Palmerston und die deutsche
Demokratie.
Die deutsche Demokratie hat eine empfindliche
Schlappe erlitten. Einer ihrer treuesten Bundes-
genossen ist von ihrer Fahne abgefallen. Wir
meinen Lord Palmerston, der in der schleswig-
holsteinischen Frage offen Partei für Dänemark
ergreift, und einer der Ersten sich beeilte, das
in London protokollarisch entworfene Arrangement,
wo möglich in die Wirklichkeit einzuführen. Wir
können uns jedoch nur wundern über die Naive-
tät der Demokratie, die da nicht weiß, daß Eng-
land bei allen auswärtigen Fragen nur seine ei-
gensten Jnteressen zu Rathe zieht. Kosmopolitis-
mus und oherflächliche Philanthropie sind den
Staatsmännern dieses Landes fremd. Wir tadeln
sie nicht darum, wir gestehen sogar, daß der
ächte Staatsmann die wohlverstandenen Jnteressen
seiner Nation ausschließend vor Augen haben soll
und haben aus der Geschichte dieses Jahrhunderts
gelernt, daß nur die Umsturzpartei aller Länder,
aller Zungen vorübergehende Kompromisse einzu-
gehen im Stande ist, daß hingegen die natürliche
Entzweiung der Jnteressen in demselben Augen-
blicke beginnt, wo die Parteien zur Macht gelan-
gen, und Männer aus ihrer Mitte zur Besorgung
der Regierungsgeschäfte berufen werden. Jm
Schooße der französischen Nationalversammlung,
im Herzen der dortigen Regierung sehen wir Män-
ner tagen und rathen, die dereinst wegen ihrer
nahen Versippung mit den Revolutionärs der gan-
zen Welt höchst anrüchig waren, und jetzt das
Banner der Ordnung, der exclusiven französischen
Jnteressen, des entschiedensten Widerstandes gegen
jede wie immer geartete, gleichwohl wo sich er-
eignende revolutionäre Zuckung hoch in Händen
tragen. Das ist die gewaltige und unverkennbare
Macht der Verhältnisse, daß sie selbst widerspan-
stige Charaktere und ursprünglich feindselige Ele-
mente sich dienstbar zu machen versteht. Nirgends
aber ist der Kultus der spezifischen Jnteressen so
stark, wie in Altengland, entwickelt. Dort gibt
es keine Partei, welche sich so weit vergaße, mit
dem Auslande gegen das Wohl des Landes zu
konspiriren. Die Jnsurrektionen des Kontinents
ernten dort höchstens flüchtige Sympathien, wenn
sie die Jnteressen des Staates nicht wesentlich
berühren. Sie werden jedoch unbedingt verdammt,
wenn sie diesen widerstreben. Dieser natürliche
Egoismus bildet zugleich den Kern der anerkannt
hohen brittischen Staatsvernunft. Freilich ist Eng-
land weiter gegangen; freilich hat es sich einige
Male verleiten lassen dicht an die Grenze dessen,
was im völkerrechtlichen Verkehre erlaubt ist, hin-
zustreifen, und erwiesenermaßen dieselbe auch ei-
nige Male durch perfide Zuflüsterung und stille
Aufreizung überschritten. Das hat die gerechte
Entrüstung der Regierungen des Kontinents gegen
das brittische Kabinet, und insbesondere gegen die
Leitung des dortigen Departements der auswärti-
gen Angelegenheiten provozirt. Allein durchaus
ungerechtfertigt erscheint uns jetzt das Stutzen u.
die Verwunderung der deutschen Demagogen, die
sich plötzlich von Lord Palmerston im Stiche ge-
lassen sehen, nachdem er doch in Jtalien und Un-
garn ihnen so weidlich in die Hände gearbeitet.
Wir glauben noch einen Schritt weiter gehen zu
dürfen, und von den kommenden Ereignissen
schwerlich desavouirt zu werden, wenn wir vor-
aussetzen, der Lord werde in demselben Maße
den Unionsbestrebungen Preußens wohlgefallig
zulächeln, als dieselben zusammenschrumpfen und
ihre Lebensfähigkeit auch außerlich darlegen. Der
Grund liegt sehr nahe. Alles, wodurch innere
Spaltung in Deutschland vermittelt wird, ist Eng-
lands Jnteressen dienlich. Es konnten Fälle eintre-
ten, wo es eine deutsche Revolution als mächtigen
Bundesgenossen brauchen könnte. Daß aber die
politischen und öconomischen Jnteressen eines auf
solider Grundlage erbauten Großdeutschthums durch-
aus nicht nothwendig mit den seinigen parallel lau-
fen, ist eine Wahrheit, die es selbst mit scharfem
Blicke erkennt und würdigt, wahrend in den ge-
wissen Kreisen immer noch in althergebrachter Weise
der entgegengesetzten Theorie gehuldigt wird. Eng-
land will kein Großdeutschland, weil es furchtet,
ein solches könnte bei einer noch bevorstehenden
Weltkatastrophe in eine Coalition gegen seine un-
erträgliche maritime Suprematie hineingezogen wer-
den. Nicht minder unzweifelhaft scheint, daß eben
diese Erwägungen es waren, welche das russische
Kabinet bestimmten, seine anfänglichen Bedenken
gegen den Eintritt Gesammtösterreichs in den deut-
schen Bund fallen zu lassen. Diese Zerklüftung
höherer und höchster Jnteressen der europäischen
Großmächte dürfte nicht ohne Rückwirkung auf
die Behandlung der schleswig=holst. Frage bleiben,
so seltsam sonst die Fäden ihrer speziellen Jnteres-
sen darin untereinander laufen. Unbedingt ist es
eine der zartesten Fragen, die der sorgfältigsten
Erwägung bedarf, damit der Widerspruch der par-
ticularen Jnteressen, von denen sie getragen wird,
und vor Allem der Gegensatz des historischen und
positiven Rechts einerseits und des revolutionären
Princips andererseits, welches sich dabei einge-
schlichen, befriedigend gehoben werden können. Un-
längbar ist es, daß das Bedürfniß, die schleswig-
holsteinische Frage zu lösen, nicht ohne Einfluß
auf die Constituirung Deutschlands bleiben wird
und kann. Die Rechte des deutschen Bundes kon-
nen in dieser Beziehung von Niemand verkannt
und bestritten werden; der Bund aber hat zur
Zeit kein Organ aufzuweisen, welches die An-
sprüche desselben vor dem Forum der europaischen
Machte zu vertreten geeignet wäre. So sehr es
sich deßhalb von selbst versteht, daß die deutschen
Regierungen zunachst im Hinblick auf die schles-
wig = holst. Verwickelung sich zu einem baldigen,
gemeinsamen und erschöpfenden Arrangement hin-
gedrängt fühlen müssen, so unverantwortlich wäre
es, wenn Preußen auch jetzt bei seinem Zöge-
rungssystem verharren wollte, und ein Lebens=Jn-
teresse Deutschlands, das es keinesfalls genügend
zu vertreten vermochte, blosgestellt ließe. So ist
es denn jetzt nicht mehr allein das Jnteresse der
innern Ordnung und Ruhe Deutschlands, welche
die Bildung einer kraftvollen Centralgewalt er-
heischt; die Ehre und Geltung der Nation nach
Außen fordern ein Gleiches. Wird Preußen es
wagen dürfen, diesen doppelten Mahnruf ungehört
verhallen zu lassen?
( Oest. Kur. ) Schleswig=holsteinische Ange-
legenheiten .
Altona, 23. Juli. Die Meldung von einem
Vorpostengefecht bestätigt sich, so wie auch, daß
die Schleswig=Holsteiner den Dänen 90,000 Pfd.
vom nördlichen Angeln nach Flensburg bestimmte
Fourage abgenommen haben.
Schleswig, 22. Juli. Gestern Abend ist die
Nachricht angelangt, daß die Danen Tondern be-
setzt haben, ubrigens nur mit einem kleinen Corps
das vorher bereits südlich von der Stadt Posto
gefaßt hatte.
( H. N. )
Aus Schleswig. Die Stellung der dänischen
und schleswig=holsteinischen Truppen wird in fol-
gender Weise angegeben: Die Dänen breiten sich
von zwei Kustenpunkten aus, von Flensburg an
der Ostküste in südlicher, von Husum an der West-
küste in nördlicher und nordöstlicher Richtung. Die
Hauptmasse ihrer Armee ist in und bei Flensburg.
Den Stand, den sie am 21. einnahmen, bezeich-
nen am Besten die Orte Schmedeby ( auf der
Straße von Flensburg nach Schleswig ) , Havetost
( auf der Straße nach Eckernförde ) und Satrup
( nordöstlich von Havetost ) . -- Die schleswig=hol-
steinifche Armee ist dagegen mehr concentrirt; sie
hat bei Jdstedt eine feste, durch Teiche, Seen und
Sümpfe gedeckte Position genommen. Jhr rechter
Flügel dehnt sich etwa bis Tolk aus.
Frankfurt, 19. Juli. Unsere Gothaer=Partei
hat sich jetzt des Enthusiasmus für Schleswig-
Holstein bemächtigt, um wieder von sich reden zu
machen, nachdem sie in der Unions=Angelegenheit
eine so schmähliche Niederlage erlitten. Dabei ist
sie so naiv, alle Diejenigen, welche Geld für
Schleswig=Holstein spenden, zu ihrer Partei zu
zählen, indem sie die Unterstützer der Schleswig-
Holsteiner kurzweg die „deutsche Partei“ nennt.
Dieser naive Jrrthum wird den Gothaern jetzt
jeden Tag vor die Seele geführt.
Karlsruhe, 24. Juli. Eine dieser Tage er-
gangene Verfügung des Polizeiamts der Residenz
bestimmt, daß in Zukunft die Ballen der hiesigen
Buchhändler nur in Beisein eines Polizeicommis-
särs geöffnet werden dürfen, zu welchem Zwecke
jedesmal nach Ankunft eines Bücherballens die
entsprechende Anzeige bei gedachter Stelle zu ma-
chen ist.
Stuttgart, 24. Juli. Der engere Ausschuß
der Landesversammlung hält heute eine Sitzung
wegen zweier ihm gestern vom k. Gesammtmini-
sterium zugegangenen k. Rescripte in Betreff des
Zusammentritts des vollen Ausschusses und Vol-
lendung der Berathung eines neuen Verfassungs-
Entwurfs, so wie in Beziehung auf seine Erklä-
rung über den Friedensvertrag zwischen Preußen
und Dänemark. Jm ersteren dieser k. Reseripte
wird die von dem Ausschusse behauptete Befugniß
zur Berufung des weiteren Ausschusses ohne vor-
gängige Anzeige an die Regierung, und noch mehr
die Befugniß zu einer Verfassungsberathung be-
stritten und dies rechtlich ausgeführt. Das zweite
Rescript lautet wörtlich, wie folgt: „ Wilhelm,
von Gottes Gnaden König von Württemberg ec.
Liebe Getreue! Die Mittheilung eures Präsidiums
vom 11. d. M. an Unser Gesammtministerium,
wonach ihr aus Anlaß einer in der „A. allg. Z.“
vom 10. d. M. enthaltenen, übrigens ungenauen
Veröffentlichung über den von der k. preuß. Re-
gierung in ihrem Namen und im Namen des deut-
schen Bundes abgeschlossenen Friedensvertrag mit
Dänemark „die zuversichtliche Erwartung“ aus-
sprecht, daß Wir diesem Friedensvertrag Unsere
Zustimmung nicht ertheilen, und die Sache Schles-
wig=Holsteins fortwährend als allgemeine deutsche
Sache bei den übrigen Regierungen geltend ma-
chen werden, ist Uns von Unserem Gesammtmini-
sterium vorgelegt worden. Wir können euch Un-
ser gerechtes Befremden über die Art, wie ihr in
dieser Eingabe gegenüber Unserer Regierung auf-
tretet, nicht bergen. -- Während die wichtige
vaterländische Angelegenheit, von welcher es in
diesem Falle sich handelt, die reiflichste, auf sichere
und vollständige Kenntniß des Thatbestandes ge-
gründete Erwägung erfordert, und Wir das Ver-
trauen ansprechen dürfen, daß Wir bei der Uns
in derselben zukommenden Entschließung das wohl-
verstandene Jnteresse des großeren und engern
Vaterlandes auf das Gewissenhafteste erwagen
werden, so muß eure Kundgebung in dieser Sache,
in welcher Unsere Regierung noch in keiner Weise
gehandelt hat, ja gar nicht einmal zu handeln in
der Lage gewesen ist, hiernach und im Zusammen-
halt mit den Vorschriften der §§. 187 und 188
der Verfassungsurkunde, welche die Grenzen eures
Wirkungskreises bezeichnen, zum wenigsten als
eine sehr voreilige erscheinen. Dazu kommt aber,
daß ihr in euerer so bezeichneten Erklärung nicht
sowohl eine Bitte ausgebracht, als vielmehr durch
die von euch gewählte Form geradezu eine Richt-
schnur für das in dieser Angelegenheit einzuhal-
tende Verfahren vorzuzeichnen versucht, und da-
durch damit eine Befugniß euch angemaßt habt,
welche Wir im Hinblick auf die klare Bestimm-
ung des 85 der Verfassungsurkunde als einen
Eingriff in Unsere verfassungsmäßigen Rechte mit
Entschiedenheit zurückzuweisen Uns veranlaßt sehen.
Jndem Wir euch dieses eröffnen, verbleiben Wir
euch im Uebrigen mit Unserer königl. Huld stets
wohl beigethan.
Stuttgart, im königl. Gesammt-
ministerium, den 23. Juli 1850. Auf Sr. königl.
Majestät besondern Befehl: Miller. Linden. Knapp.
Plessen.
Stuttgart, 25. Juli. Der Staatsanzeiger
enthält ein K. Reskript für den Ausschuß der Lan-
desversammlung in Bezug auf dessen vollen Zu-
sammentritt zur Vollendung der Berathung eines
neuen Verfassungsentwurfs. Jn dieser Hinsicht
werden dem Ausschuß Verweise über seine Be-
fugnißüberschreitung ertheilt, und er auf seine
gesetz= und verfassungsmäßige Wirksamkeit hinge-
wiesen.
Mainz, 25. Juli. Heute fand die feierliche
Consecration Unseres hochwürdigsten Bischofs, Frei-
herrn Wilhelm v. Ketteler, im hohen Dome
Statt und zwar vollzogen durch den Metropoliten
der oberrheinischen Kirchenprovinz -- den hochw.
Erzbischof von Freiburg --, während die Bischöfe
von Fulda und Limburg assistirten. Außerdem war
noch der Hr. Bischof von Rottenburg zugegen, so
daß unser Dom das seltene Schauspiel genoß, alle
Bischöfe unserer Kirchenprovinz an Einem Altare
vereinigt zu sehen. Die Feierlichkeit begann um
9 Uhr und gegen 11 Uhr durchschritt Bischof
Wilhelm, bekleidet mit allen Zeichen seiner
hohen Würde und geleitet von den Bischöfen von
Limburg und Fulda, die gedrängten Reihen des
versammelten Volks, unmittelbar darauf vom
Stiftsaltare aus zum Erstenmal den bischöflichen
Segen ertheilend. Nachdem hierauf das Tedeum
gesungen und alle die Hunderte der anwesenden
Priester dem neuen Oberhirten ihre Huldigung dar-
gebracht, bestieg der hochw. Bischof von Limburg
gegen11 1 / 2 Uhr die Domkanzel, um in einer
ausgezeichneten Predigt die Mainzer Diocesanen
der Bedeutung des hohen Festes gemäs noch be-
sonders zu erbauen und zu ermuntern, woran sich
unmittelbar eine gleichfalls von der Kanzel herab
gerichtete Ansprache unseres hochw. Bischofs reihte,
von der wir hier nur andeuten wollen, daß die-
selbe ebenso wie die Predigt des Hrn. Bischofs
von Limburg den gewaltigsten, ergreifendsten Ein-
druck auf die Versammelten aller Stände hervor-
brachte. Um 1 Uhr war die Feierlichkeit beendet
und es verließen die hochw. Bischöfe, geleitet vom
Clerus, die Kathedrale. Die Haltung des über-
aus zahlreich versammelten Volks war eine höchst
ehrerbietige, theilnehmende und audachtsvolle. Heute
Nachmittag findet im bischöflichen Seminarium ein
Festessen und um 9 Uhr Abends ein solenner Fa-
ckelzug Statt.
( Mainz. J. )
Wien, 21. Juli. Berichte von der Elbe mel-
den: Nach einer neuesten Verfügung des Kriegs-
ministeriums wird in der Gegend von Leitmeritz
am linken Elbenufer ein verschanztes Lager für
80,000 Mann errichtet werden, zu dessen voll-
kommener Ausrüstung 8 Mill. Gulden verwendet
werden sollen. Das Lager wird durch Brücken
mit den nahen Festungen verbunden. Jngenieur-
Offiziere befinden sich bereits am Standort, um
die Ausmessungen vorzunehmen.
( N. B. )
Wien, 21. Juli. Aus Frankfurt wird dem
O. Korrespondenten vom 17. d. geschrieben: Froh-
locken strahlt auf den Gesichtern unserer Wider-
sacher, ihr Ziel ist erreicht, und die That gesche-
hen, welche das Bundesrecht entzweireißt. Die
badischen Truppen sind abgeführt nach Preußen,
den Rhein hinab, an Mainz vorbei, einer Bun-
desfestung und unter den Augen einer österreichi-
schen Besatzung. Wir aber, die wir es mit Deutsch-
land, dem ungetheilten, wohl meinten, und Hoff-
nung hegten, daß das Bundesrecht wieder zu
Kraft und Geltung kommen würde, wir sind be-
stürzt und verhehlen es nicht, daß uns ein schwe-
rer Schlag betroffen. Nicht der wenigen Ba-
taillone wegen, um welche Preußen jetzt stärker
wird, sind wir voll Besorgniß, nein, des gewal-
tigen Eindrucks halber, den dieser kühne Griff
auf die Gemüther des deutschen Volkes und auf
dessen Rechtsbewußtsein üben wird. Die Bundes-
kriegsverfassung verbietet mit den klärsten Worten
die Vereinigung badischer Truppen mit preußischen,
es gestattet nicht einmal einen Schein von Su-
prematie eines Bundesstaates über den andern;
Oesterreich protestirte gegen den Ausmarsch, weil
bundeswidrig; die anliegenden Staaten, so wie
Hannover thun ein Gleiches, und trotz alle dem
beharrt Preußen, oder wie man vorzuschutzen sucht,
das badische Ministerium auf seinem unheilvollen
Entschlusse, und führt ihn unter der höhnenden
Ausrede durch, in Baden sei kein Platz mehr für
die Kinder des Landes! Wenn in solcher Weise
das Bundesrecht verletzt werden darf, dann, wahr-
lich, ist auch noch mehr erlaubt, und es ist schwer
abzusehen, wozu es nützen soll, daß die andern
deutschen Staaten unlängst in Frankfurt zusam-
mengetreten sind, um die Bundesverfassung wie-
der aufzurichten! Während hier berathen wird, ob
und in welcher Weise das Plenum in den enge-
ren Rath umzugestalten sei, geht Preußen unbe-
hindert auf dem Wege der Thatsachen weiter und
fügt dem Unionswerke den Anfang der Verwirk-
lichung seiner von allen Seiten angefochtenen Mi-
litärkonventionen bei. Jst der Ausmarsch der Ba-
dener erst vollendet, und dieß wird in wenigen
Tagen der Fall sein, dann kommen Braunschweig
und Mecklenburg an die Reihe; bereits sammelt
sich zu diesem Behufe in Mecklenburg das aus
Holstein rückkehrende Heer zu einem Observati-
onskorps. Mit den thüringischen Herzogthümern,
deren Bataillone großentheils jetzt schon von preuß.
Offizieren kommandirt werden, braucht man dann
um so weniger Komplimente zu machen, als durch
die unbehinderte Abführung der Badener in den
Augen der Menge, im Volke wie bei den Regie-
rungen, der thatsächliche Beweis geliefert ist oder
wenigstens geliefert zu sein scheint, daß die groß-
deutschen Staaten entweder die Macht oder den
Willen nicht haben, ihren Einsprüchen Nachdruck
und Folge zu geben. Hier ist der Punkt, um
den es sich vor Allem handelt, und, nehmen Sie
es einem treuen Anhänger des alten Kaiserhauses
nicht übel, Oesterreichs Einfluß in Deutschland
ist durch diese Abführung schwer kompromittirt,
und ein rasches und entschiedenes Auftreten thut
Noth, wenn weiteren noch schlimmeren Folgen
vorgebeugt werden soll. Die Umwandlung der
hiesigen Plenarversammlung in den engeren Bun-
desrath, wie er letzten Montag nach längeren
Verhandlungen beantragt, und wenn auch noch
nicht formell beschlossen, doch einstimmig gut ge-
heißen wurde, möchte schwerlich hinreichen, dem
thatsächlichen Vorgehen Preußens ein reelles Hin-
derniß in den Weg zu legen. Thaten verlangen
Thaten, wenn die Sache wieder in das Gleichge-
wicht gebracht, und der verlorne Boden zurückge-
wonnen werden soll; so viel sich Preußen erlaubt,
so viel steht auch den andern Staaten zu, und
da sie auf dem Boden des Rechtes stehen, noch
weit mehr; es braucht darum noch keineswegs in
die Posaune des Kriegs gestoßen zu werden, wenn
gleich die Aussichten leider düster genug sind.
Wien, 22. Juli. Aus Berlin wird dem O.
Korrespondenten vom 20. d. geschrieben: „Die
Gerüchte von bald bevorstehenden Aenderungen im
Ministerium wiederholen sich seit einigen Tagen
mit wachsender Bestimmtheit. Zuverlässig ist, daß
der Finanzminister, dessen Ausscheiden schon längst
angekündigt ward, jetzt, wie es heißt aus Ge-
sundheitsrücksichten, um seine Entlassung nachge-
sucht hat. Bis jetzt ist auf das Gesuch noch
keine Entscheidung getroffen worden; es unterliegt
aber keinem Zweifel, daß Hrn. v. Rabe der Ab-
schied bewilligt werden wird, indem man Aende-
rungen in der Verwaltung der Bank und der
Seehandlung beabsichtigt, denen der Minister seit-
her hemmend entgegentraten. Auch der Abgang
des Handelsministers soll nicht unwahrscheinlich
sein, wenngleich Hr. v. d. Heydt bis jetzt wenig
Neigung gezeigt hat, sein Portefeuille niederzule-
gen. Der entschiedene Widerstand, der im Lande
gegen die handelspolitischen Grundsätze dieses Mi-
nisters hervortritt, hat an höchster Stelle Bedenk-
lichkeiten erregt. Allem Anschein nach steht eine
baldige Rückkehr zu den gegenwärtig in Schatten
gestellten Prinzipien der altpreußischen Handelspo-
litik in Aussicht. Der Minister des Jnnern soll
seit einiger Zeit mißmuthig darüber sein, daß der
Gang der Dinge eine so konträre Wendung nimmt.
Er empfindet es schwer, daß immer neue Schwie-
rigkeiten auftauchen, sobald ein Hemmniß aus dem
Wege geräumt zu sein scheint. Uns kann das
nicht weiter Wunder nehmen bei einer grundsätz-
lich falschen Politik, die noch dazu nicht den Muth
der Konsequenz, oder nicht das Geschick erfolg-
reicher Durchführung besitzt. So ist es nach Au-
ßen, so ist es im Jnnern. Jn letzterer Bezieh-
ung stehen noch immer die sich häufenden Schwie-
rigkeiten bei der Einführung der neuen Gemeinde-
ordnung in Vordergrund. Alle Anzeichen deuten
mehr und mehr darauf hin, daß eine Sistirung
und nochmalige Berathung dieses Gesetzes eintre-
ten werde. Es soll im Werke sein, erst die Pro-
vinzialstände, die in ihrem rechtlichen Bestande
noch keineswegs aufgehoben sind, über die Sache
zu hören, und dann das Resultat dieser Berath-
ungen vor die Kammern zu bringen. Darüber
würde denn sehr wahrscheinlich die nächste Session
verstreichen, indem bei dem seitherigen Mangel
an Vorbereitungen die Provinzialstande doch schwer-
lich noch vor dem November, wo die Kammern
zusammentreten, ihre Versammlung halten dürf-
ten. Zudem eilt die Sache gar nicht. Jm Ge-
gentheil, eine Jnstitution, wie die Gemeindeord-
nung, welche hundertjährige Verhältnisse wieder
auf viele Menschenalter hinaus umgestalten soll,
erfordert sicherlich gründliche andauernde Prüfung.
-- Hr. v. Radowitz steht augenblicklich wieder in
großem Ansehen und genießt wieder eines ganz
besondern Vertrauens. Der General ist in seiner
Zuversicht auf das Gelingen des Unionswerks et-
was schwankend geworden. Auch ihm drängt sich
allmählig die Ueberzeugung auf, daß der einge-
schlagene Weg ein falscher war. Daß er selber
der Urheber und Leiter dieser halben, unaufrichti-
gen, Mißtrauen erweckenden und keine Freunde
gewinnenden Politik ist, will er freilich weniger
eingestehen.“
Wien, 22. Juli. Die Nachricht der „ Deut-
schen Reform,“ daß die türkische Regierung Be-
schwerden dagegen erhoben habe, daß die österrei-
chischen Grenzbewohner den Aufstand der Bulga-
ren unterstützen, ist vollständig aus der Luft ge-
griffen. Es hat eine solche Unterstützung weder
von der österreichischen, noch von der serbischen
Grenze stattgefunden. Ganz dieselbe Nachricht
wurde zur Zeit des bosnischen Aufstandes verbrei-
tet, und stammte aus derselben unlauteren Quelle.
Nicht minder falsch ist die Jnsinuation der „ Deut-
schen Ref.,“ daß das Fallen des Silber=Agio zu
Wien eine Folge der Börsenmanövers des Finanz-
ministers wäre. Dies Fallen ist Folge des wie-
dergekehrten Vertrauens in die Stetigkeit des Welt-
friedens und der österr. staatlichen Verhältnisse.
Welche Summen, fragen wir die „Reform,“ wür-
den dazu gehört haben, das Silber=Agio um 5$%$
sinken zu machen?
Wien, 23. Juli. Se. Maj. der Kaiser ha-
ben mit Allerhöchster Entschließung vom 20. Juli
d. J. über Antrag des Ministerrathes allergnä-
digst zu befehlen geruhet, daß hinsichtlich 209
minder gravirter Jndividuen aus der Reihe der
ungarischen Landtags=Deputirten und Commissäre
der Rebellen=Regierung das wider sie im Zuge
begriffene kriegsrechtliche Verfahren unterlassen werde.
-- Se. Maj. der Kaiser haben mit Allerhöchster
Entschließung vom 20. Juli d. J. über Antrag
des Ministerrathes allergnädigst zu gestatten ge-
ruhet, daß das wider den im Auslande befindli-
chen Stephan Grafen Batthyany anhängige kriegs-
rechtliche Edictalverfahren aufgelassen und ihm die
nachgesuchte straffreie Rückkehr in die k. k. Staa-
ten zugestanden werde.