Fr. Müller's Monographie.
( Fortsetzung. )
Der Einfluss, welchen die Auswanderungen auf die
Sitten und Lagen der Bewohner Deutschlands
gehabt haben.
Es ist kein Wahn, sondern Wahrheit, daß vor allen Theilen
der Erde der Ort, wo unsere Wiege stand, wo wir die harm-
losen Zeiten des rosigen Jugendlebens durchgespielt, wo wir unter
den Augen geliebter Eltern zu Jünglingen und Jungfrauen heran-
gereift sind, einen seltenen Reiz hat. Wenn nun gleichwohl unsere
Mitbrüder in Schaaren die deutsche Heimath verlassen, wenn die
Zahl zu Hunderttausenden anwächst, die aus eigenem Antriebe
das Vaterland meiden für immer, so ist es unverkennbar, daß
eine höhere Macht alle diese Gefühle überwältigen läßt, daß ein
erhabener Weltengeist die Schritte der Wandernden leitet, und
daß schon der einzige Gedanke, über die größten und schönsten
Theile der Erde, wo Geistesfinsterniß seit Jahrtausenden herrschte,
des Welterlösers Glauben der Liebe und Hoffnung, gleich den
Strahlen der Morgenröthe sich ausbreiten zu sehen, ein überaus
hehrer ist. Eine neue Geschichte, eine neue Welt, gegründet durch
Bildung und Humanität, entfaltet dort die ersten Blätter reicher
Begebenheiten, und mit Erstaunen sehen die Zurückgebliebenen
Cultur, Christenthum und Völkerglück von Millionen gesitteter
Menschen sich dort entfalten, wo früher wenige Wilde bloß jagend
die unermeßlichen Strecken ausbeuteten.
Unverkennbar von dem größten Nutzen sind diese Auswande-
rungen für diejenigen Länder, wohin die Fortziehenden ihre Schritte
lenken, wo sie ihre Hütten bauen, ihre Ansiedelungen gründen
und ein neues gesittetes Leben schaffen; unverkennbar haben diese
großartigen Auswanderungen aus Deutschland, wie sie das 19.
Jahrhundert dem denkenden Manne mit Staunen vorüberführt,
auch einen bedeutenden Einfluß auf die Sitten, auf die Lage und
Verhältnisse der Zurückgebliebenen; versuchen wir es, die Gegen-
wart hierüber zu beleuchten und möglichst den Schleier zu lüften,
der in den verschiedensten Erfolgen die Zukunft umhüllt.
Beim Auswandern gewinnt das neue Land, das verlassene ver-
liert an Menschen; der Mensch verdient, das Verdiente schlagen
wir zu Gelde an; das Geld bestimmt also den Verlust. Nehmen
wir den Erwerb des Tages, des Jahres, capitalisiren solchen,
so haben wir in einer Geldzahl den Werth des Menschen für
das bürgerliche und staatliche Leben. Jm Süden Deutschlands
stellt sich dieser auf 750 Thaler für das einzelne Jndividuum,
im Norden auf 1500 Thaler; die Mitte ergibt demnach den
den Werth von 1125 Thalern für den einzelnen Kopf, und rechnen
wir die jetzt jährlich wandernde Zahl nur auf 50,000, so verliert
Deutschland alle Jahre in dieser Periode 56,250,000 Thaler an
Werth der Menschenkräfte. Wie manche Jahre gibt es aber,
wo die Zahl der Auswandernden um noch Vieles höher ist.
Hunderttausend Hände für ein Land zu entbehren, diesen Abgang
von einem Jahre zum andern wiederkehren zu sehen, ist eine be-
denkliche Erscheinung, da das Glück und die Wohlfahrt der Reiche
so oft nach der Seelenzahl geschätzt wird: Der Verlust an
Menschen ist also der erste Einfluß auf das Vaterland.
Erschrecken müßte uns dieses, wenn nicht die Jahre eines
langen Friedens das große, schöne Deutschland mit bedeutender
Menschen = Ueberzahl gesegnet hätten. Nehmen wir mal einen
südlichen Staat, Baden, und einen nördlichen, Hannover, und
sehen, daß ersterer jährlich 10,600 Seelen übergewinnt, letzterer
15,000, und erwägen, daß ganz Deutschland 300,000 Menschen
Zuwachs alle Jahre hat, von denen 50 bis 60,000 jährlich aus-
wandern, so brauchen wir nicht allein nicht besorgt zu sein, sondern
müssen das Verhängniß segnen, welches dem Ueberflusse an Menschen
in andern Welttheilen Nahrung und Brod gibt, und können der
Sache ruhig zu sehen, so lange nicht der zehnte Mann aus Ger-
maniens Gauen geht. Bis dahin hat es aber noch gute Weile.
Bei der an vielen Stellen stattfindenden Uebervölkerung sind
diese Ableitungen für Deutschland und für die Lage
der zurückbleibenden Bewohner wahrhaft heilbringend;
denn wohin würde und müßte es zuletzt geführt haben, wenn
Alle die wegen Mangels an Erwerb, wegen Uebervölkerung be-
reits Fortgezogenen oder noch Ziehenden geblieben wären; wenn
der Zuwachs stufenweise mit den Jahren noch gestiegen wäre? --
Zu weiter nichts, als zum Hunger, zu Jammer und Elend; zur
Unzufriedenheit, Gährung; zu Umsturz und Krieg der Massen
gegen einander.
So aber gewinnen die Bleibenden sowohl als die
Auswandernden; beiderseits, im Mutterlande und in der
Kolonie wird Nutzen gestiftet. Vor zehn und zwanzig Jahren sah
man die Auswanderung in Deutschland mit besorgten Augen an;
jetzt denkt man ganz anders. Es ist ja auch den Zurückgebliebenen
um vieles angenehmer, die Angehörigen im fernen Welttheile,
einerlei ob in Nord = oder Südamerika, in Rußland oder in Süd-
Australien zufrieden und glücklich zu wissen, als ihre bleichen,
bekümmerten Gesichter, ohne Hoffnung auf Milderung, täglich
um sich zu sehen. Durch die Schnelligkeiten der Bewegungen,
durch die verschiedenen Heimkehrenden, wird die Entfernung ge-
mäßigt und erscheint nicht so groß. Auch ziehen Viele fort, die
wieder zu sehen das Vergnügen nicht sehr erhebend ist. Manches
schlechte Subject, die Plage der Heimath, vermag die stets scheelen
Blicke nicht mehr zu ertragen, fühlt sich unheimlich unter den
vielen Kennern seiner Bubenstreiche, seiner Gaunerei, seiner Ver-
untreuungen, Diebstähle und abgebüßten Verbrechen, und wandert
aus in die weite Welt, wo fremde Augen es nicht bemißtrauen,
wo man seinen Lebenswandel nicht kennt, und so wird Deutsch-
land durch die Auswanderung viele Menschen los,
die es im Stillen schon längst dahin wünschte, wo
der Prärie = Wolf durch die amerikanische Nacht heult, oder
stolze schwarze Schwäne sich auf den klaren Gewässern Poly-
nesiens wiegen. Der sittliche Zustand wird unbedingt
dadurch gehoben, ( weil die Noth Verbrechen erzeugt, die
meistens in Veruntreuungen gegen das Eigenthum Anderer be-
stehen ) , daß die Bevölkerung dort sich mindert, wo sie zu groß
war, und dem Zurückgebliebenen Raum macht, der gerade durch
die Auswanderung wieder Brod und Erwerb findet, und nicht
auch, getrieben durch den Nothstand, zum schlechten Menschen wird.
Wenn ein Thaler zu verdienen ist für zwei, ist ihnen vielleicht
beiden nicht geholfen; wandert aber der Eine aus, und der Zweite
gewinnt ihn allein, so ist der Einfluß der Ausgewanderten aller-
dings heilsam für den Zurückgebliebenen, und dieß Verhältniß
findet sich in Deutschland allenthalben: so mit wird auch die
pecuniäre Lage der Deutschen im Mutterlande ge-
bessert auf tausenderlei Weise.
Zuvörderst aber empfindet man doch den Mangel
an umlaufendem Gelde in denjenigen Theilen Deutschlands,
wo die Wanderungen seit den letzten zehn Jahren ungemein über-
hand genommen und immer noch fortdauern. So sind uns Striche
bekannt von 4 bis 5 Quadratmeilen, woraus in diesem kurzen
Zeitraume an 2000 Landbewohner fortgewandert sind, und zwar
mit einem Capitale von 200,000 Thalern. Zum Reisen gehört
Geld, namentlich zum Uebersiedeln und Ankaufen. Der Ueber-
fahrtspreis schwankt von 25 bis 40 Thlr. für die Person, und
nehmen wir an, daß jeder Auswanderer durchschnittlich 50 Thlr.
mit fortnimmt, ( gewiß sehr gering angeschlagen, da neuerer Zeit
auch viele Bemittelte fortgehen ) und sehen jährlich 50,000 Men-
schen auswandern, so verliert Deutschland alle Jahre
jetzt hierdurch drittehalb Millionen Thaler baares
Geld. Daß diese Ausfälle auf die Lage der Heimgebliebenen
einen sehr großen Einfluß haben, läßt sich gar leicht ermessen,
zumal dieß Geld meistens aus den niedern Ständen gezogen wird,
und die höheren ihre ansehnlichen Capitalien dem Baue der Eisen-
bahnen zuwenden.
Dennoch halten wir uns fest überzeugt, daß diese fortgehenden
Gelder Deutschland mit seinen reichen Quellen, mit seiner glück-
lichen Lage, gar wenig schaden, wenn die Auswandernden nur
fest zusammen halten und in der neuen Heimath das deutsche
Element bewahren; dann entsteht mit der Zeit ein solcher Verkehr,
der für das Mutterland von unberechenbarem Erfolge für Handel
und Wohlstand sein wird.
Deutschland ist überwiegend ein ackerbauendes Land. Nur
nach einer Seite lehnt es sich an das Meer, an die Nord = und
an die Ostsee. Die letztere ist den Deutschen nicht frei, der
Dänen Sundzoll vermindert dort den freien Verkehr; zur Nord-
see hin liegen Bremen und Hamburg, zwei sehr ehrenwerthe
Handels = und Hansastädte, echt deutsch durch und durch, voll
Verkehr; aber sie allein können ihr Vaterland nicht zu einem
merkantilischen Staate machen. Emden hat sich noch wenig
erhoben, Danzig liegt zu fern vom Jnnern, Stettin schwingt
sich empor. Dieß ist die deutsche Küste, dieß die Städte des
deutschen Seehandels. Große und bedeutende Handelsplätze liegen
in der Mitte des Landes. Dennoch ist der Ackerbau des deutschen
Reiches Hauptquelle. Von 100 Menschen leben im Süden 69,
im Norden 60 davon: also bei weitem über die Hälfte der Deutschen
sind Ackerbauer. Jeder Mensch bedarf aber zu seinem Lebens-
unterhalt einer gewissen Morgenzahl. Diese Norm konnte in letz-
terer Zeit nicht mehr aufrecht erhalten werden, indem an vielen
Stellen mehr Menschen vorhanden waren, als der Boden zu er-
nähren vermochte. So lange die Jndustrie Mittel und Wege
weiß, die Ueberzahl zu erhalten, so lange ist das Gleichgewicht
allenfalls noch vorhanden; hören deren Quellen aber auf, wie sie
es theilweise gethan, und sollen dann die Bewohner auf den land-
wirthschaftlichen Betrieb zurückgewiesen werden, so muß nothwendig
Mangel entstehen. Diesem wird durch die Auswanderung abge-
holfen, indem der Grund und Boden, der Ackerbau,
wieder in ein besseres Verhältniß zur Zahl der
Bewohner gebracht wird, was den günstigsten Ein-
fluß auf die Lage und Sitten Deutschlands ausübt.
Das ist aber nicht zu leugnen, je bevölkerter eine Gegend
ist, je höher steigt der Werth des Bodens. Dieser Werth ist
nun freilich durch ganz Deutschland ungemein verschieden. Die
nördlichen Marken mit ihren vielen Haiden sind menschenleerer;
dort gibt es in den weiten Mooren und Brüchern, in den Weh-
sändern und Heiden, Striche genug, wo der Morgen nur etwa
10 Thaler werth ist. Der Weinberg des mittleren Deutschlands
hat einen außerordentlich hohen Preis, und kann hier ebenso
wenig als Norm angenommen werden, wie die Gärten und Bau-
plätze in der Nähe großer frequenter Städte; wohl aber steigt
der Bodenwerth zu einer Höhe von 1000 Thalern für den Morgen
an den gesuchtesten Plätzen im Ackerlande. Der Morgen ist un-
gefähr ein Maaß dem ähnlich, was ein Mann in einem Morgen
zu bearbeiten im Stande ist. Den eben angegebenen Preis ver-
mag der Boden im Ackerlande durch seinen Ertrag nicht nach-
haltig zu verwerthen. Beide Summen, zehn sowohl als tausend,
sind jedoch nur Extreme, und der durchschnittliche Werth eines
Ackers von der angegebenen Größe möchte 100 bis 200 Thaler
im Allgemeinen nicht übersteigen. Jm Werthe des Grundes nun
ruht das Vermögen der Landwirthe, und nicht zu leugnen ist es,
daß durch die häufigen Auswanderungen so vielfältige Veräuße-
rungen von Grundbesitzungen zum Umschlage kommen, daß die
Liegenschaften sich sehr im Werthe dadurch vermin-
dert haben: also das Vermögen in liegenden Gründen
gesunken, somit die Wohlhabenheit der Landwirthe ima-
ginär verringert worden ist, obschon dieses natürlicherweise weder
auf ihren Unterhalt noch auf die Erzeugnisse des Bodens, in
Beziehung auf seine Productionsfähigkeit, Einfluß ausüben kann.
So kommen Manche nun in Landbesitz und Eigenthum, die vor
der starken Auswanderung nicht die mindeste Hoffnung dazu
hegen durften.
Der vorstehende Vortheil für die Lage der hier gebliebenen
Landwirthe fällt zunächst auf diejenigen, die in einigen Vermögens-
umständen sind; für die geringere Classe bildet sich durch
die Auswanderungen ein anderer heraus, der auch auf ihre Lage
sehr günstig einwirkt. Es kommen nämlich die Mobilien, das
Vieh, Handwerkszeug, Ackergeräth der Fortziehenden zum Verkaufe.
Zwar nimmt jeder gern mit, was er kann, zumal da in den
Häfen Nordamerika's, wohin doch die stärkste jetzige Wanderung
geht, die Kleidungsstücke, Werkzeuge und Geräthschaften zum Ge-
brauche der Einwanderer vom Eingangszolle befreit sind; größere
Gegenstände jedoch sind theils zur Uebersiedelung völlig ungeeignet,
theils in vielen Fällen zur Beschaffung oder Ergänzung der Reise-
mittel nothwendigerweise zu veräußern. Durch diese stets sich
wiederholenden Verkäufe der beweglichen Güter kommen andere
junge Leute der unteren Classen leichter in den Besitz der zu
ihrem Haushalte nothwendigen Gegenstände, und wieder andere
suchen, durch die wohlfeilsten Preise veranlaßt, ihre nothwendigen
Mobilien zu vervollkommnen und sich besser einzurichten, also an
Lebenserfordernissen und häuslichen Bequemlichkeiten zu gewinnen.
Die häusigen Auswanderungen aus einer und derselben deutschen
Gegend, die immer wiederkehrenden Versteigerungen bedingen eine
solche ungemeine Wohlfeilheit der beweglichen Sachen, daß junge
Ehepaare des besitzlosen Standes die Mobilien für den Haushalt
um den vierten Theil billiger als früher ankaufen können. Jede
vermehrte Bequemlichkeit des Lebens, jeder vergrößerte Besitz, bringt
eine Behaglichkeit mit sich, und so dienen diese wohlfeilen
Mobilienverkäufe der Auswanderer den bleibenden
Bewohnern Deutschlands zur bedeutenden Verbesserung
ihrer hänslichen Einrichtung.
Aber auch dieser Vortheil hat seine Schattenseite. Denn
wer in Auctionen um 3 Thlr. einen Schrank, um 2 Thlr. einen
Kessel, um 10 Thlr. einen Ackerwagen, um 4 Gutegroschen ein
Faß kaufen kann, wird dieselben Gegenstände gewiß nicht um
10 Thlr. bei dem Schreiner, um 5 Thlr. bei dem Kupferschmied,
um 30 Thlr. bei dem Wagenmacher, um 1 Thlr. bei dem Küper
bestellen, und der Stand der Land=Handwerksleute
wird dadurch empfindlich gedrückt, sein Verdienst außerordentlich
geschmälert.
Dennoch steht es fest, daß Deutschland durch die Auswan-
derungen mehr gewinnt als verliert; das Ausscheiden einer Menge
Menschen aus dem besitzlosen Stande übt unverkennbar auf
die Lage und Sitten der Zurückbleibenden einen überwiegend
günstigen Einfluß aus. Es ist kein Glück für ein Land, auf
den Census = Verzeichnissen große Zahlen von Einwohnern zu haben,
wenn Hunderttausende darunter sind, die von der Hand in den
Mund leben, die heute noch nicht wissen, ob sie morgen sich satt
essen können. Die Verminderung dieser Classe bringt dem Lande
nur Segen, wirkt aber auch moralisch auf die Nachgebliebenen.
Wenn jeder Mangel täglich ersetzt werden kann, so fehlt nichts;
wenn die heute entlassene Arbeitshülfe morgen schon einen Stell-
vertreter wieder hat, so vermißt man den Entlassenen nicht; wenn
der Miethsmann, der kleine Landpächter, heute auszieht und gleich
zehn sich wieder dazu melden, so fragt man nichts nach dem
Gehenden; wenn aber in Massen die jungen Dienstboten ihre
Herrschaften verlassen, wenn die Handwerker zu tausenden fort-
wandern, wenn die Arbeiter und Taglöhner sich von einem Jahre
zum andern mehr und mehr aufmachen, an andern Stellen einen
höhern Lohn zu verdienen, wenn die kleinen Leute fortziehen, die
enge Miethswohnung verlassen, wenn die geringen Landpächter,
die Heuerleute, Kötter, weggehen in großen Massen, und von
der einen Zeit zur andern dieses Fortwandern sich erschreckend
vermehrt; ja wenn sogar begüterte Bürger, geschickte und wohl-
eingerichtete Handwerker, junge kenntnißvolle Männer, grund-
angesessene Bauern und größere wohlhabende Landwirthe zu Tau-
senden unter den Auswandernden sind: dann erregt es nachgerade
Ueberlegung, woran dieses liegen möge, Besorgniß, daß es sich
noch vermehren werde, Beunruhigung für die Folge und das
Streben von Oben, wie auch von Unten, die Mängel zu
beseitigen, die Ursachen zu vermindern, auf staat-
lichem und bürgerlichem Wege Verbesserungen der
Lage der Hierbleibenden eintreten zu lassen. Somit
gestalten sich für die Folge die Verhältnisse viel besser, und wird
der bürgerliche Zustand gehoben, tritt der moralische Einfluß von
selbst ein; die Menschenwürde wird mehr geachtet und
die bessere Behandlung der niedern Stände ergibt
sich von selbst, zumal da ohne deren Mithülfe kein Verband
im bürgerlichen Leben sowohl, wie auch für die Eristenz der Staaten
gedacht werden kann.
Daß hierauf schon jetzt eingewirkt wird, bezeugen landes-
väterliche Verordnungen von allen Seiten, Abstellungen von Lasten,
wo dieses möglich zu machen ist, Verbesserungen der bäuerlichen
Verhältnisse, Ersparungen im Staatshaushalte, Entwerfungen
von Städte = und Gemeinde = Ordnungen, Gewerbe = Regulirungen,
Zollanschlüsse, Belebungen des Handels, der Fabriken, der Jn-
dustrie, Verbesserungen des Zustandes der geringen Landbewohner,
Milderung der Personen = Steuern, der Schulgelder, Hervorrufun-
gen von Arbeiten, wodurch dem Arbeiterstande der Städte Ge-
legenheit gegeben wird, und tausende von Einrichtungen, die den
Stempel der wohlwollendsten Absichten tragen. Selbst im Volke
bilden sich die mannichfaltigsten Vereine für Handel, Gewerbe,
Landwirthschaft und für die verschiedensten Zwecke, von Jnnen
heraus alles neu zu beleben, und ein hoher Jdeenschwung athmet
Leben und neuen Muth durch alle Classen der Bevölkerung. Was
praktisch ist, wird befördert; was einträglich ist, sucht man zu
erstreben; was mildert, zu erlangen. Daß hierzu die Auswan-
derung manchen Jnpuls gegeben, daß die Jdeen, welche jenseits
des atlantischen Oceans herüberwehen, hierbei mitwirkend sind,
daß die hiesige Lage in Deutschland als erträglicher erscheint,
weil es ein Mittel gibt, wenn sie unerträglich wird, sich ihr zu
entziehen durch Auswanderung, daß der Blick auf die Möglichkeit
schon, einen Raum erlangen zu können in fernen Gegenden, wo
vielen Mängeln der Gegenwart entgangen werden kann, daß dieses
allein schon erkräftigend wirkt, läßt sich nicht leugnen. Beseelt
aber erst Vertrauen und Muth das Volk, so ermattet es auch nicht
im Streben. Kommen hierzu denn noch die Jdeen=Mittheilungen
aus entfernten freien Ländern, wo man Staaten gebaut hat,
deren Bürger sich vollkommen gleich stehen, bei deren Einrichtungen
man die Mängel der alten Welt vermieden hat: -- so ist es gewiß
unverkennbar, daß gerade durch die Auswanderung diese Jdeen
dem Bleibenden zugänglicher, mehr eigen werden, der Geist und
die Denkungsart des deutschen Volkes davon annimmt und mit
der Zeit das Räthliche, das Dienliche, das Mögliche bei sich in
den eigenen Gauen zu realisiren sucht. So haben die Aus-
wanderungen auf die Verbesserungen im Staate,
im bürgerlichen Leben und auf den freieren Jdeen-
schwung Deutschlands großen Einfluß.
Bewahren nun vollends die Auswanderer in den fernen Län-
dern ihre Anhänglichkeit zum Mutterlande, so ist ihr auegnblick-
licher Verlust ein Quell späterer Wohlthaten für Deuschltand.
Seit langen Jahren haben die Auswanderungen sich nach den
verschiedensten Ländern gewandt, man findet in allen großen Haupt-
städten Europa's die Deutschen zu Tausenden, sieht sie am Ufer
der untern Donau wohnen, im südlichen Rußland angesiedelt,
auf den westindischen Jnseln, auf Java und am Cap, in Süd-
amerika und Canada. Wenn sie sich dort auch zusammenhalten,
so verfließen sie mit der Zeit doch in die allgemeine Masse um-
gebender Völkerschaften, und ihre nationale Eigenthümlichkeit ist
das Opfer davon. Seit mehreren Jahren aber geht der Haupt-
strom deutscher Auswanderung nach den Verein. Staaten Nord-
Amerika 's; Tausende ziehen dorthin, wo schon Tausende wohnen,
deutsche patriotische Vereine versuchen Alles, die Massen an ein-
ander zu fesseln, die deutsche Presse verbreitet in den vielfältigsten
Blättern das deutsche Element, man wünscht eine segensreiche
Rückwirkung auf das Mutterland zu erzielen und diese bleibt
nicht aus, wo am Ende ein großes, weites Reich transatlanti-
scher Deutscher sich gebildet hat. Durch Kirchen und Schulen
wird die Erhaltung der Nationalität am meisten gefördert, und
die innige Verbrüderung der deutschen Landsmannschaften bewahrt
die Anhänglichkeit und Liebe zum Mutterlande. Von Jugend
auf war man mit dessen Erzeugnissen bekannt; was die Heimath
bringt, hat immer einen höhern Werth; und so werden die deut-
schen Fabrikate auf einen großen Absatz rechnen können nach den
Gegenden Nordamerika's, wo die Stammgenossen zur Größe eines
Reiches herangewachsen bei einander wohnen, namentlich aber
wird alles dasjenige, was durch Handarbeit geschaffen werden
muß, Gegenstand der Einfuhr bleiben, weil der Taglohn in Ame-
rika zu hoch steht. So werden die Auswanderungen eine
Quelle des deutschen Absatzes und Handels abgeben,
das fortgegangene Geld fließt auf merkantilischem
Wege dem Mutterlande wieder zu, und segenbringend
für den innern Wohlstand Deutschlands stellt sich mit der Zeit
der große Abfluß von Menschen und Geldmitteln wieder her.
( Schluß folgt. )