Erſtes Buch.
Von der Sprache.
Erſtes Kapitel.
Von der indiſchen Sprache uͤberhaupt.
Das alte indiſche Sonſkrito d. h. die gebil-
dete oder vollkommne auch Gronthon d. h.
die Schrift- oder Buͤcherſprache hat die groͤßte
Verwandtſchaft mit der roͤmiſchen und griechi-
ſchen ſo wie mit der germaniſchen und perſiſchen
Sprache. Die Aehnlichkeit liegt nicht bloß in
einer großen Anzahl von Wurzeln, die ſie mit
ihnen gemein hat, ſondern ſie erſtreckt ſich bis
auf die innerſte Structur und Grammatik. Die
Uebereinſtimmung iſt alſo keine zufaͤllige, die ſich
aus Einmiſchung erklaͤren lieſſe; ſondern eine we-
ſentliche, die auf gemeinſchaftliche Abſtammung
deutet. Bei der Vergleichung ergiebt ſich ferner,
daß die indiſche Sprache die aͤltere ſei, die an-
dern aber juͤnger und aus jener abgeleitet.
Mit der armeniſchen, den ſlaviſchen Spra-
chen und naͤchſtdem mit der celtiſchen, iſt die Ver-
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wandſchaft des Indiſchen entweder gering, oder
ſteht doch in gar keinem Verhaͤltniß zu der großen
Uebereinſtimmung mit jenen zuvor genannten
Sprache, die wir aus ihr ableiten. Ganz zu
uͤberſehen iſt dieſe obwohl geringe Verwandtſchaft
aber dennoch nicht, da ſie in der Ordnung, wie
dieſe Sprachen genannt worden ſind, ſich ſelbſt
noch wenigſtens in einigen grammatiſchen Formen
kund giebt, in ſolchen Beſtandtheilen die nicht
unter die Zufaͤlligkeiten der Sprachen gerechnet
werden koͤnnen, ſondern zur innern Structur der-
ſelben gehoͤren.
In der hebraͤiſchen Sprache und den verwand-
ten Mundarten duͤrften ſich, ſo wie in der kop-
tiſchen noch indiſche Wurzeln genug finden. Aber
dieß beweiſt keine urſpruͤngliche Verwandtſchaft,
da es Folge bloßer Einmiſchung ſein kann. Die
Grammatik jener Sprachen iſt ſo wie auch die
baſkiſche grundverſchieden von der indiſchen.
Die große bis jetzt noch nicht voͤllig beſtimm-
bare Menge der uͤbrigen nord- und ſuͤd-aſiati-
ſchen oder amerikaniſchen Sprachen, hat mit der
indiſchen Sprachfamilie durchaus keine weſentliche
Verwandtſchaft. In der Grammatik dieſer Spra-
chen, die von der indiſchen gleichfalls ganz ver-
ſchieden iſt, zeigt ſich zwar bei mehrern ein gleich-
foͤrmiger Gang; in den Wurzeln aber ſind ſie
auch unter ſich ſo durchaus verſchieden und ſo
ganz abweichend, daß ſich keine Moͤglichkeit zeigt,
ſie auf eine gemeinſchaftliche Quelle zuruͤckfuͤhren
zu koͤnnen.
Die großen Folgen dieſer Sprachvergleichung
fuͤr die aͤlteſte Geſchichte vom Urſprunge der Voͤl-
ker und ihren fruͤheſten Wanderungen, werden
in der Folge der Gegenſtand der Unterſuchung
ſein. In dieſem erſten Buche begnuͤgen wir uns,
jene Saͤtze ſelbſt, einfache aber viel umfaſſende
Reſultate gewiſſenhafter Forſchung zu begruͤnden
und deutlich zu machen.
Zweites Kapitel.
Von der Verwandtſchaft der Wurzeln.
Daß die behauptete Verwandtſchaft nicht irgend
auf etymologiſchen Kuͤnſteleien beruhe, deren man
ehe die rechte Quelle gefunden war, ſo viele er-
ſonnen hat, ſondern daß ſie dem unbefangenen
Forſcher als einfache Thaiſache ſich darbiete, wer-
den einige Beiſpiele am deutlichſten zeigen koͤnnen.
Wir erlauben uns dabei keine Art von Ver-
aͤnderungs- oder Verſetzungsregel der Buchſtaben,
ſondern fodern voͤllige Gleichheit des Worts zum
Beweiſe der Abſtammung. Freilich wenn ſich die
Mittelglieder hiſtoriſch nachweiſen laſſen, ſo mag
giorno von dies abgeleitet werden, und wenn
ſtatt des lateiniſchen f im Spaniſchen ſo oft h
eintritt, das lateiniſche p in der deutſchen Form
deſſelben Worts ſehr haͤufig f wird, und c nicht
ſelten h, ſo gruͤndet dieß allerdings eine Analogie
auch fuͤr andre nicht ganz ſo evidente Faͤlle. Nur
muß man, wie geſagt, die Mittelglieder oder die
allgemeine Analogie hiſtoriſch nachweiſen koͤnnen;
nach Grundſaͤtzen erdichtet darf nichts werden,
und die Uebereinſtimmung muß ſchon ſehr groß
und einleuchtend ſein, um auch nur geringe Form-
verſchiedenheiten geſtatten zu duͤrfen.
Ich fuͤhre zunaͤchſt einige indiſche Worte an,
welche dem Deutſchen eigenthuͤmlich ſind. Shri-
tyoti — er ſchreitet, vindoti — er findet,
ſhlißyoti — er umſchließet; Onto — das
Ende, Monuſchyo — der Menſch, Shvoſa,
Svoſtri — die Schweſter, Rotho — das
Rad, Bhruvo — die Brauen der Augen,
Torſho — der Durſt, Tandovon — der
Tanz, Ondani — die Enten, Noko — der
Nagel, ſthiro — unbeweglich, ſtier, Oſho-
non — das Eſſen u. ſ. w.
Andre Wurzeln ſtimmen mehr mit der Form
der Worte uͤberein, die ſich in den verwandten
Mundarten darbietet. Yūyon — ihr, Engliſch
you; ſhvopno — der Schlaf, Islaͤndiſch
ſveffn; lōkote — er ſieht, das altdeutſche
Lugen. Upo — auf, ſtimmt mit dem Nieder-
deutſchen uͤberein; desgleichen vetſi, vetti —
du weißt, er weiß, dem auch das lateiniſche videt
verwandt, doch mit etwas veraͤnderter Bedeutung.
Das Niederdeutſche iſt fuͤr die Etymologie uͤber-
haupt wichtig, weil ſich die aͤltern Formen oft
grade hier erhalten haben. Rokſho und Rak-
ſhoſo — Rieſe, koͤnnte das alte Recke ſein.
Wir haben hier nur einige wenige eigen-
thuͤmlich Deutſche Wurzeln zum Beiſpiel ange-
fuͤhrt, um allen Zweifeln entgegen zu kommen;
nicht ſolche Worte, die das Deutſche mit dem
Lateiniſchen und mit mehren der abgeleiteten
Sprachen gemein hat, wie Naſa — die Naſe,
miſhroti — er miſcht, Namo der Nahme;
oder insbeſondre mit dem Perſiſchen, wie Tvari —
die Thuͤr , Bondhon — das Band ,
Ghormo — warm , Gauh die Kuh
. Noch verweilen wir bei den allen die-
ſen Sprachen gemeinſchaftlichen Benennungen
von Vater, Mutter, Bruder und Tochter; im
Indiſchen Pita, Mata, Bhrata, Duhita;
wobei ich nur bemerke, daß alle dieſe Worte im
Accuſativ und einigen andern Caſus ein r an-
nehmen, pitoron, den Vater u. ſ. w. Mehrere
beſonders merkwuͤrdige dieſer gemeinſchaftlichen
Worte werden ſpaͤterhin vorkommen.
Aus der griechiſchen Sprache waͤhlen wir
vorzuͤglich nur ſolche Beiſpiele aus, die zugleich
die Aehnlichkeit und Gleichheit der Structur zei-
gen, oder einfache Grundbeſtandtheile der Spra-
che ſind. Oſmi, oſi, oſti — ich bin, du biſt,
er iſt — ſtimmt ganz mit εσμι, εσσι, εςτι uͤber-
ein, wenn wir in den erſten beiden Faͤllen fuͤr
ειμι und εις die aͤltere Form nehmen. An das
o ſtoße man ſich nicht; es iſt der kurze Vokal,
der wenn er nicht Anfangsbuchſtabe iſt, im Wor-
te ſelbſt nicht geſchrieben wird, dem grammati-
ſchen Syſtem zufolge ein kurzes a bedeutet, in
der herſchenden Ausſprache aber meiſtens als
kurzes o, in einigen Worten als kurzes e lautet.
Noch ein Beiſpiel mag die Aehnlichkeit be-
ſtaͤtigen. Dodami, dodaſi, dodati — ich
gebe, du giebſt, er giebt — ganz wie διδωμι
u. ſ. w.; das lange a ſtimmt indeſſen mehr zu
dem roͤmiſchen das, dat. — Ma iſt eine indi-
ſche Negation, wie im Griechiſchen μη. Der
kurze Vokal o oder a wird in derſelben Bedeu-
tung den Worten praͤfigirt, wie das α priva-
tivum. Dur wird in derſelben Bedeutung
praͤfigirt, wie das griechiſche δυς, im Perſiſchen
, wie — der uͤbelgeſinnte, der
Feind, indiſch durmonoh. Die indiſche Spra-
che hat mit der griechiſchen, lateiniſchen und
deutſchen nicht nur die Eigenſchaft gemein, daß
ſie der urſpruͤnglichen Bedeutung der Zeitwoͤr-
ter durch vorgeſetzte Partikeln die mannichfaltig-
ſten Nebenſtimmungen geben kann, ſondern die
meiſten aller der Partikeln, deren ſie ſich zu
dieſem Zweck bedient, finden ſich in den ge-
nannten Sprachen wieder. Dem Indiſchen und
Griechiſchen ſind folgende gemein: ſon genau
daſſelbe wie das griechiſche συμ; poti iſt das
alte ποτι fuͤr προς; onu bedeutet nach wie
ανα. Pro findet ſich in derſelben Bedeutung
auch im Lateiniſchen wie im Griechiſchen; ā
hat die Bedeutung des lateiniſchen ad, des
Deutſchen an; die verneinende Partikel no
ſtimmt mit dem Lateiniſchen und Deutſchen uͤber-
ein; upo iſt das Deutſche auf nach der nie-
derdeutſchen Ausſprache, ut das Deutſche aus
nach derſelbigen.
Wie viel Uebereinſtimmung in ſolchen ein-
fachen Grundbeſtandtheilen der Sprache beweiſe,
iſt jedem bekannt, der ſich mit Forſchungen der
Art beſchaͤftigt hat. Um ſo mehr uͤbergehen
wir Worte, wo die Uebereinſtimmung nur die
Wurzel betrift, ohne weitere Merkwuͤrdigkeit;
wie oſthi — Knochen, οςτεον; prothomo —
der erſte, πρωτος; etoron — ein andres,
das andre, ἑτερον; udokon — Waſſer, ὑδωρ;
druh und drumoh — der Baum, δρυς;
labho — das Nehmen, Empfangen, lobhote —
er nimmt, verwandt mit λαβω, λαμβανω;
piyote — er trinkt, πιει; ſevyoti er verehrt
und er wird verehrt, σεβειν u. ſ. w. Maſoh —
der Monath, μεις; Chondro der Mond heißt
auch Chondromah, wo die letzte Sylbe
wohl die Wurzel iſt, von der maſoh und auch
das Perſiſche abzuleiten iſt, wie auch das
Deutſche Mond, im Niederdeutſchen Mahn.
Nur aus der roͤmiſchen Sprache, in wel-
cher die Zahl der indiſchen Wurzeln vielleicht
mit am groͤßten iſt, fuͤhren wir einige Bei-
ſpiele der ſonderbaren Gleichheit wegen an.
Vohoti — vehit, vomoti — vomit,
vortute — vertitur, ſvonoh — ſonus,
nidhih — nidus, ſorpoh — ſerpens,
navyon — navis, danon — donum,
dinon — der Tag, dies, vidhova — vidua,
podon — pes, pedis; aſyon — das Antlitz,
os, yauvonoh — iuvenis, modhyoh —
medius, yugon — jugum, von yunkte —
iungit und iungitur; eine ſehr weitverbreitete
Wurzel, welche in den abgeleiteten Bedeutungen
auch in der philoſophiſchen Terminologie der In-
dier eine wichtige Stelle einnimmt. Ferner
roſoh — der Saft, ros; viroh — der Held,
vir; dontah — dentes, Perſiſch ;
ſoroh — ſeries; keſhoh — das Haar, fin-
det ſich noch in caeſa-ries, wovon Caeſar ſo
viel als crinitus wohl beſſer abgeleitet wird, als
auf die gewoͤhnliche Weiſe; ognih — das
Feuer, ignis: potih — der Gebieter oder et-
was beſitzend, deſſen maͤchtig — wird zur Bil-
dung zuſammengeſetzter Worte grade eben ſo
gebraucht wie das roͤmiſche potens. Worte die
man fuͤr ſchallnachbildend halten duͤrfte, wie
ſhuſhyoti ſugit, mormoroh — murmur,
tumuloh — tumultus, uͤbergehe ich ſo wie
viele andre, die bei genauer Unterſuchung wohl
nicht zweifelhaft ſcheinen duͤrften, doch aber nicht
ſo unmittelbar einleuchtend ſind als die eben an-
gefuͤhrten.
Die indiſchen Worte, welche ſich im Perſi-
ſchen wiederfinden, ſind dem eigenthuͤmlichen
Charakter dieſer Sprache gemaͤß am ſtaͤrkſten ab-
gekuͤrzt, und nur ſelten ganz unverletzt erhalten
wie rōjo — der Glanz, glaͤnzend — in
. Nicht nur faͤllt die Endung meiſtens
weg und wird das zweiſylbige Wort dadurch ein-
ſylbig wie apoh — Waſſer , oſpoh —
das Roß , bhiſhmoh oder bhimoh —
Schrecken — , ſhiroh — das Haupt —
; ſhakhoh — ein Zweig — , ka-
moh — Begierde — . Es gehen oft
noch weſentlichere Beſtandtheile verlohren wie
der Fuß — von podo oder pado, voll —
von purnon, der Leib — von tonuh
oder tonuh, zehn — von doſhoh,
ſchwarz — von ſhyamoh. Aus dem
dreiſylbigen pavokoh, der Reiniger auch ein
Beiwort des Feuers, wird das einſylbige ,
rein. Kaum wuͤrde man mitroh — der
Freund und dann auch ein Beiwort der Sonne —
noch in wiedererkennen, wenn nicht das
Mithras der Alten, uͤberhaupt aber die Analogie
bei der großen Menge aͤhnlicher Faͤlle zu Huͤlfe
kaͤme. Wenn man die andern Beiſpiele ver-
gleicht, moͤchte man immer glauben, daß auch
— der Hauch — noch von dem indiſchen
Atmoh der Geiſt u. ſ. w. komme, was ſich in
ατμη und Athem ganz erhalten hat. Fuͤr die
Ableitung des Perſiſchen wird es daher von
großem Nutzen ſein, wenn man auch auf die
neuere oft ſchon abgekuͤrzte Form Ruͤckſicht
nimmt, welche das alte Sanſkritwort im Pra-
krit oder in den hindoſtaniſchen Mundarten an-
nimmt.
Daß ein ſo uͤberwiegender Hang zum Ab-
kuͤrzen, der ſelbſt die Wurzeln und Stammſylben
angreift, ſich dem Onomatopoëtiſchen naͤhere und
den Geiſt der Sprache wieder zu dieſer Stufe
hinfuͤhre, kann das Perſiſche ſelbſt zum Beiſpiel
dienen; denn keine unter allen Sprachen, die
mit der indiſchen im naͤchſten Grade der Ver-
wandtſchaft ſtehen, liebt die ſchallnachbildenden
oder doch mit dem Schall ſpielenden Worte ſo
ſehr als dieſe.
Im Lateiniſchen und naͤchſtdem im Deut-
ſchen und Griechiſchen leiden die indiſchen Worte
ungleich weniger Veraͤnderung. Doch zeigt auch
hier oft die unmittelbare Vergleichung, daß die
indiſche Form die aͤltere ſei. Aus rōktoh
oder rōhitoh kann wohl roth, aus Schle-
ſhmo — Schleim, aus vohulon — viel
werden, da die Worte wie das Gepraͤge des
Geldes im Gebrauch und Umlauf ſich leicht ab-
ſchleifen und verwiſchen, aber nicht umgekehrt.
Oft treffen auch die an ſich ziemlich ent-
fernten Formen der abgeleiteten Sprachen in dem
indiſchen Worte, wie in ihrer gemeinſchaftlichen
Wurzel zuſammen. Aus putroh (dem das
celtiſche potr am treuſten geblieben iſt) kann
eben ſo leicht puer als werden; aus
ſvedoh wird Schweiß nach der niederdeut-
ſchen Ausſprache eben ſo gut abgeleitet als ſudor;
in noroh trift das perſiſche und das griechi-
ſche ανηρ zuſammen; in traſoh — Zittern
und Furcht — das griechiſche τρεω, das lateini-
ſche tremo und das perſiſche ; ſa-
mudron — das Meer — vereinigt das Deut-
ſche See und das griechiſche ὑδωρ; Knie wuͤr-
de man nicht von janu ableiten wollen, wenn
nicht γονυ und genu den Uebergang zeigten.
Noch wichtiger iſt es vielleicht, daß einige
Worte der neuern Sprachen, die ſich in dieſen
ſelbſt nicht weiter aufloͤſen laſſen, aus dem Indi-
ſchen ſich ableiten und nach ihrer Zuſammenſetzung
erklaͤren laſſen. Prandium z. B. wird gewiß
ohne Zwang von dem indiſchen prahnoh —
der Vormittag — abgeleitet, welches ſelbſt aus
der Partikel pro und ohoh der Tag, im fuͤnf-
ten und ſechſten Caſus ohnoh zuſammengeſetzt
iſt. Eben ſo monile von moni Edelſtein.
Sponte koͤmmt mit dem Ablativ ſvante auch
in der Bedeutung uͤberein; ſvanton aber iſt
zuſammengeſetzt aus der Partikel ſvo und
onto — quod finem ſuum in ſe habet.
Auffallend iſt es, wie groß mannichmal ſelbſt
in einer beſtimmten Flexion die Uebereinſtimmung
iſt; ayonton z. B. und euntem, von yati,
er geht, auch eti, it; oder wie dieß auch bei zu-
ſammengeſetzten Worten zutrift, wie Tvarſthi-
to — der Thuͤrſteher, Ontortvari — die innre
Thuͤr.
Auch bleibt es immer merkwuͤrdig, obwohl
man aus einzelnen Aehnlichkeiten der Art viel
zu viel fuͤr das Ganze geſchloſſen hat, daß mehre
griechiſche und roͤmiſche Goͤtternahmen, die in die-
ſen Sprachen ſelbſt keine Ableitung finden, aus
dem Indiſchen erklaͤrt werden koͤnnen. Doch dieß
gehoͤrt zum Theil einer andern Unterſuchung an;
wir beſchraͤnken uns hier einzig auf die Sprache,
und uͤbergehen alles, was nicht auf den erſten Blick
gewiß iſt und eine weitere Auseinanderſetzung fo-
dern wuͤrde. Nur das eine mag der Merkwuͤrdig-
keit wegen im Vorbeigehn angefuͤhrt werden, daß
ſelbſt der Nahme Roma’s indiſch ſein duͤrfte.
Zwar bietet ſich das griechiſche ῥωμη dar, das
aber auch ziemlich allein ſteht, und welcher Spra-
che das Wort urſpruͤnglich angehoͤre, kann wohl
kein Zweifel bleiben, wenn man betrachtet, wie
weit das Geſchlecht der Wurzel romo, ro-
mote, wovon roti, ramo u. ſ. w., ſich im In-
diſchen ausbreitet, welche Worte ſaͤmmtlich Freude,
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beſonders auch des Siegers und Helden bedeuten,
und in dem alten Gedicht vom Ramo ſo oft
zu Anklaͤngen und ſchoͤnen Anſpielungen auf den
Nahmen des Helden gebraucht werden.
Ein und daſſelbe indiſche Wort trift in einer
Umbiegung oft mehr mit der einen, in der andern
mit einer andern der verwandten Sprachen uͤber-
ein. Chindonti z. B. iſt faſt ganz wie ſcin-
dunt; der Infinitiv chettun aber naͤhert ſich
eher dem Deutſchen ſcheiden; dem tonu iſt
tenuis aͤhnlicher als duͤnn, das Zeitwort to-
no̅ti (deſſen Bedeutung tonu auch neben jener
umfaßt,) ſtimmt mehr mit dem Deutſchen dehnet
uͤberein, als mit dem Lateiniſchen in extendit.
Zerſtreute Glieder der abgeleiteten Sprachen finden
ſich im Indiſchen wie an der Wurzel zuſammen;
ut, das deutſche aus nach der niederdeutſchen
Form, iſt ſchon angefuͤhrt worden: davon iſt der
regelmaͤßig gebildete Comparativ uttoron, das
deutſche aͤußern; der regelmaͤßige Superlativ
uttomon, das Lateiniſche ultimum, in der Be-
deutung aber wie ſummum. Alle im Lateini-
ſchen, Deutſchen, Perſiſchen zerſtreute Worte
von der Familie mors, mortalis, , ,
morden, Mord, finden ihren gemeinſchaftlichen
regelmaͤßigen Urſprung in der indiſchen Wurzel
mri, wovon mrityuh, morttyah, moro-
non u. ſ. w. Daſſelbe gilt von der in allen
vier Sprachen, der lateiniſchen, griechiſchen, per-
ſiſchen und deutſchen ſo weit verbreiteten Wort-
familie Stehen und Stand; tiſthoti — er
ſteht — koͤmmt am meiſten mit dem Griechiſchen
uͤberein; ſthanon — der Ort — mit dem perſi-
ſchen ; ſthiro — unbeweglich — das
deutſche ſtier, iſt ſchon angefuͤhrt worden. Auch
janami, gigno, γενναω, iſt eine ſehr frucht-
bare Wurzel. Es ſind deren zu viel, um ſie alle
anzufuͤhren.
Als ein beſonders lehrreiches Beiſpiel gemein-
ſchaftlicher Abſtammung aus dem Indiſchen waͤh-
len wir einige der vornehmſten Worte, die Geiſt,
Denken, Wiſſen oder Reden bedeuten. Mo-
noh, monoſon iſt das lateiniſche mens; das
Zeitwort monyote — er denkt — finden wir
in dem deutſchen meinet. Motih iſt das
griechiſche μητις. Eine andre mit dieſer und
mit dem deutſchen Muth verwandte Form liegt
wohl in Amo̅doh — Vergnuͤgen, Anmuth —
zum Grunde; denn das a iſt auch in dem indi-
ſchen Amo̅do (dem vielleicht auch das perſiſche
Hoffnung, verwandt iſt) nur Praͤpoſition;
von eben der Wurzel waͤre dann unmadoh,
wo un die nach dem Geſetz der Euphonie ver-
aͤnderte Praͤpoſition ut iſt; unmadoh — ra-
ſend, woͤrtlich ſo viel als exmens, was in dem
Engliſchen mad noch verſtuͤmmelt uͤbrig ſein koͤnn-
te. Atmoh, was ipſe und ſpiritus bedeutet,
im Griechiſchen und Deutſchen ατμη und
Athem, iſt ſchon vorgekommen. Desgleichen die
Wurzel Bedo, wovon vetti, das deutſche Wiſ-
ſen; etwas abweichend in der Bedeutung, aber
treuer in der Form iſt das lateiniſche video.
Von der fruchtbaren Wurzel jna, die gleichfalls
Wiſſen, Erkennen und Verſtehen bedeutet, das
perſiſche , , .
Tiefes Sinnen und Nachdenken bezeichnet die
Wurzel dhī, wovon dhīyote, das deutſche
dichtet in der urſpruͤnglichen Bedeutung, wie
in Dichten und Trachten; ferner dhyayo, dhya-
yoti u. ſ. w. verwandt mit dachte. Vox kann
von vocho oder von vakyon abgeleitet werden;
beide Formen ſind gebraͤuchlich. Die Wurzel re
bezeichnet Sprache und Rede, wie dieſes letzte
im Deutſchen. Ganon heißt cantus; von der
Wurzel gi, giyote er ſingt; im Perſiſchen
ſingen und leſen.
Die indiſchen Pronomina ſtimmen am mei-
ſten mit den roͤmiſchen uͤberein. Zwar tvon,
Du — iſt allen den abgeleiteten Sprachen ge-
mein; ohon, ich — hingegen verſchieden und
hoͤchſtens nur in dem celtiſchen on noch ſichtbar;
der Dativ moya, mir — iſt dem griechiſchen
μοι am naͤchſten; das me, was ſtatt man —
mich, und auch im vierten und ſechſten Caſus ge-
braucht wird, dem Griechiſchen mit dem Roͤmi-
ſchen gemein. Von der Wurzel ſvo aber (wo-
won ſuus, a, um und ſein), die als Partikel ſo
oft praͤfigirt wird, um Beziehung auf ſich ſelbſt
oder Kraft durch ſich ſelbſt zu bezeichnen, kommen
auch Caſus vor, die ganz den Roͤmiſchen gleich
ſind, wie ſvon — ſuum, ſvan — ſuam u. ſ. w.
Das Pronomen eſchoh, eſcha, etot iſt wohl
die gemeinſchaftliche Wurzel von is, ea, id und
iſte, iſta, iſtud, da es in den abgeleiteten Caſus
auch der beiden erſten Geſchlechter meiſtens ein t
annimmt; dahin gehoͤrt auch das zuruͤckweiſende
iti, was bald dem id, bald dem ita entſpricht.
Koh (in der Conſtruction meiſtens kos), ka,
kon entſpricht noch dem qui, quae, quod ſelbſt
in einigen abgeleiteten Caſus, wie kan — quam,
wie das fragende kim dem quid; das Perſiſche
iſt eben daher. Dagegen entſpricht das
ſchon angefuͤhrte yūyon dem Deutſchen in der
engliſchen Form you; das Pronomen ſoh fin-
det ſich im Hebraͤiſchen, und Arabiſchen, und auch
im Altdeutſchen; der Accuſativ ton iſt noch ganz
das griechiſche τον, deutſch den; der Genitiv
toſyo das deutſche deſſen, der Pluralis te
das Deutſche die; tot, da der kurze Vokal
eben ſo wohl a als o ſein kann, entſpricht dem
deutſchen das, niederdeutſch dat. Da oyom
in den meiſten Caſus ein i annimmt, worin
das y ſehr oft regelmaͤßig uͤbergeht, ſo koͤnnte
das perſiſche davon abgeleitet werden, wo-
mit jener verwandt. Noch mehres andre lieſſe
ſich beibringen, was uns aber zu tief in die
Etymologie fuͤhren wuͤrde.
Hieher gehoͤren auch die Zahlworte. Eins,
fuͤnf, hundert und tauſend — eko, poncho,
ſhoto, ſohosro — ſtimmen mit dem per-
ſiſchen , , , — uͤber-
ein. Die uͤbrigen erſten — chotur — vier,
im Slaviſchen chetyr, ausgenommen — ſind ge-
nau wie in unſern Sprachen bis auf die abge-
leiteten Zahladjektive; tvītiyoh, — trīti-
yoh — der zweite und der dritte — entſpricht
am meiſten dem Deutſchen; ſoptomoh (die
Aſpiration am Ende wird in der Conſtruction oft
in ein s verwandelt, dann alſo ſoptomos)
ſoptoma, ſoptomon ſtimmt auf das ge-
naueſte mit dem roͤmiſchen ſeptimus, a, um
uͤberein; desgleichen duadoſho, duodecim.
Bis jetzt haben wir nur ſolche Faͤlle an-
gefuͤhrt, wo die Uebereinſtimmung in den
einzelnen Worten noch unmittelbar ſichtbar iſt.
Wollten wir auf die Unterſuchung der Wurzeln
eingehen, wo die Verwandtſchaft auch ſicher
genug iſt, aber nur mehr Analyſe erfordert —
wie z. B. moho oder maho in magnus,
maͤchtig und , oder volo, valo, was
Kraft bedeutet, in validus ſichtbar; tomo — fin-
ſter, mit daͤmmern, lo̅hitoh roth und bren-
nend mit dem Deutſchen Lohe, cheſtote — er
ſucht, begehrt — mit quaeſitus und
verwandt iſt; oder an verſchiedene Biegungen ei-
ner Wurzel goccho, goto, gomo, gamino
ſich viele abgeleitete wie gehen, going, kom-
men, caminus anreihen; — ſo wuͤrden wir
ſtatt einer Abhandlung ein vergleichendes Woͤr-
terbuch entwerfen und einen betraͤchtlich großen
Theil aller der genannten Sprachen durchgehen
muͤſſen.
Aus dem gleichen Grunde haben wir uns
auch ſolcher Beiſpiele enthalten, wo das Wort
ſelbſt zwar daſſelbe geblieben iſt, die Bedeutung
aber eine kleine Ablenkung erlitten hat, wie
vījon — der Saame, in vis; guno die Ei-
genſchaft, verſchiedne Art und Weiſe, in —
die Farbe. Wer kann bezweifeln, daß morden
und daſſelbe Wort ſeien, obgleich das
erſte active, das zweite paſſive Bedeutung hat?
iſt unſtreitig devo, lateiniſch divus und
deus; obgleich von boͤſen, devo immer
nur von guten Geiſtern gebraucht wird. In
modhuroh — in der Conſtruction modhu-
ros — modhura, modhuron wird man
maturus, a, um nicht verkennen, obgleich das
indiſche Wort ſuͤß bedeutet; das Subſtantiv
modhu, Honig, iſt das deutſche Meth. Eben
ſo lo̅koh, die Welt, der Weltraum — locus;
veſthitoh, bedeckt — veſtitus; mordjaroh,
die Katze, das deutſche Marder. Thiernah-
men gehen oft auf noch entferntere Gattungen
uͤber, wie vulpis, Wolf; — der Vogel,
wuͤrde man gewiß nicht darauf kommen, mit
mrigo — Wild uͤberhaupt und beſonders das
Reh — zuſammen zu ſtellen, wenn nicht die in-
diſche Wurzel auch die Jagd, uͤberhaupt ein ſchnel-
les Fliehen und Verfolgen bedeutete. Topo
und Tapo wird in den indiſchen Schriften ſo
haͤufig fuͤr Buße gebraucht, daß man die ur-
ſpruͤngliche Bedeutung Hitze faſt daruͤber vergißt,
die dem roͤmiſchen tepeo allein geblieben iſt; ob-
wohl auch die indiſche Wurzel ſie noch beibehal-
ten hat, ſelbſt in den abgeleiteten Formen, wie
tapoyittun — calefacere, das griechiſche
θαλπειν. Auf dieſe Weiſe treten oft ſehr ent-
fernte Bedeutungen und Worte zuſammen, wenn
man die Mittelglieder kennt, und die verwandten
Sprachen in ihrer Verbindung betrachtet. So
duͤrfte das perſiſche — Wohlgeruch, Duft —
zunaͤchſt wohl von Blumen, nach der
Garten, zu urtheilen — von dem indiſchen
puſhpo — Blume, abzuleiten ſein, womit noch
verwandt das deutſche Buſch. Vieler andern
Beiſpiele nicht zu erwaͤhnen, die manche Auf-
ſchluͤſſe geben und manche Bemerkung veranlaſſen
wuͤrden, uͤber die Art wie und die Geſetze nach
welchen die Bedeutung der Worte ſich zu veraͤn-
dern pflegt.
Drittes Kapitel.
Von der grammatiſchen Structur.
Koͤnnte man aber nicht vielleicht dieſen ganzen
Beweis umkehren und ſagen: die Verwandtſchaft
iſt auffallend genug und mag zum Theil gegruͤn-
det ſein, woraus folgt aber daß die indiſche un-
ter den verwandten Sprachen grade die aͤltere
und ihr gemeinſchaftlicher Urſprung ſei? Kann
ſie nicht eben ſo gut erſt durch Miſchung der
andern entſtanden ſein, oder doch dadurch dieſe
Aehnlichkeit erhalten haben?
Nicht zu erwaͤhnen, daß vieles von dem
ſchon angefuͤhrten und auch manche andre Wahr-
ſcheinlichkeit dagegen ſpricht, ſo werden wir jetzt
auf etwas kommen, was die Sache voͤllig ent-
ſcheidet und zur Gewißheit erhebt. Ueberhaupt
duͤrfte die Hypotheſe, welche, was ſich in Indien
Griechiſches findet, von den Seleuciden in Bac-
trien herleiten zu koͤnnen meint, nicht viel gluͤck-
licher ſein als die, welche die aegyptiſchen Py-
ramiden fuͤr natuͤrliche Kryſtalliſationen ausgeben
wollte.
Jener entſcheidende Punkt aber, der hier
alles aufhellen wird, iſt die innre Structur der
Sprachen oder die vergleichende Grammatik, wel-
che uns ganz neue Aufſchluͤſſe uͤber die Genea-
logie der Sprachen auf aͤhnliche Weiſe geben
wird, wie die vergleichende Anatomie uͤber die hoͤ-
here Naturgeſchichte Licht verbreitet hat.
Wir ſondern von den verwandten Sprachen
zuerſt die perſiſche ab, deren Grammatik, welche
von der arabiſchen durch den langen und alten
Verkehr der beiden Voͤlker ſogar die perſoͤnlichen
Suffixa angenommen hat, mit der indiſchen und
den uͤbrigen ungleich weniger uͤbereinſtimmt, als
ſelbſt jetzt noch die deutſche, der griechiſchen und
roͤmiſchen zu geſchweigen. Stellt man aber alle
Aehnlichkeiten zuſammen, ſo ſind ſie allerdings
von Gewicht.
Die Declination bietet am wenigſten dar,
oder eigentlich nichts; man muͤßte denn den
Comparativ , wie im Griechiſchen und Indi-
ſchen taro, hieher rechnen; und das Diminutiv
durch k, wie im Deutſchen und Indiſchen, z. B.
Manovokoh, Diminutiv von manovoh der
Mann; , das Toͤchterchen. Ungleich
mehr die Conjugation; Kennzeichen der erſten
Perſon iſt m, was ſelbſt im Lateiniſchen verloh-
ren iſt, im Indiſchen und Griechiſchen vollſtaͤn-
diger mi lautet; von dem ſi der zweiten Per-
ſon im Indiſchen und Griechiſchen iſt nur das i
geblieben; Kennzeichen der dritten Perſon iſt t
oder d, im Pluralis nd, wie im Lateiniſchen
und Deutſchen; im Griechiſchen vollſtaͤndiger ti
und nti nach der aͤltern Form. Das perſiſche
Participium praeſens und activum auf ndeh
iſt wie das deutſche in nd, alt nde; das Par-
ticipium praeteritum und paſſivum in deh mit
einem vorangehenden gedehnten Vokal, ſtimmt
mit dem lateiniſchen in tus, a, um und mit
der altdeutſchen Form im Gothiſchen uͤberein;
dergleichen ſich auch unter den indiſchen Ver-
balibus finden, wie kritoh.
Auch darf nicht uͤbergangen werden, daß
die Endungen , , und , die an
zuſammengeſetzten Adjectiven einen, der auf ge-
wiſſe Weiſe handelt und etwas macht, oder gear-
tet iſt oder etwas beſitzt, bezeichnen, den indiſchen
karo und koro, voro und dhoro entſpre-
chen; desgleichen die Endung dem indi-
ſchen Particip auf mano. Die verneinenden
Partikeln , und ſind die indiſchen
no, ni und ma; die Partikel , die in pri-
vativer Bedeutung praͤfigirt wird, wie das indi-
ſche vi; ferner und innen,
wie das indiſche ontor und ontoron, und
das ſchon angefuͤhrte Pronomen , indiſch
koh.
Vorzuͤglich aber die Huͤlfsverba —
oſti, — geweſen, von bhovoti — er
iſt, im Prakrit — bho̅di, im Praeterito des
Sanſkrit obhūt. — thun, ma-
chen — indiſch korttun, iſt, eben wie dieſes in
den neu-indiſchen Mundarten, ein allgemeines
Huͤlfsverbum im Perſiſchen; an einige Biegun-
gen der indiſchen Wurzel kri, wie kriyan,
kriyote ſchließt ſich noch das lateiniſche creare
an.
Es waͤre zu wuͤnſchen, daß jemand der mit
allen Huͤlfsmitteln dazu verſehen waͤre, Unter-
ſuchungen daruͤber anſtellte, wie die perſiſche
Grammatik ehedem beſchaffen geweſen, ob ſie ſich
vielleicht in einigen Stuͤcken geaͤndert hat, und
einſt der indiſchen und griechiſchen noch aͤhnlicher
war, als ſie es jetzt iſt. Dieß wuͤrde mehr Auf-
ſchluß und Beſtaͤtigung geben, als eine noch ſo
große Anzahl uͤbereinſtimmender Wurzeln. Ue-
berhaupt ware zu wuͤnſchen, daß das Studium
dieſer ſchoͤnen Sprache auch in Deutſchland all-
gemeiner wuͤrde. Fuͤr Poeſie duͤrfte außer der
Griechiſchen nicht leicht eine belohnender gefun-
den werden Die Pariſer Bibliothek iſt nicht nur ſehr reich an perſiſchen
Manuſcripten, ſondern beſitzt auch an Herrn Chezy ei-
nen Gelehrten, der die vertrauteſte Kenntniß der Sprache
überhaupt mit einem beſonders feinen und geübten Gefühl
für die eigenthümlichen Schönheiten und Schwierigkeiten
der perſiſchen Dichterſprache verbindet.. Die oft bemerkte Verwandt-
ſchaft des Perſiſchen mit dem Deutſchen iſt auſ-
ſerdem ſo groß, daß die Hoffnung wohl nicht
uͤbertrieben waͤre, hier vielleicht manches zu finden,
wodurch eins oder das andre in der aͤlteſten ger-
maniſchen Geſchichte mehr erklaͤrt wuͤrde. Wer
das Perſiſche zu ſeinem Hauptſtudium erwaͤhlen
will, ſollte ſich auch die ſlaviſchen Sprachen zu
eigen zu machen ſuchen. Ihre Vergleichung,
ihre Aehnlichkeit und Unaͤhnlichkeit kann vielleicht
uͤber manches Licht geben, was die Alten aus
fruͤher Zeit von Kriegen der Perſer und Scythen
berichten, und was jetzt einzeln und unerklaͤrt
da ſteht.
In der deutſchen Grammatik finden ſich
außer denen, die ſie mit der perſiſchen gemein
hat, noch mehre andre Uebereinſtimmungen mit
der griechiſchen und indiſchen. Im Deutſchen
wie im Indiſchen durchgaͤngig iſt n Kennzeichen
des Accuſativs, s des Genitivs. Die Endſylbe
tvon bildet im Indiſchen die Subſtantiva der
Beſchaffenheit, grade ſo wie das Deutſche thum
gebraucht wird. Der Conjunktiv wird zum
Theil durch eine Veraͤnderung des Vokals be-
zeichnet, wie in allen Sprachen, die der alten
Grammatik folgen. Eben ſo uͤbereinſtimmend iſt
die Bildung des Imperfectums durch Veraͤnde-
rung des Vokals in einer Gattung der deutſchen
Zeitwoͤrter. Wird in einer andern das Imper-
fectum durch ein eingefuͤgtes t gebildet, ſo iſt
dieß freilich eine beſondre Eigenthuͤmlichkeit, eben
ſo wie das b im roͤmiſchen Imperfectum; das
Princip aber iſt immer noch daſſelbe, daß nehm-
lich die Nebenbeſtimmung der Bedeutung nach
der Zeit und andern Verhaͤltniſſen nicht durch
beſondre Worte oder von außen angehaͤngte Par-
tikeln geſchieht, ſondern durch innre Modification
der Wurzel.
Nehmen wir vollends die Grammatik der
aͤltern Mundarten hinzu, des Gothiſchen und
Angelſaͤchſiſchen fuͤr den Deutſchen, des Islaͤn-
diſchen fuͤr den ſkandinaviſchen Zweig unſrer
Sprache; ſo finden wir nicht nur ein Perfectum
mit einem Augment, wie im Griechiſchen und
Indiſchen, einen Dualis, genauere Geſchlechts-
und Verhaͤltnißbeſtimmungen der Participien und
der Declination, die jetzt verlohren, ſondern auch
viele andre Flexionen, die jetzt ſchon etwas abge-
ſtumpft und weniger kenntlich ſind; die dritte
3
Perſon im Singularis und Pluralis der Zeit-
worte zum Beiſpiel, zeigen ſich wieder vollſtaͤn-
dig und in vollkommner Uebereinſtimmung. Es
kann mit einem Worte bei der Betrachtung die-
ſer alten Denkmahle der germaniſchen Sprache
nicht der mindeſte Zweifel uͤbrig bleiben, daß ſie
ehedem eine ganz aͤhnliche grammatiſche Struc-
tur hatte, wie das Griechiſche und Roͤmiſche.
Noch jetzt ſind ſehr viele Spuren dieſer aͤl-
tern Sprachform im Deutſchen, im eigentlichen
Deutſchen mehr, als im Engliſchen und in den
ſkandinaviſchen Mundarten uͤbrig; wenn aber im
Ganzen hier das Princip der neuern Gramma-
tik, die Conjugation vorzuͤglich durch Huͤlfsverba,
die Declination durch Praͤpoſitionen zu bilden,
herrſchend iſt, ſo darf uns dieß um ſo weniger
irre machen, da auch die ſaͤmmtlichen aus dem
Lateiniſchen abſtammenden romaniſchen Sprachen,
wie nicht minder alle hindoſtaniſche Mundarten,
wie ſie jetzt noch geſprochen werden, die ſich zum
Sanſkrit etwa eben ſo verhalten, wie jene zum
Lateiniſchen, eine aͤhnliche Veraͤnderung erlitten
haben. Es bedarf auch keiner aͤuſſern Urſache,
um dieſe uͤberall gleichfoͤrmig ſich zeigende Er-
ſcheinung zu erklaͤren. Die kunſtreiche Structur
geht durch die Abſchleifung des gemeinen Ge-
brauchs beſonders in einer Zeit der Verwilde-
rung gern verlohren, entweder ganz allmaͤhlig,
oder bisweilen auch mehr auf einmal; und jene
Grammatik durch Huͤlfsverba und Praͤpoſitionen
iſt in der That die kuͤrzeſte und bequemſte, gleich-
ſam eine Abbreviatur zum leichten allgemeinen
Gebrauch; ja man koͤnnte es faſt als eine allge-
meine Regel aufſtellen, daß eine Sprache um ſo
leichter zu erlernen ſei, je mehr ihre Structur
ſich ſchon vereinfacht und dieſer Abbreviatur ge-
naͤhert hat.
Mit der griechiſchen und roͤmiſchen Gram-
matik ſtimmt die indiſche ſo ſehr uͤberein, daß ſie
weder von der einen noch von der andern mehr
verſchieden iſt, als dieſe beiden es unter ſich ſind.
Das Weſentliche iſt die Gleichheit des Princips,
alle Verhaͤltniſſe und Nebenbeſtimmungen der
Bedeutung nicht durch angehaͤngte Partikeln oder
Huͤlfsverba, ſondern durch Flexion d. h. durch
innre Modification der Wurzel zu erkennen zu
geben. Doch erſtreckt ſich zur mehren Beſtaͤti-
gung die Aehnlichkeit bis auf eine voͤllige Gleich-
heit mancher Biegungsſylben oder Buchſtaben.
Das Futurum wird durch ein ſ gebildet wie im
Griechiſchen; korōmi — ich thue, kori-
ſhyami — ich werde thun; das Imperfectum
durch vorgeſetzten kurzen Vokal und die Endung
on; bhovami — ich bin, obhovon — ich
war. Die auffallende Gleichheit der Geſchlechts-
biegung der Adjectiven mit den roͤmiſchen, des
indiſchen Comparativs mit dem griechiſchen, und
der Perſonalendungen des Zeitworts mit den
griechiſchen iſt ſchon angefuͤhrt worden, wie auch
das Perfectum mit dem Augment. Dieſes ſtimmt
auch darin mit dem griechiſchen uͤberein, daß es
die erſte Perſon nicht in mi oder on, wie die
andern Tempora, noch die dritte Perſon in t
oder ti, ſondern beide mit einem Vokal endet;
chokaro — ich habe und er hat gethan,
vobhuvo — ich bin geweſen und er iſt gewe-
ſen. Solche Uebereinſtimmung bis in die fein-
ſten Einzelnheiten der Structur ſind gewiß mehr
als eine bloße Merkwuͤrdigkeit fuͤr jeden, der
uͤber Sprache nachgedacht hat. Die Endung
der dritten Perſon des Imperativs iſt otu,
im Pluralis ontu; die Endung des erſten Par-
ticips im maͤnnlichen Geſchlechts on. Doch es
waͤre uͤberfluͤſſig, alles anfuͤhren zu wollen, wo
manches einzelne ſo auffallend uͤbereinſtimmend
gefunden ward, daß es faſt allein entſcheiden
koͤnnte.
Der lateiniſche Infinitiv koͤnnte mit ſeiner
Endung in re eine große Abweichung ſcheinen;
und allerdings iſt dieß eine eigenthuͤmliche Be-
ſonderheit des Roͤmiſchen, wo es von den uͤbrigen
Sprachen gleicher Familie in der Bildung eines
der wichtigſten Redetheile abgeht. Da indeſſen
der indiſche Infinitiv auf tun eben ſo oft oder
noch oͤfter in der Bedeutung dem roͤmiſchen Su-
pinum, das ihm auch in der Form gleicht, als
dem eigentlichen Infinitiv entſpricht, ſo zeigt ſich
auch hier noch das Band der Aehnlichkeit, und
ein Punkt des Uebergangs.
In der Declination entſpricht der fuͤnfte
Caſus in at dem lateiniſchen Ablativ in ate,
der ſiebte Caſus des Pluralis in eſhu, iſhu
u. ſ. w. dem griechiſchen εσσι und οισι — der
vierte und fuͤnfte Caſus in bhyoh, was in der
Conſtruction oft bhyos wird, mit vorhergehen-
den langem Vokal, dem lateiniſchen Dativ und
Ablativ in bus. Den indiſchen Dativ des Sin-
gularis in ayo koͤnnte man mit dem alten roͤ-
miſchen in aï vergleichen, die Endung des Dua-
lis in au mit der griechiſchen in ω. Auch in
manchen Eigenthuͤmlichkeiten oder beſondern Ne-
benbeſtimmungen der Grundregel ſtimmt die in-
diſche Declination mit den genannten Sprachen
uͤberein; Neutra z. B. lauten auch hier durch-
gaͤngig im Accuſativ wie im Nominativ; im
Dualis haben mehre Caſus, die in den andern
Zahlen unterſchieden werden, nur eine und die-
ſelbe Biegung.
Was fruͤher beilaͤufig von aͤhnlichen Ueber-
einſtimmungen vorgekommen iſt, wiederhohlen
wir nicht, uͤbergehen auch manches, was neben
dem andern immer noch von Gewicht ſein duͤrfte.
Allerdings bleibt bei der großen Uebereinſtim-
mung im Weſentlichen und Ganzen auch eine
betraͤchtliche Verſchiedenheit im Einzelnen und
mehr Zufaͤlligen zuruͤck. Hauptſaͤchlich beſteht
aber der Unterſchied doch darin, daß die indiſche
Grammatik in derſelben Art, wie die griechiſche
und roͤmiſche, noch regelmaͤßiger, demſelben Geſetz
der Structur, wenn ich ſo ſagen darf, noch treuer
und eben dadurch zugleich einfacher und kunſtrei-
cher iſt als dieſe. Die griechiſche und roͤmiſche
Sprache declinirt, d. h. ſie beſtimmt die Verhaͤlt-
niſſe des Subſtantivs nicht durch angehaͤngte oder
vorgeſetzte Partikeln, wie groͤßtentheils in den
neuern Sprachen geſchieht. Doch iſt auch ihre
Declination nicht vollſtaͤndig genug, um der Bei-
huͤlfe der Praͤpoſitionen ganz entbehren zu koͤn-
nen. Die indiſche Declination bedarf derſelben
niemals; fuͤr die Verſchiedenheiten, welche durch
die Praͤpoſitionen — cum, ex, in — bezeichnet
werden, die den lateiniſchen Ablativ ſo oft erſt
naͤher beſtimmen muͤſſen, hat ſie eigne Caſus.
Ob man ſagen duͤrfe, daß die indiſche Sprache
gar keine irregulaͤren Zeitwoͤrter habe, wage ich
nicht zu behaupten; gewiß aber iſt es, daß dieß
in gar keinem Verhaͤltniſſe, weder der Zahl noch
dem Grade nach, mit der Unregelmaͤßigkeit der
griechiſchen und roͤmiſchen Zeitwoͤrter ſteht. Die
Conjugation ſelbſt iſt regelmaͤßiger; der Impera-
tiv hat noch eine erſte Perſon und ſteht in der
Reihe der uͤbrigen vollſtaͤndigen Arten; auch iſt
die zweite Perſon des Imperativs nie ſo abge-
kuͤrzt und verſtuͤmmelt, wie es im Perſiſchen im-
mer, in den andern verwandten Sprachen doch
ſehr haͤufig der Fall iſt. Die Art aus einem
einfachen Zeitwort ein frequentatives oder deſi-
deratives oder eines zu bilden, was bedeutet die
Handlung verurſachen und durch einen andern
bewirken, iſt durchaus gleichfoͤrmig und auf alle
Wurzeln anwendbar. Die große Anzahl der
aus dem Zeitwort ſammt dem Infinitiv abgelei-
teten Verbalia bilden ein noch vollſtaͤndigeres
Ganzes. Faſt alle indiſchen Adjectiva ſind Ver-
balia, regelmaͤßig aus einem Zeitwort abgelei-
tet, ſo wie faſt alle Nomina propria bedeuten-
de Epitheta; unter allen Sprachen laͤßt ſich kei-
ne wohl ſo ganz aus ſich ſelbſt erklaͤren als die
indiſche.
Obwohl es zu viel geſagt ſein wuͤrde, wenn
man es auf alles ausdehnen wollte, daß ſich
das Griechiſche und Roͤmiſche in Ruͤckſicht der
Grammatik zum Indiſchen wieder verhalte, wie
die romaniſchen Sprachen zur lateiniſchen; ſo
iſt es doch unlaͤugbar wahr, daß ſie in einigen
Punkten, durch die Beihuͤlfe der Praͤpoſitionen
und durch die ſchwankendere Unregelmaͤßigkeit,
ſchon den Uebergang zu der modernen Gramma-
tik bilden, und daß die regelmaͤßige Einfachheit
der indiſchen Sprache in der gleichen Structur
ein untruͤgliches Kennzeichen des hoͤhern Alter-
thums iſt. Wichtig iſt auch folgender Unter-
ſchied. Im Griechiſchen kann man noch wenig-
ſtens einen Anſchein von Moͤglichkeit finden, als
waͤren die Biegungsſylben aus in das Wort
verſchmolznen Partikeln und Huͤlfsworten ur-
ſpruͤnglich entſtanden, obwohl man dieſe Hypo-
theſe nicht wuͤrde durchfuͤhren koͤnnen, ohne
faſt alle jene etymologiſchen Kuͤnſte und Gauke-
leien zu Huͤlfe zu nehmen, denen man zuvoͤr-
derſt allen ohne Ausnahme den Abſchied geben
ſollte, wenn man die Sprache und ihre Entſte-
hung wiſſenſchaftlich d. h. durchaus hiſtoriſch be-
trachten will; und kaum moͤchte ſichs auch dann
noch durchfuͤhren laſſen. Beim Indiſchen aber
verſchwindet vollends der letzte Schein einer ſol-
chen Moͤglichkeit, und man muß zugeben, daß
die Structur der Sprache durchaus organiſch
gebildet, durch Flexionen oder innre Veraͤnde-
rungen und Umbiegungen des Wurzellauts in
allen ſeinen Bedeutungen ramificirt, nicht bloß
mechaniſch durch angehaͤngte Worte und Parti-
keln zuſammengeſetzt ſei, wo denn die Wurzel
ſelbſt eigentlich unveraͤndert und unfruchtbar
bleibt. Daß eine ſo kunſtreiche Grammatik den-
noch ſehr einfach ſeyn koͤnne, zeigt das Beiſpiel
der indiſchen ſelbſt am beſten. Es wird auch
nichts dazu vorausgeſetzt als etwas, was man
doch wohl annehmen muß, um den Urſprung
der Sprache auf eine deutliche und verſtaͤndliche
Art zu erklaͤren; ein ſehr feines Gefuͤhl nehm-
lich fuͤr den unterſcheidend eigenthuͤmlichen Aus-
druck, fuͤr die urſpruͤngliche Naturbedeutung,
wenn ich ſo ſagen darf, der Buchſtaben, der
Wurzellaute und Sylben; ein Gefuͤhl, das wir
uns jetzt, da das Gepraͤge der Worte durch lan-
gen Gebrauch verwiſcht, das Ohr durch die ver-
worrne Menge allartiger Eindruͤcke abgeſtumpft
worden iſt, kaum mehr in ſeiner ganzen Reg-
ſamkeit und Lebendigkeit vorſtellen koͤnnen, was
aber doch wohl vorhanden geweſen ſeyn muß,
weil ohne daſſelbe keine Sprache, wenigſtens
keine ſolche, haͤtte entſtehen koͤnnen.
Dieß feine Gefuͤhl mußte dann mit der
Sprache ſelbſt zugleich auch Schrift hervorbrin-
gen; keine hieroglyphiſche nach aͤuſſern Natur-
gegenſtaͤnden mahlende oder bildernde, ſondern
eine ſolche, welche den innern Charakter der
Buchſtaben, wie er ſo deutlich gefuͤhlt ward,
nun auch in ſichtlichen Umriſſen hinſtellte und
bezeichnete.
Viertes Kapitel.
Von zwei Hauptgattungen der Spra-
chen nach ihrem innern Bau.
Das eigentliche Weſen dieſes in dem Indiſchen
und allem, was aus ihm abgeleitet iſt, herrſchen-
den Sprachprincips wird durch den Gegenſatz am
beſten deutlich gemacht werden koͤnnen. Denn
nicht alle Sprachen folgen dieſer Grammatik,
deren kunſtreiche Einfachheit wir am Indiſchen
und Griechiſchen bewundern, und auf deren Cha-
rakter wir im vorigen Kapitel aufmerkſam zu
machen ſuchten. In vielen andern und zwar
in den meiſten Sprachen finden wir die Merk-
mahle und Geſetze einer ganz von jener ver-
ſchiedenen, ja ihr durchaus entgegengeſetzten
Grammatik.
Entweder werden die Nebenbeſtimmungen
der Bedeutung durch innre Veraͤnderung des
Wurzellauts angezeigt, durch Flexion; oder aber
jedesmal durch ein eignes hinzugefuͤgtes Wort,
was ſchon an und fuͤr ſich Mehrheit, Vergan-
genheit, ein zukuͤnftiges Sollen oder andre Ver-
haͤltnißbegriffe der Art bedeutet; und dieſe bei-
den einfachſten Faͤlle bezeichnen auch die beiden
Hauptgattungen aller Sprache. Alle uͤbrigen
Faͤlle ſind bei naͤherer Anſicht nur Modifikationen
und Nebenarten jener beiden Gattungen; daher
dieſer Gegenſatz auch das ganze in Ruͤckſicht auf
die Mannichfaltigkeit der Wurzeln uuermeßlicheunermeßliche
und unbeſtimmbare Gebiet der Sprache umfaßt
und voͤllig erſchoͤpft.
Ein merkwuͤrdiges Beiſpiel einer Sprache
ganz ohne Flexion, wo alles, was jene Spra-
chen durch dieſe andeuten, durch eigne ſchon fuͤr
ſich bedeutende Woͤrter verrichtet wird, bietet
das Chineſiſche dar; eine Sprache, die mit ih-
rer ſonderbaren Einſylbigkeit, wegen dieſer Con-
ſequenz oder vielmehr vollkommnen Einfachheit
der Structur, fuͤr das Verſtaͤndniß der ganzen
Sprachwelt ſehr lehrreich iſt. In gleicher Ruͤck-
ſicht koͤnnte auch noch die malayiſche Grammatik
angefuͤhrt werden. Wichtig fuͤr die Charakteri-
ſtik dieſer ganzen Gattung ſind die eben ſo
ſchweren als ſonderbaren amerikaniſchen Spra-
chen. Dem berühmten Herrn Alexander von Humboldt,
verdanke ich die Mittheilung mehrer amerikaniſcher Wör-
terbücher und Sprachlehren, woraus die obigen und nach-
folgenden Bemerkungen geſchöpft ſind. Auſſer zwei ziemlich
ausführlichen Wörterbüchern und Sprachlehren der mexi-
kaniſchen und der in Peru und im Reich Quito herr-
ſchenden Qquichuaſprache, wurden mir noch kürzere
Handbücher über die Othomi, Cora, Hugſteca, Moſ-
ca, Mixteca und Totonacaſprache mitgetheilt. Denn trotz der zahlloſen Mannichfal-
tigkeit und gaͤnzlichen Verſchiedenheit derſelben
in Ruͤckſicht der Wurzeln, wo oft bei mehren
kleinen Voͤlkerſchaften, die dicht neben einander
wohnen, nicht ein Laut von Aehnlichkeit ſich
zeigt, folgen ſie doch alle, ſo weit ſie bis jetzt
bekannt ſind, einem und demſelben Geſetz des
Sprachbaues; alle Bezeichnung der Verhaͤltniſſe
geſchieht durch Worte und Partikeln, die hier
zwar ſchon mit dem Wurzelwort ſelbſt zuſam-
menwachſen, aber doch auch durchgaͤngig noch
fuͤr ſich und einzeln dieſelbe Bedeutung haben,
welche ſie dem Wurzelwort, an das ſie angefuͤgt
werden, verleihen. Es bilden die amerikaniſchen
Sprachen ihre Grammatik durch Affixa und ſind
wie alle Sprachen dieſer Gattung ſehr reich an
Pronominalbeziehungen durch Suffixa und an
den daher entſtehenden relativen Zeitwoͤrtern
und Conjugationen, deren auch das Baſkiſche Nach Larramendi. Von dem ältern Herrn von
Humboldt iſt vielleicht bald eine reichhaltigere und be-
ſonders eine genauer beſtimmte und deutlichere Darſtellung
dieſer merkwürdigen Sprache zu erwarten.
nicht weniger als ein und zwanzig durch vorn
oder hinten an das Huͤlfsverbum angefuͤgte Pro-
nomina zaͤhlt. Ob nun in einer Sprache dieſer
Art die Partikeln durchgaͤngig dem Wurzelwort
hinten angehaͤngt werden, wie im Baſkiſchen
und in der Declination der amerikaniſchen Spra-
chen, oder vorn angefuͤgt werden, wie im Kopti-
ſchen, ob bald das eine bald das andre Statt
findet, wie in der Conjugation der peruaniſchen,
mexikaniſchen und andrer amerikaniſchen Spra-
chen, oder ob die Partikeln gar dem Worte
ſelbſt eingeflochten werden, wovon man beſon-
ders in einigen amerikaniſchen Sprachen ſehr
merkwuͤrdige Beiſpiele findet, iſt im Grunde fuͤr
die Hauptſache einerlei; genug es iſt eine Gram-
matik durch Anfuͤgung von auſſen, nicht durch
Flexion.
Zwar kann ein Schein von Flexion entſte-
hen, wenn die angefuͤgten Partikeln endlich bis
zum Unkenntlichen mit dem Hauptwort zuſam-
menſchmelzen; wo aber in einer Sprache, wie in
der arabiſchen und in allen, die ihr verwandt
ſind, die erſten und weſentlichſten Verhaͤltniſſe,
wie die der Perſon an Zeitwoͤrtern, durch An-
fuͤgung von fuͤr ſich ſchon einzeln bedeutenden
Partikeln bezeichnet werden, und der Hang zu
dergleichen Suffixis ſich tief in der Sprache ge-
gruͤndet zeigt, da kann man ſicher annehmen,
daß das gleiche auch in andern Stellen Statt
gefunden habe, wo ſich jetzt die Anfuͤgung der
fremdartigen Partikel nicht mehr ſo deutlich un-
terſcheiden laͤßt; kann wenigſtens ſicher anneh-
men, daß die Sprache im Ganzen zu dieſer
Hauptgattung gehoͤre, wenn ſie gleich im Ein-
zelnen durch Miſchung oder kunſtreiche Ausbil-
dung zum Theil ſchon einen andern und hoͤhern
Charakter angenommen haͤtte.
Der Stufengang der Sprachen, welche die-
ſer Grammatik folgen, waͤre alſo dieſer. Im
Chineſiſchen ſind die Partikeln, welche die Ne-
benbeſtimmung der Bedeutung bezeichnen, fuͤr
ſich beſtehende von der Wurzel ganz unabhaͤn-
gige einſylbige Worte. Die Sprache dieſer ſonſt
ſo verfeinerten Nation ſtuͤnde alſo grade auf der
unterſten Stufe; vielleicht, weil eben durch das
ſo aͤuſſerſt kuͤnſtliche Schriftſyſtem die Kindheit
derſelben zu fruͤhe fixirt worden. In der baſki-
ſchen und koptiſchen, ſo wie in den amerikani-
ſchen Sprachen wird die Grammatik ganz und
gar durch Suffixa und Praͤfixa gebildet, die
faſt uͤberall noch leicht zu unterſcheiden ſind und
zum Theil auch noch fuͤr ſich eine Bedeutung
haben; doch fangen die angefuͤgten Partikeln
ſchon an, mit dem Worte ſelbſt zu verſchmelzen
und zu coaleſciren. Noch mehr iſt dieß der Fall
im Arabiſchen und allen verwandten Mundarten,
die zwar dem groͤſſern Theile ihrer Grammatik
nach unlaͤugbar zu dieſer Gattung gehoͤren,
waͤhrend doch manches andre nicht mit Sicher-
heit darauf zuruͤckgefuͤhrt werden kann, hie und
da ſich ſogar ſchon eine einzelne Uebereinſtim-
4
mung mit der Grammatik durch Flexion zeigt.
Im Celtiſchen endlich werden noch einzelne
Spuren der Grammatik durch Suffixa gefun-
den; waͤhrend im groͤſſern Theile die neuere Weiſe,
durch Huͤlfsverba zu conjugiren, durch Praͤpo-
ſitionen zu decliniren, die herrſchende iſt.
Die groſſe Menge der amerikaniſchen Spra-
chen, woruͤber, ſo wie uͤber die gaͤnzliche Ver-
ſchiedenheit derſelben in Braſilien und Paraguay
nicht minder als in Alt- und Neu-Mexiko und
ſelbſt im Norden, geklagt wird, duͤrfen wir ge-
wiß nicht als zufaͤllig anſehen. Die Erſcheinung
iſt zu gleichfoͤrmig, und die aͤhnliche Structur
deutet auf ein gleiches Princip der Entſtehung
bei noch ſo groſſer Verſchiedenheit. Wir wer-
den auch den Grund jener Sonderbarkeit dieſer
Sprachen leicht in ihrer Grammatik finden. In
der indiſchen oder griechiſchen Sprache iſt jede
Wurzel wahrhaft das, was der Name ſagt, und
wie ein lebendiger Keim; denn weil die Ver-
haͤltnißbegriffe durch innre Veraͤndrung bezeich-
net werden, ſo iſt der Entfaltung freier Spiel-
raum gegeben, die Fuͤlle der Entwicklung kann
ins Unbeſtimmbare ſich ausbreiten, und iſt oft-
mals in der That bewundrungswuͤrdig reich.
Alles aber, was auf dieſe Weiſe aus der einfa-
chen Wurzel hervorgeht, behaͤlt noch das Ge-
praͤge ſeiner Verwandtſchaft, haͤngt zuſammen
und ſo traͤgt und erhaͤlt ſichs gegenſeitig. Da-
her der Reichthum einestheils und dann die Be-
ſtandheit und Dauerhaftigkeit dieſer Sprachen,
von denen man wohl ſagen kann, daß ſie orga-
niſch entſtanden ſein, und ein organiſches Ge-
webe bilden; ſo daß man nach Jahrtauſenden in
Sprachen, die durch weite Laͤnder getrennt ſind,
oft noch mit leichter Muͤhe den Faden wahr-
nimmt, der ſich durch den weitentfalteten Reich-
thum eines ganzen Wortgeſchlechtes hinzieht,
und uns bis zum einfachen Urſprunge der erſten
Wurzel zuruͤkfuͤhrt. In Sprachen hingegen, die
ſtatt der Flexion nur Affixa haben, ſind die
Wurzeln nicht eigentlich das; kein fruchtbarer
Same, ſondern nur wie ein Haufen Atome,
die jeder Wind des Zufalls leicht aus einander
treiben oder zuſammenfuͤhren kann; der Zuſam-
menhang eigentlich kein andrer, als ein bloß
mechaniſcher durch aͤuſſere Anfuͤgung. Es fehlt
dieſen Sprachen im erſten Urſprunge an einem
Keim lebendiger Entfaltung; die Ableitung bleibt
immer duͤrftig, und wird nachher die Kuͤnſtlich-
keit durch immer mehr angehaͤufte Affixa auch
noch ſo ſehr geſteigert, ſo wird dadurch eher die
Schwierigkeit vermehrt, als wahre einfache Schoͤn-
heit und Leichtigkeit gewonnen werden. Der
ſcheinbare Reichthum iſt im Grunde Armuth,
und es ſind dieſe Sprachen, ſie moͤgen roh oder
gebildet ſeyn, immer ſchwer, leicht verworren
und oft noch beſonders ausgezeichnet durch einen
eigenſinnig willkuͤhrlichen, ſubjektiv ſonderbaren
und mangelhaften Charakter.
Die Betrachtung der amerikaniſchen Spra-
chen kann uͤbrigens von großem Nutzen ſeyn,
um diejenigen, welche immer noch hoffen, alle
Sprachen, auch der Materie und den Wurzeln
nach, auf einen gemeinſchaftlichen Stamm zu-
ruͤckfuͤhren zu koͤnnen, zu uͤberfuͤhren, wie ganz
unmoͤglich dieſes ſei. Wir muͤſſen uns damit
begnuͤgen, daß jene Sprachen, in denen Flexion
herrſcht, auch den Wurzeln nach in eine ge-
meinſchaftliche Quelle zuſammengehen; die un-
beſtimmbare Mannichfaltigkeit der andern Spra-
chen laͤßt ſich nicht auf Einheit zuruͤckfuͤhren,
welches zu beſtaͤtigen, auſſer der unzaͤhligen
Menge amerikaniſcher Sprachen, auch Aſien und
Europa Beiſpiele genug anfuͤhren kann. In dem
wenig bevoͤlkerten Nordaſien finden wir vier
ganz verſchiedne Sprachfamilien, des tatariſchen,
finniſchen, mogoliſchen und tunguſiſchen oder
Mantchou-Stammes; und noch manche weniger
ausgebreitete Mundart bleibt auſſerdem uͤbrig,
welcher die Bearbeiter jenes Theils der Sprach-
kunde noch nicht einmal eine ganz ſchickliche
Stelle in jener Eintheilung zu beſtimmen wiſ-
ſen. Dazu kommt nun noch die tangutiſche
oder thibetaniſche, die eingaleſiſche, die japani-
ſche Sprache, und was nach Abzug der indiſchen
und arabiſchen Einmiſchung im Malayiſchen,
Eigenthuͤmliches und Unbekanntes in den Mund-
arten der Inſeln zwiſchen Indien und Amerika
uͤbrig bleibt, und wiederum noch auf zwei grund-
verſchiedne Sprachfamilien der Malayen und der
negerartigen Papuas zuruͤckgefuͤhrt wird. Auf
der oͤſtlichen Halbinſel Indiens zaͤhlt Symes
ſechs verſchiedne Sprachen, wovon mehre ſelbſt
in den Zahlworten, dieſem ſo wichtigen Grund-
beſtandtheile, ganz verſchieden ſind; die Burma-
ſprache, die wieder in vier Mundarten zerfaͤllt,
wovon die hauptſaͤchlichſte die von Ava iſt, ſchließt
ſich durch ihre Einſylbigkeit an das Chineſiſche
an; verwandt mit dieſer iſt die Sprache Koloun
zwiſchen Bengalen, Arakan und Burma, ſo wie
einige Dialekte in Pegu; die Pegu-Sprache ſelbſt iſt
aber nach Symes noch ganz verſchieden, ſo wie die
im Lande Meckley, ſuͤdlich von Aſam, und die
Sprache in Siam, von der die der ſuͤdlichen
Cingaleſen abgeleitet ſeyn ſoll. Es bleibt alſo,
ungeachtet einiger Verwandtſchaft, immer eine
fuͤr eine ſolche Voͤlkerzahl ſehr große Verſchie-
denheit uͤbrig. Wenn man nun erſt das Kopti-
ſche, Baſkiſche, den nicht lateiniſchen Theil des
Wallachiſchen und Arnautiſchen und ſo manche
andre merkwuͤrdige Sprachreſte im weſtlichen
Mittelaſien, am Kaukaſus und in Europa, die
ganz einzeln ſtehen, hinzunehmen wollte, ſo
wird wohl jeder den Gedanken aufgeben muͤſſen,
alle dieſe Sprachen auf eine gemeinſchaftliche
Urſprache zuruͤckfuͤhren zu wollen. Abermahls
alſo ein großer Hauptunterſchied der beiden
Sprachgattungen. Der Sprachen durch Affixa
giebt es ſehr viele unter ſich ganz verſchiedne;
die Sprachen durch Flexion zeigen um ſo mehr
innere Verwandtſchaft und gegenſeitigen Zuſam-
menhang auch in den Wurzeln, je hoͤher man
in der Geſchichte ihrer Bildung hinauf ſteigt.
Man wuͤrde mich indeſſen ganz mißverſte-
hen, wenn man glaubte, ich wolle die eine
Hauptgattung der Sprache ausſchlieſſend erhe-
ben, die andre unbedingt herabſetzen. Die
Welt der Sprache iſt zu umfaſſend reich und
groß und bei hoͤherer Ausbildung zu verwickelt,
als daß ſich die Sache ſo einfach durch einen
ſchneidenden Richterſpruch ausmachen lieſſe. Wer
wird die hohe Kunſt, die Wuͤrde und erhabne
Kraft der arabiſchen und hebraͤiſchen Sprache
laͤugnen koͤnnen? Sie ſtehen wohl unſtreitig auf
dem hoͤchſten Gipfel der Bildung und Vollkom-
menheit in ihrer Gattung, der ſie uͤbrigens
nicht ſo ausſchlieſſend angehoͤren, daß ſie ſich
nicht in einigen Stuͤcken der andern etwas naͤ-
hern ſollten. Daß aber dieſe Kunſt ihnen ſpaͤ-
ter, ja zum Theil gewaltſam, auf den alten rohen
Stamm angebildet ſein moͤge, haben die ver-
trauteſten Kenner dieſer Sprachen oft geaͤuſſert.
Daß die Sprachen, wo die Flexion in der Struc-
tur herrſcht, im Allgemeinen den Vorzug haben,
wird man nach reifer Unterſuchung wohl zugeben;
wie ſehr aber auch die ſchoͤnſte Sprache entarten
koͤnne, das erfahren wir an unſrer eignen von
Natur gewiß edlen Sprache in verwahrlosten
Mundarten oder bei ſchlechten Schriftſtellern zur
Genuͤge, ohne daß wir uns auf aͤhnliche Bei-
ſpiele bei Griechen und Roͤmern zu beziehen
brauchten.
Der Gang der bloß grammatiſchen Kunſt und
Ausbildung iſt in den beiden Hauptgattungen
grade umgekehrt. Die Sprache durch Affixa iſt
im Anfang ganz kunſtlos, wird aber immer
kuͤnſtlicher, je mehr die Affixa mit dem Haupt-
wort zuſammenſchmelzen; in den Sprachen durch
Flexion hingegen geht die Schoͤnheit und Kunſt
der Structur, durch den Hang ſichs zu erleich-
tern, allmaͤhlig mehr und mehr verlohren, wie
wir es ſehen, wenn wir manche deutſche, roma-
niſche und jetzige indiſche Mundarten mit der
aͤltern Form, aus der ſie abſtammen, vergleichen.
Daß die amerikaniſchen Sprachen im Gan-
zen auf einer niedern Stufe ſtehen, wird man
nicht laͤugnen. Dahin gehoͤrt der auffallende
Mangel mancher weſentlichen Buchſtaben, wie
des b, d, f, g, r, ſ, j, v als Conſonanten, im
Mexikaniſchen; des b, d, e, f, k und x, in
der Qquichuaſprache, wo auch das o faſt gar
nicht vorkommt; des f, i, k, l, r, ſ, in der Otho-
mi; des d, f, g, i, l, ſ, in der Cora; des b,
d, f, r, in der Totonaca; des b, p, f, r, in der
Mixteca; des f, r, ſ, k, in der Huaſtecaſprache.
Zwar kann bei einigen dieſer Buchſtaben der
weiche Conſonant durch den harten erſetzt wer-
den; oder es ſchien den ſpaniſchen Bezeichnern
einiges Mangel, was es doch an ſich nicht iſt.
Was ſoll man aber ſagen, wo ſo weſentliche
und unerſetzliche Conſonanten fehlen, wie r, l,
ſ, oder die ganze Familie b, p, f? — Ferner
die eigenſinnige Vorliebe fuͤr gewiſſe zuſammen-
geſetzte Laute, wie t l im Mexikaniſchen. Die
auſſerordentliche Schwierigkeit, die aus den vie-
len uͤber einander gehaͤuften Affixis bei der gro-
ßen Menge von Partikeln entſteht, beſonders an
Zeitwoͤrtern, um die verſchiedenen Perſonalbezie-
hungen, oder den bloßen Anfang, Wunſch oder
die daurende Gewohnheit, Verrichtung durch ei-
nen andern, Gegenſeitigkeit oder haͤufige Wieder-
hohlung der Handlung zu bezeichnen, duͤrfte es
eher beſtaͤtigen als widerlegen; wie manche Son-
derbarkeit der Grammatik, die mehren in den
Wurzeln ganz verſchiednen amerikaniſchen Spra-
chen gemein iſt. So giebt es in ſehr vielen kein
Genus, keinen Caſus und Pluralis, auch keinen
Infinitiv, deſſen Stelle im Mexikaniſchen und
Peruaniſchen das Futurum mit dem Zeitwort
ich will vertritt, oder das Zeitwort esse fehlt,
oder das Adjectiv iſt wie in der Qquichuaſprache
mit dem Genitiv des Subſtantivs eins, ſo daß
Runap, von Runa der Menſch, zugleich des
Menſchen und Menſchlich bedeutet.
Aber manche dieſer Sprachen ſind demunge-
achtet gewiß nicht nur ſehr kraft- und ausdrucks-
voll, ſondern auch verhaͤltnißmaͤßig gebildet und
kunſtreich. Dieß mag beſonders mit der Qquichua
oder peruaniſchen Sprache der Fall ſein. Viel-
leicht wurden die Yncas eben durch ihre Vorzuͤg-
lichkeit und ſchon groͤßere Allgemeinheit bewogen,
ſie mit Gewalt zur ganz allgemeinen zu machen,
wie ſie es nach der alten Ueberlieferung gethan
haben ſollen. Im peruaniſchen Woͤrterbuche habe
ich auch, wie wohl ſparſam, doch einige indiſche
Wurzeln gefunden; wie veypul, groß, indiſch
vipulo; Acini, lachen, indiſch hoſono u. ſ.
w.; am merkwuͤrdigſten iſt Inti, die Sonne,
indiſch Indro. Iſt die Sage gegruͤndet, daß
die Yncas ihre eigne ihnen allein bekannte und
erlaubte, jetzt voͤllig untergegangne Sprache hat-
ten, ſo haben ſich jene Wurzeln vielleicht aus
dieſer in die gemeine Sprache verlohren; da es
ohnehin aus den chineſiſchen Geſchichtsbuͤchern,
die de Guignes uns bekannt gemacht hat, klar
erhellt, daß die Stifter des peruaniſchen Reichs
und der peruaniſchen Bildung oſtwaͤrts von China
oder den indiſchen Inſeln hergekommen ſeien.
Fuͤnftes Kapitel.
Vom Urſprunge der Sprachen.
Es wuͤrden die Hypotheſen uͤber den Urſprung
der Sprache entweder ganz weggefallen ſein, oder
doch eine ganz andre Geſtalt gewonnen haben,
wenn man ſie, ſtatt ſich willkuͤhrlicher Dichtung
zu uͤberlaſſen, auf hiſtoriſche Forſchung gegruͤndet
haͤtte. Beſonders aber iſt es eine ganz willkuͤhr-
liche und irrige Vorausſetzung, daß Sprache und
Geiſtesentwickelung uͤberall auf gleiche Weiſe an-
gefangen habe. Die Mannichfaltigkeit iſt im
Gegentheile auch in dieſer Ruͤckſicht ſo groß, daß
man unter der Menge leicht irgend eine Spra-
che als beſtaͤtigendes Beiſpiel faſt fuͤr jede bis
jetzt erſonnene Hypotheſe uͤber den Urſprung der
Sprachen wird auffinden koͤnnen.
Man gehe zum Beiſpiel das Woͤrterbuch
der Mantchouſprache durch, und man wird erſtau-
nen uͤber die ganz unverhaͤltnißmaͤßige Menge
von klangnachahmenden und onomatopoëtiſchen
Worten, da wirklich ein großer Theil der ge-
ſammten Sprache aus ſolchen beſteht. In der
That, waͤre dieß eine der wichtigſten Hauptſpra-
chen, waͤren noch viele andre Sprachen eben ſo
beſchaffen, ſo wuͤrde man der Meinung, welche
alle Sprache aus dieſem Princip entſtehen laͤßt,
den Vorzug geben muͤſſen. Aus dieſem Beiſpiel
kann man aber auch ſehen, welche Geſtalt eine
Sprache etwa hat und haben muß, die groͤßten-
theils auf dieſem Wege entſtanden ſein mag, und
wird den Gedanken aufgeben, Sprachen, die ein
ganz andres Anſehen haben, auf eben die Art
erklaͤren zu wollen. Man betrachte die ganze
Familie jener Sprachen, mit denen wir es hier
zunaͤchſt zu thun haben. Im Deutſchen iſt die
Anzahl der klangnachahmenden onomatopoëtiſchen
Worte zwar unbedeutend im Vergleich mit dem
zuvor angefuͤhrten Beiſpiel, aber doch noch ſehr
betraͤchtlich, vielleicht nicht viel minder als im
Perſiſchen, welches man aus der Einmiſchung ta-
tariſcher, ſlaviſcher und andrer nordiſchen Spra-
chen erklaͤren mag; im Griechiſchen und noch
mehr im Roͤmiſchen werden ihrer immer weniger,
und im Indiſchen verſchwinden ſie ſo durchaus,
daß ſelbſt die Moͤglichkeit einer ſolchen Entſte-
hungsart des Ganzen wegfaͤllt.
Wie ſind denn aber jene verwandten Spra-
chen durch Flexion, wie iſt das Indiſche, oder
falls auch dieſes zwar die aͤltere aber doch auch
nur eine abgeleitete Form iſt, wie iſt diejenige
Sprache entſtanden, welche wo nicht fuͤr alle an-
dre, doch fuͤr dieſe Familie die Urſprache und
der gemeinſchaftliche Quell war? — Einiges
wenigſtens laͤßt ſich auf dieſe wichtige Frage mit
Gewißheit antworten; ſie iſt nicht aus einem
bloß phyſiſchen Geſchrei und allerlei ſchallnach-
ahmenden oder mit dem Schall ſpielenden Sprach-
verſuchen enſtanden, wo dann allmaͤhlig etwas
Vernunft und Vernunftform angebildet worden
waͤre. Vielmehr iſt dieſe Sprache ſelbſt ein Be-
weis mehr, wenn es deſſen noch bei ſo vielen
andern bedarf, daß der Zuſtand des Menſchen
nicht uͤberall mit thieriſcher Dumpfheit angefan-
gen, woran ſich denn nach langem und muͤhe-
vollem Streben endlich hie und da ein wenig
Vernunft angeſetzt habe; zeigt vielmehr, daß
wenn gleich nicht uͤberall, doch wenigſtens grade
da, wohin uns dieſe Forſchung zuruͤckfuͤhrt, gleich
von Anfang die klarſte und innigſte Beſonnen-
heit ſtatt gefunden; denn das Werk und Erzeug-
niß einer ſolchen iſt dieſe Sprache, die ſelbſt in
ihren erſten und einfachſten Beſtandtheilen die
hoͤchſten Begriffe der reinen Gedankenwelt, gleich-
ſam den ganzen Grundriß des Bewußtſeins
nicht bildlich, ſondern in unmittelbarer Klarheit
ausdruͤckt.
Wie nun der Menſch in ſeinem Urſprung
zu dieſer bewundrungswuͤrdigen Gabe lichter Be-
ſonnenheit gelangt ſei, und wenn dieß nicht all-
maͤhlig, ſondern mit einemmale geſchah, ob es
allein aus dem, was wir jetzt ſeine natuͤrlichen
Vermoͤgen nennen, erklaͤrt werden koͤnne, daruͤber
wird das folgende Buch wenigſtens zum weitern
Nachdenken Veranlaſſung geben, wenn es die
Denkart, welche wir, ſo weit hiſtoriſche Forſchung
reicht, als die aͤlteſte finden, darlegt, um zu er-
waͤgen, ob ſich etwa unzweideutige Spuren des
noch Aeltern und Erſten darin zeigen moͤchten.
Fuͤr die Sprache aber iſt durchaus uͤberfluͤſſig,
ſie anders als ganz natuͤrlich erklaͤren zu wollen;
wenigſtens liegt in ihr ſelbſt gar kein Grund
zur Vorausſetzung einer fremden Beihuͤlfe. Nicht
gegen den natuͤrlichen Urſprung der Sprachen
ſtreiten wir, ſondern nur gegen die urſpruͤngli-
che Gleichheit derſelben, da man behauptet, ſie
ſeien anfangs alle gleich wild und roh geweſen;
eine Behauptung, die durch ſo viele der ange-
fuͤhrten Thatſachen hinreichend widerlegt wird.
Wie der Menſch alſo zu jener Beſonnenheit
kam, das iſt eine andre Frage; mit derſelben
aber, mit dem tiefem Gefuͤhl und der Geiſtes-
klarheit, die wir darunter verſtehen, iſt auch die
Sprache gegeben; und zwar eine ſo ſchoͤne, kunſt-
reiche Sprache als die, von der hier die Rede iſt.
Mit dem hellen Blick fuͤr die natuͤrliche Bedeu-
tung der Dinge, mit dem feinen Gefuͤhl fuͤr
den urſpruͤnglichen Ausdruck aller Laute, welche
der Menſch vermoͤge der Sprachwerkzeuge her-
vorbringen kann, war ja auch der feine bildende
Sinn gegeben, der Buchſtaben trennte und einte,
die bedeutenden Sylben, den eigentlich geheim-
nißvollen und wunderbaren Theil der Sprache,
erfand und auffand, beſtimmte und biegend ver-
aͤnderte, zu einem lebendigen Gewebe, das nun
durch innre Kraft weiter fortwuchs und ſich bil-
dete. Und ſo entſtand dieſes ſchoͤne, einer un-
endlichen Entwickelung faͤhige, kunſtvolle und doch
einfache Gebilde, die Sprache; die Wurzeln und
die Structur oder Grammatik, alles beides zu-
gleich und vereint, denn beides ging ja aus ei-
nem und demſelben tiefem Gefuͤhle und hellem
Sinne hervor. Ja auch die aͤlteſte Schrift war
zugleich mit entſtanden, die noch nicht ſinnbil-
derte, wie es ſpaͤter beim Unterricht wilder Voͤl-
ker geſchah, ſondern aus Zeichen beſtand, die dem
Weſen der einfachen Sprachbeſtandtheile nach,
dem Gefuͤhl der damaligen Menſchen wirklich
entſprachen.
In welchem Zuſtande die andern Sprachen,
welche die Spuren eines duͤrftigeren und rohe-
ren Urſprungs an ſich tragen, ſich befinden moͤch-
ten, wenn ſie der huͤlfreichen Einmiſchung jener
ſchon urſpruͤnglich ſchoͤnen Sprache entbehrt haͤt-
ten, dieß zu unterſuchen, wuͤrde uns hier zu
weit fuͤhren. Genug, daß auch die Sprache
wohl durchaus verſchieden ausfallen, und eine
ganz andre Geſtalt annehmen mußte, je nach-
dem der Menſch im Lichte der Beſonnenheit ein-
5
fach aber ſeelig wandelte, und in der Fuͤlle des
klaren Gefuͤhls und der unmittelbaren Anſchau-
ung der kuͤnſtlicheren Ausbildung ſeiner Kraͤfte
noch leicht entbehrt, oder aber mit einem Zu-
ſtande begann, der wirklich an thieriſche Dumpf-
heit grenzte. Mehre der andern Sprachen ſchei-
nen in der That nicht als ein organiſches Kunſt-
gebilde bedeutender Sylben und fruchtbarer Kei-
me, ſondern ihrem groͤßern Theile nach wirklich
aus mancherlei Schallnachahmungen und Schall-
ſpielen, dem bloßen Geſchrei des Gefuͤhls, und
endlich den endeiktiſchen Ausrufungen oder In-
terjectionen der Hinweiſung und Verdeutlichung
entſtanden zu ſein, wo durch Uebung immer mehr
conventionelles Einverſtaͤndniß und willkuͤhrliche
Beſtimmung hinzukam.
Daß die indiſche Sprache aͤlter ſei als die
griechiſche und roͤmiſche, geſchweige denn die deut-
ſche und perſiſche, ſcheint aus allem angefuͤhrten
wohl mit Gewißheit hervor zu gehen. In wel-
chem Verhaͤltniß, als die aͤlteſte der abgeleiteten,
ſie aber eigentlich zu der gemeinſchaftlichen Ur-
ſprache ſtehe; daruͤber wird ſich vielleicht dann
etwas naͤheres beſtimmen laſſen, wenn wir die
Veda’s in echter Geſtalt ſammt den alten Woͤr-
terbuͤchern daruͤber vor uns haben, welche die
betraͤchtliche Verſchiedenheit der Sprache in den
Veda’s ſelbſt vom Samſkrit ſchon in fruͤhen Zei-
ten nothwendig machte. Die Sage vom Ramo,
der als Eroberer uͤber wilde Staͤmme im Suͤden
dargeſtellt wird, koͤnnte auf die Vermuthung fuͤh-
ren, daß die indiſche Sprache auch ſchon in der
fruͤheſten Zeit betraͤchtliche fremdartige Einmi-
ſchung von einverleibten Voͤlkerſchaften erlitten
habe. Der eigentliche Sitz indiſcher Bildung
und Sage iſt in dem noͤrdlichen Theile des Lan-
des; auf Ceylan finden wir noch jetzt den frem-
den Stamm der Cingaleſen, der ehedem vielleicht
ſich weiter erſtrecken konnte. Doch ſpricht die
regelmaͤßig einfache Structur und Gleichfoͤrmig-
keit der indiſchen Sprache dafuͤr, daß die Ein-
miſchung wohl nicht ſo verſchiedenartig und ge-
waltſam ſein konnte, als die, welche alle uͤbrigen
Sprachen der gleichen Gattung erfahren haben.
So wie die Sitten und die Verfaſſung
der Indier uͤberhaupt weniger oder doch viel
langſamer veraͤndert worden als die andrer Voͤl-
ker, ſo iſt daſſelbe von ihrer Sprache ſchon
hiſtoriſch wahrſcheinlich, die allzu innig mit der
indiſchen Denkart und Verfaſſung verwebt iſt,
als daß willkuͤhrliche Neuerung oder eine be-
deutende Umwaͤlzung durch Vernachlaͤſſigung ſo
leicht als bei andern Voͤlkern ſtatt finden konn-
te. Noch mehr wird dieß beſtaͤtigt, wenn man
den Bau dieſer Sprache ſelbſt betrachtet. Es iſt
wahr, beinah die ganze indiſche Sprache iſt eine
philoſophiſche oder vielmehr religioͤſe Terminolo-
gie; und vielleicht iſt keine Sprache, ſelbſt die
griechiſche nicht ausgenommen, ſo philoſophiſch
klar und ſcharf beſtimmt als die indiſche; aber
freilich iſt es kein veraͤnderliches Combinations-
ſpiel willkuͤhrlicher Abſtractionen, ſondern ein
bleibendes Syſtem, wo die einmal geheiligten
tiefbedeutenden Ausdruͤcke und Worte ſich gegen-
ſeitig erhellen, beſtimmen und tragen. Und dieſe
hohe Geiſtigkeit iſt zugleich ſehr einfach, nicht
durch Bilder den zuvor bloß ſinnlichen Aus-
druͤcken erſt mitgetheilt, ſondern in der erſten
und eigentlichen Bedeutung ſelbſt der einfachen
Grundbeſtandtheile ſchon urſpruͤnglich gegruͤndet.
Von manchem der Art, was zwar ganz klar iſt,
aber doch keinen andern Sinn zulaͤßt als einen
ganz methaphyſiſchen, laͤßt ſich das hohe Alter
ſogar hiſtoriſch aus dem Gebrauch der Termino-
logie, oder etymologiſch aus den zuſammengeſetz-
ten Worten nachweiſen. Es iſt eben auch eine
von den ungegruͤndeten Vorausſetzungen, daß in
der aͤlteſten Epoche jeder Sprache kuͤhne Bild-
lichkeit und die Fantaſie allein herrſche; bei vie-
len Sprachen iſt es wirklich ſo, aber nicht bei
allen, beſonders nicht bei der indiſchen, die ſich
zunaͤchſt und urſpruͤnglich wohl mehr durch phi-
loſophiſchen Tiefſinn und ruhige Klarheit aus-
zeichnet, als durch poetiſche Begeiſterung und
Bilderfuͤlle, ſo ſehr ſie auch der erſten faͤhig, und
obwohl die letzte in den ſchmuckreichen Gedichten
des Kalidas ſogar herrſchend iſt.
Aber dieſe Poeſie gehoͤrt einer ganz ſpaͤten
Epoche der indiſchen Bildung an; je hoͤher wir
bei dem bis jetzt bekannten in das Alterthum
hinaufgehen, je ſchlichter und proſaiſcher finden
wir die Sprache, aber freilich nicht trocken und
leblos abſtract, ſondern durchaus ſinnvoll bedeu-
tend und ſchoͤn durch die einfache Klarheit. So
iſt ſie in Monu’s metriſch abgefaßtem Geſetzbuch,
wo die groͤßere Alterthuͤmlichkeit und Verſchie-
denheit von den Puranas ſchon ſehr merklich
iſt, wenn gleich wohl nicht ganz ſo ſtark, als
man ſie ſich nach dem Vergleich des William
Jones von dem Verhaͤltniß der Sprache in den
Fragmenten der zwoͤlf Tafel-Geſetze zu dem Styl
des Cicero denken moͤchte. Bei der wahrſchein-
lich geringen und langſamen Veraͤnderlichkeit der
indiſchen Sprache immer genug, um einen Zwi-
ſchenraum von mehren Jahrhunderten nothwen-
dig annehmen zu muͤſſen.
Sechstes Kapitel.
Von der Verſchiedenheit der verwand-
ten und von einigen merkwuͤrdigen
Mittelſprachen.
Es fuͤhrt uns dieſe Betrachtung uͤber die Ein-
miſchung und Veraͤnderung, welche auch die in-
diſche, ungleich mehr noch aber die aus ihr abge-
leiteten Sprachen erlitten haben, auf die Frage
zuruͤck, welche ſich ſogleich dem Geiſte aufdrin-
gen muß, ſobald man eingeſehen hat, daß die
Verwandtſchaft dieſer Sprachen zu groß ſei, um
fuͤr zufaͤllig gehalten werden zu koͤnnen, und ei-
nen gemeinſchaftlichen Urſprung beweiſe. Woher,
wird man fragen, koͤmmt denn die große Ver-
ſchiedenheit dieſer Sprachen, wenn ſie urſpruͤng-
lich eins waren? Allerdings darf man dieſe Ver-
ſchiedenheit nicht nach dem erſten aͤuſſern Ein-
druck beurtheilen, ſondern nach derjenigen Aehn-
lichkeit, die ſich darbietet, wenn man den Blick,
durch die aͤußre Huͤlle hindurch dringend, nur
auf das Innre und Weſentliche richtet. Wie
groß iſt nicht die Verſchiedenheit des Griechiſchen
und Roͤmiſchen fuͤr denjenigen, der nur mit einer
der beiden Sprachen vertraut, die andre zum er-
ſtenmale kennen lernt? Er glaubt, in eine neue
Welt zu treten. Derjenige aber, der nach lan-
gem Umgange mit beiden, in das Innre eingeht,
und die Sprachen in der Geſchichte ihrer Entſte-
hung und in den einfachſten Beſtandtheilen er-
greift, ſo weit Thatſachen und darauf gegruͤndete
Forſchung reichen moͤgen; urtheilt ganz anders
und viel richtiger uͤber die große Uebereinſtimmung
der beiden Formen, die dann faſt nur als ſehr
entfernte Mundarten, nicht mehr als verſchiedne
Sprachen, erſcheinen.
Wenn aber auch die Verwandtſchaft nach
dieſem Maasſtabe beurtheilt wird, ſo duͤrfte doch
eine groͤßere Verſchiedenheit unter den Sprachen
dieſes Stamms uͤbrig bleiben, als ſich bloß aus
der verſchiednen Lage und der verſchiednen Rich-
tung der Geiſtesentwicklung waͤhrend eines ſehr
langen Zeitraums erklaͤren laͤßt. Es muß noch
etwas andres hinzugenommen werden, was dieſe
Verſchiedenheit voͤllig erklaͤrt; etwas, das ſich
theils grammatiſch genau nachweiſen laͤßt, theils
aber durch hiſtoriſche Begebenheiten erklaͤrt und
wahrſcheinlich gemacht wird.
Es haben alle dieſe abgeleiteten Sprachen,
ſo wie die Voͤlker ſelbſt, eine mannichfache und
zwar zum Theil ganz verſchiedne Einmiſchung
des Fremdartigen erfahren. Dieß hat ſie noth-
wendig unter ſich noch mehr entfremden muͤſſen.
Ich rede nicht bloß von ſolchen Einmiſchungen,
wie die des Arabiſchen in der perſiſchen, des
Franzoͤſiſchen in der engliſchen Sprache, wo die
eingedrungnen Worte, weil ſie nicht ganz in die
grammatiſche Form der andern Sprache ver-
ſchmelzen, ſondern zum Theil ihre eigne behal-
ten, ſich dadurch gleich als Fremdlinge verra-
then; Beiſpiele uͤbrigens, welche einen ſprechen-
den Beweis liefern, welche hartnaͤckige Beſtand-
heit jede urſpruͤnglich edle, d. h. organiſch ent-
ſtandne und gebildete, Sprache hat, und wie
ſchwer ſie ſelbſt durch die gewaltſamſte Einmi-
ſchung unterdruͤckt werden kann. Wie ſo ganz
deutſch iſt noch der Grundcharakter des Engliſchen,
und wie ganz verſchieden vom Arabiſchen iſt der
des Perſiſchen geblieben! Ich rede auch von ſol-
chen Einmiſchungen, die noch aͤlter und ſelbſt der
Form nach noch mehr verſchmolzen ſind, weil ſie
in eine Zeit trafen, da die Sprache noch jugend-
lich, bildſamer, aneignender und produktiver war,
und daher dem erſten Blicke nicht ſo ſichtbar
ſind, als der Analyſe.
Sie ſind oft auch fuͤr Geſchichte wich-
tig; ſo wie Geſchichte wieder zum Leitfaden die-
nen kann, ſie an dem rechten Orte zu ſuchen,
und aus der wahren Quelle zu erklaͤren. Fin-
den wir nun zum Beiſpiel im Griechiſchen weit
mehr arabiſche Wurzeln, als man anfangs glau-
ben moͤchte, da die große Verſchiedenheit in
Structur und Charakter der beiden Sprachen
dieſe Uebereinſtimmung dem erſten Blicke ſehr
verhuͤllt, ſo iſt dieß nicht mehr als ſich ohnehin
erwarten ließ, nach dem vielfachen Verkehr der
Griechen und Phoͤnicier. Im Roͤmiſchen muͤßte
man, der Geſchichte von den aͤlteſten Bewohnern
Italiens zu Folge, mehr Einmiſchung von celti-
ſchen und cantabriſchen Wurzeln vermuthen. Die
nahe Verwandtſchaft des Deutſchen mit dem
Perſiſchen zeigt deutlich, wo ſich dieſer Zweig
von dem Stamme abſonderte; und die betraͤcht-
liche Anzahl von Wurzeln, welche die deutſche
Sprache mit der tuͤrkiſchen gemein hat, kann
ſelbſt den Weg der Einwanderung mit bezeichnen
helfen, der ſich, wie noch durch manche andre
Gruͤnde faſt zur hiſtoriſchen Gewißheit wird, laͤngſt
dem Gihon und an der Nordſeite des caspiſchen
Meeres und des Kaukaſus immer weiter nach
Nordweſten zog. Kaum wird man uͤbrigens eine
der Lage und der Beſchaffenheit nach auch noch ſo
entfernte Sprache nennen koͤnnen, in der ſich
nicht einige deutſche Wurzeln faͤnden: wie Jarē,
das Jahr — im Zend und Mantchou; Laygan,
ſpan. poner, legen in der Tagalaſprache auf
den philippiniſchen Inſeln; rangio, uͤbelriechend,
im Japaniſchen — ranzig, auch einige wenige in
der peruaniſchen Sprache. Dieſes iſt aus dem
Durchzuge und Aufenthalte der germaniſchen
Staͤmme in denjenigen Strichen Nord- und Weſt-
Aſiens zu erklaͤren, die von jeher der Sammel-
platz der Voͤlker, und die Buͤhne ihrer Wande-
rungen waren.
Wir beſchraͤnken uns in dieſem Buche allein
auf die Sprache und das, was ſich bloß aus die-
ſer erklaͤren laͤßt. Was ſich weiter von hiſtoriſchen
Thatſachen und Wahrſcheinlichkeiten anfuͤhren
lieſſe, um die wunderbare Uebereinſtimmung ſo
weit entlegner durch große Laͤnderſtrecken und
Meere getrennter Sprachen begreiflich und die
aͤlteſten Wanderungen der Voͤlker deutlich zu ma-
chen, bleibt fuͤr das dritte Buch verſpart. Aber
in dem Gebiet der Sprache ſelbſt findet ſich noch
vieles, wodurch der große Zwiſchenraum ausge-
fuͤllt wird und enger zuſammen ruͤckt, oder doch
Punkte des Uebergangs gegeben werden. Ich
rede nicht von jenen einzelnen Spuren des Deut-
ſchen, die in der Krimm, am Kaukaſus und cas-
piſchen Meere gefunden wurden, noch auch uͤber-
haupt von ſo manchen, obgleich geringen, doch
allerdings ſehr merkwuͤrdigen Ueberbleibſeln ſonſt
verlohrner Sprachen; ſondern von noch jetzt be-
ſtehenden und bluͤhenden Hauptſprachen und gan-
zen Sprachfamilien, die durch ihre gemiſchte Be-
ſchaffenheit und ihre Lage unter den Voͤlkern den
Zwiſchenraum zwiſchen der indiſchen und perſiſchen
Sprache auf der einen, der germaniſchen, grie-
chiſchen und roͤmiſchen auf der andern Seite
ausfuͤllen und einnehmen.
Die erſte Stelle unter dieſen verdient un-
ſtreitig die armeniſche, in der man nicht nur roͤ-
miſche und griechiſche, perſiſche und deutſche
Wurzeln genug findet, und zwar ſolche, die zu
den erſten und weſentlichſten Sprachbeſtandthei-
len gehoͤren; wie die Zahlen, Pronomina, Par-
tikeln oder die nothwendigſten Zeitwoͤrter. Um
nur einige ſeltnere und beſonders merkwuͤrdige
anzufuͤhren: kan, die lateiniſche Conjunction
quam; mi, eins — verwandt mit dem Griechi-
ſchen μια; hingh, fuͤnf — quinque, ciurch
— circa; ham, das griechiſche ἁμα, praefigirt
wie συμ und con; die negative Partikel mi,
griechiſch μη; praefigirt werden im gleichen Sinne
an und ab, wie α und ab, a im Lateiniſchen,
un im Deutſchen; aminajim, das lateiniſche
omnis. Ferner einige Zeitwoͤrter: luſauorim,
ich leuchte — luceo; luzzim, ich loͤſe — λυω;
uranam, ich leugne — αρνεομαι; zairanam,
ich zuͤrne; arnum, ich nehme — αρνυμι; te-
nim, ich ſetze — θειναι; Adim, ich haſſe —
odium; udim, ich eſſe — edo; garodim,
ich habe Mangel — careo; Lnum, ich fuͤlle
an — plenus; dam, ich gebe — do; im, ich
bin — Engliſch J am: pirim, ich trage — fero
und ; porim, ich grabe — bohre;
kam, ich komme — ich kam, und viele andre
beſonders auch perſiſche Wurzeln. Oft ſind es
unverkennbar dieſelben, nur daß ſie etwas haͤrter
lauten, was vielleicht nicht bloß als allgemeine
Eigenthuͤmlichkeit aller gebirgigten Mundarten
zu erklaͤren iſt, ſondern auf hoͤheres Alter deutet.
Wichtiger noch aber ſind die Uebereinſtimmungen
in der Structur; zum Beiſpiel luanam — lavo,
luanas — lavas, luanan — lavant; das
Futurum wird gebildet durch ziz — ſzis — ſze;
alſo derſelbe Hauptlaut, wie im Indiſchen und
Griechiſchen. Einige Participia in al ſtimmen
dagegen mehr mit den ſlaviſchen Sprachen uͤber-
ein, ſo wie die dritte Perſon des Singularis
luanay, lavat. Die Conjugation wird groͤßten-
theils durch Flexion gebildet, zum Theil jedoch
auch durch Huͤlfsverba.
Gewiß iſt das Armeniſche ein merkwuͤrdiges
Mittelglied, und kann uͤber die Entſtehung und
Geſchichte der aſiatiſchen und europaͤiſchen Spra-
chen manchen Aufſchluß geben. Ob nicht daſſelbe
auch von der Georgianiſchen Sprache gilt, fehlt
es mir an Huͤlfsmitteln zu entſcheiden. Um uͤber
das Zend und Pehlvi etwas beſtimmtes feſtzuſe-
tzen, fehlt es grade an dem wichtigſten, einer
ausfuͤhrlichen Grammatik nehmlich. Die Decli-
nation im Zend hat viel Aehnlichkeit mit der geor-
gianiſchen; das Pehlvi kennt den perſiſchen Caſus
obliquus in ra, mehre perſiſche Endungen der
Subſtantive und Adjective in man u. ſ. w.; auch
der eine Infinitiv in atan koͤnnte mit dem perſi-
ſchen in verglichen werden. Dieß wenige
aber, alles was bis jetzt geliefert ward, iſt freilich
noch ſehr unzureichend. Im Arabiſchen und He-
braͤiſchen findet ſich nichts mit der indiſchen Gram-
matik uͤbereinſtimmendes, als etwa die weibliche
Endung in a und i, und das Pronomen ,
, indiſch ſoh, gothiſch ſa, wovon noch das
altdeutſche ſo. In den gemeinſchaftlichen Wur-
zeln aber duͤrften auch dieſe Sprachen Spuren
die Menge enthalten von dem Gange und der
Miſchung der Voͤlker in den aͤlteſten Zeiten.
Wichtig waͤre es genau zu beſtimmen, in wie
weit die hebraͤiſche Sprache an ſolchen der andern
Hauptgattung gemeinſchaftlichen Wurzeln einen
groͤßern Vorrath hat als das Arabiſche; im
Phoͤniciſchen war vielleicht die Annaͤherung noch
ſtaͤrker.
Die naͤchſte Stelle nach der armeniſchen, in
Ruͤckſicht der immer noch ſichtbaren obgleich ent-
fernteren Verwandtſchaft, nimmt unſtreitig die
große Familie der ſo weit verbreiteten ſlaviſchen
Sprachen ein. Es iſt nicht allein noch ſehr
viel Flexion in der Grammatik, ſondern in ei-
nigen wenigen Faͤllen ſtimmt ſelbſt das Kenn-
zeichen der Biegung mit den uͤbrigen verwand-
ten Sprachen uͤberein, wie in der erſten und
zweiten Perſon des Praͤſens im Singularis und
Pluralis. Bei ſehr unvollkommnen Huͤlfsmit-
teln in dieſem Fache ſind mir doch mehre indiſche
Wurzeln in ſlaviſchen Sprachen vorgekommen, und
zwar auch ſolche, die in keiner andern der abge-
leiteten Sprachen ſich finden. Es muͤßte vor
allem durch ein vergleichendes Woͤrterbuch und
Sprachlehre deutlich gemacht werden, in welchem
Verhaͤltniß die verſchiedenen ſlaviſchen Mundar-
ten zu einander ſtehen, und welche derſelben fuͤr
die aͤlteſte und reinſte gehalten werden darf, da-
mit man dieſe bei der Beurtheilung zum Grun-
de lege; ein Verfahren, das jederzeit beobachtet
werden muß, wenn man einer ganzen Familie
von Sprachen ihr Verhaͤltniß zu den uͤbrigen
anweiſen will.
Ob die celtiſche Sprache auf einen gleichen
Nang der Annaͤherung an den edlern Stamm
wie die ſlaviſchen, Anſpruch machen duͤrfe, ge-
traue ich mir nicht zu behaupten. Die gemein-
ſchaftlichen Wurzeln allein beweiſen nur Mi-
ſchung, von der dieſe Sprache ohnehin alle
Kennzeichen an ſich traͤgt. Die Zahlworte al-
lein ſind auch nicht entſcheidend; ſind ja doch
im Koptiſchen zugleich die griechiſchen und an-
dre eigenthuͤmliche, vermuthlich altaͤgyptiſche, im
Gebrauch. In der bretagniſchen Nach Le Brigant und Pinkerton; Shaw’s,
Smith’s, Vallancey’s und andrer Werke entbehrte
ich. — Auſſerdem fehlte es mir auch für einige andre
Sprachen an zureichenden Hülfsmitteln; auſſer den ſchon
angeführten Fällen noch an dem Hauptwerk über die nord-
aſiatiſchen Sprachen, den neueſten und vollſtändigſten Be- Mundart
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wird durch Praͤpoſitionen declinirt; in der rei-
neren erſiſchen aber iſt die Declination ganz an-
ders und wird ſonderbar genug durch Veraͤnde-
rung des Anfangsbuchſtabens des Wortes ge-
bildet, der ſich auch nach den praͤſigirten Parti-
keln, welche die Perſonalbeziehung bedeuten, rich-
tet; z. B. mac — der Sohn, mhic (ſprich
wic) — des Sohns; pen — der Kopf, i
ben ſein Kopf, i phen — ihr Kopf, y’m
mhen — mein Kopf. Eine Eigenthuͤmlichkeit,
die etwas aͤhnliches hat mit der Art, wie die
Partikeln der Perſonalbeziehung mit dem praͤfi-
girten Artikel und dem Worte ſelbſt im Kopti-
ſchen zuſammenſchmelzen; Pos — der Herr,
Paos — mein Herr, Pekas — dein Herr,
Pefos — ſein Herr, Peſos — ihr Herr,
arbeitungen der koptiſchen und armeniſchen Sprache u. ſ. w.
Ich hoffe um ſo eher bei Kennern ſolcher Unterſuchungen
Nachſicht deshalb zu finden, da ſie am beſten wiſſen, wie
wenig auch große Bibliotheken durchaus vollſtändig in die-
ſem Fache zu ſein pflegen; da ſie andrerſeits doch auch hier
im Einzelnen manches noch nicht bekannte werden gefun-
den haben.
Penos — unſer Herr, Naos — meine Her-
ren, Nekos — deine Herren u. ſ. w. Die
celtiſche Conjugation in der bretagniſchen Mund-
art wird durch ein Huͤlfswort gebildet; da aber
in mehren Faͤllen die Zuſammenſetzung mit dem
Suffixum ſich noch ganz unverſchmolzen und un-
verkennbar zeigt, wie eomp — wir gehen,
ejomp — wir gingen, effomp — wir werden
gehen, von omp — wir: ſo fuͤhrt uns dieſe
Analogie auf den andern Hauptſtamm der Spra-
chen, wozu auch die baſkiſche gehoͤrt, mit der die
celtiſche jedoch nicht mehr gemein hat, als was
durch Miſchung erklaͤrt werden moͤchte. Fuͤr die-
ſen Miſchcharakter der celtiſchen Sprache duͤrfte
auch die ſonderbare Eigenheit ſprechen, daß es
nicht weniger als vier Woͤrter in der bretagni-
ſchen Mundart giebt, welche Ich bedeuten;
anon — koptiſch anok, on — indiſch ohon,
in und me. Wie ſehr diejenigen irren, welche
das Volk und die Sprache der Celten und der
Germanen fuͤr eins oder auch nur fuͤr nah ver-
wandt halten wollen, indem ſie Spuren der
Miſchung beſonders in der bretagniſchen Mund-
art fuͤr Beweiſe der Gleichheit nehmen, iſt wohl
kaum noͤthig, weiter zu erwaͤhnen.
Selbſt in ſolchen Sprachen, die am weite-
ſten von der Familie der indiſchen, griechiſchen
und germaniſchen entfernt liegen, findet man
leicht noch irgend eine geringe Uebereinſtimmung,
wie die Endung der Adjective im Baſkiſchen auf
ezco, die im Spaniſchen nur ſelten vorkoͤmmt,
der deutſchen auf iſch, der griechiſchen in ικος
gleicht. Die alten Voͤlker ſind durch Wande-
rung, Kolonien, Krieg und Handel zu ſehr durch
einander geworfen, als daß ſich nicht ſolche ganz
einzelne Spuren faſt uͤberall finden ſollten.
Ich wuͤrde uͤberhaupt den Leſer zu ermuͤden
und zu verwirren fuͤrchten, wenn ich alles, was
geſammelt und vorgearbeitet war, mittheilen woll-
te. Genug, wenn hier nur in das Ganze Ord-
nung gebracht und befriedigend angezeigt iſt,
nach welchen Grundſaͤtzen etwa eine vergleichende
Grammatik und ein durchaus hiſtoriſcher Stamm-
baum, eine wahre Entſtehungsgeſchichte der Spra-
che, ſtatt der ehemaligen erdichteten Theorieen
vom Urſprunge derſelben, zu entwerfen waͤre.
Das hier geſagte wird wenigſtens hinreichend
ſein, um die Wichtigkeit des indiſchen Studiums,
auch ſchon bloß von Seiten der Sprache betrach-
tet, zu beweiſen; im folgenden Buche wollen wir
es nun im Verhaͤltniß zur Geſchichte des orien-
taliſchen Geiſtes betrachten.
Ich ſchlieſſe mit einem Ruͤckblicke auf Wil-
liam Jones, der durch die aufgezeigte Ver-
wandtſchaft und Abſtammung des Roͤmiſchen,
Griechiſchen, Deutſchen und Perſiſchen aus dem
Indiſchen zuerſt Licht in die Sprachkunde, und
dadurch in die aͤlteſte Voͤlkergeſchichte gebracht
hat, wo bisher alles dunkel und verworren war.
Wenn er aber die Verwandtſchaft noch auf ei-
nige andre Faͤlle, wo ſie doch ungleich geringer
iſt, ausdehnen, ferner die unbeſtimmbar große
Menge der Sprache auf die drei Hauptzweige
der indiſchen, arabiſchen und tatariſchen Familie
zuruͤckfuͤhren, und endlich, nachdem er ſelbſt zuerſt
die totale Verſchiedenheit des Arabiſchen und
Indiſchen ſo ſchoͤn feſtgeſtellt hat, zuletzt doch
bloß der Einheit zu Liebe alles aus einem ge-
meinſchaftlichen Urquell herleiten will; ſo haben
wir dem vortrefflichen Manne in dieſen Stuͤcken
nicht folgen koͤnnen, worin uns, wer die gegen-
waͤrtige Abhandlung aufmerkſam pruͤfen will,
unſtreitig beiſtimmen wird.
Zweites Buch.
Von der Philoſophie.
Erſtes Kapitel.
Vorlaͤufige Bemerkungen.
Es iſt eine faſt allgemein angenommene Mei-
nung, daß der Menſch von einem Zuſtand ganz
thieriſcher Dumpfheit angefangen, durch Noth
von einer Anſtrengung zur andern weiter getrie-
ben, unter mancherlei aͤuſſern Veranlaſſungen
und Anregungen, ſich erſt ganz allmaͤhlig zu eini-
ger Vernunft empor gearbeitet habe. Wenn man
aber auch keine Ruͤckſicht darauf nimmt, wie ſehr
dieſe Anſicht aller geſunden Philoſophie widerſtrei-
tet, ſo muß man doch geſtehen, daß ſie durch
die aͤlteſte Geſchichte durchaus nicht beſtaͤtigt, ſon-
dern vielmehr vor derſelben als eine willkuͤhrlich
erdichtete Meinung erfunden wird, und ver-
ſchwindet. Auch ohne die Moſaiſche Urkunde,
welche wir fuͤr jetzt bei Seite ſetzen, um im dritten
Buch darauf zuruͤck zu kommen, zeigen die mei-
ſten und aͤlteſten andern aſiatiſchen Denkmale und
geſchichtliche Thatſachen einſtimmig darauf hin,
daß der Menſch ſeine irdiſche Laufbahn nicht ohne
Gott angefangen habe. Beſonders von Indien
her zeigen ſich ſehr merkwuͤrdige und unerwartete
Aufſchluͤſſe uͤber den Gang der menſchlichen Denk-
art in den aͤlteſten Zeiten. Einiges iſt ſchon aus
dem Wenigen klar, was wir bis jetzt haben, und
noch weit mehr laͤßt ſich erwarten.
Nachdem wir im erſten Buche die Sprache
der Indier in ihrem Verhaͤltniß zu den uͤbrigen
merkwuͤrdigſten aſiatiſchen und europaͤiſchen Spra-
chen betrachtet haben, ſo waͤre es vielleicht in
der Ordnung in dieſem zweiten Buche von der
indiſchen Mythologie, als der Quelle ſo mancher
andern, zu handeln; und allerdings wuͤrden wir,
ohne auf einzelne oft taͤuſchende Aehnlichkeiten
ſo ſehr einzugehen, als es bisweilen in den
Schriften der calcutiſchen Geſellſchaft geſchehen
iſt, auch hier zeigen koͤnnen, daß es wie in der
Sprache, ſo auch in der Mythologie eine innere
Structur giebt, ein Grundgewebe, deſſen Aehn-
lichkeit bei aller ſonſtigen aͤuſſern Verſchiedenheit
der Entwicklung, doch noch auf einen verwand-
ten Urſprung hindeutet. Es fehlt auch hier
nicht an ſehr uͤberraſchenden, und gewiß nicht
blos zufaͤlligen Uebereinſtimmungen. Doch wird
hier eine faſt noch ſtrengere Vorſicht erfordert,
als bei der Sprache, denn die Mythologie iſt in
ihren Einzelnheiten noch ſchwankender und ſchwe-
bender, und der fluͤchtige zarte Geiſt oft noch
ſchwerer zu ergreifen, als in der Sprache. My-
thologie iſt das verflochtenſte Gebilde des menſch-
lichen Geiſtes; unendlich reich, aber auch hoͤchſt
veraͤnderlich in ſeiner Bedeutung, die doch allein
das Weſentliche iſt; darum muß alles und jedes
in ſeiner ganzen Eigenthuͤmlichkeit nach Zeit und
Ort aufgegriffen werden, und ſelbſt die geringſte
Verſchiedenheit iſt hier wichtig. Die griechiſche
und roͤmiſche Mythologie z. B. ſind wir gewohnt,
wo es nicht auf hiſtoriſche Genauigkeit ankommt,
fuͤr dieſelbe anzunehmen und gelten zu laſſen;
wie groß aber die Verſchiedenheit ſei, iſt den-
jenigen bekannt, welche in die aͤltern Zeiten bei-
der Voͤlker zuruͤckgegangen ſind, ſo daß man
gewiß ſehr Unrecht haͤtte, Venus und Aphrodite,
Mavors und Ares u. ſ. w. fuͤr eine und dieſelbe
Gottheit zu halten. Aber auch von einer helle-
niſchen Stadt zur andern, welch ein Unterſchied!
zwiſchen Korinth und Athen, oder zwiſchen Do-
riern in Sparta und Sicilien! Das Bild, ein-
zelne Zuͤge der Geſchichte, der Nahme ſelbſt ei-
ner Gottheit, iſt oft weit verbreitet, erhaͤlt ſich
zum Erſtaunen lange, ſogar bei getrennten Voͤl-
kern; aber der Sinn, die Bedeutung iſt doch
eigentlich allein weſentlich, und wie geſtaltet ſich
dieſe faſt immer und uͤberall anders? Daher ge-
hoͤrt wenigſtens ein ſehr großer Vorrath von
Thatſachen und Quellen dazu, um das einzige
zu verſuchen, was hier Aufſchluß geben kann,
eine ausfuͤhrliche Darſtellung des Ganzen nehm-
lich, nach allen ſeinen Einzelnheiten, nach den
Abſtufungen der innern Entwicklung und aͤuſſern
Einmiſchung bis auf jede Spur allmaͤhliger Ver-
aͤnderung. Um dies fuͤr die indiſche Mythologie
leiſten zu koͤnnen, ſind unſre Huͤlfsmittel durch-
aus noch nicht vollſtaͤndig genug.
Wir verlaſſen alſo hier den vergleichenden
Weg des erſten Buchs, und geben ſtatt einer
vergleichenden Analyſe der Mythologieen, wozu
es noch zu fruͤh iſt, lieber etwas, was allen Un-
terſuchungen der Art zur ſichern Grundlage die-
nen kann; eine Darſtellung der orientaliſchen
Denkart nehmlich, nach ihren wichtigſten Stufen
und Verſchiedenheiten. Freilich bleibt auch hier
im Einzelnen noch vieles zu wuͤnſchen uͤbrig, doch
iſt das, was wir ſchon jetzt haben, zureichend,
um ſich einen Begriff des Ganzen zu bilden, wenn
man es nur verſteht, ſich in die alte Denkart zu
verſetzen; es ordnen ſich die Thatſachen, wenn ſie
nur rein aufgefaßt werden, von ſelbſt zur voll-
kommnen Deutlichkeit.
Als eben ſo viel Epochen der orientaliſchen
Denkart betrachte man die einzelnen Theile der
folgenden Darſtellung, nicht als philoſophiſche Sy-
ſteme; denn wiewohl alle dieſe Denkarten wo
nicht gleich, ſo doch ſpaͤter auch ſyſtematiſch dar-
geſtellt worden ſind, ſo waren ſie doch urſpruͤng-
lich alle mehr als bloß Philoſophie. Geſondert
haben wir dieſe Denkarten, weil ſie wirklich ge-
ſondert ſind, ihrem Geiſte und auch der Geſchichte
nach; wie ſich eine Denkart aus der andern durch
allmaͤhlige Uebergaͤnge entwickelt habe, oder durch
den Gegenſatz an ſie ſchlieſſe, wird im Einzelnen
angezeigt werden. Bei jeder Epoche bemerken
wir, was von indiſcher Mythologie oder Philo-
ſophie zu dieſer gehoͤrt, die der andern aſiati-
ſchen Nationen nur da hinzunehmend, wo es
zur Deutlichkeit oder Vollſtaͤndigkeit des Ganzen
beitragen kann.
Zweites Kapitel.
Syſtem der Seelenwandrung und
Emanation.
Unter allen Philoſophieen oder Religionen, wel-
che Aſien als ihr Vaterland erkennen, iſt keine ſo
zuverlaͤßig indiſchen Urſprungs, keine, mit Aus-
ſchluß der moſaiſchen Urkunde, aͤlter als das Sy-
ſtem der Emanation und Seelenwandrung. Das
Weſentliche deſſelben wird im erſten Buche der
Geſetze Monu’s vorgetragen, einem Denkmale,
dem keine geſunde Kritik ein geringeres Alter an-
weiſen wird, als dem aͤlteſten, was die weſtlich
europaͤiſche Welt irgend aufzuweiſen hat. Seit
Jahrtauſenden, wie noch heute, iſt es die Grund-
lage der indiſchen Verfaſſung und Geſetzgebung,
man kann ſagen des indiſchen Lebens, und eben
ſo unverkennbar das Grundgewebe indiſcher Sage
und Mythologie, der herrſchende Geiſt derſel-
ben. Naͤhern Aufſchluß als die Geſetze des
Monu geben, darf man auſſer den Veda’s viel-
leicht von der aͤlteſten indiſchen Philoſophie er-
warten, welche Mimanſo genannt wird, und
vom Joimini, dem Verfaſſer des Samoved,
geſtiftet ward.
Wie genau und nothwendig Emanation,
wenn ſie nur in dem urſpruͤnglichen und aͤlteſten
Sinn genommen wird, mit Metempſychoſe zu-
ſammenhaͤnge, werden wir ſogleich deutlich ma-
chen. Nur muß man freilich den Gedanken an
alles dasjenige entfernen, was bei Chaldaͤern
oder Griechen in ſpaͤtern Zeiten Emanation hieß,
da kein Syſtem mehr in ſeiner urſpruͤnglichen
Reinheit vorgetragen, ſondern eine aus allen
zuſammengefloſſene Miſchung mit dem unbeſtimm-
ten Namen der orientaliſchen Philoſophie be-
zeichnet ward. Beſonders darf man das Syſtem
der Emanation nicht mit dem Pantheismus ver-
wechſeln. Demjenigen, der bloß an die dialekti-
ſche Form der juͤngern europaͤiſchen Philoſophie
gewohnt iſt, erſcheint zwar die groͤßere Kuͤhnheit
und Fantaſie jedes orientaliſchen Syſtems leicht
pantheiſtiſch, und allerdings finden ſich der Ver-
bindungen in ſpaͤtern Zeiten genug. Der ur-
ſpruͤngliche Unterſchied iſt jedoch ſehr weſentlich;
denn es wird die Individualitaͤt in der alten
indiſchen Lehre keinesweges aufgehoben und ge-
laͤugnet. Auch iſt die Ruͤckkehr der einzelnen
Weſen in die Gottheit denſelben nur moͤglich,
nicht nothwendig, das beharrlich Boͤſe bleibt
ewig getrennt und verworfen; oder, wenn wir
uns eines ſcheinbar neueren theologiſchen Aus-
drucks, der aber dem alten Begriff ganz ange-
meſſen iſt, bedienen duͤrfen: die Ewigkeit der
Hoͤllenſtrafen iſt mit dem Syſtem der Emanation
keinesweges unvereinbar, macht vielmehr einen
weſentlichen Beſtandtheil deſſelben aus. In Be-
ziehung auf das Gute und Boͤſe kann keine groͤ-
ßere Verſchiedenheit Statt finden, als zwiſchen
dieſem Syſtem und dem Pantheismus. Der
Pantheismus lehrt, daß alles gut ſey, denn alles
ſey nur eines, und jeder Anſchein von dem, was
wir Unrecht oder Schlecht nennen, nur eine leere
Taͤuſchung. Daher der zerſtoͤrende Einfluß deſſel-
ben auf das Leben, indem, man mag ſich nun
in den Ausdruͤcken auch drehen, und an den
durch die Stimme des Gewiſſens uͤberall hervor-
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tretenden Glauben anſchlieſſen wie man will, im
Grunde doch, wenn man dem verderblichen Prin-
cip nur getreu bleibt, die Handlungen des Men-
ſchen fuͤr gleichguͤltig, und der ewige Unterſchied
zwiſchen Gut und Boͤſe, zwiſchen Recht und Un-
recht, ganz aufgehoben, und fuͤr nichtig erklaͤrt
werden muß. Ganz anders in dem Syſtem der
Emanation, wo vielmehr alles Daſein fuͤr un-
ſeelig, und die Welt ſelbſt fuͤr im Innerſten ver-
derbt und boͤſe gehalten wird, weil es doch alles
nichts iſt, als ein trauriges Herabſinken von der
vollkommnen Seeligkeit des goͤttlichen Weſens.
Auf dialektiſche Weiſe gegen die philoſophi-
ſche Richtigkeit dieſes Syſtems zu ſtreiten, duͤrfte
ſich nicht der Muͤhe verlohnen; denn auf Gruͤn-
den der Art, auf Demonſtrationen, beruht es
nicht, hat vielmehr ganz die Form willkuͤhrlicher
Erdichtung, ſo gut wie andre bloß dichteriſche
Kosmogonien. Ein Syſtem kann es aber doch
wohl genannt werden, denn es iſt tiefer Zuſam-
menhang darin, und dieſem verdankt es vielleicht
einen Theil der Gewißheit, die es fuͤr ſeine An-
haͤnger ſeit Jahrtauſenden mit ſich fuͤhrt, noch
mehr der uralten Ueberlieferung und dem angeb-
lich goͤttlichen Urſprung. Und wohl lohnt es ſich
der Muͤhe, es zu verſtehen, waͤre es auch nur,
weil es die aͤlteſte Denkart des menſchlichen Geiſtes
iſt, die wir hiſtoriſch kennen, und die auf die
ganze nachfolgende Entwickelung und Geſchichte
deſſelben einen unuͤberſehlichen Einfluß gehabt hat.
Um es zu verſtehen, muß man aber vor allem das
Gefuͤhl ergriffen haben, welches ihm zum Grunde
liegt. Nachdem Monu die Erſchaffung aller
Naturkraͤfte, der lebendigen Weſen, Thiere und
Gewaͤchſe beſungen hat, die als eben ſo viele ein-
gehuͤllte Geiſter gedacht werden, ſchließt er mit
der allgemeinen Betrachtung:
Von vielgeſtaltigem Dunkel umkleidet, ihrer Thaten
Lohn,
Endes bewußt ſind dieſe all, mit Freud’ und Leid-
gefuͤhl begabt.
So in Finſterniß gebunden, und doch innig ge-
fuͤhlvoll, des Todes und ihrer Schuld ſich bewußt,
wandeln ſie auf der Bahn, die der Schoͤpfer
ihnen von Anfang beſtimmte, dem unausweich-
lichen Ziele entgegen.
Dieſem Ziel nach nun wandeln ſie, aus Gott kom-
mend, bis zur Pflanz’ herab,
In des Seins ſchrecklicher Welt hier, die ſtets hin
zum Verderben ſinkt.
In dieſen Worten iſt gleichſam die Seele des
ganzen Syſtems ausgeſprochen, das herrſchende
Grundgefuͤhl deſſelben. Was die Dichter der
Alten in einzelnen Spruͤchen von dem Ungluͤck
des Daſeins ſingen, jene traurigen Strahlen
einer durchaus furchtbaren Welt-Anſicht, die ſie
in tiefbedeutenden Trauerſpielen aus dem Gedan-
ken eines dunkeln Schickſals uͤber die Sagen und
Geſchichten von Goͤttern und Menſchen verbrei-
ten, ſammle man ſich in Ein Bild und allumfaſ-
ſendes Ganzes, und verwandle das voruͤbergehen-
de dichteriſche Spiel in bleibenden ewigen Ernſt,
ſo wird man am beſten das Eigenthuͤmliche der
alten indiſchen Anſicht aufgefaßt haben.
Daher die Lehre von den vier Zeitaltern,
deren das folgende immer in einem beſtimmten
Verhaͤltniß unvollkommner und unſeeliger war,
als das vorhergehende, bis auf das gegenwaͤrtige
vierte Zeitalter vollendeten Elends. Auf aͤhnliche
Weiſe wird oft auch die Abſtufung der vier Staͤn-
de, als ein immer tieferes Herabſinken zur irdi-
ſchen Unvollkommenheit geſchildert. Daher auch
die Lehre von den drei Welten, Troilokyon,
oder drei Grundkraͤften, Troigunyon, deren
die erſte wahrhaft, ſotwo, die andre taͤuſchend
und im Schein glaͤnzend, rojo, und die dritte
und letzte dunkel, tomo, iſt. Auch in den
Emanationen ſelbſt herrſcht das gleiche Geſetz
ſteter Verſchlimmerung, ſie moͤgen nun geiſtiger
Art oder auch aͤuſſere Naturkraͤfte ſein.
Aus dem Selbſt des unendlichen Weſens
laͤßt Monu den Geiſt hervorgehen; aus dem
Geiſt die Ichheit; denn der Geiſt iſt der zweite
Schoͤpfer, und auch Monu (nah verwandt mit
monoh) erſchafft alle einzelne Weſen, nachdem
Brohma ſelbſt zuvor die allgemeinen Grundkraͤfte
des Geiſtes und der Natur hervorgebracht hat.
Auch die Elemente laͤßt Bhrigu, in der nachfol-
genden Erklaͤrung aus dem Geiſte, und eines
aus dem andern in der Ordnung hervorgehen,
wie man ſich ihre Feinheit und Vollkommenheit
damals dachte. Dieſes Geſetz ſteter Verſchlim-
merung und ſteten Verderbens, und jene un-
endliche Betruͤbniß im Gefuͤhl der Schuld und
des Todes, ſind der Geiſt jenes Syſtems. Die
Stufen oder Grundkraͤfte der Emanation ſind in
verſchiedenen Darſtellungen verſchieden, da die
Willkuͤhr der Dichtung ſich hierin nicht ſo eng
beſchraͤnken laͤßt.
Unter den Gottheiten der indiſchen Fabel
iſt es Brohma, der dieſem Syſteme oder die-
ſem Ideenkreiſe insbeſondere angehoͤrt. Brohma
iſt, ſo wie in Monu’s Geſetzbuch von ihm gere-
det wird, der ewige Geiſt, das unendliche Ich,
Koͤnig und Herr der Weſen, und wie er auch
in ſpaͤtern Schriften vorzugsweiſe genennt wird,
Vater und Ahnherr des Weltalls. Er iſt der
ewig Unbegreifliche, der allein Selbſtſtaͤndige,
der eigentliche Er, oder Gott ſelber. In ſpaͤtern
Schriften wird daſſelbe auf den Sivoh und
Viſchnu, von den beſondern Anhaͤngern dieſer
Gottheiten angewandt; in Monu’s Geſetzbuch
nimmt Brohma die erſte Stelle ein; die be-
ſchraͤnktere Deutung dieſer Gottheit als Element
der Erde, iſt alſo fuͤr ſpaͤter zu halten.
Wir koͤnnen in der That, ſo ſehr auch alles
mit willkuͤhrlichen Dichtungen und ganz groben
Irrthuͤmern uͤberladen ſein mag, wie ſehr auch
ein Aberglauben von zum Theil ſchrecklicher und
furchtbarer Art, alles entweihend und vergif-
tend, durch das ganze Syſtem ihrer Denkart
und ihres Lebens fort hinſchleicht; wir koͤnnen,
ſage ich, den alten Indiern die Erkenntniß des
wahren Gottes nicht fuͤglich abſprechen, da alle
ihre alten Schriften voll ſind von Spruͤchen
und Ausdruͤcken, die ſo wuͤrdig, klar, und er-
haben, ſo tiefſinnig und ſorgfaͤltig unterſcheidend
und bedeutend ſind, als menſchliche Sprache nur
uͤberhaupt von Gott zu reden vermag. Wie
kommt nun ſo hohe Weisheit zuſammen mit der
Fuͤlle des Irrthums?
Was aber noch mehr Erſtaunen erregen
muß, als die reinſten Begriffe von der Gottheit
in dem aͤlteſten Syſtem des Aberglaubens zu
finden, iſt der damit verbundene Glaube an die
Unſterblichkeit der Seele, der nicht bloße Wahr-
ſcheinlichkeit war, durch langes Nachdenken all-
maͤhlig gefunden, oder ferne Dichtung von einer
unbeſtimmten Schattenwelt, ſondern feſte und
klare Gewißheit, ſo daß der Gedanke des andern
Lebens herrſchender Beſtimmungsgrund aller
Handlungen in dieſem ward. Ziel und Seele
der ganzen Verfaſſung, aller Geſetze und Ein-
richtungen, bis auf die geringſten Gebraͤuche.
Dieß letzte, ich will nicht ſagen auf eine be-
friedigende, ſondern nur auf eine verſtaͤndliche
Weiſe, durch allmaͤhlige Entwicklung aus jener
thieriſchen Dumpfheit zu erklaͤren, wovon, nach
der allgemeinen Vorausſetzung, der menſchliche
Geiſt ausging, duͤrfte wohl durchaus unmoͤglich
ſeyn. Den tiefverborgenen Grund aufzuhuͤllen,
warum dieſe klare und gewiſſe Ueberzeugung von
der Unſterblichkeit mit der Erkenntniß des wah-
ren Gottes unmittelbar verbunden war, iſt hier
der Ort nicht. Ich will nur die Frage aufwer-
fen, ob das gewoͤhnliche Verfahren derjenigen
wohl das rechte ſein koͤnne, welche den Begriff
der Gottheit und den Beweis ihres Daſeins
aus Vernunftſchluͤſſen, Wahrſcheinlichkeiten der
aͤuſſern Natur und innern Beduͤrfniſſen oder
Hindeutungen zuſammenſetzen; da wir doch Gott
ſchon erkannt haben muͤſſen, um ſeine Spuren
in der Natur und im Bewußtſein wieder zu
finden, und da auf dieſe Weiſe der erhabene
Begriff ſeiner Einfachheit und damit ſeiner gan-
zen Wuͤrde beraubt wird? Von denjenigen rede
ich hier nicht, welche den Begriff der Gottheit
aus der Ichheit oder dem Geſetz der Vernunft
hervorgehen laſſen wollen; ſie duͤrften wohl et-
was ganz anders an die Stelle desjenigen ſetzen,
deſſen Begriff ſie verlohren haben. Mit einem
Worte: als natuͤrliche Entwicklung der Vernunft
betrachtet, iſt das indiſche Syſtem der Emana-
tion durchaus unerklaͤrlich; als misverſtandene
Offenbarung, iſt alles darin ganz begreiflich.
So haͤtten wir alſo ſchon in der blos geſchicht-
lichen Anſicht hinreichenden Anlaß zu vermuthen
und vorauszuſetzen, was vielleicht andre und
hoͤhere Gruͤnde uns als gewiß anzunehmen be-
wegen muͤſſen; daß derſelbe, der den Menſchen
ſo herrlich begabt und gebildet hatte, dem Neu-
geſchaffenen einen Blick in die unendliche Tiefe
ſeines Weſens vergoͤnnt und ihn dadurch aus
der Kette der ſterblichen Weſen fuͤr immer empor
geruͤckt, und mit der unſichtbaren Welt in Ver-
bindung geſetzt habe, ihm das hohe aber gefaͤhr-
liche Geſchenk ewigen Gluͤcks oder Ungluͤcks
verleihend.
Nicht als Unterricht des Vaters in Bild
und ausdruͤcklichem Wort denke man ſich dieſe
urſpruͤngliche Offenbarung, wiewohl auch dies
kein ganz leeres und unwuͤrdiges Gleichniß
waͤre; ſondern als ein Aufgehen des innern Gefuͤhls.
Wo das Gefuͤhl des Wahren einmal da iſt, da
finden ſich die Worte und Zeichen leicht ohne
weitere Mithuͤlfe, um ſo edler und bedeutender,
je tiefer und groͤßer das Gefuͤhl iſt. Wie aber
konnte denn goͤttlich mitgetheilte Wahrheit mis-
verſtanden werden? Nicht anders; ohne alle
Offenbarung wuͤrde der Menſch wohl noch in
der Reihe der Thiere ſtehen, vielleicht als das
erſte, vielleicht auch als das innerlich wildeſte
und unſeeligſte; ohne freien Gebrauch und eignes
Verſtaͤndniß der goͤttlichen Wahrheit waͤre er
zum blinden Werkzeug erniedrigt worden. Und
eben dieſen aͤlteſten Irrthum, der aus dem Mis-
brauch des goͤttlichen Geſchenks, aus der Ver-
dunklung und Misdeutung der goͤttlichen Weis-
heit entſtand, finden wir in den indiſchen Ur-
kunden, werden dies immer deutlicher und beleh-
render finden, je mehr wir das gebildetſte und
weiſeſte Volk des Alterthums kennen lernen. Es
iſt das erſte Syſtem, das an die Stelle der
Wahrheit trat; wilde Erdichtungen und grober
Irrthum, aber uͤberall noch Spuren der goͤttli-
chen Wahrheit und der Ausdruck jenes Schrek-
kens und jener Betruͤbniß, die der erſte Abfall
von Gott zur Folge haben mußte.
Daß die Fantaſie den Widerſpruch und Zwi-
ſchenraum zwiſchen dem Gedanken des vollkomm-
nen Weſens und dem Anblick der unvollkomm-
nen aͤuſſern Welt kaum auf eine leichtere und
natuͤrlichere Art ausfuͤllen konnte, als durch die
Anſicht der Emanation, wird jeder gern zugeben.
Sie iſt nicht nur Wurzel des aͤlteſten und allge-
meinſten Aberglaubens, ſondern auch eine reiche
Quelle der Dichtung geworden. Alles iſt dieſer
Anſicht gemaͤß ein Ausfluß der Gottheit, jedes
Weſen ſelbſt ein nur beſchraͤnkter, gebundner,
verdunkelter Gott; alles alſo beſeelt und belebt,
alles voll Goͤtter; Hylozoismus, und nicht blos
Polytheismus, ſondern wenn man ſo ſagen darf,
Allgoͤtterei, wie denn in der That die Menge
der indiſchen Goͤtter zahllos iſt. Die unendliche,
keinesweges angebildete ſondern urſpruͤngliche
Fuͤlle der Dichtung iſt es, was eine Mythologie,
die aus dieſer fruchtbaren Quelle hervorgeht,
von den duͤrftigen Vorſtellungen von Geiſtern
der Verſtorbenen bei denen Voͤlkern unterſchei-
det, die weniger gebildet, oder um es beſtimmter
auszudruͤcken, die weiter von dem Strome alter
Sagen und Ueberlieferung entfernt waren; wie-
wohl noch keines gefunden iſt, das ganz abge-
ſondert waͤre von aller Mittheilung mit edlern
gebildetern Voͤlkern, d. h. von ſolchen, die naͤher
und unmittelbarer aus dem Quell aller Dichtung
und Fantaſie ſchoͤpfen konnten. Dieſe Fuͤlle in-
nern lebendigen Reichthums hat ſelbſt die grie-
chiſche Mythologie, ſo verſchieden ſonſt ihr Geiſt
und Charakter iſt, noch mit der indiſchen gemein.
Daß auch Vergoͤtterung großer und heili-
ger Menſchen nicht mit dieſem Syſtem von
Vielgoͤtterei durch mannichfache Ausſtroͤmungen
aus einem Urquell ſtreite, ſich vielmehr an dem-
ſelben anſchließe, bedarf kaum einer Erwaͤhnung;
da die groͤßere innere oder aͤuſſere Verwandt-
ſchaft und Naͤhe des abgeſonderten Weſens zu
dem urſpruͤnglichen auch die Wuͤrde und Wuͤr-
digkeit deſſelben fuͤr Verehrung und Anbetung
beſtimmt.
Im Gefolge des Brohma finden wir alſo
gleich die heiligen zehn Altvaͤter, die eine ſo be-
deutende Stelle in der indiſchen Mythologie ein-
nehmen; die ſieben großen Riſchis oder Prie-
ſter der Vorwelt, die nachher unter die Sterne
verſetzt wurden; den Kaſhyopo, und alle
durch ihn von der Diti und Aditi, der Nacht
und der Heitre, abſtammenden Geſchlechter, bis
auf die beiden Staͤmme der Sonnenkinder, und
der Soͤhne des Mondes.
Wir begnuͤgen uns hier mit der bloßen
Moͤglichkeit, daß die indiſchen Altvaͤter nur ver-
goͤtterte Menſchen ſeien, ohne im geringſten der
Meinung einer ſinnbildlichen Bedeutung im vor-
aus widerſprechen zu wollen. Das wirklich hi-
ſtoriſche floß oft mit den Ideen von Emanation,
die Genealogie der Altvaͤter und Helden mit der
Kosmogonie der Natur zuſammen; die ſieben
Monu’s z. B. ſind eben ſo viele Aeonen, un-
tergeordnete Weltſchoͤpfer und Weltordner, Ent-
wicklungsperioden und Erſcheinungs-Epochen des
hoͤchſten Altvaters. Wollte man aber darum
alles hiſtoriſche in dieſer Sage laͤugnen?
Die weitere Unterſuchung wuͤrde uns jetzt
zu ſehr ins Einzelne fuͤhren, und wird ſich kuͤnf-
tig bei reicheren Quellen fruchtbarer behandeln
laſſen. In dieſer Darſtellung der hauptſaͤchli-
chen Epochen der orientaliſchen Denkart beſchraͤn-
ken wir uns auch nur auf die Hauptbegriffe der
indiſchen Goͤtterlehre, die ſo ſtark gezeichnet aus
derſelben hervortreten, daß auch was wir jetzt
haben hinreicht, um ihre weſentliche Bedeutung
nicht ganz zu verkennen.
Am vortheilhafteſten und ſchoͤnſten ſtellt ſich
das Syſtem der Emanation dar, wenn wir es
als Lehre der Ruͤckkehr betrachten. Von
dem goͤttlichen Urſprung des Menſchen nimmt
es uͤberall Anlaß ihn an die Ruͤckkehr zu erin-
nern, und ſich die Wiedervereinigung mit der
Gottheit als einzigen Zweck aller ſeiner Hand-
lungen und Beſtrebungen zu ſetzen. Daher die
heilige Bedeutung ſo mancher indiſchen Geſetze,
Sitten und Gebraͤuche, und der erhabene Ernſt
ihrer ganzen Lebenseinrichtung. Doch mag der
Geiſt ſchon fruͤhe entflohen ſein, ſo daß es nur
todte Gebraͤuche und Bußuͤbungen blieben; auch
fruͤhe ſchon ſich Aberglauben und Irrthum bei-
gemiſcht haben.
Nach der in dieſem Syſtem herrſchenden
Anſicht von der Abſtufung und den Geſchlechten
der in ſo mannichfacher Geſtalt eingehuͤllten le-
bendigen Weſen, ihrer allmaͤhligen Annaͤherung
und Entfernung von dem gemeinſchaftlichen Ur-
quell, entſtand der Begriff von der Seelen-
wanderung. Noch verwandt damit und eben-
falls ein weſentlicher Beſtandtheil deſſelben Sy-
ſtems iſt die Lehre von einem vorigen Leben,
von der Praͤexiſtenz der Seelen, und von den
Ideen oder hoͤheren Gedanken aus dunkler Er-
innerung der im vorigen Zuſtande angeſchauten
goͤttlichen Vollkommenheit, die beſonders beim
Anblick des Schoͤnen wieder rege wird; eine Leh-
re, auf die ſich Kalidas in der Sokuntola, einem
Volks-Schauſpiele, als auf eine allgemein be-
kannte, und ganz populaͤre Vorſtellungsart be-
zieht und anſpielt. Wo dieſe Seelenwanderung
nicht bloß phyſiſch gemeint, ſondern mit der Mei-
nung von der moraliſchen Verderbniß und Un-
ſeeligkeit aller Weſen, und nothwendigen Rei-
nigung und Ruͤckkehr zu Gott verbunden iſt,
da iſt ſie ſicher aus dieſem Syſtem entlehnt, und
alſo indiſchen Urſprungs. Auf dieſe Weiſe fin-
den wir in der Lehre des Pythagoras den Be-
griff der Metempſychoſe mit allen ſeinen orien-
taliſchen Nebenbeſtimmungen zum ſichern Be-
weiſe, daß es keine helleniſche Erfindung war,
obgleich bald hernach mit helleniſchem Geiſt und
Scharfſinn angeeignet und umgebildet; man muͤß-
te dann auch die aͤlteſten und verhaͤltnißmaͤßig
beſten Nachrichten von der pythagoriſchen Lehre
ganz verwerfen wollen.
Daß bei den celtiſchen Druiden die Lehre
der Seelenwandrung herrſchte, wiſſen wir; we-
niger, auf welchem Wege ſie dahin gelangt war.
Daß ſie den Hetruskern und uͤberhaupt im al-
ten Italien noch vor Pythagoras bekannt war,
iſt wahrſcheinlich. Von der Verbreitung dieſer
Lehre ſelbſt im aͤußerſten Norden, finden ſich
Spuren bei den Alten. Brachte Pythagoras
ſie vom Auslande heruͤber, ſo konnte er ſie wohl
nur im weſtlichen Aſien oder in Aegypten kennen
lernen. Die Aegyptiſche Behandlungsart der
Leichen, die ſie ſo weit als moͤglich zu verewi-
gen ſuchten, duͤrfte allerdings eine ſehr merkliche
Verſchiedenheit in der Anſicht von der Unſterb-
lichkeit vorausſetzen laſſen; da ſonſt die Mytho-
logie und Religion der Aegypter, ihrer ganzen
Structur und ihrem Geiſte nach, ſich haͤufig ganz
an die indiſchen anzuſchließen ſcheinen. Oſiris,
ien Hauptbegriff der Aegyptiſchen Lehre als
einer leidenden und ſterbenden Gottheit, erklaͤrt
ſich am beſten aus der indiſchen Lehre von der
Unſeeligkeit des Daſeins, wozu die reine Voll-
kommenheit herabgeſunken, und darin eingehuͤllt
und gefeſſelt ſei.
8
Drittes Kapitel.
Von der Aſtrologie und dem wilden
Naturdienſt.
Wenn das Syſtem der Emanation durch ſeine
moraliſche Tiefe, durch ſeine poſitive Fuͤlle und
genetiſche Entwicklung des Weltalls, den Vor-
zug vor dem eigentlichen Pantheismus behaͤlt,
der durch ſeinen bloß negativen und abſtracten,
und alſo irrigen Begriff des Unendlichen, jeder-
zeit in leere Indifferenz geraͤth, ſo laͤßt es ſich
dagegen von dem Vorwurf des Fatalismus auch
in der aͤlteſten Geſtalt, die wir bis jetzt kennen,
nicht frei ſprechen. Der Lehre von der Vorher-
beſtimmung haben wir ſchon oben erwaͤhnt, man
wird ſie ganz deutlich in der Kosmogonie des
Monu finden, die wir im Anhange liefern. Da-
hin gehoͤrt auch die Lehre von dem ſteten Kreis-
lauf, und ewigen Wechſel zwiſchen Schlaf und
Wachen des unendlichen Weſens.
„Als geſchaffen dieß All hatte, der ſich undenkbar
entwickelt ſtets,
„Sank zurück in ſich ſelbſt wieder, Zeit mit Zeit nun
vertauſchend er.
„Während der Gott nun wachend iſt, da regt ſtrebend
ſich hier die Welt,
„Doch wenn ruhigen Sinns er ſchläft, ſodann
ſchwindend vergeht es all.“
Nun wird weiter beſchrieben, wie alle irdiſche
Weſen in den Grund jenes Erhabenen verſchlun-
gen werden —
„Weil der, ſo alles Seins Leben, wohl ſüß ſchlum-
mert, der Kraft beraubt.“
Und ferner:
So mit Wachen und Schlaf wechſelnd, dieß All was
ſich bewegt was nicht,
Bringt zum Leben er ſtets hervor, vertilgt es, ſelbſt
unwandelbar.
Zahlloſe Weltentwicklungen giebts, Schöpfungen,
Zerſtörungen,
Spielend gleichſam wirket er dieß, der höchſte Schö-
pfer, für und für.
Der Begriff von der Zweckloſigkeit der Welt und
einer blos ſpielenden Thaͤtigkeit Gottes, haͤngt
weſentlich zuſammen mit jener Anſicht eines ewi-
gen Kreislaufs. In ſpaͤtern Syſtemen iſt dieß
die ſtets wechſelnde Contraction und Ausdehnung
der hoͤchſten Grundkraft, das Pulſiren der Welt-
ſeele.
Der Fatalismus hat ſich bei den orientali-
ſchen Voͤlkern zu einem ſehr kuͤnſtlich weit ver-
breiteten Syſtem entfaltet. Die Aſtrologie, ſammt
aller ihrer Begleitung von Vorbedeutungen,
Augurien, ungluͤcklichen Tagen, Beſchwoͤrungen
und dunkeln magiſchen Kuͤnſten, iſt dieſe merk-
wuͤrdige Erſcheinung des Alterthums, die noch
bis auf ſehr neue Zeiten ihren unermeßlich gro-
ßen Einfluß erſtreckt. Nicht blos als dichteriſche
Bewundrung der Naturſchoͤnheit, ſondern genau
in dieſer Umgebung finden wir den Geſtirndienſt
bei den Aegyptern, mit einem dem Anſchein nach
rohen Thierdienſt verwebt. Daß der Menſch
von der Verehrung der Gottheit zur Anbetung
der wilden Naturkraft, vom Schoͤpfer zu ſeinen
Werken herabſinken und verirren koͤnne, dafuͤr
giebt es in ſeinem Geiſt und Herzen ſo viele
Gruͤnde und Veranlaſſungen, daß es wenigſtens
hier uͤberfluͤſſig ſein duͤrfte, ſie weiter auseinan-
der zu ſetzen. Genug, wir finden auch im alten
Aſien nicht blos Spuren, ſondern Beweiſe einer
ganz eigentlich materialiſtiſchen Denkart; mag
man dieſen Materialismus auch zum Unterſchie-
de von dem, was in Europa ſo genannt wird,
den orientaliſchen nennen, da er, ſo weit wir
ihn bis jetzt kennen, gewiß ein ſehr eigenthuͤm-
liches Gepraͤge an ſich traͤgt. Wir zeigen ihm
in der hiſtoriſchen Stufenfolge der verſchiedenen
orientaliſchen Denkarten dieſe Stelle an, unmit-
telbar nach dem Syſtem der Emanation, der
Ruͤckkehr und Seelenwandrung; es wuͤrden ſich
auſſer dem aſtrologiſchen Aberglauben vielleicht
noch mehr Mittelglieder und Punkte des Ueber-
gangs und der allmaͤhligen Entartung von einer
ſo durchaus religioͤſen zu einer ganz materiellen
Anſicht aufzeigen laſſen; aber es bedarf deſſen
nicht, denn ſchon in der aͤlteſten bis jetzt bekann-
ten Urkunde der indiſchen Lehre, in der Kosmo-
gonie des Monu, iſt vieles ſehr materiell. Das
Bild von dem Welt-Ei zwar, welches ſich auch
bei den Aegyptern findet, kann man fuͤr ein
bloßes Bild kindlichen Alterthums halten; die
Matra aber, die Samentheilchen des Welt-
ſtoffes, muͤſſen ſchon eine mehr philoſophiſche Be-
ziehung haben. Ob ſie, wo nicht ſchon hier, ſo
doch ſpaͤter, eigentliche Atome ſind, ob diejenigen
griechiſchen Gelehrten Recht hatten, welche be-
haupteten, daß auch das Syſtem der Atome
orientaliſchen Urſprungs ſey, wird ſich erſt ent-
ſcheiden laſſen, wenn wir die Sekte der Pa-
ſchandiſten, Shoktiſten, und die als athei-
ſtiſch angefuͤhrten Syſteme, als Charval, u. ſ.
w., wo nicht aus den vielleicht groͤßtentheils ver-
lohrnen Urſchriften, ſo doch wenigſtens aus den
Widerlegungen der Gegner beſtimmter kennen ler-
nen, da uns die Philoſophie der Phoͤnicier zu
wenig und zu unſicher bekannt iſt, um etwas
entſcheidendes uͤber ſie feſtſetzen zu koͤnnen, ſo
wahrſcheinlich es ſein mag, daß ſie ganz und gar
von dieſer Art war.
In der aus ſehr verſchiedenen Beſtandtheilen
zuſammengeſetzten und durch manche Stufen all-
maͤhlig gebildeten Religion der Indier, nimmt
die Anbetung der wilden Naturkraft aber eine nur
allzu große Stelle ein. Bald als allvernichtende
Zerſtoͤrung aufgefaßt, bald als Zeugungskraft der
Natur als eines unendlichen Thieres, bietet uns
der Dienſt des Sivo, und der furchtbare Dur-
ga, Bilder des Todes und der Wolluſt, blutige
Menſchenopfer und bakchantiſche Zuͤgelloſigkeit in
einem grauſen Gemiſch dar. Was dieſen Natur-
dienſt und Materialismus ſo ſchrecklich macht, und
von der bloßen Sinnlichkeit mancher Voͤlker im
Zuſtande der einfachſten Wildheit noch ſo ſehr
unterſcheidet, duͤrfte gerade die beigemiſchte und
uͤberall einverwebte Idee des Unendlichen ſein,
die noch auf den beſſern Urſprung zuruͤck deutet;
denn grade das Hoͤchſte und Edelſte wird immer,
wenn es verwildert und entartet, zur ſchrecklichſten
Misgeſtalt.
Es hat ſich dieſer Naturdienſt ſo weit ver-
breitet, daß wir uns nur auf einige Andeutungen
des wichtigſten beſchraͤnken muͤſſen. Alle jene
Goͤtter, denen ſo ausſchließlich durch Menſchen-
opfer gehuldigt ward, verrathen dadurch und
durch manche andre Zuͤge, ihre Verwandtſchaft
mit dem indiſchen Sivo und der Kali; von der
Art ſind der Baal und Moloch der ſyriſchen und
puniſchen Voͤlker; wie uͤberhaupt dieſer wilde
Naturdienſt und Materialismus bei keinem Volke ſo
ausſchlieſſend geherrſcht haben mag, als bei den
Phoͤniciern. Dahin gehoͤrt auch jener Eſus, dem
die Gallier ſolche Stroͤme von Blut vergoſſen ha-
ben, wie ſonſt in der alten Welt kein Beiſpiel
gefunden wird, und ſich nur noch in dem Goͤtzen-
dienſt der Mexikaner wieder findet. Auch in dem
Geſtirn und Thierdienſt der alten Aegypter nahm
die Verehrung des Lingam und der alles erzeu-
genden Yōni wohl eine weit groͤßere Stelle ein,
als man gewoͤhnlich vorausſetzt. Den Gebrauch
des Phallus bei Feſten und an Bildern in Grie-
chenland leitet Herodot aus Aegypten her. Die
Geſchlechtszeichen, die der ſiegreiche Seſoſtris
uͤberall aufſtellte, wuͤrden ſich, wenn die Thatſa-
che anders gegruͤndet iſt, viel natuͤrlicher aus die-
ſem Aberglauben als allgemeine Sinnbilder deſſel-
ben erklaͤren, als nach der moraliſchen Deutung
des Herodot auf die mannhafte Tapferkeit oder
weibiſche Feigheit der uͤberwundenen Voͤlker be-
ziehen laſſen. Die phoͤniciſche Aſtarte, die phry-
giſche Cybele, die epheſiſche Artemis, ſelbſt die
germaniſche Hertha, ſind vielleicht nur in unwe-
ſentlichen Nebenbeſtimmungen von der indiſchen
Bhovani verſchieden. Den Grundbegriff der
alles zeugenden unendlich thieriſchen Naturkraft
in allen dieſen iſt wohl ungefaͤhr derſelbe. Vor-
zuͤglich in Babylon und in allen von dem babylo-
niſchen Reich abhaͤngigen Staaten ſcheint die Ver-
ehrung dieſer Goͤttin Mylitta, bei den Armeniern
Anaitis, Alilath bei den alten Arabern, am mei-
ſten geherrſcht zu haben; es iſt nicht unwahr-
ſcheinlich, daß unter den Yavanern in den al-
ten indiſchen Schriften, alle weſtlichen Voͤlker,
welche dieſem Dienſte ausſchlieſſend anhiengen,
gemeint ſeien, nicht ein beſtimmtes Volk, ſon-
dern eine Religionsſecte; wenigſtens koͤnnen die
Yavaner, welche in Monu’s Geſetzbuch nebſt
den Pehlvans und andern verwilderten Geſchlech-
tern vom Stamme der Krieger erwaͤhnt werden,
wohl nicht Alexanders Griechen ſein; wenn auch
ſpaͤter unter jener allgemeinen Benennung weſt-
licher Voͤlker, die Griechen mit verſtanden
wurden.
Daß dieſe Verehrung der Naturkraft ob-
wohl mehr verſchleiert und gemildert, nicht ſo
durchgefuͤhrt und zuſammenhaͤngend, doch der
innere Geiſt der Religion der Roͤmer und Griechen
geweſen ſei, wird niemand bezweiflen, der ihre
Goͤtterfabel nicht bloß antiquariſch betrachtet
hat. Nur war bei den Roͤmern der wilde Na-
turdienſt durch eine ſtrengere Sittlichkeit gezuͤ-
gelt; entweder weil ſich mehr Einzelnes von dem
urſpruͤnglichen Beſſern erhalten hatte, oder durch
vortrefliche Geſetzgeber der aͤlteſten Zeiten. Bei
den Griechen ward wegen ihrer Zerſtreuung und
Regſamkeit die Verfaſſung loſe und frei, und
der alte Aberglaube loͤste ſich faſt ganz in eine
heitere Mythologie auf, in die aber auch ein-
zelne Ideen aus einem noch andern und beſſern
Syſtem gekommen ſein moͤgen, von denen wir
gleich reden werden.
Die unendliche Fuͤlle der Fantaſie hat die-
ſer orientaliſche Materialismus mit dem Syſtem
der Emanation gemein; ja die wilde Begeiſtrung,
welche nun an die Stelle der alten Betruͤbniß
trat, iſt die eigentliche Quelle aller Rieſengebur-
ten der Dichtung und Fabel. Auch in dieſer
Anſicht war die Vergoͤtterung auſſerordentlicher
Menſchen begruͤndet, da die bildende oder zer-
ſtoͤrende Naturkraft in den Heroen ſo vorzuͤglich
ſichtbar ward, und gleichſam perſoͤnlich erſchien.
Der ſechsarmige Kriegsgott Karttikeyo oder
Skondoh, iſt in der indiſchen Fabel der Sohn
und ſtete Begleiter des Sivo. Vielleicht wurden
aber nicht bloß Helden, ſondern auch große Er-
finder vergoͤttert. Daß die erſten Schritte in
der Entdeckung der Naturgeheimniſſe und Wiſ-
ſenſchaft, dem Stolze des menſchlichen Geiſtes
nicht wenig geſchmeichelt haben, laͤßt ſich leicht
denken, da ſie ſelbſt fuͤr den Geſchichtsforſcher
faſt an das Wunderbare grenzen. Mit den Ge-
ſtirnen und andern Naturweſen, die ihr Gegen-
ſtand waren, ward alſo leicht Verſtand und Wiſ-
ſenſchaft zugleich vergoͤttert; und hierauf koͤnnte
man die ſo weitverbreitete Idee des Hermes
oder Thaut beziehen, vielleicht auch wohl den
aͤltern indiſchen Buddha. Ein andrer auch
erfinderiſcher Gott, Ganeſchoh, iſt unzertrenn-
licher Gefaͤhrte des Sivo. Zum Schluß bemerke
ich noch, daß die Denkmale zu Illaure auf der
Inſel Elephante und andre, das hohe Alter auch
dieſes Theils der indiſchen Lehre und Sage un-
widerſprechlich darthun und beſtaͤtigen; ſo wie
auch der urſpruͤngliche Sinn der bildenden Kunſt
der Indier, Aegypter, und ſelbſt der Griechen
nur aus dieſer Denkart verſtanden werden kann.
Auch in den Veda’s werden Menſchenopfer fuͤr
die Goͤttin Kali angeordnet; aber hier waͤre viel-
leicht nothwendig den Text ſelbſt zu haben und
eine reife, vielſeitige kritiſche Bearbeitung, ob
das Alter des Ganzen ſich einigermaßen beſtim-
men, und was ſpaͤtere Zuſaͤtze ſein moͤgen, mit
einiger Sicherheit unterſcheiden laſſen wird.
Viertes Kapitel.
Die Lehre von zwei Principien.
Wir naͤhern uns einer ſchoͤnern Geſtalt, der
alten Religion des Lichts. Das Syſtem des
Dualismus, die orientaliſche Lehre von zwei
Principien und dem ewigen Kampf des Guten
und des Boͤſen, nimmt grade dieſe Stelle ein,
denn uͤberall, wo wir ihre Spuren antreffen, er-
ſcheint ſie im ſtrengen Gegenſatz und Widerſpruch
gegen die bisher geſchilderten Denkarten, als
Wiederherſtellung des urſpruͤnglichen erſt ſpaͤter
verlohren gegangenen Lichtes goͤttlicher Wahrheit.
Der Geiſt dieſes Syſtems iſt durchaus idealiſtiſch;
zwar der Begriff der ſelbſtthaͤtigen Ichheit iſt allen
indiſchen Syſtemen gemein, wie die Ableitung
aller materiellen Kraͤfte aus geiſtigen Weſen um
ſo mehr Statt findet, je hoͤher wir in der Ge-
ſchichte orientaliſcher Denkart hinauf ſteigen, ſo
daß in dieſem Sinne meiſt alle orientaliſche Phi-
loſophie idealiſtiſch genannt werden koͤnnte. Die
eigentliche Uebereinſtimmung aber mit dem, was
in der europaͤiſchen Philoſophie Idealismus ge-
nannt wird, liegt darin, daß in dieſer Anſicht
Thaͤtigkeit, Leben und Freiheit allein als das
wahrhaft wirkliche anerkannt, todte Ruhe aber
und unbewegliche Beharrlichkeit als nichtig und
leer verworfen wird. Zwar erheben ſich auch
gegen dieſes Syſtem, als ſolches, ſehr bedeutende
philoſophiſche Schwierigkeiten; wird nehmlich das
boͤſe Princip geſetzt als ein ſolches, das ewig von
dem guten und goͤttlichen getrennt bliebe, ſo wird
noch auſſerhalb der Gottheit eine andre ihr wo
nicht gleiche, doch nicht mit ihr uͤbereinſtimmen-
de, von ihr unabhaͤngige Kraft und Welt ge-
ſetzt, und ſo alle Einheit zerriſſen; wird aber,
wie meiſt geſchieht, angenommen, daß in der
letzten Entwicklung das boͤſe Princip uͤberwunden
und veraͤndert, Ahriman mit dem Ormuzd wie-
der vereint und verſoͤhnt werde, ſo wird im Grunde
der Zwieſpalt aufgeloͤst; alles verſchmilzt pan-
theiſtiſch in Ein Weſen, und der ewige Unterſchied
des Guten und Boͤſen verſchwindet. Ungeachtet
dieſer Maͤngel wird man der intellectuellen Reli-
gion der Perſer, naͤchſt der chriſtlichen Lehre, ſo
wie dieſe im alten Teſtamente vorbereitet, im
neuen ausgefuͤhrt und vollendet iſt, leicht den
Vorzug der Erhabenheit und relativen Wahrheit
vor allen andern orientaliſchen Denkarten, wenig-
ſtens in moraliſcher Ruͤckſicht, zuerkennen.
Der Pantheismus hebt den Unterſchied des
Guten und Boͤſen unvermeidlich auf, ſo ſehr
er ſich auch in Worten dagegen ſtraͤuben mag;
das Syſtem der Emanation erdruͤckt den freien
Muth, durch das Gefuͤhl unendlicher verborgner
Schuld und den Glauben, daß alles boͤſe und
auf Ewigkeiten hin unſeelig ſey; die Lehre von
den zwei Principien und dem Kampf des Guten
und Boͤſen haͤlt das Mittel zwiſchen dieſen bei-
den Extremen, und iſt ſelbſt ein maͤchtiger An-
trieb zu gleichem Kampf, eine unverſiegliche
Quelle ſittlichen Lebens. Welches auch der
verborgene Urſprung dieſer Lehre und dieſes
Syſtems ſein mag, das ſich vielleicht an die
aͤlteſte Wahrheit anſchließt, denn Zerduſht war
nur Wiederherſteller derſelben, und auch als
ſolcher wohl ſchwerlich der erſte; verehrungs-
wuͤrdig und wohl goͤttlich duͤrfen wir dieſen
Urſprung nennen; denn es kann das freie Leben
der reinen und ſittlichen Kraft nur durch die
That ergriffen werden. Bloß erdichtet oder ver-
nuͤnftelt iſt dieſe Lehre nicht, und der Kampf
des Guten und Boͤſen iſt ein Wort ohne Sinn
auſſer fuͤr denjenigen, der mit allen Kraͤften ſei-
nes Weſens ſelbſt gekaͤmpft hat gegen das Boͤſe,
aus reiner Begeiſterung fuͤr das Gute; obwohl
alſo Syſtem in Ruͤckſicht des einfachen Glieder-
baus, iſt doch dieſe Lehre nothwendig und ur-
ſoruͤnglich mehr als das, iſt That und Leben.
Wer aber erſt des eignen freien Wirkens ſich
bewußt ward, mag dann durch jenes auch das
Leben der Natur verſtehen.
In der Natur verehrt dieſe Religion nicht
das Wilde, Zerſtoͤrende, nicht Wolluſt und Tod,
ſondern das Reinſte und Wohlthaͤtigſte, Feuer
und Licht; uͤberhaupt das freie Leben und den
innern Geiſt. Die ſieben Amſhaſpands oder
Geiſter der Elemente und Grundkraͤfte, ſtehen als
eben ſo viel Koͤnige der Natur um den Thron
des Herrſchers, des Herrlichſten und Erſten unter
ihnen. Den Himmel erfuͤllen die heiligen Feruers
oder die goͤttlichen Urbilder und Ideen aller
geſchaffnen Dinge. Das Geſtirn des Tages,
der Freund (Mithras) der Menſchen, iſt Mittler
zwiſchen ihnen und der Gottheit; die blutigen
Opfer verſchwinden, und die Weihung und Ge-
nießung des reinen Hom und Miezd durch den
Prieſter am Altare, bedeutet die innige Gemein-
ſchaft mit Gott durch die edelſte Frucht und
Kraft der bluͤhenden Gewaͤchſe.
Aber nicht bloß die Elemente ſind ein we-
ſentlicher Gegenſtand der Verehrung in dieſer
Religion, ſondern auch die Helden. Sie ſind
nicht mehr bloß Zerſtoͤrer und Ueberwinder, nicht
bloß gewaltige, und als ſolche goͤttlich verehrte
Naturkraͤfte; ſondern himmliſche Bezwinger der
Rieſen, der dunkeln Maͤchte und hoͤlliſchen Geiſter.
Der Kampf zwiſchen Iran und Turan iſt auf
Erden daſſelbe wie das Ringen der guten und
boͤſen Grundkraft im Himmel. Feridun und
Ruſtan, die vielbeſungnen Helden, feſſeln die
wilde Kraft des Zohak und Afraſiab; von allen
aber ſtrahlt Dſchemſchid, das Urbild vollkommner
Koͤnige aus dem Dunkel des Alterthums hervor.
Ein vollkommen gluͤckliches Reich, wo alles Licht
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endlich in ſiegreicher Freude beſeeligend herrſcht,
iſt eine nothwendige Idee dieſer Lehre, ſo wie
die Idee von einem urſpruͤnglich vollkommnen
Zuſtande, wo Meſhia und Meſhianes im Garten
der Unſchuld wandelten; der Zuſtand, welchen die
Religion des Zerduſht nur wiederherſtellen wollte.
Ein großer und zwar der ſchoͤnſte und lieb-
lichſte Theil der indiſchen Mythologie gehoͤrt dieſer
Denkart an. So iſt der erhaltende, wohlthaͤtige,
alles durchdringende Viſhnu zu deuten, mit
ſeiner ganzen Umgebung. Sein weibliches Eben-
bild gleicht nicht mehr der wilden Gefaͤhrtin des
Sivo, der furchtbaren Kali; es iſt die Lilie des
Himmels (Podma), die ſeelige und beſeeligende
Goͤttinn Lokſhmi oder Sri, die ſchoͤne Tochter
des milden Meergottes Voruno. Kamoh, der
Gott der Liebe, findet ſich meiſt in ſeiner Naͤhe
und der Sonnengott Indroh, der Freund der
Menſchen, ſammt allen ſeeligen und wohlthaͤ-
tigen Geiſtern, Feen und himmliſchen Nymphen.
Als Koͤnig und als Weiſer, als wunderthaͤtiger
Held erſcheint Viſhnu oftmals auf Erden, und
durchdringt alle Welten, immer aber nur in der
Abſicht, das Laſter zu baͤndigen, die Rieſen und
feindlichen Maͤchte zu vertilgen, alle gute Men-
ſchen und Geiſter ſammt ihrem Fuͤhrer, dem
gutgeſinnten Indroh, zu beſchuͤtzen.
So ſehr die Idee auch durch willkuͤhrliche
Dichtung und Maͤhrchen entſtellt iſt, da der Gott
wie ein andrer Proteus auſſer den menſchlichen
Geſtalten eines Weiſen oder Helden, auch die
einer Schildkroͤte, eines Ebers, eines Mannloͤ-
wen, eines Fiſches annimmt, ſo bleibt doch immer
die hohe Idee der Menſchwerdung ein Beweis
fuͤr den Tiefſinn der Indier, und fuͤr die Stufe
ihrer Erkenntniß. Denn in allen Geſtalten bleibt
es doch immer die gleiche ſchoͤne Abſicht, das
Gutgeſinnte huͤlfreich zu erretten, das Schaͤdliche
und Boͤſe zu beſiegen und vernichten. Zwar
findet man auch wohl in andern Mythologien,
wenn ſie ſchon moraliſcher gebildet ſind, Darſtel-
lungen von Helden, die ſich dem Begriff goͤtt-
licher Tugend naͤhern; Helden, die einem hohen
Geſetz und Beruf folgend nur gegen das Boͤſe
kaͤmpfen, allem Guten aber befreundet ſind. In
keinem Helden oder Herkules der Dichterſagen
aber wird man den Gedanken der Menſchge-
wordnen Gottheit ſo ausdruͤcklich ausgeſprochen
ſehen, als in dem indiſchen Ramo; dem milden
Sieger, deſſen freiwillige Verbannung in die
Einſamkeit und bald ungluͤckliche bald gluͤckliche
Liebe zur Sita ſo dichteriſch ſchoͤn und ruͤhrend
beſungen wird.
Auf eine noch hoͤhere Stufe tritt dieſe An-
ſicht, wenn wir die hohe Sittlichkeit in dem Le-
ben und Lehren der indiſchen Einſiedler und
Muni’s betrachten, beſonders wie ſie in den
Puranas dargeſtellt ſind. Die Haͤrte jener alten
Buͤßer und Riſhis, die durch ſelbſtgewaͤhlte
Qualen eine hoͤhere Stufe der Seeligkeit und
uͤbernatuͤrliche Kraͤfte erzwingen und ertrotzen
wollten, tritt mehr in den Hintergrund zuruͤck,
und es zeigt ſich hie und da die ſanfteſte Erge-
bung in Gott, eine Geſinnung voll Demuth
und Milde, reine himmliſche Liebe.
Wenn die Verehrung des Viſhnu in den
Veda’s eine große Stelle einnimmt, ſo fragt
ſich’s vor allen Dingen, ob der Begriff und die
Anſicht deſſelben auch ganz dieſelbe ſei wie in
den Puranas. In dem Geſetzbuch des Monu
iſt dies wenigſtens durchaus nicht der Fall.
Doch davon genug; denn was wir bis jetzt
haben, iſt wohl hinreichend die verſchiedenen
Theile des indiſchen Syſtems, die verſchiedenen
Entwicklungsſtufen und Schichten der indiſchen
Mythologie im Allgemeinen zu unterſcheiden und
nach dem Gange des Ganzen zu ordnen, aber
nicht um die Zeit fuͤr jedes genau zu beſtimmen,
und eine vollſtaͤndige Geſchichte zu entwerfen.
Obwohl aus der Lehre von den zwei Prin-
cipien und der damit verbundenen Verehrung des
reinen Naturgeiſtes, vieles und zwar grade das
ſchoͤnſte, nicht nur in der perſiſchen und indiſchen
Fabel hervorgegangen iſt, ſondern auch ſogar
manches in der roͤmiſchen, griechiſchen, und nor-
diſchen erſt in dem Kreis und Zuſammenhang
dieſer Begriffe ſeine wahre und volle Bedeutung
erhaͤlt, ſo iſt doch dieſelbe Denkart nicht bloß
poetiſch, ſondern auch urſpruͤnglich einer philo-
ſophiſchen Anſicht und Darſtellung empfaͤnglich.
Selbſt in den Sinnbildern der Perſer nehmen
wir ein beſtimmtes Zahlenverhaͤltniß der ſinn-
bildlichen Figuren wahr, einen conſtruirenden
Gliederbau, wovon der Keim ſchon in der erſten
Dualitaͤt der ringenden oder wechſelwirkenden
Grundkraͤfte lag. Daß ein philoſophiſches Sy-
ſtem des Inhalts und Geiſtes in Indien bekannt
geweſen ſei, hat die hoͤchſte Wahrſcheinlichkeit.
Ob die Nyayo Nyayo wird in den geſchriebenen Exemplaren des Amara-
coſha durch certamen, Kampf, erklärt; wenn der Nahme
jener Philoſophie nicht anders von niyote, er ordnet,
constituit, abgeleitet iſt, wovon Niti die Sittenlehre.
Auch könnte Nyayo nach der erſten Bedeutung ebenfalls
auf Dialektik gedeutet werden, da unſre Nachrichten von
der indiſchen Philoſophie noch ſo unbeſtimmt ſind, daß
einige die Nyayo für einen Theil der Philoſophie, die
Logik, erklären, andre ſie als ein beſtimmtes Syſtem und
beſondre Secte ſchildern. Philoſophie, nebſt der Mi-
manſo die aͤlteſte, ſolche Grundſaͤtze des Dua-
lismus enthalte; ob die beiden Syſteme des
Madhwo und Ramanujo, in welche die
Anhaͤnger des Viſchnu ſich theilen, und welche
beide in den Vedantoſchriften beſtritten werden,
dahin gehoͤren, wird die Zukunft lehren, und
auch die Frage entſcheiden, ob Zerduſht indiſche
Lehren und Vorſtellungsarten benutzt hat, oder
ob vielleicht der umgekehrte Fall Statt findet.
Da ſo vieles von Indien ausgegangen iſt, koͤnnte
nicht auch einiges wieder dahin zuruͤckgefloſſen
ſein? Wenigſtens muß man ſich ſolche Moͤg-
lichkeiten immer gegenwaͤrtig erhalten, um nicht
das, was am haͤufigſten geſchah, fuͤr ein durchaus
allgemeines Geſetz zu halten, und ſo einzelne
Beſonderheiten zu verkennen.
Iſt aber in irgend einer Gattung Indiſcher
Schriften etwas Fremdes eingefloſſen, ſo ſind es
wohl am erſten die Puranas, in denen die
Religion und Fabel des Viſhnu die herrſchenden
ſind; freilich zum Theil ſchon nach der philo-
ſophiſchen Umdeutung eines ſpaͤtern Syſtems.
Wenn man in den Puranas aber nicht bloß
ſolche Umſtaͤnde und Perſonen der heiligen Schrift
antrifft, die ſich unter mehren Voͤlkern verbreitet
haben, wie die Geſchichte des Noah, ſondern
auch ſolche, die ihr ganz eigenthuͤmlich und ſpeciell
ſcheinen, wie die vom Hiob, ſo darf man daraus
nicht gleich den Schluß machen, daß die indiſchen
Weiſen und Dichter dieſes unmittelbar aus den
Urkunden des alten Teſtaments geſchoͤpft haben;
denn es duͤrfte den Hebraͤern und den Perſern,
und wiederum den Perſern und Indiern mehres
gemeinſchaftlich ſein, als man gewoͤhnlich vor-
ausſetzt.
So guͤnſtig nun auch dieſe Denkart im
Vergleich mit den andern erſcheint, ſo hat ſich
doch auch hier, wie uͤberall, wo nicht eine hoͤhere
Fuͤgung das Licht des Geiſtes in ſeiner Reinheit
erhaͤlt, unſtreitig Irrthum und Aberglauben
ſchon fruͤhzeitig an der Wahrheit angeſchloſſen,
und ein falſcher Schritt war in jenen alten
Zeiten, die alles mit ſolcher Kraft und Einſei-
tigkeit durchfuͤhrten, oft genug, um von der
ſchoͤnſten Idee zu Einrichtungen und Gebraͤuchen
zu kommen, die wir kaum ohne Abſcheu betrach-
ten moͤgen. Aus dem nicht nur dichteriſch ſchoͤ-
nen, ſondern viel tiefſinnige Wahrheit enthal-
tenden Gedanken von der Schoͤnheit, Reinheit
und Heiligkeit der oberſten Grundweſen oder
Elemente, entſtand eine aͤngſtlich furchtſame Be-
ſorgniß, dieſe heiligen Lebensquellen und Natur-
geiſter ja nicht durch Beruͤhrung mit dem Todten
und Leichenhaften zu beflecken und zu vergiften.
Daher iſt es in der perſiſchen Religion faſt das
groͤßte aller Verbrechen einen Leichnam in die
Erde zu verſenken, oder gar durch die noch heili-
gere Flamme verzehren zu laſſen; und ſo entſtand
der ſchreckliche Gebrauch der alten Magier, die
Leichen durch wilde Thiere zerreiſſen zu laſſen,
der ſich in Thibet, obwohl die Religion dort
ſeitdem aͤnderte, erhalten, ja bis in den nordiſchen
Winkel Kamtſchatka’s verbreitet hat; wie Ge-
braͤuche oft noch lange beſtehen, nachdem die
Verfaſſung oder das Syſtem, aus denen ſie zuerſt
hervorgingen, nicht mehr vorhanden ſind. Ueber-
haupt iſt dieſe Denkart nicht uͤberall als Philo-
ſophie, am wenigſten als ſtreng abgeſchloſſenes
Syſtem aufgetreten, und ſo konnte von mehr
als einer Seite vieles aus dem alten aſtrolo-
giſchen Aberglauben in dieſen reinern Natur-
dienſt der Elemente einfließen, oder bald der
Ruͤckweg dahin gefunden werden.
Das goͤttliche Licht, deſſen ſich immer mehr
verbreitenden Sieg dieſe Lehre vor allen feiert,
ward eben dadurch als ein allmaͤhlig erſt neuer
entſtandnes Weſen dargeſtellt, die Morgenroͤthe
einer neuern beſſern Zeit, der ein ganz andrer
Zuſtand alter Finſterniß vorangieng, und ſo kam
man wieder auf den materiellen Begriff eines ur-
ſpruͤnglichen Dunkels und Chaos, der Nacht als
einer Mutter der Dinge.
Ich erinnere dieß nur darum, damit man
nicht glaube, daß eine Mythologie, die wie die
griechiſche vom Chaos ausgeht, oder von der Nacht
als Mutter der Dinge, darum rein materialiſtiſch
ſein muͤſſe, und gar keinen Theil an der hellern
und heitern Anſicht dieſer Denkart gehabt habe,
deren Einfluß auch im Gebiet der Fantaſie ſo weit
verbreitet iſt.
Noch auf eine andre Art iſt die urſpruͤnglich
ſo ſchoͤne Religion des Lichts ſehr gemisbraucht
worden. Nebſt dem aſtrologiſchen Aberglauben
hat im Alterthum nichts ſo viel Einfluß auf Ent-
ſtehung und Ausbildung der geheimen Geſellſchaf-
ten und Myſterien gehabt, als grade dieſe Lehre.
Die hoͤhere Erleuchtung ſollte zwar Demuth und
Liebe von ſelbſt mit ſich fuͤhren; wir ſehen aber,
daß ſie oft auch dann, wenn ſie wenigſtens aus
der wahren Quelle abgeleitet iſt, dennoch mehr
den Stolz der Erleuchteten als jene Geſinnungen
in Bewegung ſetzt, und daß die, welche im Beſitz
hoͤherer Einſicht und geheimer Weisheit zu ſein
glauben, mit verſchmaͤhender Abſonderung und
geheimnißvollem Eigennutz, gern im Verborgenen,
ſich ſelbſt an die Stelle der Vorſehung ſetzend,
alles lenken, und in Allem ihre Hand haben
moͤchten, jeden Nicht-Erleuchteten aber nur
als Stoff und blindes Werkzeug ihrer Ab-
ſichten zu betrachten und zu behandeln ſich be-
rechtigt halten.
Dieß mag im fruͤhen Alterthum ſo gut
geſchehen ſein wie in neuern Zeiten, oͤfter und
mehr als man gewoͤhnlich vorausſetzt.
Fuͤnftes Kapitel.
Vom Pantheismus.
Von den orientaliſchen Denkarten und Syſte-
men, welche wegen ihres weitverbreiteten Ein-
fluſſes die meiſte hiſtoriſche Wichtigkeit haben, iſt
nur noch eines zuruͤck: der Pantheismus. In
der Lehre der Buddhiſten, welche etwa tauſend
Jahr nach ihrem Urſprung, um die Zeit Chriſti,
in Thibet und China eingefuͤhrt ward, in Siam
und der ganzen oͤſtlichen Halbinſel wie auf Cey-
lan herrſcht, und ſich auch unter den tatariſchen
Voͤlkern weit verbreitet hat, iſt der Geiſt deſſel-
ben ſichtbar. Wenigſtens dem Fo der Chineſen
wird als ſeine eigentliche, weſentlichſte und eſo-
teriſche Lehre, das deutlichſte und entſchiedenſte
Bekenntniß zugeſchrieben, daß Alles Nichts ſey,
wohin die Lehre, daß Alles Eins ſey, ſo natuͤr-
lich fuͤhrt; denn, wenn vor dem bloß abſtracten
und negativen Begriff des Unendlichen alles an-
dre erſt vernichtet und verſchwunden iſt, ſo ent-
flieht er zuletzt ſelbſt, und loͤst ſich in Nichts
auf, weil er urſpruͤnglich leer und ohne Inhalt
war.
Es darf auch nicht befremden, daß wir dieſe
Philoſophie unter allen orientaliſchen als die
juͤngſte betrachten. Die hiſtoriſchen Beweiſe dafuͤr
werden unten angefuͤhrt werden; hier bemerken wir
nur, daß das lebendige tiefe Gefuͤhl des Unend-
lichen und ſeiner Fuͤlle der Allmacht, ſchon ſehr
geſchwaͤcht und verdunſtet ſein muß, ehe es ſich
in dieſen vom Nichts ſchwer zu unterſcheidenden
Schatten und Scheinbegriff des Einen und Allen
aufloͤſen kann. Alle andre orientaliſche Lehrbe-
griffe gruͤnden und berufen ſich noch auf goͤttli-
che Wunder und Offenbarung, ſo entſtellt auch
alles durch Fabel und Irrthum ſein mag. Der
Pantheismus iſt das Syſtem der reinen Ver-
nunft, und inſofern macht er ſchon den Ueber-
gang von der orientaliſchen Philoſophie zur euro-
paͤiſchen. Er ſchmeichelt dem Eigenduͤnkel des
Menſchen eben ſo ſehr als ſeiner Traͤgheit. Iſt
einmal dieſe große Entdeckung gemacht, dieſe
alles umfaſſende, alles vernichtende, und doch ſo
leichte Wiſſenſchaft und Vernunft-Weisheit, daß
Alles Eins ſei, gefunden, ſo bedarf es weiter
keines Suchens und Forſchens; alles was andre
auf andren Wegen wiſſen oder glauben, iſt nur
Irrthum, Taͤuſchung und Verſtandesſchwaͤche,
ſo wie alle Veraͤnderung und alles Leben ein
leerer Schein.
Freilich wenn noch Kraft und Tiefe des
Gefuͤhls vorhanden iſt, und die Lehre in vollem
Ernſt wirklich ausgefuͤhrt wird, ſo nimmt ſie einen
ganz andern furchtbaren Charakter an; es ent-
ſtehen dann jene in Indien nicht ſeltene, den
kaͤltern Beobachtern ſo ſchwer zu begreifende
freiwillige, den Geiſt zerſtoͤrende Martern der
Yoghuis und Sonnyaſis, welche die Selbſt-
vernichtung als hoͤchſtes Gut ſich zum Ziele ſez-
zen. Bei kaͤltern oder geſchwaͤchtern Naturen
aber fuͤhrt im Gegentheil die Ueberzeugung, daß
alles Boͤſe nur leere Taͤuſchung, und alles weil
es Eins, auch gleich vollkommen ſei, einen fal-
ſchen Schein von Heiterkeit und innerer Zufrie-
denheit mit ſich.
Vielleicht aber hat nur in China, wo der
Pantheismus lange vor der Zeit erſtanden war,
da die Religion des Buddha eingefuͤhrt ward,
dieſe einiges von demſelben angenommen. In
andern Laͤndern finden wir in dieſer uͤberhaupt
ſehr gemiſchten Lehre vieles beſonders aus dem
Dienſt des Sivo; dahin deute man das oftmals
noch graͤßlicher verzerrte Bild der furchtbaren
und zerſtoͤrenden Gottheit bei den buddhiſtiſchen
Tataren. In Thibet fand Turner Feſte der
Kali, die Verehrung des Karttikeyo und des
Ganeſho; die ganze Umgebung des Sivo.
Ein aͤlteres und ganz reines Syſtem des
Pantheismus iſt in der merkwuͤrdigen Zahlen-
philoſophie der Chineſen enthalten, ſo wie die-
ſelbe in dem alten Y—king, dem Buche von der
Einheit, vorgetragen wird. Es iſt dieſes eine der
merkwuͤrdigſten Urkunden des orientaliſchen Alter-
thums. Wenn gleich als erſter Erfinder der fabel-
hafte Fo—hi genannt wird, ſo ſpricht doch der
Umſtand, daß Kon—fu—tſe (A. 550 vor Chri-
ſtus) der juͤngſte unter den claſſiſchen Erklaͤrern
war, zu deſſen Zeit man ſchon lang uͤber den
wahren Sinn des Buchs geſtritten hatte, fuͤr ein
verhaͤltnißmaͤßig ſehr hohes Alterthum. Veraͤn-
dert und verfaͤlſcht kann es um ſo weniger ſein,
da es nicht in den gewoͤhnlichen Charakteren, ſon-
dern in ſehr einfachen Symbolen abgefaßt iſt.
Das große Eins, wovon dies hieroglyphiſche Buch
handelt, wird auch Tao, Vernunft, genannt, wel-
ches Tao das Eins, wie dieſes die Zwei, und
dieſe die Drei erzeugte, durch das alle Dinge
hervorgebracht ſind; oder Tai—ki, der große
Gipfel, dasjenige, von dem alles ausgeht, und
wo alles Unterſcheiden und Beſtimmen aufhoͤrt.
Dieſes große Eins wird in zwei entgegengeſetzte
Grundweſen zertheilt, aus deren mannichfachen
Verbindungen und Zuſammenſetzungen alles be-
ſteht, nach einem feſten Mechanismus und blinder
Nothwendigkeit, die jenem Tao beigelegt wird.
Das Yang und Yn; das Vollkommne, Maͤnn-
liche, Thaͤtige, und das Unvollkommne, Weib-
liche, Leidende, wird durch eine ganze, nicht ge-
brochne, und eine gebrochne Linie ausgedruͤckt;
daraus entſtehn zunaͤchſt vier andre Zuſammen-
ſetzungen, Bilder, wie ſie genannt werden; das
große und kleine Yang; das große und kleine Yn,
je nachdem zwei gebrochne, oder zwei nicht ge-
brochne Linien uͤber einander geſetzt werden, oder
in den beiden andern Faͤllen die gebrochne Linie
uͤber oder unter der nicht gebrochnen ſteht. Die
acht Koua oder Symbole in der dreifachen Zuſam-
menſetzung des Yang und Yn bedeuten eben ſo
viele Grundkraͤfte. In der ſechsfachen Zuſam-
menſetzung aus Verdopplung jener dreifachen,
koͤnnen ſchon moraliſche Begriffe ausgedruͤckt
werden. Es loͤst ſich alles in ein Zahlenſpiel
auf, oder philoſophiſch ausgeſprochen, iſt alle
ſcheinbare Individualitaͤt nur eine Verſchiedenheit
des Grades und der Zuſammenſetzung. Unter
den Zahlen iſt noch bei Kon — fu — tſe nicht
die Vier oder die Sechs, wie in andern Zahlen-
philoſophien, ſondern die Fuͤnf als vollkommne
Mittelzahl die erſte, und die fuͤnf ungleichen der
erſten Zahlen bis Zehn ſind nach ihm die himm-
liſchen, die gleichen dagegen die irdiſchen.
Wenn der Pantheismus nicht blos Denkart
und Geſinnung iſt, wie bei den indiſchen Yoghuis
und Sonnyaſis nach der Darſtellung des Bhog-
votgita, ſondern mehr oder minder als wiſſen-
10
ſchaftliches Syſtem auftritt, ſo iſt es nie etwas
anders als ein ſolches nach einem bloßen Mecha-
nismus der Vernunft fortſchreitendes Combina-
tionsſpiel aus Einem Poſitiven und Negativen,
welches eine ſolche Zahlenſymbolik wie dieſe im
Grunde beſſer darſtellt, als Worte es koͤnnen. Da
dieß nun ſchon in dieſer aͤlteſten Form des Pan-
theismus Statt findet, ſo wird es ſehr wahrſchein-
lich, daß derſelbe aus dem Dualismus entſtanden
ſei, durch ſpaͤtere Umdeutung und Ausartung deſ-
ſelben. Sobald die Lehre von den zwei Principien
nicht mehr Religion, ſondern Syſtem war, konnte
der Gedanke die beiden Grundkraͤfte in ein Hoͤhe-
res zu vereinigen und aufzuloͤſen kaum ausbleiben.
Der urſpruͤngliche Sinn des Yang nach
de Guignes iſt Licht und Bewegung; des Yn Fin-
ſterniß und Ruhe. Sehr vieles in der chineſiſchen
Lehre und Tradition vor Kon—fu—tſe hat eine
unverkennbare Uebereinſtimmung mit den perſiſchen
Begriffen, wie man ſie auch in einigem mit der
moſaiſchen Urkunde bemerkt hat. Die Entfernung
der Laͤnder iſt nicht ſo groß als es anfangs ſcheint;
die alte Cultur China’s hatte ihren Hauptſitz in
der Nordweſtlichen Provinz Shen — ſt und in
Bactrien herrſchte die perſiſche Lehre; der Philo-
ſoph Laokiun war weit gegen Weſten gereist.
Hat es mit der indiſchen Sankhyo oder
Zahlenphiloſophie des Kopilo vielleicht die gleiche
Bewandniß? Iſt, ſo wie ſpaͤterhin die Lehre des
Fo aus Indien nach China kam, daſſelbe auch
ſchon fruͤher mit andern Syſtemen geſchehen? —
In den Scholien zu Monu’s Geſetzbuch werden
Mohot und Ovyokto, das Maͤchtige, und der
Unbeſtimmbare, Untheilbare oder Unbegreifliche
als die beiden Principien der Philoſophie des
Kopilo angegeben. Vielleicht war aber dieſe
ſcheinbare Dualitaͤt eben ſo gemeint wie im Y—
king; daß der Geiſt der Sankhyolehren durchaus
pantheiſtiſch ſei, laͤßt ſich wenigſtens nach dem
Bhogvotgita nicht bezweifeln, man muͤßte denn
annehmen, der Verfaſſer habe ſie durchaus mis-
verſtanden, oder nach ſeiner eignen Denkart ge-
waltſam umgedeutet. Im Bhogotgita, wie ver-
muthlich in allen dem Vyaſo zugeſchriebenen
Werken, herrſcht die Vedanto-Lehre, deren
Urheber er war; daher kennen wir dieſe unter
allen indiſchen Philoſophien am beſten.
Daß ſie nichts anders ſei, als reiner voll-
kommner Pantheismus, kann ſich jeder leicht
ſelbſt aus der Ueberſetzung uͤberzeugen; in der
philoſophiſchen Beſtimmtheit der Urſchrift ſind
viele Stellen noch ſtaͤrker. Freilich aber war es,
wie ſchon der Nahme Vedanto anzeigt, nur
Umdeutung des alten durch die Veda’s geheilig-
ten indiſchen Syſtems.
Die alte Sage alſo wird wie die alte Ver-
faſſung durchaus ſtehen gelaſſen, nur aber der
neue Sinn ſo viel als moͤglich eingeſchoben, und
alles auf jenes große Eins bezogen; — das
Hoͤchſte, Brohmo, auch Ghuinyon, oder
Objekt des Wiſſens, — das hier ausdruͤcklich
als Indifferenz, zwiſchen Sein und Nichtſein,
zwiſchen Sot und Oſot definirt wird: (Kap. 13.)
doch fehlt es auch nicht an Stellen, die ziemlich
deutlich gegen die Veda’s ſelbſt angehen. Aus
dem ungemeſſenen Lobe, was der Verfaſſer
uͤberall der Sankhyo-Philoſophie ertheilt, ſcheint
doch eine wirkliche Uebereinſtimmung der Denk-
art hervorzugehen.
Von einigen Schriftſtellern wird indeſſen
angegeben: Sankhyo ſey die Phyſik, wie Mi-
manſo die Moral, und Nyayo die Dialektik, da
hingegen andre ſie als eben ſo viele Philoſophien
und Syſteme erwaͤhnen; in welchem Falle die
Nyayo als eine der aͤlteſten, die nebſt der Mi-
manſo allein in Monu’s Geſetzbuch erwaͤhnt und
mit ihr unter die Upanga’s gerechnet wird, eine
beſondre Aufmerkſamkeit verdienen wuͤrde. Der
moraliſche Geiſt der Mimanſo, und die ſpekula-
tive Beſchaffenheit der Sankhyo ſtimmen uͤber-
ein mit der Stelle, die wir ihnen in der Ord-
nung der Syſteme angewieſen haben. Es wird
daruͤber bald eine beſtimmtere Entſcheidung moͤg-
lich ſein, je mehr indiſche Urſchriften wir kennen
lernen. Fuͤr jetzt iſt es ſchon viel, daß wir die
aͤlteſte indiſche Anſicht, die der ganzen Verfaſſung
zum Grunde liegt, aus Monu’s Geſetzbuch ziem-
lich vollſtaͤndig, und die Vedanto-Lehre, die als
die juͤngſte das ganze Syſtem der indiſchen Lite-
ratur beſchließt, aus dem Bhogvotgita fuͤr den
weſentlichen Charakter hinreichend kennen.
Man kann ſich uͤberhaupt das Ganze der
indiſchen Literatur zur leichtern Ueberſicht vor-
laͤufig in vier Epochen eintheilen; die aͤlteſte
Epoche umfaßt die Veda’s und was ſich zunaͤchſt
an dieſe anſchließt, wie Monu’s Geſetzbuch.
Daß die Veda’s, wenn gleich durch einzelne Zu-
ſaͤtze verfaͤlſcht, doch nicht ganz neu umgeſchmol-
zen ſein koͤnnen, wird nicht wenig dadurch beſtaͤ-
tigt, daß ſchon vor ſo geraumer Zeit Woͤrter-
buͤcher zum Verſtaͤndniß derſelben noͤthig waren.
Den in Proſa abgefaßten Rig und Yojurved
wird verſchiedentlich ein kosmogoniſcher, magi-
ſcher und liturgiſcher Inhalt zugeſchrieben; der
des Samoved in Verſen iſt moraliſch, ver-
muthlich aber mit manchen mythiſchen und hiſto-
riſchen Einmiſchungen, ſo wie in dem Mano-
vondhormoſhaſtron. —
Eine andre große Epoche bilden alle diejeni-
gen Werke, welche dem Vyaſo zugeſchrieben
werden; die achtzehn Puranas, der Moha-
bharot, und die Vedanto-Philoſophie. Ob-
gleich der Werke mehr ſind, als von einem
Menſchen irgend moͤglicher Weiſe herruͤhren koͤn-
nen, ſo wird doch wahrſcheinlich in allen die
gleiche Lehre und Anſicht angetroffen werden,
und ſoll auch keine Verſchiedenheit des Styls
bemerklich ſein, da doch die in Monu’s Geſetz-
buch ſchon ſo auffallend groß iſt.
Wenn gleich die Veda’s als das aͤlteſte, ge-
heimnißvollſte, begreiflicher Weiſe die Wißbe-
gierde am meiſten auf ſich ziehen werden, ſo
duͤrfte doch was zwiſchen dieſen und den Pura-
nas in der Mitte liegt, vielleicht nicht minder
lehrreich und wichtig ſein. Dahin gehoͤren faſt
alle philoſophiſchen Syſteme, die aͤlter
ſein muͤſſen als die Vedanto, weil dieſe ſich
theils an ſie anſchließt, wie an die Sankhyo,
theils aber ſie beſtreitet und widerlegt. Ferner
der Ramayon, und vielleicht der erſten Entſte-
ſtehung nach noch manche andre in den Pura-
nas verarbeitete Dichtung. Das hohe Alter-
thum des Mohabharot und Ramayon, wo nicht
der jetzigen Geſtalt, ſo doch dem Kern der Dich-
tung nach, wird durch die Denkmale zu Illoure
und andre unwiderſprechlich bewieſen.
Dieß wuͤrden wir die zweite Epoche nennen;
die Puranas und alles andre von Vyaſo machte
die dritte; Kalidas und andre Dichter endlich,
welche die alten Sagen, die bis dahin ein allzu
ausſchlieſſendes Eigenthum der Prieſter waren,
in Schauſpielen und andern poetiſchen Geſtalten,
auch allgemeiner fuͤr alle darſtellen, die vierte
und juͤngſte Epoche der alten indiſchen Literatur.
Die vorzuͤglichſten dieſer Dichter bluͤhten im Zeit-
alter des Vikromadityo, ungefaͤhr gleichzeitig mit
dem Kaiſer Auguſtus.
Die wichtigſten Epochen aber der indiſchen
und uͤberhaupt der orientaliſchen Philoſophie und
Religion, ſind folgende: erſtens, das Syſtem
der Emanation, das endlich in aſtrologiſchen Aber-
glauben und ſchwaͤrmeriſchen Materialismus ent-
artete; die Lehre von den zwei Principien, deren
Syſtem des Dualismus, ſpaͤter zum Pantheismus
umgewandelt ward.
Tiefer iſt der menſchliche Geiſt in der orien-
taliſchen Philoſophie nicht herabgeſunken, als bis
zum Pantheismus, welcher der Moral eben ſo
verderblich als der Materialismus, und zugleich auch
fuͤr die Fantaſie zerſtoͤrend iſt. Zwar wird es
beſonders in Indien, wo unter einer anſcheinen-
den Gleichfoͤrmigkeit eine ſehr große Mannich-
faltigkeit der Geiſtes-Entwicklung Statt gefunden
hat, auch an einzelnen Beiſpielen der gemeinern
ſkeptiſchen, oder ſelbſt ganz empiriſchen Denkart
vielleicht nicht gefehlt haben; ob dieſelbe aber zu
einem eigentlichen Syſtem in wiſſenſchaftlicher
Form entwickelt ward, dafuͤr iſt noch keine An-
zeige vorhanden.
Wir haben fuͤr jetzt die Aufmerkſamkeit nur
auf das Wichtigſte lenken wollen, was Epoche
macht, und den Gang des Ganzen vorzuͤglich
erklaͤrt; vieles, was das gegenſeitige Verhaͤltniß,
den Zuſammenhang der verſchiedenen Syſteme
noch deutlicher haͤtte darſtellen koͤnnen, die all-
maͤligen Uebergaͤnge aus einer in das andre,
oder die ganze Ausfuͤhrung und Entwicklung
jedes Einzelnen bis auf die Nebenbeſtimmungen,
iſt abſichtlich weggelaſſen worden, um den Blick
durch die Mannichfaltigkeit der Gegenſtaͤnde nicht
allzuſehr zu zerſtreuen.
Drittes Buch.
Hiſtoriſche Ideen.
Erſtes Kapitel.
Vom Urſprunge der Poeſie.
Die alten Sprachen, deren Stammbaum wir
von der Wurzel bis zu den Hauptaͤſten im erſten
Buche zu verfolgen ſuchten, ſind eine Urkunde der
Menſchengeſchichte, lehrreicher und zuverlaͤſſiger,
als alle Denkmale in Stein, deren halbverfallne
Rieſengroͤße die ſpaͤte Nachwelt, zu Perſepolis,
Illoure, oder an dem aegyptiſchen Thebaͤ mit
Erſtaunen betrachtet. Die Geſchichte der Reli-
gion aber, der herrſchenden Ideen, darf in der
aͤlteſten Zeit eben ſo wenig und noch weniger
als in der neuen, von der Geſchichte der Bege-
benheiten der Voͤlker getrennt werden. Darum
haben wir eine Darſtellung der ſucceſſiven Ent-
wicklung des orientaliſchen Geiſtes nach den vier
merkwuͤrdigſten Syſtemen, oder vielmehr nach
den wichtigſten Epochen orientaliſcher Denkart
im zweiten Buche vorangehen laſſen; das gegen-
waͤrtige dritte und letzte aber beſtimmen wir der
Andeutung wenigſtens einiger hiſtoriſchen Folge-
rungen und Betrachtungen, die ſich am unmit-
telbarſten aus jenen beiden feſten Grundlagen
ergeben, worauf ſich kuͤnftig endlich einmal ein
dauerhafteres und vollſtaͤndigeres Gebaͤude alter
Geſchichte wird auffuͤhren laſſen, als wir bisher
hatten.
Statt uns in einzelnen Vergleichungen der
verſchiedenen Mythologien mit der indiſchen zu
verlieren, ſuchten wir vielmehr einen allgemeinen
Umriß der aͤlteſten orientaliſchen Denkart nach
den ſicherſten Urkunden zu entwerfen. Dieſer
Begriff des Ganzen kann allein das verworrene
Dunkel erhellen, und duͤrfte, wenn man die
Nachweiſung der geſchichtlichen Genealogie der
Sprachen hinzunimmt, den Leitfaden geben, um
aus dem alten Labyrinth den Ruͤckweg an das
Licht zu finden. Die unendliche Mannichfaltig-
keit individueller Entwicklungen der Mythologie
ſetzen wir auch hier bei Seite; aber ſo wenig
die ganze Fuͤlle der Fantaſie ſich auf Begriffe
zuruͤckfuͤhren laͤßt, ſo wird man doch nicht laͤug-
nen koͤnnen, daß es bei aller Verſchiedenheit
unter ſehr entfernten Mythologien gewiſſe allge-
meine Uebereinſtimmungen gebe, und daß bei
aller Willkuͤhr ſpielender Dichtung, doch nicht
alles bedeutungslos iſt, vieles auf einer und
denſelben Sinn zuruͤckweiſt; nicht blos auf die
Weiſe, welche man gewoͤhnlich Allegorie nennt,
ſondern vorzuͤglich in dem Geiſt, in der vorherr-
ſchenden Denkart und Richtung des Gefuͤhls.
Von dieſem Gemeinſchaftlichen, von dieſer allem
Polytheismus zum Grunde liegenden Denkart,
wird ſich zum Theil ſchon jetzt der Urſprung
erklaͤren, und wenigſtens die Stelle nachweiſen
laſſen, wo Mythologie entſtanden iſt, und wie
ihre weitere Entwicklung dem Gange des menſch-
lichen Geiſtes uͤberhaupt folgte.
Die Lehre von der Emanation, d. h. von der
unendlichen fortgehenden Entwicklung und Ent-
faltung Gottes und der allgemeinen Beſeelung,
enthielt den erſten Keim des Polytheismus; in
der materiellen Anbetung der Natur und dem
aſtrologiſchen Aberglauben erzeugte ſich die ganze
Fuͤlle der alten Fabel; gemildert, verſchoͤnert,
auch bereichert ward die Mythologie durch die
Lehre von den zwei Principien, die Religion des
Lichts, und der frommen Gottbegeiſterten Hel-
den; ſobald aber, wo es auch ſein mag, panthei-
ſtiſche Denkart herrſchend ward, konnte die My-
thologie nur noch als Allegorie, als eſoteriſche
Huͤlle oder Spiel der Dichtung ſtehen bleiben.
So wie die griechiſche Mythologie der ſchoͤnen
Entwicklung nach vielleicht die reichſte, ſo duͤrfte
die indiſche dem innern Weſen nach die umfaſ-
ſendſte ſein, weil ſie durch alle jene Denkarten
vollſtaͤndig durchgefuͤhrt iſt. Kaum duͤrfte ſich
ein Begriff finden, der in einer der verſchiedenen
intellectuellen Religionen irgend weſentlich und
dem indiſchen Syſtem unbekannt geblieben waͤre,
oder eine Fabel, die in einer der blos dichteri-
ſchen Mythologien eine ausgezeichnete. Stelle
annaͤhme, fuͤr die ſich nicht in eben demſelben
etwas ganz entſprechendes, und merkwuͤrdig aͤhn-
liches aufzeigen lieſſe.
Welche Stelle die aegyptiſche und ſyriſche
Mythologie in dem Cyklus des Ganzen einnehme,
iſt ſchon im vorigen Buch angedeutet; man be-
trachte nach derſelben Anſicht auch die europaͤiſchen
Sagen und Dichtungen der celtiſchen, roͤmiſchen,
griechiſchen, germaniſchen und ſlaviſchen Mytho-
logien, und wenn auch im Einzelnen viel Dun-
kelheit bleibt, wird doch der Geiſt und der Gang
des Ganzen deutlicher werden. Wir haben die
Ordnung der genannten Mythologien ſo geſtellt,
wie ſie der Stufenfolge der verſchiedenen Denk-
arten entſprechen moͤgen. In der celtiſchen
werden noch die beſtimmteſten Spuren des aͤlte-
ſten Syſtems der Seelenwandrung gefunden; es
duͤrfte deren aber auch in der altroͤmiſchen Reli-
gion mehr geweſen ſein als bei den Griechen;
in der ſlaviſchen Mythologie iſt die Lehre von
den zwei Principien herrſchend, und auch der
deutſchen war dieſe und die Verehrung der
Elemente, ſo wie ſie damit verbunden zu ſein
pflegt, wohl nicht unbekannt. Die griechiſche
ſteht auch hier als die vollkommenſte in der
Mitte, und duͤrfte unter allen am wenigſten an
einen beſtimmten philoſophiſchen Sinn gebunden,
am meiſten reine Dichtung ſein.
Ueber die Entſtehung und das eigentliche
Weſen der Poeſie verbreitet ſich von hier aus
ein unerwartetes Licht. Zwar es hat dieſelbe
11
einen zwiefachen Urſprung; der eine iſt durchaus
natuͤrlich, indem das Gefuͤhl bei wilden, wie noch
bei gebildeten Menſchen, ſich uͤberall in Geſang
aushaucht. Aber es giebt noch einen andern
mythiſchen Beſtandtheil der alten Poeſie, der
nicht ſo einfach zu erklaͤren iſt; hier kann man
nicht ſagen wie bei jener bloßen Naturpoeſie
des Gefuͤhls: daß dieß eben ſo uͤberall von ſelbſt
und immer wieder von neuem entſtanden ſei,
und noch entſtehe; es iſt ein tiefer Zuſammen-
hang in dieſem alten Gewebe der Fantaſie.
Aus dem immer noch durch den Gedanken
des Unendlichen und Goͤttlichen befruchteten Na-
turdienſt und Aberglauben, ging zuerſt die Fuͤlle
der urſpruͤnglich wilden und rieſenhaften Dichtung
hervor; als das ſchoͤne Licht einer ſanftern und
edlern Begeiſtrung hinzukam, ward die rauhe
Fabel durch eben dieſe Milderung zur Poeſie.
Grade dies iſt auch der Charakter der griechi-
ſchen Dichter, nehmlich derjenigen, die es ganz
ſind, in denen die Fuͤlle und Kraft der alten
Fabel noch lebendig wirkt, und die Mythologie
noch nicht zu einem bloßen Bilderſpiel der Dich-
terſprache verdunſtet iſt.
Sehen wir nicht blos auf die Form wie die
Buchſtabengelehrten und gewoͤhnlichen Kunſt-
kenner, ſondern auf den Geiſt, auf das innere
Leben; ſo ſind es alle nur Dichter einer Art,
mythiſche oder heroiſche Dichter; alle jene un-
weſentliche Verſchiedenheiten der aͤuſſern Form
verſchwinden, und es iſt im Homer wie im
Aeſchylos, im Pindar wie im Sophokles, immer
nur jene Verbindung und Verſchmelzung des
urſpruͤnglich Wilden und Rieſenhaften mit dem
Sanften, was den eigenthuͤmlichen Reiz ihrer
Darſtellungen ausmacht; nur in verſchiedenem
Verhaͤltniß, in verſchiedenen Stufen Abweichun-
gen, oder Eigenheiten der Haͤrte und der
Anmuth.
Dieß, und nur dieß allein iſt eigentlich
Poeſie; und alles was in ſpaͤtern Zeiten, wo
die Kunſt ſo manches an den urſpruͤnglichen
Kern angebildet hat, ſo genannt wird, iſt es nur,
weil es einen aͤhnlichen Geiſt athmet wie jene
alte Heldenfabel, oder weil es ſich noch auf ſie
bezieht; Anwendung, Entfaltung, oder Nachbil-
dung derſelben iſt. Waͤre es nicht zu kuͤhn,
nach ſo wenigen Bruchſtuͤcken ſchon eine Vermu-
thung zu wagen, ſo wuͤrde ich dafuͤr halten, daß
die indiſche Poeſie dieſem ihren eigentlichen We-
ſen nach, von der aͤltern griechiſchen ſo ſehr ver-
ſchieden nicht ſei; nur daß ſie daſſelbe, wenn ich
ſo ſagen darf, nach einem noch groͤßern Maaß-
ſtabe darbietet, indem theils die urſpruͤnglich zum
Grunde liegende Fabel ungeheurer und wilder,
theils aber auch die ſpaͤtere Milderung noch gei-
ſtig ſanfter und lieblicher, noch ſinnlich und ſitt-
lich ſchoͤner iſt als ſelbſt in der Anmuth des
Pindar und Sophokles.
Der Charakter und der Urſprung auch der
bildenden Kunſt bei den Indiern, Aegyptern und
aͤltern Griechen iſt im Ganzen voͤllig derſelbe
wie der der heroiſchen Poeſie; und eben jene
Verbindung des rieſenhaft Kuͤhnen und des
Sanften, worin das Weſen der alten Poeſie
beſteht, iſt auch die eigentliche Bedeutung der
plaſtiſchen Schoͤnheit der Griechen, wenigſtens
ſo lange als noch Spuren vom großen Styl vor-
handen, die alte Erinnerung noch nicht verlo-
ſchen, und der Sinn der Kunſt noch nicht ver-
lohren war.
Zweites Kapitel.
Von den aͤlteſten Wanderungen der
Voͤlker.
Poeſie, die in jenem Alterthum mit Religion
innig verbunden und faſt eins mit ihr war; ge-
wiſſe uns auf den erſten Anblick vielleicht ganz
fremde und unerklaͤrliche Ideen, die aber aus
der innerſten Tiefe der damaligen Denkart her-
vorgingen, haben unſtreitig einen ſehr bedeuten-
den Einfluß auf die aͤlteſten Begebenheiten und
Wanderungen der Voͤlker gehabt, wenn gleich
der Drang des Beduͤrfniſſes, und die Lockung
des aͤuſſern Vortheils neben jenen Ideen auch
mit gewirkt haben, wie dieß ſelbſt in ſpaͤtern
Zeiten mehr als einmal geſchehen iſt. Sind
einmal Ackerbau und Staͤdte, die erſten Kuͤnſte
des Kriegs und des Friedens vorhanden, ſo
finden ungefaͤhr eben die Verhaͤltniſſe des Anbaus
und Erwerbs, des Handels und der Eroberung
auch im hohen Alterthum Statt, die in der
neuern Geſchichte ſo ausſchlieſſend zu herrſchen
ſcheinen. Ehe wir aber den Einfluß der Religion
auf die Stiftung der indiſchen Kolonien betrach-
ten, muͤſſen wir zuerſt einige allgemeine Betrach-
tungen voran ſchicken, uͤber die Art wie man die
aͤlteſten Wanderungen der Voͤlker, uͤberhaupt
ihre Verſchiedenheit und Entſtehung, zu betrach-
ten hat.
Will man die ganze Mannichfaltigkeit der ſo
verſchiedenen Voͤlkerſchaften zum Gegenſtand der
Unterſuchung machen, ſo muß man vor’s erſte
jede willkuͤhrliche Vorausſetzung und Meinung
uͤber ihren gemeinſchaftlichen Urſprung, und
etwanige Urſache der Trennung bei Seite ſez-
zen, und die Voͤlkerſchaften blos nach den Kenn-
zeichen des hoͤhern oder geringern Alters ſon-
dern, ſo wie der Naturforſcher die Lagen der
verſchiedenen Erdarten in den Gebirgen und
auf der Oberflaͤche des feſten Landes, der Natur
aufmerkſam folgend ordnet. Das erſte Kennzei-
chen iſt auch hier die Sprache; mehr aber die
innre Structur als der materielle Theil derſel-
ben, die Wurzeln, auf deren oft weitgeſuchte
Aehnlichkeit man gewoͤhnlich allein ſieht. Das
naͤchſte an Wichtigkeit nach der Sprache iſt der
Gebrauch der Metalle, ſowohl des Kupfers und
Eiſens zum Krieg und Ackerbau, als des Goldes
und Silbers zum allgemein geltenden Zeichen
des aͤuſſern Werths der Dinge; und die Zaͤh-
mung derjenigen Thiere, die dem Menſchen am
nuͤtzlichſten, und zu jenen Kuͤnſten am unent-
behrlichſten ſind. Doch kann der Umſtand, daß
ſich in Amerika, als es entdeckt ward, die in der
alten Welt allgemein verbreiteten dienſtbaren
Thierarten nicht fanden, noch keinen vollſtaͤndi-
gen Beweis abgeben, daß die Amerikaner ein
eigner von dem aſiatiſchen verſchiedener Men-
ſchenſtamm ſeien, worauf ſo manche allen ameri-
kaniſchen Sprachen gemeinſchaftliche Seltſamkeit,
ſo manche ſehr auffallende und doch allen dieſen
Voͤlkern gemeinſame Sitte, und die allgemeine
Unbekanntſchaft mit dem Gebrauch der Metalle,
fuͤhren koͤnnte; denn auf den oſtindiſchen Inſeln,
wo doch Sprache und andre Anzeichen die aſiatiſche
Abſtammung beweiſen, fehlen jene Thierarten
gleichfalls; und wenn die fremden aſiatiſchen oder
europaͤiſchen Ankoͤmmlinge, welche, wie es theils
aus chineſiſchen Urkunden hiſtoriſch gewiß, theils
der Mexikaner glaubwuͤrdigen Sage gemaͤß iſt,
die beiden Reiche von Peru und Mexiko ſtifteten,
dieſe Thierarten nicht mitbrachten, oder die mit-
gebrachten nicht zu erhalten wußten, ſo konnte ja
dieß auch bei den erſten Einwanderern eben ſo der
Fall ſein.
Ueberhaupt findet ſich an den oͤſtlichſten Enden
Aſiens ſchon manches mit Amerika uͤbereinſtim-
mende. Eben ſo kann auch der im innern Afrika
weiter verbreitete Gebrauch der Metalle und der
dienſtbaren Thierarten noch nicht hinreichen, die
aſiatiſche Abſtammung der Negern zu beweiſen,
wofern ſich nicht noch andre Gruͤnde finden, um
dieß wahrſcheinlich zu machen, und was dieſer
Meinung entgegenſteht zu entkraͤften.
Die phyſiſche Verſchiedenheit der Menſchen-
ſtaͤmme iſt, wenigſtens ſo weit ſie bis jetzt entwik-
kelt worden, von nicht ſo großer hiſtoriſcher Wich-
tigkeit. Der merkwuͤrdigſte und groͤßte Unterſchied
iſt wohl der, daß die Amerikaner weder im Suͤden
ſo negerartig werden, noch im Norden die Weiße
und uͤbrigen Eigenſchaften der Europaͤer und
Bewohner des weſtlichen Mittelaſiens in dem Grade
annehmen, als dieß beim aſiatiſchen Stamm ge-
ſchieht. Dieß wuͤrde alſo eine groͤßere phyſiſche
Biegſamkeit und Bildſamkeit zur Abartung viel-
leicht nicht minder als zur Veredlung bei dem
aſiatiſchen Menſchenſtamm vorausſetzen, als bei
jenem; da die aſiatiſche Abſtammung weißer
Staͤmme in Europa und der ſchwarzen Bewoh-
ner des ſuͤdlichſten Indiens, ſo wie der indiſchen
Inſeln, durch Sprache und alle moͤgliche andre
Beweisgruͤnde, hiſtoriſch erwieſen iſt.
In dieſen Voͤlkerſchichten nun ſehen wir,
wie der Naturforſcher im innern Bau der Ge-
birge, einen Theil der verlohrnen Urgeſchichte
gleichſam in einem Grundriß vor Augen, der uns
hier und da mit der uͤberraſchendſten Klarheit an-
ſpricht, an andern Stellen aber unverſtaͤndlich
bleibt, weil wir wohl das Allgemeine und den
Zuſammenhang des Ganzen zu vermuthen und
uns zu denken, aber nie die ganze Fuͤlle alles
Einzelnen zu errathen vermoͤgen.
Ein andrer fuͤr die Aufmerkſamkeit des Ge-
ſchichtforſchers faſt noch wichtigerer Gegenſtand,
iſt die Miſchung der Voͤlker, die vorzuͤglich im
perſiſchen Reich, laͤngſt dem Gihon und Euphrates
am Kaukaſus und in Kleinaſien, uͤberhaupt in
dem mittlern weſtlichen Strich jenes alten Welt-
theiles Statt fand. Wenn es im Kreiſe dieſer
Unterſuchung laͤge, dieſe Sache vollſtaͤndig ins
Licht zu ſetzen, ſo wuͤrden wir uns zu zeigen be-
muͤhen, wie durch Wanderung allein neue Voͤlker
entſtehen koͤnnen; wie nehmlich ploͤtzliche Veraͤn-
derung des Clima’s und des ganzen aͤuſſern Le-
bens auch in Sprache und Sitten eine große
Revolution hervorbringen muͤſſe, und wenn einige
Miſchung mit Staͤmmen andern Geſchlechts hin-
zukoͤmmt, eine wirklich neue Nation daraus werde
von ganz eigenthuͤmlichem Charakter und indivi-
duellem Gepraͤge, das, wenn der Moment der
Gaͤhrung und des Entſtehens einmal voruͤber iſt,
ſich nun Jahrtauſende faſt unveraͤndert erhalten
kann. Es wuͤrde ſich alsdenn beſtimmen laſſen,
mit welchem Recht Mittelaſien von den Geſchicht-
forſchern ſo oft als die Mutter und unverſiegliche
Quelle immer von dort auswandernder Voͤlker
betrachtet und geſchildert worden, und in wiefern
und in welchem Sinne dieß wirklich gegruͤndet
ſei, da der zweifache Strom der Wanderung,
deren gewoͤhnlicher und gleichſam natuͤrlicher Lauf
faſt immer nach Nordweſten gerichtet war, hier
vom Oſten und vom Suͤden her zuſammentraf,
hier alſo die Miſchung am mannichfaltigſten und
fruchtbarſten, und dieſer Erdſtrich wirklich die
Staͤtte war, wo von Alters her Nationen ent-
ſtanden und ſich bildeten.
Man wird nie eine klare und verſtaͤndliche
Anſicht der aͤlteſten Geſchichte erhalten, ſo lange
man die Wanderungen der Voͤlker nur als ein
Draͤngen und Stoßen, wie nach blos mechaniſchen
Geſetzen betrachtet, ohne zugleich auf die Bedin-
gungen Ruͤckſicht zu nehmen, wodurch ein großer
Stamm ſich in mehre kleine theilen, und im-
mer individueller abſondern und entwickeln mag,
oder wie auch durch Miſchung aus mehren ver-
ſchiedenen Voͤlkern ein drittes ganz neues ent-
ſtehen kann, das in Sprache und Charakter eigen-
thuͤmlich gezeichnet und geartet iſt. Nur durch
eine ſolche genetiſche Anſicht kommt Licht in das
Chacs von Thatſachen und Ueberlieferungen und
wohl oder uͤbel begruͤndeten Meinungen, welches
wir alte Geſchichte nennen.
Auch darf man nicht alle Nationen, die wir
jetzt in Aſien kennen, bei den Alten wieder finden
wollen, noch weniger alle diejenigen, deren ſie
erwaͤhnen, in der heutigen Erdkunde aufſuchen;
manche Nationen, die auf ſolche Weiſe entſtan-
den, ſind auf eben die Art auch wieder von andern
verſchlungen worden und gaͤnzlich untergegangen,
wie wir ja auch in der Sprache der Basken, ſo
wie der Arnauten und Wallachen nur noch ſchwache
Reſte und bloße Anzeichen von ehedem vielleicht
großen und weitverbreiteten Nationen uͤbrig haben.
Andre Nationen duͤrften juͤngern Urſprungs und
erſt in noch ziemlich neuen Zeiten zu dem, was
ſie jetzt ſind, zuſammengewachſen ſein.
Drittes Kapitel.
Von den indiſchen Kolonien und der
indiſchen Verfaſſung.
Wir haben dieſe Fragen hier nur, ſo weit der
Zuſammenhang des Ganzen es forderte, im Vor-
beigehen beruͤhren wollen; denn zu unſrer gegen-
waͤrtigen Unterſuchung gehoͤrt eigentlich nur der
dritte Gegenſtand, der das Nachdenken des For-
ſchers in der aͤlteſten Geſchichte auf ſich zieht; die
Verwandtſchaft nemlich der aͤlteſten unter den ge-
bildeten Voͤlkern des Alterthums. Hindeutend
auf dieſen Zuſammenhang ſind Religion und
Mythologie, erwieſen wird die Verwandtſchaft
durch die Sprache, und naͤchſtdem bietet auch die
Architectur, ſo wie wir ſie an den alten aͤgypti-
ſchen, perſiſchen und indiſchen Denkmalen bewun-
dern, noch einiges Gemeinſame dar, und iſt eine
Beſtaͤtigung mehr fuͤr die Einheit des Urſprungs
aller aſiatiſchen Bildung; und dieſe letzte iſt doch
der eigentliche Gegenſtand und Zweck aller Ge-
ſchichte. Von Amerika und von dem ſuͤdlichen
Afrika wuͤrde es gar keine Geſchichte geben, wenn
alles in demſelben Zuſtande duͤrftiger Wildheit
ſtets verharrt waͤre, und wenn nicht auch dieſe
Laͤnder von Aſien und Europa aus, manchen Zu-
fluß und Samen hoͤherer Geiſtesthaͤtigkeit, Bil-
dung und Bewegung erhalten haͤtten.
Wenn wir hingegen bei den aſiatiſchen Voͤl-
kern ſelbſt im fruͤhſten Alterthum etwas hoͤheres
als Wanderungen ohne einen andern Zweck,
als den Drang des Beduͤrfniſſes, wenn wir Ein-
heit und Aehnlichkeit einer tief begruͤndeten Ver-
faſſung und Denkart bei ihnen wahrnehmen, ſo
muͤſſen wir uns an die Rieſengroͤße und Feſtigkeit
der Bauart in aͤgyptiſchen und indiſchen Denk-
maͤlern, im Gegenſatz der gebrechlichen Kleinheit
moderner Gebaͤude, erinnern, um den Gedanken,
daß die groͤßten Reiche und vornehmſten Nationen
von einem Stamme ausgegangen, daß ſie Kolo-
nien eines Volkes, wo nicht unmittelbar, doch
mittelbar indiſche Kolonien ſeien, nicht zu unge-
heuer zu finden. Die Kolonien der Griechen
und Roͤmer erſcheinen im Einzelnen nicht ſehr
bedeutend gegen jene alte Groͤße; und doch,
welche wichtige Veraͤnderungen und Wirkungen
haben auch dieſe im Ganzen hervorgebracht! —
Freilich braucht die Verbindung nicht immer
unmittelbar geweſen zu ſein; durch wie viele jetzt
verlohrne Zwiſchenglieder mag die Lehre von der
Seelenwandrung gegangen ſein, ehe ſie von In-
dien aus bis zu den Druiden des alten Galliens
gelangte? Wenn wir noch in Peru einen Koͤnigs-
ſtamm der Sonnenkinder, ein altes Reich auf
die Verehrung des Sonnengottes gegruͤndet, und
ſo manche andre indiſche Spuren finden, ſo wuͤr-
den wir, wenn uns die chineſiſchen Geſchichtsbuͤ-
cher nicht einigen Aufſchluß daruͤber gaͤben, Ver-
muthungen auf Vermuthungen bauen, wie alles
dieß ſich ſo weit hieher verlieren konnte.
Die Staͤrke der Bevoͤlkerung bei den abge-
ſtammten Nationen, beſonders der germaniſchen
und perſiſchen, darf dabei am wenigſten Schwie-
rigkeit machen. Wenn die Anzahl der ſaͤmtlichen
Slaven, nach den Angaben der Geographen, die
freilich meiſtens andre Geſichtspunkte haben als
die Stammverſchiedenheit, mit Inbegriff aller in
der Tuͤrkei und in Deutſchland zerſtreuten, eher
uͤber als unter funfzig Millionen ſein duͤrfte,
wenn auch die der Germanen nah an vierzig an-
geſchlagen werden moͤchte, auch ohne noch die
nicht celtiſch redenden Bewohner Engellands und
die Engellaͤnder in Nordamerika hinzu zu rechnen,
ſo iſt keinesweges nothwendig anzunehmen, daß
der urſpruͤngliche Stamm das gewoͤhnliche Maaß
einer großen wandernden Horde uͤberſtiegen habe,
wie wir deren mehre noch ziemlich hiſtoriſch genau
kennen; da auſſer dem allmaͤligen Anwachs, der
oft vielleicht durch die Verbreitung und Zerſtreuung
noch befoͤrdert ward, ganze kleinere Staͤmme und
Voͤlker beim erſten Entſtehen von dem herrſchen-
den verſchlungen und ihm einverleibt wurden.
Bedenke man nur, wie ſich die lateiniſche
Sprache, anfangs nur dem mittlern Italien eigen,
da im Norden Celten, im Suͤden Griechen wohnten,
von dieſem kleinen Fleck aus, faſt uͤber den ganzen
Erdkreis verbreitet hat. Noch in ihren Toͤchtern,
den romaniſchen Sprachen, herrſcht ſie faſt in
allen Welttheilen; das Italiaͤniſche iſt die Handels-
ſprache des Morgenlandes, wie das Portugieſiſche
der afrikaniſchen und aller indiſchen Kuͤſten; das
Spaniſche iſt die Sprache des groͤßten Theils der
neuen Welt geworden; des geſellſchaftlichen Ein-
fluſſes der franzoͤſiſchen Sprache, des Gebrauchs
der ausgeſtorbenen lateiniſchen zur Gelehrſamkeit
und in mehren Laͤndern noch jetzt zur Unterre-
dung und zur Religion, (wie das Samſkrit, oder
wenigſtens einzelne Formeln deſſelben in Siam
und Thibet liturgiſch gebraucht werden), der be-
traͤchtlichen roͤmiſchen Einmiſchungen endlich in
der engliſchen, deutſchen und wallachiſchen
Sprache gar nicht zu erwaͤhnen. So weit hat
ein anfangs wenig zahlreiches Volk noch nach zwei
Jahrtauſenden ſeinen Einfluß und ſeine Sprache
verbreitet, deſſen eigentliche Herrſchaft doch, da
ſie am ſtaͤrkſten war, wohl nur ſelten die Bevoͤl-
kerung des ganzen Indiens uͤberſtiegen hat. Denn
das darf nicht uͤberſehen werden, daß Indien eins
der volkreichſten Laͤnder immer geweſen und auch
noch gegenwaͤrtig nach ſo vielen zerſtoͤrenden Re-
volutionen der lezten Jahrhunderte, bei allgemei-
nem Verfall und hartem Druck es geblieben iſt.
Wie leicht mochte alſo in den Zeiten des alten
12
Wohlſtandes der Ueberfluß ſelbſt die Auswande-
rung zum Beduͤrfniß machen!
Faſt noch weiter und ungleich ſchneller als
die Roͤmer haben die Araber durch Eroberungen,
Handel und Kolonien ihren Einfluß und ihre
Sprache uͤber einen großen Theil von Aſien, den
ganzen Norden, die Kuͤſten und bis tief in das
Innre Afrikas, ja bis auf die entlegenen indiſchen
Inſeln verbreitet, wo unſre Geſchichte oft nicht
zureicht, zu erklaͤren, wie das Arabiſche, was wir
daſelbſt in Sprache und ſonſt unlaͤugbar finden,
in ſo ferne Gegenden gekommen ſei. Kann etwas
aͤhnliches nicht auch zu einer viel fruͤhern Zeit in
Ruͤckſicht der Indier Statt gefunden haben, wenn
gleich ſie niemals eigentliche Eroberer waren? Wir
haben Grund genug, es zu behaupten, und koͤn-
nen wenigſtens im Allgemeinen nachweiſen, wie
es moͤglich war.
Was die weite Entfernung der Roͤmer und
Griechen und noch mehr der germaniſchen Voͤlker-
ſchaften von dem Mutterlande betrifft, ſo ſind
ſchon im erſten Buche einige Sprachen und Voͤl-
ker, die mit jener Familie in einer geringeren
aber doch noch in einiger Verwandtſchaft ſtehen,
als Mittelglieder angefuͤhrt worden; dazu kommt,
daß der Norden der weſtlichen Halbinſel Indiens,
bis an die Grenzen von Perſien und Turkhind,
von den aͤlteſten Zeiten an der Sitz der indiſchen
Bildung nicht nur, ſondern auch der maͤchtigſten
Reiche und Dynaſtien war.
Auch waren die Kolonien nicht immer zu-
gleich Auswanderungen; eine geringe Anzahl
konnte oft hinreichend ſein, eine ſolche Kolonie
zu ſtiften, wenn es nicht blos Eroberer und Krie-
ger, ſondern die Einſichtsvollſten jener Zeit, wenn
es Prieſter waren, die irgend eine Urſache hat-
ten, ihr Vaterland zu verlaſſen, und unter wilde
Voͤlker zu gehen, um ſie zu bilden und zu be-
herrſchen. Der Irrthum fuͤhrt oft einen eben ſo
ſtarken Bekehrungseifer mit ſich als die Wahrheit,
wo ſich die Abſichten eigennuͤtziger Herrſchſucht
um ſo beſſer anſchlieſſen koͤnnen. So wie an der
perſiſchen Auswanderung der Kriegerſtand und
Adel wohl den groͤßten Antheil genommen haben
mag, ſo traͤgt dagegen Aegypten ganz das Anſehn
einer ſolchen Prieſterkolonie. Daß es nur das
und nicht zugleich Auswanderung war, beweist
der ſo gar nicht indiſche Charakter der koptiſchen
Sprache; ſei es nun, daß dieſe Prieſter aus dem
Mutterlande ſelbſt unmittelbar dahin gekommen,
was nicht undenkbar iſt, oder daß ſuͤdlich von
Aegypten ein aͤlteres gebildetes Aethiopien geweſen
ſei, und die aͤgyptiſche Bildung erſt von daher
abgeleitet worden.
Daß noch ganz andre Urſachen und Bewe-
gungsgruͤnde zur Auswanderung mitgewirkt haben
moͤchten, als der bloße Andrang einer uͤberſtroͤ-
menden Bevoͤlkerung, iſt ſchon fruͤher angedeutet
worden. Wir wollen nur eines erwaͤhnen. Welche
unuͤberſehliche und ungeheure Veraͤnderung und
Zerſtoͤrung mußte nicht das erſte Verbrechen,
Mord und Krieg, der erſte beſtimmte Abfall von
Gott, in dem Bewußtſein des Menſchen hervor-
bringen? Angſt und wuͤſte Begierde war die ge-
wiſſe Folge; und was zuvor ein ſtilles Sinnen,
ein ruhiges Denken und unmittelbares Schauen
geweſen war, ward nun wilde Einbildung, Schreck-
niß und Luͤge. Was mußte nicht alles vorgehen,
ehe das gottbefreundete Weſen ſich entſchlieſſen
mochte, am Leichnam ermordeter Thiere eine greuel-
volle Nahrung zu ſuchen? Der Abſcheu der Brah-
minen vor thieriſcher Nahrung hat ein ſo altes
Gepraͤge, daß er wohl als ein uͤbrig gebliebenes
Erbtheil des fruͤheſten Zuſtandes angeſehen wer-
den koͤnnte. Hat nicht dieſelbe innre Furcht, die
den Gefallnen antrieb, in den Eingeweiden des
Opferthiers nach dunkeln Anzeichen bevorſtehenden
Unheils angſtvoll zu forſchen, und aus dem In-
nern der Erde die Metalle hervorzureiſſen, in
denen er, noch nah an der Zeit, da man das
Weſen der Naturdinge unmittelbar in Gott er-
blickte und begriff, bald die irdiſchen Geſtirne und
Lenker ſeines kuͤnftigen Geſchicks, die Mittel
friedlicher Nahrung, aber auch die Werkzeuge neuer
Verbrechen und Kriege erkannte; hat nicht eben
dieſe Unruhe den fliehenden, gleich dem erſten
mit Blut gezeichneten Moͤrder, noch weiter ver-
folgt und bis an die aͤuſſerſten Enden der Erde
umher getrieben? — Doch wir wollen uns
hier nicht auf ſolche Thatſachen gruͤnden, fuͤr
die es wohl eine andre aber keine eigentlich hiſto-
riſche Gewißheit geben kann, weil ſie aͤlter ſind
als alle Geſchichte, die erſt dann entſtehen konnte,
nachdem jene erſchreckte Einbildungskraft, wovon
wir in den aͤlteſten Denkmalen des menſchlichen
Geiſtes noch ſo viele Spuren finden, bis zur
Erinnrung gemildert und beruhigt war.
Ein Denkmal fuͤr die fruͤheſte Geſchichte
Indiens haben wir, was zuverlaͤſſiger und aͤlter
iſt als alle, die in Worten abgefaßt und durch
Schrift erhalten ſind; dieſes iſt die indiſche Ver-
faſſung ſelbſt. Konnte eine fuͤr die niedern
Staͤnde ſo harte Verfaſſung wohl anders als
durch Gewalt und eine Zeit des Kampfs einge-
fuͤhrt werden, deſſen Schwankungen und Gaͤh-
rungen zahlreiche Staͤmme zur Auswanderung
zwingen und bewegen konnten und mußten?
Durch die Miſchung ſolcher aus dem Mutter-
lande fliehenden Staͤmme mit wilden Voͤlker-
ſchaften lieſſe ſich die entferntere Annaͤherung
und Verwandtſchaft der ſlaviſchen an die Familie
der edlen Sprachen erklaͤren. Doch brauchten
es nicht bloß unterdruͤckte zu ſein, die da flohen;
andre konnten bloß, weil ſie das Verderben und
die Zerruͤttung, die der Einfuͤhrung einer ſolchen
Verfaſſung nothwendig vorhergegangen ſein muͤſ-
ſen, verabſcheuten und rein geblieben waren,
gleichfalls fliehen, um ſich in weiter Ferne noch
unbefleckte Wohnſitze zu ſuchen und dort der
alten Froͤmmigkeit getreu zu leben.
Aber nicht bloß die erſte Einfuͤhrung der
indiſchen Verfaſſung mußte Zeiten der Unruhe
und Gaͤhrung mit ſich fuͤhren; auch in ihr ſelbſt
lagen Keime genug zum Zwieſpalt und zum in-
nern Krieg. Zwar ſeit Alexander bietet uns
die indiſche Geſchichte faſt nichts dar, als eine
Reihe von Unterjochungen durch auslaͤndiſche
Sieger und eine Reihe innrer Revolutionen,
die aber mehr ein bloßer Wechſel der Herrſcher
und der Dynaſtien waren, als eine weſentliche
Veraͤnderung der Verfaſſung ſelbſt herbeifuͤhrten.
Die einzigen Buddhiſten machen eine Ausnahme,
die wohl nicht ſo der Lehre als der Verfaſſung
wegen, weil ſie die Eintheilung der Staͤnde an-
taſteten und den erblichen Unterſchied derſelben
aufheben wollten, verfolgt und vertrieben wur-
den; doch ward die Verbreitung ihrer Lehre in
die nah gelegnen großen Laͤnder nicht durch eine
foͤrmliche Auswanderung, ſondern mehr nur durch
einzelne Miſſionen bewirkt. In fruͤheren Zeiten
aber, ehe die Verfaſſung ſo feſt und zu einer
andern Natur geworden war, mußte es noch
groͤßere Unruhen und Veraͤnderungen geben.
Auch, nachdem die unbezwingliche Uebermacht des
erblichen Prieſterſtandes einmal entſchieden war,
blieb dem Kriegerſtande deſto freierer Spielraum
zu einzelnen Fehden unter ſich, die der Ver-
faſſung ja doch keinen weſentlichen Eintrag thun
konnten. Und wovon handelt eine der aͤlteſten
indiſchen Dichterſagen im Mohabharot anders
als von dem großen Buͤrgerkriege zweier ver-
wandten uralten goͤttlichen Koͤnigs- und Hel-
denſtaͤmme? Ehe ſich aber die Kſhetrya’s, die
urſpruͤnglich derſelben Abkunft waren, von den
erblichen Prieſtern abſonderten, und das Ver-
haͤltniß der beiden Staͤnde ganz ſo beſtimmt
ward, wie es nachher blieb, mußte mancher harte
Kampf und manche Erſchuͤtterung vorangehn.
Nicht umſonſt wird vom Pocosramo geruͤhmt,
daß er die boͤſen Koͤnige vertilgt, den verwilder-
ten Adel beſtraft und ſeine Macht beſchraͤnkt
habe.
In den Stammverzeichniſſen der Indier
wird nicht ſelten von einem oder dem andern
Geſchlecht bemerkt, daß ſie ausgeartet und Bar-
baren — Mleccha’s — geworden, d. h. zu an-
dern fuͤr wild gehaltnen Voͤlkern ausgewandert
und uͤbergetreten ſeien. Monu’s Geſetzbuch
(X, 43 — 45.) nennt uns eine ganze Reihe
ſolcher verwilderter und barbariſch gewordner
Kſhetryaſtaͤmme, unter denen wir die Nahmen
mehrer großen und beruͤhmten Nationen wieder
finden; die Sakas, die Chinas und die
Pahlavas; dieſes ſind wohl die alten Pehlvans
oder Meder, von deren Sprache das Pehlvi ein
obgleich entſtelltes Ueberbleibſel ſein mag; zu
welchem Volksſtamme dem Nahmen nach auch
die Paphlagoner gerechnet werden koͤnnten.
Ferner die Yavaner; wenn dieſe, wie behaup-
wird Nach Stellen bei Wilford, der in eignen Vermuthungen
oft ſehr gewagt, wo er aber bloß citirt und überſetzt, bei
ſeiner Kenntniß der Sprache zuverläſſig iſt., in den Puranas mehr als eine dem
ſinnlichen Naturdienſt ergebne Secte geſchildert
werden, die auch der Religion wegen Kriege ge-
fuͤhrt haben, ſo ſtreitet dieß doch damit, daß ſie
hier unter den uͤbrigen verwilderten Kſhetryas
aufgefuͤhrt werden, eigentlich nicht, da beides mit
einander beſtehen kann.
Wir muͤßten freilich erſt mehr Urkunden
haben, um zu pruͤfen was in den indiſchen Buͤ-
chern von Religionskriegen aus uralten Zeiten
vorkoͤmmt. An ſich aber iſt nicht unwahrſchein-
lich, daß ſchon ſehr fruͤhe, was ſpaͤter bei Gele-
genheit der Buddhiſten, geſchehen ſein mag, da
die Neuerung zu ſehr auch die alte Verfaſſung
beruͤhrte, als daß ſie ohne Krieg haͤtte voruͤber-
gehen koͤnnen. Stoff genug zu Unruhen und
Zwieſpalt enthielt die große Verſchiedenheit der
Secten und Denkarten, die in Indien ehedem
geherrſcht haben, von denen allen das heutige
Syſtem, welches ſie nur in eine ertraͤgliche Ver-
einigung zu bringen ſuchte, noch Spuren ent-
haͤlt. Der gegenſeitige Religionshaß der Perſer
und Aegypter koͤnnte allein hinreichen, um die
gewoͤhnliche Meinung, daß der Polytheismus der
alten Welt durchaus tolerant ſei, zu widerlegen.
Wenn die Geringſchaͤtzung der Anhaͤnger einer
intellektuellen Religion, wie die perſiſche war,
gegen den polytheiſtiſchen Aberglauben oft in
gewaltſame Bekehrungsſucht uͤbergeht, wie beim
Kambyſes, ſo erzeugt der mythiſche Volksglaube
gegen die, welche ſich abſondern und hoͤher er-
leuchtet duͤnken, oft einen Haß voll Erbittrung,
wie bei den ſyriſchen Griechen gegen die Juden.
In Indien waren beide ſtreitende Elemente,
deren Kampf von jeher ſo viele große Religions-
kriege bis auf die neueſten Zeiten hervorgebracht
hat, ſchon vor Alters beiſammen; aber gewiß
nicht immer ſo friedlich als jetzt, da alles lange
geſchwaͤcht und das ganz unvertraͤgliche ſo oft
ſchon ausgeſtoßen worden iſt, oder ſich ſelbſt
freiwillig abgeſondert hat.
Wenn es gegruͤndet iſt, daß unter den
Yavanern der indiſchen Buͤcher mehre weſtlich
gewanderte, dem ſinnlichen Naturdienſt ergebne,
Voͤlker zu verſtehen ſind, ſo muͤſſen wir vielleicht
laͤngſt dem Euphrat und Tigris herauf durch
Phoͤnicien und Klein-Aſien den Weg ſuchen,
auf welchem altaſiatiſche Staͤmme, und mit ihnen
indiſche Sprache und Vorſtellungen ſich bis nach
Griechenland und das mittlere und untere Ita-
lien verbreitet haben. Geſetzt auch, was noch
gar nicht erwieſen iſt, daß Babylon und das
umher liegende Hauptland in den aͤlteſten Zeiten
ſchon von einem ſyriſch redenden Volke bewohnt
ward; ſo war doch gewiß ſo fruͤhe als hier ein
großes Reich war, dieſes eben wie auch ſpaͤter
aus ſehr verſchiednen Voͤlkern zuſammengeſetzt.
Phrygien, ein von Babylon abhaͤngiger Lehnſtaat,
giebt ſchon ein Mittelglied mehr, da wohl kein
Geſchichtskundiger mit den Alten, die ſich ſo
gern zu Autochthonen machten, die zahlreichen
Hellenen in Klein-Aſien erſt aus Europa wird
ableiten wollen. Zwar ſind in ſpaͤtern Zeiten
unſtreitig viele dieſes Weges wieder nach Aſien
gekommen, wie vielleicht bei jeder großen Wan-
drung einzelne Helden und Kriegsheere oder auch
friedliche Anpflanzer denſelben bekannten Weg,
den ſie gekommen waren, auch wieder zuruͤck-
wanderten. Denn die großen Wanderungen ge-
ſchahen faſt immer allmaͤlig, faſt immer blieb
noch Verkehr und gegenſeitige Kundſchaft zwi-
ſchen denen in der Ferne und den Zuruͤckgeblie-
benen, bis die weite Entlegenheit und noch mehr
die Laͤnge der Zeit die allmaͤlig Entfremdeten
fuͤr immer ſo ganz trennte, daß oft beide Theile
bei einem ſpaͤtern Wiederbegegnen uͤber die un-
laͤugbaren Beweiſe einer gemeinſamen Abkunft
gleich ſehr erſtaunten.
Wie manches Koͤnigs- und Heldengeſchlecht
in Hellas und Italien ward nicht aus Klein-
Aſien hergeleitet! Babylon, oder wie man ſonſt
das große alte Reich am Euphrates und Tigris
nennen will, das noch vor den Perſern ſeine
Herrſchaft bis tief in Klein-Aſien hinein erſtreck-
te, war, was es ſeiner ganzen Lage nach ſein
mußte, eine Seemacht Was über die Waſſerbaukunſt der Babylonier und andres
dahin gehörige bei den Alten vorkommt, findet ſich zuſam-
mengeſtellt in Heerens Ideen über den Handel
der alten Welt u. ſ. w.; und auch die Helle-
nen waren ſchon in den aͤlteſten Zeiten ein ſee-
fahrendes Volk. Daß die italiſchen Voͤlkerſchaf-
ten des mittleren Landes, die mit den Lateinern
von gleicher Abkunft waren, zur See gekommen
ſeien, beweißt die ganze Lage der verſchiedenar-
tigen Voͤlkerſchaften in Italien, denn wenn ſie
zu Lande etwa uͤber die carniſchen Alpen durch
Venetien ihren Weg genommen haͤtten, ſo muͤßten
bei einer ſolchen Einwanderung mehr Spuren
dieſes Weges im noͤrdlichen Theile Italiens uͤbrig
geblieben ſein.
Von der indiſchen Verfaſſung finden ſich
bei den aͤlteſten Roͤmern vielleicht bei genauer
Anſicht noch mehr Ueberbleibſel als man beim
erſten Blick denken ſollte. Die Patricier, die
ausſchlieſſend das Recht der Augurien hatten,
waren wohl urſpruͤnglich nichts anders als der
erbliche Prieſterſtand; und nur dadurch, daß dieſer
auch den Krieg uͤbte und die Rechte des Krie-
gesſtandes mit an ſich riß, ward der eigentliche
Adel (die equites) zuruͤckgedraͤngt, bis die Allein-
herrſchaft dieſes uͤbermaͤchtigen kriegriſchen Prie-
ſteradels den Widerſtand des Volks aufreizte und
jener Kampf begann, der uns noch jetzt in den
alten Geſchichten ſo lebhaft anzieht.
Wenn die Griechen Alexanders eigentliche
Republiken bei den Indiern zu finden glaubten,
ſo duͤrfen wir dieſes doch wohl ſchwerlich nach
der Weiſe der helleniſchen, phoͤniciſchen oder ita-
liſchen Freiſtaaten verſtehen. Die Griechen hat-
ten keinen Begriff von einer ſtaͤndiſchen Verfaſ-
ſung, wie es die indiſche von Alters her war;
noch von einem auf unverletzlich heilige ſtaͤndi-
ſche Rechte gegruͤndeten, geſetzlichen und freien
Koͤnigthum; ſie werden alſo nach ihrer Weiſe
fuͤr iſolirte Freiſtaaten gehalten haben, was nur
dem groͤßern Ganzen einverleibte ſelbſtſtaͤndige
Glieder deſſelben waren. Nur das eine iſt in
der Verwirrung der aͤlteſten indiſchen Geſchichte
klar, daß es ſchon damals große Monarchien in
Indien gab, obgleich ſtaͤndiſche, durch die erblichen
Rechte der Prieſter und des Adels vielfach be-
ſchraͤnkte. Auch bei den von Indien abſtammen-
den Nationen und Kolonien duͤrfte die republi-
kaniſche Verfaſſung erſt ſpaͤter entſtanden, die
monarchiſche in den aͤlteſten Zeiten die herr-
ſchende geweſen ſein, beſonders wo der Kriegs-
und Adelſtand den groͤßten Antheil an der Bil-
dung des Ganzen hatte, wie in Perſien. Merk-
wuͤrdig bleibt es immer, daß die geſchichtlichen
Urkunden des weſtlichen Aſiens, wie die Dichter-
ſagen des an Aſien graͤnzenden ſuͤdoͤſtlichen Eu-
ropas, beide mit Erzaͤhlungen von einer uralten
Koͤnigs-Burg, einem herrlichen Reiche beginnen,
deſſen durch Ueppigkeit und Uebermuth erfolgte
Zerſtoͤrung, zur Zerſtreuung der Staͤmme und
Voͤlker, zu vielen Abentheuern und auch zur
Stiftung mancher kleinern und neuern Staaten
Gelegenheit gegeben habe. Hat die Sage vom
trojaniſchen Kriege einen hiſtoriſchen Sinn, wie
ihr altes Gepraͤge vermuthen laͤßt, ſo ſind wir
berechtigt, ſie aus der helleniſchen Beſchraͤnktheit
heraus zu ruͤcken, und an die groͤßere aſiatiſche
Ueberlieferung anzuknuͤpfen. Daß Namen von
Orten, Bergen oder Staͤdten, die in der Sage
eine große Stelle einnehmen, im Verlauf der
Zeiten mit dem Fortruͤcken der Sage und des
Volkes ſelbſt, oft noch weiter, immer naͤher und
mehr weſtlich geruͤckt worden ſein, iſt zu bekannt
als daß es der Beiſpiele beduͤrfte.
Es darf wohl kaum erinnert werden, daß
alle dieſe Bemerkungen nichts weiter ſollen, als
nur ungefaͤhr die Ausſicht eroͤffnen, wie frucht-
bar das indiſche Studium auch an hiſtoriſchen
Folgerungen ſein duͤrfte. Manches Einzelne in
der aͤlteſten Voͤlkergeſchichte Aſiens wird ſich
erſt ganz feſt entſcheiden, ein vollſtaͤndiges Bild
des Ganzen erſt dann entwerfen laſſen, wenn
noch mehre Huͤlfsmittel gegeben ſind; beſonders
eine kritiſche Bearbeitung der eigenthuͤmlichen
indiſchen Erdkunde aus den Quellen, die vielleicht
auch noch in anderer Ruͤckſicht ſehr lehrreich ſein
wuͤrde, und eine vollſtaͤndige Ueberſetzung des
Skondopurano, der fuͤr Geſchichte unter
allen Puranas am meiſten enthalten ſoll. In-
deſſen laͤßt ſich doch ſchon aus dem wenigen, was
wir bis jetzt haben, vieles erklaͤren und aufhellen,
und oft grade was das ſchwerſte und befrein-
dendſte ſcheint. So kann z. B. wohl nichts ſo
viel Zweifel erregen, als wie eine Voͤlkerſchaft
aus dem fruchtbarſten und geſegnetſten Erd-
ſtriche Aſiens bis in den aͤuſſerſten ſkandinavi-
ſchen Norden hinauf habe wandern moͤgen; denn
ſie immer wieder durch andre Horden hinauf
draͤngen zu laſſen, duͤrfte beſonders bei einem
ſo zahlreichen Stamm, wie der der germaniſchen
Voͤlker war, eine Erklaͤrung ſein, wobei der
Geſchichtskundige ſich wohl ſchwerlich befriedigen
moͤchte. In der indiſchen Mythologie findet
ſich etwas, was dieſe Richtung nach Norden
vollkommen erklaͤren kann; es iſt die Sage von
dem wunderbaren Berg Meru, wo Kuvero,
der Gott des Reichthums, thront. Mag nun
dieſer Begriff aus einer misverſtandenen Ueber-
lieferung, oder aus was immer fuͤr einer dunklen
Naturanſicht und Naturaberglauben entſtanden
ſein; genug, dieſe hohe Verehrung des Nordens,
13
und des heiligen Berges im Norden iſt da, und
ſie iſt nicht blos eine Nebenſache in dem ganzen
Syſtem der indiſchen Denkart, ſondern ein
uͤberall wiederkehrender allen ihren Dichtungen
tief eingepraͤgter Lieblingsbegriff. Es waͤre nicht
das erſte und nicht das einzige Mal, daß dichte-
riſche Sagen und alte Geſaͤnge, tief im innigſten
Gefuͤhl und Glauben mit Religion verwebt, auf
die Zuͤge und Abentheuer der Helden mehr Ein-
fluß gehabt haben, als diejenigen glauben moͤch-
ten, die von der Geſchichte nur die Politik
kennen.
Geſetzt alſo, nicht bloß der aͤuſſere Drang
der Noth, ſondern irgend ein wunderbarer Be-
griff von der hohen Wuͤrde und Herrlichkeit des
Nordens, wie wir ihn in den indiſchen Sagen
uͤberall verbreitet finden, habe ſie nordwaͤrts
gefuͤhrt, ſo wuͤrde ſich der Weg der Germani-
ſchen Staͤmme von Turkhind laͤngſt dem Gihon
bis zur Nordſeite des caspiſchen Meers und des
Kaukaſus leicht nachweiſen laſſen; ob ſie aber
von da aus vorzuͤglich mehr die Gebirge aufge-
ſucht und ſich da angeſiedelt, oder ob ſie mehr
den großen Stroͤmen nachgegangen ſeien, wie
die alten aſiatiſchen Nationen daſſelbe Leben an
einem weitherrſchenden Fluſſe, wie am Ganges
ſo auch am Nil und Euphrat, uͤberall wieder
ſuchten; dieſe fuͤr unſre vaterlaͤndiſche Geſchichte
ſehr wichtige Frage weiter zu verfolgen, iſt hier
der Ort nicht.
Viertes Kapitel.
Vom orientaliſchen und indiſchen Stu-
dium uͤberhaupt, und deſſen Werth
und Zweck.
Nachdem wir die Fruchtbarkeit des indiſchen
Studiums fuͤr Sprachforſchung, Philoſophie und
alte Geſchichte gezeigt und angedeutet haben,
bliebe nichts mehr uͤbrig als noch das Verhaͤltniß
der orientaliſchen Denkart uͤberhaupt zur euro-
paͤiſchen zu beſtimmen, und den Einfluß darzu-
ſtellen, welchen die erſte auf die letztere gehabt
hat oder haben ſoll, um auch von dieſer Seite
die Wichtigkeit des indiſchen Studiums deutlich
zu machen, welches der Zweck dieſer ganzen Ab-
handlung war.
Da die heilige Schrift das eigentliche Band
geworden iſt, wodurch auch die europaͤiſche Denk-
art und Bildung an das orientaliſche Alterthum
ſich anknuͤpft, ſo iſt hier der ſchicklichſte Ort, das
Verhaͤltniß des indiſchen Alterthums zur moſai-
ſchen Urkunde und uͤberhaupt zur Offenbarung
zu beruͤhren; ein Gegenſtand, den wir bei dem
hiſtoriſchen Theil bis jetzt abſichtlich vermieden
haben, um den Leſer nicht auf den unſichern
Ocean ſo verſchiedener Auslegungen und Hypo-
theſen zu fuͤhren, die nur allein uͤber den Stamm-
baum der Noachiden und die wahre Lage des
Paradieſes ſich in faſt zahlloſer Menge, eine uͤber
die andre waͤlzen. Die kritiſche Sichtung ſo vie-
ler Meinungen wuͤrde eine eigne ausfuͤhrliche Be-
handlung erfordert haben, die wir andern uͤber-
laſſen.
Eins zwar, was fuͤr die Religion das weſent-
lichſte und allein zu wiſſen nothwendig iſt, ſagt
uns die moſaiſche Urkunde in ſolcher Klarheit, daß
noch keine Auslegung es hat verdunkeln moͤgen:
daß der Menſch nach Gottes Bilde erſchaffen ſei,
daß er aber die Seligkeit und das reine Licht,
deſſen er ſich anfangs erfreute, durch eigne Schuld
verlohren habe. Wenn die moſaiſche Urkunde in
dem Verfolg ihres aͤlteſten geſchichtlichen Theils
zwar nicht immer ausfuͤhrlich erzaͤhlt, (denn zur
Befriedigung bloßer Wißbegier und zum hiſtori-
ſchen Unterricht ward ſie nicht gegeben) aber doch
bedeutend auf die Wege und Punkte hinweist,
wie ein Strahl des urſpruͤnglichen Lichtes, da die
Nacht der Suͤnde und des Aberglaubens alle
Welt umher bedeckte, dennoch durch goͤttliche
Fuͤgung ſei gerettet und erhalten worden; ſo zei-
gen uns die indiſchen Urkunden die Entſtehung
des Irrthums, die erſten Ausgeburten, deren der
Geiſt immer mehrere ergruͤbelte und erdichtete,
nachdem er einmal die Einfalt der goͤttlichen Er-
kenntniß verlaſſen und verlohren hatte, von der
aber mitten in Aberglauben und Nacht noch ſo
herrliche Lichtſpuren uͤbrig geblieben ſind.
Der Gegenſatz des Irrthums zeigt uns die
Wahrheit in einem neuen noch hellern Lichte, und
uͤberhaupt iſt die Geſchichte der aͤlteſten Philoſo-
phie, d. h. der orientaliſchen Denkart, der ſchoͤnſte
und lehrreichſte aͤuſſere Commentar fuͤr die heilige
Schrift. So wird es z. B. denjenigen, der die
Religionsſyſteme der aͤlteſten Voͤlker Aſiens kennt,
nicht befremden, daß die Lehre von der Dreieinig-
keit, beſonders aber von der Unſterblichkeit der
Seele im alten Teſtamente mehr angedeutet und
nur beruͤhrt, als ausfuͤhrlich und ausdruͤcklich
entwickelt, und als Grundſaͤulen der Lehre auf-
geſtellt werden. Der Meinung, daß Moſes, er
dem alle Weisheit der Aegypter bekannt war, von
dieſen bei den gebildetſten Voͤlker des alten Aſiens
allgemein verbreiteten Lehren nicht gewußt haben
ſollte, wird man wohl ſchwerlich irgend eine auch
nur hiſtoriſche Wahrſcheinlichkeit geben koͤnnen.
Sehen wir aber, wie bei den Indiern z. B. grade
an die hohe Wahrheit von der Unſterblichkeit der
Seele der meiſte und groͤbſte Aberglauben ſich feſt
und faſt unabtrennlich angeſchloſſen hatte, ſo er-
klaͤrt ſich daraus das Verfahren des goͤttlichen
Geſetzgebers auch in aͤuſſerer Ruͤckſicht.
Mancher unbillige Vorwurf, da man es den
Propheten Gottes bei den Hebraͤern als Be-
ſchraͤnktheit auslegt, daß ſie, alles andre ſtreng
verwerfend, ihre Lehre und ihr Volk ſo hart ab-
ſonderten, wuͤrde von ſelbſt weggefallen ſein,
wenn man gewußt haͤtte, ſich in den Zuſtand der
orientaliſchen Voͤlker der damaligen Zeit zu ver-
ſetzen. Man ſtelle es ſich vor Augen, wie damals
bei den gebildetſten und weiſeſten Voͤlkern uͤberall
noch einzelne Spuren des goͤttlichen Lichtes vor-
handen waren, aber alles entſtellt und entartet, Herrliche Winke darüber finden ſich in Herders älteſter
Urkunde des Menſchengeſchlechts. Nur daß ich
jeden trüben Strom entarteter Myſtik nicht ſo unmit-
telbar aus dem reinen Quell göttlicher Offenbarung her-
leiten möchte. Sonſt aber weht die Fülle des orientali-
ſchen Geiſtes in dieſem Werke, wie in mehren der frühern
theologiſchen Schriften Herders. —
und oft grade das Edelſte auch bei Perſern und
Indiern am uͤbelſten angewandt und misdeutet;
und man wird es begreifen, wie nothwendig jene
Strenge und Abſonderung, wie natuͤrlich der
Eifer jener Maͤnner nur auf das Eine, alles
andre bei Seite ſetzend, gerichtet ſein mußte, daß
doch nur ja das koſtbare Kleinod der goͤttlichen
Wahrheit nicht vollends untergehe, daß es rein
und unverderbt erhalten werde. Daß manchen
einzelnen Iſraeliten Jehova nichts als ein bloßer
Nationalgott war, mag ſein; daß aber die Pro-
pheten und goͤttlichen Lehrer ſelbſt es ſo gemeint,
wird man nirgend zeigen koͤnnen, man muͤßte
denn die Lehre von dem unmittelbaren, naͤhern
und beſondern Verhaͤltniß mit der Vorſehung, in
welches der Menſch durch den Glauben treten
kann und in der Kirche wirklich tritt, die Haupt-
lehre des Chriſtenthums, ſo ganz verkennen, daß
man ſie mit jenem Irrthum verwechſelte, der den
Vorwurf der angeblichen juͤdiſchen Beſchraͤnktheit
des alten Teſtaments begruͤnden ſoll.
Mit dem Chriſtenthum hat die Religion des
Fo in einigen Stuͤcken der Lehre und ſelbſt der
aͤuſſern Einrichtung eine auffallende, aber dennoch
falſche Aehnlichkeit. Das Einzelne ſtimmt oft
ſonderbar uͤberein, aber es iſt alles entſtellt und
verzerrt, alles hat ein andres Verhaͤltniß und einen
andern Sinn; es iſt die Aehnlichkeit des Affen
mit dem Menſchen. Von ganz andrer und hoͤhe-
rer Art iſt jene, gewiß auch dem Leſer bei der
Ueberſicht der orientaliſchen Syſteme im zweiten
Buch bemerklich gewordne, Verwandtſchaft und
Aehnlichkeit, beſonders der perſiſchen Religion des
Lichtes und der Lehre vom Kampf des Guten und
Boͤſen, mit der heiligen Schrift ſowohl des alten
als des neuen Bundes. Eben daß man dieſen
Spuren zu ausſchlieſſend folgte, die aͤchte oder
gar unaͤchte Aehnlichkeit fuͤr voͤllige Gleichheit
nahm, iſt oftmals Urſache abweichender Irrthuͤ-
mer, wie beim Manes und andern, geworden.
Von dem, was bei den Perſern jener Lehre irriges
beigemiſcht war, findet ſich in den heiligen Schrif-
ten nichts; was ſie lehren, iſt nicht Syſtem, ſon-
dern aus goͤttlicher Offenbarung, die durch innere
Erleuchtung ergriffen und verſtanden wird, leiten
ſie die Erkenntniß des Wahren her.
Es koͤnnte aber doch die Vergleichung mit
der theils wirklich, theils ſcheinbar ſo verwandten
Denkart dazu dienen, es ſogar hiſtoriſch und ganz
aͤuſſerlich zu zeigen, daß nur eine und dieſelbe
Anſicht, im alten Teſtamente wie im neuen, durch
das Ganze hingehe und herrſche; nur das was
dort blos angedeutet und vorgebildet wird, hier
in vollem Glanze erſcheint. Es duͤrfte daher die
alte chriſtliche Erklaͤrungsart des alten Teſtaments
die einzige richtige ſein, und als ſolche durch eine
vollſtaͤndige Kenntniß der Geſchichte des orientali-
ſchen Geiſtes auch von auſſen beſtaͤtigt werden.
Es iſt dieß ſogar blos aus dem Geſichtspunkte der
Kritik angeſehen, ganz deutlich; es wuͤrde ſelbſt
dann gelten, wenn man die Lehre der Schrift
fuͤr nichts mehr hielte, als fuͤr eine der orientali-
ſchen Denkarten, gewiß in dieſem Falle, von
allen die erhabenſte und tiefſinnigſte. Denn wie
laͤßt ſich wohl ein Werk verſtehen und erklaͤren,
als nach der Denkart, die ihm zum Grunde liegt?
und wo kann wohl dieſe Denkart ſelbſt ergriffen
werden, als da, wo ſie ganz ausgeſprochen wor-
den, und in vollkommner Klarheit erſcheint? Daß
dieß im neuen Teſtamente geſchehe, wird jeder
zugeben, der es nur nach unbefangener Kritik,
mit der unvollkommnen Andeutung des alten,
oder mit dem zum Theil irrigen perſiſchen Syſtem
zuſammenhalten will. Daher kann der Sinn des
alten Teſtamentes durch keine bloße Exegeſe auf-
geſchloſſen werden, wenn dieſelbe auch an Sprach-
und andrer Nebengelehrſamkeit alle Meiſter des
Talmud uͤbertraͤfe, wo nicht das Licht des Evan-
geliums hinzukommt, um das Dunkel zu erhel-
len. Ein vortreffliches Beiſpiel dieſer ältern Erklärungsart iſt in
der Geſchichte der Religion Jeſu von Fr. L. Gra-
fen zu Stollberg aufgeſtellt; einem Werke, worin die
ruhige Kraft, der immer gleiche Ernſt und jene ſchöne
Klarheit herrſcht, die nur da hervortritt, wo die höchſte Spuren der Wahrheit, einzelne Spuren
goͤttlicher Wahrheit finden ſich uͤberall, beſonders
in den aͤlteſten orientaliſchen Syſtemen; den Zu-
ſammenhang des Ganzen aber und die ſichre Ab-
ſonderung des beigemiſchten Irrthums wird wohl
niemand finden, auſſer durch das Chriſtenthum,
welches allein Aufſchluß giebt uͤber die Wahrheit
und Erkenntniß, die hoͤher iſt, als alles Wiſſen
und Waͤhnen der Vernunft.
Wir betrachten nunmehr mit einigen Worten
den Einfluß, welchen die orientaliſche Philoſophie,
von der wohl gewiß ein bedeutender und nicht der
ſchlechteſte Theil indiſchen Urſprungs iſt, auf die
europaͤiſche gehabt hat. Sehr groß war dieſer
Einfluß von jeher, obgleich vielleicht kein einziges
orientaliſches Syſtem ganz rein nach Europa ge-
langt iſt, und die Griechen eben ſo wohl als die
Neuern alles, was ſie von daher annahmen, ſich
ſelbſtthaͤtig aneigneten, und auf mannichfache Art
umgebildet und veraͤndert haben.
Aber wir muͤſſen einen Begriff von dem
Gange und eigenthuͤmlichen Charakter der euro-
Erkenntniß zugleich das tiefſte und lauterſte Gefühl und
Seele des Lebens geworden iſt.
paͤiſchen Philoſophie voranſchicken, ehe wir den
Einfluß der orientaliſchen Ideen auf dieſelbe deut-
lich machen koͤnnen. Beim erſten Aufſchwunge
der noch ungeſchwaͤchten Geiſteskraft iſt die euro-
paͤiſche Philoſophie uͤberall Idealismus, worunter
wir nicht blos die Lehre von der Ichheit oder
von der Nichtigkeit des aͤuſſern Scheins verſtehen,
ſondern jede Philoſophie, die von dem Begriffe
der ſelbſtthaͤtigen Kraft und lebendiger Wirkſam-
keit ausgeht, alſo auch das Syſtem der Stoiker,
des Ariſtoteles und mancher von den noch aͤltern
Griechen. Wenn der Begriff des Unendlichen
noch vorhanden, die Kunde der alten Offenbarung
aber ſchon verlohren iſt, was iſt natuͤrlicher, als
daß der Menſch alles aus ſich ſelbſt zu nehmen
glaubt, alles auf eigne Kraft und Vernunft
gruͤnden will? Alle die hoͤhern Begriffe, die ihn
in Sprache und Religion, in alten Gedichten
und Sagen von Kindheit an umgeben und un-
bewußt angeregt haben, haͤlt er nun fuͤr ſein
Erzeugniß und ſein Eigenthum; denn es waren
nur einzelne Spuren des Goͤttlichen, deren Zu-
ſammenhang fuͤr ihn verlohren war. Freilich hat
man noch nicht gefunden, daß eine ſolche Philo-
ſophie bei irgend einem Volke entſtanden ſei, das
wirklich ſich ſelbſt uͤberlaſſen und von den Quellen
und Stroͤmen der alten gemeinſamen Ueberliefe-
rung ganz weit entfernt lag; und wenn dieſe Weis-
heit wirklich ſo ganz aus ſich ſelbſt geſchoͤpft waͤre,
als ſie es vorgiebt, ſo wuͤrde ſie ſich wohl auch
ſelbſt beſſer aus den unſaͤglichen Verirrungen
helfen koͤnnen, in die ſie ſich auf dieſem Wege
jederzeit verwickelt hat. Dieſe haͤufen ſich immer
ſo ſehr und ſo ſchnell, daß die Philoſophie bald
ſkeptiſch wird, bis ſie endlich, wenn die Verſtan-
deskraͤfte durch langes Zweifeln hinlaͤnglich ge-
ſchwaͤcht worden, zu der blos empiriſchen Denkart
herabſinkt, wo der Gedanke der Gottheit, wenn
er auch dem Nahmen nach ſtehen bleibt, doch im
Grunde vernichtet wird, uͤberhaupt die Idee ganz
verſchwindet, und der Menſch unter dem Vor-
wand einer vernuͤnftigen Beſchraͤnkung auf den
allein nuͤtzlichen Erfahrungskreis, den hoͤheren
Geiſt, der ihn doch allein weſentlich vom Thier
unterſcheidet, als ein falſches Streben aufgiebt.
Das Troſtloſe dieſes lezten Geiſteszuſtandes pflegt
einzelne Denker zu wecken, denen es unmoͤglich
bleibt, darin zu verharren, und die alſo irgend
einen Ruͤckweg zur aͤltern und beſſern Philoſophie
ſuchen, und ſo es ihnen Ernſt iſt, gewiß auch
finden.
Dieſes iſt der einfache Gang aller europaͤiſchen
Philoſophie von den aͤlteſten Griechen bis auf
die neueſten Zeiten. Dieſer Kreislauf von einer
Philoſophie, die wenigſtens den Begriff des Un-
endlichen und der ſelbſtthaͤtigen Kraft noch nicht
verlohren hat, zur Skepſis und endlich zur empi-
riſchen Denkart hat ſich mehr als einmal wieder-
hohlt; jede neue Wiederhohlung aber war von
der vorigen verſchieden, grade weil man mit dieſer
bekannt war und ſie benutzte, das Neue zum
Theil wenigſtens ſich an das Alte durch Umbil-
dung oder durch den Gegenſatz anſchloß.
Noch mehr Unregelmaͤßigkeit aber und noch
mehr Schwankendes kommt in den Gang des euro-
paͤiſchen Geiſtes, durch das immer von Zeit zu Zeit
geſchehene Eingreifen der orientaliſchen Philoſophie
als eines fremden Gaͤhrungsſtoffs. Ohne die ſtets
erneuerte Anregung dieſes belebenden Princips
wuͤrde der europaͤiſche Geiſt ſich wohl nie ſo hoch
erhoben haben, oder doch fruͤhe wieder geſunken
ſein. Auch die hoͤchſte Philoſophie der Europaͤer,
der Idealismus der Vernunft, ſo wie ihn grie-
chiſche Selbſtdenker aufſtellten, wuͤrde wohl, an
die Fuͤlle der Kraft und des Lichts in dem orien-
taliſchen Idealismus der Religion gehalten, nur
als ein ſchwacher prometheiſcher Funke gegen die
volle himmliſche Gluth der Sonne erſcheinen,
nur geraubt und immer wieder zu erloͤſchen dro-
hend; aber je geringer der Gehalt, deſto kuͤnſtli-
cher ward die Form ausgebildet.
Freilich aber iſt die orientaliſche Weisheit bei
den Griechen wie bei den Neuern oft aus truͤben
Quellen gefloſſen. Wie ſehr in den Zeiten der
Neu-Platoniker und Gnoſtiker alles ſchon in der
ſpaͤteſten Entartung und Miſchung der Syſteme,
in den Kreis der europaͤiſchen Bildung gelangt
ſei, iſt zu allgemein bekannt, als daß es weiter
angefuͤhrt werden duͤrfte. In dem, was man
orientaliſche Philoſophie nennt, iſt dem alten Sy-
ſtem der Emanation mehr oder weniger Panthei-
ſtiſches und Dualiſtiſches, aus der orientaliſchen
Zahlenphiloſophie oder aus der Lehre von den
zwei Principien hergenommenes, beigemiſcht.
Es iſt dieß auch wohl nicht bloß in jenen
ſpaͤten Zeiten der Fall, ſondern es duͤrfte ſchon
beim Pythagoras ſo ſein, wenn wir anders den
Nachrichten von ihm, die uns fuͤr die aͤlteſten
und beſten gelten, irgend trauen duͤrfen. We-
nigſtens gehoͤrt die Zahlenlehre der Pythagoraͤer,
von der nicht ſo leicht auszumachen, ob ſie eigne
Erfindung oder auch orientaliſchen Urſprungs
war, durchaus nicht zu dem Syſtem, aus dem
ſie die Lehre von der Seelenwanderung annah-
men, ſo wenig als ihre Entgegenſetzung zwie-
facher Grundweſen und Grundbegriffe. Ja wir
haben geſehen, daß in Aſien ſelbſt ſchon in
fruͤhen Zeiten, die ſpaͤtere Lehre an die aͤltere
ſich durch Miſchung oder Umdeutung angeſchloſ-
ſen habe; hat man aber jede der abgeſonderten
Denkarten erſt fuͤr ſich rein aufgefaßt, ſo wird
man wenig Schwierigkeit finden, ſich auch die
zuſammengeſetzten und verwickelteren Erſcheinun-
gen zu erklaͤren.
Die Kenntniß der Philoſophie iſt wie zur
Erforſchung des orientaliſchen Alterthums uͤber-
haupt, ſo insbeſondre fuͤr das indiſche Studium
ſehr weſentlich und kaum zu entbehren. Wohl
verſtehen wir unter der Kenntniß der Philoſophie
etwas mehr als einige dialektiſche Uebung, nach
14
irgend einem eben umlaufenden Syſtem, was
denen neu ſcheint welche die alten nicht kennen,
alles conſtruiren zu koͤnnen; vor allem eine ver-
traute Bekanntſchaft mit dem Geiſt jener großen
alten Syſteme, die auch auf das aͤuſſere Schickſal
der Menſchheit einen ſo maͤchtigen Einfluß gehabt
haben. Dieſen Geiſt aber wird freilich niemand
begreifen, dem nicht die Bedeutung ſpekulativer
Gedanken durch eignes Forſchen klar geworden iſt.
Welche große Stelle Philoſophie in der in-
diſchen Litteratur einnehme, wird deutlich erhel-
len, wenn man ſich der Ueberſicht des Ganzen
nach den vier wichtigſten Epochen aus dem zwei-
ten Buche erinnern will. In der erſten Epoche
der Veda’s und alles aͤlteſten, was ſich zunaͤchſt
an dieſe anſchließt, ſo wie in der dritten Epoche
der Puranas und des Vyaſo iſt Philoſophie mit
allem unzertrennlich verflochten und kein Ver-
ſtaͤndniß ohne ſie zu hoffen. In der mittlern
zwiſchen jenen beiden, in der zweiten Epoche
mag Philoſophie und Poeſie etwas mehr geſon-
dert erſcheinen, aber wohl ſchwerlich ſo ſehr als
ſie es bei den Griechen und uͤberhaupt den Eu-
ropaͤern faſt immer waren; und ſelbſt die vierte
und letzte Epoche des Kalidas und der andern
Dichter unter Vikromadityo, wo die indiſche
Poeſie vorzuͤglich und mehr abgeſondert bluͤhte,
iſt doch noch durchaus auf die aͤltern gegruͤndet
und nicht von ihnen abzuſondern moͤglich.
Moͤchte doch uͤberhaupt das indiſche Stu-
dium dazu beitragen, uns zu der groͤßern Art
und Anſicht der vortrefflichen Maͤnner zuruͤck-
zufuͤhren, welche im funfzehnten und ſechszehnten
Jahrhundert das griechiſche und das orientaliſche
Studium zuerſt geſtiftet haben, da man noch
nicht glaubte, daß bloße Sprachkenntniß Anſpruch
auf den Nahmen eines Gelehrten gebe und faſt
keiner unter jenen genannt werden kann, bei
dem nicht ſeltne Sprachkenntniß mit der Fuͤlle
hiſtoriſcher Kenntniſſe und mit einem ernſten
Studium der Philoſophie waͤre vereint geweſen.
Dann wuͤrden alle Theile der hoͤhern Er-
kenntniß als ein untheilbares Ganzes vereint
mit deſto groͤßerer Kraft wirken und es wuͤrden
die Herrlichkeiten des Alterthums auch in unſre
Zeit lebendig eingreifen und ſie zu neuen Her-
vorbringungen befruchten. Denn niemals ent-
ſtand noch ein wahrhaft Neues, das nicht durch
das Alte zum Theil angeregt und hervorgerufen,
durch ſeinen Geiſt belehrt, an ſeiner Kraft ge-
naͤhrt und gebildet worden waͤre. Waͤhrend nun
auf der einen Seite alle Vernuͤnftler und die,
welche vorzuͤglich in der Gegenwart leben und
von dem Geiſt derſelben ſich lenken und beherr-
ſchen laſſen, faſt ohne Ausnahme dem verderb-
lichen und zerſtoͤrenden Grundſatze ergeben ſind,
alles durchaus neu und von vorn wie aus Nichts
erſchaffen zu wollen, iſt auf der andern Seite
wahre Kenntniß des Alterthums und der Sinn
fuͤr daſſelbe faſt verſchwunden, die Philologie zu
einer in der That ſehr ſchaalen und unfrucht-
baren Buchſtabengelehrſamkeit herabgeſunken,
und ſo bei manchen erwuͤnſchten Fortſchritten
im Einzelnen, doch das Ganze zerſplittert und
weder Kraft noch lebendiger Geiſt darin ſichtbar.
Ein Vorurtheil, was in dieſer Ruͤckſicht viel
geſchadet hat und noch ſchadet, iſt die Trennung,
die man ſich zwiſchen dem orientaliſchen und
dem griechiſchen Studium und Geiſt mehr ſelbſt
erdacht und willkuͤhrlich angenommen hat, als
daß dieſe gaͤnzliche Verſchiedenheit in der Wahr-
heit gegruͤndet waͤre. In der Voͤlkergeſchichte
ſind die Bewohner Aſiens und die Europaͤer wie
Glieder einer Familie zu betrachten, deren Ge-
ſchichte durchaus nicht getrennt werden darf, wenn
man das Ganze verſtehen will. Aber auch was
man in der Litteratur gewoͤhnlich den orientali-
ſchen Styl und Geiſt nennt, iſt nur von eini-
gen aſiatiſchen Voͤlkern hergenommen, beſonders
von den Arabern und Perſern, und von einigen
Schriften des alten Teſtaments, inſofern ſie bloß
als Poeſie beurtheilt werden; auf mehre andre
Voͤlker paßt es gar nicht. Es beſteht dieſe orien-
taliſche Eigenthuͤmlichkeit nach der gewoͤhnlichen
Vorſtellungsart, in einer hohen Kuͤhnheit und
verſchwenderiſchen Fuͤlle und Pracht der Bilder
nebſt dem oft damit verbundenen Hange zur
Allegorie. Das ſuͤdliche Klima kann nur als
mitwirkende Urſache, nicht als Hauptgrund dieſer
Richtung der Fantaſie gelten, da dieſelbe bei
ſo manchen ſehr ſuͤdlichen und auch ſehr dichte-
riſchen Nationen, wie die Indier, ſo gar nicht
gefunden wird. Die eigentliche Urſache liegt
vielmehr in der intellectuellen Religion. Ueber-
all wo eine ſolche herrſcht, ſie ſei nun philoſo-
phiſch tief, und aus goͤttlicher Liebe hervorge-
gangen, oder aber roh und wuͤſt wie die Begei-
ſterung des Hochmuths in der Lehre des Maho-
med; es wird uͤberall, ſo lange noch poetiſcher
Geiſt vorhanden iſt, die Fantaſie, nachdem ſie der
alten Mythologie entbehren muß, keinen andern
Ausweg finden, als den jener kuͤhnen allegoriſchen
Bildlichkeit. Daher finden wir dieſen ſogenann-
ten orientaliſchen Charakter eben ſo wohl in
vielen Dichtern des Mittelalters (auch in ita-
liaͤniſchen und deutſchen, nicht bloß in ſpaniſchen)
als in den romantiſchen Dichtungen der Perſer
und Araber, ohne daß wir desfalls zu dem Ein-
fluß der Kreuzzuͤge unſre Zuflucht zu nehmen
brauchten, da die gleichen Umſtaͤnde in Europa
wie in Aſien dieſelben Folgen hervorrufen mußten.
Wie paßt nun aber dieſe Farbengluth zu der
proſaiſchen Trockenheit der Chineſiſchen Buͤcher,
oder zu der ſchoͤnen Einfalt des indiſchen Styls?
Zwar in der Sokuntola des Kalidas fehlt es
auch nicht an Blumenſchmuck und Bilderfuͤlle;
doch auch hier ohne alle Ueberſpannung. Die
aͤltern indiſchen Gedichte vollends, ſind noch bild-
loſer als ſelbſt die einfachſten und ſtrengſten
Werke der Griechen; die tiefe Seele, die in allem
lebt und athmet, die helle Klarheit, in der alles
daſteht, bedarf nicht dieſes wilden Feuers, und
keiner unerwarteten Schlaͤge und Strahlen der
gluͤhenden Fantaſie.
Eine andre Eigenſchaft, die man auch als
eine charakteriſtiſche Eigenthuͤmlichkeit orienta-
liſcher Werke anſieht, betrifft mehr den Gedan-
kengang im Ganzen und ſelbſt die Anordnung
und Compoſition, die ſich durch Dunkelheit oft
von den Werken der Griechen unterſcheidet. Auf
die indiſchen Werke iſt dieſes wiederum gar
nicht anwendbar, ſondern vorzuͤglich auf die vor-
hin genannten Nationen. Theils haͤngt dies
wohl zuſammen mit der eben geſchilderten Uep-
pigkeit bildlicher Fantaſie, und dem Hange zur
Allegorie; wo dieſe im Einzelnen vorwalten, da
wird auch im Gliederbau und der Anordnung
des Ganzen oft dieſelbe bloß andeutende Kuͤhn-
heit herrſchen, und daher Dunkelheit entſpringen.
Zum Theil duͤrfte es ſich aber auch aus denje-
nigen Grundverſchiedenheiten der Grammatik,
die wir im erſten Buch entwickelt haben, erklaͤ-
ren laſſen. Ich halte dafuͤr, daß alle Werke der
Rede dem Geſetz ihrer Sprache von Natur fol-
gen, wenn nicht ein hoͤherer Geiſt es anders
lenkt, oder da wo man durch Vernachlaͤſſigung
noch tiefer hinabſinkt. Wie nun in den Spra-
chen, die ihre Grammatik durch Suffixa und
Praͤfixa bilden, die Conſtruction im Einzelnen
ſchwer iſt, ſo wird auch der Gedankengang leicht
verworren oder dunkel ſein. In den Sprachen,
die ſich ihr Geſchaͤft durch Huͤlfsverba und Praͤ-
poſitionen fuͤr den Gebrauch am bequemſten ab-
kuͤrzen, wird die Compoſition zwar leicht und
verſtaͤndlich, gern aber auch nachlaͤſſig und form-
los ſein; Sprachen aber, die durch innere Flexion
der Wurzeln eine Fuͤlle von Nebenbeſtimmungen
des urſpruͤnglichen Sinns genau bezeichnen, wie
die griechiſche und die indiſche, fuͤhren von ſelbſt
zur ſchoͤnen Form, wie im Einzelnen der gram-
matiſchen Conſtruction ſo auch im Ganzen der
Anordnung und der Compoſition.
Auch in dieſer letzten Beziehung alſo hat
was man orientaliſchen Geiſt und Styl nennt,
nur eine ſehr beſchraͤnkte Anwendung auf einige
wenige Voͤlker. Zudem giebts der Ausnahmen
und Uebergaͤnge uͤberall genug. So hat die
Dunkelheit in dem Gedankengange des Aeſchylus
beſonders in den Choͤren, obwohl in einer ganz
helleniſchen Form, dennoch wirklich etwas Orien-
taliſches, was aber mehr von der leidenſchaftlichen
Aufregung, dem gewaltſamen Zuſtande der Fan-
taſie uͤberhaupt herruͤhrt, als von einzelnen Bil-
dern oder von irgend einer Unfaͤhigkeit zur Klar-
heit. Auch dem Pindar giebt die lyriſche Kuͤhn-
heit der Gleichniſſe und Anſpielungen, und die
Abgeriſſenheit der Uebergaͤnge einen orientaliſchen
Anſtrich; ſeine Milde und Weichheit bei der heroi-
ſchen Groͤße des Inhalts und Gedankens hat
etwas von dem Charakter der indiſchen Gedichte,
ſo weit wir ſie bis jetzt kennen. So wie die
groͤßten Denker, die tiefſinnigſten Philoſophen
Europa’s ſich faſt immer durch eine entſchiedne
Vorliebe fuͤr das orientaliſche Alterthum auszeich-
neten; ſo naͤherten ſich mehre und zwar beſonders
große Dichter bei den Griechen, und um nur den
einzigen Dante zu nennen, auch bei den Neuern,
nur auf eine weniger bewußte Weiſe, der orienta-
liſchen Eigenthuͤmlichkeit und Groͤße.
So wie nun in der Voͤlkergeſchichte die Aſia-
ten und die Europaͤer nur eine große Familie,
Aſien und Europa ein unzertrennbares Ganzes
bilden, ſo ſollte man ſich immer mehr bemuͤhen,
auch die Literatur aller gebildeten Voͤlker als eine
fortgehende Entwicklung und ein einziges innig
verbundenes Gebaͤude und Gebilde, als Ein großes
Ganzes zu betrachten, wo denn manche einſeitige
und beſchraͤnkte Anſicht von ſelbſt verſchwinden,
vieles im Zuſammenhange erſt verſtaͤndlich, alles
aber in dieſem Lichte neu, erſcheinen wuͤrde.
Wenn es natuͤrlich iſt, daß der tiefſinnige
Geiſt des Mittelalters, auf den unſre ganze Ver-
faſſung und jetziges Leben ſich gruͤnden, und noch
lange gruͤnden werden, uns in der Geſchichte,
Dichtkunſt und Sittenlehre vor allen am naͤchſten
ſteht, und die Kenntniß deſſelben fuͤr das Leben
am wichtigſten iſt; wenn das griechiſche Studium
die beſte nicht nur, ſondern eine durchaus noth-
wendige Vorbereitung und Schule gruͤndlicher
Gelehrſamkeit bleibt, weil nirgends ſonſt wo die
Kritik als Kunſt ſo vollſtaͤndig ausgebildet wor-
den; wenn endlich auch die Kunſt, die Philoſo-
phie und Poeſie der Griechen, falls wir nicht
bloß bei der aͤuſſern Form ſtehen bleiben, wie die
Buchſtabengelehrten und gewoͤhnlichen Aeſthetiker
und Kunſtkenner, theils an ſich von hohem Werthe,
theils aber auch ein unentbehrliches Mittelglied
der europaͤiſchen Bildung und der orientaliſchen
Ueberlieferung ſind, ſo wie die roͤmiſche Literatur
den Uebergang von den Griechen zum Mittelalter
bildet; ſo duͤrfte doch das indiſche Studium allein
dahin fuͤhren, die bis jetzt noch ganz unbekannten
Gegenden des fruͤhſten Alterthums aufzuhellen,
und dabei an dichteriſchen Schoͤnheiten und philo-
ſophiſchem Tiefſinn nicht minder reiche Schaͤtze
darzubieten haben.
Und wenn eine zu einſeitige und bloß ſpielende
Beſchaͤftigung mit den Griechen den Geiſt in den
letzten Jahrhunderten zu ſehr von dem alten Ernſt
oder gar von der Quelle aller hoͤhern Wahrheit
entfernt hat, ſo duͤrfte dieſe ganz neue Kenntniß
und Anſchauung des orientaliſchen Alterthums,
je tiefer wir darin eindringen, um ſo mehr zu der
Erkenntniß des Goͤttlichen und zu jener Kraft der
Geſinnung wieder zuruͤckfuͤhren, die aller Kunſt
und allem Wiſſen erſt Licht und Leben giebt.
Indiſche Gedichte.
Ich ſetze dieſen Bruchſtuͤcken indiſcher Dichtkunſt
einige Bemerkungen uͤber die Handſchriften voran,
nach denen die Ueberſetzung gemacht worden, uͤber
die Orthographie, das Sylbenmaaß und endlich
uͤber die Auswahl der verſchiednen Stuͤcke.
Die Handſchrift des Ramayon gehoͤrt zu
den ſchoͤnſten, welche die Pariſer Bibliothek be-
ſitzt. Sie iſt in großen Devonagori-Charakteren
auf Quartblaͤttern von Papier geſchrieben. Die
Handſchrift des Manovodharmoſhaſtron in
bengaliſchen Charakteren auf laͤnglichten Papier-
blaͤttern, in Form derer aus Baumrinde, gehoͤrt
wohl weder in Ruͤckſicht der Schoͤnheit noch der
Correctheit zu den vorzuͤglichen. Von dem
Bhogovotgita giebts vier verſchiedne Hand-
ſchriften in kleinem Format, als Buͤcher gebun-
den; ſie ſind ſaͤmtlich in Devonagori-Charakteren,
einige mit Scholien, der Text iſt ſehr correct.
Von dem Mohabharot iſt ein gut geſchriebenes
Exemplar in bengaliſchen Charakteren auf Baum-
rindenblaͤttern vorhanden.
Was die Orthographie betrifft, ſo habe ich
den kurzen Vokal, der ausgenommen am Anfang
des Wortes nicht geſchrieben wird, in dem gram-
matiſchen Syſtem als ein kurzes a gilt, in der
neuern Ausſprache aber o lautet, o geſchrieben;
theils wegen der Autoritaͤt, welche der noch lebende
Ton, ſo ſehr auch die Sprache ſelbſt entartet ſein
mag, immer behalten muß, wie man auch im
Griechiſchen vielleicht beſſer gethan haͤtte, die
Ausſprache der Neu-Griechen nicht ſo ganz zu
verlaſſen; theils aber iſt es geſchehen, um den
Uebellaut zu vermeiden, der aus den zu ſehr ge-
haͤuften a entſteht, und damit die Quantitaͤt deſto
leichter beobachtet werde, da wir eher gewohnt
ſind, ein o beſonders am Ende des Worts kurz
zu ſprechen als ein a. Das d der erſten Reihe,
welches wie eine eigne Art von r lautet, und
welches Jones durch einen Punkt, die Perſer
aber unter dem Nahmen des indiſchen Dal mit
vier Punkten bezeichnen, habe ich dem Klange
gemaͤß r geſchrieben. Die zuſammengeſetzten Con-
ſonanten jño und kſho, welche ghyo und khyo
geſprochen werden, habe ich aber ungeachtet der
kleinen Haͤrte nicht nach der Ausſprache, ſondern
nach der grammatiſchen Strenge geſchrieben, da
es in manchen Faͤllen ſelbſt fuͤr die Etymologie
wichtig iſt. Die verſchiednen Arten des naſalen
n durch Zeichen zu unterſcheiden, ſchien mir uͤber-
fluͤſſig, da dieſer Unterſchied doch fuͤr uns ganz
verlohren geht, und wer indiſch ſchreiben kann,
ohnehin aus dem vorhergehenden Conſonanten
weiß, welches der verſchiednen n er zu nehmen
hat. Die Conſonanten v, j, ch werden geſpro-
chen wie im Engliſchen. Das erſte ſ, welches
Jones durch einen Strich zur Unterſcheidung be-
zeichnet, wird von den Portugieſen (deren Ortho-
graphie der Verfaſſer des Pariſer Manuſcriptes
Nro. 283 befolgt) wie von den meiſten andern ſo
bezeichnet, daß man glauben muß, es laute wie
ſh; wenigſtens muͤßte man, wenn man Shaſtra
ſchreibt und ſpricht und nicht Saſtra, auch
Shivo und Shokuntola, nicht Sivo und
15
Sokuntola ſchreiben und ſprechen, weil es der-
ſelbe Buchſtabe iſt; doch habe ich mich hierin nicht
von dem bisherigen Gebrauch entfernen wollen,
da es nicht von großer Wichtigkeit iſt.
Die indiſche Sprache hat, obwohl das ganze
Syſtem der Sylbenmaaße noch ſehr verſchieden
ſein mag, doch einige der weſentlichſten rhythmi-
ſchen Grundgeſetze mit der griechiſchen Sprache
gemein. Die Vokale ſind theils von Natur lang,
theils kurz wie im Griechiſchen. Lang ſind a, e,
oi, au; kurz ſpreche man in den indiſchen Nahmen
der folgenden Gedichte das o, u, i, auſſer wo die
Laͤnge ausdruͤcklich bezeichnet iſt. Die Sylbe,
deren Vokal kurz iſt, kann durch Poſition lang
werden, genau wie in den alten Sprachen. Jene
Eigenheit der griechiſchen Metrik, da mit Beiſeite-
ſetzung der Sylbenzahl an gewiſſen Stellen fuͤr
eine lange Sylbe zwei kurze geſetzt werden duͤr-
fen, habe ich wohl in dem Gitogovindo des Joyo-
devo bemerkt, wo ſtatt des Daktyls —⏑⏑ auch
vier kurze Sylben ⏑⏑⏑⏑ gebraucht werden. In
demjenigen Sylbenmaaße aber, worin die nach-
ſtehenden Bruchſtuͤcke wie die meiſten alten
Werke der Indier abgefaßt ſind, findet dieſe
Freiheit nicht Statt, ſondern die Sylbenzahl
wird ſtreng beobachtet. Es beſtehen dieſe Schlōken
oder indiſchen Diſtichen, aus zwei ſechzehnſylbigen
Verſen, deren jeder in der Mitte einen Abſchnitt
hat, ſo daß das ganze Diſtichon aus vier glei-
chen achtſylbigen Gliedern oder Fuͤßen nach der
indiſchen Benennung beſteht. Dieſe ſechzehnſyl-
higen Verſe haben alle einen jambiſchen Ausgang
⏑—⏑—, ſelten ⏑—⏑⏑. Auſſerdem kommen
aber an jeder andern Stelle ſtatt des Dijambus
auch Antiſpaſten, Choriamben, Dichoreen, Jonici,
Epitriten, ſeltner Paeone aller Art vor. Doch
iſt auch in dem erſten und dritten Fuß oder Vers-
gliede des Diſtichons die fuͤnfte Sylbe faſt nie
lang.
In dieſem Sylbenmaaße ſind alle nachfolgen-
den Bruchſtuͤcke gedichtet; nur als ſeltne Ausnahme
kommen zwiſchen jenen ſechzehnſylbigen Verſen
einige laͤngere vor, meiſtens um einen hoͤhern lyri-
ſchen Schwung zu bezeichnen. Auch dieſe ſind in
Diſtichen. In denen, die aus vier zwoͤlfſylbigen
Gliedern oder Fuͤßen beſtehn, iſt das Schema
meiſtens dieſes ⏑—⏑——⏑⏑—⏑—⏑—. In
denen, die aus vier eilfſylbigen beſtehen,
⏑̅—⏑——⏑⏑—⏑—⏑̅. Doch habe ich dabei
noch manche Abweichungen und Verſchiedenheiten
bemerkt. Ich hatte der Verſe dieſer Art nicht
genug vor mir, um alle Verſchiedenheiten des
Schema’s daraus abnehmen zu koͤnnen.
Ich glaubte, es wuͤrde dem Leſer angenehm
ſein, einen Verſuch zu ſehen, in wiefern die Bild-
ſamkeit unſrer Sprache, die mit der griechiſchen
ſo gluͤcklich wetteifern konnte, ſich auch dem Gange
der ehrwuͤrdigen alten indiſchen Sprache anzu-
ſchmiegen vermoͤchte; es verſteht ſich aber wohl
von ſelbſt, daß ein erſter Verſuch der Art nicht
auf die Vollkommenheit Anſpruch machen kann,
die es vielleicht in der Folge zu erreichen moͤglich
ſein wird, wenn wir das metriſche Syſtem der
Indier aus einem proſodiſchen Werk ſeinem gan-
zen Umfang nach kennen werden, wo ſich denn
auch die Frage wird entſcheiden laſſen, in wiefern
es bei der Ueberſetzung moͤglich ſei, auch auf die
dreifache Geltung der Sylben im Indiſchen (ſ.
Monu’s Geſetzbuch II, 125.) Ruͤckſicht zu nehmen.
Noch bemerke ich, daß wo der Inhalt lehrend
iſt, wie in Monu’s Geſetzbuch oder im Bhogo-
votgita, jedes Diſtichon zugleich einen periodiſchen
Abſchnitt bildet; in den epiſchen Stuͤcken aber
aus dem Ramayon und aus der Geſchichte der
Sokuntola geht der Sinn oft aus einem Diſtichon
in das andre hinuͤber.
Der Anfang des Ramayon erſcheint
hier zum erſtenmal uͤberſetzt; daher habe ich ſelbſt
von der einleitenden Anrufung nichts weglaſſen
wollen. Wo die Lesart oder die Auslegung mir
zweifelhaft war, habe ich es in den Noten be-
merkt.
Aus dem Geſetzbuche Monu’s und dem
Bhogovotgita, die durch Jones und Wilkins
ſchon bekannt ſind, habe ich aus erſterm alles
zuſammengeſtellt, was die Kosmogonie betrifft;
aus dem andern aber mehre der merkwuͤrdigſten
Stellen ausgewaͤhlt, welche die Lehre von der
Einheit, die der Inhalt, Zweck und Geiſt des
Ganzen iſt, darſtellen und entwickeln. Beides
dient als Belege zu den Bemerkungen uͤber indi-
ſche Philoſophie im zweiten Buche der Abhand-
lung.
Die Stuͤcke aus der Geſchichte der Sokun-
tola koͤnnen als ein Beiſpiel der aͤltern indiſchen
Poeſie dienen, wenn man die verſchiedne Be-
handlungsart der ſchoͤnen Geſchichte in dem alten
Heldengedichte und dem lieblichen Drama des
Kalidas gegen einander haͤlt.
I.
Anfang des Ramayon.
Dieſes Buch faͤngt an, wie alle alten indiſchen
Buͤcher, die wir bis jetzt kennen; mit einer Ge-
ſchichte oder Dichtung von Entſtehung des Buchs
und von dem Verfaſſer deſſelben. Der Seher
Valmīki, dem der Ramayon zugeſchrieben wird,
iſt eben ſo wohl als Monu und Vyaſo, eine zum
Theil mythiſche Perſon.
Dieſe Einleitung enthaͤlt die Erzaͤhlung, wie
der Sehergott Narodo dem Valmīki die hohe
Tugend und die Thaten des noch lebenden Ramo
bekannt macht. Erfuͤllt von dieſem Gegenſtande,
erfindet Valmīki, durch einen andern Zufall ver-
anlaßt, die Verskunſt; darauf erſcheint ihm
Brohma in ſeiner Einſiedlerhuͤtte, beſtaͤtigt ihn
in ſeinem Entſchluß und ermuntert ihn, den
Ramo zu beſingen, indem er ihm die hohe Voll-
kommenheit und die ewige Dauer ſeines Gedichts
weiſſagend entdeckt.
Es geht dieſer Erzaͤhlung noch eine kurze
einleitende Anrufung voran; zuerſt an den Hel-
den, ſodann an den Dichter und ſein ge-
heiligtes Werk, an den wunderbaren Waffenbru-
der des Helden, einen mit Verſtand begabten
Waldmenſchen oder Affenfuͤrſten, und wieder an
den Dichter.
Seegen und Heil!
Dem goͤttlichen Ramo Preiß!
Ein Sieger iſt des Stamms von Roghu Zier, Ramo, Sohn der Kauſolya von dem Doſhoroth, aus dem
Geſchlecht der Sonnenkinder. Der Getödtete unſtreitig
einer von den vielen Rieſen und wilden Kriegern, die
Ramo beſiegt hat.
Kauſolya’s herzensgeliebteſtes Kind, Ramo,
Der dem Doſhovodono den Tod gab, Doſhoroths
lotosgeaugter Sohn.
Dem Fürſten Heil der Einſiedler, jenem Büßer in
ſeelgem Glanz,
Aller Weisheit Beſitzherren, ihm, Valmīki dem
Seher, Heil!
Sie, die ſtets Ramo Ramo ſingt, ſüßes mit ſüßem
Klange ſagt,
Geſchwungen auf des Dichters Zweig, grüß ich Val-
mīki’s Nachtigall!
Wer dieſes Einſtedlerlöwen, der im Haine des Dichters
wohnt,
Valmīki’s Lied von Ramo hört, wohl erreicht der
das höchſte Glück.
Valmīki’s Bergen entſprungen, hin ſich ſtürzend in
Ramo’s Meer,
Verherrlicht herrlich das Weltall des Ramayons ge-
waltger Strom.
Welches von Flecken ganz rein iſt, auch an Bächen
und Blumen reich,
Heil dem, der es hervorbrachte, des Ramayons er-
habnes Lied!
Wer immer trinkt, ſo lang er lebt, des Ramayono’s
Göttertrank,
Nimmer ſatt, der ſei mir gegrüßt, als frommer Weiſer,
rein von Schuld!
Den Held in Demuth erzogen, Anſpielung auf die Verbannung des Ramo. ihn, der Janoki’s Janoki, d. i. die Tochter des Jonoko, Sita, Ramo’s ge-
liebte Gemahlin.
Schmerz vertilgt,
Den Affenfürſt, Honuman, der Kampfgenoſſe des gleich dem Bakchus von
halbthieriſchen Naturen wunderbar umgebenen Ramo. Ein
Bildniß des Honuman findet ſich unter den Figuren zu
Maiers mytholog. Wörterbuch B. 2. Taf. 4. deß Blick tödtet, grüß ich, der
Lonka Schrecken gab!
Siegreich iſt des Stamms von Bhrigu Bhrigu, einer der zehn großen Riſhis oder heiligen Alt-
väter und Weiſen der Urwelt, wird hier als Stammvater
des Dichters Valmiki genannt. Zier, der
Dichter Erſter und Fürſt der Prieſter, Valmīki,
Der in reizende Verſe gebunden, bildete des Rama-
yonon’s Werk hier;
Wo aller Pflichten Lehre, wo zu leſen Heldenfreundſchaft,
wo vollſtändig ganz des Lehrers Amt,
Wo was Valmīki, der herrlichen Dichter herrlich-
ſter, in dem Ramayons Lied redete,
welches Schöne iſt da nicht? In den letzten Verſen, ſo wie in dem erſten Diſtichon die-
ſer Anrufung folgte ich dem rhythmiſchen Gange der Ur-
ſchrift ſo gut als es möglich war, da das Schema mir
weiter nicht vorgekommen iſt, einiges auch ganz unregel-
mäßig ſcheint.
Sprache und Styl iſt in der vorſtehenden
Anrufung merklich juͤnger als in dem uͤbrigen.
In dem nun folgenden Stuͤck aber iſt kein bedeu-
tender Unterſchied in dieſer Ruͤckſicht von der
Sprache im Mohabharot oder den Puranas wahr-
zunehmen, obwohl die Ueberlieferung dem Val-
mīki ein ungleich hoͤheres Alter beilegt als dem
Vyaſo.
Narodo’s Rede.
Der Inhalt iſt folgender: Valmīki fragt den
Narodo, wo ein vollkommner Held zu finden ſei.
Narodo nennt den Ramo als einen ſolchen und
ergießt ſich in ſein Lob.
In Andacht Forſchens ſich freuend, kam, der fromm
alle Kund umfaßt,
Den Narodo zu befragen, Valmīki hoher
Seher Fürſt.
Valmīki.
Wer verdient in der Welt Lob hier, in den Tugen-
den allen groß,
4. So die Pflicht wie die That kennend, wahr in
Worten, im Glauben feſt?
Er ſelbſt hoch wandelnd in Tugend, allen Weſen
befreundet wer?
Der beredt und zugleich thatvoll, wer der lieb-
lichſte auch zu ſehn?
Ob des Zorns Macht in ſich ſiegend, würdereich
wer und achtbar ſtets,
8. Daß der Glanz ſolchen Sohns ſtrahlend ſelbſt die
Göttin verherrlichte?
Wer hat groß Heldenkraft funden, drei Welten Drei Welten giebt es nach der indiſchen Lehre; eine der
Wahrheit, eine des Glanzes oder des Scheins, und eine
der Finſterniß.
gar zur Rettung gut;
Wer der gutes den Völkern thut, der Tugendhaf-
ten Zuflucht wer?
Und die allſchön, wem naht Lokſhmi Lokſhmi, die ſchönſte, lieblichſte, ſeeligſte der Göttinnen;
ſonſt auch Sri genannt, Gemahlin des Viſhnu. unter
den Menſchen ſie allein,
12. Der dem in Feuer, Luft, Sonne waltenden
Gott Upentro Upentro, nach dem Omorocoſcha ein Beinahme des Viſhnu.
Es waren in der Mitte dieſes Verſes zwei Sylben unle-
ſerlich. Ich habe nach der Wahrſcheinlichkeit überſetzt, daß
die erſte Hälfte des Verſes noch ein Prädikat von Upentro
bildet. gleicht? —
Salihes begehr’ ich zu hören in Wahrheit,
Narodo, von dir!
Gott und Weiſer, wohl kannſt du ja ſelbſt be-
lehren den kundgen Mann.
Als dieß, der die drei Zeiten kennt, Narodo
hört, Valmīki’s Wort,
16. „Merk’ auf!“ alſo ihn anrufend, ſpricht er dann
zu dem Heiligen:
Narodo.
O wohl ſchwer mag man die finden, die dein Lob
preißt, die Tugend all;
Einmal auf dieſer Erdwelt hier wird Vollkommen-
heit ſchwer erlangt.
Seh ich doch ſelbſt bei den Göttern keinen, der
ſolches Ziel erreicht;
20. Hör’ denn, wer ſolcher Tugend voll, wie ein Mond
vor den Menſchen ſtrahlt.
Ikſhvaku’s Ikſhvaku, einer der königlichen Ahuherren des Stamms
der Sonnenkinder; Sohn des Vivoſvan, der ein Sohn
des Suryo, des Sonnengottes iſt. Stamm hat ihn gezeugt, Ramo
heißt er, der Tugend übt;
Mit jenen und noch weit größern Gaben begabt,
der herrlich glänzt.
In ſich ſelbſt herrſchend, großmüthig, würdevoll,
ſtrahlenreich und ſtark,
24. Weisheitsvoll, auch der Pflicht ſtets treu, ſiegreich,
der jeden Feind bezwingt.
Der großgliedrig und ſtarkarmicht Konvugri-
vo’n Die beiden genannten ohne Zweifel einige von den vielen
Rieſen und wilden Kriegern, die Ramo beſiegt hat. getödtet hat,
Der ſtarkmuthig und mächtger Kraft Gudor-
jonu Die beiden genannten ohne Zweifel einige von den vielen
Rieſen und wilden Kriegern, die Ramo beſiegt hat. den Feind bezwang.
Deß Arm zum Knie hängt, hoch von Haupt, er
der ſtark, wahrer Tugend reich,
28. Gleichmüthig, ſchöngegliedert iſt, herrlicher Farb’
und würdevoll,
Deß Auge groß, von mächtger Bruſt, Günſtling
des Glücks und ſchön zu ſehn,
Wohl das Recht kennend, wahr ſtrebend, ſeines
Zorns Meiſter, Herr des Sinns.
Der Weisheit tiefgedacht beſitzt, rein, mit Hel-
dengewalt begabt,
32. Schutz und Retter des Weltenalls, Gründer,
Erhalter auch des Rechts;
Alle Glieder der Schrift Alle Theile oder Glieder des Vedo. wiſſend, aller Bücher
wohl kundig auch,
Aller Schrift Deutung grundgelehrt, tugendreich,
der im Glanze ſtrahlt;
Allen Menſchen beliebt, bieder, von Geiſt heiter
und hochgelehrt,
36. Stets die Guten ſich nach ziehend, wie zum Meer
eilt der Ströme Lauf.
Er der wahr, gleich und gleichmüthig, der einzig
und hold von Anſehn iſt,
Ramo ſtehend am Tugendziel, Kauſolya’s
Lieb’ und hohe Luſt;
Freigebig wie das Weltmeer iſt, ſtandhaft gleich
wie der Himovan, Die indiſchen Alpen im Norden.
40. Viſhnu’n ähnlich an Heldenkraft, ſtandhaft ſo
wie der Berge Herr; Beinahme des Sivo.
Zornflammend wie das Weltfener und im Dulden
der Erde gleich,
Spendend wie der Reichthumsgott, Zufluchtsort
deſſen was wahr und recht.
Ehe wir den Narodo, der nun zur Ge-
ſchichte Ramo’s uͤbergeht, weiter anhoͤren, wollen
wir erſt in kurzem erwaͤhnen, was dem Zeit-
punkt, wo Narodo’s Erzaͤhlung anhebt, voranging.
Ramo’s Erſcheinung wird nach der indi-
ſchen Sage als die ſiebente Menſchwerdung des
Viſhnu betrachtet. Sie ward durch die Klagen
veranlaßt, welche vor dem Brohma kamen, uͤber
die Unthaten des Rieſen Ravono, Koͤnigs zu
Lonka und ſeiner Genoſſen, die ſogar den Indro
bekriegten. Um ihn zu bekaͤmpfen, entſchließt
ſich Viſhnu, menſchliche Geſtalt anzunehmen,
als Sohn des Doſhorotho, Koͤnigs von Oyōdhya.
Doſhorotho hat von drei Gemahlinnen vier
Soͤhne; von der Kauſolya den Ramo, von der
Koika den Bhoroto und von einer dritten, deren
Nahme verſchiedentlich angegeben wird, noch den
Lokſhmoño, den Freund und Begleiter des
Ramo, und einen vierten, der Bhorots Begleiter
war. Doſhoroth will den erſtgebohrnen Ramo
feierlich zum Erben erklaͤren und einſetzen. Aber
Koika, die ihrem Gemahl große Dienſte erzeigt
hatte, benutzt ſein ihr deshalb gegebnes Ver-
ſprechen, jede Bitte zu erfuͤllen, die ſie an ihn
thun wuͤrde. Sie begehrt, daß Ramo auf zwoͤlf
Jahre verbannt, Bhorot aber an ſeiner Stelle
zum Erben erklaͤrt werde.
Hier beginnt Narodo’s Erzaͤhlung, die zu-
gleich eine gedraͤngte Inhaltsanzeige des ganzen
Gedichts iſt. Damit die Menge der Nahmen
16
und in engen Raum zuſammengehaͤuften hiſto-
riſchen Anſpielungen die Aufmerkſamkeit nicht zu
ſehr verwirren, ſetzen wir den Hauptfaden der
Geſchichte voran, mit Weglaſſung aller Neben-
umſtaͤnde.
Ramo geht in den Wald, wohin ihm ſein
treuer Bruder Lokſhmoño und ſeine geliebte
Sita folgt. Der alte Doſhorotho ſtirbt vor
Gram; nach ſeinem Tode wird Bhoroto der ein-
mal gemachten Anordnung des Vaters gemaͤß
zum Koͤnigthum berufen. Er will es aber nicht
annehmen, ſondern geht in den Wald zu Ramo
und bietet dieſem das Reich an. Ramo ver-
weigert es und bewegt den Bhorot zuruͤckzukeh-
ren, der dann die Regierung antritt und zu
Nondigramo ſeinen Hof haͤlt.
Ramo irrt ferner in der Wildniß umher
und faͤngt nun an die Rieſen zu bekaͤmpfen,
wozu ihm Indro’s Waffen verliehen werden.
Er toͤdtet viele derſelben; Ravono, der Rieſen-
koͤnig zu Lonka, geraͤth daruͤber in Zorn und
ſinnt auf Rache. Durch Liſt entfuͤhrt er die
ſchoͤne Sita, Ramo’s Geliebte; wobei er den
wunderbaren Geier, den Waͤchter in Ramo’s
Behauſung, toͤdtet. Als Ramo den Leichnam
deſſelben beſtattet und verbrennt, laͤßt ſich eine
weiſſagende Stimme aus der Flamme vernehmen,
die dem Ramo angiebt, was er nun ferner zu
thun habe.
Er verbuͤndet ſich jetzt mit den beiden wun-
derbaren Waldmenſchen oder Affenhelden, Honu-
man und Sugrīvo. Er toͤdtet durch Sugrīvo’s
Rath unterſtuͤtzt einen der Hauptgegner und
furchtbarſten Rieſen, den Vali. Honuman
ſchwimmt durchs Meer nach der Inſel Lonka,
befreit Sita, toͤdtet viele Rieſen und verbrennt
die Stadt Lonka. Dann geht er zum Ramo
und bringt ihm die frohe Botſchaft. Ramo geht
an den Strand des Meeres; Somudro d. i.
der Oceanus giebt ihm ſelbſt die Mittel an, die
bekannte wunderbare Bruͤcke nach der Inſel
Lonka uͤbers Meer zu ſchlagen. Er toͤdtet den
Ravono und findet ſeine geliebte Sita wieder,
hegt aber ein Mistrauen, ob ſie ihm auch die
Treue bewahrt habe. Sita beweißt ihre Un-
ſchuld durch die Feuerprobe. Alle Goͤtter ſind
hoch erfreut darob und er eilt nun nach Non-
digramo, wo die Bruͤder dann vereinigt herrſchen,
und ferner in Freude und Herrlichkeit leben.
Es folgt eine kurze Schilderung von der
goldenen Zeit, welche die Menſchen unter Ramo’s
Herrſchaft jetzt verleben, und eine Weiſſagung
wie lang dieſelbe noch dauern wird.
Was die vielen andern Nahmen von Helden
betrifft, die auſſerdem noch in der Erzaͤhlung
vorkommen, ſo begnuͤge man ſich zu wiſſen, ob
es Freunde und Bundsgenoſſen des Ramo, oder
Gegner und Feinde deſſelben ſind, welches alle-
mal aus dem Zuſammenhange klar iſt Ich habe überhaupt dieſes Werk nicht durch Erklärung ſol-
cher Nahmen und Dinge anſchwellen wollen, die ſchon in
andern Büchern erklärt worden ſind. Denen aber, welchen
die indiſche Litteratur und Mythologie noch fremd iſt,
empfehle ich zum Nachſchlagen Maiers mythologi-
ſches Wörterbuch, wo das bis jetzt bekannte mit Sorg-
falt geſammelt und mit Klarheit dargeſtellt iſt..
Narodo faͤhrt alſo in ſeiner Rede fort:
Nun dieſen tugendbegabten, Ramo, den wahrhaft
wandelnden
44. Trefflichen Erſtgebohrenen, Doſhorotho’s ge-
liebten Sohn,
Seines Volks hochbegünſtigten durch angebohrner
Anmuth Kraft,
Wollt’ als Erbherrn zum Königthum erhöhn der
herrlich ſtrahlende.
Doch dieſer Weihe Feſt ſehend, bat die dem
Koiki-ſtamm entſproß,
48. Erſter Bitte Geſchenk nutzend, dieſe Bitte vom
Könige:
Daß Ramo gleich verbannt werde, Bhoroto
dann erhoben ſei.
Der König um des Worts Wahrheit, von des
Rechts Bande feſt umſtrickt,
Verbannte ſelbſt ſeinen Ramo, Doſhoroth
den geliebten Sohn.
52. Jener ging nun der Held waldwärts, die Gelo-
bung erfüllend gleich,
Was ſeines Vaters Befehlswort, wie es der
Koika Haß bewirkt.
Nach wandert da dem wandernden Lokſhmoño,
nach ihm eilet er,
Aus Liebe, der beſcheidnen Sinns wohl ein
Freund, Freudengeber war;
56. Bruder war er des Bruders Luſt, bewährend edlen
Bruderbund.
Auch das geliebte Weib Ramo’s, ſtets geachtet
dem Leben gleich,
Die von Jonoko’s Geſchlecht ſtammt, Maya Die göttliche Täuſchung, woraus die Welt der Erſcheinung
entſpringt. Man könnte es auch ohne Perſonification
geben: „einer Göttererſcheinung gleich.“
der Göttin gleich an Werth;
Jeglicher Zierde reichbegabt, der Fraun Erſte
an frommem Sinn,
60. Schön und jugendlich blühend ſie, ſittſam wan-
delnd der Pflicht gemäß;
Sita auch war gefolgt Ramo’n, wie Rohi-
nī’s Geſtirn Eine weibliche Sterngöttin, die der Mond liebt, in deſſen
Nähe ſie immer weilt. dem Mond.
Ihn begleitet des Volks Menge, auch Doſhoroth
der Vater weit;
Bei Sringover am Rand Gonga’s trennt
er von ſeinem Sohne ſich.
64. Zu Guho geht der gerechte, Niſhado’s Ob Niſhado ein Volk oder einen Ort bezeichne, iſt aus der
Form des Wortes niſhad’adhipotin nicht klar.
werthem Könige.
Mit Guho nun vereint Ramo, mit Lokſhmo-
ño, mit Sita auch,
Nach Gonga’s Lauf, in Freud’ allſtets, hin zum
Walde da wandern ſie.
So von Walde zu Wald gelangt, den Strom
durchſchreitend mächtger Fluth
68. Folgend Bhorodvojo’s Einer der großen Riſhi’s, oder heiligen Altväter der
Urwelt. Geheiß, gehn ſie auf
Chittrokudo’s Berg.
Frohe Sitze hier gleich gemacht vom frohſinnigen
Lokſhmoño,
Wohnt da mit Sita zugleich dann Ramo, der
hochgeliebte Mann;
Göttlich nach der Gondhorven Die Gondhorven ſind die guten und ſeeligen Luftgeiſter,
Genien der Muſik. Art ſiedeln
die nun allda mit Luſt.
72. Als die drei auf dem Chittrokud ſeelig vereinet,
glänzt der ſo
Wie erſtiegen der Berg Meru vom Voiſrivon
und Shonkor Beinahme des Sivo. Die Erſteigung des Berges Meru
iſt eine ſeiner berühmteſten Thaten. einſt.
Da nun Ramo auf dem Berg war, Schmerzge-
quält um den Sohn der Fürſt
Ging er auf, König Doſhoroth, zum Himmel,
klagend noch den Sohn.
76. Nach deſſen Hingang Bhoroto, durch der Prieſter
Voſiſhto’s Einer der großen Riſhi’s, nach dieſer Sage Haupt der
Prieſter im Königreiche Oyodhya. Wahl
Berufen gleich zum Königthum, will nicht König
ſein, groß geſinnt.
Zu dem Wald ging er der Held fort, Ramo’s
Fuß zu verehren wohl,
Eilend ging er zum Ramo hin, zeigend wie er
beſcheidnen Sinns.
80. Als Bhoroto, der großmüthge, auch der Stadt
ſchnell enteilt nun war
Zum Bruder Ramo ſo bittend, offenbart er ſein
hohes Herz:
„Ergreif das Reich, du Gerechter!“ — Dieß das
Wort, ſo er Ramo ſagt.
Anflehend ihn, als ers bedacht, will er das Reich
nicht, großgeſinnt,
84. Zu deß Füßen Verzicht leiſtend D. h. ihm verehrend zu Füßen fiel, wie v. 78. Es kann
aber in dieſen Verſen vielleicht auch eine Anſpielung auf
den ſonderbaren Umſtand der Geſchichte enthalten ſein,
der bei Roger vorkommt, S. 261. der deutſchen Ausg.;
daß nämlich, da Ramo den Thron nicht annehmen wollte,
Bhoroto ſeine Schuhe von ihm begehrt habe, damit er
denen dienen möge, bis Ramo wieder käme. Dem gemäß wieder und
wieder auf das Reich,
So ließ den Bhoroto alsdann heimkehren er,
der älter war.
Der, als er nicht den Wunſch erreicht, des
Ramo Fuß D. h. ihm verehrend zu Füßen fiel, wie v. 78. Es kann
aber in dieſen Verſen vielleicht auch eine Anſpielung auf
den ſonderbaren Umſtand der Geſchichte enthalten ſein,
der bei Roger vorkommt, S. 261. der deutſchen Ausg.;
daß nämlich, da Ramo den Thron nicht annehmen wollte,
Bhoroto ſeine Schuhe von ihm begehrt habe, damit er
denen dienen möge, bis Ramo wieder käme. Dem gemäß ergriffen hat,
Zu Nondigramo dann Hof hielt, Ramo’s
Rückkunft noch wünſchend ſtets.
88. Als gegangen nun Bhoroto war und der ſeelig,
der Sinne Herr,
Ramo nochmals geſehn wieder von der Stadt
und dem Volke war,
Hat nach der Rückkunft alsbald er gen Don-
doka ſich hingewandt,
Zum Wald dringend dem mächtgen, Ramo der
lotosäugichte,
92. Erſchlug den Rieſen Viradho, kam Soro-
bhongo’n dort zu ſehn,
Den Sutīkſchno und Ogoſtyo, Ein Brahmin der Vorzeit, der als Heiliger verehrt wird. Ogoſtyo’s
Bruder auch ſodann.
Nun des Ogoſtyo Wort folgt’ er, ergriff des
Indro’s Indro, als König der guten Geiſter, iſt in dieſer ſo wie
in allen Menſchwerdungen des Viſhnu deſſen treuer
Bundsgenoſſe und Freund. Auch die Riſhis ſtehen auf
ſeiner Seite. Pfeilgeſchoß,
wäre denn das paduke (cas. 7.) im Verſe 84. und 86.
zu erklären. Paduka wird in meinem Exemplar des
Omorocoſha im Bhukando, crepida ex corio erklärt. Da
ich der ganzen Stelle in Rückſicht der Lesart nicht völlig
ſicher war, ſo habe ich es in der Ueberſetzung unbeſtimmt
gelaſſen.
Schwerdt auch der herrlich beliebte, die Bruſt und
Herz durchbohrenden.
96. In dem Wald nun, wo Ramo war, vereint
mit Waldbewohnenden,
Kamen all zu ihm die Heiligen, Indro, als König der guten Geiſter, iſt in dieſer ſo wie
in allen Menſchwerdungen des Viſhnu deſſen treuer
Bundsgenoſſe und Freund. Auch die Riſhis ſtehen auf
ſeiner Seite. auf Tod ſin-
nend der Rieſenbrut,
Als die herrlichen Altväter Dondoka’s Wald
bewohneten.
Ihrem Bruder allda vereint, wohnte in Jono-
ſthano auch
100. Misgeſtaltet Shmūryonoka, Rieſin in Liebes-
wuth entbrannt.
Als auf Shmūryonoka’s Rathſchlag all her-
ankam das Rieſenvolk,
Hat den Khoro und Dūſhono, den drei-
köpfichten Rieſen da,
Wohl bezwungen im Kampf Ramo, er allein
all das Rieſenvolk;
104. Nächſt jenen all ihr Kriegsherr auch, vierzehn-
tauſend wohl an der Zahl.
Als der Rieſe die Schlacht vernahm, deß Lob drei
Welten ſchon gehört,
Hohen Ruhms, Ravono hieß er, ſchöngeſtaltet
und mächtger Kraft,
Rieſenkönig und ſtarker Held; Ravono, hohen
Zorns entbrannt,
108. Berufte ſich zum Kampfhelfer er den Rieſen
Marīcho dann.
Oft gewarnt ward noch Ravono vom Marīcho,
der zu ihm ſprach:
„O nicht Zorn wider den mächtgen, Geduld,
Ravono, hege du!“ —
Vernommen hat wohl die Nede Ravono, aber
todbeſtimmt
112. So ging er mit Marīcho nun nach des Ramo
Behauſung hin.
Als die Trugliſt Die Liſt war folgende. Er verwandelte einen der Seini-
gen in einen ſchönen goldnen Hirſch, und machte daß Sita
ihn erblicken mußte. Sie ward lüſtern danach und bat
den Ramo, daß er ihn fangen möchte. Die Brüder
jagten ihm nach, aber der Hirſch entfloh. Während ſie
entfernt waren, trat Ravono in der Geſtalt eines büßen-
den Sonnyoſi zur Sita und begehrte Almoſen von ihr,
wo er ſie dann mit Gewalt ergriff und nach Lonka führte. von dem weit erſt des Königs
Söhne hat entfernt,
Ravono da hineindringend, ergriff die Götter-
kindern gleicht,
Ramo’s geliebtes Weib Sita, tödtend den
Geier Joyoyuſh.
116. Als den Geier getödtet ſah, das wohl treffliche
Weib geraubt,
Roghu’s Sohn, von dem Schmerz betäubt weinen
begann er, Sinns beraubt;
Hat verbrannt dann zu Kakutſtho den Geier
Joyoyuſho drauf,
Kobondho’n Unſtreitig einer ſeiner Feinde, den er im Unmuth mit
in die Flamme des Scheiterhaufens warf, der aus dürrem
Kraut und Graß errichtet war. dann erblickt furchtbar, Do-
nu’s Sohn, den gewaltigen.
120. Den im Grimm dieſes Zorns wüthend, den
Kobondho den ſchrecklichen
Erſchlug er, verbrannt ihn im Graß, Unſtreitig einer ſeiner Feinde, den er im Unmuth mit
in die Flamme des Scheiterhaufens warf, der aus dürrem
Kraut und Graß errichtet war. da ward
ein Wunderweſen draus,
Und ſprach alſo den Ramo an: „Zur Sho-
vorī, Welchen Theil dieſe an der Geſchichte habe, iſt aus dem
Zuſammenhange nicht klar und mir auch ſonſt nicht bekannt. die tugendſam;
„Zur Shovorī, der heiligen, dahin geh, du
von Roghu’s Stamm!“ —
124. Deß Worten iſt gefolgt Ramo; ſchuldlos mit
Lokſhmoño zugleich
Ging er hin, der ſo hoch ſtrahlte, zur Shovorī,
der Siegerheld.
Und geehrt hoch von Shovorī, Ramo,
Doſhoroths eigner Sohn,
Kam zuſammen am Rand Gonga’s er mit dem
Waldmann Honuman,
128. Kam des Honuman Rath folgend mit Su-
grīvo zuſammen auch.
Dem Sugrīvo hat dieß alles Ramo’s Affe
ſodann erzählt,
Wie von Anfang es war geſchehn, auch Sita’s
hohe Tugenden.
Sugrīvo, da er dieß alles gehört, Ramo’s
Geſchick und Art,
132. Da macht er Freundſchaft mit Ramo, hat beim
Feuer gelobt den Bund. Ein heiliger Gebrauch, das Bündniß deſto mehr zu bekräf-
tigen.
Darauf vom König der Affen ward im Geſpräch,
vom ſchrecklichen,
Kund ganz all das gethan Ramo’n, mit Demuth
und mit Trauer auch.
Abrede mit dem Raghiden ſchloß er ſodann
zu Vali’s Tod.
136. Der Affe drauf verkündete Vali’s Kraft, des
gewaltigen;
Für den Ramo um Vali’s Kraft war Sugrīvo
von Furcht erfüllt.
Liebevoll für den Raghiden hat ihm Sugrīvo
da gezeigt
Dundubhi’s mächtigen Körper, der groß wie
ein Gebirge war. Das folgende geſchieht vom Sugrivo wohl, um den Ramo
140. Fußſtoßend Dundubhi’s Körper warf er wohl
hundert Meilen weit,
Höhlt mit dem Pfeil der See’n ſieben dann zu
Onotoporvon aus.
Der Berg Roſatolon wurde der Freundſchaft
Stätt’ und Heimath da.
Und nun faßte zu deß Freundſchaft ein Vertrauen
der Affenfürſt,
144. Sugrīvo, der herrliche Waldmenſch, reicht an
der höchſten Freude Ziel.
Als mit dem Affenkönig nun Bündniß gemacht
der ſtarke Held,
Da entſtand Lieb’ und Neigung auch eines zum
andern dieſen zween.
Als den Bundseid ſodann vollbracht der Mannes-
und der Affenfürſt,
148. Ging mit dem Ramo er zugleich nach Kiſh-
kindha der Heimath hin.
Alsbald rief Hori, Beinahme des Viſchnu, der um Beiſtand gegen den über-
mächtigen Rieſen herbeigerufen wird. den großen, Sugrīvo’s
Donnerſtimme an,
Auf den Ruf, der ſo mächtig ſcholl, kam denn
Hori, der König, gleich.
zu prüfen, ob er auch ſtark genug ſei, den Vali zu be-
ſiegen.
Wohl nachfolgend darauf dem Ruf, In dieſem Vers war die Lesart ganz verworren; ich habe
unbeſtimmt und nach dem Zuſammenhange überſetzt. kam er zu
dem Sugrīvo hin.
152. Und es tödtete Ramo jetzt Vali’n mit einem
einzgen Pfeil.
Als auf Sugrīvo’s Geheiß nun Vali erſchlagen
war im Kampf,
Da gab dieß Königreich Ramo, übertrug es
Sugrīvo’n ganz;
Der dann die Affen all ſammelnd, er der Herr-
ſcher der Affen war,
156. Hat feſtgeſtellt des Reichs Ordnung, Jonoko’s
Kind Sita. zu ſehn gewillt.
Des Geiers Rath befolgend nun, ging Honu-
man der Aff’ hervor,
Hundert Meilen wohl weit ſchwimmend, fuhr er
kühn durch der Fiſche Reich.
Darauf ankommend zu Lonka, der vom Ravon
erbauten Stadt,
160. Erblickt er Sita trauervoll wandeln dort in
Oſhōko’s Hain,
Machte kund ihr die Botſchaft gleich, machte kund
ihr die Rückkehr auch,
Empfing die Gegenbotſchaft dann, tödtend des
Südens Rieſenvolk.
Fünf der Heersführer erſchlug er, Triſuta’n
dann zum ſiebenten, Vielleicht wird Okſho als der ſechste gezählt, da Grohono
nicht von ihm getödtet wird, ſondern ſich ſelbſt umbringt.
164. Den jungen Okſhon zerſtückend, dann auf
Grohono ſtürzt’ er hin,
Der mit dem Schwerdt ſich ſelbſt frei macht, als
er des Ahnen Mörder ſah.
Zürnend dem Rieſenvolk der Held, hat ers voll-
bracht nach ſeinem Wunſch.
Nun anzündend die Stadt Lonka, wieder auch
ſah er Moithila, Auch dieſer Nahme iſt mir unbekannt.
168. Hat er da ſeines Leibs gepflegt, kehrte heim dann
der Affen Fürſt.
Der nun kommend zum großmüthgen, hat den
Ramo zuerſt begrüßt,
Verkündete gleich ihm ſodann: „Gefunden hab’
ich Sita nun!“ —
Sugrīvo’n nahm er mit ſich drauf und ging hin
zu des Meeres Strand,
172. Das Weltmeer höhlt’ er alsbald aus durch ſon-
nengleicher Pfeile Kraft.
Durch die That zeigend, daß ſelber das Weltmeer
Ramo’n dienend ſei
Somudro’s Das perſonificirte Weltmeer, der Gott Oceanus. Rath ſodann folgend, hat er
dort Nolo’s Brück’ erbaut,
Ging dann auf der zur Stadt Lonka, erſchlug
den Rieſenkönig dort.
176. Ramo, als Sita gefunden, ward der höchſten
Beſchämung voll.
Der nun ſagte darauf Ramo vor den Menſchen
da Schmähungen;
Darob dann unwillig Sita beſtieg die Flamme
treugeſinnt. Sie reinigt ſich von dem Verdacht der Untreue durch die
Feuerprobe.
Als durch des Feuers Zeugniß nun kund ward,
daß Sita ſchuldlos war,
180. War erfreut ob der großen That das Weltall,
was da geht und ſteht,
Zuſamt allen den Altvätern, Ramo des hochge-
ſinnten That.
Der nun ſetzt denn zu Lonka ein jenen Rieſen
Vibhīſhono. Ein Bruder des Ravono, der aber dieſen gewarnt und
ermahnt hatte, dem Ramo, der ein Gott ſei, die entführte
Gemahlm wiederzugeben, und der, als Ravono ſeiner
Warnung kein Gehör gab, auf die Seite des Ramo über-
trat.
17
Als dieß vollbracht, ſodann Ramo, frei von
Schmerzen erfreut er ſich,
184. Durch die Götter Wunſches gewährt, fort nun
ſandt’ er die Affen all.
Solcher That freuten die Götter ſich, all die kamen
zu Indro’s Burg,
Auch die heiligen Altväter, die verehrt der
Raghide nun,
Ward von den hochzufriedenen, all den Gotthei-
ten, hochgeehrt.
188. Da dieß vollbracht, ſodann Ramo naht der
Wonn’ und der Freude ſich,
Durch die Götter gewährt Wunſches, da er
Sita gefunden hat,
Schwang auf den Blumenwagen Puſhpokon, nach dem Omorocoſha ein wunderbarer
Götterwagen des Kuvero; currus ex floribus. ſich, nach
Nondigramo kam er dann.
Nondigramo, da wohnte nun mit den Brüdern
des Roghu Sohn,
192. Ramo, der Sita gefunden, auch erlangt hat
das Königthum,
Opfert nach mannichfaltigem Brauch, erſchlug
den Lōkokondoko,
Freuend der ſchönen Sita ſich, Sitoya romoya — — reme; eine von den vielen Stel-
len, wo die Verwandtſchaft der gebrauchten Worte mit ſeelig mit der
Freundin vereint.
Vatergleich ſorgend führt er nun jener glücklichen
Völker Schaar
196. Oyōdhya’s ſeeliger Herrſcher, König Doſho-
roths eigner Sohn.
Freudig iſt nun die Welt, ſeelig, zufrieden, ſtark,
dem Rechte treu,
In Luſt und frei von Schmerz ruhend, ſo von
Haß als von Sehnſucht fern.
Des Sohnes Sterben ſieht keiner dieſer glückli-
chen Menſchen je,
200. Die Frauen, ſo im Wittwenſtand, ſind den Gemahl
zu ehren froh.
Kein Lufterzeugtes Schreckniß giebts, keine Fluth
tilgt die Lebenden,
Kein Feurerzeugtes Schreckniß giebts, wie in der
goldnen Zeit ſo hier.
Wittwen nicht giebts in ſeinem Reich, nichts
herrenloſes, Thoren nicht,
204. Unglücklich, elend iſt keiner, noch durch Krankheit
ein Menſch gequält.
Roſſe hundertmal opfert er, des Goldes Fülle
noch dabei,
Und Kühe hundert Tauſende, unzählge wird er
geben noch.
dem Namen des Helden Ramo, der von derſelben Wurzel
ſtammt, einen neuen Reiz giebt.
Viel Jahre wird ſein Königreich Ramo ferner
verwalten noch,
208. Die vier Stände der Erdwelt hier nach Recht
feſt gründen jeglichen.
Wenn nach zehntauſend Jahren einſt, dazu zehn-
hundert Jahre noch
Ramo ſein Reich verlaſſen hat, wird er aufgehn
zu Viſhnu’s Welt.
Der iſt der tugendvollkommne, Geſetzgeber, be-
glückt im Sieg,
212. Nach dem Du fragteſt, Valmīki! Ramo iſt
der vollkommne Mann.
Als Narodo’n gehört hatte Valmīki, alſo
ſprach er da:
Die Tugend Heilger! machſt du klar, die der
Sterbliche ſchwer ergreift.
Der mit der Tugend all begabt, Ramo zu dem
hinſchreit’ ich gleich. In der erſten Hälfte des Verſes 215. iſt mir die Lesart
dunkel. Der Sinn und Zuſammenhang des Ganzen iſt
jedoch klar. Der 216te Vers gehört unſtreitig noch zu dem,
was Valmiki ſagt. Der fernere Schluß iſt wieder ein
Spruch zum Lobe des Gedichtes ſelbſt.
216. Ob der unſterblichen Kunde, die des Ruhms
Heldenkraft vermehrt.
Wer dieſe Thaten Ramo’s lieſ’t, der wird all
ſeiner Sünden frei;
Mit Sohn, Enkel, den Seinen all, wird der
Mann frei von Unglück ſein.
Wer den Ramayon auch hörend nur bis zu Ende
ganz vernahm,
220. Wer da lieſ’t bis zur Mitte nur mit Andacht
glaubensvoll dieß Buch.
Es fruchtet dem Wiedergebohrnen Dvijo, der zwiefach — einmal natürlich, das andremal
geiſtig — gebohrne; gewöhnliche Bezeichnung des Brahmi-
nen. Nach der Verſchiedenheit der vier Stände iſt auch
der Lohn verſchieden, der dem Leſer des Ramayon ver-
heißen wird. Weisheit, den
Edlen mit herrlicher Herrſchaft lohnend;
Dem Kaufmann ſoll reinſten Gewinn es bringen, und
hörts ein Knecht gar, wird auch der veredelt.
Brohma’s Beſuch.
Der Inhalt dieſes Stücks iſt folgender.
Valmīki bereitet ſich durch fromme Reinigungen
in der Einſamkeit des Waldes zu ſeinem großen
Werke vor. Er ſieht zwei Liebende; der Geliebte
wird von einem wilden Krieger erſchlagen. Die
Trauer der Zurückgelaſſenen erregt Valmīki’s
Mitgefühl, und da er in Nachdenken darüber
verſinkt, iſt der Ausbruch ſeiner Klage ein metri-
ſcher Spruch. Mit Erſtaunen wird er es gewahr
und theilt ſeinem geliebten Schüler die gemachte
Entdeckung mit. Brohma erſcheint ihm, freut
ſich über einen neuen Beweis, den Valmīki von
der ſo eben entdeckten Verskunſt ablegt, und fodert
ihn abermals auf, das große Werk des Ramayon
zu beginnen. Zum Schluß preiſen die Lehrlinge
noch die Erfindung des indiſchen Versmaaßes oder
der Shlōken.
Der Tod des Krauncho wird nur ganz im
Vorbeigehn berührt, und ich habe auch weiter
nichts darüber gefunden. Merkwürdig iſt es, daß
in dieſem Mythus vom Urſprunge der Dichtkunſt
alle Wunder der rieſenhaften Vorwelt als ſchon
vorhanden und geſchichtlich gegeben betrachtet,
Metrum und Poeſie aber aus der ſanften Stim-
mung des Mitgefühls hergeleitet werden.
Als von Narodo die Rede gehört hatte, der
herrlich ſprach,
Valmīki ſamt dem Lehrling auch, hohes Stau-
nen ergriff ſie da.
In Gedanken nun bringt Ramo’n Ehre der
hohe Seher dar.
4. Sodann zuſamt dem Schüler auch gleicher Weiſe
der Seher Fürſt
Ehre darbracht’ er frommdenkend Altvater Na-
rodo’n darauf.
Als von ihm war verehrt worden Altvater Na-
rodo darauf,
Deß Fragen gegenbelehrend, ging er auf zu der
Himmelsburg
8. Jener, gleich als gegangen Narodo war zur
Götterwelt,
Nach Tomoſa’s Geſtad ging er, Valmīki
aller Seher Haupt.
Als das Geſtad’ erreicht hatte der große Seher
Tomoſa’s,
Sprach zum Schüler er neben ſich, den Ort ſehend
von Flecken rein.
12. Frei von Flecken hier dieß Aſyl, deß Stifter
Bharodvajo war,
Ganz rein iſts, wohl gelegen auch, wie der Recht-
ſchaffnen Urtheil iſt;
Dieß Heiligthum, das Gleichmuth wirkt, iſt auch
heilſamer Waſſer reich.
Hier will vollziehn das heilge Bad ich in Tomo-
ſa’s Fluthen nun.
16. Bring das Gewand von Baumrinde Die gewöhnliche Tracht der Einſtedler. ſchnell
hieher aus der Hütte mir.
Daß nicht lang dauernd die Zeit ſei, darauf denke,
mein edler Freund!
An Tomoſa’s geweihtem Ort hier will vollziehn
ich das heilge Bad.
Dieſes mein Wort vernehmend wollſt du hingehn
in ſchneller Eil!
20. Nach des Meiſters Geheiß eilends kam zurück aus
der Hütte der,
Hertragend ihm das Baumgewand, ſeinem Mei-
ſter da zeigte ers.
Als nun in der Hand darbrachte, hin der Schüler
ihm reicht das Kleid,
Er in der Fluth das Bad vollbracht, den Betkranz
abgebetet fromm,
24. Nach dem Gebrauch verſöhnt auch hat ſprengend
der heilgen Ahnen Geiſt,
Da durchwandelt umherſchauend er nun Tomo-
ſa’s ganzen Wald.
Als am Geſtade Tomoſa’s ſolcher nun ſorglos
wandelte,
Erblickt er dort der Kraunchiden liebend Paar,
froh und hold zu ſehn.
28. Von dieſem Paare nun Einen, weil der andre es
kommend ſah,
Erſchlug unerbittlich mordend Niſhado Niſhado wird in meinem Exemplar des Omorocoſha im
Bhukando erklärt als ein Menſch von der verwildertſten
und verachtetſten Gattung, die ſich von Fleiſch nähren u.
ſ. w. homo ferox, carnis vorax; heißt alſo vielleicht nur
ein Wilder überhaupt, iſt kein Nahme, oder wenigſtens
ein durchaus bedeutender, wie ſo viele indiſche. vor
dem Seher dort.
Als wundenvoll im Blut wälzen den Geliebten
am Boden ſah
Kraunchī, klagt, jammert voll Schreck ſie und
gebehrdet ſich kläglich wohl.
32. Als nun den da erſchlagen ſah von Niſhad’ in
Ondojon’s Hain
Samt dem Lehrling der Einſiedler, da ergriff ein
Erbarmen ihn.
Sodann darſtellend ſein Mitleid, begann er ſo
und ſprach dieß Wort:
„O weh, daß von dem grauſamen Niſhado, der
ſo arm an Geiſt,
36. Dieſe unrühmliche That hier, der Welt Abſcheu,
geſchehn mußte!“
Mit Seufzen klagend die Kraunchī, die dort
weinende, ſang er dieß:
„Wohl nicht lang lebſt du, Niſhado! noch er-
reichſt hohe Jahre du,
Weil aus dem Krauncho Paar Einen von Liebe
trunken du erſchlugſt.“
40. Als er geſagt hatte dieß Wort, ward tief denkend
danach er gleich.
„In dem Schmerz dieſes Leidgefühls, was war
dieß was mir da entfuhr?“ —
Ein Weilchen nun daran denkend, laut dann
ſagend den Klageſpruch,
Spricht zum Schüler, der bei ihm ſtand, Bha-
rodvajo’n er dieſes Wort:
44. „Weil gegliedert in vier Füßen, den Spruch
vollzählger Sylbenzahl,
Ich im Leid klagend jetzt ausſprach, drum wird
Lied Das Wortſpiel zwiſchen Shoko und Shloko habe ich
durch das deutſche Leid und Lied auszudrücken geſucht. dieß von nun an ſein.
Als dieſes Wort der Lehrling hört, des Einſiedlers
vollkommnen Spruch,
Da ſtimmt er bei, es annehmend und zeigt wie
er den Meiſter liebt.
48. Zuſammen dann im Geſpräch redend, er und auch
der ſein Lehrling war,
Dem Fall nachdenkend, heim kehrten zu der ein-
ſamen Hütte ſie.
Dem noch folgte demüthgen Sinns, Bharod-
vajo dem Seherhaupt,
Den angefüllten Krug tragend, ſchritt er hinter
dem Seherfürſt.
52. Da nun ankam in der Hütte mit dem Lehrling
der weiſe Mann,
Stieg auf den Seſſel er, ſank dann tief in Nach-
denken trauervoll.
Aber ankam zu der Hütt’ itzt Brohma, Ahnherr
der Welt und Haupt,
Selbſt lebend durch ſich ſelbſt, ſeelig, zu ſchaun
den hohen Heiligen.
56. Valmīki als er den erblickt, ſchnell erhebt er
ſich ehrfurchtsvoll,
Anzubeten ſich hinſtellend, ſtand er da hohen
Staunens voll;
Drauf mit dem Sitz ihn bedienend, mit Fußwa-
ſchung und Sandelholz,
Dem Brauch gemäß ihn anbetend, begrüßt er
ihn mit ewgem Heil.
60. Als aufgeſtiegen nun der Gott war auf herrlichen
Ehrenſtuhl,
Valmīki’n da hieß er alsbald, ſich ſelbſt auch
nehmen einen Sitz;
Der beſtieg darauf ſolchen, der Welt Ahnherrn
im Angeſicht.
Als dieß ſo ging, da ward im Geiſt Valmīki’s
Denken hingewandt
64. Auf Kraunchī, die ſo ſchmerzvoll klagt, und er
ſang dieſen Liedes Spruch
Wieder, mitleiderfüllt im Geiſt, der wohl Hülle
des Leides war:
„Unthat that er, der ſchlimm geſinnt, grimmvoll,
ganz ohne weiſen Geiſt,
Daß den lieblich ſchönen Krauncho er erſchlug
durch der Hölle Trieb!“ —
68. Ihm nun ſagte darauf Brohma, lächelt den
hohen Seher an:
„Was war dieß was du, hochheilger! da ſprachſt
klagend um Krauncho’s Tod?
Einen Spruch haſt zum Lied ordnend in dem Klag-
worte du geſagt;
Seher! durch des Geſangs Göttin entſprang dieß,
durch Soroſvotī.
72. Ramo’s Leben und Thaten all mache du, hoher
Heiliger!
Der rechtgeſinnt und tugendvoll, Ramo vor allen
tief von Geiſt,
Ramo’s Kunde der Ordnung nach, wie ſie dir
ſagte Narodo;
Was verborgen, was offen auch vom Schickſal
dieſes hohen Geiſts,
76. Ramo’s ſelbſt, der Gefährten dann, die Thaten
all des Rieſenvolks,
Von Voidehya die Kunde dann, enthülle in
des Tages Glanz!
Dieß ſoll nun wohl bedacht alles, klar erkannt
werden deinem Geiſt;
Der Frau Kunde, des Reichs Schickſal, ſamt
König Doſhoroth zumal,
80. Was gethan, was geſagt worden, was Zweck
war, was erfolgte drauf.
Noch ſoll irgend da Fehlrede im Gedicht dir zu
finden ſein.
Ramo’s göttlich Gedicht bilde, wo des Lieds
Maaß das Herz erfreut!
So lang ſtehn wird der Berge Haupt und auf
Erden der Flüſſe Lauf,
84. So lang wird der Ramayon auch weit hin-
wandeln die Welten durch.
So lang als des Ramayons Lied wird hin-
wandeln die Welten durch,
So lang ſollen dir, hoch und tief, Sitz geben
meine Welten all.“
Als dieß Brohma der Gott geſagt, da entzog
er ſich ihm und ſchwand;
38. Valmīki nun mit dem Lehrling wurde hohen
Erſtaunens voll.
Deſſen Lehrlinge denn allſamt, den Spruch ſan-
gen, der alſo heißt,
Mit lauter Stimme voll Freude riefen ſie, oft
erſtaunend, aus:
„Im Spruch, der gleichen Maaßes vier Füße faßt,
den der hohe Geiſt
92. Sagte bebend dem Mordſchreckniß, ward aus Leid
Lied, entſprang das Maaß.“ —
Deſſen Kunſt nun entſtand damals durch Valmīki,
den Denkenden:
„Ganz will von Ramo das Lied ich bilden in
ſolcher Geſanges-Art.“ —
Recht, Lieb’ und Gutes einend Lied, das ſo reich
wechſelt, viel umfaßt
96. Dem Perlentragenden Meer gleich, den Saft
haltend der Schriftenwelt. Alle Blüthe der heiligen Schriften in ſich vereinigend.
In Füßen kunſtreicher Bedeutung, wonnevoll, das
Lobgedicht bildete drauf von Ramo der,
Die Füße des Spruchs wägend im Maaß vom Ruhmes
Held ein Ruhmes Lied, dichtend der
Seher Geiſtes voll. Dieſes ſind die beihen erſten Sorgos des Adikando oder
erſten Buchs, deren der Ramayon ſieben enthält. Die
folgenden ſechs ſind: der Oyodhyakando, von dem
Königreich dieſes Nahmens; der Aronyokando von
Aronyo der Wald, alſo vermuthlich die Begebenheiten
während der Verbannung in der Wildniß; der Kiſh-
kindhokando, von dem Ort, wo er mit den Affen zu-
ſammenkommt; der Sundorokando, von der Schönheit
ſo benahmt, vielleicht wegen Sita; der Yuddhokando,
von yuddho Krieg; und endlich der Uttorokando, oder
das letzte Buch.
II.
Indiſche Kosmogonie
aus dem erſten Buche der Geſetze des
Monu.
In dem wunderbaren Buche der Geſetze des
Monu, dem aͤlteſten indiſchen, das wir bis jetzt
vollſtaͤndig kennen, koͤnnte man den Styl und
Ton mehrer Werke des Alterthums vereinigt fin-
den. Ueberall, wo der Inhalt auf die Sitten
geht, wird man an die ſinnreiche Einfalt und alter-
thuͤmliche Seltſamkeit des Heſiodus erinnert; die
kosmogoniſchen und philoſophiſchen Stellen haben
einen Schwung, aͤhnlich dem des Lucretius, oder
dem ſeines Vorbildes, des Empedokles; und oft
findet ſich hier eine Erhabenheit von noch ernſterm
und ſtrengerm Charakter, der den Jones zur
Vergleichung mit der moſaiſchen Urkunde veran-
laßt. Auch in der Sprache iſt die Alterthuͤmlich-
keit und der Unterſchied von der des Mohabharot
ſehr merklich.
Wir erinnern zuvor, daß in Jones Ueber-
ſetzung alles, was mit andern Lettern gedruckt
iſt, Scholien ſind, die es wohl beſſer geweſen
waͤre, nicht in den Text ſelbſt aufzunehmen. Aber
auch auſſerdem iſt Jones Ueberſetzung zuweilen
erklaͤrend und ſchaͤrfer beſtimmt als die Urſchrift.
Denn ſo metaphyſiſch die Sprache derſelben ſchon
durchgehends iſt, ſo iſt doch oft eine kuͤhne Bild-
lichkeit unter die abſtrakteſten Begriffe gemiſcht,
und wenn in einigen Stellen die Entwicklung
ganz deutlich und klar iſt, ſo herrſcht doch in an-
dern wieder eine faſt raͤthſelhafte Kuͤrze und Abge-
riſſenheit. Ich habe mich bemuͤht, alles grade ſo
unbeſtimmt ja ſo geheimnißvoll zu laſſen, als es
in der Urſchrift war, um dem Leſer den Eindruck
derſelben ſo rein als moͤglich wiederzugeben.
Es ſind nur diejenigen Stellen aus dem erſten
Buche hier ausgehoben, welche die Kosmogonie
betreffen. Der Gang der Gedanken iſt folgender.
Im Anfang war alles Finſterniß; der Unbegreif-
18
liche, Selbſtſtaͤndige erſchuf alles, es aus ſeinem eignen
Weſen hervorziehend. Nun folgt das bekannte
Bild vom Welt-Ei, das auch der aͤgyptiſchen My-
thologie bekannt war. Dann folgt eine Dreiheit
ganz geiſtiger Grundkraͤfte; aus dem unbegreifli-
chen Grund des ſelbſtſtaͤndigen Weſens ging zu-
naͤchſt der Geiſt hervor, aus dieſem die Ichheit;
Atmo, Mono, Ohonkaro. Alsdann folgen
ſieben Naturkraͤfte; die große Weltſeele, die fuͤnf
Sinnlichkeiten oder Elemente und die Ausfluͤſſe
— Matra — des urſpruͤnglichen Selbſt, des
Atmo. Zuletzt kommt die ganze Mannichfaltigkeit
einzelner Weſen und entgegengeſetzter Naturen,
alle einem unabwendbaren Schickſale nach uner-
forſchlicher Vorherbeſtimmung unterworfen.
Monu ſpricht.
Einſt war dieß alles Finſterniß, unerkannt, unbezeichnet
auch,
Unenthüllt noch, unerkennbar, als wie noch ganz in
Schlaf verſenkt.
Der ſeelig Selbſtändige drauf, der unenthüllt ent-
hüllende,
Der Weſen Anfang, ſo ſtets wächſt, wars der wirkſam
die Nacht zerſtreut;
Der nie durch Sinne zu greifen, unſichtbar, unbe-
greiflich ſtets,
Ein Allweſen ſo undenkbar, der Er ſelber in Wahrheit
iſt.
Der nachdenkend aus eignem Leib ſchaffen wollend
der Weſen viel,
Waſſer erſchuf er da zuerſt, des Lichtes Saame
ward erzeugt; Das Verhältniß des Waſſers, des Lichtſaamens und des
Ei’s iſt nicht beſtimmt angegeben. Man denke es ſich
etwa ſo: das Waſſer ward zuerſt hervorgebracht, in dieſem
erzeugte oder regte ſich Lichtſaamen, der dann zu jenem
glänzenden Ei zuſammenſchoß und ſich geſtaltete. Das Ei
muß wohl als im Waſſer ſchwimmend gedacht werden.
Ein Ei war es wie Gold glänzend, leuchtend dem
Tauſendſtrahler Ein Beinahme der Sonne. gleich.
In dem lebte durch eigne Kraft Brohma, Ahnherr
des Weltenalls.
In dem Ei ſaß nun ein Jahr lang nichts thuend jener
Göttliche,
Selber dann durch des Geiſts Sinnen hat er das Ei
entzwei getheilt.
Aus den getheilten Stücken dann bildete Erd’ und
Himmel er,
Mitten Luft und die acht Länder, der Waſſer Haus,
das ewige.
Drauf hervor zog aus dem Selbſt er den Geiſt,
der iſt und nicht iſt auch; monohſodoſodatmokon. Jones überſetzt erklärend:
mind existing substantially, though unperceived by sense.
Da aber im Bhogovotgita jener ſelbe Ausdruck auch in
dem Sinne vorkommt, daß das Höchſte (wie nach der Neu-
Platoniſchen Anſicht) ein über Sein und Nicht-Sein gleich
erhabenes Weſen ſei; ſo habe ich es in der ganz wörtlichen
Ueberſetzung unentſchieden laſſen wollen, ob dieſer oder
jener Sinn hier Statt finde.
Aus dem Geiſt dann der Ichheit Kraft, Ohonkaro, die Ichheit hat in den indiſchen Schriften mei-
ſtens eine üble Nebenbedeutung, als das der göttlichen
Einheit und Gleichheit Entgegenſtehende und Widerſtre-
bende. Hier iſt dieß aber noch nicht der Fall, wie man
aus den Prädikaten — „der ein Warner nnd König iſt“ —
erſieht. — Es iſt wohl überhaupt das Princip der Indivi-
dualität darunter zu verſtehen, und es iſt merkwürdig, daß
Monu (nah verwandt mit Mono) ſich ſelbſt nachher als
zweiten und untergeordneten Weltſchöpfer nennt, der die
ganze Mannichfaltigkeit der einzelnen Weſen hervorge-
bracht habe, nachdem Brohma zuvor die allgemeinen
Grundkräfte der Natur erſchaffen hatte. ſo ein
Warner und König iſt.
Die große Seele zuförderſt, dreifacher Art Alle Weſen, die nach den drei Gun’s der Welt der Wahr-
heit, des Scheins oder der Finſterniß angehöreu. die
Weſen all,
Die der Sinn faßt, die Eindrück’ all, die fünf Sinne Die fünf Sinnlichkeiten; fowohl die Gegenſtände un-
Naturkräfte, welche die Eindrücke der Sinne hervorbrind
gen und veranlaſſen, als dieſe Eindrücke ſelbſt.
allmählig auch.
So nun dieſer Gebild’ zarte, der ſechs Weſen gewaltger
Kraft,
Mit des Selbſts Ausfluß Atmomotroſu. Ob die Matra als Atome zu verſtehen
ſeien, iſt eine wichtige Frage, aber wenigſtens in Monu’s
Geſetzbuch nicht mit Gewißheit klar. S. die Abhandlung. durchdringend, bildet
er alle Dinge dann.
Nun regen drauf die Beweger, die mächtgen, ſich im
Wirken all,
Wird aus zartem Gebild des Geiſts allen Seins Grund,
der nie vergeht.
Von dieſen ſieben Kräften nun männlichen Wirkens
geht hervor,
Durch ſterblichen Gebilds Ausfluß, aus dem Ewgen
Vergängliches.
Stets hat an ſich des Erſten Art, ihm nachfolgend,
das andre ſtets;
So wie jeglichen Dings Stelle, alſo wird ſeine Art
gerühmt.
All der Dinge Benennungen, Thaten auch, ſondernd
jegliches,
Wie in des Vedo Wort allerſt ſie beſtimmt, ſondernd
bildet’ er.
Tugendübende Gottheiten ſchuf er, ſo der Lebendgen
Haupt;
Gerechter Geiſter reinen Stamm, auch das Opfer von
Ewigkeit.
Dann aus Luft, Feuer, Sonnenkraft, die Gottdreiheit,
die ewige
Milcht’ er, des Opfers Vollendung, Rig, Yoju und
Sam Die Nahmen der drei älteſten Veda’s. Der vierte wird
in alten Schriften nicht genannt und deshalb für ſpätern
Urſprungs gehalten. genannt.
Die Zeiten, der Zeit Theilung, Sterne und Irrgeſtirne
auch;
Samt dem Meer Ströme, Berghöhen und Ebenen
und der Thäler Schlucht.
Andacht, Sprache und Luſt ſchuf er, Liebe, des Zornes
Wuth demnächſt,
Zum Daſein dieſe Geſchlechter ſchaffen wollend und
dieſe Welt.
Um zu ſondern die Thaten dann, hat er Unrecht von
Recht getrennt;
Unterwarf all die Geſchlechter auch den Zweiheiten Den Gegenſätzen, den ſtreitenden Kräften und Eigenſchaften.
wie Freud’ und Leid.
Welcher Thätigkeit jeden nun hat der Schöpfer zuerſt
vereint,
Dieſer trachtet von ſelbſt er nach, immer wie oft er
erſchaffen wird.
Heil und Unheil, Härt’ und Milde, Recht oder Unrecht,
Wahr und Falſch,
Was jedem er beſtimmt ſchaffend, das wird jedem von
ſelbſt zu Theil.
Gleich ſo wie ſtets des Jahrs Zeiten, wandelnd im
feſtbeſtimmten Maaß,
Selbſt durchwandeln immer ihr Ziel, ſo auch die Thaten
irdſche Kraft.
Das folgende Stuͤck handelt von dem Ungluͤck
des Daſeins und von dem ewigen Kreislauf der
Dinge, dem ſteten Wechſel der bald neu erwa-
chenden bald wieder in Schlummer zuruͤckſinken-
den Grundkraft.
Monu redet.
Von vielgeſtaltigem Dunkel umkleidet, ihrer Thaten
Lohn, Alles Leiden, was nicht bloß dem Menſchen, ſondern jedem
fühlenden Weſen in dieſem Leben hier widerfährt, iſt nach
der indiſchen Lehre Strafe für die in einem vorigen Leben
begangenen Verbrechen.
Zieles bewußt Ontoh ſonjna bhovonty ete. Jones überſetzt: have
internal conscience. Die Zurückweiſung in dem folgenden
Verſe: erodontaſtu gotoyo, — „dieſem Ziel nun nach
wandeln ſie“ — mit Wiederhohlung deſſelben Wortes ſchien
mir dafür zu ſprechen, daß ontoh ſonjna heiße: ſich
ihrer Schranken, ihres Zieles bewußt, im Gefühl der
Endlichkeit, im Vorgefühl des Todes. ſind dieſe all, mit Freud’ und Leid-
gefühl begabt,
Dieſem Ziel nach nun wandeln ſie, aus Gott kommend
bis zur Pflanz’ herab,
In des Seins ſchrecklicher Welt hier, die ſtets hin zum
Verderben ſinkt.
Als dieß All nun und mich erzeugt, der ſich undenkbar
entwickelt ſtets,
Sank zurück in ſich ſelbſt wieder, Zeit mit Zeit nun
vertauſchend er.
Während der Gott nun wachend iſt, da regt ſtrebend
ſich hier die Welt,
Doch wenn ruhigen Sinns er ſchläft, ſodann ſchwin-
dend vergeht es all.
So lang ſeelig nun er ſchlummert, wankt der wirken-
den Irdſchen Schaar,
Irrend von der beſtimmten That, der Geiſt ſelber er-
mattet dann.
Wenn dann ganz ſie verſchlungen erſt im Grund jenes
Erhabnen ſind,
Weil der, ſo alles Seins Leben, wohl ſüß ſchlummert,
der Kraft beraubt.
Alsbald geht er zum Dunkel hin, weilt lang da ſamt
der Sinne Kraft,
Wohl nicht thuend, was ſeines Thuns, geht aus der
irdſchen Hüll’ heraus.
Doch wenn aus eignem Stoff worden, den Keim deß,
was da geht und ſteht,
Er neu geſchaffen durchdringet, alsdann nimmt irdſche
Hüll’ er an.
So mit Wachen und Schlaf wechſelnd, dieß All, was
ſich bewegt was nicht,
Bringt zum Leben er ſtets hervor, vertilgt es, ſelbſt
unwandelbar.
Die folgende Stelle fuͤgen wir noch hinzu,
weil die Folge der Elemente und ihr Charakter
deutlicher darin entwickelt iſt, als in der zuerſt
angefuͤhrten. Monu hat nun ſchon dem Bhrigu
die weitere Darſtellung ſeiner Lehre uͤbertragen.
Bhrigu ſpricht.
Nach des Tags und der Nacht Es iſt von großen Weltzeiten die Rede. Ende beſinnt wieder
ſich vom Schlaf,
So beſonnen erſchafft er drauf den Geiſt, der iſt und
nicht iſt auch. Siehe die Anmerk. 3.
Der Geiſt dann bildet die Schöpfung, wirkſam jetzt
durch des Schaffens Trieb;
Aus dem zeugt ſich dann Himmels Luft, die als Quell
wird des Schalls erkannt.
Aus der Luft Akaſhon. Einige Europäer überſetzen dieſes fünfte Ele-
ment der Indier wohl durch Raum. Da ihm aber hier
(wie im Bhogovotgita dem Khon) die ſinnliche Qualität
des Schalls zugeeigner wird, ſo iſt es, wie Jones über-
ſetzt, subtil aether. nun Geſtaltswandlung wird, der
rein alle Düfte trägt,
Dann erzeugt, mächtgen Windes Hauch, der Quell
aller Berührung iſt. Vayu, oder Windeskraft, der fühlbare Theil der Luft,
dem die ſinnliche Qualität des Gefühls zugeeignet wird.
Aus des Windes Geſtaltswandlung, geht hervor ſo
die Nacht zerſtreut
Strahlend im Glanze die Lichtkraft, ſo der Quell der
Geſtalten heißt.
Aus des Lichtes Geſtaltswandlung Waſſer, ſchmek-
kender Säfte Quell,
Erd’ aus Waſſer, des Geruchs Quell. So ſind er-
ſchaffen die zuerſt.
Zahlloſe Weltentwicklungen giebts, Schöpfungen, Zer-
ſtörungen;
Spielend gleichſam wirket er dieß, der höchſte Schöpfer
für und für.
III.
Aus dem Bhogovotgita.
Der Gegenſtand des zweiten großen Helden-
gedichts der Indier, des Mohabharot, iſt der
Buͤrgerkrieg zwiſchen den Fuͤrſten und Helden
des Stamms der Mondskinder. Da die Ver-
anlaſſung des Kriegs und die Geſchichte deſſel-
ben auf das Verſtaͤndniß der philoſophiſchen Epi-
ſode, von der wir hier einige der wichtigſten
Stuͤcke geben, weiter keinen Einfluß hat, ſo
uͤbergehen wir dieß. Nur um durch die vorkom-
menden Nahmen nicht verwirrt zu werden, be-
merken wir einiges uͤber die Genealogie.
Puru, der Sohn des Buddho und Enkel
des Chondro, oder des Mondes, war der erſte
Ahnherr des ganzen Stamms. Kuru, der Koͤ-
nig von Kurukſhetron, ſein Nachkomme, der
zweite. Von ihm ſtammen beide Partheien her,
zwiſchen denen der Krieg ſich auf Veranlaſſung
der Draupoti entſpann. Auf der einen Seite
Bhiſhmo, Dhritoraſhtro und all die ihrigen,
welche hier wahrſcheinlich als die aͤltere Linie
vorzugsweiſe die Kuru’s genannt werden. Auf
der andern Seite ſind die Soͤhne des Pan-
du die Hauptfuͤhrer; einer derſelben von der
Kunti, iſt Orjun, den Kriſhno, welcher der
Gott Viſhnu in ſeiner achten Menſchwerdung
iſt, beſchuͤtzt und begleitet.
Beide ruͤcken auf einem Streitwagen zuſam-
men in die Schlacht; die Heere ſtehen geruͤſtet
gegen einander; da Orjun all die Freunde und
Blutsverwandte zum Schlagen bereit ſieht, uͤber-
faͤllt ihn ein großes Mitleiden. Kriſhno troͤſtet
ihn durch die Lehre von der unwandelbaren ewi-
gen Einheit, und der Nichtigkeit aller andern
Erſcheinungen. So beginnt das philoſophiſche
Geſpraͤch, welches der Inhalt der beruͤhmten
Epiſode des Mohabharot iſt; der Bhogovot-
gita, d. h. das Lied vom Bhogovan, mit wel-
chem Beinahmen Kriſhno hier meiſtens genannt
wird.
Es iſt dieſes didaktiſche Gedicht ein beinah
vollſtaͤndiger kurzer Inbegriff des indiſchen Glau-
bens, und ſteht als ſolcher in hohem Anſehn.
Wir haben nur einige der fuͤr die Philoſophie
merkwuͤrdigſten Stuͤcke ausgehoben.
Orjuns Klage.
(Aus dem erſten Odhyayo.)
Als nun gerüſtet da ſahe all der Dhritoraſh-
triden Schaar,
Im Anfang des Schlachtgetümmels, greifet den
Pfeil des Pandu Sohn,
Sagend darauf zum Bhogovan dieſes Wort:
„O der Erde Herr!
In mitten ſtell’ den Wagen mir der zwei Heere,
ſo ſagt er, hier,
Daß ich die ſchaue, die dorten kampfbegierig ge-
rüſtet ſtehn,
Auch mit welchen ich kämpfen ſoll, wenn dieſe
Schlacht beginnen wird;
Daß die kampfluſtgen ich ſchaun mag, die allhier
nun vereinigt ſind.
Ruhm in furchtbarer Schlacht ſuchend, zu Dhri-
toraſhtro’s Sohnes Gunſt.“ —
Als dieſes Wort dem Bhogovan nun von dem
Schüler geſagt war,
Da inmitten der zwei Heere ſtellt er der Wagen
herrlichſten. —
„Bhiſhmo’n, Drono’n im Antlitz uns, all die
dorten die Könige,
Schaue ſie hier, o Fürſt! ſprach er, der Kurus
wohl vereinigt Heer.“ —
Und da ſah er der Fürſt, ſtanden Väter, Groß-
väter ferner da,
Lehrer dann, Oheim’ und Brüder, Söhne und
Enkel ſtanden dort,
Blutsverwandte, Befreundte auch, hier und dort
in den Heeren zwein. —
Als die nun ſah der Kunti Sohn, all die Freunde
gerüſtet ſtehn,
Ergriff ihn hohes Erbarmen, daß klagend dieſe
Wort’ er ſprach:
„Seh ich die Freunde, Kriſhno! all dort kampf-
gierig gerüſtet ſtehn,
Schmelzen alsbald die Glieder mir, mein Antlitz
verdorrend welkt,
Schaudern durchfährt den Körper mir, während
das Haar ſich ſträubend hebt.
Gaudiv Gandiv, der Bogen des Orjun. auch ſinkt aus der Hand mir, die
Haut ſelber am Leibe dorrt,
Nicht vermag ich zu ſtehn fürder, und es ſchwankt
mir ſchwindend der Geiſt.
Anzeichen ſeh’ ich, unſeelge, um mich her hier,
o Keſhovo! Keſhovo, der Lockige, ein Beinahme des Kriſhno, welcher an
ähnliche des Apollo erinnert.
Und kein Heil mag ich erſpähen nach der Bluts-
freunde Mord im Kampf.
Nicht begehr’ ich den Sieg Kriſhno! keine
Freuden noch Königthum.
Was frommt König ſein, Göttlicher! was wohl
Reichthum, das Leben ſelbſt,
Wenn jene, um welche werth uns Königthum,
Reichthum und Freuden ſind,
Dort zum Kampfe gerüſtet ſtehn, Reichthum nicht
achtend und Leben nicht.
Lebrer und Väter und Söhne, ſelbſt Großväter,
dazwiſchen auch
Oheim’ und Blutsfreund’ und Enkel, Schwäher
und nah verbunden dann.
Nicht begehr’ ich zu morden die, morden ſie mich
auch, Göttlicher!
Für der drei Welten Herrſchaft nicht, wie ſollt’
ichs um die Erde thun?
Wie möchten nach der Blutsfreunde Mord wir
glücklich ſein, Madhovo! Madhoyo, Beinahme des Kriſhno.
Wenn auch jene es nicht ſehen, weil Habſucht ihren
Geiſt ergriff;
Da aber des Stammes Vertilgung uns als ein
ſchwer Verbrechen, Freund!
Wohl erkannt iſt, wie ſollten wir nicht ab von
dieſer Sünde ſtehn?
O weh! ein großes Verbrechen ſind zu vollbringen
wir bereit,
Daß wir aus Gier nach Herrſcherluſt morden wollen
den Freundes-Stamm.
Wenn unbewaffnet, ungerächt, ſelber bewaffnet
mich im Kampf
Erſchlüge Dhritoraſhtro’s Schaar, wär’ es
leichter zu dulden mir.
Alſo ſprach Orjun am Kampfplatz, niederſetzend im
Wagen ſich,
Legte dann Pfeil und Köcher hin, überwältigt im Geiſt
von Schmerz.
Zu dem von Mitleid durchdrungnen, deſſen Augen von
Thränen voll,
Redete zu dem klagenden Modhu’s Beſieger dieſes
Wort.
19
Bhogovan.
(Aus dem Sankhyoyogo, dem zweiten Odhyayo.)
Woher hat mitten im Kampfe dieſe Weichheit er-
griffen dich,
Die nicht rühmlich, nicht göttlich iſt, Orjun!
die Schande nur bewirkt.
Nicht der Schwäche ergieb du dich, Fürſt! nicht
alſo geziemt es dir.
Kleingeherzte Unthätigkeit laſſ’, erhebe dich, Herr-
licher!
Orjun.
O wie ſoll Bhiſhmo’n im Kampf ich und
Dhrono’n, Modhu’s Sieger Modhn’s Sieger, Beinahme des Kriſhno. Du,
In der Schlacht mit dem Pfeil treffen, die vor
allen ich ehren muß?
Almoſen wärs beſſer zu eſſen mir wohl als dieſe ehr-
würdigen Lehrer morden.
Denn die, meine Lehrer, ermordend ja hier, mit Blut
befleckt müßt’ ich mein Gut genieſſen.
Nicht wiſſen wir welches uns beſſer ſein mag, ob jene
wir oder ſie uns beſiegen,
Die ſelber wir mordend nicht leben möchten, die ſtehen
kampfluſtig im Angeſicht uns.
Beſiegt iſt mein Herz von des Mitleids Schwäche, dich
fleh ich an, weiß nicht was Pflicht hier zu ſehn!
Was beſſer ſei, ſag es in Wahrheit du mir, dein Schüler
ja bin ich, o lehr es jetzt mich!
Und nichts erſpähn kann ich, das mich befreite vom
Schmerz, der mir zehrend die Sinne dorret;
Und fänd’ ich auch weiten Gebiets Beſitzthum, ja ſelbſt
im Reich himmliſcher Helden herrſchend.
Bhogovan.
Was nicht zu klagen iſt, klagſt du, redend doch
nach der Weiſen Spruch.
Nicht die gehn, auch die bleiben nicht, beweint
jemals, wer weiſe denkt.
Nicht ich war irgend jemals nicht, noch du, noch
jene Helden dort;
Noch werden wiederum nicht ſein irgend jemals
wir alleſamt.
Wie im ſterblichen Leibe hier Kindheit, Jugend
und Alter ſind,
Wechſelt des Lebens Hülle auch; wer dieß feſthält,
den irret nichts.
Stoff und Eindruck, o Kunti’s Sohn, machen
heiß, kalt, und Freud’ und Leid,
Kommen und ſchwinden ſtets wechſelnd; ſtandhaft
trag’ ſie, Bhorots Sohn!Orjun iſt ein Abkömmling des Kuru, ſo wie dieſer vom
Welcher Mann nun, o Männer Haupt! durch dieß
all nicht erſchüttert wird,
Gleich in Freud’ und in Leid, ſtandhaft, der gedeiht
der Unſterblichkeit.
Nicht was unwahr, wird ſeiend je, noch was nicht
iſt, gefunden wahr;
Wohl iſt der beiden Gränz’ erkannt denen, welche
das Weſen ſchaun.
Unvernichtbar wohl iſt, wiſſe, das wodurch dieſes
All beſteht;
Nicht mag vernichten irgend wer, was unſterblichen
Weſens iſt.
Dieſe endlichen Leiber hier ſind nur Hülle des
Ewigen,
Das keiner vernichtet noch mißt; auf denn! und
kämpfe, Bhorots Sohn.
Wer irgend wähnt, daß dieß tödte, und wer, daß
es getödtet ſei;
Wohl nicht weiſe ſind beide ſie; nicht tödten kann’s
und ſterben nicht.
Gebohren wird’s niemals und ſtirbt auch nimmer; nicht
gilt, es war hier und es wird ſein, iſt jetzt;
Denn unerzeugt ewig wohl iſt’s das alte, und nicht er-
ſtirbt’s, wird auch der Leib getödtet.
Bhorot dem Sohn des Duſhvonto und der Sokuntola ab-
ſtammt. Daher jener Beinahme des Orjun.
Wer dieſes Ewge erkannt hat, das unerzeugt,
unwandelbar,
Wie mag ein ſolcher wohl jemands Tod bewirken,
ihn tödten ſelbſt?
Gleich wie ein Mann Kleider, die alt geworden, abwirft
und legt andre, die neu ſind, ihm an;
So läßt auch dieß Weſen den Leib, den alten, alſobald
eingehend in andre neue.
Nicht mögen Waffen es ſpalten, noch wirds etwa
durch Gluth vertilgt,
Nicht vom Waſſer wird’s aufgelößt, nicht der trock-
nende Wind verzehrt’s,
Unverwundbar, verbrennlich nicht, nicht zu ſchmel-
zen, zu trocknen nicht,
Alldurchdringend und bleibend iſt’s, auch unwan-
delbar ewiglich.
Unerklärlich, undenkbar wird’s, unvertilgbar mit
Recht genannt;
Drum ſo du ſolches erkannt haſt, ziemt dir’s fürder
zu klagen nicht,
Wenn du dir’s ewig entſtehend, oder auch ewig
ſterbend denkſt,
Wahrlich dann, o erhabner Held! ziemt dir es zu
beweinen nicht.
Gewiß iſt des Gebohrnen Tod, wie die Geburt des
Geſtorbenen;
Weil dieß nun unvermeidlich iſt, ziemt dir es zu
beweinen nicht.
Der Weſen Urſprung iſt dunkel, klar nur die Mitte,
Bhorots Sohn,
Dunkel der Untergang wieder, was iſt da nun zu
klagen noch?
Als Wunder betrachtet der ein’ es ſtaunend, als Wunder
ſpricht lehrend davon ein andrer,
Als Wunder hört Kunde von ihm ein andrer, und hat
er’s vernommen, erkennt’s doch keiner.
Ewig die Leiber durchwandert’s, doch zerſtörbar in
keinem Leib,
Drum kein lebendes Weſen nicht darfſt du bekla-
gen, Bhorots Sohn!
Was deine Pflicht, im Aug haltend, ſollteſt du
fürder zagen nicht;
Nichts wird höher als Kampfes Pflicht für den
Krieger gefunden wohl.
Wo ganz nach Wunſch vor den Augen ſich ja auf-
thut des Himmels Thür;
Seelig wohl ſind die Krieger, Fürſt! denen zu
Theil wird ſolch ein Kampf.
Wenn aber dieſen Beruf du nicht, des Kriegers
erfüllen wirſt,
Dann deine Pflicht, ja die Ehr’ auch ſetzeſt hintan
du, fällſt in Schuld.
Es werden Schand’ auch, ewige, dir nachreden die
Weſen all;
Des einſt Gepriesnen Unehre muß noch jenſeit dem
Tod beſtehn.
Du ſeiſt aus Furcht gewichen, glauben die Wagen-
mächtigen; Beinahme der Helden.
Denen ſo hoch du geehrt warſt, wirſt du leicht nun
geachtet ſein.
Auch manches unwürdige Wort geſagt werden von
Feinden dir,
Schmach redend deiner Tapferkeit; was kann
ſchmerzlicher ſein als dieß?
Fallend erlangſt den Himmel du, ſiegreich freuſt
du der Erde dich;
Drum erhebe dich, Kunti’s Sohn! auf zur
Schlacht mit entſchloßnem Muth.
Beide gleich achtend, Freud’ und Leid, Gewinnſt,
Verluſt, und Sieg und Tod;
Rüſte denn alſo zur Schlacht dich jetzt, ſo ladſt
auf dich du keine Schuld.
Aus dem vierten Odhyayo, dem Yojnoyogo.
Dieſe ewige Lehre nun offenbart’ ich dem Vivo-
ſvan, Vivoſvan, der Sohn des Sonnengottes; Ikſhvaku, Sohn
des Vivoſvan und Ahnherr des ganzen Stamms der Son-
nenkinder.
Vivoſvan machte ſie Monu’n, Monu dem
Ikſhvaku Vivoſvan, der Sohn des Sonnengottes; Ikſhvaku, Sohn
des Vivoſvan und Ahnherr des ganzen Stamms der Son-
nenkinder. kund.
So erhielt einer vom andern lernend der Prieſter-
fürſten ſie;
Durch der Zeit Länge aber ward zerſtört die Lehre,
Herrlicher!
Eben die iſt’s, die heut’ ich dir, die alte Lehre,
offenbart.
Mein Diener biſt du ja, Freund, auch; das höchſt’
iſt’s der Geheimniſſe.
Orjun.
Es iſt deine Geburt ſpäter, früher ja Vivoſvans
Geburt;
Sage wie ſoll ich begreifen nun, daß zuerſt du es
offenbart?
Bhogovan.
Viel ſind meiner vergangnen Geburten, Orjun,
deiner auch,
Alle ſie kenn’ ich wohl wiſſend, du kennſt nicht
ſie, o Herrlicher!
Ungebohren, unwandelbar bin ich, auch aller Weſen
Herr;
Mein eigen Weſen beherrſchend, entſteh’ ich durch
den eignen Schein. Das Entſtehen und Vergehen iſt nur eine Täuſchung,
Maya. Dieſe Maya aber, welche die Quelle der Welt
der Erſcheinungen iſt, iſt eine Wirkung der Kraft des
Gottes.
So oft als nun ein Verſchwinden des Rechts ſich
zeigt, o Bhorots Sohn!
Ein Emporſteigen des Unrechts, erſchaff’ alsbald
mich ſelber ich,
Zu erretten die Rechtſchaffnen, zu vernichten die
übles thun,
Feſt das Recht wieder zu ſtellen, komm’ ich ins
Sein von Zeit zu Zeit.
Wer mein göttlich Entſtehn und Thun wohl er-
kennt nach der Wahrheit Grund,
Den Leib laſſend, zur Welt wiederkehrt der nicht,
Orjun, kommt zu mir.
Von Stolz, Furcht und von Zorn befreit, zu mir
ſtrebend durch mich, aus mir,
Kommen der geiſtig Frommen viel in mein Weſen
vereint Es iſt oft ſchwer, für die metavhyſiſchen Worte der indi-
ſchen Sprache, ganz entſprechende zu finden. Yutko z. B.
was hier in der Urſchrift ſteht, iſt der Wurzel und der
Form nach ganz daſſelbe wie das lateiniſche junctus. Oft
heißt es nichts weiter als praeditus; wo es aber einen ganz
geiſtigen Sinn hat, habe ich es bald durch vereint, bald
durch vollendet überſetzt. zurück.
Aus dem fünften Odhyayo, dem Sonnyaſoyogo.
Den erkenn’ als enthaltſam ſtets, der nicht klaget und
nichts begehrt;
Fern von Zwieſpalt Dieſes iſt ganz metaphyſiſch zu verſtehen: fern von aller
Dualität; alles auf die Einheit beziehend, wie es in meh-
ren Stellen des Gedichts zur Genüge auseinander geſetzt
wird., o Mächtiger! wird der ſeelig,
der Bande frei.
Erkenntniß trennen und Handeln thöricht redende
Knaben nur;
Wer an dem Einen ſtets feſthält, findet der beiden
Frucht zugleich.
Hier ſchon gewinnen den Himmel, deren Geiſt in der
Gleichheit ſteht;
Ganz vollkommen und gleich iſt Gott, darum ruhen in
Gott ſie ſtets.
Nicht erfreue ſich je des Glücks, und nicht klage im
Unglück auch,
Wer feſtgeſinnt, von Thorheit frei, Gott erkennend in
Gott beharrt.
Wen nicht äußres Gefühl anzieht, findet in ſich was
ſeelig iſt;
Mit Gott die Einung vollendend, hat er ein unzerſtör-
bar Gut.
Wer nun ſchon hier ertragen kann, noch eh’ frei er des
Leibes ward,
Der Begierd’ und des Zorns Gewalt, der iſt ſeelig
vollendet wohl.
Wer innen innren Glücks ſich freut, und wer innen
erleuchtet iſt,
Der geht als Frommer Gotterfüllt wieder in Gottes
Weſen ein.
Das Weſen Gottes erreichen die Heiligen von Sünde
rein,
Frei im Geiſte von Zweifeln ganz, in aller Weſen
Lieb’ erfreut.
Aus dem ſechſten Odhyayo, dem Atmoſonyomoyogo.
Der wahrhaft Fromme ſteht ewig einſam in ſich mit
ſeinem Geiſt,
Einheit-beſeelt, des Sinns Sieger, ſonder Begier,
von nichts berührt.
Wer vereinigt Siehe die Anmerkung 9. ſein Innres ſtets, und als Frommer
den Geiſt beherrſcht,
Die höchſte geiſtige Ruhe erreicht der, die da wohnt
in mir.
Wenn feſt geordnet das Denken in ſich ſelber behar-
rend ruht,
Keine Begierd’ ihn je berührt, dann heißt ein Frommer
das mit Recht.
Wie am windloſen Ort ein Licht, nicht bewegend,
dieß Gleichniß gilt
Von dem Frommen der ſich beſiegt, nach Vollendung
des Innern ſtrebt.
Da wo das Denken freudig wirkt, durch der Frömmig-
keit Trieb beſtimmt,
Wo er den Geiſt im Geiſte ſchaut, in ſich ſelber be-
glückt iſt er.
Wer das unendliche Gut, was überſinnlich der Geiſt
ergreift,
Dorten erkennt, mit nichten weicht ſtandhaft der von der
Wahrheit ab.
Welches erreichend, er kein Gut höher noch achtet je
als dieß;
Worin durch Leiden noch ſo groß, ſtandhaft er nicht
erſchüttert wird.
Immer mehr freu’ er ſich der Geſinnung, die ſtandhaft
iſt.
In ſich ſelbſt feſt den Geiſt ſtellend, ſinn’ er nichts
anders fürder mehr.
Wohin immer der Geiſt wandert, der leichte, unbe-
ſtändige;
Von da dieſes zurückhaltend, ſtell’ er in ſich die Ord-
nung feſt.
Lener, der ruhig ſo geſinnt, des Frommen höchſtes
Gut und Glück
Erreicht er, alles Scheins befreit; Gottes Weſen von
Flecken rein.
Immer vollendend ſein Innres, wird der Fromme von
Sünde frei,
Berührt Gott in der Seeligkeit und genießt ein unend-
lich Gut.
In allen Weſen das Selbſt Atmo heißt zugleich ſelbſt und Geiſt, und iſt oft
ſchwer ganz genau auszudrücken. Ich und Ichheit darf
man es nicht überſetzen, weil es dafür ein andres Wort
giebt, Ohonkaro., ſieht wieder die Weſen
all’ im Selbſt,
Welcher wiedervereinten Sinns, alles mit gleichem
Muthe ſchaut.
Wer nur mich überall erblickt, und wer alles erblickt
in mir,
Nimmer werd’ ich von dem fern ſein, noch wird von
mir er je getrennt.
Wer den allgegenwärt’ gen, mich, verehrt, und feſt an
der Einheit hält,
Wo er immer auch wandeln mag, wandelt der Fromme
ſtets in mir.
Aus dem ſiebenten Odhyayo,
dem Inanovijnanoyogo.
Bhogovan.
Zu mir hin mit dem Geiſt ſtrebend, Andacht übend,
daheim in mir,
Wie du mich frei von Zweifeln gleich wirſt erkennen,
vernimm o Fürſt!
Dieſe Weisheit und Kenntniß ſei ohne Rückhalt dir
kund gethan.
Wenn dieß erkannt, iſt nichts fürder hier des Erkennens
würdig noch.
Von tauſend Menſchen iſt einer etwa, der nach der
Tugend ſtrebt,
Von den nach Tugend ſtrebenden einer, der mich in
Wahrheit kennt.
Erde, Waſſer und Wind, Feuer, Luft Khon wird auch Aether überſetzt. Vayu iſt der fühlbare
Theil der Luft, welchem die Indier die Eindrücke der Be-
rührung und den Sinn des Gefühls zuſchreiben; khon iſt
der verborgnere Theil der Luft, in dem der Schall erzeugt
wird. und Geiſt,
der Verſtand ſodann,
Ichheit; dieß ſind die acht Stücke meiner getheilten
Weſenkraft.
Doch ein andres als dieß, höh’res Weſen an mir erkenne
du,
Was die ird’ſchen belebt, Orjun! auch die Welt hier
erhält und trägt,
Dieß iſt die Mutter der Dinge, aller zuſamt, das
glaube, Freund!
Ich bin des ganzen Weltenalls Urſprung, ſo wie Ver-
nichtung auch.
Auſſer mir giebt es ein andres höheres nirgends mehr,
o Freund!
An mir hängt dieſes All vereint, wie an der Schnur
der Perlen Zahl.
Ich bin der Saft Dasjenige, was den verſchiedenen Flüſſigkeiten den Ge-
ſchmack, die eigenthümliche Qualität giebt. im Flüſſigen, bin der Sonn’ und
des Mondes Licht,
In heil’gen Schriften die Andacht, Schall in der Luft,
im Mann der Geiſt.
Der reine Duft von der Erdkraft, bin der Glanz auch
des Strahlenquells,
In allen Ird’ſchen das Leben, bin die Buße im
Büßenden.
Alles Lebendigen Saame bin ich, wiſſe, von Ewig-
keit;
Bin in den Weiſen die Weisheit, ich der Glanz auch
der Strahlenden.
Dann die Stärke der Starken ich, die von Begier und
Stolz befreit;
In den Lebend’gen die Liebe bin ich, durchs Recht
beſchränkt, o Fürſt!
Welche Naturen nun wahrhaft, ſcheinbar nur oder
finſter ſind, D. h. die drei Welten der alten indiſchen Lehre: die
Welt der Wahrheit, die des Glanzes oder Scheins, und
die der Finſterniß, entſpringen gleichfalls aus mir. Eigent-
lich aber iſt dieſe ganze Anſicht nicht der Wahrheit gemäß,
und jene Dreiheit eine Täuſchung und bloße Erſcheinung.
Eine andere Stelle des Gedichts geht noch ſtärker gegen
dieſe Lehre von drei Welten oder drei Eigenſchaften, und
zugleich gegen die Veda’s, worin dieſe Anſicht herrſcht:
Die Veda’s gehn auf drei Weſen, nicht von drei Weſen
ſei, o Freund!
Nicht zwiefach, ſondern wahrhaft ſtets, unbeſtrebt, dul-
dend, geiſtig ſei!
Aus mir ſind, wiſſe, auch dieſe; nicht ich in ihnen,
ſie in mir.
Durch die Täuſchung nun dieſer drei Eigenſchaften iſt
ganz bethört
Alle Welt und verkennt mich, der über jenen, unwan-
delbar.
Göttlich iſt ſie, die Welten ſchafft, Siehe die Anmerkung 8. meine Täuſchung,
wird ſchwer beſiegt;
Aber die, welche mir folgen, ſchreiten über die Täu-
ſchung hin.
Nicht folgen die Verbrecher mir, noch die Thoren und
Niedern nach,
Welche vom Schein im Geiſt bethört, zu den Dämonen
ſich gewandt.
Vier Arten ſind’s, die mich ehren, der guten Menſchen,
o Bhorots Sohn!
Wer arm iſt, wer nach Weisheit ſtrebt, wer Reichthum
wünſcht, der Weiſe dann.
Von dieſen iſt’s der Weiſ’ allein, der ſtets vereint dem
Einen dient;
Wohl ein Freund bin ich des Weiſen, ſehr, ſo wie er
der meine iſt.
Alle verdienen hohes Lob, der Weiſe gilt wie ich bei
mir;
Zu mir richtet den letzten Weg hin ſein wiederverein-
ter Geiſt.
Am Ende vieler Geburthen ſchreitet der Weiſe hin zu
mir;
„Daß Vaſudevo Vaſudevo, Kriſhno der Sohn des Voſudevo. alles iſt,“ wer ſo groß denkt,
iſt ſelten wohl.
Von dem und dem Gelüſt bethört, folgen ſie andern
Göttern nach,
Errichten die und die Satzung, durch die eigne Natur
beſtimmt.
Wer auch was für ein Bild dienend im Glauben zu
verehren wählt,
Den feſten Glauben deſſelben, ich bin’s allein, der den
entflammt.
20
Er, des Glaubens begabt alſo, iſt nun bemüht um
jenes Gunſt,
Und erreicht auch die Wünſche dann, von mir beſtimmt,
wie’s mir gefällt.
Endlich doch iſt die Belohnung dieſer wenig erkennen-
den;
Zu ihnen kommt, wer den Geiſtern diente, die meinen
dann zu mir.
Sichtbar zu greifen wähnen ſie mich, die Thoren, der
unſichtbar,
Kennen mein hohes Weſen nicht, das ew’ge, aller-
habene.
Nicht was ſichtbar des Alls bin ich, in der Meinungen
Schein verhüllt, Yogo heißt eine Glaubenslehre, wie denn die einzelnen
Abſchnitte des Bhogovotgita ſelbſt Yogo’s genannt werden.
Hier ſind aber offenbar die falſchen bloß ſinnlichen Reli-
gionen und Lehren der Vielgötterei und des Dämonen-
Dienſtes gemeint.
Die Welt kennt nicht, die thörichte, mich den ew’gen,
der unerzeugt.
Ich kenne die vergangnen all, die jetzt ſeienden,
Orjun! auch,
Und die zukünftigen Weſen; mich erkennt aber keiner
je.
Die aus Neigung und Haß entſpringt, durch der Zwei-
heit Verblendung, Fürſt!
Wandeln von Anfang zum Irrthum alle Irdiſchen, o
Bhorots Sohn!
Doch wenn die Schuld vertilgt endlich deren, die rei-
nen Wandels ſind,
Von der Zweiheit Verblendung frei, ehren ſie mich,
im Glauben feſt.
Aus dem achten Odhyayo.
Bhogovan.
Es kehret nicht zur Sterblichkeit die vergänglich, der
Leiden Haus,
Wer mich erreichte noch zurück, hoch am Ziel der
Vollkommenheit.
Wiederkehrender Art, Hier wird dem Kriſhno ganz deutlich der Vorzug vor
Brohma gegeben. Vom Brohma rühren die Welten der
Erſcheinung her, in denen Seelenwanderung Statt findet,
und ſtets erneute Rückkehr ins Leben, die hier als ein Un-
glück betrachtet wird. Kriſhno iſt der Gott der ewigen
Einheit und des wahrhaften Weſens. Orjun! ſind aus Brohma
die Welten all;
Wer mich erreicht hat, Kunti’s Sohn, iſt der fernern
Geburth befreit.
IV.
Aus der Geſchichte der Sokuntola
nach dem Mohabharot.
Es ſind in der Epiſode des Mohabharot, welche
die Geſchichte der Sokuntola enthaͤlt, vorzuͤglich
zwei Momente derſelben ausfuͤhrlich behandelt,
wovon der eine, die Geburth der Sokuntola, in
dem Schauſpiele des Kalidas nur im Vorbeigehn
erwaͤhnt, der andre aber, die Scene der Ver-
laͤugnung und der endlichen Wiedererkennung bei
dem Koͤnig Duſhvonto ſehr verſchieden behan-
delt iſt.
Da wir dieſe beiden Stuͤcke vorzuͤglich nur
als Beiſpiele der aͤltern indiſchen Poeſie geben,
ſo ſind, wo es ohne Schaden des Zuſammen-
hanges geſchehen konnte, einige Diſtichen ausge-
laſſen, deren Inhalt bloß dogmatiſch oder voll
hiſtoriſcher Anſpielungen war, um nicht durch viele
Anmerkungen den poetiſchen Eindruck ſtoͤren zu
muͤſſen.
Geburth der Sokuntola.
Die Scene beginnt da, wo König Duſhvonto ſich bei
einer Jagd in den Wald vertieft, und den heiligen
Büßer Konvo, der dort in der Einſamkeit lebte,
aufſuchen will. Er trift die ſchöne Einſiedlerin,
und iſt ſehr begierig, zu erfahren, wer ſie ſei.
Denn wäre ſie, wie er glaubt, Tochter eines
Brahminen geweſen, ſo würde er ſich nicht mit
ihr haben verbinden dürfen.
Allein ging der Fürſt nun hin, ihm folgten ſeine
Räthe nicht,
Sah in der einſamen Wohnung nicht den andäch-
tigen Heiligen.
Als er den Heilgen nicht erblickt, leer des Ein-
ſiedlers Hütte ſah,
Ließ er von ſeiner Stimme Schall wiederhallen
umher den Wald.
Aber ſein Rufen vernahm jetzt, ſchön wie Sri
von Geſtalt die Magd,
Trat hervor aus der Hütte dort in der Einſiedlerin-
nen Tracht.
Als Duſhvonto, den König, nun die ſchwarz-
äugigte Magd erblickt,
Sagte ſie ſchnell ihm Willkommen, bot ihm mit
Ehrerbieten Gruß;
Bediente dann mit dem Seſſel ihn, mit Waſchen
der Füße auch,
Fragte nach ſeinem Wohlſein dann, wünſchte dem
Kön’ge Glück und Heil.
Als ſie nun ihn bedient hatte, ſein Wohlbefinden
auch geſehn,
Sagte ſie lächelnd jetzt zu ihm: „Was iſt weiter
zu deinem Dienſt?“ —
Zu ihr ſagte der König drauf, zum holdredenden
Mädchen er,
Da ſo ſchön die Geſtalt er ſah, nach den Ehren-
bezeigungen:
„Ich kam hierher um dem großen Heilgen, Konvo
zu huldigen.
Wo ging er hin der göttliche? Das, o du ſchöne!
ſage mir.“ —
Sokuntola.
Es ging mein göttlicher Vater, Früchte zu hohlen
nur von hier;
Nur einen Augenblick verzieh, ſo wirſt du rückge-
kehrt ihn ſehn.
Als er den Heilgen nicht erblickt, auch ſodann
dies geſprochen war,
Er ſie ſahe ſo voll Anmuth, die ſüßlächelnde,
liebliche,
Die in der Reitze Glanz ſtrahlte, wie in Andacht
und Demuth auch,
Der Tugend Schöne beſitzend, ſprach er alſo der
Erde Fürſt:
„Wer biſt du, Holde, und weſſen? weshalb zogſt
in den Wald du hier?
Mit ſo hoher Geſtalt begabt, und wo kameſt du
Schöne her?
Durch deiner Schöne Anſchauen haſt die Seele
du mir geraubt;
Dich zu kennen verlangt mich; ſag es, liebliche,
alles mir.“ —
Als nun der König dieß geſagt, gab darauf in der
Hütte dort
Lächelnd das Mädchen die Rede wieder, ſprach ſie
mit holdem Laut:
Für des Konvo, des göttlichen, Tochter gelt ich,
erhabner Fürſt!
Des feſtgeſinnten Büßenden, des Weiſen, der das
Recht erkennt.
Duſhvonto.
Erhaben denkend und göttlich, heilig iſt er und
allgeehrt;
Dhormo Der Gott der Gerechtigkeit. ſelbſt mag vom Pfad wanken, doch
es wankt ſolch ein Frommer nicht.
Wie kannſt deß Tochter gebohren du alſo ſein,
liebliche!
Dieſen mächtigen Zweifel nun wolleſt du jetzo
löſen mir.
Sokuntola.
Wie ich hieher gekommen bin, welches zu wiſſen
du begehrſt,
Vernimm es Fürſt der Wahrheit nach, wie ich
des Heilgen Tochter bin.
Es kam einſt hier ein Frommer her, meinem Ur-
ſprunge fragt’ er nach;
Dem erzählte der Göttliche folgendes, das ver-
nimm nun, Fürſt!
Konvo ſprach:
„Viſvomitro, der Büßende, übte ſo großer Buße
Werk,
Daß der König der Geiſterſchaar, Indro, ge-
waltig drob erſchrak,
Daß nicht des Helden Andachtsgluth ihn erſchüttre
von ſeinem Sitz.
Dieſe Gefahr nun befürchtend ſprach er alſo zur
Menoka:
Indro.
Der Nymphen himmliſche Reitze preiſ’t man, o
Menoka, an dir;
Einen Dienſt thue mir, Mädchen; was ich dir
ſage, das vernimm!
Der wie die Sonne im Glanz ſtrahlt, Viſvo-
mitro, der Heilge dort
Vollbringt ſo furchtbare Buße, daß mein Geiſt mir
erzittert drob.
Menoka! dein Geſchäft iſt dieß: Viſvomitro,
der mich bedroht,
Furchtbar zu ſchaun, von feſtem Geiſt, wandelt
in grimmer Buß’ er ſtets,
Daß vor dem nicht mein Thron falle; zu dem geh’
und gewinne ihn,
Gehe hin wo er Buße übt, thue die höchſte Liebe
mir;
Blühend in Schöne der Jugend, und mit lächeln-
der Worte Laut,
Feßl’ ihn auch mit der Freuden Reitz, wende von
ſeinem Werk ihn ab.
Menoka.
Hochſtrahlend iſt der Göttliche und dazu auch er-
haben fromm;
Wie er geneigt zum Zorne ſei, iſt dem Gebieter
auch bekannt.
Den ſtrahlenden nun, den frommen, zornigen,
hochgeſinnten Mann,
Vor dem du ſelber dich fürchteſt, wie ſollt’ ich ihn
nicht fürchten denn?
Er, der den großen Voſiſhto Von mehren hiſtoriſchen Anſpielungen der Art auf die
großen Thaten des Viſvomitro, haben wir des Uebergangs
wegen dieſe eine beibehalten. der theuren
Söhne einſt beraubt,
Zu dem du ſelbſt, den Mond fürchtend, um Hülfe
gingſt, der Geiſter Herr!
Ihn, der vollbracht die Thaten all, ja wohl ſehr
muß ich fürchten den;
Wie ſein Zorn nicht verzehre mich, deſſen belehr’,
Gebieter, mich!
Deß Glanz die Welten entflammen, deß Fuß die
Erd’ erſchüttern mag,
Der zerſchmettern den Berg Meru, leicht verwir-
ren die Räume Die Räume der Welt. kann,
Der mit ſolcher Andacht begabt, in Gluth ſtrah-
lend dem Feuer gleich,
Wie möcht’ ein Mädchen unſrer Art ihn berühren,
der heilig iſt;
Deß Antlitz ſtrahlt wie die Flamme, deß Blick
leuchtet wie Sonn’ und Mond,
Wie mag, Gebieter! Kalo’s Der Gott der Zeit, und dann der Zerſtörung, des Todes. Schlund eine
von uns berühren wohl? —
Weil aber der König mich angeſprochen, wie ſollt’ ich
nicht gehn vor des Heilgen Antlitz!
Erſinne Rettung denn für mich, Gebieter! daß ich für
dich gehend errettet bleibe.
Wenn du es willſt, laß das Gewand den Marut, des
Windes Gott, weg von mir wehn im Tanze,
Begleiten muß Monmotho Der Gott der Liebe. auch dieß Geſchäft,
durch deine Gunſt mir als Gehülf’ er beiſtehn.
Laß aus dem Wald Düfte mir wehn den Vayu, zu
jener Zeit, da ich den Seher feßle.
Als dieß geſagt und von ihm war beſtätigt, da ging ſie
zur Hütte des Einſiedlers hin.
Als die liebreitzende nun ſah, ſchuldgereinigt durch
fromme Gluth
Viſvomitro, den Büßenden, in der einſamen
Wohnung dort;
Da begrüßte ſie zuvor ihn, tanzt und ſcherzt vor
dem Heilgen dann;
Abwehte ihr Gewand Marut, das gleich dem
Monde glänzende.
Wie von ihr das Gewand nun ſank hin zur Erde,
da blickte ſie
Lächelnd, die lieblich reitzende, oft den beſchämten
Marut an;
Während der Seher dort zuſchaut, der wie die
Flamme ſtrahlende.
Als Viſvomitro nun jene, die fleckenlos da vor
ihm ſtand,
In ihr Gewand verwickelte, er der einſamen Seher
Fürſt,
Und die der Wind enthüllt hatte, die vollblühen-
den Reitze ſah,
Ihre hohe Geſtalt erblickt’, er, der der Weiſen
König war,
Da ergriff ihn der Neigung Gluth, fiel er in der
Begierde Macht.
Jene ladet er zu ſich ein, willig folgte die himm-
liſche;
So verlebten zuſammen ſie eine glückliche Zeit
daſelbſt,
Sich ihrer Liebe erfreuend, bis nach beſtimmter
Zeiten Lauf
Der Seher von der Menoka die Sokuntola
hat erzeugt.
Dort in des Himovan Wildniß, am Ge-
ſtade der Malinī
Bracht’ ans Licht ihres Leibes Kind, an Mali-
nī’s Fluthen Menoka.
Da ihr Geſchäft ſie nun vollbracht, ging alsbald
ſie zum Indro auf,
Ließ in dem wüſten Wald die Frucht, wo der
Tiger und Löwe hauſ’t.
Da nun ſchlummernd die Sokunta’s Eine Art Geier; vultures erklärt es Wilkins. ſahen
das Kind, umringten ſie’s,
Daß nicht tödten im Wald’ es dort möchte reiſ-
ſender Thiere Schaar.
So ward der Menoka Tochter da beſchützt von
der Geier Schaar.
Als ich zum Bade dorthin kam, ſah ich im
Schlummer ruhn das Kind,
Dort im einſamen Waldesthal, rund umringt von
der Geier Schaar;
Ich nahm ſie auf nun, und zu mir, hielt ſie
fürder an Tochter Statt.
Weil ich in einſamer Wildniß ſie von Sokun-
ta’s fand umringt,
Ward der Nahme Sokuntola ihr gegeben ſo-
dann von mir.
Du weißt nun, wie Sokuntola, o Heilger, Man erinnere ſich, daß Konvo zu dem frommen Pilger
ſpricht, der nach Sokuntola’s Herkunft gefragt hatte.
meine Tochter ward;
Für ihren Vater auch hält mich Sokuntola,
die Tadels frei.“
Alſo that meine Geburth er, ſie dem Heilgen er-
zählend, kund.
Wie ich die Tochter des Konvo ſei, weißt du
alſo, erhabner Fürſt.
Als Vater acht’ ich den Konvo, kenne ja meinen
Vater nicht;
Dieſe Geſchichte, o König! hörteſt du, wie es
ſich begab.
Rede der Sokuntola an den Duſhvonto.
In der Behandlung dieſes Theils der Ge-
ſchichte weicht das alte Heldengedicht ſehr vom
Kalidas ab. Auch im Mohabharot wird Sokun-
tola von dem Duſhvonto zuerſt verlaͤugnet und
verworfen, worauf denn endlich die Wiederer-
kennung und Verſoͤhnung folgt. Von der Zau-
berei mit dem Ringe aber kommt hier nichts
vor. Der Knabe iſt ſchon ſechs Jahre alt, als
Sokuntola mit ihm an Hof zu dem Koͤnig geht,
um dieſen an das gegebene Verſprechen, daß er
ihren Sohn zum Erben des Reichs erklaͤren
wolle, zu mahnen. Duſhvonto verlaͤugnet die
Sokuntola nur deswegen, weil er fuͤrchtet, wenn
er ſo leicht ohne Beweis in die Anerkennung
willige, moͤge Verdacht gegen die Aechtheit des
Kindes bei den Großen des Reichs entſtehen;
vielleicht auch, um die Geliebte auf die Probe zu
ſtellen.
Sokuntola geraͤth uͤber ſeine Haͤrte in hohen
Unwillen, und endlich bricht ihr Schmerz in fol-
gende Rede aus, die den Untreuen an die
Stimme des Gewiſſens und der allſehenden Gott-
heit erinnert, ihm die Heiligkeit der Ehe und
die Schoͤnheit der kindlichen Natur ſchildert, und
mit einer ſanften Klage uͤber ihr Ungluͤck endet.
Wohl mich kennend, erhabner Fürſt, warum redeſt
du ſo zu mir;
„Ich kenne dich nicht“, ganz furchtlos, wie ein
niedrig gebohrener?
Da dein Herz doch wohl wiſſend iſt, was hier wahr
und was falſches iſt;
Dieß Kind der Liebe verwerfend, ſchmähſt du da-
durch ja ſelber dich:
„Ich bin’s allein“, alſo gedenkſt in dir du, kennſt nicht
den im Herzen, den alten Seher Den im Herzen, den alten Seher, oder den alten Einſiedler
hritſoyom munin puranon; das Gewiſſen.;
Willſt, dem bekannt alle des Schuld’ gen Thaten, im
Angeſicht deſſen die Sünde begehn.
Denkſt, wenn vollbracht die Unthat iſt: „Keiner weiß
ja, daß ich es war;“
Doch es wiſſen’s die Götter all, ſelbſt auch innen
der inn’re Menſch.
Sonn’ und der Mond, Feuer und Luft, die Himmel,
die Erd’ und Fluth, innen das Herz, die Tief’ auch,
Ja Tag und Nacht, ſamt den Zeiten beide, auch des
Rechts Gott, ſehen das Thun des Menſchen.
Dort im Abgrund des Todes Gott, verlöſcht was
übles der gethan,
Mit dem zufrieden der Geiſt iſt, ſo die That ſchauend
in uns wohnt;
Doch mit wem nicht er zufrieden, wer von übler
Geſinnung iſt,
Den vernichtet des Todes Gott ſelbſt, den ſchuld’gen,
in übler That.
Mich die ſelbſt du gewählt hatteſt, o verſchmäh
die getreue nicht;
Achtend nicht, die du achten ſollſt, mich dein eigen
beſtimmtes Weib.
O warum blickſt du verächtlich auf mich, wie eine
niedrige?
Nicht ja in einer Wüſte hier klag’ ich, warum
nicht hörſt du mich?
Aber wenn du der flehenden, nicht ein Wort mir
gewähren willſt,
In hundert Stücke, Duſhvonto! wird zerſprin-
gen alsbald mein Haupt.
So der Frau ihr Gemahl nahet, wird er wieder-
gebohren ſelbſt
Von der, die Mutter durch ihn wird, wie alter
Seher Zeugniß ſpricht. Das Geheimniß der Ehe nach der indiſchen Lehre beruht
erſtlich darauf, daß dieſe Verbindung auch in jenem Leben
fortdauert, vorzüglich aber darauf, daß der Sohn, der der
Vater ſelbſt in einer neuen Verwandlung iſt, allein das
Vermögen beſitzt, durch fromme Werke und Gebräuche
der Andacht die Seele des Vaters von den Strafen, die
er für ſeine Verſchuldungen in jener Welt leiden muß, zu
befreien. Daher wird er der Retter des Vaters genannt,
und daher wird es für das größte Unglück geachtet, keinen
Sohn zu haben.
Wohl iſt die Frau des Manns Hälfte, die Frau
der Freunde innigſter;
Iſt die Frau alles Heiles Quell, die Frau Wurzel
des Retters auch. Das Geheimniß der Ehe nach der indiſchen Lehre beruht
erſtlich darauf, daß dieſe Verbindung auch in jenem Leben
fortdauert, vorzüglich aber darauf, daß der Sohn, der der
Vater ſelbſt in einer neuen Verwandlung iſt, allein das
Vermögen beſitzt, durch fromme Werke und Gebräuche
der Andacht die Seele des Vaters von den Strafen, die
er für ſeine Verſchuldungen in jener Welt leiden muß, zu
befreien. Daher wird er der Retter des Vaters genannt,
und daher wird es für das größte Unglück geachtet, keinen
Sohn zu haben.
Frenndinnen ſind dem Einſamen ſie zum Troſt mit
ſüßem Geſpräch;
21
Zu der Pflicht Uebung wie Väter, tröſtend im
Unglück Müttern gleich.
Scheidet die Frau nun zuerſt hin, ſchaut zum Ge-
mahl ſie, harrend ſein;
Doch ſtarb zuvor der Geliebte, folget ſie willig
gleich ihm nach.
Um ſolcher Urſach, o König, wird hoch begehrt
der Ehe Bund;
Weil der Mann ſein Gemahl beſitzt, in der Welt
hier, in jener auch.
Als er ſelbſt, von ihm ſelbſt gezeugt, iſt nach der
Weiſen Sinn der Sohn;
Drum ſoll der Mann ſein Weib achten, die des
Sohns Mutter, Mutter gleich.
Den Sohn aus ſeinem Weib’ erzeugt, wie im
Spiegel das Ebenbild,
Iſt dem Vater zu ſchaun freudig, wie dem Seel’-
gen der Himmel iſt.
Wenn auch verſengt vom Seelenſchmerz, Krank-
heit leidend die Menſchen ſind,
Freuen ſie doch ihrer Weiber ſich, wie die Fluth
labt die ſchmachtenden.
Wenn ſich das Kind zu ihm wendend, wie es am
Boden hat geſpielt,
Feſt um des Vaters Glieder ſchließt, was giebt’s
höheres noch als dieß?
Ihn, den du ſelbſt eigen gebildet, dieſen Sohn
hier, der liebevoll
Auf dich ſchauend zur Seite blickt, o warum denn
verſchmähſt du ihn?
Sorgen um ihre Eier doch, ſie nicht brechend, die
Vögel ſelbſt;
Wie geſchieht’s denn, daß du verläßſt, des Rechts
kundig, den eignen Sohn?
Nicht Gewänder und Frauen nicht, Wellen ſind
zu berühren nicht
So ſanft, als des umarmenden Kindes Berührung
lieblich iſt.
So berühre umarmend dich hier der Knabe, der
lieblich blickt;
Holder als Kindes Berührung, hat die Welt kein
Gefühl ja nicht.
Aus deinem Leib’ erzeugt ward er, von dem Manne
ein andrer Mann;
Wie im Spiegel des klaren Quells, ſiehe den
Sohn, ein zweites Selbſt.
Wie zur Flamme des Heiligthums Feuer vom
Heerd genommen wird,
So iſt von dir erzeugt dieſer, du ſelbſt der Eine,
ungetheilt.
Ein Jäger wanderte umher, war zu jagen das
Wild bedacht;
Ich war’s, Fürſt! die gefangen ward, ach ein
Mädchen in Vaters Hain.
Der himmliſchen Geſpielinnen erſte, die Menoka
genannt,
Stieg vom Himmel zur Erd’ herab, empfing vom
Viſvomitro mich.
An des Schneegebürgs Seite gebahr mich dann
die himmliſche,
Und mich verlaſſend dort ging ſie böſe, wie einer
andern Kind.
Welch’ ein Verbrechen wohl hab’ ich im vor’gen
Leben einſt verübt,
Daß von den Mein’gen verlaſſen ich als Kind
ward, und jetzt von dir.
Wie dir’s gefällt, verlaſſen denn will ich zu mei-
ner Hütte gehn;
Den Knaben aber verlaſſen darfſt du nicht, der
dein eigen iſt.