Sozialer Fortschritt
Hefte und Flugschriften für Volkswirtschaft und Sozialpolitik .
Eingeleitet von Professor Dr. W. Sombart , Breslau ,
und unter Mitwirkung erster Sachkenner für Gebildete aller Kreise geschrieben .
No. 15/16 .
Das politische Wahlrecht
der Frauen in Australien .
Von
William Pember Reeves .
Deutsch von Romulus Grazer .
Mit Vorwort von Leopold Katscher .
1. Tausend . Jedes Heft : 15 Pfg . Die Reihe von 10 Heften :
Doppelheft : 30 Pfg. Mk. 1.20 .
LEIPZIG
FE LIX DIETRICH
1904 .
Sozialer Fortschritt
Hefte und Flugschriften für Volkswirtschaft und Sozialpolitik .
Eingeleitet von Professor Dr. W. Sombart , Breslau ,
und unter Mitwirkung erster Sachkenner für Gebildete aller Kreise geschrieben .
No. 15/16 .
Das politische Wahlrecht der Frauen
in Australien .
Von
William Pember Reeves .
Deutsch von Romulus Grazer .
Mit Vorwort von Leopold Katscher .
LEIPZIG
FELIX DIETRICH
1904 .
Vorwort .
Nach jahrzehntelangen Kämpfen der englischen Frauenrechtlerinnen
und Frauenrechtler hat das britische Unterhaus am 17. März 1904 dem
weiblichen Geschlecht das politische Stimmrecht – das aktive und passive
Wahlrecht – gewährt . Ob das Oberhaus zustimmen wird , kann man nicht
bestimmt wissen ; doch ist es wahrscheinlich . Es darf nicht wundernehmen ,
dass das Mutterland nicht zurückbleiben will hinter dem Tochter-Staatenbund
Australien . Das kulturgeschichtlich hochwichtige Ereignis vom 17. März
ds. J. hat mich veranlasst , die Herausgabe der vorliegenden Abhandlung
anzuregen , die von zeitgemässestem Interesse ist und deren Verfasser sich
als früherer neuseeländischer Staatsminister grosse Verdienste um das Zu-
standekommen der Reform erworben hat .
Inzwischen hat die australische Frauenwelt bereits Gelegenheit ge-
habt , ihr Bundeswahlrecht praktisch auszuüben , denn im Dezember 1903
haben die Wahlen fürs Bundesparlament stattgefunden . Von den 850000
weiblichen Wahlberechtigten beteiligten sich die allermeisten an der Ab-
stimmung , welche allenthalben ohne aufregende Zwischenfälle vor sich ging .
Das von den Führerinnen der Frauenbewegung den Kandidaten ans Herz
gelegte Programm lautete : 1. Gleichheit der Geschlechter vor dem Gesetz
und in der Verwaltung ; alle Staatsämter sollen beiden Geschlechtern unter
gleichen Bedingungen offenstehen . 2. Hygienische Vorschriften ; Verbot von
Opium-Einfuhr u. s. w. 3. Förderung des industriellen Friedens ; staatliche
Schiedsgerichte . 4. Förderung des internationalen Friedens ; Reorganisation
von Heer und Flotte . Der erste Punkt ist nur die logische Konsequenz des
Wahlrechtes für beide Geschlechter , und es steht zu erwarten , dass er früher
oder später gesetzliche Form annehmen wird . Australien wird ohne Zweifel
das Land sein , das hierin allen anderen Staaten der Welt vorangehen wird .
Berlin , 3. April 1904 .
Leopold Katscher .
I .
Manche Gesellschaftsklassen sind zur politischen Macht geboren , andere
erwerben sie und wieder anderen wird sie aufgedrängt . Das letztere war
das Los der meisten , wenn nicht aller Frauen in den australischen Bundes-
staaten und im Staatenbunde Australien , wo die Frauen teils seit 1894 , teils
seit Mai 1902 bei der Wahl von Parlamentsmitgliedern ihre Stimmen
abgeben können . In Süd-Australien wurde der Kampf um dieses Vorrecht
von Männern begonnen , geleitet und fast ganz durchgeführt . Die Rolle ,
welche hierbei Miss Spence , Mrs. Nicols und ihre Anhängerinnen spielten , war
wohl nützlich , aber doch sehr untergeordnet . In West-Australien war dieser
Kampf gleichfalls Sache der Männer und die Verleihung des Wahlrechts
bildete ein blosses Auskunftsmittel , einen Schachzug im Spiele der Wahl-
umtriebe , welcher den Zweck verfolgte , das Gleichgewicht der Macht
zwischen zwei Abteilungen des Staates zu beeinflussen . Das Zugeständnis
des Stimmrechtes durch das Bundesparlament im Jahre 1902 war hauptsäch-
lich durch den Mangel jeder Art von Unruhe , eifriger Verfechtung oder
scharfer Zurückweisung bemerkenswert . In Neuseeland , wo den Frauen das
Wahlrecht zuerst eingeräumt wurde , war die Frage anfänglich zwar von
Politikern aufgeworfen und besprochen worden , die die Änderung aufrichtig ,
wegen des ihr eigenen Wertes betrieben ; als jedoch der Kampf zum Ent-
scheidungspunkte gelangte , verhüllten allgemeine Argumente kaum die
durch die Querfrage des Trinkverbotes hervorgerufene Aufregung . Gegen-
über der Trinkverbotfrage verschwand vorläufig die Frage des Anrechtes der
Frauen auf die Bürgerrechte fast ganz und eine bis dahin beiderseits unbe-
kannte Erregung charakterisierte den Streit . Das Auftauchen der Prohibi-
tionisten auf dem Schauplatze gestaltete die Frage im Jahre 1892 zum ersten
Male zum Mittelpunkte der Leidenschaften und Erregungen . Ob ihr heisses
Eintreten der Sache des Frauenstimmrechtes bei den Männern mehr nützte
als schadete , ist noch ein streitiger Punkt ; es kann aber kühn behauptet
werden , dass das Verlangen nach dem Wahlrecht , soweit es sich in den
Reihen der weiblichen Bevölkerung äusserte , hauptsächlich von den Müttern
erweckt wurde . Ausserhalb ihrer Logen und ihres Christlichen Frauen-
Mässigkeitsbundes bekundete die Haltung der Frauen nur passives Interesse .
Sie wurden durch den Antrag weder abgestoßen noch beunruhigt ; sie fanden
ihn eher angenehm als das Gegenteil – aber auch kaum mehr als das . Man
hat dies als Beweis dafür angeführt , dass die Änderung vorzeitig gekommen
und die Agitation dafür eine öde gewesen wäre . Ich glaube dies nicht . Ich
bin vielmehr der Ansicht , dass die Agitation in der Hauptsache sowohl in
Australien , als auch in Neuseeland eine echte , ehrliche war und ist . Jede
öffentliche Strömung hat eine bestimmte Anzahl zweifelhafter Persönlich-
keiten , Heuchler und Manteldreher in ihrem Gefolge . Es wäre jedoch
unbillig , eine Gesellschaft nach einigen Schmarotzern zu beurteilen , wie es
Pierre Leroy-Beaulieu tut , indem er sich über die Frauenbewegung in den
folgenden Worten äussert : „ Im Grunde genommen ist diese ganze feministische
Bewegung blos ein grosser Humbug , ersonnen von Politikern , die auf der
Suche nach immer neueren Aufregungen sind , von Deklassierten und von
Hirnverbrannten “ . Das ist eine offenkundige Ungerechtigkeit . Anderseits
sind aber auch allzu oft rosige Gemälde von ethischen Umwälzungen und
einem bevorstehenden moralischen Millennium entworfen worden . Wir wollen
der Wahrheit offen ins Gesicht sehen und alle etwa noch in der Luft
hängenden Visionen von einem geistigen Aufruhr in Sklavenbanden gehal-
tener Frauen gegen die althergebrachte und betrügerische Herrschaft tyran-
nischer Männer zerstreuen . Es gilt ferner darzulegen , dass die hauptsäch-
lichsten Motive dieser Bewegung sich erst nachträglich einstellten . Es können
sehr gute Beweggründe gewesen sein – einige waren es auch tatsächlich –
aber es waren nicht jene , von denen sich John Stuart Mill leiten liess .
Bei den Pionieren der Bewegung jedoch stand die Sache anders . In
Neuseeland waren die vier Staatsmänner , die die Frage mehr denn alle
übrigen in den Vordergrund gestellt und das Interesse wach gehalten hatten ,
Sir John Hall , Sir Julius Vogel , Sir Robert Stout und John Ballance . Von
ihnen gehörte blos der dritte der Temperenzlerpartei an und ich muss
bezweifeln , ob selbst in seinem Falle diese Zugehörigkeit irgendwelchen Ein-
fluss ausübte . Hall war ein Konservativer – oder was in den australischen
Kolonien dafür gilt . Stout und Ballance waren Radikale mit extremen
Anschauungen hinsichtlich der Landfrage . Vogel war ein Tory-Demokrat ,
der heute , wäre er noch am Leben und in der Lage , sich am politischen
Leben zu beteiligen , wohl ein tätiger und zweifellos auch hervorragender
Imperialist sein würde . Sie alle wünschten aufrichtig , die Frauen zu eman-
zipieren – in dem ehrlichen Glauben , dass das weibliche Element den Staat
ebenso sehr kräftigen wie reinigen werde .
Die Fortschrittspartei , welche Neuseeland seit 13 Jahren mit , manche
Beobachter erfreuenden , andere empörenden Erfolgen beherrscht , entstand um
das Jahr 1877 . Von Sir George Grey geführt , war sie anfangs mehr eine
Partei der Versuche als eine Partei der Leistungen . Sie hegte aber eigene
Anschauungen und hatte den Mut ihrer Meinungen . Eine derselben bestand ‚
darin , dass mit der Gewährung des parlamentarischen Stimmrechtes an die
Frauen ein Anfang gemacht werden müsse . Im Jahre 1878 brachte das
Kabinet Grey , welches damals am Ruder war , eine Wahlbill behufs Verein-
fachung und Ausdehnung des Wahlrechtes ein . Eine der vorgeschlagenen
Änderungen bestand darin , dass alle steuerzahlenden Frauen die Berechtigung
erhielten , über die Parlamentskandidaten abzustimmen . Die Steuerträgerinnen
hatten bei den Munzipalwahlen ohnehin schon das Stimmrecht – ein
Umstand , auf den der Kronanwalt Stout bei Beantragung der zweiten
Lesung der Wahlbill mit Recht grosses Gewicht legte . Stout war ein
befähigter junger Rechtsanwalt , früher Schulmeister und aus Shetland ein-
gewandert . Er stand damals auf der ersten Stufe einer politischen Laufbahn ,
die , wenn auch mehr als einmal unterbrochen und zu früh aufgegeben , stets
eine interessante und oft eine fesselnde werden sollte . Er war dazu berufen ,
dem Wahlrechte der Frauen zur Gesetzeskraft zu verhelfen – freilich noch
nicht damals . Das Parlament wollte im Jahre 1878 noch nicht einmal den
mildesten Schein desselben gewähren . Und tatsächlich war auch die
Regierung nicht vor 1887 bereit , in einer Bill den Grundsatz der allgemeinen
Ausdehnung des Wahlrechtes auf die Frauen zu verkörpern und dieselbe zu
beantragen . Aber selbst damals war das Kabinet ein Koalitionsministerium ,
dessen Tage bereits gezählt waren und dessen Hinscheiden die Kolonie ruhig
mit ansehen wollte . Stout war Ministerpräsident . Sterbenskrank wie das
Ministerium Stout-Vogel war , beunruhigt , wie seine Tage stets gewesen , wies
es doch drei Männer mit Gedanken auf . Einer dieser Männer , Vogel , war
damals nahe dem Ende seiner Laufbahn in der Kolonie . Das Netz war
schon um ihn gezogen . Früher als Finanzmann halb vergöttert , jetzt mit
seiner Finanzpolitik in Misskredit geraten , war er von Schicksalsschlägen
gequält , welche den Geist manches stärkeren Mannes gebrochen hätten . Mit
seinem letzten politischen Einsatze auf dem Tische und angesichts des gegen
ihn beginnenden Spieles wandte er sich ruhig ab , um die Bill über das
Frauenwahlrecht zu beantragen . Er hielt eine sehr gute Rede . Seine
Sprache war konventionell , aber es war Beweisführung und Logik , ja sogar
Einbildungskraft vorhanden . Im Lichte der seitherigen Erfahrung dünkt es
uns gerade jetzt fast ein wenig pathetisch , seine beredten Prophezeihungen
über den Wert der Mitwirkung der Frauen an den öffentlichen Angelegen-
heiten und über den veredelnden Einfluss zu lesen , welchen sie in Bälde auf
das nationale Leben ausüben würden .
Wenige Reden erreichten in dieser Debatte eine besondere Höhe , ob-
gleich Stout seinen Kollegen mit Vernunftschlüssen unterstützte und eine
scharfsinnige Weissagung wagte :
„ Ich glaube , dass die Annahme dieser Bill nur mit einer einzigen
Gefahr verbunden wäre . … … Diese Gefahr besteht darin , dass die
Frauen , wenn wir einmal weibliche Abstimmer und Volksvertreter haben
werden , bestrebt sein dürften , die Funktionen des Staates zu erweitern .
Dies ist , glaube ich , das einzige richtige und zugleich das kräftigste
Argument gegen das Frauen-Wahlrecht “ .
Ohne zuzugeben , dass das angeführte Argument auch wirklich das
kräftigste ist oder dass es überhaupt ein Argument ist , können wir doch zu-
gestehen , dass der Redner damit eine wichtige Tendenz berührt hat . Im
übrigen ward eine Fülle von Gefühlsduseleien vom Stapel gelassen und die
Reden zweiten Ranges gegen den Antrag waren womöglich noch ärger als
die für denselben . Von den Oppositionsrednern schätzte blos Mr . Scobie
Mackenzie in einer gedankenreichen Rede das Hauptresultat der Reform
richtig , indem er erklärte , dass deren hauptsächlicher Erfolg darin bestehen
werde , einer bestimmten Anzahl von Männern im Bundesstaate mehrfache
Stimmen zu sichern . Voraussagungen sind jedoch immer gefährlich und
Mr. Mackenzie war daher auch minder glücklich mit der Anspielung , dass
priesterliehe Beeinflussungen zum Schaden des nationalen Erziehungssystems
auf das Gefühlsleben der Frauen einwirken würden . Auch viele andere
Redner teilten diese bislang grundlose Befürchtung . Die Perle der ganzen
Debatte bildete vielleicht die Rede des Maori-Abgeordneten Mr. Wi-Peré .
Sie war ebenso kurz als köstlich :
„ Meine Ansicht über diese Massregel ist , dass sie , wenn sie
Gesetzeskraft erhält , in diesem Hause eine Quelle von Störungen bilden
wird . Ich denke , wir brauchen blos auf die Beschwerden zurückzublicken ,
welchen Adam dadurch unterworfen ward , dass sein Weib ihm einen
Apfel reichte . Wir sollten an das Böse denken , das Samson zustiess ,
nachdem ihm Delila die Locken abgeschnitten hatte . Wir sollten auch
der Geschichte von Naboth’s Weingarten eingedenk sein – wie eine Frau
einen Mann zur Ermordung eines anderen Mannes aufstachelte , um in den
Besitz seines Weingartens zu gelangen . Ich fürchte , dass , wenn den
Damen in diesem Hause Sitze eingeräumt werden , dies die Aufmerksam-
keit so manches ehrenhaften Mitgliedes ablenken und die Herren den
Staatsangelegenheiten nicht so viel Aufmerksamkeit widmen werden , als
sie sonst getan hätten . Obgleich an Jahren vorgeschritten , muss ich
doch eingestehen , dass ich von einer derartigen Schwäche befallen werden
könnte . Wenn der ehrenwerte Gentleman zur Einschränkung dieser Bill
den Vorbehalt einführen wollte , dass blos hässlichen Frauen der Zutritt
zum Parlamente gestattet würde , dann könnte nach meiner Ansicht die
Quelle der Gefahr verstopft werden ; wenn aber auch hübsche Damen in
dieses Haus geschickt würden , dann würden sie zweifellos die gefühlvollen
Herzen manches ehrenhaften Gentlemans , besonders aber der älteren Mit-
glieder des Hauses , irre führen . Ich bemerke schliesslich , dass , wenn es
reizenden Damen gestattet wird , in das Parlament zu kommen , meine
eigene Gattin mir nie mehr erlauben würde , hierher zurückzukehren “ .
Die zweite Lesung der Bill wurde durchgesetzt , und wenngleich sie
auf dem Wege durch einen Ausschuss sofort in Stücke ging , so war doch
ein bedeutender Schritt nach vorwärts gemacht worden . Das Stout-Vogel-
Ministerium ging bald nachher den Weg aller Koalitionen und für die
nächsten 3 ½ Jahre hatte in Neuseeland der Konservatismus das Heft in
Händen ; doch das Verlangen nach dem Wahlrechte wurde wach gehalten –
hauptsächlich durch die Bestrebungen Sir John Hall’s . Und als sich 1891
die Progressisten nicht blos am Ruder , sondern auch im tatsächlichen Besitze
der Macht befanden , benützte Hall , trotzdem er sich in der Opposition befand ,
sofort die Gelegenheit , seine Lieblingsreform zu fördern . Ministerpräsident
Ballance kam ihm auf halbem Wege entgegen und noch ehe der Bundesstaat
zum Bewusstsein der Lage erwacht war , wurde die damals vor dem Unter-
hause befindliche Wahlbill dahin ergänzt , dass allen erwachsenen Frauen das
Stimmrecht eingeräumt werden sollte . Die Plötzlichkeit dieses Schrittes war
umso überraschender , als bei den allgemeinen Wahlen im Dezember 1890 für
diese Frage nur ein geringes oder gar kein Interesse an den Tag gelegt
worden war . Die Arbeiterfrage , ihre Ansprüche und ihre Kämpfe hatten
alles andere als kleinlich in den Hintergrund gedrängt – ausgenommen viel-
leicht die ewige , damals mit der Forderung einer Grundsteuer komplizierte
Landfrage . Viele der Parlamentsmitglieder , die für das Frauenwahlrecht
stimmten , waren 1891 keine Verpflichtung in dieser Richtung eingegangen , wozu
sie auch gar nicht aufgefordert wurden , und hatten davon in ihren Kandidations-
reden kaum eine Erwähnung gemacht . Aber das neue Arbeiterelement war
ausgesprochen zugunsten der Reform und unterstützte dieselbe ohne Rücksicht
auf derartige Verpflichtungen rein aus persönlicher Überzeugung . Auf diese
Weise drang die Reform im Unterhause mit Leichtigkeit durch . Im Ober-
hause jedoch besassen die Konservativen die Übermacht und diese bewill-
kommneten weder die Wahlbill als solche , noch den unerwarteten Zusatz zu
derselben . Aber selbst hier betrug bei der Abstimmung die Majorität
gegen die Frauen blos zwei Stimmen . Hiernach war der Sieg augenschein-
lich nur mehr eine Frage kurzer Zeit . Im grösseren Teile des Staates hatte
ein kräftiges Wiederaufleben der Temperenzlerbestrebungen Wurzel gefasst ,
welche ihren Höhepunkt im Jahre 1893 erreicht haben dürften . Die Führer
der Temperenzler glaubten in der Gewährung des Wahlrechtes an die Frauen
eine günstige Hilfe zu finden . Sie führten deshalb die gesamte Kraft ihrer
Organisation dafür ins Treffen und kamen insbesondere durch die Ausnützung
des Christlichen Mässigkeitsbundes der Frauen in die Lage , umfangreiche
Petitionen zugunsten der Reform zu unterbreiten . Die 1892 auf ungefähr
32000 geschätzten Unterschriften derselben waren alle echt und durchweg
von Frauen . Anderseits begannen die Tätigkeit , die Zuversicht und die
Drohungen der Prohibitionisten die Bierbrauer und Spirituosenhändler zu
beunruhigen , die bis dahin den Streit über das Wahlrecht als ausserhalb der
praktischen Politik liegend betrachtet hatten . Sie begannen sich daher zu
rühren und Gegenpetitionen verschiedenen Umfanges vorzubereiten . Zu spät !
Die Radikalen , die für das Wahlrecht gestimmt hatten , harrten – trotzdem
sie keinesfalls durchweg Prohibitionisten waren und trotzdem insbesondere
die Minister es nicht waren – bei der Sache aus und selbst Viele von
jenen , denen die Prohibitionisten offen gedroht hatten , sie mit Hilfe der
Frauen zu stürzen , wankten nicht . Das Oberhaus war bis zum letzten
Augenblicke unsicher . Im Jahre 1892 war es bereit , das Stimmenrecht unter
der Bedingung zu bewilligen , dass die Frauen schriftlich abstimmen sollten .
Die Progressisten sahen hierin einen Anschlag zur Umgehung der geheimen
Abstimmung und weigerten sich , die Bill mit irgendwelchen derartigen
Zusätzen anzunehmen . Im Jahre 1893 war der Senat in kriegerischerer
Stimmung als das Jahr vorher , die allgemeinen Wahlen standen nahe bevor
und die Hoffnungen der Opposition lebten wieder auf . Die Erwartungen ,
dass das Oberhaus , die Wahlbill in ein allgemeines Massacre einbeziehen oder
dass es sie in dem Glauben passieren lassen werde , dass sie den Progressisten
mehr Schaden als Nutzen bringen müsste , waren ungefähr gleichmässig ver-
teilt . Den Ausschlag gab der von vielen Gegnern der Regierung gehegte
Glaube , dass die Frauen die Sache der damals gerade mit dem progressistischen
Ministerpräsidenten Stout und deshalb auch mit seinen Kollegen auf gespann-
tem Fusse stehenden Prohibitionisten zu der ihrigen machen würden .
Die Progressisten – „ Liberale “ , wie sie sich mit Vorliebe nannten –
befanden sich nicht in beneidenswerter Lage . Der Tod hatte soeben ihren
ersten , höchst erfolgreichen Führer Ballance inmitten seines Schaffens hinweg-
gerafft . Sein Nachfolger Seddon war auf seinem Sitze noch nicht recht warm
geworden und der lange Kampf zwischen ihm und Sir Robert Stout , welcher
die Partei in solche Bedrängnis führen sollte , hatte gerade begonnen . Bis
auf wenige unterschätzten alle seine Gegner den neuen Ministerpräsidenten .
Die Führer der Parlamentsopposition kannten ihn als kühnen und geschickten
Guerillachef , der über eine rastlose Arbeitskraft verfügte und die parla-
mentarischen Formen und Gebräuche in hohem Grade beherrschte . Aber
ausserhalb des Parlamentes beging die Partei beharrlich den Missgriff , ihn
hauptsächlich nach seinen Reden zu beurteilen und die lockeren Karikaturen
geistreicher Zeitungsschreiber als Wahrheit hinzunehmen . Sie erkannten
selbst damals noch nicht , dass sie es mit einem scharfsichtigen Politiker voll
kühlen Mutes , Ausdauer und Entschlossenheit zu tun hatten , der eine unge-
wöhnliche Gewissenhaftigkeit und eine grosse Begabung besitzt , die Wahr-
scheinlichkeiten unter den schwierigsten Verhältnissen zu erwägen . Es war
klar , dass die Getränkefrage für die Liberalen eine unerquickliche sei und
dass die Zulassung der Frauen ihre Verlegenheiten nur vermehren musste .
Aber auch diese Anschauung gab im Oberhause nur gerade den Ausschlag .
Die Bill drang mit einer Majorität von nur zwei Stimmen durch und wäre
beinahe infolge eines Missverständnisses nur mit einer Stimme passiert . Es
war ein knapper Spielraum , aber er genügte , und die Knappheit des
Beschlusses verringerte nicht die Freude der Sieger , wohl aber verbitterte
sie die Betrachtungen der Besiegten .
II.
So erwachten denn eines schönen Septembermorgens die Frauen Neu-
seelands mit dem Bewusstsein , das Wahlrecht erlangt zu haben . Es war
ihnen freiwillig , ohne Zwang , auf die leichteste und unerwartetste Art der
Welt von männlichen Politikern gegeben worden , deren Führer zum grösseren
Teile durch das Lesen englischer Argumente – wie sie auf der anderen Erd-
hälfte Mill und seine Anhänger ebenso höflich wie vergebens ins Treffen ge-
führt hatten – zu dem Glauben an den Versuch bekehrt worden waren .
Die Zeit , während welcher die Frauen Neuseelands zu kämpfen oder zu
agitieren gehabt , war eine kurze gewesen . Keine Wahlrechtsliga hatte
den Kampf Jahr für Jahr ausgefochten ; keine gutbesuchten Versammlungen
hatten den Ansprachen beredter und gebildeter , mit Urteilskraft und Macht
des Ausdruckes begabter Frauen gelauscht , deren persönliche Eigenschaften
noch wirksamer als Worte gegen die politische Unterwerfung ihres Geschlechtes
protestiert hätten . Von keiner Neuseeländer Rednerin oder Leiterin der
Frauenbewegung konnte selbst bei höflichster Übertreibung behauptet werden ,
dass sie in den ersten Reihen gekämpft und einen leitenden Anteil daran
gehabt habe , die öffentliche Meinung zu bekehren . Ausserhalb der
Mässigkeitsvereine bildeten die weiblichen Redner in der Kolonie eine
sehr seltene Erscheinung , und als 1893 einige Rednerinnen sich unter
dem Drucke der Parteiführer ein Herz fassten , die Tribüne zu betreten
und kurze , leise Ansprachen zu halten , begrüsste die Zuhörerschaft sie
mit freundlicher Neugierde und gewährte ihnen dieselbe kritische Nach-
sicht , wie man sie artigen Kindern gewährt , die bei Schulfesten in
ihrer hastigen Weise Gedichte vortragen . Bis zu diesem ereignisreichen
Jahre hätten sie bedeutend weniger mit Politik zu tun gehabt als so manche
ihrer englischen Schwestern . Die Frauen waren und sind auch jetzt noch in
Neuseeland in der Minderheit . Infolgedessen waren auch ihre Dienste als
Haushälterinnen und Mütter in vollster Ausdehnung gesucht . Häusliche
Dienstboten waren kostspielig und zeitweilig selten und die Frauen , selbst
jene der wohlhabenderen Klassen , führten eine einfachere , arbeitsamere und
häuslichere Lebensweise als so manche Engländerin auf gleicher gesellschaft-
licher Stufe , die Zeit und Lust findet , sich mit Parteipolitik und Agitations-
Wahlreden zu befassen . Keine „ Primeln-Liga “ hatte sie in die Künste der
Stimmenwerbung eingeführt ; sie hatten sich nicht an den Wahlen beteiligt ,
waren keine Politiker und hatten im Allgemeinen auch nicht den geringsten
Wunsch bekundet , das Stimmrecht zu erhalten . Einige wenige Frauen waren
Mitglieder von Schulräten gewesen ; einige hunderte waren als Steuerzahler
jedes dritte Jahr zur Wahlurne geführt worden , wo sie ihre Stimmen abgaben ,
ohne besondere Aufmerksamkeit zu erregen . Im übrigen wussten die Frauen
nichts vom öffentlichen Leben und das öffentliche Leben nichts von den
Frauen . Sie waren für die Ausübung ihres neuen Rechtes so unvorbereitet ,
als es welche Bevölkerungsklasse immer sein konnte , die eben erst das Wahl-
recht erhalten hat . Die neue Ordnung erweckte all das Interesse , welches
einer plötzlich gekommenen Änderung entgegengebracht zu werden pflegt ,
über deren wahrscheinliche Wirkungen selbst der scharfsinnigste Geist sich
nur zögernd äussern würde . Das will jedoch nicht sagen , dass das
Zögern ein ausgesprochenes Merkmal der Leitartikel dieser Periode gewesen
wäre . Die Politiker beeilten sich , dem neuen Herrscher ihre Aufwartung zu
machen . Geistliche weissagten von der Kanzel eine neue Ara Ära der Wahrheit
und Rechtschaffenheit . Zeitungsherausgeber prägten ihren Lesern ein , dass
eine mächtige soziale Umwälzung bevorstehe . „ Wenn es gelingt “ – schrieb
M. H. Fitchett in der „ Australischen Review of Reviews “ ( Melbourne ) –
„dann wird es einfach einen vollständigen Umschwung in der modernen
Politik des ganzen Erdballs nach sich ziehen “ . Und das war die Sprache
der Vorsicht und der Beschränkung gegenüber den frohlockenden Lobgesängen ,
welche anderwärts angestimmt wurden . Keine hemmenden „ Wenn “ beschwerten
die meisten der triumphierenden Zukunftsbilder . Welche Gestaltung schickte
sich unterdessen die Revolution anzunehmen an ? Die ältesten parlamen-
tarischen Haudegen gestanden im Geheimen ihre Unwissenheit zu . Die
radikale Natur der erfolgten Ausdehnung des Stimmrechts trug zur Unge-
wissheit bei . Das Wahlrecht war nicht einzelnen Klassen : den vermögenden ,
unbeschäftigten , gebildeten oder besonders enthusiastischen Frauen , eingeräumt
worden . Es war vielmehr ein allgemeines ; jede Frau im Alter von über
21 Jahren war dazu berechtigt . Neuseeland zählte 140000 erwachsene
Frauen bei einer Bevölkerung , welche 1893 nicht viel über 700000 betrug .
Die Anzahl der erwachsenen Männer wurde auf 180000 geschätzt .
Der Gouverneur Lord Glasgow genehmigte die Wahlbill am 19. Sep-
tember und die allgemeinen Wahlen sollten Ende November stattfinden . Nun
sollten aber die Wählerlisten einige Wochen früher veröffentlicht werden ;
nach Veröffentlichung der Listen konnten keine Eintragungen mehr in die-
selben erfolgen . Die Eintragungsgesetze Neuseelands waren die einfachsten
und leichtesten , da die Absicht Jener , die sie geschaffen , darin bestanden
hatte , die denkbar grösste Anzahl der in der Kolonie lebenden Personen zur
Eintragung zu veranlassen . Die Pflicht der neuseeländischen Wahlregistratoren
besteht nicht darin , anständige Bürger , die ihr Bürgerrecht ausüben wollen ,
daran zu hindern oder ihnen ein Bein zu stellen , sondern vielmehr darin ,
ihnen behülflich zu sein , das zu tun , was als ihre Pflicht betrachtet wird .
Die Regierung und ihre Beamten boten denn auch 1893 alle gesetzlich
gewährten Mittel auf , allen Frauen , die sich in die Wählerlisten eintragen
lassen wollten , die Wege zu ebnen , während beide politische Parteien in
allen Wahlbezirken flott ans Werk gingen und die Temperenzler und
die Spirituosenhändler miteinander wetteiferten , die neuen Tausende von
Wahlberechtigten in die Wählerlisten eintragen zu lassen . Nur selten stiessen
sie auf Widerstand gegen die Anwendung des neuen Vorrechtes . Die Gesuche
um Aufnahme flossen täglich ein und 109000 Frauen waren in die Listen
aufgenommen , bevor die Veröffentlichung derselben dem Andrange ein Ende
bereitete .
Binnen sechs Wochen war mithin die „ politische Frau “ ein voll-
ständiger Wähler geworden . Sie hatte ihr Wahlrecht . „ Was wird sie mit
demselben beginnen ? “ lautete die Frage der Vorsichtigeren unter den männ-
lichen Politikern . In der Öffentlichkeit waren die verschiedenartigsten Er-
wartungen gehegt und ausgedrückt worden . Die Konservativen erhofften
Vieles von dem angeborenen Konservatismus der Frauen ; die Sozialreformer
ihrerseits waren überzeugt , dass sie sich für die sozialen und humanitären
Heilmittel erklären würden ; die Temperenzvereine frohlockten , dass ihre
Sache nunmehr so gut wie gewonnen sei ; die Anglikaner und die Katholiken
erwarteten eine beträchtliche Kräftigung der dem interkonfessionellen staat-
lichen Unterrichte feindlichen Partei ; allgemein herrschte die Anschauung ,
dass sich die öffentlichen Angelegenheiten sozusagen in einem Schmelztiegel
befänden und dass aus diesem Prozesse fast alles hervorgehen könne . Nicht
als ob die Frauen des Bundesstaates irgendwelche besondere seltsame oder
auffallende Tendenzen an den Tag gelegt hätten . Neuseeland ist eine noch
sehr junge Kolonie und die 60 Jahre ihres Bestandes waren Zeiten der Ebbe
und Flut . Es ist schwer , auch nur in grob-impressionistischem Style eine
Skizze der Frauen irgend eines Landes zu entwerfen – um wie vieles
schwieriger ist diese Aufgabe bei einer Kolonie , in welcher schon der Ver-
lauf eines einzigen Jahrzehnts das Gemälde augenfällig beeinflusst !
Ausser einer deutlich ausgeprägten physischen Derbheit hatten die
Frauen keinerlei überraschende Merkmale aufzuweisen . Sie waren weder mit
grossen Geisteskräften begabt noch kindisch , weder hochgebildet noch un-
wissend , weder aristokratisch noch ausgesprochen plebejisch , weder künst-
lerisch veranlagt noch vulgär , weder von kühnem Gedankenflug noch eng
konventionell und abergläubisch . In einem Lande , in welchem Millionäre
unbekannt und die Armut eine Seltenheit waren , wo die „ Städte “ eigentlich
ländliche und lose zwischen Gärten und Anpflanzungen zerstreute Distrikte
und die Häuser in den Marktflecken von einander weit entfernt waren , wo
nicht ganz dreiviertel Millionen britischer Ansiedler im Verhältnisse von
ungefähr sechs pro englische Quadratmeile an lieblichen Gestaden zer-
streut lebten , welche zwischen erhabenen Bergen und dem freien Ozean unter
einem der gesündesten Klimate der Welt liegen – in einem solchen Lande
wäre es auch eine Seltsamkeit , wenn die Frauen etwas anderes bildeten , als
eine gesunde , glückliche , intelligente und die Häuslichkeit liebende Rasse .
In den Gesellschaftsräumen der behaglichen zweistöckigen Holzhäuser , wie
sie selbst von den wohlhabendsten Klassen bewohnt wurden , konnte man ver-
einerten Damen begegnen , die blos der Kostüme der Regentschaft bedurften ,
um den Gedanken zu erwecken , dass die Frauengestalten Jane Austens zu
neuem Leben erstanden seien . Handarbeiten , Musik , Haushaltungsarbeit ,
Blumenzucht bildeten ihre Künste ; sie kleideten sich einfach , jedoch nicht
ohne Sorgfalt und Geschmack ; gepuderte und geschminkte Frauengesichter
hätten bei ihren gesellschaftlichen Zusammenkünften denselben grotesken Ein-
druck hervorgerufen , wie livrierte Lakaien mit gepudertem Haar . Sie lasen
Bücher – vorwiegend englische Romane . Die jüngeren Damen liebten das
Radfahren und das Lawn-Tennisspiel ebenso wie ihre Schwestern in England
und sie hatten auch begonnen Golf zu spielen . Beim Radeln trugen sie Rock-
schösse . Sie tanzten viel und gut und sassen weit öfter zu Pferde als welche
Engländerin immer ausserhalb der Aristokratie und des Landadels . Die Uni-
versitätskollegien standen ihnen ebenso wie in Schottland offen und einige
Dutzend Frauen hatten denn auch akademische Grade erworben . Doch gab
es keine weiblichen Arzte oder Rechtsanwälte . Diejenigen , die in den Kampf
ums Leben eintreten mussten , erwarben ihr Brot als Schulmeisterinnen , Fa-
briks- oder Heimstättenarbeiterinnen oder als Dienstmädchen .
Im Jahre 1893 verdienten etwa 14000 weibliche Wesen ihr Brot als
Dienstboten . Das Dienstmädchen der Kolonie bildet den Gegenstand zahl-
reicher Mythen . Von ihm werden zumindest ebenso viele Geschichten erzählt ,
wie von den Schlangen Australiens oder den Winden Neuseelands . Es ist die
alte Fabel von Asops Bildhauer , der in einer Marmorgruppe einen Löwen von
einem Manne erwürgen lässt ; hätte ein Löwe eine Marmorgruppe erzeugen
können , so wäre das Resultat gewiss das umgekehrte gewesen . Die Artikel ,
welche man über den häuslichen Dienst in den Kolonien liest , sind nicht von
Köchinnen und Mägden geschrieben worden . Ihre Verfasser sind die „ gnä ’
Frau “ oder andere zur selben Klasse wie die „ Herrschaften “ gehörende Per-
sonen . Deshalb hören wir auch so vieles über die Faulheit , Unbeständigkeit ,
Ungeschicklichkeit und Widerspänstigkeit der Dienstmädchen . Achtbare Welt-
bummler versichern , dass diese Haushaltungstyrannen übermässige Löhne
fordern und erhalten , dass nichts Bescheidenes an ihnen ist als die Summe
ihrer Dienstleistungen , welche sie für genügend halten . Es wird erzählt ,
dass sie keine Häubchen tragen wollen und diese Abzeichen der Knechtschaft
verächtlich zu Boden schleudern , wenn eine vermessene , frisch aus England
eingeschiffte Dame ihnen dasselbe anbietet . Wenn sie einen Platz suchen , so
lachen sie über Anfragen nach Referenzen früherer Herrinnen und erklären
der Sitte , von den Bewerberinnen „ Zeugnisse “ ihrer früheren Herrschaften zu
verlangen , den Krieg . Der Satz Popes : „ Most women have no character at
all “ ist hinsichtlich der Dienstmädchen in Australien oft genug zitiert wor-
den . Sie sollen ihre Abende angeblich zu grossen Gelagen ausserhalb des
Hauses oder zur Gewährung von Gastfreundschaft im Hause verwenden .
Weihnachten , lokale Wettrennen , kleinere Festlichkeiten bieten den launen-
haften Dienstboten Ausreden in Fülle , zu kündigen oder ohne Geräusch und
viele Worte auszutreten . Zeigt einmal die eine oder die andere Bereitwillig-
keit , Geschick und Verwendbarkeit , so wird sie sicherlich von irgend einem
kraftstrotzenden jungen Kolonisten weggeschnappt , der auf der Suche nach
einer Gattin ist . Und trotzdem man glauben sollte , dass die Bedingungen
eines derartigen Dienstes verlockende sind , lesen wir doch fortwährend , dass
nichts die in der Kolonie geborenen Mädchen veranlassen könne , Dienste an-
zunehmen . Die Klasse der Dienstmädchen muss aus Grossbritannien rekru-
tiert werden , da sie sonst aussterben würde .
Dieses Gemälde mag vor dreissig Jahren eine nette Karikatur gewesen
sein , aber eben nur eine Karikatur ; heute ist es ein sinnloses Pasquill auf
die Dienstmädchen , wie sie 1893 gewesen sein sollten . Man könnte ebenso
gut die Skizzen Bret Hartes über die Gesellschaft in Brüllfeld und Bocks-
grund als wahrheitsgetreue Schilderungen des Bostoner Familienlebens an-
nehmen . Gewiss , in den entlegenen Winkeln Neuseelands war das Dienst-
mädchen vor zehn Jahren eine seltene und seltsame Erscheinung . Im übrigen
aber war das Angebot gleich der Nachfrage und das Durchschnitts-Dienst-
mädchen sauber , energisch und ziemlich tüchtig . Die Löhne der Dienst-
mädchen stellten sich in der Regel 60 $%$ höher als die in London gezahlten .
Doch gab es damals nur sehr wenige Familien , die mehr als drei weibliche
Dienstboten hielten . Ammen , Hausmädchen und selbst Köchinnen suchten
sich gewöhnlich in so verschiedenartiger Weise nützlich zu machen , dass es
bei den Londoner Dienstboten mit ihren entschiedenen Ansichten über die
Arbeitsteilung im Haushalte Staunen erregen würde . Kräftig , flink und will-
fährig , verdienten sie zum grösseren Teile gar wohl ihre hohen Löhne ; sie
trugen Hauben , wenn man es verlangte und liessen sich keine unverschämten
Manieren oder Vertraulichkeiten zu Schulden kommen . Sie erwarteten , als
Mitmenschen , aber nicht als Angehörige der Familie ihres Brotgebers be-
handelt zu werden . Ebensowenig pflegten sie einen guten Platz unüberlegt
zu verlassen ; eine rücksichtsvolle Herrin verlor ihre Dienstboten selten anders
als durch deren Verheiratung . Da die Anzahl der Jungfern im Vergleiche
zu jener der Junggesellen im Steigen begriffen war , hatte die relative An-
zahl guter Köchinnen und Dienstboten , die zum Altar geführt wurden , im
Jahre 1893 abgenommen . Auf der Insel geborene Mädchen nahmen bereit-
willig genug Dienste an .
So beliebt auch das Fabriksleben war , wurden doch viele Fabriks- und
Heimarbeiterinnen ärmlich genug bezahlt ; im übrigen erhielten die weib-
lichen Arbeiterinnen bedeutend bessere Löhne als im Mutterlande . Einige
hatten begonnen , sich als Telephonistinnen , Maschinschreiberinnen und Buch-
halterinnen eine annehmbare Existenz zu schaffen . Die meisten wurden selbst-
verständlich Gattinnen und Mütter , und die handfesten Landfrauen – Gattin-
nen und Töchter von Farmern und Schäfern oder Gefährten der Bergleute ,
Scherer und Holzhauer – , die die Gebieterinnen der Meierhöfe und Land-
häuser in den Wäldern des Westens oder in den Grasniederungen der öst-
lichen Niederlassungen waren , bildeten eine genügende Gewähr dafür , dass
die Rasse der Insel körperlich und geistig gesund sein werde . Sie kannten
im allgemeinen ebenso wenig die gemeineren Laster der Welt , waren ebenso
rein , ebenso voller Barmherzigkeit und Liebe , ebenso bestrebt , das Leben an-
genehm zu gestalten , ebenso sehr zu gut für die Durchschnittsmänner , wie
es die Frauen überall zu sein pflegen .
Das Parteileben brandete vor acht Jahren in Neuseeland gar stark
und der Wahlkampf war ein heftiger . Die Feuertaufe des Frauenstimmrechtes
bildete ein genügend lebhaftes Ereignis . Die vom Oberhause zurück-
gewiesene Land- und Arbeitspolitik der Progressisten erwartete das Urteil
des Landes und es gab Gegenströmungen in der Form des Verbotes geistiger
Getränke und des Verlangens der Kirchen nach dem Bibellesen und nach
Unterstützung ihrer Schulen . Es gab eine Fülle von Kandidaten – die
Diäten der Parlamentsmitglieder waren das Jahr zuvor auf 20 £ monatlich
erhöht worden . Bischöfe harangierten ihre Herden , Geistliche traten als
Kandidaten auf ; die katholische Hierarchie , welche früher die Reform heftig
bekämpft hatte , beeilte sich nun , sie auszunützen ; die Spirituosenhändler
entfalteten zum ersten Male ihre ganze organisierte Kraft . Anderseits wurde
voller Gebrauch von der Kanzel gemacht und die Puritaner der Mässigkeits-
vereine wandten sich mit Inbrunst dem Gotte der politischen Kämpfe zu – von
der Überzeugung durchdrungen , dass eine grosse Erlösung von dem Trinkfluche
bevorstehe . Aber weder die Predigten noch die Hirtenbriefe beunruhigten be-
sonders den starrköpfigen Seddon , der sich mit grosser Freude in dieses erste
grosse Handgemenge seiner Premier-Ministerschaft stürzte . Er war hier , dort
und überall , Energie und Lebenskraft bekundend , welche für ein halbes
Dutzend Führer genügt hätte ; seine mächtige Stimme und sein joviales
Wesen spornte die Anhänger der Regierung in zahlreichen Wählerversamm-
lungen an . Im grossen Ganzen nahmen die Frauen diesen Wirrwarr mit
wunderbarer Kaltblütigkeit auf . Sie wichen den Ausschussarbeiten nicht
aus , waren flinke Stimmenwerber und strömten zu Tausenden in die Ver-
sammlungen , wo ihnen unter gemeinsamer Zustimmung die vordersten Sitz-
reihen eingeräumt wurden . Aber weit entfernt , irgendwelche hysterische
Aufregung zu bekunden , sassen sie Reihe auf Reihe , in gespannter Auf-
merksamkeit , fast ohne einen Laut , den Rednern lauschend , wobei ihre dunkle
Kleidung und ihr noch düsteres Schweigen , ihre leidenschaftslosen Gesichter
und ihre Ruhe die jungen Redner abspannten und den Mut selbst der
Veteranen der Wahltribünen dämpften . Es bedurfte sorgfältiger Vorbereitung ,
um sie zum Beifallklatschen zu veranlassen , und überzeugender Beweisfüh-
rung , um sie den politischen Gebrauch der Schuhabsätze und Schirme zu
lehren . Jene war schon ein kühnes Weib , die ihrem Geschlechte beibrachte ,
was mit dem Schwenken weisser Taschentücher erzielt werden könne , wäh-
rend die kühneren Geister , die es zuerst gewagt , Danksagungen zu unter-
stützen , gar grosse Beklemmungen überstehen mussten . Die ersten Wähle-
rinnen , die bei den Wählerversammlungen mit Blumensträusschen für die von
ihnen begünstigten Kandidaten erschienen , getrauten sich noch nicht , ihre
Gabe persönlich zu überreichen , einem Manne – gewöhnlich einem jungen
Manne – wurde die Aufgabe übertragen , die Blumen mit einer Verbeugung
zu überreichen oder sie dem Champion auf der Rednertribüne enthusiastisch
zuzuwerfen .
Die Wahlagenten und Wahlkommissäre erwarteten den Wahltag mit
Angst , die Politiker mit Zweifeln und die Frauen mit dem Gefühle ange-
nehmer Erregung , die Abstimmung könnte Überraschungen im Gefolge haben .
Man durfte erwarten , dass die Fabriksarbeiterinnen und Ladenverkäuferinnen
für die Partei der Arbeitergesetze stimmen , die staatlichen Schullehrerinnen
der nationalen Erziehung blind ergeben sein und die Küchenfeen und Kammer-
zofen nach den Einflüsterungen der Priester abstimmen würden . Über diese
Erwartungen hinaus jedoch konnte man nichts Gewisses behaupten . Die
grosse Menge erwartete einen Zudrang und eine Verwirrung , trotzdem doppelt
so viel Wahlbuden vorbereitet worden waren als sonst . Gar manch besorgter
Wahlagent konnte Nächte vorher nicht mehr schlafen oder träumte von be-
geisterten Anhängerinnen , die auf den Stimmzetteln aus Versehen den Namen
seines Kandidaten statt des Namens des Gegners ausstrichen . In Neuseeland
finden sämtliche Parlamentswahlen an einem Tage statt , und 1893 war der
Wahltag für den 28. November festgesetzt worden . Die Frauen begannen
zeitig – gegen 9 Uhr – abzustimmen und infolge eines freundschaftlichen
Übereinkommens wurden ihnen in den Städten bestimmte Wahlbuden bis zur
Mittagsstunde überlassen . Die Neuseeländer Wähler dürfen bei jeder be-
liebigen Wahlurne ihres Bezirkes abstimmen . In mehreren Bezirken trugen
die Wahlkomitees dafür Sorge , dass die erste Stimme von einer Frau abge-
geben werde . Die Gattinnen der Arbeiter brachen frühzeitig vom Hause auf
und legten für den Gang zum nächsten Wahlplatze ihren besten Staat an .
Zuweilen wurden sie von ihren männlichen Verwandten begleitet , denn der
Wahltag galt überall als allgemeiner Feiertag . Oft besprachen die Frauen
benachbarter Familien einen gemeinsamen Ausflug und machten sich zu-
sammen auf den Weg . Zwischen zwölf und zwei Uhr verdrängte die Mittag-
mahlzeit die Politik ; nachmittags strömten die Frauen abermals zu den Wahl-
buden und hatten bis zur Theezeit fast alle abgestimmt , ehe der Andrang der
Arbeiter zu den Wahlurnen sich fühlbar zu machen anfing . Alles ging höf-
lich und in Ordnung , ohne Roheit , Balgerei oder Hysterie vor sich . Gut-
mütige Nachbarn übernahmen es , abwechselnd nach den Kindern zu sehen ,
bis die Abstimmung erfolgt war . Jede Frau versah sich gewissenhaft mit
ihrer Nummer und im grossen Ganzen überstanden die Novizen die Feuer-
probe mit Erfolg . Das Verhältnis der verdorbenen Stimmzettel war nur um
ein geringeres grösser als bei früheren Wahlen . Als die Wahlbuden um
7 Uhr abends geschlossen wurden , hatten 90000 Frauen friedlich abgestimmt .
In den Städten warteten von 9 Uhr an Gruppen von Männern und Frauen in
den Strassen geduldig auf das Resultat der Wahlen nicht blos ihres Bezirkes ,
sondern des ganzen Bundesstaates . Die Tausende von Bürgern hielten eine
musterhafte Ordnung aufrecht . Sie plauderten , lachten und schwatzten , die
Kinder rannten jauchzend umher . Keine Spur von Trunkenbolden oder Bru-
talitäten . Jede Partei begrüsste die auf die Anschlagsäulen gehefteten Er-
gebnisse mit Abwehr oder Akklamation . Das Interesse war wohl ein leb-
haftes ; da es aber keine unverantwortliche , zu rohen Scherzen geneigte Menge
ohne Stimmrecht gab , kam es auch nicht zu Ausschreitungen . Kurz nach
Mitternacht war es im ganzen Lande bekannt , dass die Progressisten den Sieg
davon getragen hatten , und mit einem Seufzer der Erleichterung oder der
Resignation ging die Kolonie nüchtern zu Bette .
Jede Schilderung der Rolle , welche die Frauen bei den Wahlen von
1893 spielten , hat mit geringen Änderungen auch für die Wahlen von 1896
und 1899 Geltung . Der einzige Unterschied bestand darin , dass das Gefühl
der Neuheit und Nervosität schon vorüber war . Die Frauen fuhren fort , ohne
Störung oder Verhinderung den weitesten Gebrauch von ihrem Wahlrechte
zu machen – sie wurden im Gegenteil dazu ausdrücklich ermuntert . In
mehreren Wahlbezirken übertraf die Anzahl der weiblichen Wähler jene der
Männer – ein Resultat , welches die Männer mit fröhlicher Heiterkeit be-
grüssten . Die erste Stadt , in welcher dieses weibliche Übergewicht beobachtet
wurde , war Dunedin im Jahre 1896 . Es bekundete sich naturgemäss ein
Gefühl der Neugierde hinsichtlich der Wahl einer derart zusammengesetzten
Wählerschaft . Die Wähler hatten unter 11 Kandidaten drei Volksvertreter
zu wählen . Wäre die „ bessere Hälfte “ der Wählerschaft für den Ausfall des
Wahlaktes verantwortlich gewesen , so hätte derselbe dem Anscheine nach
bekundet , dass die Liebe der Frauen zur Abwechslung auch auf das Gebiet
der Politik übertragen worden sei . Während der erste und dritte Sieger
Konservative waren , gehörte Nummer Zwei der Arbeiterpartei an . Der erste
und der zweite waren hartnäckige Verfechter der weltlichen Erziehung , der
dritte ein Anhänger der konfessionellen Schulen . Die Abwechslung war die
Ordre des Tages , denn die drei früheren Mitglieder fielen durch die Bank
durch . Scobie Mackenzie , der als erster hervorging , war ein glänzender ,
geschickter Redner , einer der besten des Staates . Damit aber daraus nicht
gefolgert werde , dass die Herzen der Politikerinnen blos durch Rednergaben
gewonnen werden können , bemerken wir , dass das dritte gewählte Parlaments-
mitglied infolge eines hartnäckigen Halsleidens überhaupt gehindert war ,
Reden zu halten . Der als erster gewählte Herr hatte einige Schwierigkeiten
zu überwältigen gehabt – war er doch in früheren Jahren , wie bereits
erwähnt , einer der wenigen Gegner der Bewilligung des Wahlrechtes ge-
wesen , die grössere Geistesfähigkeiten bekundeten . Mackenzie war übrigens
der Gelegenheit gewachsen und versicherte den Damen freundlich , dass er
sich ihnen aus der Ueberzeugung widersetzt habe , „ nicht , dass das Wahlrecht
für die Frauen zu gut sei , sondern dass die Frauen für das Wahlrecht zu
gut wären “ . Der Kampf war ein heisser gewesen und die englischen Blätter
wussten Kabelnachrichten zu bringen , dass weibliche Wähler sich bei einem
Meeting durch Rowdysmus befleckt hätten . Dies war jedoch zumindest eine
Übertreibung . Das betreffende Meeting war eine belanglose , halb private
Versammlung eines Frauenvereines gewesen – ein liebenswürdiger Geist-
licher im Präsidentenstuhle war der einzige Vertreter des stärkeren
Geschlechtes . Ein beharrlicher , jedoch unbeliebter Redner war mit Zischen ,
Schreien , Stampfen und Schirmschwenken begrüsst worden , sodass die
Verhandlung auf kurze Zeit unterbrochen werden musste . Das war aber
auch das Äusserste , was über diese Versammlung gesagt werden konnte . Bei
einer viel grösseren , durchweg von Männern besuchten Versammlung ,
welche in derselben Woche in Dunedin abgehalten wurde , musste ein unglück-
seliger Kandidat , nachdem er mit übelriechenden Eiern und ekelerregendem
Grünzeug beworfen worden war , unter polizeilichem Schutze nach Hause
geleitet werden .
Der Anteil , welchen die Frauen an den bisherigen drei allgemeinen
Wahlen nahmen , in welchen sie die Bürgerrechte genossen , ist aus den beiden
folgenden Tabellen ersichtlich ( siehe Seite 18 ) .
Im ersten der drei Wahljahre hatte es die Vernachlässigung der
Wählerlisten verursacht , dass das prozentuelle Verhältnis der männlichen
Wähler ein abnorm niedriges war . Am Ende dieses Jahres wurden die
Wählerlisten mit Hilfe der einfachen und drastischen Methode gesäubert , dass
sämtliche Namen gestrichen wurden , deren Träger bei den allgemeinen
Wahlen ihre Stimmen nicht abgegeben hatten . Dieses Vorgehen wurde in
Neuseeland seither gesetzlich eingeführt und die Listen sind deshalb auch
seither ziemlich genau . Auch das Verhältnis der in die Wählerlisten ein-
getragenen Frauen zu ihrer Gesamtanzahl im Staate war 1893 ein bedeutend
niedrigeres als in den späteren Jahren . Selbstverständlich waren Jene , die
am meisten bestrebt waren , von dem neuen Rechte Gebrauch zu machen ,
unter den Ersten registriert worden . Viele der Gleichgültigeren , die sich
damit zufrieden gegeben hatten , während des sechswöchentlichen Andranges
im September und Oktober 1893 weggelassen worden zu sein , wurden nach-
träglich aufgesucht und veranlasst , sich eintragen zu lassen . Ein Teil dürfte
zweifellos auch der Reaktion zugeschrieben werden , welche sich fühlbar
machte , nachdem der Reiz der Neuheit vorüber war . Bei der zweiten und
dritten allgemeinen Wahl , an denen die Frauen sich beteiligten , zeigte sich
der Unterschied in den Verhältniszahlen der beiden Geschlechter zwischen
Datum
der
Wahl | Anzahl
der männlichen
Erwachsenen
nach
Schätzung | Anzahl
in den Wähler-
listen | Verhältnis
der männlichen
als Wähler
eingetragenen
Erwachsenen | Anzahl der
Wähler ,
die abgestimmt
haben | Verhältnis
der in die Listen
eingetragenen
Männer , die ab-
stimmten |
1893
1896
1899 | 149539
197002
214773 | 193536
196925
210529 | Die Anzahl der in den Listen eingetragenen männlichen Wähler übertraf zur
Zeit der Wahl die Schätzung .
99 :96 $%$
98 :02 $%$ | 129792
149471
159780 | 69 :61 $%$
75 :90 $%$
79 :06 $%$ |
Datum
der
Wahl | Anzahl
der weiblichen
Erwachsenen
nach
Schätzung | Anzahl
in den Wähler-
listen | Verhältnis
der weiblichen
als Wähler
registrierten
Erwachsenen | Anzahl der
Wählerinnen ,
die abgestimmt
haben | Verhältnis
der registrirte n
Frauen ,
die abstimmten |
1893
1896
1899 | 139471
159656
171373 | 109461
142305
163215 | 78 :48 $%$
89 :13 $%$
95 :42 $%$ | 90290
108783
119550 | 85 :18 $%$
76 :44 $%$
75 :70 $%$ |
den Wählern , die in die Listen eingetragen waren und denen , die abstimmten ,
als ein sehr geringer . Es kann daher mit Recht behauptet werden , dass die
Frauen im grossen Ganzen denselben Gebrauch vom Wahlrecht machen wie
die Männer .
III.
Fünfzehn Monate lang war das Frauenwahlrecht ein Vorrecht Neusee-
lands unter sämtlichen australischen Kolonien . Erst später , am 18. Dezember
1894 , genehmigte auch das südaustralische Parlament eine Wahlbill , welche
das Wahlrecht abänderte , indem sie es allen Erwachsenen überhaupt ein-
räumte . Der Kampf um diese Reform hatte in Adelaide kaum so lange ge-
währt wie in Wellington und die meisten , denn nicht alle Züge des zweiten
Kampfes ähnelten jenen des ersten . In Südaustralien bestand ebenso wie in
Neuseeland die erste Annäherung an das Wahlrecht der Frauen in dem Vor-
schlage , allen Eigentum besitzenden Frauen das Stimmrecht einzuräumen .
Einschlägige Bills wurden von Stirling 1885 und Caldwell 1889 eingebracht
– beide ohne Erfolg . Immerhin wurde im Jahre 1888 eine Liga für das
Frauenwahlrecht begründet , welche das Werk der Propaganda begann und es
in den nächsten sechs Jahren mit einem Eifer fortsetzte , dass ihr tatsächlich
ein erzieherischer Einfluss zugesprochen werden muss . Keine gleichwertige
Körperschaft bestand in Neuseeland , wo lokale Spaltungen die Gründung der-
artiger Vereine bedeutend schwieriger gestaltet hätten . Südaustraliens ge-
ringere und zentralisiertere Bevölkerung ist zu solchen Gründungen beson-
ders geeignet . Auf der Landkarte erscheint die Kolonie ungeheuer gross ; für
geschäftliche oder politische Zwecke jedoch scheint sich der ganze Staat um
Adelaide herum zu gruppieren . Seite an Seite mit der Wahlrechtliga stand
die viel grössere politische Kraft des Christlichen Mässigkeitsbundes der
Frauen ; wie anderswo , wurde auch hier die Agitation zum grossen Teile mit
der Temperenzbewegung identifiziert . Die Empfänglichkeit für die Spiri-
tuosenfrage war in Südaustralien zur Zeit der Krise des Wahlrechtskonfliktes
nicht so lebhaft wie in Neuseeland , und die Gesamtheit der Abstinenzvereine
der australischen Kolonien bekundete mehr Schlangenweisheit , als ihre
Neuseeländer Brüder . Sie waren gut genug beraten , um gebieterische oder
drohende Haltungen zu vermeiden , und sie hüteten sich , einen beträcht-
lichen Teil des Publikums , das mit dem Getränkehandel sympatisierte , zu er-
schrecken oder zu erzürnen . Sie waren jedoch nicht minder rührig und übten
unbestreitbar den bedeutendsten praktischen Einfluss im Hintergründe der
Agitation für das Wahlrecht aus . Wie in Neuseeland , stimmten auch hier
die Parlamentsmitglieder der Arbeiterpartei wie ein Mann für die Sache der
Frauen . Trotzdem trat die Angelegenheit in bedeutenderem Masse erst 1893
in den Vordergrund . In den ersten Monaten dieses Jahres ergriff eine ge-
schickte Progressistenregiernng unter Führung C. C. Kingstons , eines Radi-
kalen von starken Ansichten , starkem Physikum und noch stärkerem Willen ,
von der Macht Besitz . Der lustige Kingston , der Bahnbrecher der obligato-
rischen Arbeiterschiedsgerichte , hatte stets viele Freunde gehabt ; aber vor
1893 konnten ihrer nur wenige vermuten , dass er je als Verfechter der Frauen-
rechte vor die Öffentlichkeit treten werde . Er war eigentlich sogar moralisch
verpflichtet , das allgemeine Stimmrecht der Erwachsenen zu missbilligen .
Doch sein Ministerium bildete eine Koalition und eine wiedervereinte Partei
kann nur vermittelst Konzessionen zusammengehalten werden . Der Premier
machte daher den Freunden des weiblichen Stimmrechts Zugeständnisse .
Mehrere der südaustralischen Minister begünstigten nämlich die Gewährung
des Frauenwahlrechts und einer glaubte mit grenzenloser Begeisterung daran .
Dieser eine , Doktor ( jetzt Sir John ) Cockburn , war ein Londoner Arzt , der in
Südaustralien nach seiner Einwanderung rasch in die Vorderreihen des poli-
tischen Lebens gelangt war . Er war Ministerpräsident gewesen und hatte
als erster eine progressive Bodensteuer durchgesetzt . Ein gebildeter Radi-
kaler mit Idealen , von überzeugenden Manieren und mit gefälliger Redekunst
begabt , war er der richtige Anwalt für eine Reform wie das Frauenwahl-
recht . Er glaubte fest an dessen gesellschaftliche und politische Vorteile und
scheute sich nicht , dieser Überzeugung mit den glühendsten Worten Aus-
druck zu verleihen . Hauptsächlich seiner Angehörigkeit zum Kingston-
Ministerium war es zuzuschreiben , dass im Juni 1893 eine Regierungsmass-
regel eingebracht und durchgesetzt wurde , welche allen erwachsenen Frauen
das Stimmrecht verlieh . In Südaustralien bedeutet das parlamentarische Wahl-
recht mehr als in den anderen Teilen des britischen Reiches . Es schliesst
nämlich das Recht der Abstimmung sowohl für das Ober- als auch für das
Unterhaus ein , wenngleich das Wahlrecht in dem einen Falle nicht so aus-
gedehnt ist wie im anderen . Die Bill von 1893 stellte die weiblichen und
die männlichen Wähler hinsichtlich beider Häuser auf die gleiche Stufe . Sie
enthielt jedoch einen besonderen und neuen Vorbehalt in Form einer Klausel ,
dass ihre Annahme der Bevölkerung des Bundesstaates durch das Referendum
freigestellt werde . Die Frauen sollten durch die Abstimmung bekunden , ob
sie das Gesetz wünschten , die Männer hingegen , ob sie wünschten , dass die
Frauen das Stimmrecht erhalten . So vernünftig dies auch im Grunde ge-
nommen war , so stürzten sich doch die Gegner des Wahlrechtes darauf als
auf einen neumodischen und phantastischen Begriff , welcher ihnen eine Ent-
schuldigung dafür bot , die Reform für jenes Jahr zu vereiteln . 1894 wurde
die Bill neuerdings eingebracht – diesmal ohne jedes Referendum . Eine zu
ihren Gunsten von 11000 Männern und Frauen unterfertigte Petition galt als
genügender Beweis dafür , dass das Land den Sieg der Bill im Parlament
wünsche . Die meisten Unterschriften dieses umfangreichen Dokumentes waren
von der „ Christlichen Temperenzunion der Frauen “ beschafft worden – ein
Zeichen der Phase , in welche die Streitfrage nunmehr gelangt war . Da die
Reform eine Verfassungsänderung bedingte , war in beiden Häusern die abso-
lute Majorität erforderlich , damit sie Gesetzeskraft erlange . Das Oberhaus
zählte 24 , das Unterhaus 54 Mitglieder ; es bedurfte daher in ersterem 13 , in
letzterem 28 Stimmen . Dank ihren Wahlerfolgen waren die Progressisten
1894 in der ungewöhnlichen Lage , im Oberhause die Majorität zu besitzen .
Die Bill wurde daher daselbst eingeführt und , nachdem sie die zweite Kam-
mer passiert hatte , der gesetzgebenden Körperschaft übersendet . In letzterer
währte der Entscheidungskampf drei Monate . Wochen hindurch fand Cock-
burn es unmöglich , die erforderliche Stimmenanzahl zu erlangen . Die Kräfte
der beiden Parteien hielten sich so genau das Gleichgewicht , dass die Ab-
wesenheit eines einzigen Unterstützers verhängnisvoll werden konnte . Schliess-
lich gewann der Konflikt ein groteskes Ansehen : die Gegner der Massregel
zogen die Debatte jeden Abend bis 11 Uhr hin , zu welcher Zeit ein ältlicher ,
kranker Unterstützer der Bill regelmässig nach Hause zu Bette ging . End-
lich wurde die Obstruktion durch einen Zufall beendet . Man machte die
Obstruktion eines Tages glauben , dass ein Freund der Bill fortgegangen sei
und sie daher die Abstimmung zulassen könnten . In Wirklichkeit war jedoch
der fragliche Gentleman nicht fortgegangen , sondern wurde in einem Vor-
zimmer durch einen Emissär der Regierung zurückgehalten , der ihn für die
wenigen nötigen Minuten mit heiteren Gesprächen hinhielt . Auf diese Weise
wurde die magische Zahl von 28 gesichert und die Frauen erhielten das Wahl-
recht . Vergebens fügten die Gegner im Ausschuss zwei gefährliche Amende-
ments hinzu , deren eines den Frauen auch das passive Parlamentswahlrecht
einräumt , während das andere ihnen das Vorrecht gewährt , schriftlich ab-
stimmen zu dürfen , wenn ihre Wohnungen über drei engl. Meilen von einer
Wahlbude entfernt oder wenn sie durch ihren Gesundheitszustand am per-
sönlichen Erscheinen verhindert wären . Die Wahlrechtpartei nahm lieber die
beiden unverlangten Begünstigungen an , um nur nicht die Früchte ihres
Sieges aufzugeben , und der Konflikt endete damit , dass den Frauen die
politischen Rechte in ihrer vollständigsten Gestaltung eingeräumt wurden .
Die Bill wurde am 18. Dezember 1894 morgens angenommen . Sie war
jedoch der Genehmigung Ihrer Majestät vorbehalten und musste zu diesem
Behufe nach England übersendet werden . Die Genehmigung wurde in
Adelaide durch eine Kabelbotschaft am 9. Februar 1895 verkündet , die Zu-
stimmungsurkunde traf aber erst am 17. März ein . Es lag jedoch kein
Grund zur Eile oder Besorgnis vor , wie dies in Neuseeland der Fall gewesen ,
denn die allgemeinen Wahlen sollten erst am 25. April 1896 stattfinden . Es
blieb daher Zeit genug für die Anlegung der Wählerlisten und diese Arbeit
wurde so gründlich durchgeführt , dass von kaum mehr als 80000 Frauen des
Staates nahezu drei Viertel unverzüglich eingetragen wurden . Der Wahlakt
selbst ging in derselben gemütlichen , geordneten Weise vor sich und bot fast
die gleichen Szenen , wie sie sich siebzehn Monate vorher in Neuseeland ab-
gespielt hatten . Das Resultat vermehrte nicht – wie in der Inselkolonie –
die Majorität der Progressisten , verminderte sie aber auch nicht merklich .
Weder bei dieser Wahl , noch drei Jahre später – 1899 – machten die
Frauen besonderen Gebrauch von dem Rechte der schriftlichen Abstimmung ,
wie man geglaubt hatte . Die folgenden Ziffern zeigen das Verhältnis der
beiden Geschlechter , die bei den zwei allgemeinen Wahlen in den Listen ein-
getragen waren und abgestimmt hatten .
All-
gemeine
Wahl | Registrierte Wähler | Abgestimmt haben |
Männer | Frauen | Gesamtsumme | Männer | Frauen | Insgesamt |
1896 | 77972 | 59044 | 137781 | 51668 | 39355 | 93348 |
1899 | 83698 | 68695 | 152393 | 54972 | 38438 | 93410 |
Aus diesen Ziffern ist ersichtlich , dass im ersten Jahre das Verhältnis
der Abstimmenden bei 137781 eingetragenen Wählern 66 :30 $%$ erreichte
und dass die Frauen von ihrem Rechte ausgedehnten Gebrauch machten .
1899 war das Verhältnis bei beiden Geschlechtern ein niedrigeres , doch war
der Niedergang bei den Frauen ein beträchtlicherer als bei den Männern .
Aber selbst damals erreichte die Anzahl der von Frauen abgegebenen Stimmen
eine bedeutende Höhe , indem sie weit mehr als die Hälfte der Eintragungen
ergab . Bei keiner der beiden Wahlen war eine Frau als Parlaments-
kandidatin aufgetreten . Immerhin wurde Miss Spence annimiert , Südaustralien
in der Bundesversammlung von 1897 zu vertreten und sie erhielt bei der im
März desselben Jahres stattgehabten Wahl 7000 Stimmen – eine Ziffer ,
welche einer sehr beachtenswerten Minorität entspricht .
Die Annahme des Frauenwahlrechtes im Parlamente von Westaustralien
im Juli 1899 war eine unerwartete und die Umstände , unter welchen sie er-
folgte , einigermassen sonderbar . Die Bevölkerungsstatistik Westaustraliens
wies ein seltsames Verhältnis der beiden Geschlechter auf . Die Flut der
Goldsucher , welche sich sechs Jahre hindurch über das Land ergoss , bestand
vorwiegend aus erwachsenen Männern , sodass dort Ende 1899 nahezu doppelt
so viele Männer lebten als Frauen . Bei einer Bevölkerung von 171000 Per-
sonen gab es weniger als 59000 Frauen und von diesen waren mehr als die
Hälfte unter 15 Jahre und sieben Achtel unter 45 Jahre alt . Blos 610 Frauen
hatten einbekanntermassen das Alter von 65 Jahren überschritten , sodass die
abgenützten Scherze gegen die weiblichen Politiker in Westaustralien nur
wenig Anwendung finden konnten . Diese eigentümlich geringe Zahl Bejahrter
war keinesfalls einem ungesunden Klima zuzuschreiben , denn das Klima des
südwestlichen Teiles Australiens ist dem Erreichen eines hohen Alters eher
günstig als nicht . Sie bildete blos den Beweis der ausserordentlichen Jugend
des Staates . Während , wie eben erwähnt , die Hälfte der Weiber im Alter
von unter 15 Jahren stand , waren blos zwei Siebentel der Männer unter
diesem Alter . Bei der Erwägung der Möglichkeit des Frauenwahlrechtes
hatte Westaustralien daher keine so grosse Menge neuer unerfahrener Wähler
zu gewärtigen als andere Kolonien , denn es entfielen auf 70000 grossjährige
Männer bloss 20000 grossjährige Frauen . Dies hatte jedoch nicht viel mit
der unerwarteten Entscheidung zu tun gehabt . Die Ursache derselben lag
wohl in den eigentümlichen Bevölkerungsverhältnissen der Kolonie , aber
nicht in dem geringen Verhältnisse der weiblichen Wähler zu den männlichen .
Sie verdankte ihren Ursprung der Spaltung der Bevölkerung in zwei Klassen :
die alte und die neue , die Grundbesitzer und die Goldsucher , das angesiedelte
herrschende Element und die eingewanderten Ausländer . Die letzteren , die
Männer der Goldfelder , waren – nachdem sie Jahre hindurch für ein
grösseres Ausmass politischer Rechte gekämpft – 1899 nahe daran , sie zu
erhalten . Sie sollten eine kräftige Vertretung im Parlamente zu Perth be-
kommen . Sir John Forrest war auf dem Sprunge , abzudanken und wenige
Monate später sollte seine zehnjährige Diktatur ihr Ende erreichen . Die
alte Ordnung war dem Untergange nahe und die herrschenden Familien
fühlten den Boden unter ihren Füssen schwanken . Die Politiker der alten
Ansiedelungsbezirke lugten ängstlich nach Mitteln aus , welche die Kraft der
drohenden Flut zu brechen geeignet wären . Sie glaubten dieselben im
Wahlrechte der Frauen gefunden zu haben . Die erwachsenen Frauen
waren in den älteren Bezirken naturgemäss in weit grösserer Zahl vertreten ,
als in den wilden Bergwerksansiedelungen der Wüstenei . Durch die Bewillig-
ung des Frauenwahlrechtes würde die Majorität der Farmer und Viehzucht-
Gegenden sowie der Seehäfen gesteigert und der Einfluss der Ausländer bis
zu einem gewissen Grade neutralisiert werden . Im Jahre 1893 wurde dem
Unterhause zu Perth ein Antrag betreffs Ausdehnung des Wahlrechts auf die
Frauen unterbreitet . Er wurde damals und in den späteren Sessionen zurück-
gewiesen und die Majorität gegen denselben war nicht geringer geworden .
Sir John Forrest hatte aus materiellen Gründen dagegen Stellung genommen
und war sogar so weit gegangen , 1898 die Erklärung abzugeben , dass er
wohl wisse , die Änderung würde den alten Distrikten mehr Macht verleihen ,
dass er aber dieses für keinen genügenden Grund halte , dem Antrage zuzu-
stimmen . Andere Politiker waren anderer Ansicht . Zu gleicher Zeit der be-
vorstehenden Föderation und der wachsenden Stärke der Goldfelder sich gegen-
über sehend , beschloss der „ alte Young “ , als letzte Karte die Königin
auszuspielen . So geschah es , dass das Parlament am 12. Juli 1899 mit 17 gegen
6 Stimmen den Beschluss fasste , Vorkehrungen für die Einräumung des Wahl-
rechtes an die Frauen zu treffen . Es kann nicht behauptet werden , dass der
Ton der Debatten bei diesem nicht unwichtigen Anlasse ein erhabener oder
auch nur animierter gewesen wäre . Aber von all den trostlos geistlosen
Diskussionen über diesen Gegenstand bildete die zu Perth vielleicht die
platteste und mittelmässigste . Der Antragsteller der Resolution , Walter James ,
fasste sich kurz und seine Worte waren nicht ohne Würde . Er hatte die
Reform von jeher unterstützt und nahm nun mit vollständiger Befriedigung
die ihr so plötzlich zu teil gewordene Unterstützung an , ohne sich in Sar-
kasmen oder falschen Gefühlsergüssen zu ergehen . Er bemerkte blos mit
einem Anstrich von Ironie : „ Ich begreife , dass hier – zweifellos dank der
vollständigen Diskussion , welcher die Frage unterworfen war – eine plötz-
liche Bekehrung einer grossen Anzahl von Mitgliedern erfolgt ist . “ Im
übrigen wies Redner mit berechtigter Genugtuung auf das wachsende Inter-
esse hin , welches die Frauen des Staates der Reform entgegenbrachten , und
er sagte voraus , dass sie einen regen , wohltätigen Anteil an den öffentlichen
Angelegenheiten nehmen würden . Die einzige noch beachtenswerte Rede war
Sir John Forrests Verteidigung seiner Bekehrung , welche darin gipfelte , dass
die öffentliche Meinung des Staates sich zu der Änderung bekehrt habe und
dass es nicht seine Aufgabe sei , Pläne des Volkes vereiteln zu wollen . Was
die Beschuldigung der Ungerechtigkeit gegen die Wähler aus den Goldfeldern
betrifft : waren sie nicht selber kräftig für das Wahlrecht der Frauen ein-
getreten ? Konnte es ein Unrecht gegen sie sein , ihnen das zu gewähren ,
was sie forderten ? So wurde denn die Resolution , nachdem die neuen Kon-
vertiten mit Auszügen aus ihren früheren gegen die Reform gerichteten
Reden geneckt worden waren , mit Dreiviertelmajorität angenommen .
Der Sieg war ein entscheidender , wenn auch einige Begleitumstände
kaum Enthusiasmus erweckten . Allmählich lehrte die Erfahrung auch , dass
alle , die ihre Berechnungen darauf gebaut hatten , was die Frauen mit ihren
Stimmen beginnen würden , sich getäuscht hatten . Die Frauen stimmten in
Massen und wurden am Wahltage ebenso höflich behandelt wie in den
übrigen Bundesstaaten . Doch die Föderation drang mit ausserordentlicher
Majorität durch , und bei der ersten Wahl der Föderationsvertreter erzielten
die Anhänger des Freihandels und der Arbeiterklasse augenscheinliche Erfolge ,
während die damals ohne ihren Chef kämpfende Forrestpartei aus ihrer führen-
den Stellung verdrängt wurde .
In Neusüdwales beantragte Sir Henry Parkes die Annahme des Wahl-
rechtes bereits 1891 , fiel jedoch damit durch . George Reid war der erste
Ministerpräsident , der sich für das Wahlrecht in der Wahlkammer eine
Majorität sicherte . Nach dem Sturze seines Ministeriums griff Bernhard Wise ,
Kronanwalt in dem an die Stelle Reids getretenen Ministerium , die Sache der
Frauen auf . 1900 und dann wieder 1901 wurde eine Regierungsbill zur Aus-
dehnung des Wahlrechtes auf die Frauen im Unterhause zu Sydney durch-
gesetzt , um aber im Oberhause zu Falle gebracht zu werden . Im nächsten
Jahre gestaltete der sogleich zu erwähnende Sieg einen weiteren Widerstand
in Neusüdwales unlogisch . Im August 1902 wurde daher das Wahlrecht der
Frauen von beiden Häusern bewilligt .
Zwei Monate früher ereignete sich dasjenige , was viele Beobachter für
den grössten bisher errungenen Erfolg der Anhänger des Frauenwahlrechtes
bezeichnen dürften . Das Prinzip wurde in seiner ausgedehntesten Form vom
Bundesparlament angenommen . Ja noch mehr , es wurde friedlich , ohne die
geringste öffentliche Erregung adoptiert . Seine Anwendung in drei Bundes-
staaten hatte bereits seine Harmlosigkeit erwiesen , was auch die heftigsten
Gegner zugestehen mussten . Wohl behaupteten die letzteren auch , dass es
nichts Vorteilhaftes geleistet hätte ; aber es fanden sich Verteidiger , die anders
dachten , und viele Parlamentsmitglieder waren geneigt , zu glauben , dass die
wohltätigen Folgen in besseren Zeiten eintreten werden und willens , dafür
eine billige Frist zu gewähren . Die Opposition war eine höchst sanfte .
Ich will nur noch kurz den Verlauf der Wahlrechtagitation in jenen
Bundesstaaten berühren , in denen die Frauen derzeit noch kein Stimmrecht
besitzen . In Queensland und Tasmanien hat die Frage des Frauenwahlrechtes
keinerlei nennenswertes Interesse erweckt . ln Victoria ist es im Unterhause
des Parlamentes wiederholt durchgedrungen , um im Oberhause regelmässig
abgelehnt zu werden .
IV.
In den Kolonien , die das Experiment gemacht haben , hat die Erfahrung
gezeigt , dass die Frauen vom Stimmrecht Gebrauch machen , wenn sie es er-
halten . Sie fürchten sich nicht , die Wahlurnen aufzusuchen . Auch versuchen
es die Männer keiner Berufsklasse , sie hieran zu hindern . Bei den Wahlen
giebt es keine Anzeichen von Unordnung . Der Zudrang der Frauen zu den
Wahlbuden hat keine Unzukömmlichkeiten oder Roheiten im Gefolge gehabt .
Die weiblichen Wähler als besondere Klasse eignen sich nicht , zur Zielscheibe
des Spottes oder der Karikatur . Einige junge Herrchen der Cambridger
Universität in England bekundeten 1897 mehr gröbliche Unverschämtheit gegen
das weibliche Geschlecht , als der Strassenpöbel dreier australischer Bundes-
staaten binnen acht Jahren . Die Wahlen waren in früheren Jahren ruhig
und sie sind es auch heute . Die einst so häufigen Schilderungen vermeint-
licher häuslicher Misshelligkeiten , vergessener Kinder , vernachlässigter Gatten ,
ungekochter Diners , nachlässiger Kleidung und Haltung als Folgen des weib-
lichen Stimmrechts sind fast ganz aus dem Gedächtnisse geschwunden . Wahl-
ausschüsse berichten , dass Familien , die unter einem Dache wohnen , fast
immer für dieselbe Partei abstimmen . Es ist ein alltäglicher Anblick , Mann ,
Gattin und erwachsene Kinder zusammen fröhlich nach den Wahllokalen pil-
gern zu sehen . Das Familienoberhaupt ist ein wichtigerer politischer Faktor
geworden als ehedem . Die Dienstboten folgen oft der Leitung des Herrn
und der Herrin , obgleich es , wenn die letzteren konservativ sind , vorkommt ,
dass die Dienerschaft mit ihrer eigenen Klasse abzustimmen pflegt . Von den
Katholiken stimmen die Irländer zumeist so , wie die Kirche sie dirigiert ,
wenn diese es überhaupt tut . Man kann derzeit nicht das geringste Anzeichen
irgend einer beginnenden Umwälzung in Kleidung oder Lebensweise entdecken
– kein Tragen von Gamaschen , kein Zigarettenrauchen , keine Verachtung
der Ehe . Das Wahlrecht hat weder zu getrennten Haushaltungen , noch zu
geteilten Rockschössen geführt . Es giebt wahrscheinlich zwanzigmal mehr
„ neue Frauen “ in London als in sämtlichen sieben australischen Bundesstaaten ,
wo Mrs. Lynn Lynton , wenn sie noch lebte , zumeist Gleichgesinnte fände .
In Neuseeland und Südaustralien drängen sich die Frauen nicht zu den
Gelehrtenberufen , obgleich im ersteren Staate eine Bill angenommen wurde ,
welche den qualifizierten Frauen die Ausübung der Praxis als Rechtsanwälte
und Sachwalter gestattet und einige wenige Damen sich dies auch zu Nutzen
machten . Neuseeland besitzt vielleicht ein Dutzend weiblicher Doktoren . Auf
gesellschaftlichem und wirthschaftlichem Gebiete waren die Frauen keine
Sklavinnen gewesen , bevor sie das Wahlrecht erhielten , und sie zeigten jetzt ,
da es ihnen eingeräumt war , keine Neigung , Tyrannen zu werden . Wir
können wahrheitsgemäß behaupten , dass die Erfindung der pneumatischen
Radreifen und der Sicherheitsfahrräder mehr dazu beigetragen hat , die Sphäre
ihrer Lebensweise zu erweitern und ihnen freieren Spielraum zu gewähren ,
als der Besitz der politischen Rechte .
Es ist derzeit keinesfalls leicht , mit einiger Sicherheit ihren Einfluss
auf das öffentliche Leben zu skizzieren , ihre Tätigkeit von jener der Männer
zu scheiden oder mit einiger Genauigkeit abzuschätzen , in welcher Weise sie
den Lauf der Gesetzgebung beeinflusst haben . Im grossen Ganzen sind sie
einfach Bürger geworden , deren Anteil am öffentlichen Leben sich nicht
scharf von jenem der Männer unterscheidet . Jene Frauen , die sich mit Poli-
tik befassen , finden , dass dieselben Anschauungen und Interessen , welche die
Männer in Parteien scheiden , auch sie zerklüften . Jene wieder , die ihre
Köpfe nicht mit Politik beschweren , begnügen sich , mit ihrer männlichen
Verwandtschaft oder ihrer Klasse abzustimmen . Hier und da beobachtet man
eine Erscheinung , welche mit Recht ihrem Einflüsse zugeschrieben werden
kann . So beschleunigten sie in Neuseeland das humane und verspätete Ge-
setz , welches das Zustimmungsalter von 18 auf 16 Jahre erhöhte . Sie haben
die Temperenzpartei gekräftigt , wenn auch weniger im Parlamente als bei
den lokalen Optionswahlen . Bei der letzten solchen , im Dezember 1899 statt-
gehabten Wahl wurden nicht weniger als 118575 Stimmen zugunsten des
Trinkverbotes ohne Entschädigung der Wirte abgegeben . Es ist wahr , dass
das lokale Optionsgesetz in der Session angenommen wurde , die der ersten
Wahlbeteiligung der Frauen vorherging , aber viele der künftigen Erfolge
dürften , wie ich glaube , ihr Werk sein . In Neuseeland sind die Progressisten ,
deren Politik nach der Ausdehnung des Wahlrechtes alsbald das ganze Land
eroberte , nach einem ununterbrochenen Besitze von 11 Jahren noch immer am
Ruder . Seddon pflogt zu bemerken , dass der „ angeborene Konservatismus
der Frauen “ sich darin äussere , drei Parlamentssessionen hindurch jenes
Ministerium im Amte zu erhalten , welches sie daselbst vorgefunden hatten ,
als sie auf die Szene traten . Drei Jahre lang , von November 1895 bis No-
vember 1898 , hatte das Vorwärtsdringen der Progressisten nachgelassen , doch
Ende 1898 konnten sie auf das Alterspensionsgesetz und auf die Erweiterung
des Munizipalwahlrechtes hinweisen , und wenn sich auch das Jahr 1899 als
minder fruchtbar erwies , so wurden 1900 doch wieder fortschrittliche Mass-
regeln durchgesetzt . In Südaustralien wurde von 1896 an das Interesse von
den sozialen Reformen abgelenkt und der Föderationsfrage zugewendet . Ein
langer , zweifelhafter Kampf zwischen den beiden Häusern des Parlamentes
über eine das Unterhaus betreffende Reform erforderte gleichfalls viel Zeit
und Kraft ; überdies wurden die Progressisten noch jahrelang durch Dürre
und Missernten gehemmt . Immerhin wurden in letzterer Zeit Industrie- und
Gewerbegesetze der fortschrittlichsten Art in Südaustralien angenommen .
Wenn die Frauen wenig dazu beigetragen haben , auf diesen Gebieten den
Fortschritt zu beschleunigen , so haben sie auch nichts getan , ihn zu ver-
hindern . Sowohl in Süd- als auch in Westaustralien teilten sie mit den
Männern die Begeisterung für die Föderation . Die Annahme eines Gesetzes
zur Erleichterung der Ehescheidung im Jahre 1898 ist den Frauen zuge-
schrieben worden – aber das gleiche Gesetz , die Stephenschen Akte von Neu-
südwales , war schon Jahre hindurch in den beiden bedeutendsten australischen
Bundesstaaten in Kraft , in welchen die Frauen kein Wahlrecht besassen . Es
ist immerhin möglich , dass einige Stimmen zugunsten der Reform im Neu-
seeländer Parlamente dem unter den männlichen Politikern verbreiteten Glauben
zuzuschreiben waren , dass „ die Frauen sie gern sehen “ würden . Die Alters-
versorgung ist eine soziale Frage , von welcher bisweilen behauptet wird , dass
die Abstimmung der Frauen auch sie in den Vordergrund gestellt habe . Aber
in Australien gehören die beiden Bundesstaaten , welche diesen Versuch ge-
wagt haben , nicht zu jenen , die das Wahlrecht ausdehnten . Es ist bedeut-
sam , dass in Neuseeland die Frauen sich noch nicht um Parlamentssitze be-
werben können und dass sie dies in Südaustralien , wo sie es dürfen , nicht tun .
In der Hauptsache sind mithin die guten Erfolge der grossen Reform
eher negative als positive gewesen . Sie haben fast sämtliche Prophezeihungen
von Übelständen widerlegt , welche vor dem Versuche vom Stapel gelassen
wurden . Aber mit Ausnahme des Beweises , dass die Frauen in drei freien ,
kräftigen und gebildeten britischen Gemeinwesen – welche zusammen an
1400000 Seelen zählen – plötzlich auf einmal das Wahlrecht ohne den ge-
ringsten Schaden für sich oder für andere erhalten können , hat die theoretische
Umwälzung nicht Vieles bewiesen . Nach der Wahl von 1893 wurde Sir
John Hall – in dieser Frage wohl der berühmteste Politiker – befragt , was
für Erfolge in Neuseeland das Wahlrecht für die Kräftigung der Parteien
gehabt . Seine Antwort lautete : „ Ich glaube , gar keine “ . Und dies ist heute
ebenso wahr , wie es 1894 gewesen . Wir können ferner darauf verweisen ,
dass die Tonart des öffentlichen Lebens bisher kaum beeinflusst worden ist .
Wir finden vielleicht weniger Rohheit und mehr Gewandtheit in der nied-
rigeren Gattung der öffentlichen Reden ; aber die natürliche und berechtigte
Erwartung , dass unerwünschte Männer grössere Schwierigkeiten finden würden ,
die Öffentlichkeit zu betreten als bis dahin , ist in keinem der Bundesstaaten
in Erfüllung gegangen . Bis auf 2 oder 3 $%$ waren alle Parlamentsmitglieder
immer zumindest ehrenwerte Männer gewesen . Bis auf denselben geringen
Prozentsatz sind sie es auch heute . In dieser Beziehung ist keine Änderung
eingetreten .
Hiervon abgesehen , wäre es unvernünftig gewesen , zu erwarten , dass
die Frauen binnen wenigen Jahren beginnen würden , irgendwelchen grösseren ,
ausgebreiteteren Einfluss auf die Politik auszuüben . Denn schliesslich bildet
die Politik eine vielseitige , schwierige Wissenschaft , welche nur schwer be-
herrschbar ist . Das Gewerbe der Politiker muss , wie jedes andere , erlernt
werden und dieser Prozess ist ein langsamer und mühsamer . In den Kolonien
wussten die wahlberechtigten Frauen anfangs von den öffentlichen Angelegen-
heiten nicht viel mehr als die Kinder . Sie beginnen langsam sie kennen zu
lernen . Sie beteiligen sich am Vereinsleben , diskutieren und lesen über
öffentliche Fragen , wohnen den Versammlungen bei und bekunden für un-
persönliche Staatsangelegenheiten ein Interesse , welches zehn Jahre vorher
für ausserhalb ihres Lebenszieles gelegen gegolten hätte . Einige Frauen
widmen ihre Aufmerksamkeit den lokalen und munizipalen Angelegenheiten .
Der neuseeländische National Council of Women ist eine kleine Körperschaft ,
welche nur sehr geringen Anspruch darauf erhebt , die Frauen des Bundes-
staates zu vertreten – ausgenommen jene , die sich der Prohibitionsbewegung
anschliessen . Doch die bei ihren Versammlungen gehaltenen Vorträge sind
zuweilen vortrefflich und die Diskussionen darüber interessant ; sie bekunden
den Anfang besserer Dinge und bilden zweifellos eine der Folgen des Wahl-
rechtes . Wenn die Langsamkeit , mit welcher die direkten Folgen der grossen
Reform auftreten , einige Beobachter enttäuscht hat , so ist das hauptsächlich
darum der Fall , weil die darauf gegründeten Erwartungen und Hoffnungen
nur zu häufig ausserordentlich übertrieben waren . Man hat 1893 und 1894
so bedeutenden Erwartungen von einer gesellschaftlichen Umwälzung , von
einer moralischen Wiedergeburt , von einer neuen Ära der Reinheit und von
einer Reinigung der Augiasställe Ausdruck gegeben , dass die Langsamkeit
des Fortschrittes naturgemäss einen Gegensatz bildete , welcher die Gegner
verlocken musste , sich darüber weitläufig auszulassen . Und nicht blos die
Redner dritten Ranges waren es , die die Sache des Frauenwahlrechtes über-
trieben ; eine Zitierung ihrer wässerigen Sentimentalitäten wäre eine Unbilligkeit
gegen den Gegenstand , denn keine Angelegenheit sollte nach ihren schwäch-
sten Verfechtern beurteilt werden . Doch betrachten wir einen Führer , einen
Denker wie Sir William Fox , der im Vergleich mit den anderen Worte der
Wahrheit und Nüchternheit sprach . Als das Haupt der Temperenzlerbewegung
in Neuseeland nahm er natürlich das Prinzip des Frauenwahlrechtes 1878 an .
Er sprach mit ungewöhnlichem Gewicht , denn er hatte damals schon eine
35jährige Erfahrung im öffentlichen Leben hinter sich und war viermal
Ministerpräsident gewesen . Er war ein gebildeter Redner und ein geschickter
Schriftsteller , hatte viel gereist und war ein sorgfältig beobachtender , schlag-
fertiger , ritterlicher Gentleman . Über den Vorschlag , den weiblichen Steuer-
zahlern das Wahlrecht einzuräumen , sprechend , äusserte er sich über die
Frauen wie folgt :
„ Sie sind an Verstand und Einfluss den Männern ebenbürtig ; mehr als
ebenbürtig betreffs ihres Einflusses auf jede Art weiser Gesetzgebung ,
mehr als ebenbürtig hinsichtlich jener Gefühle , welche den grössten Ein-
fluss auf die Förderung der wahren Wohlfahrt eines Landes besitzen . Sie
sind weniger der Gefahr ausgesetzt , an der Abgabe ihrer Stimme gemäss
ihrer wirklichen Meinung gehindert zu werden . Sie haben keine Cliquen ,
keine Parteien , keine überlasteten Bankguthaben . Wenn eine Frau eine
gute Angelegenheit vor sich sieht , geht sie gerade darauf los … Ich
glaube , sie würden zumeist auf der rechten Seite abstimmen . “
Doch die weiblichen Abstimmer sind weder die Engel , noch die Weisen ,
die sie sein müssten , um in einem halben Dutzend Jahren auch nur ein Viertel
der an ihr Wahlrecht geknüpften Erwartungen zu erfüllen . Und wenn sie
die Vorhersagungen der Unglückspropheten gänzlich Lügen gestraft haben ,
so haben sie auch – wenigstens bisher – ihren eifrigsten Verfechtern
einigermassen Grund gegeben , ihre Ergüsse herabzustimmen . Es ist nicht das
erste Mal , dass in Angelegenheiten , mit welchen die Frauen sich zu befassen
herabgelassen haben , das Unerwartete eingetroffen ist . Seit Tausenden von
Jahren schon gefallen sie sich darin , den Scharfsinn des anderen Geschlechtes
herauszufordern und seine mühsamen Berechnungen mutwillig über den Haufen
zu werfen . Es dürfte daher auch Niemanden Wunder nehmen , dass der Be-
ginn ihrer politischen Laufbahn ein Beispiel mehr für ihre Geschicklichkeit
bildet , die männliche Prophetenweisheit zuschanden zu machen .
Im Juli 1902 machte eine Deputation englischer Frauen in Vertretung
mehrerer Stimmrechtgesellschaften dem Premierminister des jungen austra-
lischen Staatenbundes in London ihre Aufwartung . In seiner Antwort gestand
Sir E. Barton , dass er früher ein Gegner des Frauenstimmrechtes gewesen ,
jedoch durch die Beobachtung der Ergebnisse , welche dessen Annahme im
Gefolge gehabt , ein Anhänger der Bewegung geworden sei . Seine praktischen
Erfahrungen bezüglich der Wirkungen des Frauenstimmrechtes hätten keinen
einzigen der Übelstände bestätigt , deren Eintritt nach den Voraussagungen
auf die Einführung desselben hätte folgen müssen . Was die Zukunft der
Bewegung im Vereinigten Königreich betreffe , sei er nicht berechtigt , die
die innere Politik des Landes betreffenden Angelegenheiten zu besprechen , doch
könnten die anderwärts beobachteten Ergebnisse dazu dienen , einige der
Zweifel und Befürchtungen zu zerstreuen , welche betreffs der Gewährung des
Frauenwahlrechtes noch vielfach gehegt werden . Bei der Haltung , welche
er hinsichtlich dieser Frage eingenommen , sei er nicht berufen , zu beweisen ,
dass das Wahlrecht der Frauen dem Staatswesen ungeheure Vorteile gebracht
habe . Was zu betonen notwendig sei , wäre : dass die Sache , da sie logisch
korrekt ist , bewilligt werden sollte , selbst wenn sie auch Übelstände im Ge-
folge hätte . Das müsste die Stellungnahme praktischer Regierungs-
kunst in dieser Sache sein .