſelbſt, als vielmehr nur in Beziehung auf irgend einen
Zuſammenhang von Dingen ausſer ihm, unſre Auf¬
merkſamkeit verdienet: der gute Menſch hingegen
fängt ſchon an und für ſich ſelbft betrachtet, an, un¬
fre
ſre Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen und unſre Liebe
zu gewinnen; in ſo fern wir uns nehmlich denken,
daſs er, ſeinem innern Fond von Güte nach, uns nie
durch Eigennutz und Selbſtſucht ſchaden, in den Zu¬
ſammenhang von Dingen, worinn wir uns befinden,
nicht leicht disharmoniſch eingreifen, kurz, unſern
Frieden nicht ſtören wird. — Der edle Menſch aber,
zieht, für ſich ganz allein, unſre ganze Aufmerk¬
ſamkeit und Bewundrung auf ſich; ohne alle Rückſicht
auf irgend etwas ausſer ihm, oder auf irgend einen
Vortheil, der uns für unſre eigne Perſon aus ſeinem
Daſeyn erwachſen könnte.
Und weil nun der edle Menſch, um edel zu ſeyn,
der körperlichen Schönheit nicht bedarf, ſo ſcheiden
ſich hier wiederum die Begriffe von Schön und Edel,
indem durch das letztre die innre Seelenſchönheit, im
Gegenſatz gegen die Schönheit auf der Oberfläche, be¬
zeichnet wird. In ſo fern nun aber die äusſre Schön¬
heit zugleich mit ein Abdruck der innern Seelenſchön¬
heit iſt, faſst ſie auch das Edle in ſich, und ſollte es,
ihrer Natur nach, eigentlich ſtets in ſich fasſen. Hie¬
durch hebt ſich aber demohngeachtet der Unterſchied
zwiſchen ſchön und edel nicht wieder auf. Denn un¬
ter einer edlen Stellung denken wir uns z. B. eine
ſolche, die zugleich eine gewisſe innere Seelenwürde
bezeichnet: irgend eine leidenſchaftliche Stellung aber
kann demohngeachtet immer noch eine ſchöne Stellung
ſeyn, wenn gleich nicht eine ſolche innere Seelenwür¬
de
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de ausdrücklich dadurch bezeichnet wird; nur darf
ſie einem gewisſen Grade von innerer Würde nie
geradezu widerſprechen; ſie darf nie unedel ſeyn.
Hieraus erklärt ſich nun zugleich beiläufig der Be¬
griff vom edlen Stil in Kunſtwerken jeder Art, wel¬
cher kein andrer iſt, als derjenige, der zugleich mit
eine innre Seelenwürde des hervorbringenden Genies
bezeichnet. Ob nun gleich dieſer edle Stil die andern
untergeordneten Arten des Schönen nicht vom Gebiet
des Schönen ausſchlieſst, ſo ſchneidet er doch alles,
was ihm geradezu entgegenſteht, davon ab; er ſchlieſst
das Unedle aus.
In ſo fern nun unter dem Edlen, im Gegenſatz
gegen das äusſre Schöne, bloſs die innre Seelenſchön¬
heit verſtanden wird, können wir es auch, ſo wie das
Gute, in uns ſelbſt nachbilden. — Das Schöne aber,
in ſo fern es ſich dadurch vom Edlen unterſcheidet,
daſs, im Gegenſatz gegen das Innre, bloſs das äusſre
Schöne darunter verſtanden wird, kann durch die Nach¬
ahmung nicht in uns herein, muſs, wenn es
von uns nachgeahmt werden ſoll, nothwendig wieder
aus uns herausgebildet werden.
Der bildende Künſtler kann z. B. die innre See¬
lenſchönheit eines Mannes, den er ſich in ſeinem Wan¬
del zum Vorbilde nimmt, ihm nachahmend in ſich
übertragen. Wenn aber eben dieſer Künſtler ſich ge¬
drungen fühlte, die innre Seelenſchönheit ſeines Vor¬
bildes, in ſo fern ſie ſich in desſen Geſichtszügen ab¬
drückt, nachzuahmen: ſo müsſte er ſeinen Begriff da¬
von
von nothwendig aus ſich herauszubilden und ausſer
ſich darzuſtellen ſuchen; indem er nehmlich dieſe Ge¬
ſichtszüge nicht geradezu nachbildete, ſondern ſie
gleichſam nur zu Hülfe nähme, um die in ſich em¬
pfundne Seelenſchönheit eines fremden Weſens auch
ausſer ſich wieder darzuſtellen.
Die eigentliche Nachahmung des Schönen unter¬
ſcheidet ſich alſo zuerſt von der moraliſchen Nachah¬
mung des Guten und Edlen dadurch, daſs ſie, ihrer
Natur nach, ſtreben muſs, nicht, wie dieſe, in ſich
hinein, ſondern aus ſich heraus zu bilden.
Wenden wir nun die Begriffe von Gut, Schön
und Edel wiederum auf den Begriff von Handlung an;
ſo denken wir uns unter einer guten Handlung eine
ſolche, die nicht allein um ihrer Folgen, ſondern zu¬
gleich um ihrer Beweggründe willen, unſre Aufmerk¬
ſamkeit erregen, und unſern Beifall verdienen kann:
bei der Schätzung einer edlen Handlung vegesſen wir
ganz die Folge, und ſie ſcheinet uns allein ſchon um
ihrer Beweggründe, das iſt, um ihrer ſelbſt willen,
unſrer Bewundrung werth. Betrachten wir nun eine
ſolche Handlung nach ihrer Oberfläche, von der ſie
einen ſanften Schein in unſre Seele wirft, oder nach
der angenehmen Empfindung, die ihre blosſe Betrach¬
tung in uns erweckt; ſo nennen wir ſie eine ſchöne
Handlung: wollen wir aber ihren innern Werth aus¬
drücken, ſo nennen wir ſie edel. Jede ſchöne Hand¬
lung aber muſs nothwendig auch edel ſeyn: das Edle
iſt bei ihr die Baſis oder der Fond des Schönen, durch
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wel¬
welches ſie in unſer Auge leuchtet. Durch den Mittel¬
begriff des Edeln alſo wird der Begriff des Schönen
wieder zum Moraliſchen hinübergezogen und gleichſam
daran feſtgekettet. Wenigſtens werden dem Schönen
dadurch die Grenzen vorgeſchrieben, die es nicht über¬
ſchreiten darf.
Da wir nun einmal genöthigt ſind, uns den Be¬
griff von der Nachahmung des eigentlichen Schönen,
den wir nicht haben, aus dem Begriff von der mora¬
liſchen Nachahmung des Guten und Edlen, den wir
haben, zu entwickeln; und, da wir uns die eigent¬
liche Nachahmung des Schönen, ausſer dem Genuſs
der Werke ſelbſt, die dadurch entſtanden ſind, gar
nicht anders denken können, als in ſo fern ſie ſich
von der bloſs moraliſchen Nachahmung des Guten und
Edlen unterſcheidet: ſo müſſen wir nun ſchon die Be¬
griffe von nützlich, gut, ſchön, und edel, noch wei¬
ter in ihre feinern Abſtufungen zu verfolgen ſuchen.
Dadurch alſo, daſs z. B. die That des Mutius Scae¬
vola erwünſchte Folgen hatte, wurde ſie nicht im ge¬
ringſten edler, als ſie war; und würde auch, ohne
den Erfolg, von ihrem innern Werth nichts verlohren
haben: ſie brauchte nicht nützlich zu ſeyn, um edel
zu ſeyn; bedurfte des Erfolges nicht, eben weil ſie
ihren innern Werth in ſich ſelber hatte: und wodurch
anders hatte ſie dieſen Werth, als durch ſich ſelbſt,
durch ihr Daſeyn?
Das Edle und Grosſe der Handlung lag ja eben
darinn, daſs der junge Held, auf jeden Erfolg gefaſst.
das
das alleräusſerſte wagte, und, da es ihm miſslang,
ohne Bedenken ſeine Hand in die lodernde Flamme
ſtreckte, ohne noch zu wisſen, was ſein Feind, in des¬
ſen Gewalt er war, über ihn verhängen würde. —
So kann nur der handeln, welcher eine grosſe That,
deren Erfolg ſo äusſerſt ungewiſs iſt, um dieſer That
ſelbſt willen unternimmt, wovon allein ſchon das
grosſe Bewuſstſeyn ihn für jeden miſslungnen Verſuch
ſchadlos hält.
Wäre Mutius, unter andern Umſtänden, bloſs das
Werkzeug eines Andern, dem er aus Pflicht gehorchte,
zu einer ähnlichen That geweſen, und hätte ſie, mir
Beiſtimmung ſeines Herzens, vortreflich, und ſo wie
er ſollte, ausgeführt: ſo hätte er zwar noch nicht
edel, aber gut gehandelt: denn obgleich ſeine Hand¬
lung auch ſchon vielen Werth in ſich ſelber hat, ſo
wird doch immer ihre Güte zugleich mit durch den Er¬
folg beſtimmt.
Hätte aber eben dieſer Mutius den Angriff auf den
Feind ſeines Vaterlandes, meuchelmörderiſcher Weiſe,
aus Privatrache und perſönlichem Haſs gethan, und ſie
wäre ihm nicht miſslungen: ſo hätte ſie ſeinem Vater¬
lande, ohne gut und edel zu ſeyn, dennoch genützt,
und hätte, ohne den mindeſten innern Werth zu ha¬
ben, dennoch durch den Erfolg, eine Art von äus¬
ſrem Werth erhalten.
Wie nun das Gute zum Edlen, eben ſo muſs das
Schlechte zum Unedlen ſich verhalten: das Unedle iſt
der Anfang des Schlechten, ſo wie das Gute der An¬
fang
fang des Schönen und Edlen iſt; und ſo wie eine bloſs
gute, noch keine edle, ſo iſt eine bloſs unedle des¬
wegen noch keine ſchlechte Handlung. Und wie das
Nützliche zum Guten, eben ſo verhält wiederum das
Unnütze ſich zum Schlechten; das Schlechte iſt gleich¬
ſam der Anfang des Unnützen, ſo wie das Nützliche
ſchon der Anfang des Guten iſt. Wie das bloſs Nütz¬
liche deswegen noch nicht gut iſt, ſo iſt auch das bloſs
Schlechte deswegen noch nicht unnütz.
Nun ſteigen die Begriffe von unedel, ſchlecht, und
unnütz, eben ſo herab, wie die Begriffe von nützlich,
gut, und ſchön heraufſteigen. Von den heraufſtei¬
genden Begriffen ſteht das Edle und Schöne auf der
niedrigſten Stufe. Von allen dieſen Begriffen nun,
ſtehen der vom Schönen, und der vom Unnützen am
weiteſten voneinander ab, und ſcheinen ſich am ſtärk¬
ſten entgegengeſetzt zu ſeyn; da wir doch vorher ge¬
ſehen haben, daſs das Schöne und Edle ſich eben
dadurch vom Guten unterſcheidet, daſs es nicht nütz¬
lich ſeyn darf, um ſchön zu ſeyn, und alſo der Be¬
griff vom Schönen mit dem Begriff vom Unnützen oder
nicht Nützlichen ſehr wohl müſste zuſammen beſtehen
können.
Hier zeigt es ſich nun, wie ein Zirkel von Be¬
griffen zuletzt ſich wieder in ſich ſelbſt verliert, in¬
dem ſeine beiden äusſerſten Enden gerade da wie¬
der zuſammenſtosſen, wo, wenn ſie nicht zuſammen¬
ſtiesſen, von einem zum andern der weiteſte Weg ſeyn
würde.
Der
Der Begriff vom Unnützen nehmlich, in ſo fern es
gar keinen Zweck, keine Abſicht ausſer ſich hat, war¬
um es da iſt, ſchlieſst ſich am willigſten und nächſten
an den Begriff des Schönen an, in ſo fern dasſelbe auch
keines Endzwecks, keiner Abſicht, warum es da iſt,
ausſer ſich bedarf, ſondern ſeinen ganzen Werth, und
den Endzweck ſeines Daſeyns in ſich ſelber hat.
In ſo fern aber nun das Unnütze nicht zugleich
auch ſchön iſt, fällt es auf einmal wieder am aller¬
weiteſten vom Begriff des Schönen bis unter das
Schlechte hinab, weil es nun weder in ſich noch ausſer
ſich, eine Abſicht hat, warum es da iſt, und ſich alſo
gleichſam ſelbſt aufhebt. Iſt aber das Unnütze, oder
dasjenige, was ausſer ſich keinen Endzweck ſeines
Daſeyns hat, zugleich auch ſchön, ſo ſteigt es plötzlich
auf die höchſte Stufe der Begriffe bis über das Nütz¬
liche und Gute empor, indem es eben deswegen kei¬
nes Endzwecks ausſer ſich bedarf, weil es in ſich ſo
vollkommen iſt, daſs es den ganzen Endzweck ſeines
Daſeyns in ſich ſelbſt hat.
Die drei aufſteigenden Begriffe von nützlich, gut
und ſchön, und die drei abſteigenden von unedel,
ſchlecht und unnütz, bilden alſo aus dem Grunde ei¬
nen Zirkel, weil die beiden äusſerſten Begriffe vom
Unnützen und vom Schönen ſich gerade am wenigſten
einander ausſchliesſen; und der Begriff des Unnützen
von dem einen, für den Begriff des Schönen vor dem
an¬
andern Ende, gleichſam die Fuge wird, in die es ſich
am leichteſten hineinſtehlen, und unmerklich ſich darin
verlieren kann.
Steigen wir nun die Leiter der Begriffe herab, ſo
verträgt ſich ſchön und edel zwar mit unnütz, aber nicht
mit ſchlecht und unedel; gut verträgt ſich mit unedel,
aber nicht mit ſchlecht und unnütz; nützlich mit
ſchlecht und unedel, aber nicht mit unnütz; unedel
mit gut und nützlich, aber nicht mit ſchön; ſchlecht
mit nützlich, aber nicht mit ſchön und gut; unnütz
mit ſchön, aber nicht mit gut und nützlich. — Die
Begriffe müsſen ſich immer gerade da wieder entgegen
kommen, wo ſie am weiteſten von einander abzuwei¬
chen, und ſich zu verlasſen ſcheinen.
Allein wir dürfen itzt dieſs Ideenſpiel nur ſo weit
verfolgen, als es unſerm Zweck uns näher führt,
Unſre Vorſtellung von der Nachahmung des Schönen,
durch den Begriff des Schönen aufzuhellen. Nun kann
aber nur die Vorſtellung von dem, was das Schöne
nicht zu ſeyn braucht, um ſchön zu ſeyn, und was
als überflüsſig davon betrachtet werden muſs, uns auf
einen nicht unrichtigen Begriff des Schönen führen, in¬
dem wir uns alles, was nicht dazu gehört, um das¬
ſelbe her hinweg, und alſo wenigſtens den wahren
Umriſs des leeren Raumes denken, wohinein das von
uns Geſuchte, wenn es poſitiv von uns gedacht wer¬
den könnte, nothwendig pasſen müſste.
Da nun aus der vorhergegangenen Nebeneinander¬
ſtellung klar iſt, daſs die Begriffe von ſchön und un¬
nütz
nütz nicht nur einander nicht ausſchliesſen, ſondern
ſogar ſich willig ineinander fügen: ſo muſs das Nütz¬
liche offenbar an dem Schönen als überflüsſig, und wenn
es ſich daran befindet, doch als zufällig, und als nicht
dazu gehörig betrachtet werden, weil die wahre
Schönheit, eben ſo wie das Edle in der Handlung,
durch das Nützliche dabei weder vermehrt, noch durch
den Mangel desſelben auf irgend eine Weiſe vermin¬
dert werden kann.
Wir können alſo das Schöne im Allgemeinen auf
keine andre Weiſe erkennen, als in ſo fern wir es dem
Nützlichen entgegenſtellen, und es davon ſo ſcharf
wie möglich unterſcheiden. Eine Sache wird nehm¬
lich dadurch noch nicht ſchön, daſs ſie nicht nützlich
iſt, ſondern dadurch, daſs ſie nicht nützlich zu ſeyn
braucht. Um nun aber die Frage zu beantworten,
wie denn eine Sache beſchaffen ſeyn müsſe, damit ſie
nicht nützlich zu ſeyn brauche, müsſen wir wieder¬
um erſt den Begriff des Nützlichen noch mehr zu ent¬
wickeln ſuchen.
Unter Nutzen denken wir nnsuns nehmlich die Be¬
ziehung eines Dinges, als Theil betrachtet, auf einen
Zuſammenhang von Dingen, den wir uns als ein Gan¬
zes denken. Dieſe Beziehung muſs nehmlich von der
Art ſeyn, daſs der Zuſammenhang des Ganzen beſtän¬
dig dadurch gewinnt und erhalten wird: je mehrere
ſolcher Beziehungen nun eine Sache auf den Zuſam¬
menhang, worinn ſie ſich befindet, hat, um deſto nütz¬
licher iſt dieſelbe.
Jeder
Jeder Theil eines Ganzen muſs auf die Weiſe mehr
oder weniger Beziehung auf das Ganze ſelbſt haben:
das Ganze, als Ganzes betrachtet, hingegen, braucht
weiter keine Beziehung auf irgend etwas ausſer ſich
zu haben. So muſs jeder Bürger eines Staats eine ge¬
wisſe Beziehung auf den Staat haben, oder dem Staate
nützlich ſeyn; der Staat ſelbſt aber braucht in ſo fern
er in ſich allein ein Ganzes bildet, weiter keine Be¬
ziehung auf irgend etwas ausſer ſich zu haben, und
braucht alſo auch nicht weiter nützlich zu ſeyn.
Hieraus ſehen wir alſo, daſs eine Sache, um nicht
nützlich ſeyn zu dürfen, nothwendig ein für ſich be¬
ſtehendes Ganze ſeyn müsſe, und daſs alſo mit dem Be¬
griff des Schönen der Begriff von einem für ſich beſte¬
henden Ganzen unzertrennlich verknüpft iſt. — Daſs
aber dieſs demohngeachtet noch nicht zum Begriff des
Schönen hinreicht, ſehen wir daraus, weil wir z. B.
mit dem Begriff vom Staat, ob derſelbe gleich ein für
ſich beſtehendes Ganze iſt, dennoch den Begriff
der Schönheit nicht wohl verknüpfen können, in¬
dem derſelbe in ſeinem ganzen Umfange, weder in
unſern äusſern Sinn fällt, noch von der Einbildungs¬
kraft umfaſst, ſondern bloſs von unſerm Verſtande ge¬
dacht werden kann.
Aus eben dem Grunde können wir auch mit dem
ganzen Zuſammenhange der Dinge den Begriff von
Schönheit nicht eigentlich verknüpfen, eben weil dieſer
Zuſammenhang, in ſeinem ganzen Umfange, weder
in unſre Sinnen fällt, noch von unſrer Einbildungs¬
kraft
kraft umfaſst werden kann, geſetzt daſs er auch von
unſerm Verſtande gedacht werden könnte.
Zu dem Begriff des Schönen, welches uns daraus
entſprungen iſt, daſs es nicht nützlich zu ſeyn braucht,
gehört alſo noch, daſs es nicht nur oder nicht ſowohl,
ein für ſich beſtehendes Ganze wirklich ſey, als viel¬
mehr nur wie ein für ſich beſtehendes Ganze, in
unſre Sinne fallen, oder von unſrer Einbildungs¬
kraft umfaſst werden könne.
Und ſo wie nun das Nützliche ſeine Grade hat,
eben ſo muſs ſie auch das Schöne haben: je mehr Zu¬
ſammenhang beförndernde Beziehungen nämlich eine
nützliche Sache auf den Zuſammenhang, worinn ſie
ſich befindet, hat, um deſto nützlicher iſt ſie; und je
mehrere ſolcher Beziehungen eine ſchöne Sache von
ihren einzelnen Theilen zu ihrem Zuſammenhange,
das iſt, zu ſich ſelber, hat, um deſto ſchöner iſt ſie.
So wie nun das Schöne, unbeſchadet ſeiner Schön¬
heit auch nützen kann, ob es gleich nicht um zu
nützen da iſt; ſo kann das Nützliche auch, unbeſcha¬
det ſeines Nutzens, in einem gewiſſen Grade ſchön
ſeyn, ob es gleich nur um zu nutzen da iſt.
Allein es darf die Linie um kein Haarbreit über¬
ſchreiten; ſo bald der Zweck des Nützlichen, wozu
es da iſt, unter der angemaſsten Schönheit leidet,
bleibt es weder ſchön noch nützlich mehr, ſinkt unter
ſich ſelbſt herab, und hebt ſich ſelber auf.
Wenn das Schöne ſich an dem Nützlichen be¬
findet, muſs es ſich auch dem Nützlichen unterordnen
B
— es
— es iſt nicht um ſein ſelbſt willen da — es dient
das Nützliche aufzuſchmücken — ſteigt alſo ſelbſt zum
Nützlichen herab, und flieſst mit ihm zuſammen —
Es giebt ſeine Anſprüche mit ſeinem Nahmen auf;
tritt in gemesſene Schranken; wird zur beſcheidnen
Zierde, zur ſimplen Eleganz.
Aus der höchſten Miſchung des Schönen mit dem
Edlen, da wo das äusſere Schöne ganz in Ausdruck
innrer Würde und Hohheit übergeht, erwächſt der
Begriff des Majeſtätiſchen — Denken wir uns das
Majeſtätiſche belebt, ſo muſs es die Welt beherrſchen,
der Dinge Zuſammenhang in ſich faſſen; der Erdkreis
muſs vor ihm ſich beugen.
Wenn wir das Edle in Handlung und Geſinnung;
mit dem Unedlen mesſen, ſo nennen wir das Edle
groſs, das Unedle klein. — Und mesſen wir wie¬
der das Grosſe, Edle und Schöne nach der Höhe, in der
es über uns, unſrer Fasſungskraft kaum noch erreich¬
bar iſt, ſo geht der Begriff des Schönen in den Begriff
des Erhabnen über.
In ſo fern aber nun in einem ſchönen Werke die
mannichfaltigen Beziehungen der einzelnen Theile
zum Ganzen, nicht nur oder nicht ſowohl von un¬
ſerm Verſtande gedacht werden, als vielmehr nur in
unſern äusſren Sinn fallen, oder von unſrer Einbil¬
dungskraft umfaſst Werden müsſen, in ſo fern ſchrei¬
ben unſre Empfindungswerkzeuge dem Schönen wie¬
der ſein Maaſs vor.
Sonſt
Sonſt würde freilich der Zuſammenhang der gan¬
zen Natur, welcher zu ſich ſelber, als zu dem gröſs¬
ten uns denkbaren Ganzen, die meiſten Beziehungen
in ſich faſst, auch für uns das höchſte Schöne ſeyn,
wenn derſelbe nur einen Augenblick von unſrer Ein¬
bildungskraft umfaſst werden könnte.
Denn dieſer grosſe Zuſammenhang der Dinge iſt
doch eigentlich das einzige, wahre Ganze; jedes ein¬
zelne Ganze in ihm, iſt, wegen der unauflöſslichen
Verkettung der Dinge, nur eingebildet — aber auch
ſelbſt dies Eingebildete muſs ſich dennoch, als Gan¬
zes betrachtet, jenem grosſen Ganzen in unſrer Vor¬
ſtellung ähnlich, und nach eben den ewigen, feſten
Regeln bilden, nach welchen dieſes ſich von allen Sei¬
ten auf ſeinen Mittelpunkt ſtützt, und auf ſeinem eig¬
nen Daſeyn ruht.
Jedes ſchöne Ganze aus der Hand des bildenden
Künſtlers, iſt daher im Kleinen ein Abdruck des höch¬
ſten Schönen im grosſen Ganzen der Natur; welche
das noch mittelbar durch die bildendende Hand des
Künſtlers nacherſchafft, was unmittelbar nicht in ih¬
ren grosſen Plan gehörte.
Wem alſo von der Natur ſelbſt, der Sinn für ihre
Schöpfungskraft in ſein ganzes Weſen, und das Maaſs
des Schönen in Aug' und Seele gedrückt ward, der
begnügt ſich nicht, ſie anzuſchauen; er muſs ihr
nachahmen, ihr nachſtreben, in ihrer geheimen Werk¬
ſtatt ſie belauſchen, und mit der lodernden Flamm' im
Buſen bilden und ſchaffen, ſo wie ſie: —
In¬
B 2
Indem ſeine glühende Spähungskraft in das Innre
der Weſen dringt, bis auf den Quell der Schönheit
ſelbſt, die feinſten Fugen löſet; und auf der Oberfläche
ſie ſchöner wieder fügend, ihre edle Spur in weichen
Ton eindrückt, in harten Stein ſie bildet; oder auf
flachem Grunde, mit trennender Spitze die Geſtalt aus
ihren Umgebungen ſondert; durch kühnen Farbenan¬
ſtrich die Masſe ſelbſt nachahmt; und durch Miſchung
von Licht und Schatten die Fläche dem Auge entge¬
gen rückt.
Die Realität muſs unter der Hand des bildenden
Künſtlers zur Erſcheinung werden; indem ſeine durch
den Stoff gehemmte Bildungskraft von innen, und ſeine
bildende Hand von ausſen, auf der Oberfläche der
lebloſen Masſe zuſammentreffen, und auf dieſe Ober¬
fläche nun alles das hinübertragen, was ſonſt gröſs¬
tentheils vor unſern Augen ſich in die Hülle der Exi¬
ſtenz verbirgt, die durch ſich ſelbſt ſchon jede Er¬
ſcheinung aufwiegt.
Von dem reellen und vollendeten Schönen alſo, was
unmittelbar ſich ſelten entwickeln kann, ſchuf die Na¬
tur doch mittelbar den Wiederſchein durch Weſen in
denen ſich ihr Bild ſo lebhaft abdrückte, daſs es ſich
ihr ſelber in ihre eigene Schöpfung wieder entgegen¬
warf. — Und ſo brachte ſie, durch dieſen verdop¬
pelten Wiederſchein ſich in ſich ſelber ſpiegelnd, über
ihrer Realität ſchwebend und gauckelnd, ein Blend¬
werk hervor, das für ein ſterbliches Auge noch rei¬
zender, als ſie ſelber iſt.
Und
Und obgleich auch der Menſch an ſeinem Platze
in der Reihe der Dinge ſo beſchränkt wie möglich iſt,
damit über ihm und unter ihm ſich noch ſo viele ver¬
ſchiedne Arten des Daſeyns, wie nur möglich ſind,
drängen mögen; ſo gab ihm dennoch die Natur, da¬
mit er in ſeiner Art ſo vollkommen wie möglich ſey,
ausſer dem Genuſs noch Bildungskraft; lieſs ihn mit
ſich ſelbſt wetteifern, und ſich von ihm, damit keine
Kraft in ihm unentwickelt bliebe, ſogar dem Scheine
nach, übertreffen.
Der Sinn aber für das höchſte Schöne in dem har¬
moniſchen Bau des Ganzen, das die vorſtellende Kraft
des Menſchen nicht umfaſst, liegt unmittelbar in der
Thatkraft ſelbſt, die nicht ehr ruhen kann, bis ſie
das, was in ihr ſchlummert, wenigſtens irgend einer
der vorſtellenden Kräfte genähert hat. — Sie greift
daher in der Dinge Zuſammenhang, und was ſie faſst,
will ſie der Natur ſelbſt ähnlich, zu einem eigenmäch¬
tig für ſich beſtehenden Ganzen bilden. — Die Rea¬
lität der Dinge, deren Weſen und Wirklichkeit eben
in ihrer Einzelnheit beſteht, wiederſtrebt ihr lange,
bis ſie das innre Weſen, in die Erſcheinung aufgelöſt,
ſich zu eigen macht, und eine eigne Welt ſich ſchafft,
worin gar nichts Einzelnes mehr ſtatt findet, ſondern
jedes Ding in ſeiner Art ein für ſich beſtehendes Gan¬
ze iſt.
Die Natur konnte aber den Sinn für das höchſte
Schöne nur in die Thatkraft pflanzen, und durch die¬
ſelbe erſt mittelbar einen Abdruck dieſes höchſten Shö¬
nen
B 3
nen der Einbildungskraft faſsbar, dem Auge ſichtbar,
dem Ohre hörbar, machen; weil der Horizont der
Thatkraft mehr umfaſst, als der äusſre Sinn, und Ein¬
bildungs- und Denkkraft fasſen kann.
In der Thatkraft liegen nämlich ſtets die Anläsſe
und Anfänge zu ſo vielen Begriffen, als die Denkkraft
nicht auf einmal einander unterordnen; die Einbil¬
dungskraft nicht auf einmal neben einander ſtellen,
und der äusſre Sinn noch weniger auf einmal in der
Wirklichkeit ausſer ſich fasſen kann.
Die Denkkraft muſs ſich, um dem, was die thätige
Kraft in dunkler Ahndung auf einmal faſst, nachzu¬
kommen, ſo oft wiederholen, bis ſie den ganzen Fonds
von Anfängen und Anläsſen zu Begriffen, der in der
Thatkraft ihr unterliegt, erſchöpft hat, und alsdann
den Kreislauf von neuem beginnen kann. — Die Ein¬
bildungskraft muſs noch weit öfter ſich wiederholen,
weil ſie nicht in einander- ſondern nebeneinanderſtel¬
lend, jedesmal um ſo weniger fasſen kann. — Der
äusſre Sinn iſt ein immerwährendes Wiederholen ſei¬
ner ſelbſt, weil er jedesmal nur ſo viel faſst, als in
dem Horizonte, der undurchdringlich ihn umſchlieſst,
wirklich neben einander ſteht. — So wenig faſst der
äusſre Sinn, daſs, um dem reichen Fonds von Anläs¬
ſen zu Begriffen, die in der Thatkraft ſchlummern,
nachzukommen, und alle zum Anſchaun und zur Wirk¬
lichkeit zu bringen, kein Leben hinreicht, und ſo
lange wir athmen, das Auge ſich nimmer ſatt ſieht,
das Ohr ſich nimmer ſatt hört.
Je
Je lebhafter ſpiegelnd nun das Organ von der dun¬
kelahndenden Thatkraft, durch die unterſcheiden¬
de Denkkraft, bis zu dem hellſehenden Auge, und
deutlich vernehmenden Ohre, wird; um deſto
vollſtändiger und lebendiger werden zwar die Begriffe,
aber um deſtomehr verdrängen ſie ſich auch, und
ſchliesſen einander aus. — Wo ſie ſich alſo am
wenigſten einander ausſchliesſen, und ihrer am mei¬
ſten neben einander beſtehen können, das kann nur
da ſeyn, wo ſie am unvollſtändigſten ſind, wo bloſs
ihre Anfänge oder erſten Anläsſe zuſammentreffen,
die eben durch ihr Mangelhaftes und Unvollſtändiges,
in ſich ſelber den immerwährenden, unwiderſtehli¬
chen Reiz bilden, der ſie zur vollſtändigen Wirklich¬
keit bringt.
Der Horizont der thätigen Kraft aber muſs bei
dem bildenden Genie ſo weit, wie die Natur ſelber,
ſeyn: das heiſst, die Organiſation muſs ſo fein ge¬
webt ſeyn, und ſo unendlich viele Berührungs¬
punkte der allumſtrömenden Natur darbieten, daſs
gleichſam die äusſerſten Enden von allen Verhältnis¬
ſen der Natur im Groſsen, hier im Kleinen ſich ne¬
beneinander ſtellend, Raum genug haben, um ſich
einander nicht verdrängen zu dürfen.
Wenn nun eine Organiſation von dieſem feinern
Gewebe, bei ihrer völligen Entwicklung, auf einmal
in der dunklen Ahndung ihrer thätigen Kraft, ein
Ganzes faſst, das weder in ihr Auge noch in ihr Ohr,
weder in ihre Einbildungskraft noch in ihre Gedanken
kam;
B 4
kam; ſo muſs nothwendig eine Unruhe, ein Miſsver¬
hältniſs zwiſchen den ſich wägenden Kräften ſo lange
entſtehen, bis ſie wieder in ihr Gleichgewicht kommen.
Bei einer Seele, deren bloſs thätige Kraft ſchon
das edle, grosſe Ganze der Natur in dunkler Ahn¬
dung faſst, kann die deutlich erkennende Denkkraft,
die noch lebhafter darſtellende Einbildungskraft, und
der am hellſten ſpiegelnde äusſre Sinn, mit der Be¬
trachtung des Einzelnen im Zuſammenhange der Na¬
tur, ſich nicht mehr begnügen.
Alle die in der thätigen Kraft bloſs dunkel geahn¬
deten Verhältnisſe jenes grosſen Ganzen, müsſen
nothwendig auf irgend eine Weiſe entweder ſichtbar,
hörbar, oder doch der Einbildungskraft faſsbar wer¬
den: und um dieſs zu werden, muſs die Thatkraft,
worinn ſie ſchlummern, ſie nach ſich ſelber, aus
ſich ſelber bilden. — Sie muſs alle jenen Verhält¬
nisſe des grosſen Ganzen, und in ihnen das höchſte
Schöne, wie an den Spitzen ſeiner Strahlen, in einen
Brennpunkt fasſen. — Aus dieſem Brennpunkte muſs
ſich, nach des Auges gemesſener Weite, ein zartes
und doch getreues Bild des höchſten Schönen ründen,
das die vollkommenſten Verhältnisſe des grosſen Gan¬
zen der Natur, eben ſo wahr und richtig, wie ſie
ſelbſt, in ſeinen kleinen Umfang faſst.
Weil nun aber dieſer Abdruck des höchſten Schö¬
nen nothwendig an etwas haften muſs, ſo wählt die
bildende Kraft, durch ihre Individualität beſtimmt,
irgend einen ſichtbaren, hörbaren, oder doch der Ein¬
bil¬
bildungskraft faſsbaren Gegenſtand, auf den ſie den
Abglanz des höchſten Schönen im verjüngenden
Maasſtabe überträgt. — Und weil dieſer Gegen¬
ſtand wiederum, wenn er wirklich, was er darſtellt,
wäre, mit dem Zuſammenhange der Natur, die aus¬
ſer ſich ſelber kein wirklich eigemächtiges Ganze dul¬
det, nicht ferner beſtehen könnte: ſo führet uns dies
auf den Punkt, wo wir ſchon einmal waren: daſs je¬
desmal das innre Weſen erſt in die Erſcheinung ſich
verwandeln müsſe, ehe es, durch die Kunſt, zu ei¬
nem für ſich beſtehenden Ganzen gebildet werden, und
ungehindert die Verhältnisſe des grosſen Ganzen der
Natur, in ihrem völligen Umfange ſpiegeln kann.
Da nun aber jene grosſen Verhältnisſe, in deren
völligen Umfange eben das Schöne liegt, nicht mehr
unter das Gebiet der Denkkraft fallen; ſo kann auch
der lebendige Begriff von der bildenden Nachahmung
des Schönen, nur im Gefühl der thätigen Kraft, die
es hervorbringt, im erſten Augenblick der Entſtehung
ſtatt finden, wo das Werk, als ſchon vollendet, durch
alle Grade ſeines allmähligen Werdens, in dunkler
Ahndung, auf einmal vor die Seele tritt, und in die¬
ſem Moment der erſten Erzeugung gleichſam vor ſeinem
wirklichen Daſeyn, da iſt; wodurch alsdann auch
jener unnennbare Reiz entſteht, welcher das ſchaffen¬
de Genie zur immerwährenden Bildung treibt.
Durch unſer Nachdenken über die bildende Nach¬
ahmung des Schönen, mit dem reinen Genuſs der ſchö¬
nen Kunſtwerke ſelbſt, vereint, kann zwar etwas je¬
B 5
nem
nem lebendigen Begriff näherkommendes in uns ent¬
ſtehn, das den Genuſs der ſchönen Kunſtwerke uns
erhöht. — Allein da unſer höchſter Genuſs des Schö¬
nen dennoch ſein werden aus unſrer eignen Kraft
unmöglich mit in ſich fasſen kann — ſo bleibt der
einzige höchſte Genuſs desſelben immer dem ſchaffen¬
den Genie, das es hervorbringt, ſelber; und das Schöne
hat daher ſeinen höchſten Zweck, in ſeiner Entſte¬
hung, in ſeinem Werden ſchon erreicht: unſer Nach¬
genuſs desſelben iſt nur eine Folge ſeines Daſeyns —
Und das bildende Genie iſt daher im grosſen Plane der
Natur, zuerſt um ſein ſelbſt, und dann erſt um un¬
ſertwillen da; weil es nun einmal ausſer ihm noch
Weſen giebt, die ſelbſt nicht ſchaffen und bilden, aber
doch das Gebildete, wenn es einmal hervorgebracht
iſt, mit ihrer Einbildungskraft umfasſen können.
Die Natur des Schönen beſteht ja eben darinn,
daſs ſein innres Weſen ausſer den Grenzen der Denk¬
kraft, in ſeiner Entſtehung in ſeinem eignen Werden
liegt. Eben darum, weil die Denkkraft beim Schö¬
nen nicht mehr fragen kann, warum es ſchön ſey?
iſt es ſchön. — Denn es mangelt ja der Denkkraft
völlig an einem Vergleichungspunkte, wornach ſie
das Schöne beurtheilen, und betrachten könnte. Was
giebt es noch für einen Vergleichungspunkt für das
ächte Schöne, als mit dem Inbegriff aller harmoniſchen
Verhältnisſe des grosſen Ganzen der Natur, die keine
Denkkraft umfasſen kann? Alles einzelne hin und
her in der Natur zerſtreute Schöne, iſt ja nur in ſo
fern
fern ſchön, als ſich dieſer Inbegriff aller Verhältnisſe
jenes grosſen Ganzen mehr oder weniger darinn offen¬
bahrt. — Es kann alſo nie zum Vergleichungspunkte
für das Schöne der bildenden Künſte, eben ſo wenig
als der wahren Nachahmung des Schönen zum Vor¬
bilde dienen; weil das höchſte Schöne im Einzelnen
der Natur immer noch nicht ſchön genug für
die ſtolze Nachahmung der grosſen und majeſtätiſchen
Verhältnisſe des allumfasſenden Ganzen der Natur
iſt. — Das Schöne kann daher nicht erkannt, es
muſs hervorgebracht — oder empfunden werden.
Denn weil in gänzlicher Ermanglung eines Ver¬
gleichungspunktes, einmal das Schöne kein Gegen¬
ſtand der Denkkraft iſt, ſo würden wir, in ſo fern
wir es nicht ſelbſt hervorbringen können, auch ſeines
Genusſes ganz entbehren müsſen, indem wir uns nie
an etwas halten könnten, dem das Schöne näher kä¬
me, als das Minderſchöne — wenn nicht etwas die
Stelle der hervorbringenden Kraft in uns erſetzte, das
ihr ſo nahe wie möglich kömmt, ohne doch ſie ſelbſt
zu ſeyn: — dieſs iſt nun, was wir Geſchmack
oder Empfindungsfähigkeit für das Schöne nennen, die,
wenn ſie in ihren Grenzen bleibt, den Mangel des hö¬
hern Genusſes bei der Hervorbringung des Schönen,
durch die ungeſtörte Ruhe der ſtillen Betrachtung er¬
ſetzen kann.
Wenn nämlich das Organ nicht fein genug ge¬
webt iſt, um dem einſtrömenden Ganzen der Natur ſo
viele Berührungspunkte darzubieten, als nöthig ſind,
um
um alle ihre grosſen Verhältnisſe vollſtändig im Klei¬
nen abzuſpiegeln, und uns noch ein Punkt zum völli¬
gen Schluſs des Zirkels fehlt; ſo können wir ſtatt der
Bildungskraft nur Empfindungsfähigkeit für das Schö¬
ne, haben: jeder Verſuch, es ausſer uns wieder dar¬
zuſtellen, würde uns miſslingen, und uns deſto un¬
zufriedner mit uns ſelber machen, je näher unſer Em¬
pfindungsvermögen für das Schöne an das uns man¬
gelnde Bildungsvermögen grenzt.
Weil nämlich das Weſen des Schönen eben in ſei¬
ner Vollendung in ſich ſelbſt beſteht, ſo ſchadet ihm
der letzte fehlende Punkt, ſo viel als tauſend, denn
er verrückt alle übrigen Punkte aus der Stelle, in wel¬
che ſie gehören. — Und iſt dieſer Vollendungs¬
punkt einmal verfehlt, ſo verlohnt ein Werk der
Kunſt der Mühe des Anfangs und der Zeit ſeines Wer¬
dens nicht; es fällt unter das ſchlechte bis zum Un¬
nützen herab, und ſein Daſeyn muſs nothwendig durch
die Vergesſenheit, worinn es ſinkt, ſich wieder auf¬
heben.
Eben ſo ſchadet auch dem in das feinere Gewebe
der Organiſation gepflanzten Bildungsvermögen, der
letzte zu ſeiner Vollſtändigkeit fehlende Punkt, ſoviel
als tauſend. — Den höchſten Werth, den es als
Empfindungsvermögen haben könnte, kömmt bei ihm,
als Bildungskraft, eben ſo wenig wie der geringſte,
in Betrachtung. Auf dem Punkte, wo das Empfin¬
dungsvermögen ſeine Grenzen überſchreitet, muſs es
noth¬
nothwendig unter ſich ſelber ſinken, ſich aufheben,
und vernichten.
Je vollkommner das Empfindungsvermögen für eine
gewisſe Gattung des Schönen iſt, um deſto mehr iſt
es in Gefahr ſich zu täuſchen, ſich ſelbſt für Bildungs¬
kraft zu nehmen, und auf die Weiſe durch tauſend
miſslungne Verſuche, ſeinen Frieden mit ſich ſelbſt
zu ſtören.
Es blickt z. B. beim Genuſs des Schönen in irgend
einem Werke der Kunſt zugleich durch das Werden
desſelben, in die bildende Kraft, die es ſchuf, hin¬
durch; und ahndet dunkel den höhern Grad des Ge¬
nusſes eben dieſes Schönen, im Gefühl der Kraft, die
mächtig genug war, es aus ſich ſelbſt hervorzu¬
bringen.
Um ſich nun dieſen höhern Grad des Genusſes,
welchen ſie an einem Werke, das einmal ſchon da iſt,
unmöglich haben kann, auch zu verſchaffen; ſtrebt
die einmal zu lebhaft gerührte Empfindung vergebens
etwas Aehnliches, aus ſich ſelbſt hervorzubringen;
haſst ihr eignes Werk, verwirft es, und verleidet ſich
zugleich den Genuſs alle des Schönen, das ausſer ihr
ſchon da iſt, und woran ſie nun eben deswegen, weil
es ohne ihr Zuthun da iſt, keine Freude findet. —
Ihr einziger Wunſch und Streben iſt, des ihr ver¬
ſagten, höhern Genusſes, den ſie nur dunkel ahndet,
theilhaftig zu werden: in einem ſchönen Werke, das
ihr ſein Daſeyn dankt, mit dem Bewuſstſeyn von eig¬
ner Bildungskraft, ſich ſelbſt zu ſpiegeln. —
Al¬
Allein ſie wird ihres Wunſches ewig nicht gewährt,
weil Eigennutz ihn erzeugte; und das Schöne ſich
nur um ſein ſelbſt willen von der Hand des Künſtlers
greifen, und willig und folgſam von ihm ſich bil¬
den läſst.
Wo ſich nun in den ſchaffenwollenden Bildungs¬
trieb, ſogleich die Vorſtellung vom Genuſs des Schö¬
nen miſcht, den es, wenn es vollendet iſt, gewäh¬
ren ſoll; und wo dieſe Vorſtellung der erſte und ſtärk¬
ſte Antrieb unſrer Thatkraft wird, die ſich zu dem,
was ſie beginnt, nicht in und durch ſich ſelbſt ge¬
drungen fühlt; da iſt der Bildungstrieb gewiſs nicht
rein: der Brennpunkt oder Vollendungspunkt des Schö¬
nen fällt in die Wirkung über das Werk hinaus; die
Strahlen gehen auseinander; das Werk kann ſich nicht
in ſich ſelber ründen.
Dem höchſten Genuſs des aus ſich ſelbſt hervorge¬
brachten Schönen ſich ſo nah zu dünken, und doch
darauf Verzicht zu thun, ſcheint freilich ein harter
Kampf — der dennoch äusſerſt leicht wird; wenn
wir aus dieſem Bildungstriebe, den wir uns einmal
zu beſitzen ſchmeicheln, um doch ſein Weſen zu ver¬
edeln, jede Spur des Eigennutzes, die wir noch fin¬
den, tilgen; und jede Vorſtellung des Genuſses, den
uns das Schöne, das wir hervorbringen wollen, wenn
es nun da ſeyn wird, durch das Gefühl von unſrer
eignen Kraft, gewähren ſoll, ſo viel wie möglich,
zu verbannen ſuchen: ſo daſs, wenn wir auch mit
dem
dem letzten Athemzuge es erſt vollenden könnten, es
dennoch zu vollenden ſtrebten. —
Behält alsdann das Schöne, das wir ahnden, bloſs
an und für ſich ſelbſt, in ſeiner Hervorbringung, noch
Reiz genug unſre Thatkraft zu bewegen; ſo dürfen
wir getroſt unſerm Bildungstriebe folgen, weil er
ächt und rein iſt. —
Verliert ſich aber, mit der gänzlichen Hin¬
wegdenkung des Genusſes und der Wirkung, auch
der Reiz — ſo bedarf es ja keines Kampfes
weiter — der Frieden in uns iſt hergeſtellt — und
das nun wieder in ſeine Rechte getretne Empfindungs¬
vermögen eröfnet ſich, zum Lohne für ſein beſcheid¬
nes Zurücktreten in ſeine Grenzen, dem reinſten Ge¬
nuſs des Schönen, der mit der Natur ſeines Weſens
beſtehen kann.
Freilich kann nun der Punkt, wo Bildungs- und
Empfindungskraft ſich ſchneidet, ſo äusſerſt leicht ver¬
fehlt und überſchritten werden, daſs es gar nicht zu
verwundern iſt, wenn immer tauſend falſche, ange¬
maaſste Abdrücke des höchſten Schönen, gegen einen
ächten, durch den falſchen Bildungstrieb, in den Wer¬
ken der Kunſt entſtehen.
Denn da die ächte Bildungskraft, ſogleich bei der
erſten Entſtehung ihres Werks, auch ſchon den erſten,
höhſten Genuſs desſelben, als ihren ſichern Lohn, in
ſich ſelber trägt; und ſich nur dadurch von dem fal¬
ſchen Bildungstriebe unterſcheidet, daſs ſie den aller¬
erſten Moment ihres Anſtosſes durch ſich ſelber, und
nicht
nicht durch die Ahndung des Genusſes von ihrem
Werke, erhält; und weil in dieſem Moment der Lei¬
denſchaft die Denkkraft ſelbſt kein richtiges Urtheil
fällen kann, ſo iſt es faſt unmöglich, ohne eine An¬
zahl mislungner Verſuche, dieſer Selbſttäuſchung zu
entkommen.
Und ſelbſt auch dieſe miſslungnen Verſuche ſind
noch nicht immer ein Beweiſs von Mangel an Bildungs¬
kraft, weil dieſe ſelbſt da, wo ſie ächt iſt, oft eine
ganz falſche Richtung nimmt, indem ſie vor ihre Ein¬
bildungskraft ſtellen will, was vor ihr Auge, oder
vor ihr Auge, was vor ihr Ohr gehört.
Eben weil die Natur die inwohnende Bildungs¬
kraft nicht immer zur völligen Reife und Entwicklung
kommen oder ſie einen falſchen Weg einſchlagen läſst,
auf dem ſie ſich nie entwickeln kann; ſo bleibt das
ächte ſchöne ſelten.
Und weil ſie auch aus dem angemaſsten Bildungs¬
triebe das Gemeine und Schlechte ungehindert entſte¬
hen läſst, ſo unterſcheidet ſich eben dadurch das ächte
Schöne und Edle, durch ſeinen ſeltnen Werth, vom
Schlechten und Gemeinen. —
In dem Empfindungsvermögen bleibt alſo ſtets die
Lücke, welche nur durch das Reſultat der Bildungs¬
kraft ſich ausfüllt. — Bildungskraft und Empfindungs¬
fähigkeit verhalten ſich zu einander, wie Mann und
Weib. Denn auch die Bildungskraft iſt bei der erſten
Entſtehung ihres Werks, im Moment des höchſten Ge¬
nusſes, zugleich Empfindungsfähigkeit, und erzeugt,
wie
wie die Natur, den Abdruck ihres Weſens aus ſich
ſelber.
Empfindungsvermögen ſowohl als Bildungskraft
ſind alſo in den feinern Gewebe der Organiſation ge¬
gründet, inſo fern dieſelbe in allen ihren Berührungs¬
punkten von den Verhältnisſen des grosſen Ganzen
der Natur ein vollſtändiger oder doch faſt vollſtändiger
Abdruck iſt.
Empfindungskraft ſowohl als Bildungskraft um¬
fasſen mehr als Denkkraft, und die thätige Kraft,
worinn ſich beide gründen, faſst zugleich auch alles
was die Denkkraft faſst, weil ſie von allen Begriffen,
die wir je haben können, die erſten Anläsſe, ſtets ſie
aus ſich herausſpinnend, in ſich trägt,
In ſofern nun dieſe thätige Kraft alles, was nicht
unter das Gebiet der Denkkraft fällt, hervor dringend
in ſich faſst, heisſet ſie Bildungskraft: und in ſofern
ſie das, was ausſer den Grenzen der Denkkraft liegt,
der Hervorbringung ſich entgegen neigend in ſich
begreift, heiſst ſie Empfindungskraft.
Bildungskraft kann nicht ohne Empfindung und
thätige Kraft, die bloſs thätige Kraft hingegen kann
ohne eigentliche Empfindungs- und Bildungskraft, wo¬
von ſie nur die Grundlage iſt, für ſich allein ſtatt finden.
In ſofern nun dieſe bloſs thätige Kraft ebenfalls in
dem feinern Gewebe der Organiſation ſich gründet,
darf das Organ nur überhaupt in alle ſeinen Berüh¬
rungspunkten ein Abdruck der Verhältnisſe des grosſen
Ganzen ſeyn, ohne daſs eben der Grad der Vollſtän¬
C
dig¬
digkeit erfordert würde, welche die Empfindungs- und
Bildungskraft vorausſetzt.
Von den Verhältnisſen des grosſen Ganzen, das
uns umgiebt, treffen nämlich immer ſo viele in allen
Berührungspunkten unſres Organs zuſammen; daſs wir
dies grosſe Ganze dunkel in uns fühlen, ohne es doch
ſelbſt zu ſeyn: die in unſer Weſen hineingeſponnenen
Verhältnisſe jenes Ganzen ſtreben, ſich nach allen Sei¬
ten wieder auszudehnen: das Organ wünſcht, ſich
nach allen Seiten bis ins Unendliche fortzuſetzen. Es
will das umgebende Ganze nicht nur in ſich ſpiegeln,
ſondern ſo weit es kann, ſelbſt dies umgebende Ganze
ſeyn.
Daher ergreift jede höhere Organiſation, ihrer
Natur nach, die ihr untergeordnete, und trägt ſie in
ihr Weſen über. Die Pflanze den unorganiſierten Stoff,
durch bloſes Werden und Wachſen — das Thier die
Pflanzen durch Werden, Wachſen und Genuſs —
der Menſch verwandelt nicht nur Thier und Pflanze,
durch Werden Wachſen und Genuſs in ſein innres We¬
ſen; ſondern faſst zugleich alles, was ſeiner Organi¬
ſation ſich unterordnet, durch die unter allen am hell¬
ſten geſchliffne, ſpiegelnde Oberfläche ſeines Weſens,
in den Umfang ſeines Daſeyns auf, und ſtellt es, wenn
ſein Organ ſich bildend in ſich ſelbſt vollendet, ver¬
ſchönert auſser ſich wieder dar.
Wo nicht, ſo muſs er das, was um ihn her iſt,
durch Zerſtöhrung in den Umfang ſeines wirklichen
Daſeyns ziehn, und verheerend um ſich greifen, ſo
weit
weit er kann; da einmal die reine unſchuldige Be¬
ſchauung ſeinen Durſt nach ausgedehntem wirklichen
Daſeyn nicht erſetzen kann.
Mit dem ſich angeſchliffnen Stahle ſeines einge¬
ſchränkten Daſeyns nicht mehr froh, ſtrebt er, ausſer
ſich ſelber, ein grösſeres Ganze, als er ſelbſt, zu
ſeyn; ſtellt ſich, zu einem Volk, zu einem Staat ſich
bildend, mit Weſen ſeiner Art zuſammen, um Weſen
ſeines gleichen, die ſich ihm unterordnend ihm nicht
dienen, mit ihm nicht eins ſeyn wollen, zu zerſtören. —
Er ſteht auf dem höchſten Punkte ſeiner Wirk¬
ſamkeit; der Krieg, die Wuth, das Feldgeſchrei, das
höchſte Leben, iſt nah an den Grenzen ſeiner Zer¬
ſtörung da. —
Kommen dann endlich die ſtrebende Kräfte wieder
in ein glückliches Gleichgewicht; und macht die un¬
ruhige Wirkſamkeit der ſtillen Beſchauung Platz: ſo
muſs nothwendig in dem zum erſtenmal in ſich ver¬
ſunknen Menſchen der Sinn für die umgebende Natur
erwachen, die nie zerſtört, als wo ſie muſs, und ſcho¬
net, wo ſie kann. — Er lernt allmälig das Einzelne
im Ganzen, und in Beziehung auf das Ganze, ſehen;
fängt die grosſen Verhältnisſe dunkel an zu ahnden, nach
welchen unzählige Weſen auf und ab, ſo wenig wie
möglich ſich verdrängen, und doch ſo nah wie mög¬
lich an einanderſtosſen. —
Dann ſteigt in ſeinen ruhigſten Momenten die Ge¬
ſchichte der Vorwelt, das ganze wunderbare Gewebe
des Menſchenlebens in alle ſeinen Zweigen vor ihm
C 2
auf. —
auf. — In allen, was ſeine ruhige Einbildungskraft
ihm ſpiegelt, ſondert ſich das Grosſe und Edle vom
Gemeinen, nach einem dunkelempfundnen Maaſsſtabe
in ihm ſelber ab, und ſtrebt aus ihm heraus. —
So geht die um ſich greifende, zerſtörende That¬
kraft, ſich auf ſich ſelber ſtützend, in die ſanfte
ſchaffende Bildungskraft, durch ruhiges Selbſtgefühl,
hinüber, und ergreift den lebloſen Stoff, und haucht
ihm Leben ein.
Auf die Weiſe bildete unter jedem Himmelsſtrich
die Natur das Schöne, ſich in den reinſten Seelen in
ihren ruhigſten Momenten ſpiegelnd. —
Sie allein führt an ihrer Hand den bildenden Künſt¬
ler, den Dichter, in ihr innerſtes Heiligthum, wo
ſie dem ſich neu entwickelnden Bildungstriebe, ſchon
ſeit Jahrhunderten vorgearbeitet, und ſeine Bahn ihm
vorgezeichnet hat.
Denn alles, was die Vorwelt erfunden, iſt ja in
den Umfang der Natur zurücktretend, mit ihr eins
geworden, und ſoll mit ihr vereint, harmoniſch auf
uns wirken. — — Das Schöne der bildenden Künſte
ſteht, ſobald es einmal da iſt, mit auf ihrer grosſen
Stufenleiter, und will nicht mit ihr in ihren einzelnen
Theilen verglichen, ſondern in ihrem ganzen Unfange,
als zu ihr gehörend, mitgedacht und empfunden ſeyn.
Unſer Naturgenuſs ſoll durch die Betrachtung des
Schönen in der Kunſt, verfeinert; und unſer Gefühl
für das Schöne in der Kunſt ſoll wechſelſeitig durch
den
den Genuſs der ſchönen Natur geſtärkt, und zugleich
ſeine Grenzen ihm vorgezeichnet werden.
Strömt dann das Maaſs der Empfindung über, und
wird zur Bildungskraft, ſo ahmt es in jedem Einzel¬
nen der Natur nicht mehr das Einzelne, und in dem
höchſten Kunſtwerke, nicht das Kunſtwerk, ſondern
die grosſe Harmonie des mitempfundnen Ganzen nach,
das ſich in beiden abdrückt.
Der einmal aufgeweckte, ächte Bildungstrieb fin¬
det nichts Einzelnes in der Natur, das ganz ihm
gnügte; auch ſelber das höchſte Kunſtwerk nicht, das,
als der erſte Abdruck des höchſten Schönen, doch immer
nur Abdruck bleibt.
Das bildende Genie will, wo möglich, alle die in
ihm ſchlummerden Verhältnisſe jener grosſen Harmonie,
deren Umfang grösſer, als ſeine eigne Individualität
iſt, ſelbſt umfasſen: das kann es nun nicht anders,
als in verſchiednen Momenten, ſchaffend, bildend,
aus ſeiner eignen eingeſchränkten Individualität gleich¬
ſam heraus, in ein Werk, das ausſer ihm ſich dar¬
ſtellt, hinüberſchreitend, und mit dieſem Werke nun
das umfasſend, was ſeine Ichheit ſelber vorher nicht
fasſen konnte.
Allein der Anblick von dem reinſten Abdruck des
höchſten Schönen in dem vollkommenſten Kunſtwerke,
muſste dem Bildungstriebe den erſten Anſtoſs geben,
bloſs durch Gefühl der Möglichkeit, ſich in einem
Kunſtwerke auſser ſich ſelbſt zu ſtellen, und das in
einer Folge von Momenten bildend und ſchaffend zu
C 3
um¬
umfasſen, was keine Empfindung auffaſst, wofür
das Selbſtgefühl zu beſchränkt iſt, und die Ichheit
keinen Raum hat.
Und jeder Stoff, den dann die Bildungskraft er¬
greift, wird jeden nachfolgenden Verſuch vereiteln,
denſelben Stoff zu einem neuen Werke noch einmal
eben ſo ſchön zu bilden.
Je mehrere Reize der Stoff an ſich hat, um de¬
ſtomehr wird es den nachfolgenden Bildungstrieb in
Verzweiflung ſetzen. Der falſche Bildungstrieb wird
am erſten darnach haſchen; Anfang, Mittel, und
Ende tauſchen; und dieſs verzerrte, entſtellte Ganze,
das unverzerrt und unentſtellt vor ihm ſchon da war,
als ſein eignes Werk betrachten, das ihm ſein Daſeyn
dankt.
Dergleichen Nachäffungen des ächten Schönen
könnten nie Beifall finden, wenn Empfindungsfähig¬
keit und Bildungskraft bei ihrer Entwicklung immer
gleichen Schritt hielten, und nicht eins der andern
ängſtlich nach oder vorzukommen ſtrebte: denn da das
Empfindungsvermögen, ſeiner Natur nach, ſo nah an
die Bildungskraft grenzt, daſs dieſe nur gleichſam die
letzte Lücke ausfüllt, deren Ausfüllung dem Ge¬
ſchmack zur eignen Hervorbringung des Schönen aus
ſich ſelber fehlt; ſo muſs auch die Empfindungsfähig¬
keit ſelbſt ſchon den Sinn für das Schöne haben, das
die Bildungskraft hervorbringen ſoll; ſie muſs ſich mit
dieſer zugleich, in ihrem Maasſe, auf gleiche Art
entwickeln.
Das
Das Schöne will eben ſowohl bloſs um ſein ſelbſt
willen betrachtet und empfunden, als hervorgebracht
ſeyn. — Wir betrachten es, weil es da iſt, und
mit in der Reihe der Dinge ſteht; und weil wir ein¬
mal betrachtende Weſen ſind, bei denen die unruhige
Wirkſamkeit auf Momente der ſtillen Beſchauung Platz
macht.
Betrachten wir das Schöne nicht um ſein ſelbſt
willen, ſondern um erſt unſern Geſchmack dafür zu
bilden, ſo bekömmt ja eben dadurch unſre Betrach¬
tung ſchon eine eigennützige Richtung. Unſer Ur¬
theil iſt uns alsdann mehr werth, als die Sache, wor¬
über wir urtheilen: und ſtatt daſs alſo unſre Beurthei¬
lungskraft, durch ruhige Betrachtung, ſich erweitern
ſollte, wird vielmehr der Geſichtspunkt für das Schöne
nach den zu engen Grenzen unſrer Fasſungskraft ſich
verſchieben müsſen.
Der Geſchmack, oder die Beurtheilung des Schö¬
nen, gehört ja eben ſo, wie das Schöne ſelbſt, zu den
Sachen, die wir nicht brauchen, ſobald wir ſie nicht
kennen, und nicht entbehren, ſobald wir ſie nicht
haben; deren Bedürfniſs erſt durch den Beſitz entſteht,
wo es ſich durch ſich ſelbſt befriedigt: geht alſo das
Bedürfniſs vor dem Beſitz vorher, ſo kann es nicht
anders als eingebildet und erkünſtelt ſeyn.
Was uns daher allein zum wahren Genuſs des
Schönen bilden kann, iſt das, wodurch das Schöne
ſelbſt entſtand; vorhergegangne ruhige Betrach¬
tung der Natur und Kunſt, als eines einzigen
C 4
gros¬
grosſen Ganzen, das in allen ſeinen Theilen ſich in
ſich ſelber ſpiegelnd, da den reinſten Abdruck läſst,
wo alle Beziehung aufhört, in dem ächten Kunſtwerke,
das, ſo wie ſie, in ſich ſelbſt vollendet, den Endzweck
und die Abſicht ſeines Daſeyns in ſich ſelber hat. —
Auf die Weiſe entſtand, ohne alle Rückſicht auf
Nutzen oder Schaden, den es ſtiften könnte, das
Schöne der bildenden Künſte in jeder Art, bloſs um
ſein ſelbſt und ſeiner Schönheit willen; und konnte
auf keine andere Weiſe entſtehen, weil der Begriff
der Schönheit ſelbſt ſchon jede Rückſicht auf Nutzen
oder Schaden, ſeiner Natur nach, ausſchlieſst; und
der Begriff des Schädlichen auch bei der wirklichen
Hervorbringung des Schönen ſich von ſelbſt aufhebt.
Denn ſuchen wir uns nun noch zuletzt den Be¬
griff des Schädlichen näher zu entwickeln, ſo iſt nur
jede unvollkommnere Sache in ſofern ſchädlich, als
eine vollkommnere darunter leidet. — Das wirklich
Vollkommnere kann daher nie dem Unvollkommnern;
dem weniger Organiſirten nie das höher Organiſirte
ſchaden.
Wir ſagen: es iſt ſchade um den Theil der Pflan¬
zenwelt, den die hereinbrechende Fluth verſchlingt;
aber nicht um den, der, von der lebenden Welt zer¬
ſtöhrt, in eine höhere Organiſation hinüber geht: denn
weit mehr Schade, als um die Pflanzenwelt, wäre es
um die lebende Welt, wenn ſie deswegen aufhören
ſollte, damit die ganze Pflanzenwelt unbeſchädigt
bliebe. —
Und
Und weit mehr Schade, als um die unterjochte
Thierwelt, wäre es wieder um die Menſchenwelt,
wenn dieſe deſswegen nicht ſtatt finden ſollte, damit
alles übrige in dem Zuſtande ſeiner natürlichen Frei¬
heit bliebe. —
So liesſe ſich nun weiter ſchliesſen, daſs es in
der Menſchenwelt auch mehr Schade um die überwie¬
gende Stärke wäre, wenn dieſe deswegen nicht ſtatt
finden ſollte, damit die Schwäche ihre Schwachheit
nicht gewahr werde; als es um den ſchwächern Theil
der Menſchen ſchade iſt, daſs ſie der Obermacht des
Stärkern weichen, und ihre Schwäche empfinden
müsſen. —
Und daſs es folglich auch wieder um das Schöne,
welches am meiſten um ſein ſelbſt willen da iſt, weit
mehr Schade wäre, wenn es deswegen vertilgt ſeyn
ſollte, damit keine unbefriedigte Sehnſucht dadurch
entſtehn, und keine thätige Kraft darunter erliegen
könne; als es um die thätige Kraft ſchade iſt, die
unter der unbefriedigten Sehnſucht endlich erliegen
muſs; —
Da überdem das Schöne mit dem Leiden, das ſein
verſagter Genuſs erweckt, zuſammengenommen, in
unſrer Vorſtellung erſt ſeinen höchſten Reiz erhält,
dem durch kein ſchöneres Opfer, als dieſes, kann ge¬
huldigt werden. —
C 5
Denn
Denn ſo wie die Liebe die höchſte Vollendung
unſres empfindenden Weſens iſt, ſo iſt die Hervor¬
bringung des Schönen die höchſte Vollendung unſrer
thätigen Kraft — und die höchſte Liebe muſs wie¬
der in Hervorbringung, in Zeugung, wo nicht in die
ſüsſeſte Auflöſung des liebenden Weſens hinüber
gehn. —
Nun ſind freilich die Begriffe von Aufopferung,
Liebe und Sehnſucht ſelber viel zu ſüſs, als daſs wir
ſie wieder entbehren könnten, ſobald wir ſie einmal
haben, oder ihr Daſeyn nicht wünſchen ſollten, ſo¬
bald wir ſie einmal kennen. —
Es ſcheint nichts Höheres zu geben, dem die
Aufopferung ſelbſt wieder müſste aufgeopfert wer¬
den. — Und das Schöne hinwegwünſchen, weil
unter ihm die Stärke erliegt, hiesſe auch, die Stärke
hinweg wünſchen, weil unter ihm die Schwäche er¬
liegt; den Menſchen, weil er mit zerſtöhrender Hand
die freie Thierwelt ſich unterjocht; die ganze lebende
Welt, weil ſie unaufhörlich die unſchuldige Pflanzen¬
welt zerſtöhrt; und zuletzt auch die lebloſe Pflanzen¬
welt, weil ſie die unzerſtöhrbaren Theile des organi¬
ſirten Stoffs, aus ihrer natürlichen Gleichheit reiſst,
und ſie, durch die trügeriſche Bildung und Form zum
erſtenmale der Zerſtöhrung unterwirft.
Das einfachſte Pflanzengewebe muſs für ſeinen
Raub an den noch einfachern Elementen, ſchon durch
Auf¬
Auflöſung und Verwelkung; das geringſte Lebende
für ſeinen Raub an dem Organiſirten, mit körperli¬
chen Schmerzen und dem Tode; und die Menſchheit
für den Raub ihres höhern Daſeyns, an der ganzen
umgebenden Natur, mit den Leiden der Seele büs¬
ſen. — Und das Individuum, muſs dulden, wenn die
Gattung ſich erheben ſoll.
Die Menſchengattung aber muſs ſich heben, weil
ſie den Endzweck ihres Daſeyns nicht mehr ausſer
ſich, ſondern in ſich hat; und alſo auch durch die
Entwicklung aller in ihr ſchlummernden Kräfte, bis
zur Empfindung und Hervorbringung des Schönen,
ſich in ſich ſelber vollenden muſs. — Zu dieſer
Vollendung aber gehört das duldende Individuum ſel¬
ber mit; desſen Duldung eben, wenn ſie vorüber iſt,
durch die Darſtellung zugleich in den höchſten Vol¬
lendungspunkt des Schönen mit hinüber geht. —
So löſst ſich die Duldung in die Erſcheinung auf,
indem ſie da, wo ſie wirklich geduldet ward, nicht
mehr empfunden, nicht mehr geduldet wird. —
Das individuelle Leiden in der Darſtellung, geht
in das erhabnere Mitleiden über, wodurch eben das
Individuum aus ſich ſelbſt gezogen, und die Gattung
wieder in ſich ſelber vollendet wird.
Höher aber kann die Menſchheit ſich nicht heben,
als bis auf den Punkt hin, wo ſie durch das Edle in
der
der Handlung, und das Schöne in der Betrachtung,
das Individuum ſelbſt aus ſeiner Individualität heraus¬
ziehend, in den ſchönen Seelen ſich vollendet, die fä¬
hig ſind, aus ihrer eingeſchränkten Ichheit, in das
Interesſe der Menſchheit hinüber ſchreitend, ſich in
die Gattung zu verlieren.
Ehe ſie aber bis dahin ſich erhebt, muſs die Dul¬
dung des Einzelnen vorhergehn. — Die Gattung iſt
mit dem Individuum, die Erſcheinung mit der Wirk¬
lichkeit im ewigen Kampfe. —
Sobald die Erſcheinung in der Gattung, über die
Wirklichkeit in dem Individuum geſiegt hat, geht das
bitterſte Leiden, durch das über die Individualität er¬
habne Mitleid, in die ſüsſeſte Wehmuth über; und
der Begriff des höchſten Schädlichen in der Wirklich¬
keit, löſst ſich in den Begriff des höchſten Schönen in
der Erſcheinung, auf.
Und ſo wie jedes Schöne in der Erſcheinung nur
in dem Maasſe ſchön iſt, als es nicht nützlich zu
ſeyn braucht, ſo iſt es auch nur in dem Maasſe ſchön,
als es, wenn es wirklich wäre, ſchädlich ſeyn wür¬
de; und doch auch wieder nicht ſchädlich ſeyn würde —
in ſofern das Wort ſchädlich von untergeordneten,
ſelbſt der Schönheit huldigenden Weſen ausgeſprochen
wird, die nicht wünſchen können, daſs das Schöne
vertilgt ſeyn mögte, damit es keine Zerſtöhrung an¬
rich¬
richte; ſondern die Schuld der Zerſtöhrung von der
Schönheit ab, auf die Nothwendigkeit der Dinge,
oder höhere Mächte wälzen: wie der Greis Priamus
beim Homer, der die erhabne, ſelbſt über den durch
ſie geſtifteten Jammer weinende Schönheit, mit ſanf¬
ten Worten tröſtet:
Tochter, du biſt nicht, die unſterblichen Götter ſind ſchuldig,
Welche den traurigen Krieg mir mit Achaja erregten.
Und die zürnenden Trojaner, welche die ver¬
derbliche Urſach des Krieges laut verwünſchen, kön¬
nen ſich nicht enthalten, bei der Ankunft des göttli¬
chen Weibes, ſich ins Ohr zu flüſtern:
Wahrlich, ſie ſind nicht zu ſchelten, die ſchön geſtiefelten Griechen,
Und die Trojaner, um ſolch ein Weib ſo vieles zu dulden:
Denn den Unſterblichen gleicht ſie an Wuchs und ſchöner Gebehrde.
Der Kampf muſs alſo durchgekämpft, das grosſe
Opfer muſs dargebracht werden. — Das Geklirr
der Waffen, und das Geſchrei der Sterbenden muſs
gen Himmel tönen — Hektor muſs fallen, und He¬
kuba ihr Haar zerraufen. —
Hat dann die Zeit über die Zerſtöhrung ihre Fur¬
che hingezogen; ſo nimmt die Nachwelt den Jammer
der Vorwelt in ihren Buſen auf, und macht ihn, wie
ein köſtliches Kleinod, ſich zu eigen, durch welches
der Menſchheit ihr dauernder Werth geſichert, und
ihre edelſte zarteſte Bildung vollendet wird.
Denn
Denn in der Duldung liegt der Kern zu jeder hö¬
hern Entwicklung; und die Freude ſelbſt nimmt, wo
ſie am höchſten ſteigt, von der jungfräulichen Hoff¬
nung und dem geliebten Kummer, mit ſüsſen Thränen,
Abſchied. — Der freudige Stoff der Dichtkunſt löſst
ſich in ſich ſelber, der tragiſche in der Veredlung un¬
ſres Weſens durch das Mitleid, auf.
Je weniger wir nämlich das ſchadende und ver¬
nichtende ſelbſt vertilgt wünſchen, und uns dennoch
nicht enthalten können, vor der nahen, unvermeidlichen
Vernichtung eines Weſens unſrer Art, zu zittern, um
deſto edler und reiner muſs unſer Mitleid werden, weil
es mit keiner Bitterkeit und keinem Haſs gegen die
zerſtöhrende Obermacht mehr vermiſcht iſt, ſondern
ganz in ſich ſelbſt verſunken, ſich zu der unaufhalt¬
baren Thräne ründet, worinn unſer ganzes mitleiden¬
des Weſen, aus ſeinem zarteſten Vollendungspunkte,
ſich aufzulöſen und zu zerfliesſen ſtrebt.
Wir können aber das vernichtende Vollkommnere
in ſofern nicht vertilgt wünſchen, als wir uns zugleich
ſelbſt in ihm doppelt vernichtet fühlen würden. —
Denn in ſofern das Schöne alles Mangelhafte von
ſich ausſchlieſst, begreift es auch alles Wirkliche in
ſich, das bloſs durch ſein Mangelhaftes ſich von dem
Schönen unterſcheidet, und eben deswegen ſich un¬
widerſtehlich von ihm angezogen fühlt, und mit ihm
eins
eins zu ſeyn ſtrebt, weil es in dem Schönen das
Ganze erkennt, von dem es ſelber nur ein Theil iſt.
Indem nun aber das Schöne alles Mangelhafte von
ſich ausſchlieſst, und alles Wirkliche in ſich begreift,
ohne doch alles Wirkliche ſelbſt zu ſeyn, findet es,
ſelbſt da, wo es wirklich iſt, für jedes Individuum,
das mit ihm nicht eins werden kann, immer nur in
der Erſcheinung ſtatt.
Wenn nun bei dieſem Individuum die Empfindung
die Thatkraft überwiegt, und alſo die Thatkraft durch
Zerſtöhrung ſich nicht rächen kann; ſo muſs das Indivi¬
duum für den Raub, den es durch die Erkenntniſs
des ihm unerreichbaren Schönen, an ſeiner Individua¬
lität begangen hat, mit Höllenquaalen büsſen.
Syſiphus wälzt den Stein — Tantalus lechzt nach
der von ſeinen Lippen ewig weichenden Fluth. —
Allein die Qualen ſind nur dem Individuum ſchreck¬
lich, und werden in der Gattung ſchön ſobald
daher die Gattung in dem Individuum ſich vollendet,
löſst ſein Leiden ſich von ihm ab, und geht in die Er¬
ſcheinung, die Empfindung geht in die Bildung
über — was von dem bildenden Weſen ſich zerſtöhrt,
iſt ſein Phantom — das veredelte Daſeyn bleibt zurück.
Eben
Eben dieſe Erſcheinung aber faſst das alles in ſich,
was die Wirklichkeit hätte zerſtöhren müsſen, wenn
ſie nicht die Macht gehabt hätte, es von ſich abzulö¬
ſen, und bildend ausſer ſich darzuſtellen. — So wie
jedes vollkommne Kunſtwerk ſeinen Urheber, oder
was ihn umgiebt, würde zernichtet haben, wenn es
ſich aus ſeiner Kraft nicht hätte entwickeln können.
In dieſem Punkte treffen alſo Zerſtöhrung und Bil¬
dung in eins zuſammen — Denn das höchſte Schöne
der bildenden Künſte, faſst dieſelbe Summe der Zer¬
ſtöhrung, in einander gehüllt, auf einmal in ſich,
welche die erhabenſte Dichtkunſt, nach dem Maaſs des
Schönen, auseinander gehüllt, in furchtbarer Folge
uns vor Augen legt.
Iſt es nicht die immerwährende Zerſtöhrung des
Einzelnen, wodurch die Gattung in ewiger Jugend
und Schönheit ſich erhält?
Und iſt es nicht die durch die reinſte Imagination
zum Gott verkörperte Jugend und Schönheit ſelbſt,
welche mit ſanftem Geſchoſs die Menſchen tödtet; oder
mit Köcher und Bogen zürnend einher tritt, düſter und
furchtbar, wie Schrecken der Nächte — den ſilbernen
Bogen ſpannt — und die verderbenden Pfeile in das
Lager der Griechen ſendet? —
Sobald nämlich in der vollendeten Schönheit die
Gattung ſich ſelbſt erblickt, kann ſie das, worinn ſie
eigent¬
eigentlich erſt ſich ſelbſt beſitzt, nicht anders, als für
das gröſste Kleinod halten, welches in ſofern es nicht
als Erſcheinung, ſondern als wirklich betrachtet wird,
alles Einzelne aufwiegt.
Weil es nun von jedem als wirklich betrachtet wer¬
den kann, ſo wird das Einzelne dadurch gezwungen,
ſich wieder unter einander aufzuwiegen, damit ſein
verhältniſsmäsſiger Werth gegen das Schöne ſichtbar
werde, der ſich nicht anders, als durch die Zerſtöh¬
rung des Schwächern durch das Stärkre, und des Un¬
vollkommnern, durch das Vollkommnere, zeigen kann.
Auf die Weiſe ſchreibt die Schönheit der Zerſtöh¬
rung ſelbſt ihr edles Maaſs vor — wo nicht, ſo regen
die Zähne des Drachen ſich in der lockern Erde — die
Saat des Kadmus keimt in geharniſchten Männern auf,
die ihre Schwerdter gegen einander kehren, und ehe
vom Streit nicht ruhn, bis ihre Leiber wieder den Bo¬
den küsſen. —
Weil nun durch die Erſcheinung der individuellen
Schönheit dieſelbe Summe der Zerſtöhrung des Einzel¬
nen, in einem kürzern Zeitraume, ſichtbar wird, wel¬
che zur Erhaltung der immerwährenden Jugend und
Schönheit, in der Gattung überhaupt, durch Alter und
Krankheit, faſt unmerklich ihren Fortſchritt hält:
D
Und
Und weil wir dieſe Zerſtöhrung mit der individuel¬
len Schönheit, durch welche ſie unmittelbar bewirkt
wird, uns zuſammen denken:
So giebt das Schöne, in welches die Zerſtöhrung
ſelbſt ſich wieder auflöſst, uns gleichſam ein Vorge¬
fühl von jener grosſen Harmonie, in welche Bildung
und Zerſtöhrung einſt Hand in Hand, hinüber gehn.
Und die immerwährende Zerſtöhrung des Schwä¬
chern durch das Stärkre, und des Unvollkommnern
durch das Vollkommnere, ſcheint uns in eben dem
Maasſe, wie die unaufhörliche Bildung des Unvoll¬
kommnern zum Vollkommern, dem ewigen Schönen
nachzuahmen, das, über Zerſtöhrung und Bildung
ſelbſt erhaben, in der Himmelswölbung und auf der
ſtillen Meeresfläche ruhend, ſich uns am reinſten dar¬
ſtellt. —
Allein unſer Begriff des Schönen verliert ſich zu¬
letzt doch immer wieder in den Begriff der Nachah¬
mung von etwas, worinn das Vollendete ſich wieder
zu vollenden, und unſer eignes Weſen, in jeder Aeuſs¬
rung ſeines Daſeyns, uns unbewuſst, ſich aufzulöſen
ſtrebt.
Wo nun die Auflöſung eines Weſens unſrer Art,
an unmittelbarſten durch die ſchönen Verhältnisſe des
Ganzen ſelbſt bewirkt wird, und in der edelſten Bil¬
dung
dung dieſes Weſens ſelbſt ſich gründet, da ſcheinet in
der Darſtellung ſeiner Leiden, die immerwährende
Auflöſung unſres eignen Weſens, auf einige Augen¬
blicke, uns bewuſst zu werden, indem uns dünkt, als
ob, im ſchönen Wiederſchein herbeigezaubert, ein
Stück aus jenem grosſen Zirkel vor uns ſchwebte,
in welchen unſre kleinere Laufbahn ſich einſt verlieren
wird. —
So vollendet die Liebe unſer Weſen — das erhab¬
nere Mitleid aber blickt thränend auf die Vollendung
ſelbſt herab — Weil es Aufhören und Werden, Zer¬
ſtöhrung und Bildung in eins zuſammenfaſst.
Und wenn jemals ein ſchwacher Schimmer des
über Zerſtöhrung und Bildung erhabnen Schönen ſich
uns zeigen kann, ſo muſs es auf dem Punkte ſeyn, wo
es aus der über unſerm Haupte ſchwebenden Zerſtöh¬
rung ſelbſt uns wieder entgegen lächelt. —
Das Auge blickt dann, ſich ſelber ſpiegelnd, aus
der Fülle des Daſeyns auf. —
Die Erſcheinung iſt mit der Wirklichkeit, die Gat¬
tung mit dem Individuum eins geworden. —
Tod und Zerſtöhrung ſelbſt verlieren ſich in den
Begriff der ewig bildenden Nachahmung des über
die
D 2
die Bildung ſelbſt erhabnen Schönen, dem nicht
anders als, durch immerwährend ſich verjüngen¬
des Daſeyn, nachgeahmt werden kann.
Durch dieſs ſich ſtets verjüngende Daſeyn, ſind
wir ſelber.
Daſs wir ſelber ſind, iſt unſer höchſter und edel¬
ſter Gedanke. —
Und von ſterblichen Lippen, läſst ſich kein erhab¬
neres Wort vom Schönen ſagen, als: es iſt!