Also
sprach Zarathustra .
Ein Buch
für
Alle und Keinen .
Von
Friedrich Nietzsche .
Vierter und letzter Theil .
LEIPZIG .
Druck und Verlag von C. G. Naumann .
1891 .
Uebersetzungsrecht vorbehalten .
Druck von C. G. Naumann in Leipzig
Ach , wo in der Welt geschahen grössere Thor¬
heiten , als bei den Mitleidigen ? Und was in der Welt
stiftete mehr Leid , als die Thorheiten der Mitleidigen ?
Wehe allen Liebenden , die nicht noch eine Höhe
haben , welche über ihrem Mitleiden ist !
Also sprach der Teufel einst zu mir : „ auch Gott
hat seine Hölle : das ist seine Liebe zu den Menschen . “
Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen : „ Gott
ist todt ; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist
Gott gestorben . “
Also sprach Zarathustra 2 p. 12 .
Das Honig-Opfer .
— Und wieder liefen Monde und Jahre über
Zarathustra's Seele , und er achtete dessen nicht ; sein
Haar aber wurde weiss . Eines Tages , als er auf
einem Steine vor seiner Höhle sass und still hinaus¬
schaute , — man schaut aber dort auf das Meer hin¬
aus , und hinweg über gewundene Abgründe — , da
giengen seine Thiere nachdenklich um ihn herum und
stellten sich endlich vor ihn hin .
„ Oh Zarathustra , sagten sie , schaust du wohl aus
nach deinem Glücke ? “ — „ Was liegt am Glücke ! ant¬
wortete er , ich trachte lange nicht mehr nach Glücke ,
ich trachte nach meinem Werke . “ — „ Oh Zarathustra ,
redeten die Thiere abermals , Das sagst du als Einer ,
der des Guten übergenug hat . Liegst du nicht in
einem himmelblauen See von Glück ? “ — „ Ihr Schalks-
Narren , antwortete Zarathustra und lächelte , wie gut
wähltet ihr das Gleichniss ! Aber ihr wisst auch , dass
mein Glück schwer ist und nicht wie eine flüssige
Wasserwelle : es drängt mich und will nicht von mir
und thut gleich geschmolzenem Peche . “ —
Da giengen die Thiere wieder nachdenklich um
ihn herum und stellten sich dann abermals vor ihn
hin . „ Oh Zarathustra , sagten sie , daher also kommt
es , dass du selber immer gelber und dunkler wirst , ob¬
schon dein Haar weiss und flächsern aussehen will ?
Siehe doch , du sitzest in deinem Peche ! “ — „ Was
sagt ihr da , meine Thiere , sagte Zarathustra und
lachte dazu , wahrlich , ich lästerte als ich von Peche
sprach . Wie mir geschieht , so geht es allen Früchten ,
die reif werden . Es ist der Honig in meinen Adern ,
der mein Blut dicker und auch meine Seele stiller
macht . “ — „ So wird es sein , oh Zarathustra , antwor¬
teten die Thiere und drängten sich an ihn ; willst du
aber nicht heute auf einen hohen Berg steigen ? Die
Luft ist rein , und man sieht heute mehr von der Welt
als jemals . “ — „ Ja , meine Thiere , antwortete er , ihr
rathet trefflich und mir nach dem Herzen : ich will
heute auf einen hohen Berg steigen ! Aber sorgt ,
dass dort Honig mir zur Hand sei , gelber , weisser ,
guter , eisfrischer Waben-Goldhonig . Denn wisset ,
ich will droben das Honig-Opfer bringen . “ —
Als Zarathustra aber oben auf der Höhe war ,
sandte er die Thiere heim , die ihn geleitet hatten ,
und fand , dass er nunmehr allein sei : — da lachte er
aus ganzem Herzen , sah sich um und sprach also :
Dass ich von Opfern sprach und Honig-Opfern ,
eine List war 's nur meiner Rede und , wahrlich , eine
nützliche Thorheit ! Hier oben darf ich schon freier
reden , als vor Einsiedler-Höhlen und Einsiedler-Haus¬
thieren .
Was opfern ! Ich verschwende , was mir geschenkt
wird , ich Verschwender mit tausend Händen : wie
dürfte ich Das noch — Opfern heissen !
Und als ich nach Honig begehrte , begehrte ich
nur nach Köder und süssem Seime und Schleime ,
nach dem auch Brummbären und wunderliche mür¬
rische böse Vögel die Zunge lecken :
— nach dem besten Köder , wie er Jägern und
Fischfängern noththut . Denn wenn die Welt wie
ein dunkler Thierwald ist und aller wilden Jäger
Lustgarten , so dünkt sie mich noch mehr und lieber
ein abgründliches reiches Meer ,
— ein Meer voll bunter Fische und Krebse , nach
dem es auch Götter gelüsten möchte , dass sie an ihm
zu Fischern würden und zu Netz-Auswerfern : so reich
ist die Welt an Wunderlichem , grossem und kleinem !
Sonderlich die Menschen-Welt , das Menschen-
Meer : — nach dem werfe ich nun meine goldene
Angelruthe aus und spreche : thue dich auf , du
Menschen-Abgrund !
Thue dich auf und wirf mir deine Fische und
Glitzer-Krebse zu ! Mit meinem besten Köder ködere
ich mir heute die wunderlichsten Menschen-Fische !
— mein Glück selber werfe ich hinaus in alle
Weiten und Fernen , zwischen Aufgang , Mittag und
Niedergang , ob nicht an meinem Glücke viele Menschen-
Fische zerrn und zappeln lernen .
Bis sie , anbeissend an meine spitzen verborgenen
Haken , hinauf müssen in meine Höhe , die buntesten
Abgrund-Gründlinge zu dem boshaftigsten aller
Menschen-Fischfänger .
Der nämlich bin ich von Grund und Anbeginn ,
ziehend , heranziehend , hinaufziehend , aufziehend , ein
Zieher , Züchter und Zuchtmeister , der sich nicht um¬
sonst einstmals zusprach : „ Werde , der du bist ! “
Also mögen nunmehr die Menschen zu mir hin¬
auf kommen : denn noch warte ich der Zeichen , dass
es Zeit sei zu meinem Niedergange ; noch gehe ich
selber nicht unter , wie ich muss , unter Menschen .
Dazu warte ich hier , listig und spöttisch auf
hohen Bergen , kein Ungeduldiger , kein Geduldiger ,
vielmehr Einer , der auch die Geduld verlernt hat , —
weil er nicht mehr „ duldet . “
Mein Schicksal nämlich lässt mir Zeit : es vergass
mich wohl ? Oder sitzt es hinter einem grossen Steine
im Schatten und fängt Fliegen ?
Und wahrlich , ich bin ihm gut darob , meinem
ewigen Schicksale , dass es mich nicht hetzt und
drängt und mir Zeit zu Possen lässt und Bosheiten :
also dass ich heute zu einem Fischfange auf diesen
hohen Berg stieg .
Fieng wohl je ein Mensch auf hohen Bergen
Fische ? Und wenn es auch eine Thorheit ist , was
ich hier oben will und treibe : besser noch Diess , als
dass ich da unten feierlich würde vor Warten und
grün und gelb —
— ein gespreitzter Zornschnauber vor Warten , ein
heiliger Heule-Sturm aus Bergen , ein Ungeduldiger ,
der in die Thäler hinab ruft : „ Hört , oder ich peitsche
euch mit der Geissel Gottes ! “
Nicht dass ich solchen Zürnern darob gram würde :
zum Lachen sind sie mir gut genung ! Ungeduldig
müssen sie schon sein , diese grossen Lärmtrommeln ,
welche heute oder niemals zu Worte kommen !
Ich aber und mein Schicksal — wir reden nicht
zum Heute , wir reden auch nicht zum Niemals : wir
haben zum Reden schon Geduld und Zeit und Über¬
zeit . Denn einst muss er doch kommen und darf
nicht vorübergehn .
Wer muss einst kommen und darf nicht vorüber¬
gehn ? Unser grosser Hazar , das ist unser grosses
fernes Menschen-Reich , das Zarathustra-Reich von
tausend Jahren — —
Wie ferne mag solches „ Ferne “ sein ? was geht 's
mich an ! Aber darum steht es mir doch nicht minder
fest — , mit beiden Füssen stehe ich sicher auf diesem
Grunde ,
— auf einem ewigen Grunde , auf hartem Urge¬
steine , auf diesem höchsten härtesten Urgebirge , zu
dem alle Winde kommen als zur Wetterscheide , fragend
nach Wo ? und Woher ? und Wohinaus ?
Hier lache , lache , meine helle heile Bosheit ! Von
hohen Bergen wirf hinab dein glitzerndes Spott-
Gelächter ! Ködere mit deinem Glitzern mir die
schönsten Menschen-Fische !
Und was in allen Meeren mir zugehört , mein
An-und- für- mich in allen Dingen — Das fische mir
heraus , Das führe zu mir herauf : dess warte ich , der
boshaftigste aller Fischfänger .
Hinaus , hinaus , meine Angel ! Hinein , hinab ,
Köder meines Glücks ! Träufle deinen süssesten Thau ,
mein Herzens-Honig ! Beisse , meine Angel , in den
Bauch aller schwarzen Trübsal !
Hinaus , hinaus , mein Auge ! Oh welche vielen
Meere rings um mich , welch' dämmernde Menschen-
Zukünfte ! Und über mir — welch rosenrothe Stille !
Welch entwölktes Schweigen !
Der Nothschrei .
Des nächsten Tages sass Zarathustra wieder auf
seinem Steine vor der Höhle , während die Thiere
draussen in der Welt herumschweiften , dass sie neue
Nahrung heimbrächten , — auch neuen Honig : denn
Zarathustra hatte den alten Honig bis auf das letzte
Korn verthan und verschwendet . Als er aber der¬
maassen dasass , mit einem Stecken in der Hand , und
den Schatten seiner Gestalt auf der Erde abzeichnete ,
nachdenkend , und wahrlich ! nicht über sich und seinen
Schatten — da erschrak er mit Einem Male und fuhr
zusammen : denn er sahe neben seinem Schatten noch
einen andern Schatten . Und wie er schnell um sich
blickte und aufstand , siehe , da stand der Wahrsager
neben ihm , der selbe , den er einstmals an seinem
Tische gespeist und getränkt hatte , der Verkündiger
der grossen Müdigkeit , welcher lehrte : „ Alles ist
gleich , es lohnt sich Nichts , Welt ist ohne Sinn ,
Wissen würgt . “ Aber sein Antlitz hatte sich in¬
zwischen verwandelt ; und als ihm Zarathustra in die
Augen blickte , wurde sein Herz abermals erschreckt :
so viel schlimme Verkündigungen und aschgraue
Blitze liefen über diess Gesicht .
Der Wahrsager , der es wahrgenommen , was sich
in Zarathustra's Seele zutrug , wischte mit der Hand
über sein Antlitz hin , wie als ob er dasselbe weg¬
wischen wollte ; desgleichen that auch Zarathustra .
Und als Beide dergestalt sich schweigend gefasst und
gekräftigt hatten , gaben sie sich die Hände , zum
Zeichen , dass sie sich wiedererkennen wollten .
„ Sei mir willkommen , sagte Zarathustra , du Wahr¬
sager der grossen Müdigkeit , du sollst nicht umsonst
einstmals mein Tisch- und Gastfreund gewesen sein .
Iss und trink auch heute bei mir und vergieb es ,
dass ein vergnügter alter Mann mit dir zu Tische
sitzt ! “ — „ Ein vergnügter alter Mann ? antwortete
der Wahrsager , den Kopf schüttelnd : wer du aber
auch bist oder sein willst , oh Zarathustra , du bist es
zum Längsten hier Oben gewesen , — dein Nachen
soll über Kurzem nicht mehr im Trocknen sitzen ! “ —
„Sitze ich denn im Trocknen ? “ fragte Zarathustra
lachend . — „ Die Wellen um deinen Berg , antwortete
der Wahrsager , steigen und steigen , die Wellen grosser
Noth und Trübsal : die werden bald auch deinen Nachen
heben und dich davontragen . “ — Zarathustra schwieg
hierauf und wunderte sich . — „ Hörst du noch Nichts ?
fuhr der Wahrsager fort : rauscht und braust es nicht
herauf aus der Tiefe ? “ — Zarathustra schwieg abermals
und horchte : da hörte er einen langen , langen Schrei ,
welchen die Abgründe sich zuwarfen und weitergaben ,
denn keiner wollte ihn behalten : so böse klang er .
„ Du schlimmer Verkündiger , sprach endlich Zara¬
thustra , das ist ein Nothschrei und der Schrei eines
Menschen ; der mag wohl aus einem schwarzen Meere
kommen . Aber was geht mich Menschen-Noth an !
Meine letzte Sünde , die mir aufgespart blieb , — weisst
du wohl , wie sie heisst ? “
— „ Mitleiden ! “ antwortete der Wahrsager aus
einem überströmenden Herzen und hob beide Hände
empor — „ oh Zarathustra , ich komme , dass ich dich
zu deiner letzten Sünde verführe ! “ —
Und kaum waren diese Worte gesprochen , da er¬
scholl der Schrei abermals , und länger und ängstlicher
als vorher , auch schon viel näher . „ Hörst du ? Hörst
du , oh Zarathustra ? rief der Wahrsager , dir gilt der
Schrei , dich ruft er : komm , komm , komm , es ist Zeit ,
es ist höchste Zeit ! “ —
Zarathustra schwieg hierauf , verwirrt und er¬
schüttert ; endlich fragte er , wie Einer , der bei sich
selber zögert : „ Und wer ist das , der dort mich ruft ? “
„ Aber du weisst es ja , antwortete der Wahrsager
heftig , was verbirgst du dich ? Der höhere Mensch
ist es , der nach dir schreit ! “
„ Der höhere Mensch ? schrie Zarathustra von
Grausen erfasst : was will der ? Was will der ? Der
höhere Mensch ! Was will der hier ? “ — und seine
Haut bedeckte sich mit Schweiss .
Der Wahrsager aber antwortete nicht auf die
Angst Zarathustra's , sondern horchte und horchte
nach der Tiefe zu . Als es jedoch lange Zeit dort
stille blieb , wandte er seinen Blick zurück und sahe
Zarathustra stehn und zittern .
„ Oh Zarathustra , hob er mit trauriger Stimme
an , du stehst nicht da wie Einer , den sein Glück
drehend macht : du wirst tanzen müssen , dass du mir
nicht umfällst !
Aber wenn du auch vor mir tanzen wolltest und
alle deine Seitensprünge springen : Niemand soll mir
doch sagen dürfen : „ Siehe , hier tanzt der letzte frohe
Mensch ! “
Umsonst käme Einer auf diese Höhe , der den
hier suchte : Höhlen fände er wohl und Hinter-Höhlen ,
Verstecke für Versteckte , aber nicht Glücks-Schachte
und Schatzkammern und neue Glücks-Goldadern .
Glück — wie fände man wohl das Glück bei
solchen Vergrabenen und Einsiedlern ! Muss ich das
letzte Glück noch auf glückseligen Inseln suchen und
ferne zwischen vergessenen Meeren ?
Aber Alles ist gleich , es lohnt sich Nichts , es
hilft kein Suchen , es giebt auch keine glückseligen
Inseln mehr ! “ — —
Also seufzte der Wahrsager ; bei seinem letzten
Seufzer aber wurde Zarathustra wieder hell und
sicher , gleich Einem , der aus einem tiefen Schlunde
an's Licht kommt . „ Nein ! Nein ! Drei Mal Nein !
rief er mit starker Stimme und strich sich den Bart —
Das weiss ich besser ! Es giebt noch glückselige
Inseln ! Stille davon , du seufzender Trauersack !
Höre davon auf zu plätschern , du Regenwolke
am Vormittag ! Stehe ich denn nicht schon da , nass
von deiner Trübsal und begossen wie ein Hund ?
Nun schüttle ich mich und laufe dir davon , dass
ich wieder trocken werde : dess darfst du nicht Wunder
haben ! Dünke ich dir unhöflich ? Aber hier ist
mein Hof .
Was aber deinen höheren Menschen angeht :
wohlan ! ich suche ihn flugs in jenen Wäldern : da¬
her kam sein Schrei . Vielleicht bedrängt ihn da ein
böses Thier .
Er ist in meinem Bereiche : darin soll er mir
nicht zu Schaden kommen ! Und wahrlich , es giebt
viele böse Thiere bei mir . “ —
Mit diesen Worten wandte sich Zarathustra zum
Gehen . Da sprach der Wahrsager : „ Oh Zarathustra ,
du bist ein Schelm !
Ich weiss es schon : du willst mich los sein ! Lieber
noch läufst du in die Wälder und stellst bösen Thieren
nach !
Aber was hilft es dir ? Des Abends wirst du doch
mich wiederhaben ; in deiner eignen Höhle werde ich
dasitzen , geduldig und schwer wie ein Klotz — und
auf dich warten ! “
„ So sei's ! rief Zarathustra zurück im Fortgehn :
und was mein ist in meiner Höhle , gehört auch dir ,
meinem Gastfreunde !
Solltest du aber drin noch Honig finden , wohlan !
so lecke ihn nur auf , du Brummbär , und versüsse
deine Seele ! Am Abende nämlich wollen wir Beide
guter Dinge sein ,
— guter Dinge und froh darob , dass dieser Tag
zu Ende gieng ! Und du selber sollst zu meinen
Liedern als mein Tanzbär tanzen .
Du glaubst nicht daran ? Du schüttelst den Kopf ?
Wohlan ! Wohlauf ! Alter Bär ! Aber auch ich — bin
ein Wahrsager . “
Also sprach Zarathustra .
Gespräch mit den Königen .
1.
Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen
und Wäldern unterwegs , da sahe er mit Einem Male
einen seltsamen Aufzug . Gerade auf dem Wege , den
er hinabwollte , kamen zwei Könige gegangen , mit
Kronen und Purpurgürteln geschmückt und bunt wie
Flamingo-Vögel : die trieben einen beladenen Esel vor
sich her . „ Was wollen diese Könige in meinem Reiche ? “
sprach Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und
versteckte sich geschwind hinter einem Busche . Als
aber die Könige bis zu ihm herankamen , sagte er ,
halblaut , wie Einer , der zu sich allein redet : „ Seltsam !
Seltsam ! Wie reimt sich Das zusammen ? Zwei Könige
sehe ich — und nur Einen Esel ! “
Da machten die beiden Könige Halt , lächelten ,
sahen nach der Stelle hin , woher die Stimme kam
und sahen sich nachher selber in's Gesicht . „ Solcherlei
denkt man wohl auch unter uns , sagte der König zur
Rechten , aber man spricht es nicht aus . “
Der König zur Linken aber zuckte mit den Achseln
und antwortete : „ Das mag wohl ein Ziegenhirt sein .
Oder ein Einsiedler , der zu lange unter Felsen und
Bäumen lebte . Gar keine Gesellschaft nämlich ver¬
dirbt auch die guten Sitten . “
„ Die guten Sitten ? entgegnete unwillig und bitter
der andre König : wem laufen wir denn aus dem Wege ?
Ist es nicht den „ guten Sitten “ ? Unsrer „ guten Gesell¬
schaft “ ?
Lieber , wahrlich , unter Einsiedlern und Ziegenhirten
als mit unserm vergoldeten falschen überschminkten
Pöbel leben , — ob er sich schon „ gute Gesellschaft “
heisst ,
— ob er sich schon „ Adel “ heisst . Aber da ist
Alles falsch und faul , voran das Blut , Dank alten
schlechten Krankheiten und schlechteren Heil-Künstlern .
Der Beste und Liebste ist mir heute noch ein
gesunder Bauer , grob , listig , hartnäckig , langhaltig :
das ist heute die vornehmste Art .
Der Bauer ist heute der beste ; und Bauern-Art
sollte Herr sein ! Aber es ist das Reich des Pöbels ,
— ich lasse mir Nichts mehr vormachen . Pöbel aber ,
das heisst : Mischmasch .
Pöbel-Mischmasch : darin ist Alles in Allem durch¬
einander , Heiliger und Hallunke und Junker und Jude
und jeglich Vieh aus der Arche Noäh .
Gute Sitten ! Alles ist bei uns falsch und faul .
Niemand weiss mehr zu verehren : dem gerade laufen
wir davon . Es sind süssliche zudringliche Hunde , sie
vergolden Palmenblätter .
Dieser Ekel würgt mich , dass wir Könige selber
falsch wurden , überhängt und verkleidet durch alten
vergilbten Grossväter-Prunk , Schaumünzen für die
Dümmsten und die Schlauesten und wer heute Alles
mit der Macht Schacher treibt !
Wir sind nicht die Ersten — und müssen es doch
bedeuten : dieser Betrügerei sind wir endlich satt und
ekel geworden .
Dem Gesindel giengen wir aus dem Wege , allen
diesen Schreihälsen und Schreib-Schmeissfliegen , dem
Krämer-Gestank , dem Ehrgeiz-Gezappel , dem üblen
Athem — : pfui , unter dem Gesindel leben ,
— pfui , unter dem Gesindel die Ersten zu bedeuten !
Ach , Ekel ! Ekel ! Ekel ! Was liegt noch an uns
Königen ! “ —
„ Deine alte Krankheit fällt dich an , sagte hier der
König zur Linken , der Ekel fällt dich an , mein armer
Bruder . Aber du weisst es doch , es hört uns Einer zu . “
Sofort erhob sich Zarathustra , der zu diesen Reden
Ohren und Augen aufgesperrt hatte , aus seinem
Schlupfwinkel , trat auf die Könige zu und begann :
„ Der Euch zuhört , der Euch gerne zuhört , ihr
Könige , der heisst Zarathustra .
Ich bin Zarathustra , der einst sprach : „ Was liegt
noch an Königen ! “ Vergebt mir , ich freute mich , als
Ihr zu einander sagtet : „ Was liegt an uns Königen ! “
Hier aber ist mein Reich und meine Herrschaft :
was mögt Ihr wohl in meinem Reiche suchen ? Viel¬
leicht aber fandet Ihr unterwegs , was ich suche :
nämlich den höheren Menschen . “
Als Diess die Könige hörten , schlugen sie sich an
die Brust und sprachen mit Einem Munde : „ Wir
sind erkannt !
Mit dem Schwerte dieses Wortes zerhaust du
unsres Herzens dickste Finsterniss . Du entdecktest
unsre Noth , denn siehe ! Wir sind unterwegs , dass
wir den höheren Menschen fänden —
2
— den Menschen , der höher ist als wir : ob wir
gleich Könige sind . Ihm führen wir diesen Esel zu .
Der höchste Mensch nämlich soll auf Erden auch der
höchste Herr sein .
Es giebt kein härteres Unglück in allem Menschen-
Schicksale , als wenn die Mächtigen der Erde nicht
auch die ersten Menschen sind . Da wird Alles falsch
und schief und ungeheuer .
Und wenn sie gar die letzten sind und mehr Vieh
als Mensch : da steigt und steigt der Pöbel im Preise ,
und endlich spricht gar die Pöbel-Tugend : „ siehe ,
ich allein bin Tugend ! “ —
Was hörte ich eben ? antwortete Zarathustra ;
welche Weisheit bei Königen ! Ich bin entzückt , und ,
wahrlich , schon gelüstet's mich , einen Reim darauf zu
machen : —
— mag es auch ein Reim werden , der nicht für
Jedermanns Ohren taugt . Ich verlernte seit langem
schon die Rücksicht auf lange Ohren . Wohlan !
Wohlauf !
( Hier aber geschah es , dass auch der Esel zu
Worte kam : er sagte aber deutlich und mit bösem
Willen I-A. )
Einstmals — ich glaub' , im Jahr des Heiles Eins —
Sprach die Sibylle , trunken sonder Weins :
„ Weh , nun geht's schief !
„Verfall ! Verfall ! Nie sank die Welt so tief !
„Rom sank zur Hure und zur Huren-Bude ,
„Rom 's Caesar sank zum Vieh , Gott selbst —
ward Jude ! “
2.
An diesen Reimen Zarathustra's weideten sich die
Könige ; der König zur Rechten aber sprach : „ oh
Zarathustra , wie gut thaten wir , dass wir auszogen ,
dich zu sehn !
Deine Feinde nämlich zeigten uns dein Bild in
ihrem Spiegel : da blicktest du mit der Fratze eines
Teufels und hohnlachend : also dass wir uns vor dir
fürchteten .
Aber was half's ! Immer wieder stachst du uns in
Ohr und Herz mit deinen Sprüchen . Da sprachen
wir endlich : was liegt daran , wie er aussieht !
Wir müssen ihn hören , ihn , der lehrt „ ihr sollt
den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen , und
den kurzen Frieden mehr als den langen ! “
Niemand sprach je so kriegerische Worte : „ Was
ist gut ? Tapfer sein ist gut . Der gute Krieg ist's ,
der jede Sache heiligt . “
Oh Zarathustra , unsrer Väter Blut rührte sich bei
solchen Worten in unserm Leibe : das war wie die
Rede des Frühlings zu alten Weinfässern .
Wenn die Schwerter durcheinander liefen gleich
rothgefleckten Schlangen , da wurden unsre Väter dem
Leben gut ; alles Friedens Sonne dünkte sie flau und
lau , der lange Frieden aber machte Scham .
Wie sie seufzten , unsre Väter , wenn sie an der
Wand blitzblanke ausgedorrte Schwerter sahen ! Denen
gleich dürsteten sie nach Krieg . Ein Schwert nämlich
will Blut trinken und funkelt vor Begierde . “ — —
— Als die Könige dergestalt mit Eifer von dem
Glück ihrer Väter redeten und schwätzten , überkam
2 *
Zarathustra keine kleine Lust , ihres Eifers zu spotten :
denn ersichtlich waren es sehr friedfertige Könige ,
welche er vor sich sah , solche mit alten und feinen
Gesichtern . Aber er bezwang sich . „ Wohlan ! sprach
er , dorthin führt der Weg , da liegt die Höhle Zara¬
thustra's ; und dieser Tag soll einen langen Abend
haben ! Jetzt aber ruft mich eilig ein Nothschrei fort
von Euch .
Es ehrt meine Höhle , wenn Könige in ihr sitzen
und warten wollen : aber , freilich , Ihr werdet lange
warten müssen !
Je nun ! Was thut's ! Wo lernt man heute besser
warten als an Höfen ? Und der Könige ganze Tugend ,
die ihnen übrig blieb , — heisst sie heute nicht :
Warten - können ? “
Also sprach Zarathustra .
Der Blutegel .
Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und
tiefer , durch Wälder und vorbei an moorigen Gründen ;
wie es aber Jedem ergeht , der über schwere Dinge
nachdenkt , so trat er unversehens dabei auf einen
Menschen . Und siehe , da sprützten ihm mit Einem
Male ein Weheschrei und zwei Flüche und zwanzig
schlimme Schimpfworte in's Gesicht : also dass er in
seinem Schrecken den Stock erhob und auch auf den
Getretenen noch zuschlug . Gleich darauf aber kam
ihm die Besinnung ; und sein Herz lachte über die
Thorheit , die er eben gethan hatte .
„ Vergieb , sagte er zu dem Getretenen , der sich
grimmig erhoben und gesetzt hatte , vergieb und ver¬
nimm vor Allem erst ein Gleichniss .
Wie ein Wanderer , der von fernen Dingen träumt ,
unversehens auf einsamer Strasse einen schlafenden
Hund anstösst , einen Hund , der in der Sonne liegt :
— wie da Beide auffahren , sich anfahren , Tod¬
feinden gleich , diese zwei zu Tod Erschrockenen : also
ergieng es uns .
Und doch ! Und doch — wie Wenig hat gefehlt ,
dass sie einander liebkosten , dieser Hund und dieser
Einsame ! Sind sie doch Beide — Einsame !
— „ Wer du auch sein magst , sagte immer noch
grimmig der Getretene , du trittst mir auch mit deinem
Gleichniss zu nahe , und nicht nur mit deinem Fusse !
Siehe doch , bin ich denn ein Hund ? “ — und dabei
erhob sich der Sitzende und zog seinen nackten Arm
aus dem Sumpfe . Zuerst nämlich hatte er ausgestreckt
am Boden gelegen , verborgen und unkenntlich gleich
Solchen , die einem Sumpf-Wilde auflauern .
„ Aber was treibst du doch ! “ rief Zarathustra er¬
schreckt , denn sahe , dass über den nackten Arm
weg viel Blut floss , — „ was ist dir zugestossen ? Biss
dich , du Unseliger , ein schlimmes Thier ? “
Der Blutende lachte , immer noch erzürnt . „ Was
geht 's dich an ! sagte er und wollte weitergehn . Hier
bin ich heim und in meinem Bereiche . Mag mich
fragen , wer da will : einem Tölpel aber werde ich
schwerlich antworten . “
„ Du irrst , sagte Zarathustra mitleidig und hielt ihn
fest , du irrst : hier bist du nicht bei dir , sondern in
meinem Reiche , und darin soll mir Keiner zu Schaden
kommen .
Nenne mich aber immerhin , wie du willst , — ich
bin , der ich sein muss . Ich selber heisse mich Zara¬
thustra .
Wohlan ! Dort hinauf geht der Weg zu Zara¬
thustra's Höhle : die ist nicht fern , — willst du nicht
bei mir deiner Wunden warten ?
Es gieng dir schlimm , du Unseliger , in diesem
Leben : erst biss dich das Thier , und dann — trat
dich der Mensch ! “ — —
Als aber der Getretene den Namen Zarathustra's
hörte , verwandelte er sich . „ Was geschieht mir doch !
rief er aus , wer kümmert mich denn noch in diesem
Leben , als dieser Eine Mensch , nämlich Zarathustra ,
und jenes Eine Thier , das vom Blute lebt , der Blutegel ?
Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe
wie ein Fischer , und schon war mein ausgehängter Arm
zehn Mal angebissen , da beisst noch ein schönerer Igel
nach meinem Blute , Zarathustra selber !
Oh Glück ! Oh Wunder ! Gelobt sei dieser Tag ,
der mich in diesen Sumpf lockte ! Gelobt sei der beste
lebendigste Schröpfkopf , der heut lebt , gelobt sei der
grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra ! “ —
Also sprach der Getretene ; und Zarathustra freute
sich über seine Worte und ihre feine ehrfürchtige Art .
„ Wer bist du ? fragte er und reichte ihm die Hand ,
zwischen uns bleibt Viel aufzuklären und aufzuheitern :
aber schon , dünkt mich , wird es reiner heller Tag . “
„ Ich bin der Gewissenhafte des Geistes ,
antwortete der Gefragte , und in Dingen des Geistes
nimmt es nicht leicht Einer strenger , enger und härter
als ich , ausgenommen Der , von dem ich's lernte , Zara¬
thustra selber .
Lieber Nichts wissen , als Vieles halb wissen ! Lieber
ein Narr sein auf eigne Faust , als ein Weiser nach
fremdem Gutdünken ! Ich — gehe auf den Grund :
— was liegt daran , ob er gross oder klein ist ? Ob
er Sumpf oder Himmel heisst ? Eine Hand breit Grund
ist mir genung : wenn er nur wirklich Grund und Boden ist !
— eine Hand breit Grund : darauf kann man stehn .
In der rechten Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts
Grosses und nichts Kleines . “
„ So bist du vielleicht der Erkenner des Blutegels ?
fragte Zarathustra ; und du gehst dem Blutegel nach
bis auf die letzten Gründe , du Gewissenhafter ? “
„ Oh Zarathustra , antwortete der Getretene , das
wäre ein Ungeheures , wie dürfte ich mich dessen
unterfangen !
Wess ich aber Meister und Kenner bin , das ist
des Blutegels Hirn : — das ist meine Welt !
Und es ist auch eine Welt ! Vergieb aber , dass
hier mein Stolz zu Worte kommt , denn ich habe hier
nicht meines Gleichen . Darum sprach ich „ hier bin
ich heim . “
Wie lange gehe ich schon diesem Einen nach , dem
Hirn des Blutegels , dass die schlüpfrige Wahrheit mir
hier nicht mehr entschlüpfe ! Hier ist mein Reich !
— darob warf ich alles Andere fort , darob wurde
mir alles Andre gleich ; und dicht neben meinem Wissen
lagert mein schwarzes Unwissen .
Mein Gewissen des Geistes will es so von mir ,
dass ich Eins weiss und sonst Alles nicht weiss : es
ekelt mich aller Halben des Geistes , aller Dunstigen ,
Schwebenden , Schwärmerischen .
Wo meine Redlichkeit aufhört , bin ich blind und
will auch blind sein . Wo ich aber wissen will , will
ich auch redlich sein , nämlich hart , streng , eng , grau¬
sam , unerbittlich .
Dass du einst sprachst , oh Zarathustra : „ Geist ist
das Leben , das selber in's Leben schneidet “ , das führte
und verführte mich zu deiner Lehre . Und , wahrlich ,
mit eignem Blute mehrte ich mir das eigne Wissen ! “
— „ Wie der Augenschein lehrt , “ fiel Zarathustra
ein ; denn immer noch floss das Blut an dem nackten
Arme des Gewissenhaften herab . Es hatten nämlich
zehn Blutegel sich in denselben eingebissen .
„ Oh du wunderlicher Gesell , wie Viel lehrt mich
dieser Augenschein da , nämlich du selber ! Und nicht
Alles dürfte ich vielleicht in deine strengen Ohren
giessen !
Wohlan ! So scheiden wir hier ! Doch möchte ich
gerne dich wiederfinden . Dort hinauf führt der Weg
zu meiner Höhle : heute Nacht sollst du dort mein
lieber Gast sein !
Gerne möchte ich 's auch an deinem Leibe wieder
gut machen , dass Zarathustra dich mit Füssen trat :
darüber denke ich nach . Jetzt aber ruft mich ein
Nothschrei eilig fort von dir . “
Also sprach Zarathustra .
Der Zauberer .
1.
Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog ,
da sahe er , nicht weit unter sich , auf dem gleichen
Wege , einen Menschen , der die Glieder warf wie ein
Tobsüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde nieder¬
stürzte . „ Halt ! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen ,
Der dort muss wohl der höhere Mensch sein , von ihm
kam jener schlimme Nothschrei , — ich will sehn , ob da
zu helfen ist . “ Als er aber hinzulief , an die Stelle , wo
der Mensch auf dem Boden lag , fand er einen zitternden
alten Mann mit stieren Augen ; und wie sehr sich
Zarathustra mühte , dass er ihn aufrichte und wieder
auf seine Beine stelle , es war umsonst . Auch schien
der Unglückliche nicht zu merken , dass Jemand um ihn
sei ; vielmehr sah er sich immer mit rührenden Gebär¬
den um , wie ein von aller Welt Verlassener und Ver¬
einsamter . Zuletzt aber , nach vielem Zittern , Zucken
und Sich-zusammen-Krümmen , begann er also zu
jammern :
Wer wärmt mich , wer liebt mich noch ?
Gebt heisse Hände !
gebt Herzens-Kohlenbecken !
Hingestreckt , schaudernd ,
Halbtodtem gleich , dem man die Füsse wärmt —
geschüttelt , ach ! von unbekannten Fiebern ,
zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen ,
von dir gejagt , Gedanke !
Unnennbarer ! Verhüllter ! Entsetzlicher !
du Jäger hinter Wolken !
darniedergeblitzt von dir ,
du höhnisch Auge , das mich aus Dunklem anblickt :
— so liege ich ,
biege mich , winde mich , gequält
von allen ewigen Martern ,
getroffen
von dir , grausamster Jäger ,
du unbekannter — Gott ...
Triff tiefer !
Triff Ein Mal noch !
Zerstich , zerbrich diess Herz !
Was soll diess Martern
mit zähnestumpfen Pfeilen ?
Was blickst du wieder ,
der Menschen-Qual nicht müde ,
mit schadenfrohen Götter-Blitz-Augen ?
Nicht tödten willst du ,
nur martern , martern ?
Wozu — mich martern ,
du schadenfroher unbekannter Gott ? —
Haha !
Du schleichst heran
bei solcher Mitternacht ? ...
Was willst du ?
Sprich !
Du drängst mich , drückst mich —
Ha ! schon viel zu nahe !
Du hörst mich athmen ,
du behorchst mein Herz ,
du Eifersüchtiger !
— worauf doch eifersüchtig ?
Weg ! Weg !
Wozu die Leiter ?
Willst du hinein ,
in's Herz , einsteigen ,
in meine heimlichsten
Gedanken einsteigen ?
Schamloser ! Unbekannter ! — Dieb !
Was willst du dir erstehlen ?
Was willst du dir erhorchen ?
Was willst du dir erfoltern ,
du Folterer !
du — Henker-Gott !
Oder soll ich , dem Hunde gleich ,
vor dir mich wälzen ?
hingebend , begeistert-ausser- mir ,
dir Liebe — zuwedeln !
Umsonst !
Stich weiter !
grausamster Stachel !
Kein Hund — dein Wild nur bin ich ,
grausamster Jäger !
dein stolzester Gefangner ,
du Räuber hinter Wolken ...
Sprich endlich ,
du Blitz-Verhüllter ! Unbekannter ! sprich !
Was willst du , Wegelagerer , von — mir ? .. .
Wie ?
Lösegeld ?
Was willst du Lösegelds ?
Verlange Viel — das räth mein Stolz !
und rede kurz — das räth mein andrer Stolz !
Haha !
Mich — willst du ? mich ?
mich — ganz ? ...
Haha !
Und marterst mich , Narr , der du bist ,
zermarterst meinen Stolz ?
Gieb Liebe mir — wer wärmt mich noch ?
wer liebt mich noch ? —
gieb heisse Hände ,
gieb Herzens-Kohlenbecken ,
gieb mir , dem Einsamsten ,
den Eis , ach ! siebenfaches Eis
nach Feinden selber ,
nach Feinden schmachten lehrt ,
gieb , ja ergieb ,
grausamster Feind ,
mir — dich ! — —
Davon !
Da floh er selber ,
mein einziger Genoss ,
mein grosser Feind ,
mein Unbekannter ,
mein Henker-Gott ! .. .
— Nein !
Komm zurück !
mit allen deinen Martern !
All meine Thränen laufen
zu dir den Lauf !
Und meine letzte Herzensflamme —
dir glüht sie auf !
Oh komm zurück ,
mein unbekannter Gott ! mein Schmerz !
mein letztes Glück !
2.
— Hier aber konnte sich Zarathustra nicht länger
halten , nahm seinen Stock und schlug mit allen Kräften
auf den Jammernden los . „ Halt ein ! schrie er ihm zu ,
mit ingrimmigem Lachen , halt ein , du Schauspieler !
Du Falschmünzer ! Du Lügner aus dem Grunde ! Ich
erkenne dich wohl !
Ich will dir schon warme Beine machen , du schlimmer
Zauberer , ich verstehe mich gut darauf , Solchen wie du
bist — einzuheizen ! “
— „ Lass ab , sagte der alte Mann und sprang vom
Boden auf , schlage nicht mehr , oh Zarathustra ! Ich
trieb 's also nur zum Spiele !
Solcherlei gehört zu meiner Kunst ; dich selber
wollte ich auf die Probe stellen , als ich dir diese Probe
gab ! Und , wahrlich , du hast mich gut durchschaut !
Aber auch du — gabst mir von dir keine kleine
Probe , du bist hart , du weiser Zarathustra ! Hart
schlägst du zu mit deinen „ Wahrheiten “ , dein Knüttel
erzwingt von mir — diese Wahrheit ! “
— „ Schmeichle nicht , antwortete Zarathustra , immer
noch erregt und finsterblickend , du Schauspieler aus dem
Grunde ! Du bist falsch : was redest du — von Wahrheit !
Du Pfau der Pfauen , du Meer der Eitelkeit , was
spieltest du vor mir , du schlimmer Zauberer , an wen
sollte ich glauben , als du in solcher Gestalt jammertest ? “
„ Den Büsser des Geistes , sagte der alte Mann ,
den — spielte ich : du selber erfandest einst diess
Wort —
— den Dichter und Zauberer , der gegen sich selber
endlich seinen Geist wendet , den Verwandelten , der an
seinem bösen Wissen und Gewissen erfriert .
Und gesteh es nur ein : es währte lange , oh Zara¬
thustra , bis du hinter meine Kunst und Lüge kamst ! Du
glaubtest an meine Noth , als du mir den Kopf mit
beiden Händen hieltest , —
— ich hörte dich jammern „ man hat ihn zu wenig
geliebt , zu wenig geliebt ! “ Dass ich dich soweit betrog ,
darüber frohlockte inwendig meine Bosheit . “
„ Du magst Feinere betrogen haben als mich , sagte
Zarathustra hart . Ich bin nicht auf der Hut vor Be¬
trügern , ich muss ohne Vorsicht sein : so will es mein
Loos .
Du aber — musst betrügen : so weit kenne ich
dich ! Du musst immer zwei- drei- vier- und fünfdeutig
sein ! Auch was du jetzt bekanntest , war mir lange
nicht wahr und nicht falsch genung !
Du schlimmer Falschmünzer , wie könntest du anders !
Deine Krankheit würdest du noch schminken , wenn du
dich deinem Arzte nackt zeigtest .
So schminktest du eben vor mir deine Lüge , als du
sprachst : „ ich trieb 's also nur zum Spiele ! “ Es war
auch Ernst darin , du bist Etwas von einem Büsser
des Geistes !
Ich errathe dich wohl : du wurdest der Bezauberer
Aller , aber gegen dich hast du keine Lüge und List
mehr übrig , — du selber bist dir entzaubert !
Du erntetest den Ekel ein , als deine Eine Wahrheit .
Kein Wort ist mehr an dir ächt , aber dein Mund : näm¬
lich der Ekel , der an deinem Munde klebt . “
— „ Wer bist du doch ! schrie hier der alte Zauberer
mit einer trotzigen Stimme , wer darf also zu mir reden ,
dem Grössten , der heute lebt ? “ — und ein grüner Blitz
schoss aus seinem Auge nach Zarathustra . Aber gleich
darauf verwandelte er sich und sagte traurig :
„ Oh Zarathustra , ich bin 's müde , es ekelt mich meiner
Künste , ich bin nicht gross , was verstelle ich mich !
Aber , du weisst es wohl — ich suchte nach Grösse !
Einen grossen Menschen wollte ich vorstellen und
überredete Viele : aber diese Lüge gieng über meine
Kraft . An ihr zerbreche ich .
Oh Zarathustra , Alles ist Lüge an mir ; aber dass ich
zerbreche — diess mein Zerbrechen ist ächt ! “ —
„ Es ehrt dich , sprach Zarathustra düster und zur
Seite niederblickend , es ehrt dich , dass du nach Grösse
suchtest , aber es verräth dich auch . Du bist nicht gross .
Du schlimmer alter Zauberer , das ist dein Bestes
und Redlichstes , was ich an dir ehre , dass du deiner
müde wurdest und es aussprachst : „ ich bin nicht
gross . “
Darin ehre ich dich als einen Büsser des Geistes :
und wenn auch nur für einen Hauch und Husch , diesen
Einen Augenblick warst du — ächt .
Aber sprich , was suchst du hier in meinen Wäl¬
dern und Felsen ? Und wenn du mir dich in den Weg
legtest , welche Probe wolltest du von mir ? —
— wess versuchtest du mich ? “ —
Also sprach Zarathustra , und seine Augen funkelten .
Der alte Zauberer schwieg eine Weile , dann sagte er :
„ Versuchte ich dich ? Ich — suche nur .
Oh Zarathustra , ich suche einen Ächten , Rechten ,
Einfachen , Eindeutigen , einen Menschen aller Redlich¬
keit , ein Gefäss der Weisheit , einen Heiligen der Er¬
kenntniss , einen grossen Menschen !
Weisst du es denn nicht , oh Zarathustra ? Ich
suche Zarathustra . “
— Und hier entstand ein langes Stillschweigen
zwischen Beiden ; Zarathustra aber versank tief hinein
in sich selber , also dass er die Augen schloss . Dann
aber , zu seinem Unterredner zurückkehrend , ergriff er
die Hand des Zauberers und sprach , voller Artigkeit
und Arglist :
„ Wohlan ! Dort hinauf führt der Weg , da liegt die
Höhle Zarathustra's . In ihr darfst du suchen , wen du
finden möchtest .
Und frage meine Thiere um Rath , meinen Adler
und meine Schlange : die sollen dir suchen helfen .
Meine Höhle aber ist gross .
3
Ich selber freilich — ich sah noch keinen grossen
Menschen . Was gross ist , dafür ist das Auge der
Feinsten heute grob . Es ist das Reich des Pöbels .
So Manchen fand ich schon , der streckte und blähte
sich , und das Volk schrie : „ Seht da , einen grossen
Menschen ! “ Aber was helfen alle Blasebälge ! Zuletzt
fährt der Wind heraus .
Zuletzt platzt ein Frosch , der sich zu lange aufblies :
da fährt der Wind heraus . Einem Geschwollnen in den
Bauch stechen , das heisse ich eine brave Kurzweil .
Hört das , ihr Knaben !
Diess Heute ist des Pöbels : wer weiss da noch ,
was gross , was klein ist ! Wer suchte da mit Glück
nach Grösse ! Ein Narr allein : den Narren glückt's .
Du suchst nach grossen Menschen , du wunder¬
licher Narr ? Wer lehrte's dich ? Ist heute dazu die
Zeit ? Oh du schlimmer Sucher , was — versuchst du
mich ? “ — —
Also sprach Zarathustra , getrösteten Herzens , und
gieng lachend seines Wegs fürbass .
Ausser Dienst .
Nicht lange aber , nachdem Zarathustra sich von
dem Zauberer losgemacht hatte , sahe er wiederum
Jemanden am Wege sitzen , den er gieng , nämlich einen
schwarzen langen Mann mit einem hageren Bleichgesicht :
der verdross ihn gewaltig . Wehe , sprach er zu seinem
Herzen , da sitzt vermummte Trübsal , das dünkt mich
von der Art der Priester : was wollen die in meinem
Reiche ?
Wie ! Kaum bin ich jenem Zauberer entronnen :
muss mir da wieder ein anderer Schwarzkünstler über
den Weg laufen , —
— irgend ein Hexenmeister mit Handauflegen , ein
dunkler Wunderthäter von Gottes Gnaden , ein gesalbter
Welt-Verleumder , den der Teufel holen möge !
Aber der Teufel ist nie am Platze , wo er am Platze
wäre : immer kommt er zu spät , dieser vermaledeite
Zwerg und Klumpfuss ! “ —
Also fluchte Zarathustra ungeduldig in seinem
Herzen und gedachte , wie er abgewandten Blicks an
dem schwarzen Manne vorüberschlüpfe : aber siehe , es
kam anders . Im gleichen Augenblicke nämlich hatte
ihn schon der Sitzende erblickt ; und nicht unähnlich
3 *
einem Solchen , dem ein unvermuthetes Glück zustösst ,
sprang er auf und gieng auf Zarathustra los .
„ Wer du auch bist , du Wandersmann , sprach er ,
hilf einem Verirrten , einem Suchenden , einem alten
Manne , der hier leicht zu Schaden kommt !
Diese Welt hier ist mir fremd und fern , auch hörte
ich wilde Thiere heulen ; und Der , welcher mir hätte
Schutz bieten können , der ist selber nicht mehr .
Ich suchte den letzten frommen Menschen , einen
Heiligen und Einsiedler , der allein in seinem Walde
noch Nichts davon gehört hatte , was alle Welt heute
weiss . “
„ Was weiss heute alle Welt ? fragte Zarathustra .
Etwa diess , dass der alte Gott nicht mehr lebt , an den
alle Welt einst geglaubt hat ? “
„ Du sagst es , antwortete der alte Mann betrübt .
Und ich diente diesem alten Gotte bis zu seiner letzten
Stunde .
Nun aber bin ich ausser Dienst , ohne Herrn , und
doch nicht frei , auch keine Stunde mehr lustig , es sei
denn in Erinnerungen .
Dazu stieg ich in diese Berge , dass ich endlich
wieder ein Fest mir machte , wie es einem alten Papste
und Kirchen-Vater zukommt : denn wisse , ich bin der
letzte Papst ! — ein Fest frommer Erinnerungen und
Gottesdienste .
Nun aber ist er selber todt , der frömmste Mensch ,
jener Heilige im Walde , der seinen Gott beständig mit
Singen und Brummen lobte .
Ihn selber fand ich nicht mehr , als ich seine Hütte
fand , — wohl aber zwei Wölfe darin , welche um seinen
Tod heulten — denn alle Thiere liebten ihn . Da lief ich
davon .
Kam ich also umsonst in diese Wälder und Berge ?
Da entschloss sich mein Herz , dass ich einen Anderen
suchte , den Frömmsten aller Derer , die nicht an Gott
glauben — , dass ich Zarathustra suchte ! “
Also sprach der Greis und blickte scharfen Auges
Den an , welcher vor ihm stand ; Zarathustra aber ergriff
die Hand des alten Papstes und betrachtete sie lange
mit Bewunderung .
„ Siehe da , du Ehrwürdiger , sagte er dann , welche
schöne und lange Hand ! Das ist die Hand eines Solchen ,
der immer Segen ausgetheilt hat . Nun aber hält sie Den
fest , welchen du suchst , mich , Zarathustra .
Ich bin's , der gottlose Zarathustra , der da spricht :
wer ist gottloser als ich , dass ich mich seiner Unter¬
weisung freue ? “ —
Also sprach Zarathustra und durchbohrte mit seinen
Blicken die Gedanken und Hintergedanken des alten
Papstes . Endlich begann dieser :
„ Wer ihn am meisten liebte und besass , der hat ihn
nun am meisten auch verloren — :
— siehe , ich selber bin wohl von uns Beiden jetzt
der Gottlosere ? Aber wer könnte daran sich freuen ! “ —
— „ Du dientest ihm bis zuletzt , fragte Zarathustra
nachdenklich , nach einem tiefen Schweigen , du weisst ,
wie er starb ? Ist es wahr , was man spricht , dass ihn
das Mitleiden erwürgte ,
— dass er es sah , wie der Mensch am Kreuze
hieng , und es nicht ertrug , dass die Liebe zum Menschen
seine Hölle und zuletzt sein Tod wurde ? “ — —
Der alte Papst aber antwortete nicht , sondern blickte
scheu und mit einem schmerzlichen und düsteren Aus¬
drucke zur Seite .
„ Lass ihn fahren , sagte Zarathustra nach einem
langen Nachdenken , indem er immer noch dem alten
Manne gerade in's Auge blickte .
Lass ihn fahren , er ist dahin . Und ob es dich auch
ehrt , dass du diesem Todten nur Gutes nachredest , so
weisst du so gut als ich , wer er war ; und dass er
wunderliche Wege gieng . “
„ Unter drei Augen gesprochen , sagte erheitert der
alte Papst ( denn er war auf Einem Auge blind ) , in Dingen
Gottes bin ich aufgeklärter als Zarathustra selber —
und darf es sein .
Meine Liebe diente ihm lange Jahre , mein Wille
gieng allem seinen Willen nach . Ein guter Diener aber
weiss Alles , und Mancherlei auch , was sein Herr sich
selbst verbirgt .
Es war ein verborgener Gott , voller Heimlichkeit .
Wahrlich zu einem Sohne sogar kam er nicht anders als
auf Schleichwegen . An der Thür seines Glaubens steht
der Ehebruch .
Wer ihn als einen Gott der Liebe preist , denkt nicht
hoch genug von der Liebe selber . Wollte dieser Gott
nicht auch Richter sein ? Aber der Liebende liebt jen¬
seits von Lohn und Vergeltung .
Als er jung war , dieser Gott aus dem Morgenlande ,
da war er hart und rachsüchtig und erbaute sich eine
Hölle zum Ergötzen seiner Lieblinge .
Endlich aber wurde er alt und weich und mürbe
und mitleidig , einem Grossvater ähnlicher als einem
Vater , am ähnlichsten aber einer wackeligen alten
Grossmutter .
Da sass er , welk , in seinem Ofenwinkel , härmte
sich ob seiner schwachen Beine , weltmüde , willens¬
müde , und erstickte eines Tags an seinem allzugrossen
Mitleiden . “
„ Du alter Papst , sagte hier Zarathustra dazwischen ,
hast du Das mit Augen angesehn ? Es könnte wohl so
abgegangen sein : so , und auch anders . Wenn Götter
sterben , sterben sie immer viele Arten Todes .
Aber wohlan ! So oder so , so und so — er ist dahin !
Er gieng meinen Ohren und Augen wider den Ge¬
schmack , Schlimmeres möchte ich ihm nicht nachsagen .
Ich liebe Alles , was hell blickt und redlich redet .
Aber er — du weisst es ja , du alter Priester , es war
Etwas von deiner Art an ihm , von Priester-Art — er
war vieldeutig .
Er war auch undeutlich . Was hat er uns darob
gezürnt , dieser Zornschnauber , dass wir ihn schlecht
verstünden ! Aber warum sprach er nicht reinlicher ?
Und lag es an unsern Ohren , warum gab er uns
Ohren , die ihn schlecht hörten ? War Schlamm in unsern
Ohren , wohlan ! wer legte ihn hinein ?
Zu Vieles missrieth ihm , diesem Töpfer , der nicht
ausgelernt hatte ! Dass er aber Rache an seinen Töpfen
und Geschöpfen nahm , dafür dass sie ihm schlecht
geriethen , — das war eine Sünde wider den guten
Geschmack .
Es giebt auch in der Frömmigkeit guten Ge¬
schmack : der sprach endlich „ Fort mit einem solchen
Gotte ! Lieber keinen Gott , lieber auf eigne Faust
Schicksal machen , lieber Narr sein , lieber selber
Gott sein ! “
— „ Was höre ich ! sprach hier der alte Papst mit
gespitzten Ohren ; oh Zarathustra , du bist frömmer als
du glaubst , mit einem solchen Unglauben ! Irgend ein
Gott in dir bekehrte dich zu deiner Gottlosigkeit .
Ist es nicht deine Frömmigkeit selber , die dich nicht
mehr an einen Gott glauben lässt ? Und deine über¬
grosse Redlichkeit wird dich auch noch jenseits von
Gut und Böse wegführen !
Siehe doch , was blieb dir aufgespart ? Du hast
Augen und Hand und Mund , die sind zum Segnen
vorherbestimmt seit Ewigkeit . Man segnet nicht mit
der Hand allein .
In deiner Nähe , ob du schon der Gottloseste sein
willst , wittere ich einen heimlichen Weih- und Wohl¬
geruch von langen Segnungen : mir wird wohl und
wehe dabei .
Lass mich deinen Gast sein , oh Zarathustra , für
eine einzige Nacht ! Nirgends auf Erden wird es mir
jetzt wohler als bei dir ! “ —
„ Amen ! So soll es sein ! sprach Zarathustra mit
grosser Verwunderung , dort hinauf führt der Weg , da
liegt die Höhle Zarathustra's .
Gerne , fürwahr , würde ich dich selber dahin ge¬
leiten , du Ehrwürdiger , denn ich liebe alle frommen
Menschen . Aber jetzt ruft mich eilig ein Nothschrei
weg von dir .
In meinem Bereiche soll mir Niemand zu Schaden
kommen ; meine Höhle ist ein guter Hafen . Und am
liebsten möchte ich jedweden Traurigen wieder auf
festes Land und feste Beine stellen .
Wer aber nähme dir deine Schwermuth von der
Schulter ? Dazu bin ich zu schwach . Lange , wahrlich ,
möchten wir warten , bis dir Einer deinen Gott wieder
aufweckt .
Dieser alte Gott nämlich lebt nicht mehr : der ist
gründlich todt . “ —
Also sprach Zarathustra .
Der hässlichste Mensch .
— Und wieder liefen Zarathustra's Füsse durch
Berge und Wälder , und seine Augen suchten und
suchten , aber nirgends war Der zu sehen , welchen sie
sehn wollten , der grosse Nothleidende und Noth¬
schreiende . Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er
in seinem Herzen und war dankbar . „ Welche guten
Dinge , sprach er , schenkte mir doch dieser Tag , zum
Entgelt , dass er schlimm begann ! Welche seltsamen
Unterredner fand ich !
An deren Worten will ich lange nun kauen gleich
als an guten Körnern ; klein soll mein Zahn sie mahlen
und malmen , bis sie mir wie Milch in die Seele
fliessen ! “ —
Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog ,
veränderte sich mit Einem Male die Landschaft , und
Zarathustra trat in ein Reich des Todes . Hier starrten
schwarze und rothe Klippen empor : kein Gras , kein
Baum , keine Vogelstimme . Es war nämlich ein Thal ,
welches alle Thiere mieden , auch die Raubthiere ;
nur dass eine Art hässlicher , dicker , grüner Schlangen ,
wenn sie alt wurden , hierher kamen , um zu sterben .
Darum nannten diess Thal die Hirten : Schlangen-Tod .
Zarathustra aber versank in eine schwarze Erin¬
nerung , denn ihm war , als habe er schon ein Mal in
diesem Thal gestanden . Und vieles Schwere legte
sich ihm über den Sinn : also , dass er langsam gieng
und immer langsamer und endlich still stand . Da
aber sahe er , als er die Augen aufthat , Etwas , das
am Wege sass , gestaltet wie ein Mensch , und kaum
wie ein Mensch , etwas Unaussprechliches . Und mit
Einem Schlage überfiel Zarathustra die grosse Scham
darob , dass er so Etwas mit den Augen angesehn
habe : erröthend bis hinauf an sein weisses Haar ,
wandte er den Blick ab und hob den Fuss , dass er
diese schlimme Stelle verlasse . Da aber wurde die
todte Öde laut : vom Boden auf nämlich quoll es
gurgelnd und röchelnd , wie Wasser Nachts durch
verstopfte Wasser-Röhren gurgelt und röchelt ; und
zuletzt wurde daraus eine Menschen-Stimme und
Menschen-Rede : — die lautete also .
„ Zarathustra ! Zarathustra ! Rathe mein Räthsel !
Sprich , sprich ! Was ist die Rache am Zeugen ?
Ich locke dich zurück , hier ist glattes Eis ! Sieh zu ,
sieh zu , ob dein Stolz sich hier nicht die Beine bricht !
Du dünkst dich weise , du stolzer Zarathustra ! So
rathe doch das Räthsel , du harter Nüsseknacker , —
das Räthsel , das ich bin ! So sprich doch : wer bin ich ! “
— Als aber Zarathustra diese Worte gehört hatte ,
— was glaubt ihr wohl , dass sich da mit seiner Seele
zutrug ? Das Mitleiden fiel ihn an ; und er sank
mit Einem Male nieder , wie ein Eichbaum , der lange
vielen Holzschlägern widerstanden hat , — schwer ,
plötzlich , zum Schrecken selber für Die , welche ihn
fällen wollten . Aber schon stand er wieder vom Boden
auf , und sein Antlitz wurde hart .
„ Ich erkenne dich wohl , sprach er mit einer erzenen
Stimme : du bist der Mörder Gottes ! Lass mich
gehn .
Du ertrugst Den nicht , der dich sah , — der dich
immer und durch und durch sah , du hässlichster Mensch !
Du nahmst Rache an diesem Zeugen ! “
Also sprach Zarathustra und wollte davon ; aber
der Unaussprechliche fasste nach einem Zipfel seines
Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und
nach Worten zu suchen . „ Bleib ! “ sagte er endlich —
— bleib ! Geh nicht vorüber ! Ich errieth , welche
Axt dich zu Boden schlug : Heil dir , oh Zarathustra ,
dass du wieder stehst !
Du erriethest , ich weiss es gut , wie Dem zu Muthe
ist , der ihn tödtete , — dem Mörder Gottes . Bleib !
Setze dich her zu mir , es ist nicht umsonst .
Zu wem wollte ich , wenn nicht zu dir ? Bleib , setze
dich ! Blicke mich aber nicht an ! Ehre also — meine
Hässlichkeit !
Sie verfolgen mich : nun bist du meine letzte Zu¬
flucht . Nicht mit ihrem Hasse , nicht mit ihren
Häschern : — oh solcher Verfolgung würde ich spotten
und stolz und froh sein !
War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Ver¬
folgten ? Und wer gut verfolgt , lernt leicht folgen :
— ist er doch einmal — hinterher ! Aber ihr Mitleid
ist's —
— ihr Mitleid ist's , vor dem ich flüchte und dir
zuflüchte . Oh Zarathustra , schütze mich , du meine letzte
Zuflucht , du Einziger , der mich errieth :
— du erriethest , wie Dem zu Muthe ist , welcher
ihn tödtete . Bleib ! Und willst du gehn , du Un¬
geduldiger : geh nicht den Weg , den ich kam . Der
Weg ist schlecht .
Zürnst du mir , dass ich zu lange schon rede-rade¬
breche ? Dass ich schon dir rathe ? Aber wisse , ich
bin's , der hässlichste Mensch ,
— der auch die grössten schwersten Füsse hat .
Wo ich gieng , ist der Weg schlecht . Ich trete alle
Wege todt und zu Schanden .
Dass du aber an mir vorübergiengst , schweigend ;
dass du erröthetest , ich sah es wohl : daran erkannte
ich dich als Zarathustra .
Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zuge¬
worfen , sein Mitleiden , mit Blick und Rede . Aber
dazu — bin ich nicht Bettler genug , das erriethest
du —
— dazu bin ich zu reich , reich an Grossem , an
Furchtbarem , am Hässlichsten , am Unaussprechlichsten !
Deine Scham , oh Zarathustra , ehrte mich !
Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der
Mitleidigen , — dass ich den Einzigen fände , der heute
lehrt „ Mitleiden ist zudringlich “ — dich , oh Zarathustra !
— sei es eines Gottes , sei es der Menschen Mit¬
leiden : Mitleiden geht gegen die Scham . Und nicht-
helfen- wollen kann vornehmer sein als jene Tugend ,
die zuspringt .
Das aber heisst heute Tugend selber bei allen
kleinen Leuten , das Mitleiden : — die haben keine Ehr¬
furcht vor grossem Unglück , vor grosser Hässlichkeit ,
vor grossem Missrathen .
Über diese Alle blicke ich hinweg , wie ein Hund
über die Rücken wimmelnder Schafheerden wegblickt .
Es sind kleine wohlwollige wohlwillige graue Leute .
Wie ein Reiher verachtend über flache Teiche
wegblickt , mit zurückgelegtem Kopfe : so blicke ich
über das Gewimmel grauer kleiner Wellen und Willen
und Seelen weg .
Zu lange hat man ihnen Recht gegeben , diesen
kleinen Leuten : so gab man ihnen endlich auch die
Macht — nun lehren sie : „ gut ist nur , was kleine
Leute gut heissen . “
Und „ Wahrheit “ heisst heute , was der Prediger
sprach , der selber aus ihnen herkam , jener wunderliche
Heilige und Fürsprecher der kleinen Leute , welcher
von sich zeugte „ ich — bin die Wahrheit . “
Dieser Unbescheidne macht nun lange schon den
kleinen Leuten den Kamm hoch schwellen — er , der
keinen kleinen Irrthum lehrte , als er lehrte „ ich — bin
die Wahrheit . “
Ward einem Unbescheidnen jemals höflicher ge¬
antwortet ? — Du aber , oh Zarathustra , giengst an
ihm vorüber und sprachst : „ Nein ! Nein ! Drei Mal
Nein ! “
Du warntest vor seinem Irrthum , du warntest als
der Erste vor dem Mitleiden — nicht Alle , nicht
Keinen , sondern dich und deine Art .
Du schämst dich an der Scham des grossen Leiden¬
den ; und wahrlich , wenn du sprichst „ von dem Mit¬
leiden her kommt eine grosse Wolke , habt Acht , ihr
Menschen ! “
— wenn du lehrst „ alle Schaffenden sind hart ,
alle grosse Liebe ist über ihrem Mitleiden “ : oh Zara¬
thustra , wie gut dünkst du mich eingelernt auf Wetter-
Zeichen !
Du selber aber — warne dich selber auch vor
deinem Mitleiden ! Denn Viele sind zu dir unterwegs ,
viele Leidende , Zweifelnde , Verzweifelnde , Ertrinkende ,
Frierende —
Ich warne dich auch vor mir . Du erriethest mein
bestes , schlimmstes Räthsel , mich selber und was ich
that . Ich kenne die Axt , die dich fällt .
Aber er — musste sterben : er sah mit Augen ,
welche Alles sahn , — er sah des Menschen Tiefen
und Gründe , alle seine verhehlte Schmach und Häss¬
lichkeit .
Sein Mitleiden kannte keine Scham : er kroch in
meine schmutzigsten Winkel . Dieser Neugierigste ,
Über-Zudringliche , Über-Mitleidige musste sterben .
Er sah immer mich : an einem solchen Zeugen
wollte ich Rache haben — oder selber nicht leben .
Der Gott , der Alles sah , auch den Menschen :
dieser Gott musste sterben ! Der Mensch erträgt es
nicht , dass solch ein Zeuge lebt . “
Also sprach der hässlichste Mensch . Zarathustra
aber erhob sich und schickte sich an fortzugehn :
denn ihn fröstelte bis in seine Eingeweide .
Du Unaussprechlicher , sagte er , du warntest mich
vor deinem Wege . Zum Danke dafür lobe ich dir
den meinen . Siehe , dort hinauf liegt die Höhle
Zarathustra's .
Meine Höhle ist gross und tief und hat viele
Winkel ; da findet der Versteckteste sein Versteck .
Und dicht bei ihr sind hundert Schlüpfe und Schliche
für kriechendes , flatterndes und springendes Gethier .
Du Ausgestossener , der du dich selber ausstiessest ,
du willst nicht unter Menschen und Menschen-Mitleid
wohnen ? Wohlan , so thu 's mir gleich ! So lernst du
auch von mir ; nur der Thäter lernt .
Und rede zuerst und -nächst mit meinen Thieren !
Das stolzeste Thier und das klügste Thier — die
möchten uns Beiden wohl die rechten Rathgeber
sein ! “
Also sprach Zarathustra und gieng seiner Wege ,
nachdenklicher und langsamer noch als zuvor : denn
er fragte sich Vieles und wusste sich nicht leicht zu
antworten .
„ Wie arm ist doch der Mensch ! dachte er in
seinem Herzen , wie hässlich , wie röchelnd , wie voll
verborgener Scham !
Man sagt mir , dass der Mensch sich selber liebe :
ach , wie gross muss diese Selber-Liebe sein ! Wie
viel Verachtung hat sie wider sich !
Auch dieser da liebte sich , wie er sich ver¬
achtete , — ein grosser Liebender ist er mir und ein
grosser Verächter .
Keinen fand ich noch , der sich tiefer verachtet
hätte : auch Das ist Höhe . Wehe , war Der vielleicht
der höhere Mensch , dessen Schrei ich hörte ?
Ich liebe die grossen Verachtenden . Der Mensch
aber ist Etwas , das überwunden werden muss . “ — —
Der freiwillige Bettler .
Als Zarathustra den hässlichsten Menschen ver¬
lassen hatte , fror ihn , und er fühlte sich einsam : es
gieng ihm nämlich vieles Kalte und Einsame durch
die Sinne , also , dass darob auch seine Glieder kälter
wurden . Indem er aber weiter und weiter stieg , hinauf ,
hinab , bald an grünen Weiden vorbei , aber auch über
wilde steinichte Lager , wo ehedem wohl ein ungedul¬
diger Bach sich zu Bett gelegt hatte : da wurde ihm
mit Einem Male wieder wärmer und herzlicher zu Sinne .
„ Was geschah mir doch ? fragte er sich , etwas
Warmes und Lebendiges erquickt mich , das muss in
meiner Nähe sein .
Schon bin ich weniger allein ; unbewusste Ge¬
fährten und Brüder schweifen um mich , ihr warmer
Athem rührt an meine Seele . “
Als er aber um sich spähete und nach den Trö¬
stern seiner Einsamkeit suchte : siehe , da waren es
Kühe , welche auf einer Anhöhe bei einander standen ;
deren Nähe und Geruch hatten sein Herz erwärmt .
Diese Kühe aber schienen mit Eifer einem Redenden
zuzuhören und gaben nicht auf Den Acht , der heran¬
kam . Wie aber Zarathustra ganz in ihrer Nähe war ,
4
hörte er deutlich , dass eine Menschen-Stimme aus der
Mitte der Kühe heraus redete ; und ersichtlich hatten
sie allesammt ihre Köpfe dem Redenden zugedreht .
Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und drängte
die Thiere auseinander , denn er fürchtete , dass hier
Jemandem ein Leids geschehn sei , welchem schwerlich
das Mitleid von Kühen abhelfen mochte . Aber darin
hatte er sich getäuscht ; denn siehe , da sass ein Mensch
auf der Erde und schien den Thieren zuzureden , dass
sie keine Scheu vor ihm haben sollten , ein friedfertiger
Mensch und Berg-Prediger , aus dessen Augen die
Güte selber predigte . „ Was suchst du hier ? “ rief
Zarathustra mit Befremden .
„ Was ich hier suche ? antwortete er : das Selbe ,
was du suchst , du Störenfried ! nämlich das Glück
auf Erden .
Dazu aber möchte ich von diesen Kühen lernen .
Denn , weisst du wohl , einen halben Morgen schon
rede ich ihnen zu , und eben wollten sie mir Bescheid
geben . Warum doch störst du sie ?
So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe ,
so kommen wir nicht in das Himmelreich . Wir soll¬
ten ihnen nämlich Eins ablernen : das Wiederkäuen .
Und wahrlich , wenn der Mensch auch die ganze
Welt gewönne und lernte das Eine nicht , das Wieder¬
käuen : was hülfe es ! Er würde nicht seine Trübsal los
— seine grosse Trübsal : die aber heisst heute
Ekel . Wer hat heute von Ekel nicht Herz , Mund
und Augen voll ? Auch du ! Auch du ! Aber siehe
doch diese Kühe an ! “ —
Also sprach der Berg-Prediger und wandte dann
seinen eignen Blick Zarathustra zu , — denn bisher
hieng er mit Liebe an den Kühen — : da aber ver¬
wandelte er sich . „ Wer ist das , mit dem ich rede ?
rief er erschreckt und sprang vom Boden empor .
Diess ist der Mensch ohne Ekel , diess ist Zarathustra
selber , der Überwinder des grossen Ekels , diess ist
das Auge , diess ist der Mund , diess ist das Herz Zara¬
thustra's selber . “
Und indem er also sprach , küsste er Dem , zu
welchem er redete , die Hände , mit überströmenden
Augen , und gebärdete sich ganz als Einer , dem ein
kostbares Geschenk und Kleinod unversehens vom
Himmel fällt . Die Kühe aber schauten dem Allen zu
und wunderten sich .
„ Sprich nicht von mir , du Wunderlicher ! Lieb¬
licher ! sagte Zarathustra und wehrte seiner Zärtlich¬
keit , sprich mir erst von dir ! Bist du nicht der frei¬
willige Bettler , der einst einen grossen Reichthum von
sich warf , —
— der sich seines Reichthums schämte und der
Reichen , und zu den Ärmsten floh , dass er ihnen
seine Fülle und sein Herz schenke ? Aber sie nahmen
ihn nicht an . “
„ Aber sie nahmen mich nicht an , sagte der frei¬
willige Bettler , du weisst es ja . So gieng ich endlich
zu den Thieren und zu diesen Kühen . “
„ Da lerntest du , unterbrach Zarathustra den
Redenden , wie es schwerer ist , recht geben als recht
nehmen , und dass gut schenken eine Kunst ist und
die letzte listigste Meister-Kunst der Güte .
4*
Sonderlich heutzutage , antwortete der freiwillige
Bettler : heute nämlich , wo alles Niedrige aufständisch
ward und scheu und auf seine Art hoffährtig : nämlich
auf Pöbel-Art .
Denn es kam die Stunde , du weisst es ja , für den
grossen schlimmen langen langsamen Pöbel- und
Sklaven-Aufstand : der wächst und wächst !
Nun empört die Niedrigen alles Wohlthun und
kleine Weggeben ; und die Überreichen mögen auf
der Hut sein !
Wer heute gleich bauchichten Flaschen tröpfelt
aus allzuschmalen Hälsen : — solchen Flaschen bricht
man heute gern den Hals .
Lüsterne Gier , gallichter Neid , vergrämte Rach¬
sucht , Pöbel-Stolz : das sprang mir Alles in's Gesicht .
Es ist nicht mehr wahr , dass die Armen selig sind .
Das Himmelreich aber ist bei den Kühen . “
Und warum ist es nicht bei den Reichen ? fragte
Zarathustra versuchend , während er den Kühen wehrte ,
die den Friedfertigen zutraulich anschnauften .
„ Was versuchst du mich ? antwortete dieser . Du
weisst es selber besser noch als ich . Was trieb mich
doch zu den Ärmsten , oh Zarathustra ? War es nicht
der Ekel vor unsern Reichsten ?
— vor den Sträflingen des Reichthums , welche
sich ihren Vortheil aus jedem Kehricht auflesen , mit
kalten Augen , geilen Gedanken , vor diesem Gesindel ,
das gen Himmel stinkt ,
— vor diesem vergüldeten verfälschten Pöbel ,
dessen Väter Langfinger oder Aasvögel oder Lumpen¬
sammler waren , mit Weibern willfährig , lüstern , ver¬
gesslich : — sie haben's nämlich alle nicht weit zur
Hure —
Pöbel oben , Pöbel unten ! Was ist heute noch
„ Arm “ und „ Reich “ ! Diesen Unterschied verlernte
ich , — da floh ich davon , weiter , immer weiter , bis
ich zu diesen Kühen kam . “
Also sprach der Friedfertige und schnaufte selber
und schwitzte bei seinen Worten : also dass die Kühe
sich von Neuem wunderten . Zarathustra aber sah
ihm immer mit Lächeln in's Gesicht , als er so hart
redete , und schüttelte dazu schweigend den Kopf .
„ Du thust dir Gewalt an , du Berg-Prediger , wenn
du solche harte Worte brauchst . Für solche Härte
wuchs dir nicht der Mund , nicht das Auge .
Auch , wie mich dünkt , dein Magen selber nicht :
dem widersteht all solches Zürnen und Hassen und
Überschäumen . Dein Magen will sanftere Dinge : du
bist kein Fleischer .
Vielmehr dünkst du mich ein Pflanzler und Wurzel¬
mann . Vielleicht malmst du Körner . Sicherlich aber
bist du fleischlichen Freuden abhold und liebst den
Honig . “
„ Du erriethst mich gut , antwortete der freiwillige
Bettler , mit erleichtertem Herzen . Ich liebe den Honig ,
ich malme auch Körner , denn ich suchte , was lieblich
mundet und reinen Athem macht :
— auch was lange Zeit braucht , ein Tag- und
Maul-Werk für sanfte Müssiggänger und Tagediebe .
Am weitesten freilich brachten es diese Kühe :
die erfanden sich das Wiederkäuen und In-der-Sonne-
Liegen . Auch enthalten sie sich aller schweren Ge¬
danken , welche das Herz blähn . “
— „ Wohlan ! sagte Zarathustra : du solltest auch
meine Thiere sehn , meinen Adler und meine Schlange ,
— ihres Gleichen giebt es heute nicht auf Erden .
Siehe , dorthin führt der Weg zu meiner Höhle :
sei diese Nacht ihr Gast . Und rede mit meinen
Thieren vom Glück der Thiere , —
— bis ich selber heimkomme . Denn jetzt ruft
ein Nothschrei mich eilig weg von dir . Auch findest
du neuen Honig bei mir , eisfrischen Waben-Goldhonig :
den iss !
Jetzt aber nimm flugs Abschied von deinen Kühen ,
du Wunderlicher ! Lieblicher ! ob es dir schon schwer
werden mag . Denn es sind deine wärmsten Freunde
und Lehrmeister ! “ —
„— Einen ausgenommen , den ich noch lieber habe ,
antwortete der freiwillige Bettler . Du selber bist gut
und besser noch als eine Kuh , oh Zarathustra ! “
„ Fort , fort mit dir ! du arger Schmeichler ! schrie
Zarathustra mit Bosheit , was verdirbst du mich mit
solchem Lob und Schmeichel-Honig ? “
„ Fort , fort von mir ! “ schrie er noch Ein Mal und
schwang seinen Stock nach dem zärtlichen Bettler : der
aber lief hurtig davon .
Der Schatten .
Kaum aber war der freiwillige Bettler davonge¬
laufen und Zarathustra wieder mit sich allein , da hörte
er hinter sich eine neue Stimme : die rief „ Halt ! Zara¬
thustra ! So warte doch ! Ich bin 's ja , oh Zarathustra ,
ich , dein Schatten ! “ Aber Zarathustra wartete nicht ,
denn ein plötzlicher Verdruss überkam ihn ob des vielen
Zudrangs und Gedrängs in seinen Bergen . „ Wo ist
meine Einsamkeit hin ? sprach er .
Es wird mir wahrlich zu viel ; diess Gebirge wim¬
melt , mein Reich ist nicht mehr von dieser Welt ,
ich brauche neue Berge .
Mein Schatten ruft mich ? Was liegt an meinem
Schatten ! Mag er mir nachlaufen ! ich — laufe ihm
davon . “
Also sprach Zarathustra zu seinem Herzen und
lief davon . Aber Der , welcher hinter ihm war , folgte
ihm nach : so dass alsbald drei Laufende hinter ein¬
ander her waren , nämlich voran der freiwillige Bettler ,
dann Zarathustra und zudritt und -hinterst sein
Schatten . Nicht lange liefen sie so , da kam Zara¬
thustra zur Besinnung über seine Thorheit und schüt¬
telte mit Einem Rucke allen Verdruss und Überdruss
von sich .
„ Wie ! sprach er , geschahen nicht von je die
lächerlichsten Dinge bei uns alten Einsiedlern und
Heiligen ?
Wahrlich , meine Thorheit wuchs hoch in den
Bergen ! Nun höre ich sechs alte Narren-Beine hinter
einander her klappern !
Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten
fürchten ? Auch dünkt mich zu guterletzt , dass er
längere Beine hat als ich . “
Also sprach Zarathustra , lachend mit Augen und
Eingeweiden , blieb stehen und drehte sich schnell
herum — und siehe , fast warf er dabei seinen Nach¬
folger und Schatten zu Boden : so dicht schon folgte
ihm derselbe auf den Fersen , und so schwach war er
auch . Als er ihn nämlich mit Augen prüfte , erschrak
er wie vor einem plötzlichen Gespenste : so dünn ,
schwärzlich , hohl und überlebt sah dieser Nach¬
folger aus .
„ Wer bist du ? fragte Zarathustra heftig , was
treibst du hier ? Und wesshalb heissest du dich meinen
Schatten ? Du gefällst mir nicht . “
„ Vergieb mir , antwortete der Schatten , dass ich's
bin ; und wenn ich dir nicht gefalle , wohlan , oh Zara¬
thustra ! darin lobe ich dich und deinen guten Ge¬
schmack .
Ein Wanderer bin ich , der viel schon hinter deinen
Fersen her gieng : immer unterwegs , aber ohne Ziel ,
auch ohne Heim : also dass mir wahrlich wenig zum
ewigen Juden fehlt , es sei denn , dass ich nicht ewig ,
und auch nicht Jude bin .
Wie ? Muss ich immerdar unterwegs sein ? Von
jedem Winde gewirbelt , unstät , fortgetrieben ? Oh Erde ,
du wardst mir zu rund !
Auf jeder Oberfläche sass ich schon , gleich müdem
Staube schlief ich ein auf Spiegeln und Fensterscheiben :
Alles nimmt von mir , Nichts giebt , ich werde dünn , —
fast gleiche ich einem Schatten .
Dir aber , oh Zarathustra , flog und zog ich am
längsten nach , und , verbarg ich mich schon vor dir ,
so war ich doch dein bester Schatten : wo du nur ge¬
sessen hast , sass ich auch .
Mit dir bin ich in fernsten , kältesten Welten um¬
gegangen , einem Gespenste gleich , das freiwillig über
Winterdächer und Schnee läuft .
Mit dir strebte ich in jedes Verbotene , Schlimmste ,
Fernste : und wenn irgend Etwas an mir Tugend ist ,
so ist es , dass ich vor keinem Verbote Furcht hatte .
Mit dir zerbrach ich , was je mein Herz verehrte ,
alle Grenzsteine und Bilder warf ich um , den gefähr¬
lichsten Wünschen lief ich nach , — wahrlich , über jed¬
wedes Verbrechen lief ich einmal hinweg .
Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und
Werthe und grosse Namen . Wenn der Teufel sich
häutet , fällt da nicht auch sein Name ab ? Der ist näm¬
lich auch Haut . Der Teufel selber ist vielleicht —
Haut .
„ Nichts ist wahr , Alles ist erlaubt “ : so sprach ich
mir zu . In die kältesten Wasser stürzte ich mich , mit
Kopf und Herzen . Ach , wie oft stand ich darob nackt
als rother Krebs da !
Ach , wohin kam mir alles Gute und alle Scham
und aller Glaube an die Guten ! Ach , wohin ist jene
verlogne Unschuld , die ich einst besass , die Unschuld
der Guten und ihrer edlen Lügen !
Zu oft , wahrlich , folgte ich der Wahrheit dicht auf
dem Fusse : da trat sie mir vor den Kopf . Manchmal
meinte ich zu lügen , und siehe ! da erst traf ich — die
Wahrheit .
Zu Viel klärte sich mir auf : nun geht es mich
Nichts mehr an . Nichts lebt mehr , das ich liebe , — wie
sollte ich noch mich selber lieben ?
„ Leben , wie ich Lust habe , oder gar nicht leben “ :
so will ich's , so will 's auch der Heiligste . Aber , wehe !
wie habe ich noch — Lust ?
Habe ich — noch ein Ziel ? Einen Hafen , nach
dem mein Segel läuft ?
Einen guten Wind ? Ach , nur wer weiss , wohin
er fährt , weiss auch , welcher Wind gut und sein Fahr¬
wind ist .
Was blieb mir noch zurück ? Ein Herz müde und
frech ; ein unstäter Wille ; Flatter-Flügel ; ein zerbrochnes
Rückgrat .
Diess Suchen nach meinem Heim : oh Zarathustra ,
weisst du wohl , diess Suchen war meine Heimsuchung ,
es frisst mich auf .
„ Wo ist — mein Heim ? “ Darnach frage und
suche und suchte ich , das fand ich nicht . Oh ewiges
Überall , oh ewiges Nirgendswo , oh ewiges — Um¬
sonst ! “
Also sprach der Schatten , und Zarathustra's Gesicht
verlängerte sich bei seinen Worten . „ Du bist mein
Schatten ! “ sagte er endlich , mit Traurigkeit .
Deine Gefahr ist keine kleine , du freier Geist und
Wanderer ! Du hast einen schlimmen Tag gehabt :
sieh zu , dass dir nicht noch ein schlimmerer Abend
kommt !
Solchen Unstäten , wie du , dünkt zuletzt auch ein
Gefängniss selig . Sahst du je , wie eingefangne Ver¬
brecher schlafen ? Sie schlafen ruhig , sie geniessen ihre
neue Sicherheit .
Hüte dich , dass dich nicht am Ende noch ein enger
Glaube einfängt , ein harter , strenger Wahn ! Dich
nämlich verführt und versucht nunmehr Jegliches , das
eng und fest ist .
Du hast das Ziel verloren : wehe , wie wirst du
diesen Verlust verscherzen und verschmerzen ? Damit
— hast du auch den Weg verloren !
Du armer Schweifender , Schwärmender , du müder
Schmetterling ! willst du diesen Abend eine Rast und
Heimstätte haben ? So gehe hinauf zu meiner Höhle !
Dorthin führt der Weg zu meiner Höhle . Und
jetzo will ich schnell wieder von dir davonlaufen . Schon
liegt es wie ein Schatten auf mir .
Ich will allein laufen , dass es wieder hell um mich
werde . Dazu muss ich noch lange lustig auf den
Beinen sein . Des Abends aber wird bei mir — ge¬
tanzt ! “ ——
Also sprach Zarathustra .
Mittags .
— Und Zarathustra lief und lief und fand Nie¬
manden mehr und war allein und fand immer wieder
sich und genoss und schlürfte seine Einsamkeit und
dachte an gute Dinge , — stundenlang . Um die Stunde
des Mittags aber , als die Sonne gerade über Zarathus¬
tra's Haupte stand , kam er an einem alten krummen
und knorrichten Baume vorbei , der von der reichen
Liebe eines Weinstocks rings umarmt und vor sich
selber verborgen war : von dem hiengen gelbe Trauben
in Fülle dem Wandernden entgegen . Da gelüstete ihn ,
einen kleinen Durst zu löschen und sich eine Traube
abzubrechen ; als er aber schon den Arm dazu aus¬
streckte , da gelüstete ihn etwas Anderes noch mehr :
nämlich sich neben den Baum niederzulegen , um die
Stunde des vollkommnen Mittags , und zu schlafen .
Diess that Zarathustra ; und sobald er auf dem
Boden lag , in der Stille und Heimlichkeit des bunten
Grases , hatte er auch schon seinen kleinen Durst ver¬
gessen und schlief ein . Denn , wie das Sprichwort
Zarathustra's sagt : Eins ist nothwendiger als das Andre .
Nur dass seine Augen offen blieben : — sie wurden
nämlich nicht satt , den Baum und die Liebe des Wein¬
stocks zu sehn und zu preisen . Im Einschlafen aber
sprach Zarathustra also zu seinem Herzen :
Still ! Still ! Ward die Welt nicht eben vollkommen ?
Was geschieht mir doch ?
Wie ein zierlicher Wind , ungesehn , auf getäfeltem
Meere tanzt , leicht , federleicht : so — tanzt der Schlaf
auf mir .
Kein Auge drückt er mir zu , die Seele lässt er mir
wach . Leicht ist er , wahrlich ! federleicht .
Er überredet mich , ich weiss nicht wie ? , er betupft
mich innewendig mit schmeichelnder Hand , er zwingt
mich . Ja , er zwingt mich , dass meine Seele sich aus¬
streckt : —
— wie sie mir lang und müde wird , meine wunder¬
liche Seele ! Kam ihr eines siebenten Tages Abend ge¬
rade am Mittage ? Wandelte sie zu lange schon selig
zwischen guten und reifen Dingen ?
Sie streckt sich lang aus , lang , — länger ! sie liegt
stille , meine wunderliche Seele . Zu viel Gutes hat sie
schon geschmeckt , diese goldene Traurigkeit drückt sie ,
sie verzieht den Mund .
— Wie ein Schiff , das in seine stillste Bucht ein¬
lief : — nun lehnt es sich an die Erde , der langen
Reisen müde und der ungewissen Meere . Ist die Erde
nicht treuer ?
Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt , an¬
schmiegt : — da genügt's , dass eine Spinne vom Lande
her zu ihm ihren Faden spinnt . Keiner stärkeren Taue
bedarf es da .
Wie solch ein müdes Schiff in der stillsten Bucht :
so ruhe auch ich nun der Erde nahe , treu , zutrauend ,
wartend , mit den leisesten Fäden ihr angebunden .
Oh Glück ! Oh Glück ! Willst du wohl singen , oh
meine Seele ? Du liegst im Grase . Aber das ist die
heimliche feierliche Stunde , wo kein Hirt seine Flöte
bläst .
Scheue Dich ! Heisser Mittag schläft auf den Fluren .
Singe nicht ! Still ! Die Welt ist vollkommen .
Singe nicht , du Gras-Geflügel , oh meine Seele !
Flüstere nicht einmal ! Sieh doch — still ! der alte Mittag
schläft , er bewegt den Mund : trinkt er nicht eben einen
Tropfen Glücks —
— einen alten braunen Tropfen goldenen Glücks ,
goldenen Weins ? Es huscht über ihn hin , sein Glück
lacht . So — lacht ein Gott . Still ! —
— „ Zum Glück , wie wenig genügt schon zum
Glücke ! “ So sprach ich einst , und dünkte mich klug .
Aber es war eine Lästerung : das lernte ich nun .
Kluge Narrn reden besser .
Das Wenigste gerade , das Leiseste , Leichteste ,
einer Eidechse Rascheln , ein Hauch , ein Husch , ein
Augen-Blick — Wenig macht die Art des besten
Glücks . Still !
— Was geschah mir : Horch ! Flog die Zeit wohl
davon ? Falle ich nicht ? Fiel ich nicht — horch ! in den
Brunnen der Ewigkeit ?
— Was geschieht mir ? Still ! Es sticht mich —
wehe — in's Herz ? In 's Herz ! Oh zerbrich , zerbrich ,
Herz , nach solchem Glücke , nach solchem Stiche !
— Wie ? Ward die Welt nicht eben vollkommen ?
Rund und reif ? Oh des goldenen runden Reifs — wo¬
hin fliegt er wohl ? Laufe ich ihm nach ! Husch !
Still — — ( und hier dehnte sich Zarathustra und
fühlte , dass er schlafe . )
Auf ! sprach er zu sich selber , du Schläfer ! Du
Mittagsschläfer ! Wohlan , wohlauf , ihr alten Beine ! Zeit
ist 's und Überzeit , manch gut Stück Wegs blieb euch
noch zurück —
Nun schlieft ihr euch aus , wie lange doch ? Eine
halbe Ewigkeit ! Wohlan , wohlauf nun , mein altes Herz !
Wie lange erst darfst du nach solchem Schlaf — dich
auswachen ?
( Aber da schlief er schon von Neuem ein , und
seine Seele sprach gegen ihn und wehrte sich und legte
sich wieder hin ) — „ Lass mich doch ! Still ! Ward nicht
die Welt eben vollkommen ? Oh des goldnen runden
Balls ! “ —
„ Steh auf , sprach Zarathustra , du kleine Diebin , du
Tagediebin ! Wie ? Immer noch sich strecken , gähnen ,
seufzen , hinunterfallen in tiefe Brunnen ?
Wer bist du doch ! Oh meine Seele ! “ ( und hier
erschrak er , denn ein Sonnenstrahl fiel vom Himmel
herunter auf sein Gesicht . )
„ Oh Himmel über mir , sprach er seufzend und
setzte sich aufrecht , du schaust mir zu ? Du horchst
meiner wunderlichen Seele zu ?
Wann trinkst du diesen Tropfen Thau's , der auf
alle Erden-Dinge niederfiel , — wann trinkst du diese
wunderliche Seele —
— wann , Brunnen der Ewigkeit ! du heiterer
schauerlicher Mittags-Abgrund ! wann trinkst du meine
Seele in dich zurück ? “
Also sprach Zarathustra und erhob sich von seinem
Lager am Baume wie aus einer fremden Trunkenheit :
und siehe , da stand die Sonne immer noch gerade über
seinem Haupte . Es möchte aber Einer daraus mit Recht
abnehmen , dass Zarathustra damals nicht lange ge¬
schlafen habe .
Die Begrüssung .
Am späten Nachmittage war es erst , dass Zara¬
thustra , nach langem umsonstigen Suchen und Umher¬
streifen , wieder zu seiner Höhle heimkam . Als er aber
derselben gegenüberstand , nicht zwanzig Schritt mehr
von ihr ferne , da geschah Das , was er jetzt am wenig¬
sten erwartete : von Neuem hörte er den grossen
Nothschrei . Und , erstaunlich ! diess Mal kam der¬
selbige aus seiner eignen Höhle . Es war aber ein
langer vielfältiger seltsamer Schrei , und Zarathustra
unterschied deutlich , dass er sich aus vielen Stimmen
zusammensetze : mochte er schon , aus der Ferne ge¬
hört , gleich dem Schrei aus einem einzigen Munde
klingen .
Da sprang Zarathustra auf seine Höhle zu , und
siehe ! welches Schauspiel erwartete ihn erst nach diesem
Hörspiele ! Denn da sassen sie allesammt bei einander ,
an denen er des Tags vorübergegangen war : der König
zur Rechten und der König zur Linken , der alte
Zauberer , der Papst , der freiwillige Bettler , der Schatten ,
der Gewissenhafte des Geistes , der traurige Wahrsager
und der Esel ; der hässlichste Mensch aber hatte sich
eine Krone aufgesetzt und zwei Purpurgürtel umge¬
schlungen , — denn er liebte es , gleich allen Hässlichen ,
5
sich zu verkleiden und schön zu thun . Inmitten aber
dieser betrübten Gesellschaft stand der Adler Zarathu¬
stra's gesträubt und unruhig , denn er sollte auf zu
Vieles antworten , wofür sein Stolz keine Antwort hatte ;
die kluge Schlange aber hieng um seinen Hals .
Diess Alles schaute Zarathustra mit grosser Ver¬
wunderung ; dann aber prüfte er jeden Einzelnen seiner
Gäste mit leutseliger Neugierde , las ihre Seelen ab und
wunderte sich von Neuem . Inzwischen hatten sich die
Versammelten von ihren Sitzen erhoben und warteten
mit Ehrfurcht , dass Zarathustra reden werde . Zarathustra
aber sprach also :
Ihr Verzweifelnden ! Ihr Wunderlichen ! Ich hörte
also euren Nothschrei ? Und nun weiss ich auch , wo
Der zu suchen ist , den ich umsonst heute suchte : der
höhere Mensch — :
— in meiner eignen Höhle sitzt er , der höhere
Mensch ! Aber was wundere ich mich ! Habe ich ihn
nicht selber zu mir gelockt , durch Honig-Opfer und
listige Lockrufe meines Glücks ?
Doch dünkt mir , ihr taugt euch schlecht zur Ge¬
sellschaft , ihr macht einander das Herz unwirsch , ihr
Nothschreienden , wenn ihr hier beisammen sitzt ? Es
muss erst Einer kommen ,
— Einer , der euch wieder lachen macht , ein guter
fröhlicher Hanswurst , ein Tänzer und Wind und Wild¬
fang , irgend ein alter Narr : — was dünket euch ?
Vergebt mir doch , ihr Verzweifelnden , dass ich vor
euch mit solch kleinen Worten rede , unwürdig , wahr¬
lich ! solcher Gäste ! Aber ihr errathet nicht , was mein
Herz muthwillig macht : —
— ihr selber thut es und euer Anblick , vergebt es
mir ! Jeder nämlich wird muthig , der einem Verzweifeln¬
den zuschaut . Einem Verzweifelnden zuzusprechen —
dazu dünkt sich Jeder stark genug .
Mir selber gabt ihr diese Kraft , — eine gute Gabe ,
meine hohen Gäste ! Ein rechtschaffnes Gastgeschenk !
Wohlan , so zürnt nun nicht , dass ich euch auch vom
Meinigen anbiete .
Diess hier ist mein Reich und meine Herrschaft :
was aber mein ist , für diesen Abend und diese Nacht
soll es euer sein . Meine Thiere sollen euch dienen :
meine Höhle sei eure Ruhestatt !
Bei mir zu Heim-und-Hause soll Keiner verzweifeln ,
in meinem Reviere schütze ich Jeden vor seinen wilden
Thieren . Und das ist das Erste , was ich euch anbiete :
Sicherheit !
Das Zweite aber ist : mein kleiner Finger . Und
habt ihr den erst , so nehmt nur noch die ganze Hand ,
wohlan ! und das Herz dazu ! Willkommen hier , will¬
kommen , meine Gastfreunde ! “
Also sprach Zarathustra und lachte vor Liebe und
Bosheit . Nach dieser Begrüssung verneigten sich seine
Gäste abermals und schwiegen ehrfürchtig ; der König
zur Rechten aber antwortete ihm in ihrem Namen .
„ Daran , oh Zarathustra , wie du uns Hand und
Gruss botest , erkennen wir dich als Zarathustra . Du
erniedrigtest dich vor uns ; fast thatest du unserer Ehr¬
furcht wehe — :
— wer aber vermöchte gleich dir sich mit solchem
Stolze zu erniedrigen ? Das richtet uns selber auf , ein
Labsal ist es unsern Augen und Herzen .
5*
Diess allein nur zu schaun stiegen gern wir auf
höhere Berge , als dieser Berg ist . Als Schaulustige
nämlich kamen wir , wir wollten sehn , was trübe Augen
hell macht .
Und siehe , schon ist es vorbei mit allem unsern
Nothschrein . Schon steht Sinn und Herz uns offen
und ist entzückt . Wenig fehlt : und unser Muth wird
muthwillig .
Nichts , oh Zarathustra , wächst Erfreulicheres auf
Erden , als ein hoher starker Wille : der ist ihr schönstes
Gewächs . Eine ganze Landschaft erquickt sich an Einem
solchen Baume .
Der Pinie vergleiche ich , wer gleich dir , oh Zara¬
thustra , aufwächst : lang , schweigend , hart , allein , besten
biegsamsten Holzes , herrlich , —
— zuletzt aber hinausgreifend mit starken grünen
Ästen nach seiner Herrschaft , starke Fragen fragend
vor Winden und Wettern und was immer auf Höhen
heimisch ist ,
— stärker antwortend , ein Befehlender , ein Sieg¬
reicher : oh wer sollte nicht , solche Gewächse zu schaun ,
auf hohe Berge steigen ?
Deines Baumes hier , oh Zarathustra , erlabt sich auch
der Düstere , der Missrathene , an deinem Anblicke wird
auch der Unstäte sicher und heilt sein Herz .
Und wahrlich , zu deinem Berge und Baume richten
sich heute viele Augen ; eine grosse Sehnsucht hat
sich aufgemacht , und Manche lernten fragen : wer ist
Zarathustra ?
Und wem du jemals dein Lied und deinen Honig
in 's Ohr geträufelt : alle die Versteckten , die Einsiedler ,
die Zweisiedler sprachen mit Einem Male zu ihrem
Herzen :
„ Lebt Zarathustra noch ? Es lohnt sich nicht mehr
zu leben , Alles ist gleich , Alles ist umsonst : oder —
wir müssen mit Zarathustra leben ! “
„ Warum kommt er nicht , der sich so lange an¬
kündigte ? also fragen Viele ; verschlang ihn die Ein¬
samkeit ? Oder sollen wir wohl zu ihm kommen ? “
Nun geschieht's , dass die Einsamkeit selber mürbe
wird und zerbricht , einem Grabe gleich , das zerbricht
und seine Todten nicht mehr halten kann . Überall
sieht man Auferstandene .
Nun steigen und steigen die Wellen um deinen
Berg , oh Zarathustra . Und wie hoch auch deine Höhe
ist , Viele müssen zu dir hinauf ; dein Nachen soll nicht
lange mehr im Trocknen sitzen .
Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Höhle
kamen und schon nicht mehr verzweifeln : ein Wahr-
und Vorzeichen ist es nur , davon , dass Bessere zu dir
unterwegs sind , —
— denn er selber ist zu dir unterwegs , der letzte
Rest Gottes unter Menschen , das ist : alle die Menschen
der grossen Sehnsucht , des grossen Ekels , des grossen
Überdrusses ,
— Alle , die nicht leben wollen , oder sie lernen
wieder hoffen — oder sie lernen von dir , oh Zara¬
thustra , die grosse Hoffnung ! “
Also sprach der König zur Rechten und ergriff die
Hand Zarathustra's , um sie zu küssen ; aber Zarathustra
wehrte seiner Verehrung und trat erschreckt zurück ,
schweigend und plötzlich wie in weite Fernen entfliehend .
Nach einer kleinen Weile aber war er schon wieder bei
seinen Gästen , blickte sie mit hellen , prüfenden Augen
an und sprach :
„ Meine Gäste , ihr höheren Menschen , ich will deutsch
und deutlich mit euch reden . Nicht auf euch wartete
ich hier in diesen Bergen . “
( „ Deutsch und deutlich ? Dass Gott erbarm ! sagte
hier der König zur Linken , bei Seite ; man merkt , er
kennt die lieben Deutschen nicht , dieser Weise aus dem
Morgenlande !
Aber er meint „ deutsch und derb “ — wohlan ! Das
ist heutzutage noch nicht der schlimmste Geschmack ! “ )
„ Ihr mögt wahrlich insgesammt höhere Menschen
sein , fuhr Zarathustra fort : aber für mich — seid ihr
nicht hoch und stark genug .
Für mich , das heisst : für das Unerbittliche , das in
mir schweigt , aber nicht immer schweigen wird . Und
gehört ihr zu mir , so doch nicht als mein rechter Arm .
Wer nämlich selber auf kranken und zarten Beinen
steht , gleich euch , der will vor Allem , ob er 's weiss
oder sich verbirgt : dass er geschont werde .
Meine Arme und meine Beine aber schone ich nicht ,
ich schone meine Krieger nicht : wieso könntet
ihr zu meinem Kriege taugen ?
Mit euch verdürbe ich mir jeden Sieg noch . Und
Mancher von euch fiele schon um , wenn er nur den
lauten Schall meiner Trommeln hörte .
Auch seid ihr mir nicht schön genug und wohl¬
geboren . Ich brauche reine glatte Spiegel für meine
Lehren ; auf eurer Oberfläche verzerrt sich noch mein
eignes Bildniss .
Eure Schultern drückt manche Last , manche Er¬
innerung ; manch schlimmer Zwerg hockt in euren
Winkeln . Es giebt verborgenen Pöbel auch in euch .
Und seid ihr auch hoch und höherer Art : Vieles
an euch ist krumm und missgestalt . Da ist kein Schmied
in der Welt , der euch mir zurecht und gerade schlüge .
Ihr seid nur Brücken : mögen Höhere auf euch
hinüber schreiten ! Ihr bedeutet Stufen : so zürnt Dem
nicht , der über euch hinweg in seine Höhe steigt !
Aus eurem Samen mag auch mir einst ein ächter
Sohn und vollkommener Erbe wachsen : aber das ist
ferne . Ihr selber seid Die nicht , welchen mein Erbgut
und Name zugehört .
Nicht auf euch warte ich hier in diesen Bergen ,
nicht mit euch darf ich zum letzten Male niedersteigen .
Als Vorzeichen kamt ihr mir nur , dass schon Höhere
zu mir unterwegs sind , —
— nicht die Menschen der grossen Sehnsucht , des
grossen Ekels , des grossen Überdrusses und Das , was
ihr den Überrest Gottes nanntet .
— Nein ! Nein ! Drei Mal Nein ! Auf Andere
warte ich hier in diesen Bergen und will meinen Fuss
nicht ohne sie von dannen heben ,
— auf Höhere , Stärkere , Sieghaftere , Wohlge¬
muthere , Solche , die rechtwinklig gebaut sind an Leib
und Seele : lachende Löwen müssen kommen !
Oh , meine Gastfreunde , ihr Wunderlichen , — hörtet
ihr noch Nichts von meinen Kindern ? Und dass sie
zu mir unterwegs sind ?
Sprecht mir doch von meinen Gärten , von meinen
glückseligen Inseln , von meiner neuen schönen Art ,
— warum sprecht ihr mir nicht davon ?
Diess Gastgeschenk erbitte ich mir von eurer Liebe ,
dass ihr mir von meinen Kindern sprecht . Hierzu bin
ich reich , hierzu ward ich arm : was gab ich nicht hin ,
— was gäbe ich nicht hin , dass ich Eins hätte :
diese Kinder , diese lebendige Pflanzung , diese Lebens¬
bäume meines Willens und meiner höchsten Hoffnung ! “
Also sprach Zarathustra und hielt plötzlich inne in
seiner Rede : denn ihn überfiel seine Sehnsucht , und er
schloss Augen und Mund vor der Bewegung seines
Herzens . Und auch alle seine Gäste schwiegen und
standen still und bestürzt : nur dass der alte Wahrsager
mit Händen und Gebärden Zeichen gab .
Das Abendmahl .
An dieser Stelle nämlich unterbrach der Wahrsager
die Begrüssung Zarathustra's und seiner Gäste : er
drängte sich vor , wie Einer , der keine Zeit zu verlieren
hat , fasste die Hand Zarathustra's und rief : „ Aber
Zarathustra !
Eins ist nothwendiger als das Andre , so redest du
selber : wohlan , Eins ist mir jetzt nothwendiger als
alles Andere .
Ein Wort zur rechten Zeit : hast du mich nicht zum
Mahle eingeladen ? Und hier sind Viele , die lange
Wege machten . Du willst uns doch nicht mit Reden
abspeisen ?
Auch gedachtet ihr Alle mir schon zu viel des
Erfrierens , Ertrinkens , Erstickens und andrer Leibes-
Nothstände : Keiner aber gedachte meines Nothstandes ,
nämlich des Verhungerns — “
( Also sprach der Wahrsager ; wie die Thiere Zara¬
thustra's aber diese Worte hörten , liefen sie vor Schrecken
davon . Denn sie sahen , dass was sie auch am Tage
heimgebracht hatten , nicht genug sein werde , den Einen
Wahrsager zu stopfen . )
„ Eingerechnet das Verdursten , fuhr der Wahrsager
fort . Und ob ich schon Wasser hier plätschern höre ,
gleich Reden der Weisheit , nämlich reichlich und uner¬
müdlich : ich — will Wein !
Nicht Jeder ist gleich Zarathustra ein geborner
Wassertrinker . Wasser taugt auch nicht für Müde und
Verwelkte : uns gebührt Wein , — der erst giebt plötz¬
liches Genesen und stegreife Gesundheit ! “
Bei dieser Gelegenheit , da der Wahrsager nach
Wein begehrte , geschah es , dass auch der König zur
Linken , der Schweigsame , einmal zu Worte kam . „ Für
Wein , sprach er , trugen wir Sorge , ich sammt meinem
Bruder , dem Könige zur Rechten : wir haben Wein's
genug , — einen ganzen Esel voll . So fehlt Nichts
als Brod . “
„ Brod ? entgegnete Zarathustra und lachte dazu .
Nur gerade Brod haben Einsiedler nicht . Aber der
Mensch lebt nicht vom Brod allein , sondern auch vom
Fleische guter Lämmer , deren ich zwei habe :
— Die soll man geschwinde schlachten und würzig ,
mit Salbei , zubereiten : so liebe ich's . Und auch an
Wurzeln und Früchten fehlt es nicht , gut genug selbst
für Lecker- und Schmeckerlinge ; noch an Nüssen und
andern Räthseln zum Knacken .
Also wollen wir in Kürze eine gute Mahlzeit machen .
Wer aber mit essen will , muss auch mit Hand anlegen ,
auch die Könige . Bei Zarathustra nämlich darf auch
ein König Koch sein . “
Mit diesem Vorschlage war Allen nach dem Herzen
geredet : nur dass der freiwillige Bettler sich gegen
Fleisch und Wein und Würzen sträubte .
„ Nun hört mir doch diesen Schlemmer Zarathustra !
sagte er scherzhaft : geht man dazu in Höhlen und
Hoch-Gebirge , dass man solche Mahlzeiten macht ?
Nun freilich verstehe ich , was er einst uns lehrte :
„Gelobt sei die kleine Armuth ! “ Und warum er die
Bettler abschaffen will . “
„ Sei guter Dinge , antwortete ihm Zarathustra , wie
ich es bin . Bleibe bei deiner Sitte , du Trefflicher , malme
deine Körner , trink dein Wasser , lobe deine Küche :
wenn sie dich nur fröhlich macht !
Ich bin ein Gesetz nur für die Meinen , ich bin kein
Gesetz für Alle . Wer aber zu mir gehört , der muss
von starken Knochen sein , auch von leichten Füssen , —
— lustig zu Kriegen und Festen , kein Düsterling ,
kein Traum-Hans , bereit zum Schwersten wie zu seinem
Feste , gesund und heil .
Das Beste gehört den Meinen und mir ; und giebt
man 's uns nicht , so nehmen wir 's : — die beste Nahrung ,
den reinsten Himmel , die stärksten Gedanken , die
schönsten Fraun ! “ —
Also sprach Zarathustra ; der König zur Rechten
aber entgegnete : „ Seltsam ! Vernahm man je solche
kluge Dinge aus dem Munde eines Weisen ?
Und wahrlich , das ist das Seltsamste an einem
Weisen , wenn er zu alledem auch noch klug und kein
Esel ist . “
Also sprach der König zur Rechten und wunderte
sich ; der Esel aber sagte zu seiner Rede mit bösem
Willen I-A. Diess aber war der Anfang von jener langen
Mahlzeit , welche „ das Abendmahl “ in den Historien-
Büchern genannt wird . Bei derselben wurde von nichts
Anderem geredet als vom höheren Menschen .
Vom höheren Menschen .
1.
Als ich zum ersten Male zu den Menschen kam ,
da that ich die Einsiedler-Thorheit , die grosse Thorheit :
ich stellte mich auf den Markt .
Und als ich zu Allen redete , redete ich zu Keinem .
Des Abends aber waren Seiltänzer meine Genossen , und
Leichname ; und ich selber fast ein Leichnam .
Mit dem neuen Morgen aber kam mir eine neue
Wahrheit : da lernte ich sprechen „ Was geht mich
Markt und Pöbel und Pöbel-Lärm und lange Pöbel-
Ohren an ! “
Ihr höheren Menschen , Diess lernt von mir : auf dem
Markt glaubt Niemand an höhere Menschen . Und wollt
ihr dort reden , wohlan ! Der Pöbel aber blinzelt „ wir
sind Alle gleich . “
„ Ihr höheren Menschen , — so blinzelt der Pöbel
— es giebt keine höheren Menschen , wir sind Alle
gleich , Mensch ist Mensch , vor Gott — sind wir Alle
gleich ! “
Vor Gott ! — Nun aber starb dieser Gott . Vor dem
Pöbel aber wollen wir nicht gleich sein . Ihr höheren
Menschen , geht weg vom Markt !
2.
Vor Gott ! — Nun aber starb dieser Gott ! Ihr
höheren Menschen , dieser Gott war eure grösste Gefahr .
Seit er im Grabe liegt , seid ihr erst wieder auf¬
erstanden . Nun erst kommt der grosse Mittag , nun erst
wird der höhere Mensch — Herr !
Verstandet ihr diess Wort , oh meine Brüder ? Ihr
seid erschreckt : wird euren Herzen schwindlig ? Klafft
euch hier der Abgrund ? Kläfft euch hier der Höllen¬
hund ?
Wohlan ! Wohlauf ! Ihr höheren Menschen ! Nun
erst kreisst der Berg der Menschen-Zukunft . Gott starb :
nun wollen wir , — dass der Übermensch lebe .
3.
Die Sorglichsten fragen heute : „ wie bleibt der
Mensch erhalten ? “ Zarathustra aber fragt als der
Einzige und Erste : „ wie wird der Mensch über¬
wunden ? “
Der Übermensch liegt mir am Herzen , der ist mein
Erstes und Einziges , — und nicht der Mensch : nicht
der Nächste , nicht der Ärmste , nicht der Leidendste ,
nicht der Beste —
Oh meine Brüder , was ich lieben kann am Menschen ,
das ist , dass er ein Übergang ist und ein Untergang .
Und auch an euch ist Vieles , das mich lieben und
hoffen macht .
Dass ihr verachtetet , ihr höheren Menschen , das
macht mich hoffen . Die grossen Verachtenden nämlich
sind die grossen Verehrenden .
Dass ihr verzweifeltet , daran ist Viel zu ehren . Denn
ihr lerntet nicht , wie ihr euch ergäbet , ihr lerntet die
kleinen Klugheiten nicht .
Heute nämlich wurden die kleinen Leute Herr : die
predigen Alle Ergebung und Bescheidung und Klugheit
und Fleiss und Rücksicht und das lange Und- so- weiter
der kleinen Tugenden .
Was von Weibsart ist , was von Knechtsart stammt
und sonderlich der Pöbel-Mischmasch : Das will nun
Herr werden alles Menschen-Schicksals — oh Ekel !
Ekel ! Ekel !
Das frägt und frägt und wird nicht müde : „ wie
erhält sich der Mensch , am besten , am längsten , am
angenehmsten ? “ Damit — sind sie die Herrn von Heute .
Diese Herrn von Heute überwindet mir , oh meine
Brüder , — diese kleinen Leute : die sind des Über¬
menschen grösste Gefahr !
Überwindet mir , ihr höheren Menschen , die kleinen
Tugenden , die kleinen Klugheiten , die Sandkorn-Rück¬
sichten , den Ameisen-Kribbelkram , das erbärmliche
Behagen , das „ Glück der Meisten “ — !
Und lieber verzweifelt , als dass ihr euch ergebt .
Und , wahrlich , ich liebe euch dafür , dass ihr heute nicht
zu leben wisst , ihr höheren Menschen ! So nämlich lebt
ihr — am Besten !
4.
Habt ihr Muth , oh meine Brüder ? Seid ihr herzhaft ?
Nicht Muth vor Zeugen , sondern Einsiedler- und Adler-
Muth , dem auch kein Gott mehr zusieht ?
Kalte Seelen , Maulthiere , Blinde , Trunkene heissen
mir nicht herzhaft . Herz hat , wer Furcht kennt , aber
Furcht zwingt ; wer den Abgrund sieht , aber mit
Stolz .
Wer den Abgrund sieht , aber mit Adlers-Augen ,
— wer mit Adlers-Krallen den Abgrund fasst : Der
hat Muth . — —
5.
„ Der Mensch ist böse “ — so sprachen mir zum
Troste alle Weisesten . Ach , wenn es heute nur noch
wahr ist ! Denn das Böse ist des Menschen beste Kraft .
„ Der Mensch muss besser und böser werden “ —
so lehre ich . Das Böseste ist nöthig zu des Über¬
menschen Bestem .
Das mochte gut sein für jenen Prediger der kleinen
Leute , dass er litt und trug an des Menschen Sünde .
Ich aber erfreue mich der grossen Sünde als meines
grossen Trostes . —
Solches ist aber nicht für lange Ohren gesagt .
Jedwedes Wort gehört auch nicht in jedes Maul . Das
sind feine ferne Dinge : nach denen sollen nicht Schafs-
Klauen greifen !
6.
Ihr höheren Menschen , meint ihr , ich sei da , gut zu
machen , was ihr schlecht machtet ?
Oder ich wollte fürderhin euch Leidende bequemer
betten ? Oder euch Unstäten , Verirrten , Verkletterten
neue leichtere Fusssteige zeigen ?
Nein ! Nein ! Drei Mal Nein ! Immer Mehr , immer
Bessere eurer Art sollen zu Grunde gehn , — denn
ihr sollt es immer schlimmer und härter haben . So
allein —
— so allein wächst der Mensch in die Höhe , wo
der Blitz ihn trifft und zerbricht : hoch genug für
den Blitz !
Auf Weniges , auf Langes , auf Fernes geht mein
Sinn und meine Sehnsucht : was gienge mich euer
kleines , vieles , kurzes Elend an !
Ihr leidet mir noch nicht genug ! Denn ihr leidet
an euch , ihr littet noch nicht am Menschen . Ihr
würdet lügen , wenn ihr 's anders sagtet ! Ihr leidet Alle
nicht , woran ich litt . — —
7.
Es ist mir nicht genug , dass der Blitz nicht mehr
schadet . Nicht ableiten will ich ihn : er soll lernen für
mich — arbeiten . —
Meine Weisheit sammelt sich lange schon gleich
einer Wolke , sie wird stiller und dunkler . So thut jede
Weisheit , welche einst Blitze gebären soll . —
Diesen Menschen von Heute will ich nicht Licht
sein , nicht Licht heissen . Die — will ich blenden .
Blitz meiner Weisheit ! stich ihnen die Augen aus !
8.
Wollt Nichts über euer Vermögen : es giebt eine
schlimme Falschheit bei Solchen , die über ihr Ver¬
mögen wollen .
Sonderlich , wenn sie grosse Dinge wollen ! Denn sie
wecken Misstrauen gegen grosse Dinge , diese feinen
Falschmünzer und Schauspieler : —
— bis sie endlich falsch vor sich selber sind , schiel¬
äugig , übertünchter Wurmfrass , bemäntelt durch starke
Worte , durch Aushänge-Tugenden , durch glänzende
falsche Werke .
Habt da eine gute Vorsicht , ihr höheren Menschen !
Nichts nämlich gilt mir heute kostbarer und seltner als
Redlichkeit .
Ist diess Heute nicht des Pöbels ? Pöbel aber weiss
nicht , was gross , was klein , was gerade und redlich ist :
der ist unschuldig krumm , der lügt immer .
9.
Habt heute ein gutes Misstrauen , ihr höheren
Menschen , ihr Beherzten ! Ihr Offenherzigen ! Und
haltet eure Gründe geheim ! Diess Heute nämlich ist
des Pöbels .
Was der Pöbel ohne Gründe nicht glauben lernte ,
wer könnte ihm durch Gründe Das — umwerfen ?
Und auf dem Markte überzeugt man mit Gebärden .
Aber Gründe machen den Pöbel misstrauisch .
Und wenn da einmal die Wahrheit zum Siege kam ,
so fragt euch mit gutem Misstrauen : „ welch starker
Irrthum hat für sie gekämpft ? “
Hütet euch auch vor den Gelehrten ! Die hassen
euch : denn sie sind unfruchtbar ! Sie haben kalte
vertrocknete Augen , vor ihnen liegt jeder Vogel ent¬
federt .
6
Solche brüsten sich damit , dass sie nicht lügen :
aber Ohnmacht zur Lüge ist lange noch nicht Liebe
zur Wahrheit . Hütet euch !
Freiheit von Fieber ist lange noch nicht Erkennt¬
niss ! Ausgekälteten Geistern glaube ich nicht . Wer
nicht lügen kann , weiss nicht , was Wahrheit ist .
10 .
Wollt ihr hoch hinaus , so braucht die eignen Beine !
Lasst euch nicht empor tragen , setzt euch nicht auf
fremde Rücken und Köpfe !
Du aber stiegst zu Pferde ? Du reitest nun hurtig
hinauf zu deinem Ziele ? Wohlan , mein Freund ! Aber
dein lahmer Fuss sitzt auch mit zu Pferde !
Wenn du an deinem Ziele bist , wenn du von deinem
Pferde springst : auf deiner Höhe gerade , du höherer
Mensch , — wirst du stolpern !
11 .
Ihr Schaffenden , ihr höheren Menschen ! Man ist nur
für das eigne Kind schwanger .
Lasst euch Nichts vorreden , einreden ! Wer ist
denn euer Nächster ? Und handelt ihr auch „ für den
Nächsten “ , — ihr schafft doch nicht für ihn !
Verlernt mir doch diess „ Für “ , ihr Schaffenden : eure
Tugend gerade will es , dass ihr kein Ding mit „ für “
und „ um “ und „ weil “ thut . Gegen diese falschen kleinen
Worte sollt ihr euer Ohr zukleben .
Das „ für den Nächsten “ ist die Tugend nur der
kleinen Leute : da heisst es „ gleich und gleich “ und
„Hand wäscht Hand “ : — sie haben nicht Recht noch
Kraft zu eurem Eigennutz !
In eurem Eigennutz , ihr Schaffenden , ist der
Schwangeren Vorsicht und Vorsehung ! Was Niemand
noch mit Augen sah , die Frucht : die schirmt und schont
und nährt eure ganze Liebe .
Wo eure ganze Liebe ist , bei eurem Kinde , da
ist auch eure ganze Tugend ! Euer Werk , euer Wille
ist euer „ Nächster “ : lasst euch keine falschen Werthe
einreden !
12 .
Ihr Schaffenden , ihr höheren Menschen ! Wer
gebären muss , der ist krank ; wer aber geboren hat ,
ist unrein .
Fragt die Weiber : man gebiert nicht , weil es
Vergnügen macht . Der Schmerz macht Hühner und
Dichter gackern .
Ihr Schaffenden , an euch ist viel Unreines . Das
macht , ihr musstet Mütter sein .
Ein neues Kind : oh wie viel neuer Schmutz kam
auch zur Welt ! Geht bei Seite ! Und wer geboren hat ,
soll seine Seele rein waschen !
13 .
Seid nicht tugendhaft über eure Kräfte ! Und wollt
Nichts von euch wider die Wahrscheinlichkeit !
Geht in den Fusstapfen , wo schon eurer Väter
6*
Tugend gieng ! Wie wolltet ihr hoch steigen , wenn
nicht eurer Väter Wille mit euch steigt ?
Wer aber Erstling sein will , sehe zu , dass er nicht
auch Letztling werde ! Und wo die Laster eurer Väter
sind , darin sollt ihr nicht Heilige bedeuten wollen !
Wessen Väter es mit Weibern hielten und mit
starken Weinen und Wildschweinen : was wäre es , wenn
Der von sich Keuschheit wollte ?
Eine Narrheit wäre es ! Viel , wahrlich , dünkt es
mich für einen Solchen , wenn er Eines oder zweier oder
dreier Weiber Mann ist .
Und stiftete er Klöster und schriebe über die Thür :
„ der Weg zum Heiligen “ , — ich spräche doch : wozu !
es ist eine neue Narrheit !
Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus :
wohl bekomm's ! Aber ich glaube nicht daran .
In der Einsamkeit wächst , was Einer in sie bringt ,
auch das innere Vieh . Solchergestalt widerräth sich
Vielen die Einsamkeit .
Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wüsten-
Heilige ? Um die herum war nicht nur der Teufel los ,
— sondern auch das Schwein .
14 .
Scheu , beschämt , ungeschickt , einem Tiger gleich ,
dem der Sprung missrieth : also , ihr höheren Menschen ,
sah ich oft euch bei Seite schleichen . Ein Wurf
missrieth euch .
Aber , ihr Würfelspieler , was liegt daran ! Ihr
lerntet nicht spielen und spotten , wie man spielen und
spotten muss ! Sitzen wir nicht immer an einem grossen
Spott- und Spieltische ?
Und wenn euch Grosses missrieth , seid ihr selber
darum — missrathen ? Und missriethet ihr selber , miss¬
rieth darum — der Mensch ? Missrieth aber der Mensch :
wohlan ! wohlauf !
15 .
Je höher von Art , je seltener geräth ein Ding .
Ihr höheren Menschen hier , seid ihr nicht alle —
missgerathen ?
Seid guten Muths , was liegt daran ! Wie Vieles ist
noch möglich ! Lernt über euch selber lachen , wie man
lachen muss !
Was Wunders auch , dass ihr missriethet und halb
geriethet , ihr Halbzerbrochenen ! Drängt und stösst sich
nicht in euch — des Menschen Zukunft ?
Des Menschen Fernstes , Tiefstes , Sternen-Höchstes ,
seine ungeheure Kraft : schäumt Das nicht alles gegen
einander in eurem Topfe ?
Was Wunders , dass mancher Topf zerbricht ! Lernt
über euch lachen , wie man lachen muss ! Ihr höheren
Menschen , oh wie Vieles ist noch möglich !
Und wahrlich , wie Viel gerieth schon ! Wie reich
ist diese Erde an kleinen guten vollkommenen Dingen ,
an Wohlgerathenem !
Stellt kleine gute vollkommene Dinge um euch ,
ihr höheren Menschen ! Deren goldene Reife heilt das
Herz . Vollkommnes lehrt hoffen .
16 .
Welches war hier auf Erden bisher die grösste
Sünde ? War es nicht das Wort Dessen , der sprach :
„ Wehe Denen , die hier lachen ! “
Fand er zum Lachen auf der Erde selber keine
Gründe ? So suchte er nur schlecht . Ein Kind findet
hier noch Gründe .
Der — liebte nicht genug : sonst hätte er auch uns
geliebt , die Lachenden ! Aber er hasste und höhnte uns ,
Heulen und Zähneklappern verhiess er uns .
Muss man denn gleich fluchen , wo man nicht
liebt ? Das — dünkt mich ein schlechter Geschmack .
Aber so that er , dieser Unbedingte . Er kam vom
Pöbel .
Und er selber liebte nur nicht genug : sonst hätte
er weniger gezürnt , dass man ihn nicht liebe . Alle
grosse Liebe will nicht Liebe : — die will mehr .
Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten !
Das ist eine arme kranke Art , eine Pöbel-Art : sie sehn
schlimm diesem Leben zu , sie haben den bösen Blick
für diese Erde .
Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten !
Sie haben schwere Füsse und schwüle Herzen : — sie
wissen nicht zu tanzen . Wie möchte Solchen wohl die
Erde leicht sein !
17 .
Krumm kommen alle guten Dinge ihrem Ziele nahe .
Gleich Katzen machen sie Buckel , sie schnurren inne¬
wendig vor ihrem nahen Glücke , — alle guten Dinge
lachen .
Der Schritt verräth , ob Einer schon auf seiner
Bahn schreitet : so seht mich gehn ! Wer aber seinem
Ziel nahe kommt , der tanzt .
Und , wahrlich , zum Standbild ward ich nicht , noch
stehe ich nicht da , starr , stumpf , steinern , eine Säule ;
ich liebe geschwindes Laufen .
Und wenn es auf Erden auch Moor und dicke
Trübsal giebt : wer leichte Füsse hat , läuft über Schlamm
noch hinweg und tanzt wie auf gefegtem Eise .
Erhebt eure Herzen , meine Brüder , hoch ! höher !
Und vergesst mir auch die Beine nicht ! Erhebt auch
eure Beine , ihr guten Tänzer , und besser noch : ihr steht
auch auf dem Kopf !
18 .
Diese Krone des Lachenden , diese Rosenkranz-
Krone : ich selber setzte mir diese Krone auf , ich selber
sprach heilig mein Gelächter . Keinen Anderen fand ich
heute stark genug dazu .
Zarathustra der Tänzer , Zarathustra der Leichte , der
mit den Flügeln winkt , ein Flugbereiter , allen Vögeln
zuwinkend , bereit und fertig , ein Selig-Leichtfertiger : —
Zarathustra der Wahrsager , Zarathustra der Wahr¬
lacher , kein Ungeduldiger , kein Unbedingter , Einer , der
Sprünge und Seitensprünge liebt ; ich selber setzte mir
diese Krone auf !
19 .
Erhebt eure Herzen , meine Brüder , hoch ! höher !
Und vergesst mir auch die Beine nicht ! Erhebt auch
eure Beine , ihr guten Tänzer , und besser noch : ihr steht
auch auf dem Kopf !
Es giebt auch im Glück schweres Gethier , es giebt
Plumpfüssler von Anbeginn . Wunderlich mühn sie sich
ab , einem Elephanten gleich , der sich müht auf dem
Kopfe zu stehn .
Besser aber noch närrisch sein vor Glücke als
närrisch vor Unglücke , besser plump tanzen als lahm
gehn . So lernt mir doch meine Weisheit ab : auch das
schlimmste Ding hat zwei gute Kehrseiten , —
— auch das schlimmste Ding hat gute Tanzbeine :
so lernt mir doch euch selbst , ihr höheren Menschen ,
auf eure rechten Beine stellen !
So verlernt mir doch Trübsal-Blasen und alle
Pöbel-Traurigkeit ! Oh wie traurig dünken mich heute
des Pöbels Hanswürste noch ! Diess Heute aber ist
des Pöbels .
20 .
Dem Winde thut mir gleich , wenn er aus seinen
Berghöhlen stürzt : nach seiner eignen Pfeife will er tanzen ,
die Meere zittern und hüpfen unter seinen Fusstapfen .
Der den Eseln Flügel giebt , der Löwinnen melkt ,
gelobt sei dieser gute unbändige Geist , der allem Heute
und allem Pöbel wie ein Sturmwind kommt , —
— der Distel- und Tiftelköpfen feind ist und allen
welken Blättern und Unkräutern : gelobt sei dieser wilde
gute freie Sturmgeist , welcher auf Mooren und Trübsalen
wie auf Wiesen tanzt !
Der die Pöbel-Schwindhunde hasst und alles miss¬
rathene düstere Gezücht : gelobt sei dieser Geist aller
freien Geister , der lachende Sturm , welcher allen Schwarz¬
sichtigen , Schwärsüchtigen Staub in die Augen bläst !
Ihr höheren Menschen , euer Schlimmstes ist : ihr
lerntet alle nicht tanzen , wie man tanzen muss — über
euch hinweg tanzen ! Was liegt daran , dass ihr miss¬
riethet !
Wie Vieles ist noch möglich ! So lernt doch über
euch hinweg lachen ! Erhebt eure Herzen , ihr guten
Tänzer , hoch ! höher ! Und vergesst mir auch das gute
Lachen nicht !
Diese Krone des Lachenden , diese Rosenkranz-
Krone : euch , meinen Brüdern , werfe ich diese Krone zu !
Das Lachen sprach ich heilig ; ihr höheren Menschen ,
lernt mir — lachen !
Das Lied der Schwermuth .
1.
Als Zarathustra diese Reden sprach , stand er nahe
dem Eingange seiner Höhle ; mit den letzten Worten
aber entschlüpfte er seinen Gästen und floh für eine
kurze Weile in's Freie .
„ Oh reine Gerüche um mich , rief er aus , oh selige
Stille um mich ! Aber wo sind meine Thiere ? Heran ,
heran , mein Adler und meine Schlange !
Sagt mir doch , meine Thiere : diese höheren Menschen
insgesammt — riechen sie vielleicht nicht gut ? Oh
reine Gerüche um mich ! Jetzo weiss und fühle ich erst ,
wie ich euch , meine Thiere , liebe . “
— Und Zarathustra sprach nochmals : „ ich liebe euch ,
meine Thiere ! “ Der Adler aber und die Schlange drängten
sich an ihn , als er diese Worte sprach , und sahen zu
ihm hinauf . Solchergestalt waren sie zu drei still bei¬
sammen und schnüffelten und schlürften mit einander
die gute Luft . Denn die Luft war hier draussen besser
als bei den höheren Menschen .
2.
Kaum aber hatte Zarathustra seine Höhle verlassen ,
da erhob sich der alte Zauberer , sah listig umher und
sprach . „ Er ist hinaus !
Und schon , ihr höheren Menschen — dass ich euch
mit diesem Lob- und Schmeichel-Namen kitzle , gleich
ihm selber — schon fällt mich mein schlimmer Trug-
und Zaubergeist an , mein schwermüthiger Teufel ,
— welcher diesem Zarathustra ein Widersacher ist
aus dem Grunde : vergebt es ihm ! Nun will er vor
euch zaubern , er hat gerade seine Stunde ; umsonst
ringe ich mit diesem bösen Geiste .
Euch Allen , welche Ehren ihr euch mit Worten
geben mögt , ob ihr euch „ die freien Geister “ nennt
oder „ die Wahrhaftigen “ oder „ die Büsser des Geistes “
oder „ die Entfesselten “ oder „ die grossen Sehnsüchtigen “ —
— euch Allen , die ihr am grossen Ekel leidet
gleich mir , denen der alte Gott starb und noch kein
neuer Gott in Wiegen und Windeln liegt , — euch Allen
ist mein böser Geist und Zauber-Teufel hold .
Ich kenne euch , ihr höheren Menschen , ich kenne
ihn , — ich kenne auch diesen Unhold , den ich wider
Willen liebe , diesen Zarathustra : er selber dünkt mich
öfter gleich einer schönen Heiligen-Larve ,
— gleich einem neuen wunderlichen Mummenschanze ,
in dem sich mein böser Geist , der schwermüthige Teufel ,
gefällt : — ich liebe Zarathustra , so dünkt mich oft , um
meines bösen Geistes Willen . —
Aber schon fällt der mich an und zwingt mich ,
dieser Geist der Schwermuth , dieser Abend-Dämmerungs-
Teufel : und , wahrlich , ihr höheren Menschen , es gelüstet
ihn —
— macht nur die Augen auf ! — es gelüstet ihn ,
nackt zu kommen , ob männlich , ob weiblich , noch weiss
ich 's nicht : aber er kommt , er zwingt mich , wehe !
macht eure Sinne auf !
Der Tag klingt ab , allen Dingen kommt nun der
Abend , auch den besten Dingen ; hört nun und seht ,
ihr höheren Menschen , welcher Teufel , ob Mann , ob
Weib , dieser Geist der Abend-Schwermuth ist !
Also sprach der alte Zauberer , sah listig umher und
griff dann zu seiner Harfe .
3.
Bei abgeheilter Luft ,
wenn schon des Thau's Tröstung
zur Erde niederquillt ,
unsichtbar , auch ungehört —
denn zartes Schuhwerk trägt
der Tröster Thau gleich allen Trost-Milden — :
gedenkst du da , gedenkst du , heisses Herz ,
wie einst du durstetest ,
nach himmlischen Thränen und Thau-Geträufel
versengt und müde durstetest ,
dieweil auf gelben Gras-Pfaden
boshaft abendliche Sonnenblicke
durch schwarze Bäume um dich liefen ,
blendende Sonnen-Gluthblicke , schadenfrohe .
„ Der Wahrheit Freier ? Du ? — so höhnten sie —
Nein ! Nur ein Dichter !
ein Thier , ein listiges , raubendes , schleichendes ,
das lügen muss ,
das wissentlich , willentlich lügen muss :
nach Beute lüstern ,
bunt verlarvt ,
sich selber Larve ,
sich selbst zur Beute —
Das — der Wahrheit Freier ?
Nein ! Nur Narr ! nur Dichter !
nur Buntes redend ,
aus Narren-Larven bunt herausschreiend ,
herumsteigend auf lügnerischen Wort-Brücken ,
auf bunten Regenbogen ,
zwischen falschen Himmeln
und falschen Erden ,
herumschweifend , herumschwebend , —
nur Narr ! nur Dichter !
Das — der Wahrheit Freier ?
Nicht still , starr , glatt , kalt ,
zum Bilde worden ,
zur Gottes-Säule ,
nicht aufgestellt vor Tempeln ,
eines Gottes Thürwart :
nein ! feindselig solchen Wahrheits-Standbildern ,
in jeder Wildniss heimischer als vor Tempeln ,
voll Katzen-Muthwillens ,
durch jedes Fenster springend
husch ! in jeden Zufall ,
jedem Urwalde zuschnüffelnd ,
süchtig-sehnsüchtig zuschnüffelnd ,
dass du in Urwäldern
unter buntgefleckten Raubthieren
sündlich-gesund und bunt und schön liefest ,
mit lüsternen Lefzen ,
selig-höhnisch , selig-höllisch , selig-blutgierig ,
raubend , schleichend , lügend liefest : —
Oder , dem Adler gleich , der lange ,
lange starr in Abgründe blickt ,
in seine Abgründe : — —
oh wie sie sich hier hinab ,
hinunter , hinein ,
in immer tiefere Tiefen ringeln ! —
dann ,
plötzlich , geraden Zugs ,
gezückten Flugs ,
auf Lämmer stossen ,
jach hinab , heisshungrig ,
nach Lämmern lüstern ,
gram allen Lamms-Seelen ,
grimmig-gram Allem , was blickt
schafmässig , lammäugig , krauswollig ,
grau , mit Lamms-Schafs-Wohlwollen !
Also
adlerhaft , pantherhaft
sind des Dichters Sehnsüchte ,
sind deine Sehnsüchte unter tausend Larven ,
du Narr ! du Dichter !
Der du den Menschen schautest
so Gott als Schaf — :
den Gott zerreissen im Menschen
wie das Schaf im Menschen ,
und zerreissend lachen —
Das , Das ist deine Seligkeit !
Eines Panthers und Adlers Seligkeit !
Eines Dichters und Narren Seligkeit ! “ — —
Bei abgehellter Luft ,
wenn schon des Monds Sichel
grün zwischen Purpurröthen
und neidisch hinschleicht :
— dem Tage feind ,
mit jedem Schritte heimlich
an Rosen-Hängematten
hinsichelnd , bis sie sinken ,
Nacht-abwärts blass hinabsinken : —
So sank ich selber einstmals
aus meinem Wahrheits-Wahnsinne ,
aus meines Tages-Sehnsüchten ,
des Tages müde , krank vom Lichte ,
— sank abwärts , abendwärts , schattenwärts :
von Einer Wahrheit
verbrannt und durstig :
— gedenkst du noch , gedenkst du , heisses Herz ,
wie da du durstetest ? —
dass ich verbannt sei
von aller Wahrheit !
Nur Narr ! Nur Dichter !
Von der Wissenschaft .
Also sang der Zauberer ; und Alle , die beisammen
waren , giengen gleich Vögeln unvermerkt in das Netz
seiner listigen und schwermüthigen Wollust . Nur der
Gewissenhafte des Geistes war nicht eingefangen : er
nahm flugs dem Zauberer die Harfe weg und rief „ Luft !
Lasst gute Luft herein ! Lasst Zarathustra herein ! Du
machst diese Höhle schwül und giftig , du schlimmer
alter Zauberer !
Du verführst , du Falscher , Feiner , zu unbekannten
Begierden und Wildnissen . Und wehe , wenn Solche , wie
du , von der Wahrheit Redens und Wesens machen !
Wehe allen freien Geistern , welche nicht vor solchen
Zauberern auf der Hut sind ! Dahin ist es mit ihrer
Freiheit : du lehrst und lockst zurück in Gefängnisse , —
— du alter schwermüthiger Teufel , aus deiner Klage
klingt eine Lockpfeife , du gleichst Solchen , welche mit
ihrem Lobe der Keuschheit heimlich zu Wollüsten laden ! “
Also sprach der Gewissenhafte ; der alte Zauberer
aber blickte um sich , genoss seines Sieges und ver¬
schluckte darüber den Verdruss , welchen ihm der Ge¬
wissenhafte machte . „ Sei still ! sagte er mit bescheidener
Stimme , gute Lieder wollen gut wiederhallen ; nach
guten Liedern soll man lange schweigen .
So thun es diese Alle , die höheren Menschen . Du
aber hast wohl Wenig von meinem Lied verstanden ?
In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste . “
„ Du lobst mich , entgegnete der Gewissenhafte , indem
du mich von dir abtrennst , wohlan ! Aber ihr Anderen ,
was sehe ich ? Ihr sitzt alle noch mit lüsternen Augen
da — :
Ihr freien Seelen , wohin ist eure Freiheit ! Fast ,
dünkt mich's , gleicht ihr Solchen , die lange schlimmen
tanzenden nackten Mädchen zusahn : eure Seelen tanzen
selber !
In euch , ihr höheren Menschen , muss Mehr von dem
sein , was der Zauberer seinen bösen Zauber- und Trug¬
geist nennt : — wir müssen wohl verschieden sein .
Und wahrlich , wir sprachen und dachten genug
mitsammen , ehe Zarathustra heimkam zu seiner Höhle ,
als dass ich nicht wüsste : wir sind verschieden .
Wir suchen Verschiednes auch hier oben , ihr und
ich . Ich nämlich suche mehr Sicherheit , desshalb
kam ich zu Zarathustra . Der nämlich ist noch der
festeste Thurm und Wille —
— heute , wo Alles wackelt , wo alle Erde bebt .
Ihr aber , wenn ich eure Augen sehe , die ihr macht ,
fast dünkt mich's , ihr sucht mehr Unsicherheit ,
— mehr Schauder , mehr Gefahr , mehr Erdbeben .
Euch gelüstet , fast dünkt mich 's so , vergebt meinem
Dünkel , ihr höheren Menschen —
— euch gelüstet nach dem schlimmsten gefähr¬
lichsten Leben , das mir am meisten Furcht macht , nach
dem Leben wilder Thiere , nach Wäldern , Höhlen , steilen
Bergen und Irr-Schlünden .
7
Und nicht die Führer aus der Gefahr gefallen euch
am besten , sondern die euch von allen Wegen abführen ,
die Verführer . Aber , wenn solch Gelüsten an euch
wirklich ist , so dünkt es mich trotzdem unmöglich .
Furcht nämlich — das ist des Menschen Erb- und
Grundgefühl ; aus der Furcht erklärt sich Jegliches , Erb¬
sünde und Erbtugend . Aus der Furcht wuchs auch
meine Tugend , die heisst : Wissenschaft .
Die Furcht nämlich vor wildem Gethier — die wurde
dem Menschen am längsten angezüchtet , einschliesslich
das Thier , das er in sich selber birgt und fürchtet : —
Zarathustra heisst es „ das innere Vieh “ .
Solche lange alte Furcht , endlich fein geworden ,
geistlich , geistig — heute , dünkt mich , heisst sie :
Wissenschaft . “ —
Also sprach der Gewissenhafte ; aber Zarathustra , der
eben in seine Höhle zurückkam und die letzte Rede ge¬
hört und errathen hatte , warf dem Gewissenhaften eine
Hand voll Rosen zu und lachte ob seiner „ Wahrheiten “ .
„Wie ! rief er , was hörte ich da eben ? Wahrlich , mich
dünkt , du bist ein Narr oder ich selber bin 's : und deine
„ Wahrheit “ stelle ich rucks und flugs auf den Kopf .
Furcht nämlich — ist unsre Ausnahme . Muth aber
und Abenteuer und Lust am Ungewissen , am Ungewagten ,
— Muth dünkt mich des Menschen ganze Vorgeschichte .
Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre
Tugenden abgeneidet und abgeraubt : so erst wurde er
— zum Menschen .
Dieser Muth , endlich fein geworden , geistlich ,
geistig , dieser Menschen-Muth mit Adler-Flügeln und
Schlangen-Klugheit : der , dünkt mich , heisst heute — “
„ Zarathustra “ ! schrien Alle , die beisammen sassen ,
wie aus Einem Munde und machten dazu ein grosses
Gelächter ; es hob sich aber von ihnen wie eine schwere
Wolke . Auch der Zauberer lachte und sprach mit
Klugheit : „ Wohlan ! Er ist davon , mein böser Geist !
Und habe ich euch nicht selber vor ihm gewarnt ,
als ich sagte , dass er ein Betrüger sei , ein Lug- und
Truggeist ?
Sonderlich nämlich , wenn er sich nackend zeigt .
Aber was kann ich für seine Tücken ! Habe ich ihn
und die Welt geschaffen ?
Wohlan ! Seien wir wieder gut und guter Dinge !
Und ob schon Zarathustra böse blickt — seht ihn doch !
er ist mir gram — :
— bevor die Nacht kommt , lernt er wieder , mich
lieben und loben , er kann nicht lange leben , ohne solche
Thorheiten zu thun .
Der — liebt seine Feinde : diese Kunst versteht er
am besten von Allen , die ich sah . Aber er nimmt Rache
dafür — an seinen Freunden ! “
Also sprach der alte Zauberer , und die höheren
Menschen zollten ihm Beifall : so dass Zarathustra herum¬
gieng und mit Bosheit und Liebe seinen Freunden die
Hände schüttelte , — gleichsam als Einer , der an Allen
Etwas gutzumachen und abzubitten hat . Als er aber
dabei an die Thür seiner Höhle kam , siehe , da gelüstete
ihn schon wieder nach der guten Luft da draussen und
nach seinen Thieren , — und er wollte hinaus schlüpfen .
7*
Unter Töchtern der Wüste .
1.
„ Gehe nicht davon ! sagte da der Wanderer ,
welcher sich den Schatten Zarathustra's nannte , bleibe
bei uns , es möchte uns sonst die alte dumpfe Trübsal
wieder anfallen .
Schon gab uns jener alte Zauberer von seinem
Schlimmsten zum Besten , und siehe doch , der gute
fromme Papst da hat Thränen in den Augen und hat
sich ganz wieder auf's Meer der Schwermuth ein¬
geschifft .
Diese Könige mögen wohl vor uns noch gute
Miene machen : das lernten Die nämlich von uns Allen
heute am besten ! Hätten sie aber keine Zeugen , ich
wette , auch bei ihnen fienge das böse Spiel wieder an —
— das böse Spiel der ziehenden Wolken , der feuchten
Schwermuth , der verhängten Himmel , der gestohlenen
Sonnen , der heulenden Herbst-Winde !
— das böse Spiel unsres Heulens und Nothschreiens :
bleibe bei uns , oh Zarathustra ! Hier ist viel verborgenes
Elend , das reden will , viel Abend , viel Wolke , viel
dumpfe Luft !
Du nährtest uns mit starker Manns-Kost und
kräftigen Sprüchen : lass es nicht zu , dass uns zum
Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister wieder
anfallen !
Du allein machst die Luft um dich herum stark und
klar ! Fand ich je auf Erden so gute Luft , als bei dir
in deiner Höhle ?
Viele Länder sah ich doch , meine Nase lernte
vielerlei Luft prüfen und abschätzen : aber bei dir
schmecken meine Nüstern ihre grösste Lust !
Es sei denn , — es sei denn — , oh vergieb eine
alte Erinnerung ! Vergieb mir ein altes Nachtisch-Lied ,
das ich einst unter Töchtern der Wüste dichtete : —
— bei denen nämlich gab es gleich gute helle
morgenländische Luft ; dort war ich am fernsten vom
wolkigen feuchten schwermüthigen Alt-Europa !
Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Mädchen
und andres blaues Himmelreich , über dem keine Wolken
und keine Gedanken hängen .
Ihr glaubt es nicht , wie artig sie dasassen , wenn
sie nicht tanzten , tief , aber ohne Gedanken , wie kleine
Geheimnisse , wie bebänderte Räthsel , wie Nachtisch-
Nüsse —
bunt und fremd fürwahr ! aber ohne Wolken :
Räthsel , die sich rathen lassen : solchen Mädchen zu
Liebe erdachte ich damals einen Nachtisch-Psalm . “
Also sprach der Wanderer und Schatten ; und
ehe Jemand ihm antwortete , hatte er schon die Harfe
des alten Zauberers ergriffen , die Beine gekreuzt und
blickte gelassen und weise um sich : — mit den
Nüstern aber zog er langsam und fragend die Luft
ein , wie Einer , der in neuen Ländern neue fremde
Luft kostet . Darauf hob er mit einer Art Gebrüll zu
singen an .
2.
Die Wüste wächst : weh Dem , der Wüsten birgt !
— Ha ! Feierlich !
In der That feierlich !
Ein würdiger Anfang !
Afrikanisch feierlich !
Eines Löwen würdig ,
oder eines moralischen Brüllaffen —
— aber Nichts für euch ,
ihr allerliebsten Freundinnen ,
zu deren Füssen mir
zum ersten Male ,
einem Europäer , unter Palmen
zu sitzen vergönnt ist . Sela .
Wunderbar wahrlich !
Da sitze ich nun ,
der Wüste nahe und bereits
so fern wieder der Wüste ,
auch in Nichts noch verwüstet :
nämlich hinabgeschluckt
von dieser kleinsten Oasis — :
— sie sperrte gerade gähnend
ihr liebliches Maul auf ,
das wohlriechendste aller Mäulchen :
da fiel ich hinein ,
hinab , hindurch — unter euch ,
ihr allerliebsten Freundinnen ! Sela .
Heil , Heil jenem Wallfische ,
wenn er also es seinem Gaste
wohl sein liess ! — ihr versteht
meine gelehrte Anspielung ? —
Heil seinem Bauche ,
wenn er also
ein so lieblicher Oasis-Bauch war
gleich diesem : was ich aber in Zweifel ziehe ,
— dafür komme ich aus Europa ,
das zweifelsüchtiger ist als alle
ältlichen Eheweibchen .
Möge Gott es bessern !
Amen !
Da sitze ich nun ,
in dieser kleinsten Oasis ,
einer Dattel gleich ,
braun , durchsüsst , goldschwürig , lüstern
nach einem runden Mädchenmunde ,
mehr noch aber nach mädchenhaften
eiskalten schneeweissen schneidigen
Beisszähnen : nach denen nämlich
lechzt das Herz allen heissen Datteln . Sela .
Den genannten Südfrüchten
ähnlich , allzuähnlich
liege ich hier , von kleinen
Flügelkäfern
umtänzelt und umspielt ,
insgleichen von noch kleineren
thörichteren boshafteren
Wünschen und Einfällen , —
umlagert von euch ,
ihr stummen , ihr ahnungsvollen
Mädchen-Katzen ,
Dudu und Suleika ,
— umsphinxt , dass ich in Ein Wort
viel Gefühle stopfe :
( vergebe mir Gott
diese Sprach-Sünde ! )
— sitze hier , die beste Luft schnüffelnd ,
Paradieses-Luft wahrlich ,
lichte leichte Luft , goldgestreifte ,
so gute Luft nur je
vom Monde herabfiel —
sei es aus Zufall ,
oder geschah es aus Übermuthe ?
wie die alten Dichter erzählen .
Ich Zweifler aber ziehe es
in Zweifel , dafür aber komme ich
aus Europa ,
das zweifelsüchtiger ist als alle
ältlichen Eheweibchen .
Möge Gott es bessern !
Amen !
Diese schönste Luft trinkend ,
mit Nüstern geschwellt gleich Bechern ,
ohne Zukunft , ohne Erinnerungen ,
so sitze ich hier , ihr
allerliebsten Freundinnen ,
und sehe der Palme zu ,
wie sie , einer Tänzerin gleich ,
sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt ,
— man thut es mit , sieht man lange zu ! —
einer Tänzerin gleich , die , wie mir scheinen will ,
zu lange schon , gefährlich lange ,
immer , immer nur auf Einem Beine stand ?
— da vergass sie darob , wie mir scheinen will ,
das andre Bein ?
Vergebens wenigstens
suchte ich das vermisste
Zwillings-Kleinod
— nämlich das andre Bein —
in der heiligen Nähe
ihres allerliebsten , allerzierlichsten
Fächer- und Flatter- und Flitterröckchens .
Ja , wenn ihr mir , ihr schönen Freundinnen ,
ganz glauben wollt :
sie hat es verloren !
Es ist dahin !
auf ewig dahin !
das andre Bein !
Oh schade um dieses liebliche andre Bein !
Wo — mag es wohl weilen und verlassen trauern ?
dieses einsame Bein ?
In Furcht vielleicht vor einem
grimmen gelben blondgelockten
Löwen-Unthiere ? Oder gar schon
abgenagt , abgeknabbert —
erbärmlich , wehe ! wehe ! abgeknabbert ! Sela .
Oh weint mir nicht ,
weiche Herzen !
Weint mir nicht , ihr
Dattel-Herzen ! Milch-Busen !
Ihr Süssholz-Herz-
Beutelchen !
Weine nicht mehr ,
bleiche Dudu !
Sei ein Mann , Suleika ! Muth ! Muth !
— Oder sollte vielleicht
etwas Stärkendes , Herz-Stärkendes ,
hier am Platze sein ?
Ein gesalbter Spruch ?
Ein feierlicher Zuspruch ? —
Ha ! Herauf , Würde !
Tugend- Würde ! Europäer- Würde !
Blase , blase wieder ,
Blasebalg der Tugend !
Ha !
Noch Ein Mal brüllen ,
moralisch brüllen !
Als moralischer Löwe
vor den Töchtern der Wüste brüllen !
— Denn Tugend-Geheul ,
ihr allerliebsten Mädchen ,
ist mehr als Alles
Europäer-Inbrunst , Europäer-Heisshunger !
Und da stehe ich schon ,
als Europäer ,
ich kann nicht anders , Gott helfe mir !
Amen !
Die Wüste wächst : weh Dem , der Wüsten birgt !
Die Erweckung .
1.
Nach dem Liede des Wanderers und Schattens wurde
die Höhle mit Einem Male voll Lärmens und Lachens ;
und da die versammelten Gäste alle zugleich redeten ,
und auch der Esel , bei einer solchen Ermuthigung , nicht
mehr still blieb , überkam Zarathustra ein kleiner Wider¬
wille und Spott gegen seinen Besuch : ob er sich gleich
ihrer Fröhlichkeit erfreute . Denn sie dünkte ihm ein
Zeichen der Genesung . So schlüpfte er hinaus in's Freie
und sprach zu seinen Thieren .
„ Wo ist nun ihre Noth hin ? sprach er , und schon
athmete er selber von seinem kleinen Überdrusse auf ,
— bei mir verlernten sie , wie mich dünkt , das Noth¬
schrein !
— wenn auch , leider , noch nicht das Schrein . “ Und
Zarathustra hielt sich die Ohren zu , denn eben mischte
sich das I-A des Esels wunderlich mit dem Jubel-Lärm
dieser höheren Menschen .
„ Sie sind lustig , begann er wieder , und wer weiss ?
vielleicht auf ihres Wirthes Unkosten ; und lernten sie
von mir lachen , so ist es doch nicht mein Lachen ,
das sie lernten .
Aber was liegt daran ! Es sind alte Leute : sie
genesen auf ihre Art , sie lachen auf ihre Art ; meine
Ohren haben schon Schlimmeres erduldet und wurden
nicht unwirsch .
Dieser Tag ist ein Sieg : er weicht schon , er flieht ,
der Geist der Schwere , mein alter Erzfeind ! Wie
gut will dieser Tag enden , der so schlimm und schwer
begann !
Und enden will er . Schon kommt der Abend :
über das Meer her reitet er , der gute Reiter ! Wie er
sich wiegt , der Selige , Heimkehrende , in seinen pur¬
purnen Sätteln !
Der Himmel blickt klar dazu , die Welt liegt tief :
oh all ihr Wunderlichen , die ihr zu mir kamt , es lohnt
sich schon , bei mir zu leben ! “
Also sprach Zarathustra . Und wieder kam da das
Geschrei und Gelächter der höheren Menschen aus der
Höhle : da begann er von Neuem .
„ Sie beissen an , mein Köder wirkt , es weicht auch
ihnen ihr Feind , der Geist der Schwere . Schon lernen
sie über sich selber lachen : höre ich recht ?
Meine Manns-Kost wirkt , mein Saft- und Kraft-
Spruch : und wahrlich , ich nährte sie nicht mit Bläh-
Gemüsen ! Sondern mit Krieger-Kost , mit Eroberer-
Kost : neue Begierden weckte ich .
Neue Hoffnungen sind in ihren Armen und Beinen ,
ihr Herz streckt sich aus . Sie finden neue Worte , bald
wird ihr Geist Muthwillen athmen .
Solche Kost mag freilich nicht für Kinder sein ,
noch auch für sehnsüchtige alte und junge Weibchen .
Denen überredet man anders die Eingeweide ; deren
Arzt und Lehrer bin ich nicht .
Der Ekel weicht diesen höheren Menschen : wohlan !
das ist mein Sieg . In meinem Reiche werden sie sicher ,
alle dumme Scham läuft davon , sie schütten sich aus .
Sie schütten ihr Herz aus , gute Stunden kehren
ihnen zurück , sie feiern und käuen wieder , — sie werden
dankbar .
Das nehme ich als das beste Zeichen : sie werden
dankbar . Nicht lange noch , und sie denken sich Feste
aus und stellen Denksteine ihren alten Freuden auf .
Es sind Genesende ! “ Also sprach Zarathustra
fröhlich zu seinem Herzen und schaute hinaus ; seine
Thiere aber drängten sich an ihn und ehrten sein Glück
und sein Stillschweigen .
2.
Plötzlich aber erschrak das Ohr Zarathustra's : die
Höhle nämlich , welche bisher voller Lärmens und Ge¬
lächters war , wurde mit Einem Male todtenstill ; — seine
Nase aber roch einen wohlriechenden Qualm und Weih¬
rauch , wie von brennenden Pinien-Zapfen .
„ Was geschieht ? Was treiben sie ? fragte er sich
und schlich zum Eingange heran , dass er seinen Gästen ,
unvermerkt , zusehn könne . Aber , Wunder über Wunder !
was musste er da mit seinen eignen Augen sehn !
„ Sie sind Alle wieder fromm geworden , sie beten ,
sie sind toll ! “ — sprach er und verwunderte sich über
die Maassen . Und , fürwahr ! , alle diese höheren Menschen ,
die zwei Könige , der Papst ausser Dienst , der schlimme
Zauberer , der freiwillige Bettler , der Wanderer und
Schatten , der alte Wahrsager , der Gewissenhafte des
Geistes und der hässlichste Mensch : sie lagen Alle
gleich Kindern und gläubigen alten Weibchen auf den
Knien und beteten den Esel an . Und eben begann der
hässlichste Mensch zu gurgeln und zu schnauben , wie
als ob etwas Unaussprechliches aus ihm heraus wolle ;
als er es aber wirklich bis zu Worten gebracht hatte ,
siehe , da war es eine fromme seltsame Litanei zur Lob¬
preisung des angebeteten und angeräucherten Esels .
Diese Litanei aber klang also :
Amen ! Und Lob und Ehre und Weisheit und Dank
und Preis und Stärke sei unserm Gott , von Ewigkeit
zu Ewigkeit !
— Der Esel aber schrie dazu I-A .
Er trägt unsre Last , er nahm Knechtsgestalt an ,
er ist geduldsam von Herzen und redet niemals Nein ;
und wer seinen Gott liebt , der züchtigt ihn .
— Der Esel aber schrie dazu I-A .
Er redet nicht : es sei denn , dass er zur Welt , die
er schuf , immer Ja sagt : also preist er seine Welt .
Seine Schlauheit ist es , die nicht redet : so bekömmt er
selten Unrecht .
— Der Esel aber schrie dazu I-A.
Unscheinbar geht er durch die Welt . Grau ist die
Leib-Farbe , in welche er seine Tugend hüllt . Hat er
Geist , so verbirgt er ihn ; Jedermann aber glaubt an
seine langen Ohren .
— Der Esel aber schrie dazu I-A .
Welche verborgene Weisheit ist das , dass er lange
Ohren trägt und allein Ja und nimmer Nein sagt ! Hat
er nicht die Welt erschaffen nach seinem Bilde , nämlich
so dumm als möglich ?
— Der Esel aber schrie dazu I-A .
Du gehst gerade und krumme Wege ; es kümmert
dich wenig , was uns Menschen gerade oder krumm
dünkt . Jenseits von Gut und Böse ist dein Reich . Es
ist deine Unschuld , nicht zu wissen , was Unschuld ist .
— Der Esel aber schrie dazu I-A .
Siehe doch , wie du Niemanden von dir stössest , die
Bettler nicht , noch die Könige . Die Kindlein lässest du
zu dir kommen , und wenn dich die bösen Buben locken ,
so sprichst du einfältiglich I-A .
— Der Esel aber schrie dazu I-A .
Du liebst Eselinnen und frische Feigen , du bist
kein Kostverächter . Eine Distel kitzelt dir das Herz ,
wenn du gerade Hunger hast . Darin liegt eines Gottes
Weisheit .
— Der Esel aber schrie dazu I-A .
Das Eselsfest .
1.
An dieser Stelle der Litanei aber konnte Zara¬
thustra sich nicht länger bemeistern , schrie selber I-A ,
lauter noch als der Esel , und sprang mitten unter seine
tollgewordenen Gäste . „ Aber was treibt ihr da , ihr
Menschenkinder ? rief er , indem er die Betenden vom
Boden empor riss . Wehe , wenn euch Jemand Anderes
zusähe als Zarathustra :
Jeder würde urtheilen , ihr wäret mit eurem neuen
Glauben die ärgsten Gotteslästerer oder die thörichtsten
aller alten Weiblein !
Und du selber , du alter Papst , wie stimmt Das mit
dir selber zusammen , dass du solchergestalt einen Esel
hier als Gott anbetest ? “ —
„ Oh Zarathustra , antwortete der Papst , vergieb mir ,
aber in Dingen Gottes bin ich aufgeklärter noch als du .
Und so ist's billig .
Lieber Gott also anbeten , in dieser Gestalt , als in
gar keiner Gestalt ! Denke über diesen Spruch nach ,
mein hoher Freund : du erräthst geschwind , in solchem
Spruch steckt Weisheit .
Der , welcher sprach „ Gott ist ein Geist “ — der
machte bisher auf Erden den grössten Schritt und
8
Sprung zum Unglauben : solch Wort ist auf Erden nicht
leicht wieder gut zu machen !
Mein altes Herz springt und hüpft darob , dass es
auf Erden noch Etwas anzubeten giebt . Vergieb das ,
oh Zarathustra , einem alten frommen Papst-Herzen ! — “
— „ Und du , sagte Zarathustra zu dem Wanderer
und Schatten , du nennst und wähnst dich einen
freien Geist ? Und treibst hier solchen Götzen- und
Pfaffendienst ?
Schlimmer , wahrlich , treibst du 's hier noch als bei
deinen schlimmen braunen Mädchen , du schlimmer neuer
Gläubiger ! “
„ Schlimm genug , antwortete der Wanderer und
Schatten , du hast Recht : aber was kann ich dafür !
Der alte Gott lebt wieder , oh Zarathustra , du magst
reden , was du willst .
Der hässlichste Mensch ist an Allem schuld : der
hat ihn wieder auferweckt . Und wenn er sagt , dass er
ihn einst getödtet habe : Tod ist bei Göttern immer
nur ein Vorurtheil . “
Und du , sprach Zarathustra , du schlimmer alter
Zauberer , was thatest du ! Wer soll , in dieser freien
Zeit , fürderhin an dich glauben , wenn du an solche
Götter-Eseleien glaubst ?
Es war eine Dummheit , was du thatest ; wie
konntest du , du Kluger , eine solche Dummheit thun !
„ Oh Zarathustra , antwortete der kluge Zauberer , du
hast Recht , es war eine Dummheit , — es ist mir auch
schwer genug geworden . “
— „ Und du gar , sagte Zarathustra zu dem Ge¬
wissenhaften des Geistes , erwäge doch und lege den
Finger an deine Nase ! Geht hier denn Nichts wider
dein Gewissen ? Ist dein Geist nicht zu reinlich für
diess Beten und den Dunst dieser Betbrüder ? “
„ Es ist Etwas daran , antwortete der Gewissenhafte
und legte den Finger an die Nase , es ist Etwas an
diesem Schauspiele , das meinem Gewissen sogar
wohlthut .
Vielleicht , dass ich an Gott nicht glauben darf :
gewiss aber ist , dass Gott mir in dieser Gestalt noch
am glaubwürdigsten dünkt .
Gott soll ewig sein , nach dem Zeugnisse der
Frömmsten : wer so viel Zeit hat , lässt sich Zeit . So
langsam und so dumm als möglich : damit kann ein
Solcher es doch sehr weit bringen .
Und wer des Geistes zu viel hat , der möchte sich
wohl in die Dumm- und Narrheit selber vernarren .
Denke über dich selber nach , oh Zarathustra !
Du selber — wahrlich ! auch du könntest wohl aus
Überfluss und Weisheit zu einem Esel werden .
Geht nicht ein vollkommner Weiser gern auf den
krümmsten Wegen ? Der Augenschein lehrt es , oh
Zarathustra , — dein Augenschein ! “
— „ Und du selber zuletzt , sprach Zarathustra und
wandte sich gegen den hässlichsten Menschen , der immer
noch auf dem Boden lag , den Arm zu dem Esel em¬
porhebend ( er gab ihm nämlich Wein zu trinken ) .
Sprich , du Unaussprechlicher , was hast du da gemacht !
Du dünkst mich verwandelt , dein Auge glüht , der
Mantel des Erhabenen liegt um deine Hässlichkeit : was
thatest du ?
Ist es denn wahr , was Jene sagen , dass du ihn
8*
wieder auferwecktest ? Und wozu ? War er nicht mit
Grund abgetödtet und abgethan ?
Du selber dünkst mich aufgeweckt : was thatest
du ? was kehrtest du um ? Was bekehrtest du dich ?
Sprich , du Unaussprechlicher ! “
„ Oh Zarathustra , antwortete der hässlichste Mensch ,
du bist ein Schelm !
Ob Der noch lebt oder wieder lebt oder gründlich
todt ist , — wer von uns Beiden weiss Das am Besten ?
Ich frage dich .
Eins aber weiss ich , — von dir selber lernte ich 's
einst , oh Zarathustra : wer am gründlichsten tödten will ,
der lacht .
„ Nicht durch Zorn , sondern durch Lachen tödtet
man “ — so sprachst du einst . Oh Zarathustra , du Ver¬
borgener , du Vernichter ohne Zorn , du gefährlicher
Heiliger , — du bist ein Schelm ! “
2.
Da aber geschah es , dass Zarathustra , verwundert
über lauter solche Schelmen-Antworten , zur Thür seiner
Höhle zurück sprang und , gegen alle seine Gäste ge¬
wendet , mit starker Stimme schrie :
„ Oh ihr Schalks-Narren allesammt , ihr Possen¬
reisser ! Was verstellt und versteckt ihr euch vor mir !
Wie doch einem Jeden von euch das Herz zap¬
pelte vor Lust und Bosheit , darob , dass ihr endlich
einmal wieder wurdet wie die Kindlein , nämlich
fromm , —
— dass ihr endlich wieder thatet wie Kinder
thun , nämlich betetet , hände-faltetet und „ lieber Gott “
sagtet !
Aber nun lasst mir diese Kinderstube , meine eigne
Höhle , wo heute alle Kinderei zu Hause ist . Kühlt
hier draussen euren heissen Kinder-Übermuth und
Herzenslärm ab !
Freilich : so ihr nicht werdet wie die Kindlein , so
kommt ihr nicht in das Himmelreich . ( Und Zarathustra
zeigte mit den Händen nach Oben . )
Aber wir wollen auch gar nicht in's Himmelreich :
Männer sind wir worden , — so wollen wir das
Erdenreich . “
3.
Und noch einmal hob Zarathustra an zu reden .
„ Oh meine neuen Freunde , sprach er — ihr Wunder¬
lichen , ihr höheren Menschen , wie gut gefallt ihr mir
nun , —
— seit ihr wieder fröhlich wurdet ! Ihr seid wahr¬
lich alle aufgeblüht : mich dünkt , solchen Blumen , wie
ihr seid , thun neue Feste Noth ,
— ein kleiner tapferer Unsinn , irgend ein Gottes¬
dienst und Eselsfest , irgend ein alter fröhlicher Zara¬
thustra-Narr , ein Brausewind , der euch die Seelen
hell bläst .
Vergesst diese Nacht und diess Eselsfest nicht , ihr
höheren Menschen ! Das erfandet ihr bei mir , Das
nehme ich als gutes Wahrzeichen , — Solcherlei erfinden
nur Genesende !
Und feiert ihr es abermals , dieses Eselsfest , thut 's
euch zu Liebe , thut 's auch mir zu Liebe ! Und zu
meinem Gedächtniss ! “
Also sprach Zarathustra .
Das Nachtwandler-Lied .
1.
Inzwischen aber war Einer nach dem Andern
hinaus getreten , in's Freie und in die kühle nachdenk¬
liche Nacht ; Zarathustra selber aber führte den häss¬
lichsten Menschen an der Hand , dass er ihm seine
Nacht-Welt und den grossen runden Mond und die
silbernen Wasserstürze bei seiner Höhle zeige . Da
standen sie endlich still bei einander , lauter alte
Leute , aber mit einem getrösteten tapferen Herzen
und verwundert bei sich , dass es ihnen auf Erden so
wohl war ; die Heimlichkeit der Nacht aber kam ihnen
näher und näher an's Herz . Und von Neuem dachte
Zarathustra bei sich : „ oh wie gut sie mir nun ge¬
fallen , diese höheren Menschen ! “ — aber er sprach
es nicht aus , denn er ehrte ihr Glück und ihr Still¬
schweigen . —
Da aber geschah Das , was an jenem erstaunlichen
langen Tage das Erstaunlichste war : der hässlichste
Mensch begann noch ein Mal und zum letzten Mal zu
gurgeln und zu schnauben , und als er es bis zu Worten
gebracht hatte , siehe , da sprang eine Frage rund und
reinlich aus seinem Munde , eine gute tiefe klare Frage ,
welche Allen , die ihm zuhörten , das Herz im Leibe
bewegte .
„ Meine Freunde insgesammt , sprach der häss¬
lichste Mensch , was dünket euch ? Um dieses Tags
Willen — ich bin's zum ersten Male zufrieden , dass
ich das ganze Leben lebte .
Und dass ich so viel bezeuge , ist mir noch nicht
genug . Es lohnt sich auf der Erde zu leben : Ein
Tag , Ein Fest mit Zarathustra lehrte mich die Erde
lieben .
„ War Das — das Leben ? “ will ich zum Tode
sprechen . „ Wohlan ! Noch Ein Mal ! “
Meine Freunde , was dünket euch ? Wollt ihr nicht
gleich mir zum Tode sprechen : War Das — das
Leben ? Um Zarathustra's Willen , wohlan ! Noch Ein
Mal ! “ — —
Also sprach der hässlichste Mensch ; es war aber
nicht lange vor Mitternacht . Und was glaubt ihr wohl ,
dass damals sich zutrug ? Sobald die höheren Menschen
seine Frage hörten , wurden sie sich mit Einem Male
ihrer Verwandlung und Genesung bewusst , und wer
ihnen dieselbe gegeben habe : da sprangen sie auf
Zarathustra zu , dankend , verehrend , liebkosend , ihm die
Hände küssend , so wie es der Art eines Jeden eigen
war : also das Einige lachten , Einige weinten . Der alte
Wahrsager aber tanzte vor Vergnügen ; und wenn er
auch , wie manche Erzähler meinen , damals voll süssen
Weines war , so war er gewisslich noch voller des süssen
Lebens und hatte aller Müdigkeit abgesagt . Es giebt
sogar Solche , die erzählen , dass damals der Esel getanzt
habe : nicht umsonst nämlich habe ihm der hässlichste
Mensch vorher Wein zu trinken gegeben . Diess mag sich
nun so verhalten oder auch anders ; und wenn in Wahrheit
an jenem Abende der Esel nicht getanzt hat , so ge¬
schahen doch damals grössere und seltsamere Wunder¬
dinge als es das Tanzen eines Esels wäre . Kurz , wie
das Sprichwort Zarathustra's lautet : „ was liegt daran ! “
2.
Zarathustra aber , als sich diess mit dem häss¬
lichsten Menschen zutrug , stand da , wie ein Trunkener :
sein Blick erlosch , seine Zunge lallte , seine Füsse
schwankten . Und wer möchte auch errathen , welche
Gedanken dabei über Zarathustra's Seele liefen ? Er¬
sichtlich aber wich sein Geist zurück und floh voraus
und war in weiten Fernen und gleichsam „ auf hohem
Joche , wie geschrieben steht , zwischen zwei Meeren ,
— zwischen Vergangenem und Zukünftigem als
schwere Wolke wandelnd . “ Allgemach aber , während
ihn die höheren Menschen in den Armen hielten , kam
er ein Wenig zu sich selber zurück und wehrte mit den
Händen dem Gedränge der Verehrenden und Be¬
sorgten ; doch sprach er nicht . Mit Einem Male aber
wandte er schnell den Kopf , denn er schien Etwas zu
hören : da legte er den Finger an den Mund und
sprach : „ Kommt ! “
Und alsbald wurde es rings still und heimlich ; aus
der Tiefe aber kam langsam der Klang einer Glocke
herauf . Zarathustra horchte darnach , gleich den höheren
Menschen ; dann aber legte er zum andern Male den
Finger an den Mund und sprach wiederum : „ Kommt !
Kommt ! Es geht gen Mitternacht ! “ — und seine
Stimme hatte sich verwandelt . Aber immer noch rührte
er sich nicht von der Stelle : da wurde es noch stiller
und heimlicher , und Alles horchte , auch der Esel , und
Zarathustra's Ehrenthiere , der Adler und die Schlange ,
insgleichen die Höhle Zarathustra's und der grosse
kühle Mond und die Nacht selber . Zarathustra aber
legte zum dritten Male die Hand an den Mund und
sprach :
Kommt ! Kommt ! Kommt ! Lasst uns jetzo
wandeln ! Es ist die Stunde : lasst uns in die
Nacht wandeln !
3.
Ihr höheren Menschen , es geht gen Mitternacht : da
will ich euch Etwas in die Ohren sagen , wie jene alte
Glocke es mir in 's Ohr sagt , —
— so heimlich , so schrecklich , so herzlich , wie jene
Mitternachts-Glocke zu mir es redet , die mehr erlebt
hat als Ein Mensch :
— welche schon eurer Väter Herzens-Schmerzens-
Schläge abzählte — ach ! ach ! wie sie seufzt ! wie sie
im Traume lacht ! die alte tiefe tiefe Mitternacht !
Still ! Still ! Da hört sich Manches , das am Tage
nicht laut werden darf ; nun aber , bei kühler Luft , da
auch aller Lärm eurer Herzen stille ward , —
— nun redet es , nun hört es sich , nun schleicht es
sich in nächtliche überwache Seelen : ach ! ach ! wie sie
seufzt ! wie sie im Traume lacht !
— hörst du 's nicht , wie sie heimlich , schrecklich ,
herzlich zu dir redet , die alte tiefe tiefe Mitternacht ?
Oh Mensch , gieb Acht !
4.
Wehe mir ! Wo ist die Zeit hin ? Sank ich nicht in
tiefe Brunnen ? Die Welt schläft —
Ach ! Ach ! Der Hund heult , der Mond scheint .
Lieber will ich sterben , sterben , als euch sagen , was
mein Mitternachts-Herz eben denkt .
Nun starb ich schon . Es ist dahin . Spinne , was
spinnst du um mich ? Willst du Blut ? Ach ! Ach ! der
Thau fällt , die Stunde kommt —
— die Stunde , wo mich fröstelt und friert , die fragt
und fragt und fragt : „ wer hat Herz genug dazu ?
— wer soll der Erde Herr sein ? Wer will sagen :
so sollt ihr laufen , ihr grossen und kleinen Ströme ! “
— die Stunde naht : oh Mensch , du höherer Mensch ,
gieb Acht ! diese Rede ist für feine Ohren , für deine
Ohren — was spricht die tiefe Mitternacht ?
5.
Es trägt mich dahin , meine Seele tanzt . Tagewerk !
Tagewerk ! Wer soll der Erde Herr sein ?
Der Mond ist kühl , der Wind schweigt . Ach ! Ach !
Flogt ihr schon hoch genug ? Ihr tanztet : aber ein Bein
ist doch kein Flügel .
Ihr guten Tänzer , nun ist alle Lust vorbei : Wein ward
Hefe , jeder Becher ward mürbe , die Gräber stammeln .
Ihr flogt nicht hoch genug : nun stammeln die Gräber
„ erlöst doch die Todten ! Warum ist so lange Nacht ?
Macht uns nicht der Mond trunken ? “
Ihr höheren Menschen , erlöst doch die Gräber , weckt
die Leichname auf ! Ach , was gräbt noch der Wurm ?
Es naht , es naht die Stunde , —
— es brummt die Glocke , es schnarrt noch das
Herz , es gräbt noch der Holzwurm , der Herzenswurm .
Ach ! Ach ! Die Welt ist tief !
6.
Süsse Leier ! Süsse Leier ! Ich liebe deinen Ton ,
deinen trunkenen Unken-Ton ! — wie lang her , wie fern
her kommt mir dein Ton , weit her , von den Teichen
der Liebe !
Du alte Glocke , du süsse Leier ! Jeder Schmerz riss
dir in's Herz , Vaterschmerz , Väterschmerz , Urväter¬
schmerz ; deine Rede wurde reif , —
— reif gleich goldenem Herbste und Nachmittage ,
gleich meinem Einsiedlerherzen — nun redest du : die
Welt selber ward reif , die Traube bräunt ,
— nun will sie sterben , vor Glück sterben . Ihr
höheren Menschen , riecht ihr 's nicht ? Es quillt heimlich
ein Geruch herauf ,
— ein Duft und Geruch der Ewigkeit , ein rosen¬
seliger brauner Gold-Wein-Geruch von altem Glücke ,
— von trunkenem Mitternachts-Sterbeglücke , wel¬
ches singt : die Welt ist tief und tiefer als der Tag
gedacht !
7.
Lass mich ! Lass mich ! Ich bin zu rein für dich .
Rühre mich nicht an ! Ward meine Welt nicht eben
vollkommen ?
Meine Haut ist zu rein für deine Hände . Lass mich ,
du dummer tölpischer dumpfer Tag ! Ist die Mitternacht
nicht heller ?
Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein , die Un¬
erkanntesten , Stärksten , die Mitternachts-Seelen , die
heller und tiefer sind als jeder Tag .
Oh Tag , du tappst nach mir ? Du tastest nach
meinem Glücke ? Ich bin dir reich , einsam , eine Schatz¬
grube , eine Goldkammer ?
Oh Welt , du willst mich ? Bin ich dir weltlich ?
Bin ich dir geistlich ? Bin ich dir göttlich ? Aber Tag
und Welt , ihr seid zu plump , —
— habt klügere Hände , greift nach tieferem Glücke ,
nach tieferem Unglücke , greift nach irgend einem Gotte ,
greift nicht nach mir :
— mein Unglück , mein Glück ist tief , du wunder¬
licher Tag , aber doch bin ich kein Gott , keine Gottes-
Hölle : tief ist ihr Weh .
8.
Gottes Weh ist tiefer , du wunderliche Welt ! Greife
nach Gottes Weh , nicht nach mir ! Was bin ich ! Eine
trunkene süsse Leier , —
— eine Mitternachts-Leier , eine Glocken-Unke , die
Niemand versteht , aber welche reden muss , vor Tauben ,
ihr höheren Menschen ! Denn ihr versteht mich nicht !
Dahin ! Dahin ! Oh Jugend ! Oh Mittag ! Oh Nach¬
mittag ! Nun kam Abend und Nacht und Mitternacht ,
— der Hund heult , der Wind :
— ist der Wind nicht ein Hund ? Er winselt , er
kläfft , er heult . Ach ! Ach ! wie sie seufzt ! wie sie
lacht , wie sie röchelt und keucht , die Mitternacht !
Wie sie eben nüchtern spricht , diese trunkene
Dichterin ! sie übertrank wohl ihre Trunkenheit ? sie
wurde überwach ? sie käut zurück ?
— ihr Weh käut sie zurück , im Traume , die alte
tiefe Mitternacht , und mehr noch ihre Lust . Lust nämlich ,
wenn schon Weh tief ist : Lust ist tiefer noch als
Herzeleid .
9.
Du Weinstock ! Was preisest du mich ! Ich schnitt
dich doch ! Ich bin grausam , du blutest — : was will
dein Lob meiner trunkenen Grausamkeit ?
„ Was vollkommen ward , alles Reife — will sterben !
so redest du . Gesegnet , gesegnet sei das Winzermesser !
Aber alles Unreife will leben : wehe !
Weh spricht : „ Vergeh ! Weg , du Wehe ! “ Aber
Alles , was leidet , will leben , dass es reif werde und
lustig und sehnsüchtig ,
— sehnsüchtig nach Fernerem , Höherem , Hellerem .
„ Ich will Erben , so spricht Alles , was leidet , ich will
Kinder , ich will nicht mich , “ —
Lust aber will nicht Erben , nicht Kinder , — Lust
will sich selber , will Ewigkeit , will Wiederkunft , will
Alles- sich-ewig-gleich .
Weh spricht : „ Brich , blute , Herz ! Wandle , Bein !
Flügel , flieg ! Hinan ! Hinauf ! Schmerz ! “ Wohlan !
Wohlauf ! Oh mein altes Herz : Weh spricht : „ vergeh ! “
10 .
Ihr höheren Menschen , was dünket euch ? Bin ich
ein Wahrsager ? Ein Träumender ? Trunkener ? Ein
Traumdeuter ? Eine Mitternachts-Glocke ?
Ein Tropfen Thau's ? Ein Dunst und Duft der Ewig¬
keit ? Hört ihr 's nicht ? Riecht ihr 's nicht ? Eben ward
meine Welt vollkommen , Mitternacht ist auch Mittag , —
Schmerz ist auch eine Lust , Fluch ist auch ein
Segen , Nacht ist auch eine Sonne , — geht davon oder
ihr lernt : ein Weiser ist auch ein Narr .
Sagtet ihr jemals Ja zu Einer Lust ? Oh , meine
Freunde , so sagtet ihr Ja auch zu allem Wehe . Alle
Dinge sind verkettet , verfädelt , verliebt , —
— wolltet ihr jemals Ein Mal zweimal , spracht ihr
jemals „ du gefällst mir , Glück ! Husch ! Augenblick ! “
so wolltet ihr Alles zurück !
— Alles von neuem , Alles ewig , Alles verkettet ,
verfädelt , verliebt , oh so liebtet ihr die Welt , —
— ihr Ewigen , liebt sie ewig und allezeit : und auch
zum Weh sprecht ihr : vergeh , aber komm zurück !
Denn alle Lust will — Ewigkeit !
11 .
Alle Lust will aller Dinge Ewigkeit , will Honig ,
will Hefe , will trunkene Mitternacht , will Gräber , will
Gräber-Thränen-Trost , will vergüldetes Abendroth —
— was will nicht Lust ! sie ist durstiger , herzlicher ,
hungriger , schrecklicher , heimlicher als alles Weh , sie
will sich , sie beisst in sich , des Ringes Wille ringt
in ihr , —
— sie will Liebe , sie will Hass , sie ist überreich ,
schenkt , wirft weg , bettelt , dass Einer sie nimmt , dankt
dem Nehmenden , sie möchte gern gehasst sein , —
— so reich ist Lust , dass sie nach Wehe durstet ,
nach Hölle , nach Hass , nach Schmach , nach dem
Krüppel , nach Welt , — denn diese Welt , oh ihr
kennt sie ja !
Ihr höheren Menschen , nach euch sehnt sie sich ,
die Lust , die unbändige , selige , — nach eurem Weh ,
ihr Missrathenen ! Nach Missrathenem sehnt sich alle
ewige Lust .
Denn alle Lust will sich selber , drum will sie
auch Herzeleid ! Oh Glück , oh Schmerz ! Oh brich ,
Herz ! Ihr höheren Menschen , lernt es doch , Lust will
Ewigkeit ,
— Lust will aller Dinge Ewigkeit , will tiefe ,
tiefe Ewigkeit !
12 .
Lerntet ihr nun mein Lied ? Erriethet ihr , was es
will ? Wohlan ! Wohlauf ! Ihr höheren Menschen , so
singt mir nun meinen Rundgesang !
Singt mir nun selber das Lied , dess Name ist „ Noch
ein Mal “ , dess Sinn ist „ in alle Ewigkeit ! “ — singt ,
ihr höheren Menschen Zarathustra's Rundgesang !
Oh Mensch ! Gieb Acht !
Was spricht die tiefe Mitternacht ?
„ Ich schlief , ich schlief — ,
„Aus tiefem Traum bin ich erwacht : —
„Die Welt ist tief ,
„Und tiefer als der Tag gedacht .
„Tief ist ihr Weh — ,
„Lust — tiefer noch als Herzeleid :
„Weh spricht : Vergeh !
„Doch alle Lust will Ewigkeit — ,
„— will tiefe , tiefe Ewigkeit ! “
9
Das Zeichen .
Des Morgens aber nach dieser Nacht sprang Zara¬
thustra von seinem Lager auf , gürtete sich die Lenden
und kam heraus aus seiner Höhle , glühend und stark ,
wie eine Morgensonne , die aus dunklen Bergen kommt .
„ Du grosses Gestirn , sprach er , wie er einstmals
gesprochen hatte , du tiefes Glücks-Auge , was wäre all
dein Glück , wenn du nicht Die hättest , welchen du
leuchtest !
Und wenn sie in ihren Kammern blieben , während
du schon wach bist und kommst und schenkst und aus¬
theilst : wie würde darob deine stolze Scham zürnen !
Wohlan ! sie schlafen noch , diese höheren Menschen ,
während ich wach bin : das sind nicht meine rechten
Gefährten ! Nicht auf sie warte ich hier in meinen Bergen .
Zu meinem Werke will ich , zu meinem Tage : aber
sie verstehen nicht , was die Zeichen meines Morgens
sind , mein Schritt — ist für sie kein Weckruf .
Sie schlafen noch in meiner Höhle , ihr Traum käut
noch an meinen Mitternächten . Das Ohr , das nach
mir horcht , — das gehorchende Ohr fehlt in ihren
Gliedern . “
— Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen ge¬
sprochen , als die Sonne aufgieng : da blickte er fragend
in die Höhe , denn er hörte über sich den scharfen Ruf
seines Adlers . „ Wohlan ! rief er hinauf , so gefällt und
gebührt es mir . Meine Thiere sind wach , denn ich
bin wach .
Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne .
Mit Adlers-Klauen greift er nach dem neuen Lichte .
Ihr seid meine rechten Thiere ; ich liebe euch .
Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen ! “ —
Also sprach Zarathustra ; da aber geschah es , dass
er sich plötzlich wie von unzähligen Vögeln umschwärmt
und umflattert hörte , — das Geschwirr so vieler Flügel
aber und das Gedräng um sein Haupt war so gross ,
dass er die Augen schloss . Und wahrlich , einer Wolke
gleich fiel es über ihn her , einer Wolke von Pfeilen
gleich , welche sich über einen neuen Feind ausschüttet .
Aber siehe , hier war es eine Wolke der Liebe , und
über einen neuen Freund .
„ Was geschieht mir ? dachte Zarathustra in seinem
erstaunten Herzen und liess sich langsam auf dem
grossen Steine nieder , der neben dem Ausgange seiner
Höhle lag . Aber , indem er mit den Händen um sich
und über sich und unter sich griff , und den zärtlichen
Vögeln wehrte , siehe , da geschah ihm etwas noch
Seltsameres : er griff nämlich dabei unvermerkt in ein
dichtes warmes Haar-Gezottel hinein ; zugleich aber
erscholl vor ihm ein Gebrüll , — ein sanftes langes
Löwen-Brüllen .
„ Das Zeichen kommt “ , sprach Zarathustra und
sein Herz verwandelte sich . Und in Wahrheit , als es
helle vor ihm wurde , da lag ihm ein gelbes mächtiges
9*
Gethier zu Füssen und schmiegte das Haupt an seine
Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und
that einem Hunde gleich , welcher seinen alten Herrn
wiederfindet . Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe
nicht minder eifrig als der Löwe ; und jedes Mal , wenn
eine Taube über die Nase des Löwen huschte , schüttelte
der Löwe das Haupt und wunderte sich und lachte dazu .
Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort :
„ meine Kinder sind nahe , meine Kinder “ — ,
dann wurde er ganz stumm . Sein Herz aber war gelöst ,
und aus seinen Augen tropften Thränen herab und fielen
auf seine Hände . Und er achtete keines Dings mehr
und sass da , unbeweglich und ohne dass er sich noch
gegen die Thiere wehrte . Da flogen die Tauben ab
und zu und setzten sich ihm auf die Schulter und lieb¬
kosten sein weisses Haar und wurden nicht müde mit
Zärtlichkeit und Frohlocken . Der starke Löwe aber
leckte immer die Thränen , welche auf die Hände Zara¬
thustra's herabfielen und brüllte und brummte schüchtern
dazu . Also trieben es diese Thiere . —
Diess Alles dauerte eine lange Zeit , oder eine kurze
Zeit : denn , recht gesprochen , giebt es für dergleichen
Dinge auf Erden keine Zeit — . Inzwischen aber waren
die höheren Menschen in der Höhle Zarathustra's wach
geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge
an , dass sie Zarathustra entgegen giengen und ihm den
Morgengruss böten : denn sie hatten gefunden , als sie
erwachten , dass er schon nicht mehr unter ihnen weilte .
Als sie aber zur Thür der Höhle gelangten , und das
Geräusch ihrer Schritte ihnen voranlief , da stutzte der
Löwe gewaltig , kehrte sich mit Einem Male von Zara¬
thustra ab und sprang , wild brüllend , auf die Höhle los ;
die höheren Menschen aber , als sie ihn brüllen hörten ,
schrien alle auf , wie mit Einem Munde , und flohen zurück
und waren im Nu verschwunden .
Zarathustra selber aber , betäubt und fremd , erhob
sich von seinem Sitze , sah um sich , stand staunend da ,
fragte sein Herz , besann sich und war allein . „ Was
hörte ich doch ? sprach er endlich langsam , was geschah
mir eben ? “
Und schon kam ihm die Erinnerung , und er begriff
mit Einem Blicke Alles , was zwischen Gestern und Heute
sich begeben hatte . „ Hier ist ja der Stein , sprach er
und strich sich den Bart , auf dem sass ich gestern am
Morgen ; und hier trat der Wahrsager zu mir , und hier
hörte ich zuerst den Schrei , den ich eben hörte , den
grossen Nothschrei .
Oh ihr höheren Menschen , von eurer Noth war 's
ja , dass gestern am Morgen jener alte Wahrsager mir
wahrsagte , —
— zu eurer Noth wollte er mich verführen und
versuchen : oh Zarathustra , sprach er zu mir , ich komme ,
dass ich dich zu deiner letzten Sünde verführe .
Zu meiner letzten Sünde ? rief Zarathustra und lachte
zornig über sein eigenes Wort : was blieb mir doch
aufgespart als meine letzte Sünde ? “
— Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich
und setzte sich wieder auf den grossen Stein nieder und
sann nach . Plötzlich sprang er empor , —
„ Mitleiden ! Das Mitleiden mit dem höhe¬
ren Menschen ! schrie er auf , und sein Antlitz ver¬
wandelte sich in Erz. Wohlan ! Das — hatte seine Zeit !
Mein Leid und mein Mitleiden — was liegt daran !
Trachte ich denn nach Glücke ? Ich trachte nach
meinem Werke !
Wohlan ! Der Löwe kam , meine Kinder sind nahe ,
Zarathustra ward reif , meine Stunde kam : —
Diess ist mein Morgen , mein Tag hebt an :
herauf nun , herauf , du grosser Mittag ! “ — —
Also sprach Zarathustra und verliess seine Höhle ,
glühend und stark , wie eine Morgensonne , die aus
dunklen Bergen kommt .
Ende von Also sprach Zarathustra .
INHALT .
-
Seite
Das Honig-Opfer 5
Der Nothschrei 10
Gespräch mit den Königen 15
Der Blutegel 21
Der Zauberer 26
Ausser Dienst 35
Der hässlichste Mensch 42
Der freiwillige Bettler 49
Der Schatten 55
Mittags 60
Die Begrüssung 65
Das Abendmahl 73
Vom höheren Menschen 76
Das Lied der Schwermuth 90
Von der Wissenschaft 96
Unter Töchtern der Wüste 100
Die Erweckung 108
Das Eselsfest 113
Das Nachtwandler-Lied 119
Das Zeichen 130
Dionysos -Dithyramben .
Letzter Wille .
So sterben ,
wie ich ihn einst sterben sah — ,
den Freund , der Blitze und Blicke
göttlich in meine dunkle Jugend warf !
Muthwillig und tief ,
in der Schlacht ein Tänzer — ,
unter Kriegern der Heiterste ,
unter Siegern der Schwerste ,
auf seinem Schicksal ein Schicksal stehend ,
hart , nachdenklich , vordenklich — :
erzitternd darob , dass er siegte ,
jauchzend darüber , dass er sterbend siegte — :
befehlend , indem er starb ,
— und er befahl , dass man vernichte ...
So sterben ,
wie ich ihn einst sterben sah :
siegend , vernichtend ...
Zwischen Raubvögeln .
Wer hier hinab will ,
wie schnell
schluckt den die Tiefe !
— Aber du , Zarathustra ,
liebst den Abgrund noch ,
thust der Tanne es gleich ? —
Die schlägt Wurzeln , wo
der Fels selbst schaudernd
zur Tiefe blickt — ,
die zögert an Abgründen ,
wo Alles rings
hinunter will :
zwischen der Ungeduld
wilden Gerölls , stürzenden Bachs
geduldig duldend , hart , schweigsam ,
einsam ...
Einsam !
Wer wagte es auch ,
hier Gast zu sein ,
dir Gast zu sein ? .. .
Ein Raubvogel vielleicht :
der hängt sich wohl
dem standhaften Dulder
schadenfroh in's Haar ,
mit irrem Gelächter ,
einem Raubvogel-Gelächter ...
Wozu so standhaft ?
— höhnt er grausam :
man muss Flügel haben ,
wenn man den Abgrund liebt ...
man muss nicht hängen bleiben ,
wie du , Gehängter ! —
Oh Zarathustra ,
grausamster Nimrod !
Jüngst Jäger noch Gottes ,
das Fangnetz aller Tugend ,
der Pfeil des Bösen !
Jetzt —
von dir selber erjagt ,
deine eigene Beute ,
in dich selber eingebohrt ...
Jetzt —
einsam mit dir ,
zwiesam im eignen Wissen ,
zwischen hundert Spiegeln
vor dir selber falsch ,
zwischen hundert Erinnerungen
ungewiss ,
an jeder Wunde müd ,
an jedem Froste kalt ,
in eignen Stricken gewürgt ,
Selbstkenner !
Selbsthenker !
Was bandest du dich
mit dem Strick deiner Weisheit ?
Was locktest du dich
in's Paradies der alten Schlange ?
Was schlichst du dich ein
in dich — in dich ? .. .
Ein Kranker nun ,
der an Schlangengift krank ist ;
ein Gefangner nun ,
der das härteste Loos zog :
im eignen Schachte
gebückt arbeitend ,
in dich selber eingehöhlt ,
dich selber angrabend ,
unbehülflich ,
steif ,
ein Leichnam — ,
von hundert Lasten überthürmt ,
von dir überlastet ,
ein Wissender !
ein Selbsterkenner !
der weise Zarathustra ! .. .
Du suchtest die schwerste Last :
da fandest du dich — ,
du wirfst dich nicht ab von dir ...
Lauernd ,
kauernd ,
Einer , der schon nicht mehr aufrecht steht !
Du verwächst mir noch mit deinem Grabe ,
verwachsener Geist ! .. .
Und jüngst noch so stolz
auf allen Stelzen deines Stolzes !
Jüngst noch der Einsiedler ohne Gott ,
der Zweisiedler mit dem Teufel ,
der scharlachne Prinz jedes Übermuths ! .. .
Jetzt —
zwischen zwei Nichtse
eingekrümmt ,
ein Fragezeichen ,
ein müdes Räthsel —
ein Räthsel für Raubvögel .. .
— sie werden dich schon „ lösen “ ,
sie hungern schon nach deiner „ Lösung “ ,
sie flattern schon um dich , ihr Räthsel !
um dich , Gehenkter ! ...
Oh Zarathustra ! ...
Selbstkenner ! ...
Selbsthenker ! .. .
Das Feuerzeichen .
Hier , wo zwischen Meeren die Insel wuchs ,
ein Opferstein jäh hinaufgethürmt ,
hier zündet sich unter schwarzem Himmel
Zarathustra seine Höhenfeuer an ,
Feuerzeichen für verschlagne Schiffer ,
Fragezeichen für Solche , die Antwort haben ...
Diese Flamme mit weissgrauem Bauche
— in kalte Fernen züngelt ihre Gier ,
nach immer reineren Höhen biegt sie den Hals —
eine Schlange gerad aufgerichtet vor Ungeduld :
dieses Zeichen stellte ich vor mich hin .
Meine Seele selber ist diese Flamme ,
unersättlich nach neuen Fernen
lodert aufwärts , aufwärts ihre stille Gluth .
Was floh Zarathustra vor Thier und Menschen ?
Was entlief er jäh allem festen Lande ?
Sechs Einsamkeiten kennt er schon — ,
aber das Meer selbst war nicht genug ihm einsam ,
die Insel liess ihn steigen , auf dem Berg wurde
er zur Flamme ,
nach einer siebenten Einsamkeit
wirft er suchend jetzt die Angel über sein Haupt .
Verschlagne Schiffer ! Trümmer alter Sterne !
Ihr Meere der Zukunft ! Unausgeforschte Himmel !
nach allem Einsamen werfe ich jetzt die Angel :
gebt Antwort auf die Ungeduld der Flamme ,
fangt mir , dem Fischer auf hohen Bergen ,
meine siebente letzte Einsamkeit ! — —
Die Sonne sinkt .
1.
Nicht lange durstest du noch ,
verbranntes Herz !
Verheissung ist in der Luft ,
aus unbekannten Mündern bläst mich 's an ,
— die grosse Kühle kommt ...
Meine Sonne stand heiss über mir im Mittage :
seid mir gegrüsst , dass ihr kommt ,
ihr plötzlichen Winde ,
ihr kühlen Geister des Nachmittags !
Die Luft geht fremd und rein .
Schielt nicht mit schiefem
Verführerblick
die Nacht mich an ? ...
Bleib stark , mein tapfres Herz !
Frag nicht : warum ? —
2.
Tag meines Lebens !
die Sonne sinkt .
Schon steht die glatte
Fluth vergüldet .
Warm athmet der Fels :
schlief wohl zu Mittag
das Glück auf ihm seinen Mittagsschlaf ?
In grünen Lichtern
spielt Glück noch der braune Abgrund herauf .
Tag meines Lebens !
gen Abend geht 's !
Schon glüht dein Auge
halbgebrochen ,
schon quillt deines Thaus
Thränengeträufel ,
schon läuft still über weisse Meere
deiner Liebe Purpur ,
deine letzte zögernde Seligkeit ...
3.
Heiterkeit , güldene , komm !
du des Todes
heimlichster süssester Vorgenuss !
— Lief ich zu rasch meines Wegs ?
Jetzt erst , wo der Fuss müde ward ,
holt dein Blick mich noch ein ,
holt dein Glück mich noch ein .
Rings nur Welle und Spiel .
Was je schwer war ,
sank in blaue Vergessenheit , —
müssig steht nun mein Kahn .
Sturm und Fahrt — wie verlernt' er das !
Wunsch und Hoffen ertrank ,
glatt liegt Seele und Meer .
Siebente Einsamkeit !
Nie empfand ich
näher mir süsse Sicherheit ,
wärmer der Sonne Blick .
— Glüht nicht das Eis meiner Gipfel noch ?
Silbern , leicht , ein Fisch
schwimmt nun mein Nachen hinaus ...
Ruhm und Ewigkeit .
1.
Wie lange sitzest du schon
auf deinem Missgeschick ?
Gieb Acht ! du brütest mir noch
ein Ei ,
ein Basilisken-Ei
aus deinem langen Jammer aus .
Was schleicht Zarathustra entlang dem Berge ? —
Misstrauisch , geschwürig , düster ,
ein langer Lauerer — ,
aber plötzlich , ein Blitz
hell , furchtbar , ein Schlag
gen Himmel aus dem Abgrund :
— dem Berge selber schüttelt sich
das Eingeweide ...
Wo Hass und Blitzstrahl
Eins ward , ein Fluch — ,
auf den Bergen haust jetzt Zarathustra's Zorn ,
eine Wetterwolke schleicht er seines Wegs .
Verkrieche sich , wer eine letzte Decke hat !
In 's Bett mit euch , ihr Zärtlinge !
Nun rollen Donner über die Gewölbe ,
nun zittert , was Gebälk und Mauer ist ,
nun zucken Blitze und schwefelgelbe Wahrheiten —
Zarathustra flucht ...
2.
Diese Münze , mit der
alle Welt bezahlt ,
Ruhm — ,
mit Handschuhen fasse ich diese Münze an ,
mit Ekel trete ich sie unter mich .
Wer will bezahlt sein ?
Die Käuflichen ...
Wer feil steht , greift
mit fetten Händen
nach diesem Allerwelts-Blechklingklang Ruhm !
— Willst du sie kaufen ?
sie sind Alle käuflich .
Aber biete Viel !
klingle mit vollem Beutel !
— du stärkst sie sonst ,
du stärkst sonst ihre Tugend ...
Sie sind Alle tugendhaft .
Ruhm und Tugend — das reimt sich .
So lange die Welt lebt ,
zahlt sie Tugend-Geplapper
mit Ruhm-Geklapper — ,
die Welt lebt von diesem Lärm ...
Vor allen Tugendhaften
will ich schuldig sein ,
schuldig heissen mit jeder grossen Schuld !
Vor allen Ruhms-Schalltrichtern
wird mein Ehrgeiz zum Wurm — ,
unter Solchen gelüstet's mich ,
der Niedrigste zu sein ...
Diese Münze , mit der
alle Welt bezahlt ,
Ruhm — ,
mit Handschuhen fasse ich diese Münze an ,
mit Ekel trete ich sie unter mich .
3.
Still ! —
Von grossen Dingen — ich sehe Grosses ! —
soll man schweigen
oder gross reden :
rede gross , meine entzückte Weisheit !
Ich sehe hinauf —
dort rollen Lichtmeere :
— oh Nacht , oh Schweigen , oh todtenstiller Lärm ! ..
Ich sehe ein Zeichen — ,
aus fernsten Fernen
sinkt langsam funkelnd ein Sternbild gegen mich ...
4.
Höchstes Gestirn des Seins !
Ewiger Bildwerke Tafel !
Du kommst zu mir ? —
Was Keiner erschaut hat ,
deine stumme Schönheit , —
wie ? sie flieht vor meinen Blicken nicht ?
Schild der Nothwendigkeit !
Ewiger Bildwerke Tafel !
— aber du weisst es ja :
was Alle hassen ,
was allein ich liebe :
— dass du ewig bist !
dass du nothwendig bist ! —
meine Liebe entzündet
sich ewig nur an der Nothwendigkeit .
Schild der Nothwendigkeit !
Höchstes Gestirn des Seins !
— das kein Wunsch erreicht ,
— das kein Nein befleckt ,
ewiges Ja des Seins ,
ewig bin ich dein Ja :
denn ich liebe dich , oh Ewigkeit ! — —
Von der Armuth des Reichsten .
Zehn Jahre dahin — ,
kein Tropfen erreichte mich ,
kein feuchter Wind , kein Thau der Liebe
— ein regenloses Land ...
Nun bitte ich meine Weisheit ,
nicht geizig zu werden in dieser Dürre :
ströme selber über , träufle selber Thau ,
sei selber Regen der vergilbten Wildniss !
Einst hiess ich die Wolken
fortgehn von meinen Bergen , —
einst sprach ich „ mehr Licht , ihr Dunklen ! “
Heut locke ich sie , dass sie kommen :
macht dunkel um mich mit euren Eutern !
— ich will euch melken ,
ihr Kühe der Höhe !
Milchwarme Weisheit , süssen Thau der Liebe
ströme ich über das Land .
Fort , fort , ihr Wahrheiten ,
die ihr düster blickt !
Nicht will ich auf meinen Bergen
herbe ungeduldige Wahrheiten sehn .
Vom Lächeln vergüldet
nahe mir heut die Wahrheit ,
von der Sonne gesüsst , von der Liebe gebräunt , —
eine reife Wahrheit breche ich allein vom Baum .
Heut strecke ich die Hand aus
nach den Locken des Zufalls ,
klug genug , den Zufall
einem Kinde gleich zu führen , zu überlisten .
Heut will ich gastfreundlich sein
gegen Unwillkommnes ,
gegen das Schicksal selbst will ich nicht
stachlicht sein ,
— Zarathustra ist kein Igel .
Meine Seele ,
unersättlich mit ihrer Zunge ,
an alle guten und schlimmen Dinge hat
sie schon geleckt ,
in jede Tiefe tauchte sie hinab .
Aber immer gleich dem Korke ,
immer schwimmt sie wieder obenauf ,
sie gaukelt wie Öl über braune Meere :
dieser Seele halber heisst man mich den Glücklichen .
Wer sind mir Vater und Mutter ?
Ist nicht mir Vater Prinz Überfluss
und Mutter das stille Lachen ?
Erzeugte nicht dieser Beiden Ehebund
mich Räthselthier ,
mich Lichtunhold ,
mich Verschwender aller Weisheit Zarathustra ?
Krank heute vor Zärtlichkeit ,
ein Thauwind
sitzt Zarathustra wartend , wartend auf seinen
Bergen , —
im eignen Safte
süss geworden und gekocht ,
unterhalb seines Gipfels ,
unterhalb seines Eises ,
müde und selig ,
ein Schaffender an seinem siebenten Tag .
— Still !
Eine Wahrheit wandelt über mir
einer Wolke gleich , —
mit unsichtbaren Blitzen trifft sie mich .
Auf breiten langsamen Treppen
steigt ihr Glück zu mir :
komm , komm , geliebte Wahrheit !
— Still !
Meine Wahrheit ist's ! —
Aus zögernden Augen ,
aus sammtenen Schaudern
trifft mich ihr Blick ,
lieblich , bös , ein Mädchenblick ...
Sie errieth meines Glückes Grund ,
sie errieth mich — ha ! was sinnt sie aus ? —
Purpurn lauert ein Drache
im Abgrunde ihres Mädchenblicks .
— Still ! Meine Wahrheit redet ! —
Wehe dir , Zarathustra !
Du siehst aus , wie Einer ,
der Gold verschluckt hat :
man wird dir noch den Bauch aufschlitzen ! .. .
Zu reich bist du ,
du Verderber Vieler !
Zu Viele machst du neidisch ,
zu Viele machst du arm ...
Mir selber wirft dein Licht Schatten — ,
es fröstelt mich : geh weg , du Reicher ,
geh , Zarathustra , weg aus deiner Sonne ! ...
Du möchtest schenken , wegschenken deinen
Überfluss ,
aber du selber bist der Überflüssigste !
Sei klug , du Reicher !
Verschenke dich selber erst , oh Zarathustra !
Zehn Jahre dahin — ,
Und kein Tropfen erreichte dich ?
kein feuchter Wind ? kein Thau der Liebe ?
Aber wer sollte dich auch lieben ,
du Überreicher ?
Dein Glück macht rings trocken ,
macht arm an Liebe
— ein regenloses Land ...
Niemand dankt dir mehr .
Du aber dankst Jedem ,
der von dir nimmt :
daran erkenne ich dich ,
du Überreicher ,
du Ärmster aller Reichen !
Du opferst dich , dich quält dein Reichthum — ,
du giebst dich ab ,
du schonst dich nicht , du liebst dich nicht :
die grosse Qual zwingt dich allezeit ,
die Qual übervoller Scheuern , übervollen
Herzens —
aber Niemand dankt dir mehr ...
Du musst ärmer werden ,
weiser Unweiser !
willst du geliebt sein .
Man liebt nur die Leidenden ,
man giebt Liebe nur dem Hungernden :
verschenke dich selber erst , oh Zarathustra !
— Ich bin deine Wahrheit ...
Seite
Letzter Wille 3
Zwischen Raubvögeln 4
Das Feuerzeichen 8
Die Sonne sinkt 10
Ruhm und Ewigkeit 13
Von der Armuth des Reichsten 17
Druck von C. G. Naumann in Leipzig .