Ausfuͤhrliche Nachricht von dem/ was alhier zu Halle mit
denen Saltzburgiſchen Emigranten vorgegangen.
DEn 21. April gegen Abend langten unter Anfuͤhrung eines Koͤnigl.
Preußiſchen Commiſſarii 800 und etliche 20 Saltzburgiſche
Emigranten an Maͤnnern, Weibern und Kindern, bey Paaren
und unterm Geſang geiſtlicher Lieder, die Krancken aber auf ei-
nigen Wagen, alhier an. Des folgenden Tages, als den 22.
wurden dieſelben vor der hieſigen Koͤnigl. Kriegs- und Domainen-Deputations-
Cammer ihrer Ausſchaffung wegen, und was ieder im Saltzburgiſchen am Ver-
moͤgen zuruͤck gelaſſen habe, umſtaͤndlich vernommen, da es ſich denn befunden,
daß es nicht an deme, daß dieſe Emigranten, wie man Saltzburgiſcher Seits
bishero vorgeben wollen, lauter unangeſeſſene Leute waͤren, vielmehr haben die-
ſelben documentirt und genugſam dargethan, daß ſie an liegenden Gruͤnden,
Haͤuſern, ausſtehenden Schulden, Viehe, Haus-Rath und dergleichen, mehr
denn 20000 Fl. werth, zuruͤck laſſen muͤſſen, und alſo denen mehreſten unter ih-
nen, denen Reichs-Conſtitutionen zuwider, zum Verkauff deſſen keine Zeit ge-
geben worden ſey. Jn denen von denen Saltzburgiſchen Beamten ihnen er-
theilten Paͤſſen hat man dieſen Unterſcheid wahrgenommen, daß man einige
von ihnen bloß Glaubens-Emigranten genennet, andere hingegen fuͤr Refra-
ctarios u. Aufwiegler angegeben, welche letzteren gleichſam nur aus Fuͤrſtl. hohen
Gnaden zu emigriren Erlaubniß erhalten haͤtten. Da man aber dieſe letztern
eigentlich befraget/ worinnen ihr Verbrechen und Widerſetzlichkeit beſtanden
habe, haben dieſelben verſichert, daß ſie bloß um deßwillen fuͤr Aufwiegler waͤ-
ren angeſehen worden, weil 1) einige unter ihnen haͤtten nach Wien gehen, und
Jhro Kayſerl. Maj. um allergnaͤdigſten Schutz und Huͤlfe anflehen wollen, auf
dem Wege aber ergriffen worden waͤren. 2) Weil man einige, die ſich mit
andern, ihrer Noth wegen, berathſchlaget, auf dem Felde, ob wol unbewehrt,
angetroffen habe. 3) Waͤren auch diejenigen unter die Aufwiegler mit gezeh-
let worden, die zu denen Reiſe-Koſten nach Wien etwas beygetragen, oder ſonſt
andern von ihren Mitgenoſſen mit Gelde ausgeholffen haͤtten. Dieſe ſo ge-
nannte Aufwiegler habe man denn ſogleich in Ketten und Banden, oder doch in
die Gefaͤngniſſe gebracht, die deßwegen allenthalben ziemlich angefuͤllet gewe-
ſen waͤren. Wie denn einige von denen alhier anweſenden Emigranten
26 Wochen lang in Ketten und Banden, oder doch im Gefaͤngniß behalten, und
alſo geſchloſſen bis an die Saltzburgiſche Grentze gefuͤhret worden. Da man de-
nenſelben waͤhrender Gefangenſchaft beſtaͤndig gedrohet, daß, wo ſie nicht Ca-
tholiſch werden wolten, ſie mit dem Leben nicht davon kommen wuͤrden. Nebſt
dieſem haben auch alle die uͤbrigen bezeuget, wie ſie im Saltzburgiſchen ſehr viel
Drangſalen und Verfolgungen ausſtehen muͤſſen, und endlich mit Gewalt aus-
geja-
gejaget worden waͤren, ſo, daß manche auch nicht einmal die hoͤchſte Nothdurft
mit ſich nehmen koͤnnen, wie denn einige gar ſchlecht bekleidet hieher gekommen,
und nicht einmal ein Hemde mehr auf dem Leibe gehabt. Einige haͤtten ihre
Kinder und andere von denen Jhrigen zuruͤck laſſen muͤſſen, theils aber von ihren
Verwandten waͤren noch in der Gefangenſchaft. Die Wuth ihrer Verfolger
waͤre auch ſo weit gegangen, daß ſelbige bey dem Auszuge unter ſie, wie unter das
Wild, geſchoſſen; wie denn einem Emigranten, den es mit betroffen, von einem
Chirurgo alhier añoch die zuruͤckgebliebenen Schrote ausgezogen worden. Daß
man uͤbrigens weder auf Krancke, noch auf ſchwangere Weiber reflectiret, erhel-
let daraus, daß von den erſtern etliche und 20 Perſonen unter Weges geſtorben,
und etliche Weiber mit Kindern niedergekommen. Wie ſich denn auch ſonſt
alte und gebrechliche Leute, Blinde und Taube unter ihnen befunden. Jndeſ-
ſen haben ſie ſich alleſamt froͤlich und vergnuͤgt bezeiget, daß ſie nur endlich ein-
mal aus ihrer Noth und ſchweren Drangſalen entkommen, und nunmehro
GOtt nach ihrem Gewiſſen dienen koͤnten. Dieſe arme Emigranten,
welche um des Evangelii willen ſo viel ausgeſtanden und das Jhrige verlaſſen
muͤſſen, hat man denn alhier, wie billig und Chriſtlich, mit aller Liebe und Mit-
leiden aufgenommen, und ſind dieſelben, auf gute Veranſtaltung der Koͤnigl.
Kriegs- und Domainen-Deputations-Cammer, auf den Neumarckt, in eine
Vorſtadt, die Krancken aber in die ſo genannte Moritz-Burg und ſonſten wohl
einlogiret, auch von E. Wohlloͤbl. Magiſtrat dieſer Stadt mit Speiſe und Tranck
erquicket worden. Nach geſchehenem Verhoͤr hat man ſelbige des andern Ta-
ges auf den Nachmittag auf die Koͤnigl. Reſidentz gefuͤhret, woſelbſt, unter groſ-
ſem Zulauff, von dem Koͤnigl. Conſiſtorial-Rath und Inſpectore, auch Paſto-
re Primario der Kirchen zur L. Frauen alhier, Herrn Francken, mit dem Gruß
Chriſti an ſeine Juͤnger: Friede ſey mit euch, eine erbauliche Anrede an dieſel-
ben gehalten, und ihnen gezeiget worden, wie ihnen nunmehr das Evangeli-
um des Friedens reichlich verkuͤndiget werden wuͤrde. Nach Beſchluß deſſen
ſind dieſelben von dem Hrn. Archi-Diacono Ockeln catechiſiret worden, da denn
einige gar verſtaͤndig und Schrift-maͤßig auf die ihnen vorgelegte Fragen zu ant-
worten gewuſt, daß man auch daher abnehmen muͤſſen, daß dieſe bedrengte Pro-
teſtanten unter aller Bedruͤckung die heil. Schrift unter ſich fleißig geleſen, und
daraus, wie ſie auch ſelbſt bezeuget, vor allem andern ihren Unterricht genommen,
und ſich in ihrem Leiden getroͤſtet und aufgerichtet haben. Nach Endigung die-
ſer Handlung iſt ihnen daſelbſt Lutheri Catechismus, auch einige Geſang- und
andere erbauliche Buͤcher ausgetheilet worden. Die, welche von Fremden und
Einheimiſchen dabey zugegen geweſen, haben ihnen ein reichliches Allmoſen mit-
getheilet, und endlich haben ſowol Vornehme, als andere Buͤrger dieſer Stadt
einige von ihnen zu ſich kommen laſſen, und dieſelben in ihren Haͤuſern zu Abend
ſehr liebreich bewirthet, dergleichen von andern auch des folgenden Tages zu
Mittage geſchehen.
Den
Den 23ten Nachmittaas ſind dieſelben insgeſamt/ die nicht durch Kranck-
heit verhindert geweſen, durch 4 Studioſos Theologiæ gleichfalls Paar-weiſe
und unter Abſingung einiger geiſtlichen Lieder/ die ſie ſelbſt angefangen, auf das
hieſige Waͤyſenhaus, in guter und ungeſtoͤrter Ordnung, auf den ſogenannten
Singe-Saal gefuͤhret, und iſt ihnen von dem Directore deſſelben, dem Hrn.
Paſtor Freylinghauſen, uͤber das erſte Capitel der erſten Epiſtel Petri, und ſon-
derlich uͤber den 15. 17. 18. 19. und 20. Vers eine Erbauung gehalten, darinnen
ihnen der Kern der Evangeliſchen Lehre, und was fuͤr Fruͤchte dieſelbe
bey uns bringen muͤſſe, vorgetragen, und dieſe Handlung mit dem letzten Vers
aus dem Liede: Es ſpricht der Unweiſen Mund wol, beſchloſſen worden.
Nach dieſem haben alle und jede, nach ihrem Verlangen und Umſtaͤnden, eine
Bibel, oder ein N. Teſtament, denn auch einige Arnds wahres Chriſtenthum
und Paradies-Gaͤrtlein, auch andere erbauliche Buͤcher erhalten. Darauf
ſind ſie in den Speiſe-Saal des Waͤyſenhauſes gebracht, und daſelbſt insge-
ſamt geſpeiſet, und unter waͤhrendem Eſſen von dem Profeſſore Theologiæ
und Con-Directore des Wayſenhauſes, Herrn Gotthilf Auguſt Francken,
nochmalen uͤber die Worte Matth. 24, 13. eine Ermahnung gehalten, und end-
lich nach der Mahlzeit, nach Verleſung eines Stuͤcks aus dem CVII. Pſalm,
mit einem Gebet und Geſang der Schluß gemacht worden. An Gelde ſind
auf dem Waͤyſenhauſe allein, ſowol denen Anweſenden, als auch denen abwe-
ſenden Krancken, 400 Rthlr. ausgetheilet worden, welches theils von Auswaͤr-
tigen uͤberſchicket, theils von einigen Freunden alhier, vornehmen und geringen
Standes, zuſammen geleget worden. Wie denn ſowol die Præceptores und
Scholaren des Koͤnigl. Pædagogii alhier, als auch andere Schuͤler in denen
Lateiniſchen Schulen des Waͤyſenhauſes, desgleichen einige vom Geſinde und
Aufwaͤrtern darinn, ſich dabey gar liebthaͤtig erwieſen haben. Vor allen an-
dern haben die Emigranten daruͤber eine beſondere Freude bezeuget, wenn ſie
mit Bibeln beſchencket worden, ſie wol gekuͤſſet, und dabey zu erkennen gegeben,
daß GOttes Wort ihnen das allerliebſte waͤre, und ſie dieſes ſehr hoch ſchaͤtzen,
daß ſie ſolches nunmehro frey u. ohne Furcht leſen oder ſich vorleſen laſſen koͤnten,
da man ſie vorhero deswegen ſehr hart beſtrafet, ihnen nicht allein die Bibeln und
andere Buͤcher weggenommen, ſondern Hauffen-Weiſe verbrennet, und wenn
ſie nicht verbrennen wollen, ſolche zerhacket und in die Miſt-Gruben geworfen
habe.
Den 24. dieſes iſt denn ein Theil derſelben wiederum von hier aufgebrochen,
und haben ihre Reiſe uͤber Berlin nach Preuſſen fortgeſetzet/ und geſtern ſind ih-
nen die uͤbrigen gefolget. Die Krancken und Gebrechlichen ſind auf Wagen
fortgebracht worden, auf welche noch einige, wie auch bey dieſer Emigranten
Einzuge in die Stadt geſchehen, ihnen Geld zugeworfen haben. Wie ſich
denn alhier ſowol vornehme als geringe gegen dieſelben mit Austheilung weiſſen
Zeuges, Leinwand, Kleider und anderer Nothwendigkeiten ſehr mildthaͤtig er-
wieſen.
wieſen. Von des Waͤyſenhauſes wegen ſind ihnen mit Genehmhaltung der
Koͤnigl. Deputations-Cammer 4 Studioſi Theologiæ, die ſich freywillig dazu
verſtanden, zugegeben worden, die ſie nach Berlin begleiten, um ſie unter Weges
zu erbauen, und in dem Chriſtlichen Glauben mehrers zu unterrichten. Jm
uͤbrigen haben dieſe arme Emigranten ſich durchgehends und allenthalben ſo
bewieſen, daß man nichts anders denn eine beſondere Redlichkeit, Treuhertzig-
keit u. wahre Furcht GOttes an ihnen verſpuͤret. Bey einigen hat man mit Ver-
wunderung eine beſondere gute Einſicht und Erkaͤntniß in GOttes Wort wahr-
genommen, ſo, daß ihr Umgang vielen erbaulich, und dieſelben bey allen und
jeden lieb und angenehm geweſen. Daß ſie Socinianiſche Jrrthuͤmer hegten,
davon hat man nicht das mindeſte, vielmehr aber eine gar gute Erkaͤntniß von
Chriſto bey ihnen verſpuͤret, ſo, daß dergleichen Beſchuldigungen ein bloſſes Ge-
dichte ſind. Jm uͤbrigen haben dieſelben ſehr geruͤhmet, wie ihnen in denen
Marggraͤfl. Anſpach- u. Bayreutiſchen, Graͤfl. Reußiſchen, auch Chur- u. Fuͤrſtl. Saͤchſiſchen
Landen auf ihrer Reiſe viel Gnade, Liebe und Gutes von Hohen u. Niedern wiederfahren.
Wie ihnen denn auch von Weiſſenfels aus noch 300 Rthlr. an Gelde hieher nachgeſchicket
worden. Auch haben ſich die Frantzoͤſiſchen Refugies zu Erlangen und andern Orten ſehr
liebreich gegen ſie bewieſen. Dahingegen hat man von denenjenigen, die ſie begleitet, mit
Verwunderung hoͤren muͤſſen, wie uͤbel man denenſelben an theils Orten in Catholiſchen
Landen begegnet, und wie von deren Einwohnern die ihrentwegen ausgegangene Obrig-
keitliche Befehle wenig reſpectiret, und dieſelben, ſtatt des vorgegebenen guten Tractaments,
ſehr ſchlecht angeſehen, derer Fuhren und anderer Nothdurft wegen uͤbertheuret, und kaum
des Nachts mit Obdach verſehen worden, da ſie gleichwol uͤber einander liegen, und ihre Kin-
der des Nachts an ihre Leiber binden muͤſſen, damit ihnen ſelbige nicht weggenom̃en wuͤrden,
weil man ihnen ungeſcheuet geſagt, daß, wenn ſie, die Alten, ſchon zum Satan fuͤhren, ſo muͤſſe
man doch ihre unſchuldigen Kinder annoch zu retten ſuchen. Die Commiſſarien und Fuͤhrer
ſelbſt, ſo ihnen an Catholiſchen Orten zugegeben worden, haben mit Lutheriſchen Hunden
um ſich geworfen, und ihnen auch ſonſt ſchlecht begegnet. Welches alles man nicht von ih-
nen, ſondern von denen, die ſie begleitet, vernommen. Denn ſie ſelbſt haben ſich uͤber
nichts beklaget, noch weniger aber wider ihren vorigen Landes Fuͤrſten auch nur ein hartes
Wort von ſich hoͤren laſſen. Unterwegens haben ſich auch einige Juden wohlthaͤtig gegen
ſie bewieſen, und, als einer von dieſen befraget worden, wie es komme, daß er gleichwol die-
ſen Leuten, die doch Chriſten waͤren, Gutes erzeigete? hat derſelbe geantwortet: daß es ja
Menſchen waͤren, die nach dem Bilde GOttes geſchaffen, und daß GOtt befohlen habe, daß
man ſich gegen Fremdlinge guͤtig beweiſen ſolle, dergleichen ſeine Vorfahren auch in Egypten
geweſen waͤren, und ihnen daher das Hertz derer Fremdlinge am beſten bekannt ſey. Von
dieſen moͤchten andere, die ſich Chriſten nennen, billig ein gutes Exempel nehmen, und den-
cken, wie es ihnen gefallen wuͤrde, wenn ihnen ein gleiches begegnete, ſo man ihnen doch nicht
wuͤnſchet. Jnzwiſchen muß man auch noch deſſen gedencken, daß gleichwol auch einige Roͤ-
miſch-Catholiſche hieſiges Orts die Emigranten mit Geld und Wein erquicket, als welche al-
hier aller Koͤnigl. Gnade, Schutzes und Guten genieſſen, und unter vernuͤnftigen und Chriſt-
lichen Leuten wohnen, wo man den Verfolgungs-Geiſt fuͤr ein Zeichen des Antichriſts haͤlt.
Auch hat ein Roͤmiſch-Catholiſcher Soldat, der anfangs mit dieſen Emigranten nicht zu-
frieden geweſen, weil er geſehen, daß es ehrliche und unſchuldige Leute waͤren, ſie beſchen-
cket und ihnen wol ſeine gantze Loͤhnung, ſo viel er bey ſich gehabt,
hergegeben. Kuͤnftig ein mehrers.