Paris, den 11. Oktober. Der Moniteur sagt heute: „Es ist durchaus falsch, daß Hr. Cavaignac, wie es die „Patrie“ anzeigt, einer Versammlung im Palais-National oder irgend einer anderen politischen Winkelzusammenkunft beigewohnt habe, deren Zweck ist, die Wahl des Präsidenten der Republik zu verschieben. Die Note im Moniteur war zu formell und zu klar, um zu gestatten, der Exekutivgewalt einen rückhaltigen Gedanken in einer Frage zuzuschieben, von der es im Gegentheile eine baldige Erledigung wünscht.“
‒ In der gestrigen Nationalversammlung wurde folgendes Amendement Proudhon's, vertheilt:
„In dem Falle, wo das allgemeine Stimmrecht keinem der Kandidaten zur Präsidentschaft der Republik ein absolutes Mehr gibt, geschieht die definitive Ernennung des Präsidenten durch das Volk von Paris.“
‒ Die „Presse“ setzt ihren Krieg gegen Cavaignac mit einer wahren Wuth fort. In ihrer heutigen Nummer bringt sie alle Reden aus den Bauchartschen Verhören Arago's, Garnier Pagés, Marie's, Lamartine's, Ledru-Rollin's unddes Präsidenten Trouvé-Chauvel's, um durch diese Auszüge zu beweisen, daß Cavaignac nicht frühzeitig genug Truppen gegen die Juni-Räuber schickte; er habe die Barrikaden ruhig bauen lassen und somit die Revolution ermuthigt, müsse so rasch als möglich gestürzt werden etc. etc.
‒ Mit Ausnahme weniger demokratischer Organe z. B. der „Reforme“, herrscht in allen Journalen heute großer Jubel über die gestrige Parlamentsrede Thiers gegen die Hypothekenbillets. Man entsinnt sich, daß die provisorische Regierung zuerst den alten Plan wieder auffaßte, den Erdboden beweglich zu machen d. h. ihn in Kassenscheine zu verwandeln. Pfandbriefe, Hypothekenscheine oder sogenannte Gültbriefe seien ein zu beschwerliches Papier um es bequem in die Seitentasche zu stecken oder in Gasthöfen damit zu bezahlen. Darum beuteten die Herren Turk und Proudhomme die Idee der wailand provisorischen Regierung aus und schlugen der Nationalversammlung die Schöpfung von „Hypothekenbons“ à 50, 100, 200, 500 und 1000 Fr. vor, die Zwangskurs hätten. Faucher, der große Freihandelsmann, wies die Schöpfung eines solchen agrarischen Papiergeldes mit Entsetzen zurück und sagte, Geld sei genung in Frankreich, es fehle nur an Absatz. Man solle um Mosiswillen keine neue Geldsorte am allerwenigsten so verhaßtes Papiergeld (Assignats) schlagen. Thiers, der große Advokat der Bourgeoisie und des konstitutionellen Königthums, bewies haarklein, daß diese Hypothekenbons allen bisherigen Werth um fünfzig Prozent herabdrücken müßte ‒ Grund genug, um ein allgemeines Zeter gegen sie hervorzurufen. Goudchaux, der ehrliche Jude, öffnete wie Shylock alle Schätze der Republik vor den Augen der Versammlung und sagte, daß er mit Hülfe seiner Verträge und Anleihen der gegenwärtigen Krisis noch 17 Monate lang die Spitze bieten könne. Wenn man aber die Hypothekenbons annehme, d. h. den Markt mit zwei Milliarden trügerischen Papiergeldes überschwemme, dann stehe er nicht mehr für die Zukunft ein; die Staatsgläubiger würden ihre Verträge zerreissen und die Rente, die ohnedies schon um 12 1/2 $%$ ttefer stehe als man den armen Dienstboten für ihre Sparpfennige geboten (man verwandelte ihre Büchel bekanntlich in 5 $%$ Rente zum Kurse von 80, der gestern aber nur 67 1/2 und 68 1/2 stand) werde vollends ruinirt, der Nationalbankrot stehe vor der Thüre etc. etc. Diese Erklärung wirkte und nur mit Mühe gelang es dem Berichterstatter Flaudin bis gegen 7 Uhr Abends durchzusetzen:, daß heute der Gegenstand weiter besprochen wurde.
‒ Die hiesige deutsche demokratische Gesellschaft hat dem Journal des Debats eine Erklärung zugeschickt (welche die Reforme heute abdruckt) worin sie im Namen ihrer deutschen Brüder gegen die ewige Neckerei, als wolle das einige demokratisch konstituirte Deutschland Elsaß und Lothringen zurücknehmen, statt sich in Ledru-Rollinscher Manier mit Frankreich zu verbrüdern, energisch protestirt. Hr. Bertin glaubt zwar im Grunde selbst nicht an irgend eine Gefahr, aber er benutzt diesen Text, um seinen Erzfeind, den Februardanton Ledru-Rollin zu bekämpfen.
Nationalversammlung. Sitzung vom 11. Oktbr. So eben, Mittags, fand in der Vorhalle eine schmahliche Scene statt. Hr. R. R., Consul in Neapel und nach Amerika bestimmt, ist kürzlich in Paris eingetroffen, um den Minister zur Rede zu stellen, warum er ihn ohne allen Grund versetze und auf diese Weise ruinire? Bastide scheint jedoch den Unzufriedenen kurz abgewiesen zu haben, denn derselbe faßte einen solchen Groll gegen ihn, daß er ihm heute auflauerte und Rache nahm. Als nämlich Bastide sich in Begleitung seines Kabinets-Chefs Hetzel dem Sitzungssaale näherte und durch die Vorhalle schritt, näherte sich ihm obiger Konsul und überschüttete ihn wiederholt mit Vorwürfen. Da ihm der Minister jedoch wenig Rede stand oder ihm sogar ziemlich derb erwiderte, so artete der Konsul in arge Flüche aus und spie dem Minister in das Gesicht. Man kann sich den Eindruck dieser Scene denken. Die Thür- und Saalwächter ergriffen den Wüthenden und führten ihn in sicheren Gewahrsam ab.
Bixio, Vice-Präsident, eröffnet um 12 1/2 Uhr die Sitzung bei leeren Bänken.
Prudhomme protestirt gegen einige Ausdrücke im Protokoll. Thiers habe gestern seine Hypothekenbank ein diebisches und abscheuliches Mittel genannt, während doch dasselbe gerade die heiligste Grundlage, das Grundeigenthum, zur Garantie biete.
Die Bänke füllen sich allmälig und die Versammlung prüft mehrere Kreditverlangen, unter denen 500,000 Frcs. für Hospitäler deßhalb heftigen Widerspruch hervorrufen, weil man nicht wisse, wohin das Geld komme. Die Geistlichkeit und Spitalverwaltungen vertheilten das Geld willkürlich.
Da indessen Senard, Minister des Innern, noch nicht anwesend, so geht die Versammlung zur Tagesordnung, zu den gestern Abend so heftig angegriffenen Hypothekenbillets über.
Flandin, Berichterstatter des Acker-Ausschusses, gesteht, daß ihn der glänzende Vortrag des Hrn. Thiers einen Augenblick selbst irre gemacht, aber bei ruhigerer Nachprüfung habe er sich von den glänzenden Irrthümern überzeugt, mit denen nicht nur Hr. Thiers, sondern sogar der Finanzminister Goudchaux das Land berücke. Thiers bestritt daß auf dem gesammten französischen Grundeigenthum mehr als 4 Milliarden Franken Hypothekenschulden haften. Wohlan, ich beweise ihm mit denselben Amtstabellen in der Hand, daß mindestens 12 Milliarden darauf haften, von denen 2 Milliarden in diesem Augenblick eingeklagt sind und viele Eigenthümer an den Bettelstab bringen, wenn man ihnen keine schleunige Hülfe gewährt. Der Finanzminister bekämpft den Vorschlag, weil er ihm den Kredit zerstöre. 2 Milliarden Papierzettel mehr auf dem Geldmarkte müßten den Kredit, den er bei der Bank habe, zerreißen! Trauriges Argument! Hrn. Goudchaux's große Mittel sind: das Anleihen und die Steuer. Eh bién! c'est un trist expédient ruft der Redner. Die Einführung neuer Steuern ist ein sehr trauriges Mittel zur Staatshülfe. Die Furcht vor Ueberschwemmung an den Kassen sei ebenso ungegründet, weil die Ausgabe der neuen Kassenanweisungen nur nach und nach geschehe. Man habe ferner auf die vernichtenden Folgen der Finanzpläne Law's für Frankreich aufmerksam gemacht; man habe die Schrecknisse des Börsenspiels heraufbeschworen und wer ist dieser Zauberer? Hr. Thiers, der größte Börsenspieler u. s. w. (Dieser Theil der Flandin'schen Gegenrede erntete stürmischen Beifall zur Linken, aber ungeheuren Lärm zur Rechten). Der Rest der Rede dreht sich um Kritiken der von Goudchaux angeregten Zahlen und kritischen Finanzmaßregeln. Der Vortrag dauerte über zwei Stunden.
Goudchaux, Finanzminister folgt ihm auf die Bühne. Ich habe ‒ beginnt er in dem bekannten großväterlichen Tone ‒ gestern vergessen, Ihnen eine Zahl mitzutheilen. Ich will es jetzt thun. Es sollen also wie bekannt für 2 Milliarden Franken Hypothekenbons geschaffen werden. Diese 2 Milliarden würden unter höchstens 50,000 Grundeigenthümer vertheilt werden. Mit anderen Worten: 50,000 Grundherren würden den Kredit
von 30 Millionen Franzosen ausbeuten. Außerdem habe die Pariser Handelskammer die Verwerfung der Maßregel entschieden verlangt (Ah, ah!)
Sobald Geudchaux geendet, schritt die Versammlung zur Abstimmung über die Frage: ob sie überhaupt in die Diskussion der einzelnen Artikel der gefürchteten Bon's eintrete?
Diese Frage wird mit 578 gegen 210 Stimmen verneint.
Die Hypothekenbon's sind somit begraben.
Die Versammlung schafft demnächst das Gesetz von 1832 (durch Aufstehen und Sitzenbleiben) ab, das die Familie Bonaparte verbannte und noch nicht definitiv abgeschafft war.
Senard, Minister des Innern, beantragt die Genehmigung eines Anleihens von 6 Millionen Franken, womit die Stadt Paris ihre Hausarmen während der nächsten Monate zu unterstützen gedenkt.
Durrieu s Antrag auf Aufhebung der suspendirten Journale kommt jetzt zur Sprache. Er besteigt die Bühne und bedauert, daß Cavaignac nicht anwesend sei, er möchte ihn sonst interpelliren. Nichtsdestoweniger tritt er in einen langen Jammer über die Cavaignac'sche Preßtyrannei und leert während eines entsetzlich seichten Vortrages mehrere Gläser Wasser.
Marie, Justizminister, erwidert ziemlich ärgerlich, daß er schon zum dritten Male erklärt habe, dieß bringe der Belagerungsstand so mit sich. Die Versammlung solle gar nicht auf die Interpellation eingehen.
Freslon ergänzt, daß Durrieu sehr Unrecht thue, die Partei der reaktionären Blätter wie z. B. des Independant de l'Ouest zu ergreifen.
Sarrand schreit sich wie gewöhnlich zum Besten der unterdrückten Volkspresse ebenfalls vergebens heiser. Er richtet nichts aus.
Victor Hugo desgleichen. Auffallend, daß er immer nur für die reaktionäre Presse spricht. Proudhon, der doch das meiste Recht zum Protest hat sitzt still auf seinem Platze. Vergebens beschwört der Dichter die Schatten Casimir Perrier's und Benjamin Constant's aus den Gräbern.
Die Versammlung pocht und schreit: Schluß! Schluß!
Flocon schlägt eine motivirte Tagesordnung vor.
Senard bekämpft sie.
Zwanzig Glieder dringen auf Skrutin über das Fallenlassen der Frage. Schluß 7 Uhr