Erſtes Buch.
(2r Th.) A
Erſtes Kapitel.
In einem alten Buche, das in meiner
Sammlung ſich befindet, habe ich immer
folgende Stelle mit vorzüglichem Wohlge¬
fallen geleſen:
»O Jugend! Du lieber Frühling, der
Du ſo ſonnenbeſchienen vorn im Anfange
des Lebens liegſt! wo mit zarten Äugelein
die Blumen umher, des Waldes neugrüne
Blätter, wie mit fröhlicher Stimme Dir
winken, Dir zujauchzen! Du biſt das Pa¬
radies, das jeder der ſpätgebohrnen Men¬
ſchen betritt, und das für jeden immer wie¬
der von neuem verloren geht.«
»Gefilde voll Seligkeit! überhangend
von Blüthen, durchirrt von Tönen! Sehn¬
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ſucht weht und ſpielt in Deinen ſüßen Hai¬
nen. Vergangenheit ſo golden, Zukunft
ſo wunderbar: wie mit dem Sirenenge¬
ſange der Nachtigall lockt es von dorther;
mondliche Schimmer breiten ſich auf dem
Wege aus, liebliche Düfte ziehen aus dem
Thal herauf, vom Berge nieder den Sil¬
berquell. O Jüngling, in Dir glänzt Mor¬
genröthe, ſie rückt mit ihren Strahlen und
wunderglänzenden Wolkenbildern herauf:
dann folgt der Tag, bis auf die Spur ſo¬
gar verfließt die heimliche Sehnſucht; alle
Liebesengel ziehen fort, und Du biſt mit
Dir allein. War alles nur Dunſt und bun¬
ter Schatten, wornach Du brünſtig die Arme
ſtreckteſt? —
Aus Wolken winken Hände,
An jedem Finger rothe Roſen,
Sie winken Dir mit ſchmeichleriſchem Koſen,
Du ſtehſt und fragſt: wohin der Weg ſich wende?
Da ſingen alle Frühlingslüfte,
Da duften und klingen die Blumendüfte,
Lieblich Rauſchen geht das Thal entlang:
»Sey muthig, nicht bang!
Siehſt Du des Mondes Schimmer,
Der Quellen hüpfendes Geflimmer?
In Wolken hoch die goldnen Hügel,
Der Morgenröthe himmelbreite Flügel?
Dir entgegen ziehn ſo Glück als Liebe,
Dich als Beute mit goldenen Netzen zu fahn,
So leiſe lieblich, daß keine Ausflucht bliebe
Umzingeln ſie Dich, bald iſt' um Dich gethan.«
— Was will das Glück mit mir beginnen?
O Frühlingsnachtigall, ſingſt Du drein?
Schon dringt die ſehnende Lieb' auf mich ein,
Wie Mondglanz webt's um meine Sinnen. —
Wie bang' iſt mir's, gefangen mich zu geben,
Sie nah'n, die Schaaren der Wonne mit Heeres¬
macht!
Verloren, verträumt iſt das fliehende Leben,
Schon rüſtet ſich Lieb' und Glück zur Schlacht.
Der Kampf iſt begonnen,
Ich fühle die Wonnen
Durchſtrömen die Bruſt:
O, ſel'ge Gefilde,
Ich komme, wie milde
Erquickt und ermattet des Lebens Luſt.
Es winket vom Himmel
Der Freuden Gewimmel,
Und lagert ſich hier:
Im Boden, ich fühle
Der Freuden Gewühle,
Sie ſtreben und drängen entgegen mir
Der Quellen Getöne,
Der Blümelein Schöne,
Ihr lieblicher Blick,
Sie winken ſo eigen,
Ich deute das Schweigen:
Sie wünſchen mir alle zum Leben Glück. — —
Nun geht das Kind auf grünen Wegen
Den goldglänzenden Strahlen entgegen,
Im bangen Harren geht es weit,
Es klopft das Herz, es flieht die Zeit.
Es iſt, als wenn die Quellen ſchwiegen,
Ihm dünkt, als dunkle Schatten ſtiegen,
Und löſchten des Waldes grüne Flammen,
Es falten die Blumen den Putz zuſammen.
Die freundlichen Blüthen ſind nun fort,
Und Früchte ſtehn an ſelbigem Ort;
Die Nachtigall verſteckt die Geſänge im Wald'
Nur Echo durch die Einſamkeit ſchallt.
»Morgenröthe biſt Du nach Haus gegangen?
Ruft das Kind, und ſtreckt die Händ' und weint;
O komm', ich bin erlöſ't vom Bangen,
Du wollteſt mich mit goldnen Netzen fangen,
Du haſt es gewiß nicht böſe gemeint.
Ich will mich gerne drein ergeben,
Es kann und ſoll nicht anders ſeyn:
Ich opfre Dir mein junges Leben,
O, komm' zurück, Du Himmelsſchein!«
Aber hoch und höher ſteigt das Licht,
Und beſcheint das thränende Geſicht;
Die Nachtigall flieht waldwärts weiter,
Quell wird zum Fluß und immer breiter.
»Ach, und ich kann nicht hinüberfliegen!
Was mich erſt lockt, iſt nun ſo weit,
Der Morgenglanz, die Töne müſſen jenſeits liegen,
Ich ſtehe hier, und fühle nur mein Leid.«
— Die Nachtigall ſinget aus weiter Fern:
»Wir locken, damit Du lebeſt gern,
»Daß Du Dich nach uns ſehnſt, und immer matter
ſehnſt,
»Iſt, was Du thöricht Dein Leben wähnſt.« — — —
Ich wähle dieſes alte, kindlich redende
Lied zum Eingange dieſes dritten Buchs
meiner Geſchichte. Der unbekannte Verfaſ¬
ſer beweint in dieſen Worten ſeine weit ent¬
flohene Jugend, und ſeine Erinnerungen le¬
gen ſich als Töne und ſanfte Bilder vor
ihm hin, die auch mich wieder anſprechen,
und jeden, der dieſe Stelle lieſ't. — Wie
viele Zeit iſt indeß verfloſſen! Es mag kom¬
men, daß nach langer Zeit jemand, den ich
nicht kenne, dieſes Buch aufſchlägt, und
von dieſen Worten gerührt wird. Giebt es
denn nun, geliebter Leſer, nicht eine ewige
Jugend? Indem Du Dich der Vergangen¬
heit erinnerſt, iſt ſie nicht vergangen: Deine
Ahndung des Künftigen macht die Zukunft
zur Gegenwart, die Verwandelung der Na¬
tur außer Dir iſt nur ſcheinbar; wie flie¬
gende Wolken umhüllt die Wirklichkeit die
innere Sonne. Sonnenblicke wechſeln mit
Schatten; in ewiger Erneuerung giebt es
kein Alter.
Darum fahre ich in meiner Geſchichte
fort. Laß die vorige Zeit in Dein Gemüth
zurückkommen, und glaube, daß die Geiſter
der großen Künſtler, die damals lebten, Dich
umgeben und kennen, wie ich es glaube.
Dann wirſt Du an jenen Geſtalten Ergöz¬
zen finden, die ich Dir vorüberführe.
Franz Sternbald und ſein Freund Ru¬
dolf Floreſtan durchwanderten jetzt den El¬
ſaß. Es war die Zeit im Jahre, wenn der
Frühling in den Baumknospen ſchläft, und
die Vögel ihn in den unbelebten Zweigen
aufwecken wollen. Die Sonne ſchien blaß
und gleichſam blöde auf die warme, dam¬
pfende Erde hernieder, die das erſte neue
Gras aus ihrem Schooße gebahr. Stern¬
bald erinnerte ſich der Zeit, als er zuerſt
ſeine Pflegeältern verließ, um bei Albrecht
Dürer in Nürnberg zu lernen, gerade in
ſolchem Wetter hatte er ſein friedliches Dorf
verlaſſen. Sie gingen, indem Rudolf fröh¬
liche Geſchichten erzählte, durch die ſchöne
Gegend. Straßburg lag hinter ihnen, noch
ſahen ſie den erhabenen Münſter; in der
nächſten Stadt wollten ſie einen Mann er¬
warten, der auf der Rückreiſe von Italien
begriffen war.
In Straßburg hatte Franz ſeinem Se¬
baſtian folgenden Brief geſchrieben:
»Jetzt, lieber Sebaſtian, iſt mir ſehr
wohl, und Du wirſt Dich darüber freuen.
Meine Seele ergreift das Ferne und Nahe,
die Gegenwart und Vergangenheit mit glei¬
cher Liebe, und alle Empfindungen trage
ich ſorglich zu meiner Kunſt hinüber. War¬
um quäle ich mich ab, da ich mich doch am
Ende überzeugen muß, daß jeder nur das
leiſten wird, was er leiſten kann? Wie
kurz iſt das Leben, und warum wollen wir
es mit unſern Beängſtigungen noch mehr
verkürzen? Jeder Künſtlergeiſt muß ſich
ohne Druck und äußern Zwang, wie ein
edler Baum mit ſeinen mancherlei Zweigen
und Äſten ausbreiten; er ſtrebt von ſelbſt
durch eigne Kraft nach den Wolken zu, und
ohne ſeine Mitwirkung erzeugt ſich die er¬
habene Pflanze, ſey es Eiche, Buche oder
Cypreſſe, Myrthe oder Roſengeſträuch, je
nachdem der Keim beſchaffen war, aus dem
ſie zuerſt in die Höhe ſproßte. So muſicirt
jedes Vögelein ſeine eigenthümlichen Lieder.
Freilich will es unter ihnen auch je zuwei¬
len einer dem andern nach- und zuvorthun;
aber ſie verfehlen doch nie ſo ſehr ihren
Weg, wie es dem Menſchen nur gar zu oft
geſchieht.
So will ich mich denn der Zeit und mir
ſelber überlaſſen. Soll ein Künſtler, kann
ein edler Mahler aus mir werden, ſo ge¬
ſchieht es gewiß; mein Freund Rudolf
lacht täglich über meine unſchlüſſige Ängſt¬
lichkeit, die ſich auch nach und nach verliert.
Im reinen Sinne ſpiegeln ſich alle Empfin¬
dungen, und laſſen nachher eine Spur zu¬
rück, und ſelbſt was das Gemüth nicht auf¬
bewahrt, nährt heimlicherweiſe den Sinn
der Kunſt und iſt nicht verloren. Das trö¬
ſtet mich und hemmt die Beklemmungen,
die mich ſonſt nur gar zu oft überwältigten.
Auf eine faſt magiſche Weiſe, zauberiſch
oder himmliſch (deundenn ich weiß nicht, wie ich
es nennen ſoll) iſt meine Phantaſie mit dem
Engelsbilde angefüllt, von dem ich Dir
ſchon ſo oft geſprochen habe. Es iſt wun¬
derbar. Die Geſtalt, die Blicke, der Zug
des Mundes, alles ſteht deutlich vor mir
und doch wieder nicht deutlich, denn es
dämmert dann wie eine ungewiſſe, vorüber¬
ſchwebende Erſcheinung vor meiner Seele,
daß ich es feſthalten möchte, und Sinnen
und Erinnerung brünſtig ausſtrecke, um es
wirklich und wahrlich zu gewahren und zu mei¬
nem Eigenthum zu machen So iſt es mir
oft ſeitdem gegangen, wenn ich die Schönheit
einer Landſchaft ſo recht innigſt empfiudenempfinden
wollte, oder die Größe eines Gedankens,
oder den Glauben an Gott. Es kömmt und
geht; bald Dämmerung, bald Mondſchein,
nur auf Augenblicke wie helles Tageslicht.
Der Geiſt iſt in ewiger Arbeit, im raſtloſen
Streben, ſich aus den Ketten aufzurichten,
die ihn im Körper zu Boden halten.
O, mein Sebaſtian! wie wohl iſt mir,
und wie lieblich fühl' ich in mir die Re¬
gung der Lebenskraft und die heitere Ju¬
gend! Es iſt herrlich, was mir die Rhein¬
ufer, die Berge und die wunderbaren Krüm¬
mungen des Gewäſſers verkündigt haben.
Von dem großen Münſter will ich Dir ein
andermal reden, ich bin zu voll davon.
In Straßburg habe ich für einen rei¬
chen Mann eine heilige Familie gemahlt.
Es war das erſtemal, daß ich meinen Kräf¬
ten in allen Stunden vertraute, und mich
begeiſtert und doch ruhig fühlte. In der
Madonna habe ich geſucht die Geſtalt hin¬
zuzeichnen, die mein Inneres erleuchtet,
die geiſtige Flamme, bei der ich mich ſelbſt
ſehe, und alles, was in mir iſt, und durch
die alles von dem lieblichen Wiederſcheine ver¬
ſchönt und ſtrahlend iſt. Es war beim Mah¬
len unaufhörlich derſelbe Kampf zwiſchen
Deutlichkeit und Ungewißheit in mir, und
darüber iſt es mir vielleicht nur gelungen.
Die Geſtalten, die wir wahrhaft anſchauen,
ſind eben dadurch in uns ſchon zu irrdiſch
und wirklich, ſie tragen zu viele Merkmale
an ſich, und vergegenwärtigen ſich darum
zu körperlich. Geht man aber im Gegen¬
theil auf's Erfinden aus, ſo bleiben die Ge¬
bilde gewöhnlich luftig und allgemein, und
wagen ſich nicht aus ihrer ungewiſſen Ferne
heraus. Es kann ſeyn, daß dieſe meine Ge¬
liebte (denn warum ſoll ich ſie nicht ſo nen¬
nen?) ſo das Ideal iſt, nach dem die gro¬
ßen Meiſter geſtrebt haben, und von dem
in der Kunſt ſo viel die Rede iſt. Ja, ich
ſage ſogar, Sebaſtian, daß ſie es ſeyn muß,
und daß dieſe Unbekanntſchaft, dies Fern¬
ſeyn von ihr, dies Streben meines Geiſtes,
ſie gegenwärtig zu machen und zu beſitzen,
meine Begeiſterung war, als ich das Bild
mahlte. Darum gab ich es auch ſo ungern
aus meinen Händen, und ſeitdem iſt meine
Phantaſie noch ungewiſſer; denn manchmal
ſteht nur die gemahlte Madonna vor mei¬
nen Augen, und ich denke dann, genau ſo
müſſe die Unbekannte geſtaltet ſeyn. Wenn
ich ſie einſt finden ſollte, würde dann viel¬
leicht mein Künſtlertalent ſeine Endſchaft
erreicht haben? — Nein, ich will es nicht
glauben.
Feſten Muths wie ein Eroberer will ich
in das Gebiet der Kunſt vorrücken; ich fühle
es ja, wie mein Herz für das Edle und
Schöne entzückt iſt, es iſt alſo mein Gebiet,
mein Eigenthum, ich darf darin ſchalten
und mich einheimiſch fühlen.
Wirf mir nicht Stolz vor, Sebaſtian;
denn
denn Du thäteſt mir Unrecht. Ich bin und
bleibe, wie ich war. Der Himmel ſchenke
Dir Geſundheit.«
Nach einigen Tagen waren die Wälder,
Felder und Berge grün geworden und die
Obſtbäume blühten, der Himmel war heiter
und blau, ſanfte Frühlingslüfte ſpielten zum
erſtenmal durch den Sonnenſchein und über
die fröhliche Natur hin. Sternbald und
Rudolf waren entzückt, als ſie von einem
Hügel hinab in die überſchwengliche Pracht
hineinſchauten. Das Herz ward ihnen groß,
und ſie fühlten ſich beide neugeboren, von
Himmel und Erde mit Liebe magnetiſch an¬
gezogen.
O, mein Freund! rief Sternbald aus,
wie liebreizend hat ſich der Frühling ſo
plötzlich aufgeſchloſſen! Wie ein melodiſcher
(2r Th.) B
Geſang, wie angeſchlagene Harfenſaiten ſind
dieſe Blüthen, dieſe Blätter herausgequol¬
len, und ſtrecken ſich nun der liebkoſenden,
warmen Luft entgegen. Der Winter iſt fort,
wie eine Verfinſterung, die ein Sonnenblick
von der Natur hinweggehoben. Sieh, al¬
les keimt und ſproßt und blüht, die klein¬
ſten Blumen, unbemerkte Kräuter drängen
ſich hinzu; alle Vögel ſingen und jauchzen
und flattern umher, in fröhlicher Ungeduld
iſt die ganze Schöpfung in Bewegung, und
wir ſitzen hier als Kinder, und fühlen uns
dem großen Herzen der mütterlichen Natur
am nächſten.
Rudolf nahm ſeine Flöte, und blies ein
luſtiges Lied. Es ſchallte fröhlich den Berg
hinunter, und Lämmer im Thal fingen an
zu tanzen.
Wenn nur der Frühling nicht ſo ſchnell
vorüberginge! ſagte Rudolf; er iſt eine
Morgenbegeiſterung, die die Natur ſelbſt
nicht lange aushält.
Oder daß es uns nur gegeben wäre,
ſagte Sternbald, dieſe Fülle, dieſe Allmacht
der Lieblichkeit in uns zu ſaugen, und im
hellſten Bewußtſeyn dieſe Schätze aufzuſpa¬
ren. Ich wünſche nichts mehr, als daß ich
in Tönen und Geſängen den übrigen Men¬
ſchen dieſe Gefühle geben könnte; daß ich
unter Muſik und Frühlingswehen dichtete,
und die höchſten Lieder ſänge, die der Geiſt
des Menſchen bisher noch ausgeſtrömt hat:
Ich fühle es jedesmal, wie Muſik die Seele
erhebt, und die jauchzenden Klänge wie En¬
gel mit himmliſcher Unſchuld alle irrdiſchen
Begierden und Wünſche fern abhalten.
Wenn man ein Fegfeuer glauben will, wo
die Seele durch Schmerzen geläutert und
gereinigt wird, ſo iſt im Gegentheil die
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Muſik ein Vorhimmel, wo dieſe Läuterung
durch wehmüthige Wonne geſchieht. Das
iſt, ſagte Rudolf, wie Du die Mu¬
ſik empfindeſt; aber gewiß werden we¬
nige Menſchen darin mit Dir überein¬
ſtimmen.
Davon kann ich mich nicht überzeugen,
rief Franz aus. Nein, Rudolf, ſieh' alle
lebendige Weſen, wie die Töne der Harfe,
der Flöte, und jedes angeſchlagenen Inſtru¬
ments ſie ernſt machen: ſelbſt die Geſänge,
die den Fuß mit lebendiger Kraft zum Tanz
ermuntern, gießen eine ſchmachtende Sehn¬
ſucht, eine unbekannte Wehmuth in das
Gemüth. Der Jüngling und das Mädchen
miſcht ſich dann in den Reigen; aber ſie ſu¬
chen mit den Gedanken jenſeit dem Tanze
einen andern, geiſtigern Genuß.
O, über die Einbildungen! ſagte Ru¬
dolf lachend; eine augenblickliche Stimmung
in Dir trägſt Du in die übrigen Menſchen
hinüber. Wer denkt beim Tanze etwas an¬
ders, als daß er den Reigen durchführt,
daß er ſich im hüpfenden Schwarm auf eine
lebendige Art ergötzt, und in dieſem fröhli¬
chen Augenblick Vergangenheit und Zukunft
durchaus vergißt. Der Tänzer ſieht nach
dem blühenden Mädchen, ſie nach ihm;
ihre Augen begegnen ſich glänzend, und
wenn ſie eine Sehnſucht empfinden, ſo iſt
es gewiß eine ganz andre, als Du geſchil¬
dert haſt.
Du biſt zu leichtſinnig, antwortete Franz,
es iſt nicht das erſtemal, daß ich es bemerke,
wie Du Dir vorſätzlich das ſchönere Gefühl
abläugneſt, um einer ſinnlichern Schwär¬
merei nachzuhängen.
Nur nicht wieder dieſe grellen Unterſchie¬
de! rief Rudolf aus; denn das iſt der ewige
Punkt unſres Streites.
Aber ich verſtehe Dich nicht.
Mag ſeyn! ſchloß Floreſtan, das Ge¬
ſpräch darüber iſt mir jetzt zu umſtändlich;
wir reden wohl ein andermal davon.
Franz war ein wenig auf ſeinen Freund
erzürnt; denn es war nicht das erſtemal,
daß ſie ſo mit einander ſtritten. Floreſtan
betrachtete alle Gegenſtände leichter und
ſinnlicher; er war oft dieſelbe Empfindung,
die Franz nur mit andern Worten ausdrück¬
te; es fügte ſich wohl, daß Sternbald nach
einiger Zeit denſelben Gedanken äußerte,
oft kam auch Rudolf ſpäter zu dem Gefühl,
dem er kurz vorher an ſeinem Freunde wi¬
derſprochen hatte. Wenn die Menſchen Mei¬
nungen wechſeln, ſo entſteht nur gar zu oft
ein blindes Spiel des Zufalls daraus, aus
dem Wunſche, ſich mitzutheilen, entſteht die
Sucht zu ſtreiten, und wir widerſprechen
oft, ſtatt uns zu bemühen, die Worte des
andern zu verſtehen.
Nachdem Franz eine Weile geſchwiegen
hatte, fuhr er fort: O, mein Floreſtan,
was ich mir wünſche, in meinem eigenthüm¬
lichen Handwerke das auszudrücken, was
mir jetzt Geiſt und Herz bewegt, dieſe Fülle
der Anmuth, dieſe ruhige, ſcherzende Hei¬
terkeit, die mich umgiebt. Mahlen möchte
ich es, wie in dem Luftraume ſich edle Gei¬
ſter bewegen, und durch den Frühling ſchrei¬
ten, ſo daß aus dem Bilde ein ewiger Früh¬
ling mit unverwelklichen Blüten prangte,
der jedem Auge auch nach meinem Tode neu
aufginge und den frenndlichenfreundlichen Willkommen
entgegenbrächte. Meinſt du uichtnicht, daß es
dem großen Künſtler möglich ſey, in einem
Hiſtoriengemählde, oder auch auf andre
Weiſe einem fremden Herzen das deutlich
hinzugeben, was wir jetzt empfinden?
Ich glaube es wohl, antwortete Flo¬
reſtan, und vielleicht gelingt es manchem,
ohne daß er es ſich gerade vorſetzt. Geh'
nach Rom, mein Freund, und dieſer ewige
Frühling, nach dem Du Dich ſehnſt, blüht
dort in dem Hauſe des Agoſtins Ghigi. Der
göttliche Rafael hat ihn dort hingezaubert,
und man nennt dieſe Bilder gewöhnlich die
Geſchichte des Amor und der Pſyche. Dieſe
Luftgeſtalten ſchweben dort, vom blauen
Aether umgeben, und bedeutungsvoll von
großen friſchen Blumenkränzen ſtatt der
Rahmen eingeſchränkt und abgeſondert. —
Wenn Du dieſe Bildungen mit dem Auge
durchwanderſt, ſo wird es Dir vielleicht ſo
ſeyn, wie mir immer bei ihrer Betrachtung
geweſen iſt. Die Geſchichte ſelbſt iſt ſo lieb¬
lich und zart, ein Bild der ewigen JngendJugend,
von dem Jünglingsgeiſte, dem prophetiſchen
Sanzius, in ſeiner ſchönen Entzückung hin¬
gemahlt, die Verkündigung der Liebe und
der Blumenſchönheit, des erhabenen Reizes.
Alles iſt, um mich ſo auszudrücken, eine
poetiſche Offenbarung über die Natur der
Lieblichkeit, und ſie iſt dem Menſchenherzen
vertraulich nahe gerückt. Wie wenn der
Frühling in ſeiner höchſten Blüthe ſteht, ſo
ſchließt die Geſchichte in dieſen Bildern mit
der hohen Pracht der Götterverſammlung,
wo im ſchönſten Leben alle einzelnen Ge¬
ſtalten vereinigt ſind, und die Seligkeit des
Olympus den ſterblichen Augen enthüllen.
Gedulde Dich, mein Franz, bis Du in
Rom biſt.
Ach, Rafael! ſagte Franz Sternbald,
wie viel hab' ich nun ſchon von Dir reden
hören; wenn ich Dich doch noch im Leben
anträfe!
Ich will Dir noch ein Lied vom
Frühlinge ſingen, ſagte Rudolf.
Sie ſtanden beide auf, und Floreſtan
ſang. Er präludirte auf ſeiner Flöte, und
zwiſchen jeder Strofe ſpielte er einige Töne,
die ſich wunderbar zum Liede paßten, und
es dem Hörer gleichſam erläuterten.
Vöglein kommen hergezogen,
Setzen ſich auf dürre Äſte: —
»Weit, ach weit ſind wir geflogen,
Angelockt vom Frühlingsreste.«
Alſo klagen ſie, die Kleinen:
»Schmetterlinge ſchwärmen ſchon,
Bienen ſumſen ihren Ton,
Suchen Honig, finden keinen.
Frühling! Frühling! komm' hervor!
Höre doch auf unſre Lieder,
Gieb uns unſre Blätter wieder,
Horch, wir ſingen Dir in's Ohr.
Kommt noch nicht das grüne Laub?
Laß die kleinen Blätter ſpielen,
Daß ſie warme Sonne fühlen,
Keines wird dem Froſt zu Raub.«
»Was ſingt ſo lieblich leiſe?
Spricht drauf die Frühlingswelt:
Es iſt die alte Weiſe,
Sie kommen von der Reiſe,
Keine Furcht mich rückwärts hält.«
Auf thun ſich grüne Äugelein,
Die Knospen ſich erſchließen
Die Vögelein zu grüßen,
Zu koſten den Sonnenſchein.
Durch alle Bäume geht der Waldgeiſt
Und ſumſt: Auf, Kinder der Frühling iſt da:
Storch, Schwalbe, die ich ſchon oftmals ſah‚
Auch Lerch' und Grasmückt' iſt hergereif't.
Streckt ihnen die grünen Arm entgegen,
Laßt ſie wohnen wie immer im ſchattigen Zelt,
Daß ſie von Zweig zu Zweig ſich regen,
Und jubeln und ſingen in friſcher Welt.
Nun regt ſich's und rauſcht in allen Zweigen,
Alle Quellen mit neuem Leben ſpielen,
In den Äſten Luſt und Kraft und Wühlen,
Jeder Baum will ſich vor dem andern zeigen.
Nun rauſcht's und alle ſtehn in grüner Pracht,
Die Abendwolken über Wäldern ziehn,
Und ſchöner durch die Wipfel glühn,
Der grüne Hain von goldnem Feuer angefacht.
Gebiert das Thal die Blumen an das Licht
Die die holde Liebe der Welt verkünden,
Es lächelt und winkt in ſtillen Gründen
Des ſanften Veilchens Angeſicht,
Das ſinnige Vergißmeinnicht.
Sie ſind die Winke, die ſüßen Blicke,
Die dem Geliebten das Mädchen reicht,
Vorboten vom zukünft'gen Glücke,
Ein Auge, das ſchmachtend entgegen neigt.
Sie bücken ſich mit ſchalkhaftem Sinn
Und grüßen, wer vorübergeht,
Wer ihren ſanften Blick verſchmäht
Dem reichen ſie die weißen Finger hin.
Doch nun erſcheint des Frühlings Frühlingszeit,
Wenn Liebe Gegenliebe findet
Und ſich zu einer Lieb' entzündet,
Dann glänzt die Pracht der Blumen hell und weit.
Die Roſen nun am Stock in's Leben kommen,
Und brechen hervor mit liebreizendem Prangen,
Die ſüße Röthe iſt aufgeglommen
Daß ſie vereinter Schmuck dicht an einander hangen.
Dann iſt des Frühlings Frühlingszeit,
Mit Küſſen, mit Liebesküſſen der Buſch beſtreut,
Roſe, ſüße Blüthe, der Blumen Blum',
Der Kuß iſt auf Deinen Lippen gemahlt,
O Roſ', auf Deinem Munde ſtrahlt
Der küſſenden Lieb' Andacht und Heiligthum.
Höher kann das Jahr ſich nicht erſchwingen,
Schöner als Roſe der Frühling nichts bringen,
Nun läßt Nacht'gall Sehnſuchtslieder klingen
Bei Tage ſingt das ganze Vögelchor,
Bei Nacht ſchwillt ihr Geſang hervor.
Und wenn Roſe, ſüß' Roſe die Blätter neigt,
Dem Sommer wohl das Vögelchor weicht,
Nachtigall mit allen Tönen ſchweigt.
Die Küſſe ſind im Thal verblüht,
Dichtkunſt nicht mehr durch Zweige zieht¬.
Zweites Kapitel.
Noch im Felde begegnete ihnen der Mann,
den ſie in der nächſten Stadt hatten auf¬
ſuchen wollen; ſie fingen zufälligerweiſe ein
Geſpräch an, und erkannten ſich dadurch.
Der Mann nannte ſich Bolz, und war ein
Bildhauer, der jetzt nach Nürnberg, ſeinem
Wohnorte, reiſ’te. Er kam aus Italien zu¬
rück, und hatte einen Gefährten bei ſich,
der wie ein Mönch gekleidet war.
Franz war erfreut, wieder jemand vor
ſich zu ſehn, der bald ſeine liebe Vaterſtadt
erblicken, der ſeinen Dürer ſprechen ſollte;
er ging daher dem Fremden mit aufrichti¬
ger Freude und Freundſchaft entgegen. Bolz
und der Mönch ſchienen auf Sternbald nicht
ſonderliche Rückſicht zu nehmen.
Man unterhielt ſich von der Kunſt,
und Franz fragte begierig: was macht der
edle Rafael von Urbin? Habt Ihr ihn
noch geſehn?
Der Mönch nahm das Wort. Nein, ſagte
er, leider hat dieſe ſchönſte Zier der edlen
Mahlerkunſt die Erde verlaſſen; er iſt im
vorigen Jahre geſtorben. Mit ihm iſt viel¬
leicht die Kunſt aus Italien entwichen.
Wie Ihr da ſprecht! rief der Bildhauer
Bolz, und was wäre dann der unſterbliche
Michel Angelo, der die höchſte Höhe der
Kunſt erreicht hat, die Rafael niemals ge¬
kannt hat? Der uns gezeigt hat, was er¬
habener Reiz ſey, und die Ideale der Alten
mit dem genauen Studium der wirklichen
Natur verbunden? Dieſer lebt noch, mein
junger Freund, und er ſteht lächelnd am
Ziele der Sculptur und Mahlerei, als ein
hoher Genius, der jedem Schüler ſein Stre¬
ben andeutet und erleichtert.
So iſt mir dieſer Wunſch meines Her¬
zens verſagt? ſagte Franz, den Mann zu
ſehn, der ein Freund meines Dürer war,
den Dürer ſo bewunderte?
Nun freilich, rief Bolz aus, der alte
gutherzige Dürer hat ihn auch wohl be¬
wundern dürfen, und für ihn iſt freilich
Rafael noch viel zu gut. Er iſt aber auch
nicht im Stande, etwas von Agnolo's Größe
zu verſtehn, wenn er ein Kunſtwerk von die¬
ſem erhalten ſollte.
Erlaubt, ſagte Floreſtan, ich bin kein
Kenner der Kunſt; aber doch habe ich von
Tauſenden gehört, daß Rafael das Kleinod
dieſer Erde zu nennen ſey, und wahrlich!
wenn ich meinen Augen und meinem Ge¬
fühle trauen darf, ſo leuchtet eine erhabene
Göttlichkeit aus ſeinen Werken.
Und wie Ihr alle von Dürer ſprecht! ſagte
Franz, wahrlich! er weiß wohl das Eigne
und Große an fremden Werken zu ſchätzen,
wie
wie könnte er ſonſt ſelber ein ſo großer
Künſtler ſeyn! Ihr liebt Euer deutſches
Vaterland wenig, wenn Ihr von ſeinem er¬
ſten Künſtler geringe denkt.
Erzürnt Euch nicht, ſagte der Mönch;
denn es iſt ſeine rauhe, wilde Art, daß er
alles übertreibt. Ihm dünkt nur das Große,
Gigantiſche ſchön, und der Sinn für alles
übrige ſcheint ihm verſagt.
Nun, was iſt es denn auch mit Deutſch¬
land und mit unſrer einheimiſchen Kunſt?
rief Bolz ergrimmt aus. Wie armſelig und
handwerksmäßig wird ſie ausgeübt und ge¬
ſchätzt! Noch kein wahrer Künſtlergeiſt hat
dieſen unfruchtbaren deutſchen Boden, die¬
ſen trüben Himmel beſucht. Was ſoll auch
die Kunſt hier? Unter dieſen kalten gefühl¬
loſen Menſchen, die ſie in dürftiger Häus¬
lichkeit kaum als Zierrath achten? Darum
ſtrebt auch keiner von den ſogenannten
(2r TH.) C
Künſtlern, das Höchſte und Vollkommenſte
zu erreichen, ſondern ſie begnügen ſich, der
kalten dürftigen Natur nahe zu kommen, ihr
hin und wieder einen Zug außer dem Zu¬
ſammenhange abzulauſchen, und glauben
dann, wenn ſie ihr Machwerk in kahler
Unbedeutſamkeit ſtehen laſſen, was Rechtes
gethan zu haben. So iſt Euer geprieſe¬
ner Albert Dürer, Euer Lukas von Leyden,
Schoorel, obgleich er in Italien geweſen
iſt, ja kaum der Schweizer Holbein ver¬
dient zu den Mahlern gezählt zu werden.
Ihr kennt ſie nicht, rief Franz unwillig
aus, oder verkennt ſie mit Vorſatz. Soll
denn ein Mann allein die Kunſt und alle
Trefflichkeit, erſchöpft und beendigt haben,
ſo daß mit ihm, nach ihm kein andrer nach
dem Kranze greifen darf? Wie beengt und
klein müßte dann das himmliſche Gebiet
ſeyn, wenn es ein einziger Geiſt durch¬
ſchwärmte, und wie ein Herkules an den
Gränzen ſeine Säulen ſetzte, um der Nach¬
welt zu ſagen, wie weit ſie gehen könne.
Mir ſcheint es Barbarei und Hartherzig¬
keit, Entwürdigung des Künſtlers ſelbſt,
den ich vergöttern möchte, wenn ich ihm
ausſchließlich alle Kunſt beilegen will. Bis¬
her ſcheint mir Dürer der erſte Mahler der
Welt; aber ich kann es mir vorſtellen, und
er hat es ſelbſt oft genug geſagt, wie viele
Herrlichkeiten es außerdem noch giebt. Mi¬
chael Angelo iſt wenig, wenn es nicht mög¬
lich ſeyn darf, daß es auch jenſeit ſeinem
Wege Größe und Erhabenheit giebt.
Kommt nur nach Italien, ſagte Bolz,
und Ihr werdet anders ſprechen.
Nein, Auguſtin, fiel ihm der Mönch
ein. So reich die Kunſtwelt dort ſeyn mag,
ſo wird dieſer junge Mann doch nachher
ſchwerlich anders ſprechen. Ihr gefallt Euch
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in Euren Übertreibungen, in Eurer erzwun¬
genen Einſeitigkeit, und glaubt, daß es
keinen Enthuſiasmus ohne Verfolgungsgeiſt
geben könne. Sternbald wird gewiß auch
in Rom und Florenz ſeinem Dürer getreu
bleiben, und er wird gewiß Angelo's Erha¬
benheit und Rafael's reizende Schöne mit
gleicher Liebe umfaſſen.
Und das ſoll er, das muß er! rief Ru¬
dolf hier mit einem Ungeſtüm aus, den
man ſonſt nicht an ihm ſah. Ihr, mein
ungeſtümer Bruder Auguſtin, oder wie Ihr
Euch nennt, habt wenig Ehre davon, daß
Ihr ſolche Geſinnungen und Redensarten
aus dem lieblichen Italien mit Euch bringt;
nach Norden, nach den Eisländern hättet
Ihr reiſen müſſen. Ihr ſprecht von deut¬
ſcher Barbarei, und fühlt nicht, daß Ihr
ſelbſt der größte Barbar ſeyd. Was habt
Ihr in Italien gemacht, und wo hat Euch
das Herz geſeſſen, als Ihr im Vatikan vor
Rafael's Unſterblichkeit ſtandet?
Alle mußten über den Ungeſtüm des
Jünglings lachen, und er ſelbſt lachte von
Herzen mit, obgleich ihm eine Thräne im
Auge ſtand, die ihm ſeine begeiſterte Rede
hervorgebracht hatte. Ich bin ein Römer,
ſagte er dann, und ich geſtehe, daß ich Rom
unausſprechlich liebe; Rafael iſt es beſon¬
ders, der Rom ausgeſchmückt hat, und ſeine
hauptſächlichſten Gemählde befinden ſich dort.
Vergebt mir, und ſagt nun, was Ihr wollt;
ich werde Euch gewiß nicht noch einmal ſo
heftig widerſprechen.
So iſt denn dieſer Rafael geſtorben!
fing Franz von neuem an, indem ſie wieder
friedlich über das Feld gingen. Wie alt iſt
er denn geworden?
Gerade neun und dreißig Jahre, ſagte
der Mönch. Am Charfreitage, an dieſem
heiligen Tage iſt er gebohren, und an die¬
ſem merkwürdigen Geburtstage iſt er auch
wieder von der Erde hinweggegangen. Er
war und blieb ſein Lebelang ein Jüngling,
und aus allen ſeinen Werken ſpricht ein
milder, kindlicher Geiſt. Sein letztes großes
Gemählde war die Transfiguration, Chriſti
Verklärung, worin er ſich ſeine eigne Apo¬
theoſe gemahlt hat. Oben die Herrlichkeit
des Erlöſers, allgemeine Liebe in ſeinen
Blicken, unter ihm der Glaube der Apoſtel,
umgeben von dem übrigen Menſchenleben,
mit allem Elende, das darin einheimiſch iſt,
Unglückliche, die dem Erlöſer zur Heilung
gebracht werden, und Zweifel, Hoffnung
und Zutrauen in den Umſtehenden. Ra¬
fael's Sarg ſtand in der Mahlerſtube, und
ſein letztes vollendetes Gemählde daneben,
ſeine eigne Verklärung. Der Finger ruhte
nun auf immer, der dieſe Bilder in Leben
und Bewegung gezaubert hat; die bunte
freundliche Welt, die aus ihm hervorgegan¬
gen war, ſtand nun neben der blaſſen Lei¬
che. Ganz Rom war in Bewegung, und
keiner von denen, die es ſahen, konnte ſich
der Thränen enthalten.
Nein, rief Franz aus, wer wollte ſich
der Thränen bei ſolchem Anblick enthalten?
Was können wir denn den großen Kunſt¬
geiſtern zum Dank anders widmen, als un¬
ſer volles, entzücktes Herz, unſre andächtige
Verehrung? Für dieſe unbefangene, kind¬
liche Rührung, für dieſe völlige Hingebung
unſres eigenthümlichen Selbſts, für dieſen
vollen Glauben an ihre edle Trefflichkeit
haben ſie gearbeitet; dies iſt ihr größter und
ihr einziger Lohn. Kommen mir doch jetzt
die Thränen in die Augen, wenn ich mir
den Abgeſchiedenen da liegen denke, unter
ſeinen Gemählden, ſeine letzte Schöpfung
dicht neben ihm, die ſo kürzlich noch ſein
Kunſtgeiſt belebte und bewegte. O, man
ſollte denken, alle jene lebendigen Geſtalten
hätten ſich verändern, und nur Schmerz
und Verzweiflung über den entflohenen Ra¬
fael äußern müſſen.
Der Bildhauer ſagte: Nun, gewiß,
Ihr habt eine lebhafte Imagination; am
Ende meint Ihr gar, ſein gemahlter Chri¬
ſtus hätte ihn wieder vom Tode erwecken
können!
Und iſt denn Rafael geſtorben? rief
Sternbald in ſeiner Begeiſterung aus. Wird
Albrecht Dürer jemals ſterben? Nein, kein
großer Künſtler verläßt uns ganz; er kann
es nicht, ſein Geiſt, ſeine Kunſt bleibt freund¬
lich unter uns wohnen. Der Nahme der
Feldherren wird auch vom ſpäten Enkel
noch genannt; aber größern Triumph ge¬
nießt der Künſtler. Rafael ruht neben ſei¬
nen Kunſtwerken glänzender, als der Sie¬
ger in ſeinen ehernen Grabmählern; denn
er läßt die Bewegungen ſeines edlen Her¬
zens, die großen Gedanken, die ihn begei¬
ſterten, in ſichtbaren Bildungen, in liebli¬
chen Klängen unter uns zurück, und jede
Geſtalt bietet ſchon jetzt dem noch ungebohr¬
nen Enkel die Hand, um ihm zu bewill¬
kommen; jedes Gemählde drückt den entzück¬
ten Beſchauer an das Herz Rafaels, und
er fühlt, wie ihn der Geiſt des Mahlers
liebevoll umfängt und erwärmt, er glaubt
den Athem wehen zu hören, die Stimme
des Grußes zu vernehmen, und iſt durch
dieſe Stunde für ſeine ganze Lebenszeit
geſtärkt.
Bolz ſagte: Ihr werdet Euer Lebelang
kein großer Mahler werden; Ihr erhitzt
Euch über alles ohne Noth, und das wird
Euch gerade von der Kunſt abführen.
Darin mögt Ihr nicht ganz Unrecht
haben, ſagte der Mönch. Ich kenne in
Italien einen alten Mann, der mir einmal
ſeine Geſchichte erzählte, die mir ſehr merk¬
würdig dünkte. Aus dem Ganzen erhellte,
beſonders nach der Meinung jenes Man¬
nes, daß die Kunſt einen ruhigen Geiſt
fordre.
Das iſt wohl ausgemacht, fuhr Rudolf
fort; aber warum muß Euch ein alter
Mann, den wir alle nicht kennen, gerade
auf dieſen Gedanken bringen, der doch ſo
natürlich iſt?
Er fiel mir nur dabei ein, ſagte der
Mönch, weil ſeine Geſchichte recht ſehr ſon¬
derbar iſt, und weil der junge Mahler
dort ihm auf eine wunderbare Weiſe ähn¬
lich ſieht, ſo daß ich an jenen Alten denke,
ſeitdem wir mit einander gegangen ſind.
Könnt Ihr uns nicht ſeine Geſchichte
erzählen? fragte Franz.
Der Mönch wollte eben anfangen, als
ſie Jagdhörner und Hundegebell hörten.
Ein Trupp Reuter jagte bei ihnen vorüber,
und in den benachbarten Wald hinein. Die
Berge gaben die Töne zurück, und ein ſchö¬
nes muſikaliſches Gewirr lärmte durch die
einſame Gegend.
Bolz ſtand ſtill, und ſagte: Laßt um
des Himmels Willen Eure langweiligen Er¬
zählungen; freut Euch doch an dieſem Kon¬
zerte, das, nach meinem Gefühl, jede Bruſt
erregen müßte! Ich kenne nichts Schöneres,
als Jagdmuſik, den Hörnerklang, den Wie¬
derhall im Walde, das wiederholte Gebell
der Hunde, und das hetzende Hallo der Jä¬
ger. Als ich jetzt Italien verließ, gelang es
mir, bei Gelegenheit einer Jagd einem über¬
aus reizenden Mädchen das Leben zu ret¬
ten. Das, Herr Mahler, war eine Scene,
die der Darſtellung würdig war! Der grü¬
ne dunkelſchattige Wald, das Getümmel
der Jagd, ein blondes geängſtigtes Mäd¬
chen, die, vor Schreck halb ohnmächtig,
einen Baum hinanklettern will, der Buſen
halb frei, die langen Haare aufgelöſ't, Fuß
und Bein von der Stellung entblößt, ein
Mann, der ihr Hülfe leiſtet. — Ich habe
nie wieder ſo etwas Reizendes geſehn, und
unter allen Menſchen hat mir dies Mäd¬
chen den Abſchied aus Italien am meiſten
erſchwert.
Franz dachte unwillkührlich an ſeine
Unbekannte, und der Mönch ſagte: Ich
kann den Gegenſtand ſo beſonders mahle¬
riſch nicht finden; er iſt alltäglich und be¬
deutungslos.
Nachdem ihn der Mahler nehmen dürf¬
te, fiel Franz ein; vielleicht iſt kein einziger
Gegenſtand ohne Intereſſe.
Ihr könntet nun wohl Euer Gezänk
abbrechen, ſagte Rudolf; denn Ihr werdet
nie über irgend etwas einig werden.
Sie waren einen Berg hinangeſtiegen,
und ſtanden nun ermüdet ſtill. Indem ſie
ſich an der Ausſicht ergötzten, rief Franz
aus: mich dünkt, ich ſehe noch ganz in der
Ferne den Münſter!
Sie ſahen alle hin, und ein jeglicher
glaubte, ihn zu entdecken. Der Münſter,
ſagte Bolz, iſt noch ein Werk, das den
Deutſchen Ehre macht!
Das aber doch gar nicht zu Euren Be¬
griffen vom Idealiſchen und Erhabenen
paßt, antwortete Franz.
Was gehen mich meine Begriffe an?
ſagte der Bildhauer; ich knie in Gedanken
vor dem Geiſte nieder, der dieſen allmäch¬
tigen Bau entwarf und ausführte. Wahr¬
lich! es war ein ungemeiner Geiſt, der es
wagte, dieſen Baum mit Äſten, Zweigen
und Blättern ſo hinzuſtellen, immer höher
den Wolken mit ſeinen Felsmaſſen entgegen
zu gehn, und ein Werk hinzuzaubern, das
gleichſam ein Bild der Unendlichkeit iſt.
Sternbald ſagte: Ich ärgere mich jetzt
nicht mehr, wenn ich von dieſem Rieſenge¬
bäude verächtlich ſprechen höre, wie es mir
ehemals wohl begegnete, da ich es nur noch
aus Zeichnungen kannte. Führt jeden Tad¬
ler, jeden, der von griechiſcher und römi¬
ſcher Baukunſt ſpricht, nach Straßburg. Da
ſteht er in voller Herrlichkeit, iſt fertig, iſt
da, und bedarf keiner Vertheidigung in
Worten und auf dem Papiere; er verſchmäht
das Zeichnen mit Linien und Bögen, und
all' den Wirrwarr von Geſchmack und edler
Einfachheit. Das Erhabene dieſer Größe
kann keine andre Erhabenheit darſtellen;
die Vollendung der Symmetrie, die kühnſte
allegoriſche Dichtung des menſchlichen Gei¬
ſtes, dieſe Ausdehnung nach allen Seiten,
und über ſich in den Himmel hinein; das
Endloſe und doch in ſich ſelbſt Geordnete;
die Nothwendigkeit des Gegenüberſtehenden,
welches die andre Hälfte erläutert und fertig
macht, ſo daß eins immer um des andern
willen, und alles um die gothiſche Größe
und Herrlichkeit auszudrücken, da iſt. Es
iſt kein Baum, kein Wald; nein, dieſe all¬
mächtigen, unendlich wiederholten Stein¬
maſſen drücken etwas Erhabeneres, ungleich
Idealiſcheres aus. Es iſt der Geiſt des
Menſchen ſelbſt, ſeine Mannigfaltigkeit zur
ſichtbaren Einheit verbunden, ſein kühnes
Rieſenſtreben nach dem Himmel, ſeine ko¬
loſſale Dauer und Unbegreiflichkeit: den
Geiſt Erwins ſelbſt ſeh' ich in einer furcht¬
bar ſinnlichen Anſchauung vor mir ſtehen.
Es iſt zum Entſetzen, daß der Menſch aus
den Felſen und Abgründen ſich einzeln die
Steine hervorholt, und nicht raſtet und
ruht, bis er dieſen ungeheuren Springbrun¬
nen von lauter Felſenmaſſen hingeſtellt hat,
der ſich ewig, ewig ergießt, und wie mit
der Stimme des Donners Anbetung vor
Erwin, vor uns ſelbſt in unſre ſterblichen
Gebeine hineinpredigt. Und nun klimmt
unbemerkt und unkenntlich ein Weſen, gleich
dem Baumeiſter, oben wie ein Wurm, an
den Zinnen umher, und immer höher und
höher, bis ihn der letzte Schwindel wieder
zur flachen, ſichern Erde hinunternöthigt, —
wer da noch demonſtriren, und Erwin und
das barbariſche Zeitalter bedauern kann, —
o wahrhaftig, der begeht, ein armer Sün¬
der, die Verläugnung Petri an der Herr¬
lichkeit des göttlichen Ebenbildes.
Hier gab der Bildhauer dem Mahler
die Hand, und ſagte: ſo hör' ich Euch gern.
Aber
Aber wir müſſen uns trennen, fuhr er
fort; hier an dieſem Scheidewege geht un¬
ſre Straße aus einander. Ihr kommt jetzt,
junger Freund, nach Italien, indem es viel¬
leicht ſeine glänzendſte Epoche feiert. Ihr
werdet viele große und verdiente Männer
antreffen, und was an ihnen das Schönſte
iſt, erkennen. Die meiſten arbeiten in der
Stille. Vielleicht kommt bald, oder irgend
einmal die Zeit, wo man viel Aufhebens
von der Kunſt macht, viel davon ſpricht
und ſchreibt, Schulen errichtet, und alles
in's Geleiſe und gehörige Ordnung bringen
will, und dann iſt es wahrſcheinlich mit
der Kunſt ſelbſt zu Ende. Jetzt thut ein
jeder, was er vermag, und nach ſeiner
beſten Überzeugung; aber ich fürchte, bald
ſtehen die falſchen Propheten auf, die eine
erzwungene Ehrfurcht erheucheln. Jetzt
ſchätzt man die Kunſt und ihre Künſtler
(2r Th.) D
wirklich; dann entſteht vielleicht der After¬
enthuſiasmus, der das wahrhaft Edle her¬
abwürdigt. — Lebt wohl!
Sie gingen aus einander, und Franz
überdachte die letzten Worte, die ihm un¬
verſtändlich waren.
Drittes Kapitel.
Indem Rudolf und Franz ihren Weg fort¬
ſetzten, ſprachen ſie über ihre Begleiter, die
ſie verlaſſen hatten. Franz ſagte: Ich kann
es mir nicht erklären, vom erſten Augen¬
blicke an empfand ich einen unbeſchreiblichen
Widerwillen gegen dieſen Bildhauer, der
ſich mit jedem Worte, das er ſprach, ver¬
mehrte. Selbſt die freundſchaftliche Art, mit
der er am Ende Abſchied nahm, war mir
recht im Herzen zuwider.
Der Geiſtliche, antwortete Rudolf, hatte
im Gegentheil etwas Anlockendes, das gleich
mein Zutrauen gewann; er ſchien ein ſanfter,
freundlicher Menſch, der jedem wohlwollte.
Er hätte uns, fuhr Sternbald fort, die
Geſchichte des alten Mannes erzählen ſollen,
von dem er ſprach. Vielleicht hätte ich dar¬
aus viel für mich ſelbſt gelernt.
D 2
Du biſt viel zu gewiſſenhaft, mein
Freund, ſagte Rudolf weiter. Alles in der
Welt beſtimmt Dich und hat Einfluß auf
Dein Gemüth.
Ein Fußſteig führte ſie in einen dichten
kühlen Wald hinein, und ſie bedachten ſich
nicht lange, ihm nachzugehn. Eine erquik¬
kende Luft zog durch die Zweige, und das
mannigfaltigſte, anmuthigſte Konzert der
Vögel erſchallte. Es war ein lebendiges
Gewimmel in den Gebüſchen; die buntgefie¬
derten Sänger ſprangen hier und dort hin;
die Sonne flimmerte nur an einzelnen Stel¬
len durch das dichte Grün.
Beide Freunde gingen ſchweigend neben
einander, indem ſie des ſchönen Anblicks
genoſſen. Endlich ſtand Rudolf ſtill, und
ſagte: Wenn ich ein Mahler wäre, Freund
Sternbald, ſo würde ich vorzüglich Wald¬
ſcenen ſtudiren und darſtellen. Schon der
Gedanke eines ſolchen Gemähldes kann mich
entzücken. Wenn ich mir unter dieſen däm¬
mernden Schatten die Göttin Diana vor¬
übereilend denke, den Bogen geſpannt, das
Gewand aufgeſchürzt, und die ſchönen Glie¬
der leicht umhüllt, hinter ihr die Nymphen
und die muntern Jagdhunde: oder ſtelle
Dir vor, daß dieſer Fußweg ſich immer dich¬
ter in's Gebüſch hineinwendet, die Bäume
werden immer höher und wunderbarer, ein¬
zelne Laute klingen durch das verſchlungene
Laub, plötzlich ſteht eine Grotte, eine küh¬
les Bad vor uns, und in ihm die Göttin,
mit ihren Begleiterinnen, entkleidet.
Oder, ſagte Franz, hier im tiefen Walde
ein Grabmahl, auf dem ein Freund ausge¬
ſtreckt liegt und den Todten beweint: dazu
die dunkelgrünen Schatten, der friſche Ra¬
ſen, die einzelnen zerſpaltenen Sonnenſtrah¬
len von oben, alles dies zuſammen müßte
ein vortreffliches Gemählde der Schwermuth
ausbilden.
Fühlſt Du nicht oft, ſprach Rudolf wei¬
ter, einen wunderbaren Zug Deines Her¬
zens dem Wunderbaren und Seltſamen ent¬
gegen? Man kann ſich der Traumbilder
dann nicht erwehren, man erwartet eine
höchſt ſonderbare Fortſetzung unſers gewöhn¬
lichen Lebenslaufs. Oft iſt es, als wenn
der Geiſt von Arioſts Dichtungen über uns
hinwegfliegt, und uns in ſeinen kryſtallenen
Wirbel mit faſſen wird; nun horchen wir
auf und ſind auf die neue Zukunft begierig,
auf die Erſcheinungen, die an uns mit bun¬
ten Zaubergewändern vorübergehn ſollen:
dann iſt es, als wollte der Waldſtrom ſeine
Melodie deutlicher ausſprechen, als würde
den Bäumen die Zunge gelöſ't, damit ihr
Rauſchen in verſtändlichern Geſang dahin¬
rinne. Nun fängt die Liebe an auf fernen
Flötentönen heranzuſchreiten, das klopfende
Herz will ihr entgegenfliegen, die Gegen¬
wart iſt wie durch einen mächtigen Bann¬
ſpruch feſtgezaubert, und die glänzenden
Minuten wagen es nicht, zu entfliehen.
Ein Zirkel von Wohllaut hält uns mit ma¬
giſchen Kräften eingeſchloſſen, und eine neue
verklärtere Exiſtenz ſchimmert wie räthſel¬
haftes Mondlicht in unſer wirkliches Leben
hinein.
O Du Dichter! rief Franz aus, wenn
Du nicht ſo leichtſinnig wärſt, ſollteſt Du
ein großes Wundergedicht erſchaffen, voll
von gaukelnden Glanz und irrenden Klän¬
gen, voll Irrlichter und Mondſchimmer;
ich höre Dir mit Freuden zu, und mein
Herz iſt ſchon wunderbar von dieſen Wor¬
ten ergriffen.
Nun hörten ſie eine rührende Waldmu¬
ſik von durch einander ſpielenden Hörnern
aus der Ferne; ſie ſtanden ſtill und horch¬
ten, ob es Einbildung oder Wirklichkeit
ſey; aber ein melodiſcher Geſang quoll durch
die Bäume ihnen wie ein rieſelnder Bach
entgegen, und Franz glaubte, die Geiſter¬
welt habe ſich plötzlich aufgeſchloſſen, weil
ſie vielleicht, ohne es zu wiſſen, das große
zaubernde Wort gefunden hätten, als habe
nun der geheimnißvolle unſichtbare Strom
den Weg nach ihnen gelenkt, und ſie in
ſeinen Fluthen aufgenommen. — Sie gin¬
gen näher, die Waldhörner ſchwiegen, aber
eine ſüße melodiſche Stimme ſang nun fol¬
gendes Lied:
Waldnacht! Jagdluſt!
Leiſ' und ferner
Klingen Hörner,
Hebt ſich, jauchzt die freie Bruſt
Töne, töne nieder zum Thal
Freun ſich, freun ſich allzumal
Baum und Strauch beim muntern Schall.
Klinge Bergquell,
Epheuranken
Dich umſchwanken,
Rieſle durch die Klüfte ſchnell,
Fliehet, flieht das Leben ſo fort,
Wandelt hier, dann iſt es dort,
Hallt, zerſchmilzt ein luftig Wort.
Waldnacht! Jagdluſt!
Daß die Liebe
Bei uns bliebe,
Wohnen blieb' in treuer Bruſt.
Wandelt, wandelt ſich allzumal,
Fliehet gleich dem Hörnerſchall,
Einſam, einſam grünes Thal.
Klinge Bergquell!
Ach betrogen
Waſſerwogen
Rauſchen abwärts nicht ſo ſchnell.
Liebe, Leben ſie eilen hin,
Keins von beiden trägt Gewinn,
Ach, daß ich geboren bin!
Die Stimme ſchwieg, und die Hörner
fielen nun wieder mit ſchmelzenden Akkor¬
den darein; dann verhallten ſie, und eine
andre Stimme ſang von einem entfernteren
Orte:
Treulieb' iſt nimmer weit,
Nach Kummer und nach Leid
Kehrt wieder Lieb' und Freud',
Dann kehrt der holde Gruß,
Händedrücken,
Zärtlich Blicken,
Liebeskuß.
Treulieb' iſt nimmer weit,
Ihr Gang durch Einſamkeit
Iſt Dir, nur Dir geweiht.
Bald kömmt der Morgen ſchön,
Ihn begrüßet
Wie er küſſet
Freudenthrän'.
Die Hörner ſchloſſen auch dieſen Geſang
mit einigen überaus zärtlichen Tönen.
Franz und Rudolf waren indeß näher
geſchritten, und ſtanden jetzt ſtill, an einen
alten Baum gelehnt, der ſie faſt ganz be¬
ſchattete. Sie ſahen eine Geſellſchaft von
Jägern auf einem kleinen grünen Hügel ge¬
lagert, einige darunter waren diejenigen,
die ihnen vorher begegnet waren. Ein ſchö¬
ner Jüngling, den Franz für ein verkleide¬
tes Mädchen hielt, ſaß in ihrer Mitte; er
hatte das erſte Lied geſungen, in der Ferne
ſaß ein junger Mann, der mit ſchöner vol¬
ler Bruſt die Antwort ſang, die übrigen
Jäger waren zerſtreut, und am Fuße des
Hügels lagen die ermüdeten Hunde ſchnau¬
fend. Franz war wie bezaubert; das Mäd¬
chen erhob ſich jetzt, es war eine ſchöne
ſchlanke Geſtalt, ſie trug einen Helm mit
grüner Feder auf dem Kopfe, ihr Anzug
war mit vielen Bändern geſchmückt; ſie
glich, von der Jagd erhitzt, einer Göttin.
Jetzt ward ſie die beiden Reiſenden gewahr,
und ging freundlich auf ſie zu, indem ſie
ſich erkundigte, auf welche Weiſe ſie dort¬
hin gekommen wären. Rudolf merkte nun,
daß ſie ſich verirrt haben müßten, denn ſie
ſahen jetzt keinen Weg, keinen Fußſteig vor
ſich. Auf den Befehl der Jägerin reichte
man ihnen Wein in Bechern zur Erfriſchung;
dann erzählten ſie unverholen von ihrer Wan¬
derſchaft. Da die ſchöne Jägerin hörte, daß
Sternbald ein Mahler ſey, bat ſie beide
Freunde, dem Zuge auf ihr nahe gelegenes
Schloß zu folgen, Sternbald ſolle ausru¬
hen, und wenn er nachher wolle, etwas
für ſie mahlen.
Franz war wie begeiſtert, er wünſchte
jetzt nichts ſo ſehr, als in der Nähe dieſes
wundervollen Weſens zu bleiben, wie ſie
ihm erſchien. Die Jäger ſtiegen alſo wieder
auf ihre Pferde, und zwei von ihnen boten
Franz und Rudolf ihre Hengſte an. Sie
ſtiegen auf, und Rudolf war immer der
vorderſte im Zuge, wobei ſich ſeine auslän¬
diſche Tracht, ſeine vom Hute flatternden
Bänder gut ausnahmen: Sternbald aber,
der noch kein Pferd beſtiegen hatte, war
ängſtlich und blieb hinten; er wünſchte,
man hätte ihn zu Fuß folgen laſſen.
Jetzt eröffnete ſich der Wald, eine ſchöne
Ebene mit Gebüſchen und krauſen Hügeln
in der Ferne lag vor ihnen. Die Pferde
wieherten laut und fröhlich, als ſie die Rück¬
kehr zur Heimath merkten; das Schloß der
Gräfin lag mit glänzenden Fenſtern und
Zinnen zur Rechten auf einer lieblichen An¬
höhe. Ein Jäger, der mit Rudolf den Zug
angeführt hatte, bot dieſem an, einen Wett¬
lauf bis zum Schloſſe anzuſtellen: Rudolf
war willig, beide ſpornten ihre Roſſe und
flogen mit gleicher Eile über die Ebene,
Rudolf jauchzte und triumphirte, als er ſei¬
nem Mitkämpfer den Vorſprung abgewann,
die übrigen folgten langſam unter einer
fröhlichen Muſik der Hörner.
Es war um die Mittagszeit, als der
Zug im Schloſſe ankam, und die ganze Ge¬
ſellſchaft ſetzte ſich bald darauf zur Tafel;
die ſchöne Jägerin war aber nicht zugegen.
Die Tiſchgeſellſchaft war deſto luſtiger, Ru¬
dolf war vom Reiten erhitzt, und da er
überdies noch vielen Wein trank, war er
beinahe ausgelaſſen. Deſto mehr aber be¬
luſtigte er die Geſellſchaft, die es nicht müde
wurde, ſeine Einfälle zu belachen; Franz
fühlte ſich gegen ſeine Leichtigkeit unbehol¬
fen und ohne alle Fähigkeit zum Umgange.
Ein ältlicher Mann, der im Hauſe aufbe¬
wahrt wurde, galt für einen Dichter; er
ſagte Verſe her, die ungemein gefielen, und
noch mehr deswegen, weil er ſie ohne alle
Vorbereitung deklamirte. Unter dem lauten
Beifall der Geſellſchaft ſang er folgendes
Trinklied:
Die Gläſer ſind nun angefüllt,
Auf, Freunde! ſtoßet an,
Der edle Traubenſaft entquillt
Für jeden braven Mann.
Es geht von Mund zu Mund
Das volle Glas in die Rund,
Wer krank iſt, trinke ſich geſund.
Es kommt vom Himmel Sonnenſchein
Und ſchenkt uns Freud' und Troſt,
Dann wächſt der liebe ſüße Wein,
Es rauſchet uns der Moſt.
Es geht von Mund zu Mund
Das volle Glas in die Rund,
Wer krank iſt, trinke ſich geſund.
Da alle das Talent des Mannes be¬
wunderten, ſagte Rudolf im Unwillen: Es
geſchieht dem Wein keine ſonderliche Ehre,
daß Ihr ihn auf ſolche Art lobt, denn es
klingt beinahe, als wenn Ihr aus Noth ein
Dichter wäret, der den lieben Wein nur be¬
ſingt, weil er ſich dieſen Gegenſtand einmal
vorgeſetzt hat; es iſt wie ein Gelübde, das
jemand mit Widerwillen bezahlt. Warum
quält Ihr Euch damit, Verſe zu machen?
Ihr könnt den Wein ſo durch funfzig Stro¬
fen verfolgen, von ſeiner Herkunft anfan¬
gen und ſeine ganze Erziehung durchgehn.
Ich will Euch auf dieſe Art auch ein Ge¬
dicht über den Flachsbau durchſingen, und
über jedes Manufakturprodukt.
Das hören wir ſehr ungern! rief einer
von den Jägern.
Wir haben den Mann immer für einen
großen Dichter gehalten, ſagte ein andrer,
warum macht Ihr uns in unſerm Glau¬
ben irre?
Es iſt leichter tadeln, als beſſer machen!
rief ein dritter.
Der Poet ſelber war ſehr aufgebracht,
daß ihm ein fremder Ankömmling ſeinen
Lorbeer ſtreitig machen wollte. Er bot dem
berauſch¬
berauſchten Floreſtan einen dichteriſchen Zwei¬
kampf an, den die Geſellſchaft nachher ent¬
ſcheiden ſollte. Floreſtan gab ſeine Zuſtim¬
mung, und der alte Sänger begann ſo¬
gleich ein ſchönes Lied auf den Wein, das
alle Gemüther ſo entzückte, daß Franz für
ſeinen Freund wegen des Ausganges des
Krieges in billige Beſorgniß gerieth.
Während dem Liede war die Tafel auf¬
gehoben, und Floreſtan beſtieg nun den
Tiſch, indem er ſeinen Hut aufſetzte, der
mit grünem Laube geputzt war; vorher
trank er noch ein großes Glas Wein, dann
nahm er eine Zitter in die Hand, auf die
er artig ſpielte und dazu ſang:
Erwacht ihr Melodien
Und tanzt auf den Saiten dahin,
Ha! meine Augen glühen
Alle Sorgen erdwärts fliehen,
Himmelwärts entflattert der jauchzende Sinn.
(2r Th.) E
In goldenen Pokalen
Verbirget die Freude ſich gern,
Es funkeln in den Schaalen
Ha! des Weines liebe Strahlen,
Es regt ſich die Welle ein ſchimmernder Stern.
In tiefen Bergesklüften
Wo Gold und der Edelſtein keimt,
In Meeres fernen Schlüften
In Adlers hohen Lüften,
Nirgend Wein wie auf glücklicher Erde ſchäumt.
Gern mancher ſucht' in Schlünden
Wo ſelber dem Bergmann graut,
In felſigen Gewinden,
Könnt' er die Wonne finden
Die ſo freundlich uns aus dem Becher beſchaut. —
Rudolf hielt inne. Iſt es mir, Herr
Poet, fragte er beſcheiden, nun wohl ver¬
gönnt, das Silbenmaas ein wenig zu ver¬
ändern?
Der Dichter beſann ſich ein Weilchen,
dann nickte er mit dem Kopfe, um ihm
dieſe Freiheit zuzugeſtehn. Rudolf fuhr mit
erhöhter Stimme fort:
Als das Glück von der Erde ſich wandte,
Das Geſchick alle Götter verbannte,
Da ſtanden die Felſen ſo kahl,
Es verſtummten der Liebenden Lieder,
Sah der Mond auf Betrübte hernieder,
Vergingen die Blumen im Thal.
Sorg' und Angſt und Gram ohne Ende
Nur zur Arbeit bewegten ſich Hände,
Trüb' und thränend der feurige Blick,
Sehnſucht ſelber war nun entſchwunden
Keiner dachte der vorigen Stunden,
Keiner wünſchte ſie heimlich zurück.
Nicht wahr, unterbrach ſich Rudolf ſel¬
ber, das war für die arme Menſchheit eine
traurige Lage, die ſo plötzlich das goldene
Zeitalter verloren hatte? Aber hört nur
weiter:
Alle Götter ohn' Erbarmen
Sahn hinunter auf die Armen,
Ihr Verderben ihr Entſchluß.
E 2
O, wer wäre Menſch verblieben,
Ohne Götter, ohne Lieben,
Ohne Sehnſucht, ohne Kuß? —
Bacchus ſah, ein junger Gott
Lächelnder Wang' mit Blicken munter,
Zur verlaßnen Erd' hinunter
Ihn bewegt' der Menſchheit Noth.
Und es ſpricht die Silberſtimme:
Meine Freunde ſind zu wild,
Ihrem eigenſinn'gen Grimme
Unterliegt das Menſchenbild.
Weil kein Tod den Gott betaſtet
Höhnen ſie die Sterblichkeit,
Die, von ihrem Zorn belaſtet,
Leben fühlt im bittern Leid. —
Aber, meine Freunde, ich bin des Sin¬
gens und Trinkens überdrüſſig. Und mit
dieſen Worten ſprang er vom Tiſche her¬
unter.
Unter der berauſchten GeſchaftGeſellſchaft entſtand
ein Gemurmel, weil ſie ſtritten, welcher von
den beiden Poeten den Preis verdiene. Die
meiſten Stimmen ſchienen für den alten
Sänger; einige aber, die durch ihre Vor¬
liebe für das Neue einen beſſern Verſtand
anzudeuten glaubten, nahmen ſich des Flo¬
reſtan mit vielem Eifer an, unter dieſen
war auch Sternbald.
Man weiß nicht recht, was der junge
Menſch mit ſeinem Geſange oder Liede will,
ſagte einer von den älteſten. Ein gutes
Weinlied muß ſeinen ſtillen Gang für ſich
fortgehn, damit man brav Luſt bekömmt,
mitzuſingen, deshalb auch oft blinkt, klingt
und ſingt darin angebracht ſeyn muß, wie
ich es auch noch allenthalben gefunden
habe. Allein was ſollen mir dergleichen
Geſchichten?
Freilich, ſagte Floreſtan, kann es nichts
ſollen; aber, lieben Freunde, was ſoll
Euch denn der Wein ſelber? Wenn Ihr
Waſſer trinkt, bleibt Ihr noch um vieles
mäßiger.
Nein, ſchrie ein andrer, auch im Weine
kann und muß man mäßig ſeyn; der Ge¬
nuß iſt dazu da, daß man ihn genießt,
aber nicht ſo gänzlich ohne Verſtand.
Rudolf lachte und gab ihm Recht, wo¬
durch viele ausgeſöhnt wurden und zu ſei¬
ner Parthei übergingen. Ich habe nur den
Tadel, ſagte Sternbald, daß Dein Gedicht
durchaus keinen Schluß hat.
Und warum muß denn alles eben einen
Schluß haben? rief Floreſtan, und nun gar
in der entzückenden Poeſie! Fangt Ihr nur
an zu ſpielen, um aufzuhören? Denkt Ihr
Euch bei jedem Spaziergange gleich das Zu¬
rückgehn? Es iſt ja ſchöner, wenn ein Ton
leiſe nach und nach verhallt, wenn ein Waſ¬
ſerfall immer fortbrauſ't, wenn die Nachti¬
gall nicht verſtummt. Müßt Ihr denn
Winter haben, um den Frühling zu ge¬
nießen?
Es kann ſeyn, daß Ihr Recht habt,
antworteten einige, ein Weinlied nun gar,
das nichts als die reinſte Fröhlichkeit ath¬
men ſoll, kann eines Schluſſes am erſten
entbehren.
Wie Ihr nun wieder ſprecht! rief Flo¬
reſtan im tollen Muthe, indem er ſich ha¬
ſtig rund herumdrehte. Ohne Schluß, ohne
Endſchaft iſt kein Genuß, kein Ergötzen
durchaus nicht möglich. Wenn ich einen
Baumgang hinuntergehe, ſey er noch ſo
ſchön, ſo muß ich doch an den letzten Baum
kommen können, um ſtillzuſtehen und zu
denken: dort bin ich gegangen. Im Leben
wären Liebe, Freude und Entzücken Quaa¬
len, wenn ſie unaufhörlich wären; daß ſie
Vergangenheit ſeyn können, macht das zu¬
künftige Glück wieder möglich, ja, zu je¬
dem großen Manne mit allen ſeinen bewun¬
dernswerthen Thaten gehört der Tod als
unentbehrlich zu ſeiner Größe, damit ich
nur im Stande bin, die ordentliche Summe
ſeiner Vortrefflichkeit zu ziehn, und ihn mit
Ruhe zu bewundern. In der Kunſt gar iſt
ja der Schluß nichts weiter, als eine Er¬
gänzung des Anfangs.
Ihr ſeyd ein wunderlicher Menſch, ſag¬
te der alte Poet; ſo ſingt uns alſo Euren
Schluß, wenn er denn ſo unentbehrlich iſt.
Ihr werdet aber damit noch viel weni¬
ger zufrieden ſeyn, ſagte Floreſtan. Doch,
es ſoll Euch ein Genüge geſchehn. — Er
nahm die Zitter wieder in die Hand, und
ſpielte und ſang:
Bacchus läßt die Rebe ſprießen,
Saft durch ihre Blätter fließen,
Läßt ſie weiche Lüfte fächeln.
Sonnet ſie mit ſeinem Lächeln,
Um die Ulme hingeſchlungen
Steht die neue Pflanz' im Licht,
Herrlich iſt es ihm gelungen,
Ihn gereut die Arbeit nicht.
Läßt die Blüthen röthlich ſchwillen
Und die Beeren ſaftig quillen,
Fürchtend die Götter und das Geſchick
Kömmt er in Trauben verkleidet zur Welt zurück.
Nun kommen die Menſchlein hergegangen
Und koſten mit ſüßem Verlangen
Die neue Frucht, den glühenden Moſt,
Und finden den Gott, den himmliſchen Troſt.
In der Kelter ſpringt der muthwillige Götter¬
knabe
Der Menſchen allerliebſte Haabe,
Sie trinken den Wein, ſie koſten das Glück,
Es ſchleicht ſich die goldene Zeit zurück.
Der ſchöne Rauſch erheitert ihr Geſicht
Sie genießen froh das neue Sonnenlicht,
Sie ſpüren ſelber Götter- und Zauberkraft
Die ihnen die neue Gabe ſchafft.
Die Blicke feurig angeglommen
Zwingen ſie die Venus zurückzukommen,
Die Göttin iſt da und darf nicht fliehn
Weil ſie ſie mächtig rückwärts ziehn.
Die Götterſchaar wird zum Erſtaunen bewogen,
Sie kommen alle zurückgezogen:
Wir wollen wieder bei Euch wohnen,
Ihr Menſchen bauet unſre Thronen.
Was brauchen wir Euch und Euer Geſchick?
So tönt von der Erde die Antwort zurück,
Wir können Euch ohne Gram entbehren
Wenn Wein und Liebe bei uns gewähren.
Nun ſchwieg er ſtill, und legte mit ei¬
ner anſtändigen Verbeugung die Zitter weg.
Das iſt nun gar gottlos! riefen viele von
den Zuhörern, Euer Schluß iſt das Uner¬
laubteſte von allem, was Ihr uns vorge¬
geſungenvorge¬
ſungen habt.
Der Streit über den Werth der beiden
Dichter fing von neuem an. Sternbald
ward hitzig für ſeinen Freund, und da er
ihn einigemal bei ſeinem Namen Floreſtan
nannte, ſo ward der andre Poet dadurch
aufmerkſam gemacht; er fragte, er erkun¬
digte ſich, das Geſpräch nahm eine andre
Wendung. Es fand ſich, daß die beiden
Streitenden Verwandte waren; ſie umarm¬
ten ſich, ſie freuten ſich beide, einander ſo
unverhofft anzutreffen, und es wurde nun
weiter an keine Vergleichung ihrer Talente
gedacht.
Viertes Kapitel.
Die Geſellſchaft zerſtreute ſich hierauf, und
Franz verließ nach dem Getümmel gern das
Haus, um ſich in den Schloßgarten zu be¬
geben. Eine geſchmückte Dame, die er an¬
fangs nicht erkannte, begegnete ihm im
Gange; es war niemand, als die Jägerin.
Sie grüßten ſich freundlich, aber nach einem
kurzen Geſpräch trennten ſie ſich wieder.
Franz betrachtete ſinnend einen künſtlichen
Springbrunnen, der mit ſeinen kryſtallenen
Strahlen die Luft lieblich abkühlte, und
ein ſanftes Geräuſch ertönen ließ, zu dem
die nahen Vögel williger und angenehmer
ſangen. Er hörte auf den mannichfaltigen
Wohllaut, auf den Wechſelgeſang, den die
Fontaine gleichſam mit den Waldbewohnern
führte, und ſein Geiſt verlor ſich dann wieder
in eine entfernte wunderbare Zaubergegend.
Bin ich getäuſcht, oder iſt es wirklich?
ſagte er zu ſich ſelber; ich werde ungewiß,
ob mir allenthalben ihr ſüßes Bild begegnet,
oder ſie meine Phantaſie nur in allen Ge¬
ſtalten wieder erkennt. Dieſe Gräfin gleicht
ihr, die ich nicht zu nennen weiß, die ich
ſuche und doch raſte, für die ich nur lebe
und ſie doch gewiß verliere.
Eine Flöte ertönte aus dem Gebüſch,
und Franz ſetzte ſich auf eine ſchattige Ra¬
ſenbank, um den Tönen ruhiger zuzuhören.
Als der Spielende eine Weile muſicirt hat¬
te, ſang eine wohlbekannte Stimme folgen¬
Holdes, holdes Sehnſuchtrufen,
Aus dem Wald, vom Thale her:
Klimm' herab die Felſenſtufen,
Folg' der Oreade Rufen
Und vertrau dem weiten Meer.
Wohl ſeh ich Geſtalten wanken
Die bewegten Zweige ſchwanken,
Sie entſchimmern wie Gedanken,
Die der Schlaf hinweggefacht.
Komm' Erinnrung, liebe Treue,
Die mir oft im Arm geruht,
Nahe flüſternd mir und weihe
Dieſe Bruſt, dann fühlt der Scheue
Neue Kraft und Lebensmuth.
Kinder lieben da die Scherze
Und ich bin ein thöricht Kind,
Treu verblieb Dir doch mein Herze,
Leichtſinn nur im frohen Scherze,
Bin noch ſo wie ſonſt geſinnt.
Wald und Thal und grüne Hügel
Kennt die Wünſche meiner Bruſt,
Wie ich gern mit goldnem Flügel
Von der Abendröthe Hügel
Möchte ziehn zu meiner Luſt.
Erd' und Himmel nun in Küſſen
Wie mit Liebesſchaam entbrennt,
Ach! ich muß den Frevel büßen,
Lange noch die Holde miſſen
Die mein ganzes Herze nennt.
Morgenröthe kommt gegangen,
Macht den Tag von Banden frei,
Erd' und Himmel bräutlich prangen,
Aber ach! ich bin gefangen,
Einſam hier im ſüßen Mai.
Lieb' und Mailuſt iſt verſchwunden,
Iſt nur Mai in ihrem Blick,
Keine Roſe wird erfunden,
Flieht und eilt ihr trägen Stunden,
Bringt die Braut mir bald zurück.
Es war Rudolf, der nun hervortrat,
und ſich zu Sternbald an dem Rande des
Springbrunnens niederſetzte. Ich erkannte
Dich wohl, ſagte Franz, aber ich wollte
Dich in Deinem zärtlichen Geſange nicht
ſtören; doch ſiehſt Du munterer aus, als
ich Dich erwartet hätte.
Ich bin recht vergnügt, ſagte Floreſtan,
der heutige Tag iſt einer meiner heiterſten;
denn ich kenne nichts Schöneres, als ſo
recht viel und mancherlei durch einander zu
empfinden, und deutlich zu fühlen, wie
durch Kopf und Herz gleichſam goldene
Sterne ziehn, und den ſchweren Menſchen
wie mit einer lieben wohlthätigen Flamme
durchſchimmern. Wir ſollten täglich recht
viele Stimmungen und friſche Anklänge zu
erleben ſuchen ſtatt uns aus Trägheit in
uns ſelbſt und die alltägliche Gewöhnlichkeit
zu verlieren.
Der Schluß Deines heutigen Trinklie¬
des, antwortete Franz, hat mir nicht gefal¬
len; es iſt doch immer unerlaubt, auf dieſe
Art mit dem Leichtſinn zu ſcherzen.
O, mein Freund, rief Rudolf aus, wie
biſt
biſt Du denn heute ſo gar ſchwerfällig ge¬
worden, daß Du es mit einer augenblickli¬
chen Begeiſterung ſo ernſt und ſtrenge nimmſt.
Laß doch der unſchuldigen Poeſie ihren Gang,
wenn der klare Bach ſich einmal ergießt, der
Scherz ſoll ja nichts weiter als Scherz be¬
deuten; willſt Du ihn aber für eine Entwei¬
hung des Feierlichen und Erhabenen neh¬
men, ſo thuſt Du Dir ſelbſt zu nahe. Sing
dafür lieber mit mir dies Lied.
Franz mußte das vorige Lied wiederho¬
len, und Floreſtan begleitete ihn mit ſeiner
Flöte; als es geendigt war, ſagte Rudolf:
ich habe dieſen Geſang heute Nachmittag
aufgeſchrieben, als die Abendröthe anfing
heraufzurücken, ich hörte eine Flöte anſpie¬
len, und der Ton des Inſtruments gab mir
dieſe Verſe ein.
Das iſt ein Beitrag zu jenen Liedern,
ſagte Sternbald, die Du mir vor Antwerpen
(2r Th.) F
einmal ſangeſt. Ich habe ſie mir aufge¬
ſchrieben, und kann manchmal nicht finden,
daß ſie ſich zu den Überſchriften paſſen.
Es thut nichts, ſagte Floreſtan, ſie mö¬
gen auch wohl unpaſſend ſeyn, aber mir
kam es ſo vor, als ich ſie machte; wer es
nicht mitfühlt, dem iſt es auch nicht zu be¬
weiſen. Sie ſollten gleichſam die Akzente
ſeyn, in die dieſe Inſtrumente freiwillig
übergingen, wie ſie als lebendige Weſen
ſprechen und ſich ausdrücken würden. Man
könnte ſich, wenn man ſonſt Luſt hätte, ein
ganzes Geſprächſtück von mancherlei Tönen
ausſinneuausſinnen.
Es kann ſeyn, antwortete Franz, von
Blumen kann ich es mir gewiſſermaßen vor¬
ſtellen. Es iſt freilich immer nur ein Cha¬
rakter in allen dieſen Dingen, wie wir ihn
als Menſchen wahrzunehmen vermögen.
So geſchieht alle Kunſt, antwortete
Floreſtan; die Thiere können wir ſchon rich¬
tiger fühlen, weil ſie uns etwas näher ſtehn.
Ich hatte einmal Luſt, aus Lämmern, ei¬
nigen Vögeln und andern Thieren eine Ko¬
mödie zu formiren, aus Blumen ein Liebes¬
ſtück und aus den Tönen der Inſtrumente
ein Trauer-, oder, wir ich es lieber nennen
möchte, ein Geiſterſpiel.
Die meiſten Leute würden es zu fan¬
taſtiſch finden, ſagte Sternbald.
Das würde gerade meine Abſicht ſeyn,
antwortete Rudolf, wenn ich mir Mühe
geben wollte, es niederzuſchreiben. Es iſt
indeß ſchon Abend geworden. Kennſt Du
Dante's großes Gedicht?
Nein, ſagte Franz.
Auf eine ähnliche ganz allegoriſche Weiſe
ließe ſich vielleicht eine Offenbarung über die
Natur ſchreiben, voller Begeiſterung und mit
prophetiſchem Geiſte durchdrungen. Ich habe
F 2
Dir einigemal von den ſeltſamen Arten der
ſpaniſchen Poeſie geſgrochengeſprochen, getrauſt Du
Dir nun mit mir ein ſolches Wechſellied zu
ſingen, wie ich es Dir beſchrieben habe?
Wir könnten es verſuchen, ſagte Franz,
aber Du mußt das Silbenmaas ſetzen.
Rudolf fing an:
Wer hat den lieben Frühling aufgeſchlagen
Gleich wie ein Zelt
In blühn'der Welt?
Die Wolken ſich nun abwärts jagen;
Das Thal voll Sonne,
Der Wald mit Wonne
Und Lied durchklungen: —
Der Liebe iſt das ſchöne Werk gelungen.
Franz.
Der Liebe iſt das ſchöne Werk gelungen
Der Winter kalt
Entwich ihr bald,
Holdſel'ge Macht hat ihn bezwungen.
Die Blumen ſüße
Der Quell, die Flüſſe,
Befreit von Banden
Sind aus des Winters hartem Schlaf erſtanden.
Rudolf.
Sind aus des Winters hartem Schlaf erſtanden
Der Wechſelſang
Der Echoklang,
Die ſich durch Waldgezweige fanden.
Die Nachtigallen-
Geſänge ſchallen,
Die Lindendüfte
Liebkoſen liebevoll die Frühlingslüfte.
Franz.
Liebkoſen liebevoll die Frühlingslüfte.
Die Blumenſchaar
Sie beut ſich dar
Von Roſen glühn die Felſenklüfte,
Um Lauben ſchwanken
Die Geisblattranken,
Des Himmels Ferne
Erhellen tauſend goldne kleine Sterne.
Rudolf.
Erhellen tauſend goldne kleine Sterne
So golden klein
Der Flimmerſchein
Erleuchtet unſre Erde gerne.
Mit Liebesblicken,
Uns zu beglücken
Schaut grüßend nieder
Die Lieb' und freut' ſich unſrer Grüße wieder.
Franz.
Die Lieb' und freut ſich unſrer Grüße wieder,
Die Blumenwelt
Uns zugeſellt,
Geſandt von ihr des Waldes Lieder:
Sie ſchickt die Roſe
Daß ſie uns koſe
Daß wir ihr danken
Streckt ſie entgegen uns die Geisblattsranken.
Rudolf.
Streckt ſie entgegen uns die Geisblattsranken
Die Lilienpracht
Grüßt uns mit Macht
Daß wir nicht fern von Lieb' erkranken
Und leiſe drücken
Wir Dank in Blicken
Der Lilie Wange
Damit die Lieb' von uns den Dank empfange.
Franz.
Damit die Lieb' von uns den Dank empfange
Wird Mädchenmund
Geküßt zur Stund',
Und Nacht'gall plaudert's im Geſange.
Die Liebe höret
Was jeder ſchwöret,
Sie wacht dem Eide
Verfolgt den Frevelnden mit bittern Leiden.
Rudolf.
Verfolgt den Frevelnden mit bittern Leiden,
Das Mädchen flieht
Wenn ſie ihn ſieht
Ach! jede mag ihn gerne meiden.
In Händen welken
Ihm Roſ' und Nelken,
Die Himmelslichter
Erblaſſen und er iſt ein ſchlechter Dichter.
Und darum wollen wir lieber aufhören,
ſagte Rudolf, indem er aufſtand; denn ich
gehöre ſeibſt nicht zu den reinſten.
Die beiden Freunde gingen nun zurück;
der Abend hatte ſich ſchon mit ſeinen dichte¬
ſten Schatten über den Garten ausgeſtreckt,
und der Mond ging eben auf. Franz ſtand
ſinnend am Fenſter ſeines Zimmers, und
ſah nach dem gegenüberliegenden Berge,
der mit Tannen und Eichen bewachſen war,
zu ihm hinauf ſchwebte der Mond, als wenn
er ihn erklimmen wollte, das Thal glänzte
im erſten funkelndgelben Lichte, der Strom
ging brauſend dem Berge und dem Schloſſe
vorüber, eine Mühle klapperte und ſauſ'te
in der Ferne, und nun aus einem entlege¬
nen Fenſter wieder die nächtlichen Hörner¬
töne, die dem Monde entgegengrüßten, und
drüben in der Einſamkeit des Bergwaldes
verhallten.
Müſſen mich dieſe Töne durch mein
ganzes Leben verfolgen? ſeufzte Franz;
wenn ich einmal zufrieden und mit mir zur
Ruhe bin, dann dringen ſie wie eine feind¬
liche Schaar in mein innerſtes Gemüth,
und wecken die kranken Kinder, Erinnerung
und unbekannte Sehnſucht wieder auf. Dann
drängt es mir im Herzen, als wenn ich wie
auf Flügeln hinüberfliegen ſollte, höher über
die Wolken hinaus, und von oben herab
meine Bruſt mit neuem, ſchöneren Klange
anfüllen und meinen ſchmachtenden Geiſt mit
dem höchſten, letzten Wohllaut erſättigen.
Ich möchte die ganze Welt mit Liebesgeſang
durchſtrömen, den Mondſchimmer und die
Morgenröthe anrühren, daß ſie mein Leid
und Glück wiederklingen, daß die Melodie
Bäume, Zweige, Blätter und Gräſer er¬
greife, damit alle ſpielend meinen Geſang
wie mit Millionen Zungen wiederholen
müßten. — —
Er war am folgenden Morgen ſehr früh
aufgeſtanden und hatte das Schloß durch¬
wandert. In einem Zimmer hing ein Bruſt¬
bild eines Mannes, mit einem koſtbaren
Hute und einer blauen Feder geſchmückt;
die Miene zog ihn an, und als er es ge¬
nauer betrachtete, glaubte er in dieſem
Kopfe das Geſicht des Mönchs zu entdek¬
ken, der den Bildhauer Bolz begleitet hatte.
Je mehr er das Bild unterſuchte, je über¬
zeugender fand er die Ähnlichkeit. — Jetzt
trat Rudolf zu ihm, dem er ſeine Entdek¬
kung mittheilte; Floreſtan fand ſie nach ſei¬
ner leichtſinnigen Art nicht ſonderlich wich¬
tig, ſondern brach das Geſpräch darüber
bald ab, indem er ſagte: Ich habe geſtern
noch, lieber Franz, ein andres Gedicht ge¬
ſchrieben, in dem ich verſucht habe, eine
Stimmung auszudrücken und darzuſtellen, die
ſchon oft meine Seele erfüllt hat. Er las:
Mondſcheinlied.
Träuft vom Himmel der kühle Thau
Thun die Blumen die Kelche zu,
Spätroth ſieht ſcheidend nach der Au,
Flüſtern die Pappeln, ſinkt nieder die nächt'ge Ruh'.
Kommen und gehn die Schatten
Wolken bleiben noch ſpät auf
Und ziehn mit ſchwerem, unbeholfnem Lauf
Über die erfriſchten Matten.
Kommen die Sterne und ſchwinden wieder
Bllcken winkend und flüchtig nieder,
Wohnt im Wald die Dunkelheit
Dehnt ſich Finſter weit und breit.
Hinter'm Waſſer wie flimmende Flammen,
Berggipfel oben mit Gold beſchienen,
Neigen rauſchend und ernſt die grünen
Gebüſche die blinkenden Häupter zuſammen.
Welle, rollſt Du herauf den Schein
Des Mondes rund freundlich Angeſicht?
Es merkt's und freudig bewegt ſich der Hain
Streckt die Zweig' entgegen dem Zauberlicht.
Fangen die Geiſter auf den Fluthen zu ſpringen,
Thun ſich die Nachtblumen auf mit Klingen,
Wacht die Nachtigall im dickſten Baum
Verkündet dichteriſch ihren Traum,
Wie helle, blendende Strahlen die Töne niederfließen
Am Bergeshang den Wiederhall zu grüßen.
Flimmern die Wellen,
Funkeln die wandernden Quellen,
Streifen durch's Geſträuch
Die Feuerwürmchen bleich. —
Wie die Wolken wandelt mein Sehnen,
Mein Gedanke bald dunkel bald hell,
Hüpfen Wünſche um mich wie der Quell,
Kenne nicht die brennenden Thränen.
Biſt Du nah, biſt Du weit,
Glück das nur für mich erblühte?
Ach! daß es die Hände biete
In des Mondes Einſamkeit.
Kömmt's aus dem Walde? ſchleicht's vom Thal,
Steigt es den Berg vielleicht hernieder?
Kommen alte Schmerzen wieder?
Aus Wolken ab die entfloh’ne Quaal?
Und Zukunft wird Vergangenheit,
Bleibt der Strom nie ruhig ſtehn,
Ach! iſt Dein Glück auch noch ſo weit
Magſt Du entgegen gehn,
Auch Liebesglück wird einſt Vergangenheit.
Wolken ſchwinden,
Den Morgen finden
Die Blumen wieder;
Doch iſt die Jugend einſt entſchwunden,
Ach! der Frühlingsliebe Stunden,
Steigen keiner Sehnſucht nieder.
Fünftes Kapitel.
Es waren indeß einige Tage verfloſſen;
Sternbald hatte die Gräfin zu mahlen an¬
gefangen, neben ihr mußte er den Ritter
zeichnen, der dem Mönche ſo ähnlich ſah.
Sein Geiſt war mit der Schönheit ſeines
Gegenſtandes beſchäftigt, er wußte nicht
mehr, ob er ſich in Gegenwart der Jägerin
ſeiner Unbekannten erinnere, oder dieſe Bil¬
dung ſelber liebgewann. Sie ließ ſich als
Jägerin darſtellen, faſt eben ſo, wie er ſie
zum erſtenmale geſehn hatte.
Er ließ oft Muſik in den Saal brin¬
gen, und ihm war dann, als wäre ſeine
Hand ſicherer und geläufiger, als würde
dann ſein Geiſt zur Kunſt lieblicher ange¬
trieben. Er zitterte oft, wenn er die zarten
Umriſſe des Buſens anblickte und abzeich¬
nete, wenn er den Glanz der ſchalkhaft
feurigen Augen ausdrücken wollte.
Floreſtan hatte das Schloß verlaſſen,
und ſchwärmte wieder in den benachbarten
Gegenden umher, weil er niemals lange an
einem Orte verweilen mochte. Franz wollte
dieſe Zeit benutzen, um ſeinem Dürer und
Sebaſtian einen weitläuftigen Brief zu ſchrei¬
ben, allein er verſchob es von einem Tage
zum andern. An manchen Tagen ſprach die
Gräfin viel, indem er ſie mahlte, und ſeine
Aufmerkſamkeit wurde gewöhnlich dann ganz
zerſtreut.
Die Gräfin war an jedem Tage in ei¬
ner andern Laune, ja ſie konnte ſogar in
derſelben Stunde die Stimmung ihres Ge¬
müths auffallend verändern. Franz fühlte
einige Theilnahme, wenn ſie traurig war,
aber er war in einer quälenden Verlegen¬
heit, wenn ſie ihm mit vertraulicher Luſtig¬
keit näher kam. Dann konnte ihn Muſik
tröſten und beruhigen, es war, als wenn
ihn die angeſchlagenen Akkorde dreiſter und
kühner machten, die Töne waren ſein Bei¬
ſtand und ihm wie zärtliche Freunde nahe,
ſeine Hand arbeitete ſchneller und williger,
und ſein Gemüth war durchſichtig und rein
wie ein heller Bach. Die Gräfin ſchien ihn
mit jedem Tage lieber zu gewinnen, Franz
war gewöhnlich ſtumm, aber ſie ſprach deſto
mehr: ihre lebhafte Beweglichkeit ertrug
nicht den Stillſtand einer Minute, ſie machte
ſich immer etwas zu ſchaffen, ſie erzählte
hundert kleine Geſchichten, und Sternbald
wurde nicht ſelten durch ihre Munterkeit
geſtört.
So erfuhr er unter vielen andern Er¬
zählungen, daß ſie einige Verwandten in
Italien und zwar in Rom habe, an die ſie
ihm auch Briefe mitzugeben verſprach. Sie
ſchil¬
ſchilderte die Lebensart der ganzen Familie
und die Eigenheiten eines jeden Charakters
bis auf den kleinſten Umſtand, ſie ging ſo
weit, daß ſie Stellungen und Mienen nach¬
ahmte, wodurch denn Franz zuweilen im
Mahlen aufgehalten wurde, ja ſie unterließ
nicht, die Arbeit nach ihrer Laune zu unter¬
brechen, um mit ihm durch den Garten zu
ſpazieren. Oft verlor ſie ſich dann ſo plötz¬
lich in ein trübſeliges Nachſinnen, in weh¬
müthige Klagen, daß Franz mit vieler An¬
ſtrengung das Amt eines tröſtenden Freun¬
des bei ihr übernehmen mußte.
Als Sternbald ihren Kopf faſt vollendet
hatte, und er nun an die Abſchilderung des
Ritters ging, war ihre Lebhaftigkeit noch
mehr erhöht. Ihr müßt wiſſen, lieber
Freund, ſagte ſie, daß jenes Bild von ei¬
nem wahren Stümper in der edlen Kunſt
herrührt, der es noch gar nicht einmal ver¬
(2r Th.) G
ſtand, das Holdſelige und Angenehme eines
Antlitzes zu fühlen und auszudrücken, ihm
war es nur darum zu thun, einen Kopf mit
den gewöhnlichen Sinnen fertig zu machen,
der dem Originale im Groben ähnlich ſähe.
Ihr müßt Euch die Klarheit der Augen, das
ſüße Lächeln der freundlichen Lippen nur
vorſtellen, denn das Bild ſelbſt giebt Euch
keine Anweiſung zu dergleichen. O, wenn
er doch hier wäre! wenn er ſo vor Euch
ſtände, und ich ihm den Arm um den ſchö¬
nen Nacken ſchlänge! Unmöglich könnt Ihr
es Euch vorſtellen, und das Gemählde muß
nothwendig kalt werden. Aber freilich ſieht
es ihm dann um ſo ähnlicher, denn er iſt jetzt
auch kalt und fühllos. Wo mag er umher¬
irren, und wann kommt er zu mir zurück?
Sie ſtand auf, Franz mußte die Mah¬
lerei bei Seite legen, ſie gingen in ein be¬
nachbartes Gehölz. Hier ſah ich ihn zum
letztemale, fuhr die Gräfin fort, hier ſtieg
er auf ſein Roß, und ſagte mir ſein heuch¬
leriſches Lebewohl, er wolle noch am Abend
wiederkommen; aber es iſt ſchon in meiner
Seele Abend geworden, und er iſt noch nicht
wieder da. Könnt' ich den Undankbaren ver¬
geſſen, dies Andenken, ſein Bild aus mei¬
nem Herzen verſtoßen, und wieder ſo glück¬
lich und zufrieden werden, als ich vormals
war! Dies thörichte Herz will ihm nach,
ihn in weiter Welt aufſuchen, und weiß
doch nicht, wohin? Ich finde ihn niemals
wieder! ‒ ‒
Sie ſetzten ſich im Schatten nieder, und
nach einem kleinen Stillſchweigen fuhr die
Dame fort: Ich will Euch kürzlich meine
ganze Geſchichte erzählen; ſie iſt unbedeu¬
tend und kurz, aber Ihr habt etwas in Eu¬
rem Weſen, einen Blick Eurer Augen, das
alles mir mein Zutrauen abgewinnt. Wenn
G 2
man recht unglücklich iſt, und ſich durchaus
verlaſſen fühlt, ſo ſehnt man ſich nach dem
Mitleiden einer guten Seele, wie nach ei¬
ner herrlichen Gabe, und darum will ich
Euch meine Leiden vertrauen. Kurz nach¬
her, als mich der Tod meines Vaters in
den Beſitz meiner Güter ſetzte, erſchien in
der Nachbarſchaft hier ein junger Ritter,
der vorgab, er komme aus Franken. Er
war ſo jung, ſchön und liebenswürdig, daß
man ihn allenthalben gern ſah: es verging
nur wenige Zeit, und es ſchien, daß er ſich
in meiner Gegenwart am meiſten gefalle,
daß ihn nur das freue, was auf mich eini¬
gen Bezug habe. Mir ſchmeichelte dieſer
Vorzug, ich kam ihm eben ſo entgegen, wie
er mir, ich ſchenkte ihm mein reinſtes Wohl¬
wollen; denn es iſt einmal der Fehler un¬
ſeres Geſchlechts, an Liſt und Verſtellung
nicht zu glauben, ſondern ſich von dem Irr¬
thume blenden zu laſſen, als könne jede von
uns durch einen Betrüger niemals betrogen
werden.
Was ſoll ich weitläuftig ſeyn? Ihr
kennt mein Herz nicht, und gehört ſelbſt zu
dieſer hinterliſtigen Rotte. Er geſtand mir
ſeine Liebe, ich ihm meine Zuneigung; er
nannte mir ſeinen Namen, und bekannte,
daß er ein armer Edelmann ſey, der mir
kein Glück anbieten könne; ich wollte ihn
zum Herrn aller meiner Beſitzthümer machen,
ich fand mich ſo groß darin, ihm mein Ei¬
genthum, mich ſelbſt ihm zu ſchenken. Schon
war unſre Verlobung, ſchon der Tag unſrer
Vermählung beſtimmt, als er mich plötzlich
nach einer Jagd hier auf dieſer Stelle ver¬
ließ. Er wolle einen Freund in der Nach¬
barſchaft beſuchen, war ſein Vorgeben; er
lächelte noch, als er fortritt, und ſeitdem
habe ich ihn nicht wieder geſehn.
Franz konnte nach ihrer Erzählung nichts
antworten, er blieb in ſich gekehrt, und
wünſchte ſeinen Freund Floreſtan zurück, der
ſich in jede Lage des Lebens mit Leichtigkeit
fand. Es war indeß Abend geworden, und
die Jäger kamen mit einer Jagdmuſik aus
dem Walde zurück, dadurch wurde das Ge¬
ſpräch beendigt. Sternbald war verdrüßlich,
daß alle Gegenſtände und Geſpräche ſo hart
auf ſein Gemüth fielen, ſo daß ihn der Ein¬
druck davon bemeiſterte und ſein Lebenslauf
dadurch geſtört wurde.
Schon ſeit langer Zeit hatte er viel von
einem wunderbaren Menſchen ſprechen hören,
der ſich in den benachbarten Bergen aufhielt,
halb wahnſinnig ſeyn ſollte, in der Einſam¬
keit lebte, und niemals ſeinen öden Aufent¬
halt verließ. Was Franz beſonders anzog,
war, daß dieſer abentheuerliche Eremit auch
ein Mahler war, und gewöhnlich denen,
die ihn beſuchten, Bildniſſe oder andre Mah¬
lereien zeigte, ſie auch um einen billigen Preis
verkaufte. Man erzählte ſo viel Wunder¬
bares von dieſem Manne, daß Franz der
Begier unmöglich widerſtehn konnte, ihn
ſelber auzuſuchen. Da Floreſtan immer noch
nicht zurückkam, und die Gräfin wieder eine
Jagd, ihre Lieblingsergötzung anſtellte, mach¬
te er ſich an einem ſchönen Morgen auf den
Weg, um den bezeichneten Aufenthalt zu
ſuchen.
Unterwegs überdachte er nach langer
Zeit wieder die Veränderungen ſeines Lebens,
es ſchien ihm alles ſo ſonderbar und doch ſo
gewöhnlich, er wünſchte die Fortſetzung ſei¬
ner Schickſale und fürchtete ſie, er erſtaunte
über ſich ſelber, daß ihn der Enthuſiasmus,
der ihn zur Reiſe angetrieben, ſeitdem nur
ſelten wieder beſucht habe.
Er ſtand oben auf dem Hügel, und ſah
im Thale die verſammelte Jagd, die vom
Schloſſe ausritt, und ſich durch die Ebene
verbreitete. Es klangen wieder die muſika¬
liſchen Töne zu ihm hinauf, die durch den
friſchen Morgen in den Bergen wiederſchall¬
ten, die Eichen und Tannen rührten ſich be¬
deutungsvoll. Bald verlor er die Jagd aus
dem Geſichte, die Muſik der Hörner ver¬
ſchwand, und er wandte ſich tiefer in's Ge¬
birge hinein, wo die Gegend plötzlich ihren
anmuthigen Charakter verlor, und wilder
und verworrener ward, die Ausſicht in das
ebene Land ſchloß ſich, man verlor den vol¬
len herrlichen Strom aus dem Geſichte, die
Berge und Felſen wurden kahl und un¬
fruchtbar.
Der Weg wand ſich enge und ſchmal
zwiſchen Felſen hindurch, Tannengebüſch
wechſelte auf dem kahlen Boden, und nach
einigen Stunden ſtand Franz auf dem hö¬
heren Gipfel des Gebirges.
Nun war es wieder wie ein Vorhang
niedergefallen, ſeinem Blicke öffnete ſich die
Ebene wieder, die kahlen Felſen unter ihm
verloren ſich lieblich in dem grünen Gemiſch
der Wälder und Wieſen, die unfreundliche
Natur war verſchwunden, ſie war mit der
lieblichen Ausſicht eins, von dem übrigen
verſchönert, diente ſie ſelber die andern Ge¬
genſtände zu verſchönern. Da lag die Herr¬
lichkeit der Ströme vor ihm ausgebreitet,
er glaubte vor den plötzlichen Anblick der
weiten, unendlichen, mannigfaltigen Natur
zu vergehn, denn es war, als wenn ſie mit
herzdurchdringende Stimme zu ihm hinauf¬
ſprach, als wenn ſie mit feurigen Augen
vom Himmel und aus dem glänzenden Strom
heraus nach ihm blickte, mit ihren Rieſen¬
gliedern nach ihm hindeutete. Franz ſtreckte
die Arme aus, als wenn er etwas Unſicht¬
bares an ſein ungeduldiges Herz drücken
wollte, als möchte er nun erfaſſen und feſt¬
halten, wonach ihm die Sehnſucht ſo lange
gedrängt: die Wolken zogen unten am Ho¬
rizont durch den blauen Himmel, die Wie¬
derſcheine und die Schatten ſtreckten ſich auf
den Wieſen aus, und wechſelten mit ihren
Farben, fremde Wundertöne gingen den
Berg hinab, und Franz fühlte ſich wie feſt¬
gezaubert, wie ein Gebannter, den die zau¬
bernde Gewalt ſtehen heißt, und der ſich
dem unſichtbaren Kreiſe, trotz alles Beſtre¬
bens, nicht entreißen kann.
O, unmächtige Kunſt! rief er aus, und
ſetzte ſich auf eine grüne Felſenbank nieder;
wie lallend und kindiſch ſind Deine Töne,
gegen den vollen harmoniſchen Orgelgeſang,
der aus den innerſten Tiefen, aus Berg und
Thal und Wald und Stromesglanz in
ſchwellenden, ſteigenden Akkorden herauf¬
quillt. Ich höre, ich vernehme, wie der
ewige Weltgeiſt mit meiſterndem Finger die
furchtbare Harfe mit allen ihren Klängen
greift, wie die mannigfaltigſten Gebilde ſich
ſeinem Spiel erzeugen, und umher und über
die ganze Natur ſich mit geiſtigen Flügeln
ausbreiten. Die Begeiſterung meines klei¬
nen Menſchenherzens will hineingreifen, und
ringt ſich müde und matt im Kampfe mit
dem Hohen, der die Natur leiſe lieblich re¬
giert, und mein Hindrängen zu ihm, mein
Winken nach Hülfe in dieſer Allmacht der
Schönheit vielleicht nicht gewahrt. Die un¬
ſterbliche Melodie jauchzt, jubelt und ſtürmt
über mich hinweg, zu Boden geworfen ſchwin¬
delt mein Blick und ſtarren meine Sinnen.
O, ihr Thörichten! die ihr der Meinung
ſeyd, die allgewaltige Natur laſſe ſich ver¬
ſchönen, wenn ihr nur mit Kunſtgriffen
und kleinlicher Hinterliſt eurer Ohnmacht zu
Hülfe eilt, was könnt ihr anders, als uns die
Natur nur ahnden laſſen, wenn die Natur
uns die Ahndung der Gottheit giebt? Nicht
Ahndung, nicht Vorgefühl, urkräftige Em¬
pfindung ſelbſt, ſichtbar wandelt hier auf
Höhen und Tiefen die Religion, empfängt
und trägt mit gütigem Erbarmen auch mei¬
ne Anbetung. Die Hieroglyphe, die das
Höchſte, die Gott bezeichnet, liegt da vor
mir in thätiger Wirkſamkeit, in Arbeit, ſich
ſelber aufzulöſen und auszuſprechen, ich
fühle die Bewegung, das Räthſel im Be¬
griff zu ſchwinden, — und fühle meine
Menſchheit. — Die höchſte Kunſt kann ſich
nur ſelbſt erklären, ſie iſt ein Geſang, de¬
ren Inhalt nur ſie ſelbſt zu ſeyn vermag.
Ungern verließ Sternbald ſeine Begei¬
ſterung, und die Gegend, die ihn entzückt
hatte, ja er trauerte über dieſe Worte, über
dieſe Gedanken, die er ausgeſprochen, daß
er ſie nicht immer in friſcher Kraft aufbe¬
wahren könne, daß neue Eindrücke und neue
Ideen dieſe Empfindungen vertilgen oder
überſchütten würden.
Ein dichter Wald empfing ihn auf der
Höhe, er warf oft den Blick zurück, und
ſchied ungern, als wenn er das Leben ver¬
ließe. Der einſame Schatten erregte ihm
gegen die freie Landſchaft eine ſeltſame Em¬
pfindung, ſeine Bruſt ward beklemmt und
von Ängſtlichkeit zuſammengezogen. Als er
kaum eine halbe Stunde gegangen war,
ſtand er vor einer kleinen Hütte, die offen
war, in der er aber niemand antraf. Er¬
müdet warf er ſich unter einen Baum, und
betrachtete die beſchränkte Wohnung, das
dürftige Geräth, mit vieler Rührung eine
alte Laute, die an der Wand hing, und auf
der eine Saite fehlte. Palletten und Farben
lagen und ſtanden umher, einige Kleidungs¬
ſtücke; Sternbald war wie in die uralte Zeit
verſetzt, von der wir ſo gern erzählen hö¬
ren, wo die Thür noch keinen Riegel kennt,
wo noch kein Frevler des andern Gut be¬
taſtet hat.
Nach einiger Zeit kam der alte Mahler
zurück; er wunderte ſich gar nicht, einen
Fremdling vor ſeiner Schwelle anzutreffen,
ſondern ging in ſeine Hütte, räumte auf,
und ſpielte dann auf der Zitter, als wenn
niemand zugegen wäre. Franz betrachtete
den Alten mit Verwunderung, der indeſſen
wie ein Kind in ſeinem Hauſe ſaß, und zu
erkennen gab, wie wohl ihm ſey in ſeiner
kleinen Heimath, unter den befreundeten,
wohlbekannten Tönen ſeines Inſtrumentes.
Als er ſein Spiel geendigt, packte er Kräu¬
ter, Moos und Steine aus ſeinen Taſchen,
und legte ſie ſorgfältig in kleine Schachteln
zurecht, indem er jedes aufmerkſam betrach¬
tete. Über manches lächelte er, anderes
ſchien er mit einiger Verwunderung anzu¬
ſchauen, indem er die Hände zuſammen¬
ſchlug, oder ernſthaft den Kopf ſchüttelte.
Immer noch ſah er nach Sternbald nicht
hin, bis dieſer endlich in das kleine Haus
hineintrat, und ihm ſeinen Gruß anbot.
Der alte Mann gab ihm die Hand, und
nöthigte ihn ſchweigend, ſich niederzuſetzen,
indem er ſich weder verwunderte, noch ihn
als einen Fremden genau beachtete.
Die Hütte war mit mannigfaltigen Stei¬
nen aufgeputzt, Muſcheln ſtanden umher,
durchmengt von ſeltſamen Kräutern, ausge¬
ſtopften Thieren und Fiſchen, ſo daß das
Ganze ein höchſt abentheuerliches Anſehn
erhielt. Stillſchweigend holte der Alte un¬
ſerm Freunde einige Früchte, die er ihn
ebenfalls mit ſtummer Gebehrde vorſetzte.
Als Franz einige davon gegeſſen hatte, in¬
dem er immer den wunderbaren Menſchen
beobachtete, fing er mit dieſen Worten das
Geſpräch an: Ich habe mich ſchon ſeit lan¬
ger Zeit darauf gefreut, Euch zu ſehn, ich
hoffe nun, Ihr zeigt mir auch einige von
Euren Mahlereien, denn auf dieſe bin ich
vorzüglich begierig, da ich mich ſelbſt zur
edlen Kunſt bekenne.
Seyd Ihr ein Mahler? rief der Alte
aus, nun wahrlich, ſo freut es mich, Euch
hier zu ſehn, ſeit lange iſt mir keiner be¬
gegnet. Aber Ihr ſeyd noch ſehr jung, Ihr
habt wohl ſchwerlich ſchon den rechten Sinn
für die große Kunſt.
Ich thue mein mögliches, antwortete
Franz, und will immer das Beſte, aber ich
fühle freilich wohl, daß das nicht zureicht.
Es iſt immer ſchon genug, rief jener
aus; freilich iſt es nur Wenigen gegeben,
das Wahrſte und Höchſte auszudrücken, ei¬
gentlich können wir uns alle ihm nur nähern,
aber
aber wir haben unſern Zweck gewißlich ſchon
erreicht, wenn wir nur das wollen und er¬
kennen, was der Allmächtige in uns hinein¬
gelegt hat. Wir können in dieſer Welt nur
wollen, nur in Vorſätzen leben, das ei¬
gentliche Handeln liegt jenſeits, und beſteht
gewiß aus den eigentlichſten, wirklichſten
Gedanken, da in dieſer bunten Welt alles
in allem liegt. So hat ſich der großmäch¬
tige Schöpfer heimlich- und kindlicherweiſe
durch ſeine Natur unſern ſchwachen Sinnen
offenbart, er iſt es nicht ſelbſt, der zu uns
ſpricht, weil wir dermalen zu ſchwach ſind,
ihn zu verſtehn; aber er winkt uns zu ſich,
und in jedem Mooſe, in jeglichem Geſtein
iſt eine geheime Ziffer verborgen, die ſich
nie hinſchreiben, nie völlig errathen läßt,
die wir aber beſtändig wahrzunehmen glau¬
ben. Faſt eben ſo macht es der Künſtler:
wunderliche, fremde, unbekannte Lichter ſchei¬
(2r Th.) H
nen aus ihm heraus, und er läßt die zau¬
beriſchen Strahlen durch die Kryſtalle der
Kunſt den übrigen Menſchen entgegenſpie¬
len, damit ſie nicht vor ihm erſchrecken,
ſondern ihn auf ihre Weiſe verſtehn und
begreifen. Nun vollendet ſich das Werk,
und dem Geoffenbarten liegt ein weites
Land, eine unabſehliche Ausſicht da, mit
allem Menſchenleben, mit himmliſchen Glanz
überleuchtet, und heimlich ſind Blumen hin¬
eingewachſen, von denen der Künſtler ſelber
nicht weiß, die Gottes Finger hineinwirkte,
und die uns mit ätheriſchem Zauber anduf¬
ten und uns unmerkbar den Künſtler als ei¬
nen Liebling Gottes verkündigen. Seht,
ſo denke ich über die Natur und über die
Kunſt.
Franz war vor Erſtaunen wie gefeſſelt,
denn dermaßen hatten ihn bis dahin noch
keine Worte angeredet; er erſchrak über ſich
ſelber, daß er aus dem Munde eines Man¬
nes, den die übrigen Leute wahnſinnig nann¬
ten, ſeine eigenſten Gedanken deutlich aus¬
geſprochen hörte, ſo daß wie mit Bannſprü¬
chen ſeine Seele aus ihrem fernen Hinter¬
halt hervorgezaubert ward, und ſeine un¬
kenntlichen Ahndungen in anſchaulichen Bil¬
dern vor ihm ſchwebten.
Wie willkommen iſt mir dieſer Ton!
rief er aus, ſo habe ich mich denn nicht ge¬
irrt, wenn ich mit dem ſtillen Glauben hier
anlangte, daß Ihr mir vielleicht behülflich
ſeyn würdet, mich aus der Irre zurecht zu
finden.
Wir irren alle, ſagte der Alte, wir
müſſen irren, und jenſeit dem Irrthum liegt
auch gewiß keine Wahrheit, beide ſtehn ſich
auch gewiß nicht entgegen, ſondern ſind nur
Worte, die der Menſch in ſeiner Unbehülf¬
lichkeit dichtete, um etwas zu bezeichnen.
H 2
was er gar nicht meinte. Verſteht Ihr
mich?
Nicht ſo ganz, ſagte Sternbald.
Der Alte fuhr fort: Wenn ich nur mah¬
len, ſprechen oder ſingen könnte, was mein
eigentlichſtes Selbſt bewegt, dann wäre mir
und auch den übrigen geholfen; aber mein
Geiſt verſchmäht die Worte und Zeichen, die
ſich ihm aufdrängen, und da er mit ihnen
nicht handthieren kann, gebraucht er ſie nur
zum Spiel. So entſteht die Kunſt, ſo iſt
das eigentliche Denken beſchaffen.
Franz erinnerte ſich, daß Dürer einſt
dieſen Gedanken faſt mit den nämlichen Wor¬
ten ausgedrückt habe. Er fragte: was hal¬
tet Ihr denn nun für das Höchſte, wohin
der Menſch gelangen könne?
Mit ſich zufrieden zu ſeyn, rief der Alte,
mit allen Dingen zufrieden zu ſeyn, denn
dann verwandelt er ſich und alles um ſich
her in ein himmliſches Kunſtwerk, er läu¬
tert ſich ſelbſt mit dem Feuer der Gottheit.
Können wir es dahin bringen? fragte
Franz.
Wir ſollen es wollen, fuhr jener fort,
und wir wollen es auch alle, nur daß vie¬
len, ja den meiſten, ihr eigner Geiſt auf
dieſer ſeltſamen Welt zu ſehr verkümmert
wird. Daraus entſteht, daß man ſo ſelten
den andern, noch ſeltener ſich ſelber inne
wird.
Ich ſuche nach Euren Gemählden, ſagte
Sternbald, aber ich finde ſie nicht; nach Eu¬
ren Geſprächen über die Kunſt darf ich et¬
was Großes erwarten.
Das dürft Ihr nicht, ſagte der Alte mit
einigem Verdruß, denn ich bin nicht für die
Kunſt gebohren, ich bin ein verunglückter
Künſtler, der ſeinen eigentlichen Beruf nicht
angetroffen hat. Es ergreift manchen das
Gelüſte, und er macht ſein Leben elend.
Von Kindheit auf war es mein Beſtreben,
nur für die Kunſt zu leben, aber ſie hat ſich
unwillig von mir abgewendet, ſie hat mich
niemals für ihren Sohn erkannt, und wenn
ich dennoch arbeitete, ſo geſchah es gleich¬
ſam hinter ihrem Rücken.
Er öffnete eine Thür, und führte den
Mahler in eine andre kleine Stube, die vol¬
ler Gemählde hing. Die meiſten waren
Köpfe, nur wenige Landſchaften, noch we¬
niger Hiſtorien. Franz betrachtete ſie mit
vieler Aufmerkſamkeit, indeß der alte Mann
ſchweigend einen verfallenen Vogelbauer aus¬
beſſerte. In allen Bildern ſpiegelte ſich ein
ſtrenges, ernſtes Gemüth, die Züge waren
beſtimmt, die Zeichnung ſcharf, auf Neben¬
dinge gar kein Fleiß gewendet, aber auf
den Geſichtern ſchwebte ein Etwas, das den
Blick zugleich anzog und zurückſtieß, bei vie¬
len ſprach aus den Augen eine Heiterkeit,
die man wohl grauſam hätte nennen kön¬
nen, andre waren ſeltſamlich entzückt, und
erſchreckten durch ihre furchtbare Miene.
Franz fühlte ſich unbeſchreiblich einſam, vol¬
lends wenn er aus dem kleinen Fenſter über
die Berge und Wälder hinüberſah, wo er
auf der fernen Ebene keinen Menſchen, kein
Haus unterſcheiden konnte.
Als Franz ſeine Betrachtung geendigt
hatte, ſagte der Alte: Ich glaube, daß Ihr
etwas Beſondres an meinen Bildern finden
mögt, denn ich habe ſie alle in einer ſeltſa¬
men Stimmung verfertigt. Ich mag nicht
mahlen, wenn ich nicht deutlich und beſtimmt
vor mir ſehe, was ich eigentlich darſtellen
will. Wenn ich nun manchmal im Schein
der Abendſonne vor meiner Hütte ſitze, oder
im friſchen Morgen, der die Berge herab,
über die Fluren hingeht, dann rauſchen oft
die Bildniſſe der Apoſtel, der heiligen Mär¬
tyrer hoch oben in den Bäumen, ſie ſehen
mich mit allen ihren Mienen an, wenn ich
zu ihnen bete, und fordern mich auf, ſie
abzuzeichnen. Dann greife ich nach Pinſel
und Pallette, und mein bewegtes Gemüth,
von der Inbrunſt zu den hohen Männern,
von der Liebe zur verfloſſenen Zeit ergriffen,
ſchattirt die Trefflichkeiten mit irrdiſchen Far¬
ben hin, die in meinem Sinn, vor meinen
Augen erglänzen.
So ſeyd Ihr ein glücklicher Mann,
ſagte Franz, der über dieſe Rede erſtaunte.
Wie Ihr es wollt, ſagte der Alte, der
Künſtler ſollte nach meinem Urtheile niemals
anders arbeiten, und was iſt ſeine Begeiſte¬
rung denn anders? Dem Mahler muß al¬
les wirklich ſeyn, denn was iſt es ſonſt,
das er darſtellen will? Sein Gemüth muß
wie ein Strom bewegt ſeyn, ſo daß ſich ſeine
innere Welt bis auf den tiefſten Grund er¬
ſchüttert, dann ordnen ſich aus der bunten
Verwirrung die großen Geſtalten, die er
ſeinen Brüdern offenbart. Glaube mir, noch
nie iſt ein Künſtler auf eine andre Art be¬
geiſtert geweſen; man ſpricht von dieſer Be¬
geiſterung ſo oft, als von einem natürlichen
Dinge, aber ſie iſt durchaus unerklärlich,
ſie kömmt, ſie geht, gleich dem erſten Früh¬
lingslichte, das unvermuthet aus den Wol¬
ken niederkömmt, und oft, ehe Du es ge¬
nießeſt, zurückgeflohen iſt.
Franz war verlegen, was er antworten
ſollte; er war ungewiß, ob der alte Mahler
wirklich vom Wahnſinn befallen ſey, oder
ob er nur die Sprache der Künſtler rede.
Zuweilen, fuhr der Alte fort, redet mir
auch die umgebende Natur zu, und erregt
mich, daß ich mich in der Kunſt üben muß.
Es iſt mir aber bei allen meinen Verſuchen
niemals um die Natur zu thun, ſondern ich
ſuche den Charakter oder die Phyſiognomie
herauszufühlen, und irgend einen frommen
Gedanken hineinzulegen, der die Landſchaft
wieder in eine ſchöne Hiſtorie verwandelt.
Er machte hierauf den jungen Mahler
auf eine Landſchaft aufmerkſam, die etwas
abſeits hing. Es war eine Nachtſcene, Wald,
Berg und Thal lag in unkenntlichen Maſſen
durch einander, ſchwarze Wolken tief vom
Himmel hinunter. Ein Pilgram ging durch
die Nacht, an ſeinem Stabe, an ſeinen Mu¬
ſcheln am Hute kennbar: um ihn zog ſich
das dichteſte Dunkel, er ſelber nur von ver¬
ſtohlenen Mondſtrahlen erſchimmert; ein fin¬
ſterer Hohlweg deutete ſich an, oben auf ei¬
nem Hügel von fern her glänzte ein Cruci¬
fix, um das ſich die Wolken theilten; ein
Strahlenregen vom Monde ergoß ſich, und
ſpielte um das heilige Zeichen.
Seht, rief der Alte, hier habe ich das
zeitliche Leben und die überirrdiſche, himm¬
liſche Hoffnung mahlen wollen: ſeht den
Fingerzeig, der uns aus dem finſtern Thal
herauf zur mondigen Anhöhe ruft. Sind
wir etwas weiter, als wandernde, verirrte
Pilgrimme? Kann etwas unſern Weg er¬
hellen, als das Licht von oben? Vom Kreuze
her dringt mit lieblicher Gewalt der Strahl
in die Welt hinein, der uns belebt, der
unſre Kräfte aufrecht hält. Seht, hier habe
ich geſucht, die Natur wieder zu verwan¬
deln, und das auf meine menſchliche künſt¬
leriſche Weiſe zu ſagen, was die Natur ſel¬
ber zu uns redet; ich habe hier ein ſanftes
Räthſel niedergelegt, das ſich nicht jedem
entfeſſelt, das aber doch leichter zu errathen
ſteht, als jenes erhabene, das die Natur
als Bedeckung um ſich ſchlägt.
Man könnte, antwortete Franz, dieſes
Gemählde ein allegoriſches nennen.
Alle Kunſt iſt allegoriſch, ſagte der Mah¬
ler, wie Ihr es nehmt. Was kann der
Menſch darſtellen, einzig und für ſich beſte¬
hend, abgeſondert und ewig geſchieden von
der übrigen Welt, wie wir die Gegenſtände
vor uns ſehn? Die Kunſt ſoll es auch nicht:
wir fügen zuſammen, wir ſuchen dem Ein¬
zelnen einen allgemeinen Sinn aufzuheften,
und ſo entſteht die Allegorie. Das Wort
bezeichnet nichts anders als die wahrhafte
Poeſie, die das Hohe und Edle ſucht, und
es nur auf dieſem Wege finden kann.
Unter dieſen Geſprächen war ein Hänf¬
ling unvermerkt aus ſeinem Käfig entwiſcht,
der Alte hatte die Thür in der Zerſtreuung
offen gelaſſen. Er ſchrie erſchreckend auf,
als er ſeinen Verluſt bemerkte, er ſuchte
umher, er öffnete das Fenſter, und lockte
pfeifend und liebkoſend den Flüchtigen, der
nicht wiederkam. Er konnte ſich auf keine
Weiſe zufrieden geben, er hörte auf Stern¬
balds Worte nicht, der ihn zu tröſten ſuchte.
Sternbald ſagte, um ihn zu zerſtreuen:
Ich glaube es einzuſehn, wie Ihr über die
Landſchaften denkt, und mich dünkt, Ihr
habt Recht. Denn was ſoll ich mit allen
Zweigen und Blättern? mit dieſer genauen
Kopie der Gräſer und Blumen? Nicht dieſe
Pflanzen, nicht die Berge will ich abſchrei¬
ben, ſondern mein Gemüth, meine Stim¬
mung, die mich gerade in dieſem Momente
regiert, dieſe will ich mir ſelber feſthalten,
und den übrigen Verſtändigen mittheilen.
Ganz gut, rief der Alte aus, aber was
kümmert mich das jetzt, da mein Hänfling
auf und davon iſt?
War er Euch denn ſo lieb? fragte Franz
Der Alte ſagte verdrießlich: ſo lieb wie
mir alles iſt, was ich liebe. Ich mache da
eben nicht ſonderliche Unterſchiede. Ich denke
an ſeinen ſchönen Geſang, an ſeine Liebe,
die er immer zu mir bewies, und darum
hätte ich mir dieſe Treuloſigkeit um ſo we¬
niger vermuthet. Nun iſt ſein Geſang nicht
mehr für mich, ſondern er durchfliegt den
Wald, und dieſer einzelne, mir ſo bekannte
Vogel vermiſcht ſich mit den übrigen ſeines
Geſchlechts. Ich gehe vielleicht einmal aus
und höre ihn, und ſehe ihn, und kenne ihn
doch nicht wieder, ſondern halte ihn für eine
ganz fremde Perſon. So haben mich ſchon
ſo viele Freunde verlaſſen. Ein Freund,
der ſtirbt, thut auch nichts weiter, als daß
er ſich wieder mit der großen allmächtigen
Erde vermiſcht, und mir unkenntlich wird.
So ſind ſie auch in den Wald hineingeflo¬
gen, die ich ſonſt wohl kannte, ſo daß ich
ſie nun nicht wieder herausfinden kann.
Wir ſind Thoren, wenn wir ſie verloren
wähnen: Kinder, die ſchreien und jammern,
wenn die Eltern mit ihnen Verſtecken's
ſpielen, denn das thun die Geſtorbenen nur
mit uns, der kurze Augenblick zwiſchen Jetzt
und dem Wiederfinden iſt nicht zu rechnen.
Und daß ich das Gleichniß vollende: ſo iſt
Freundſchaft auch wohl einem Käfige gleich,
ich trenne den Vogel von den übrigen,
um ihn zu kennen und zu lieben, ich um¬
gebe ihn mit einem Gefängniſſe, um ihn
mir ſo recht eigentlich abzuſondern. Der
Freund ſondert den Freund von der ganzen
übrigen Welt, und hält ihn in ſeinen ängſt¬
lichen Armen eingeſchloſſen; er läßt ihn nicht
zurück, er ſoll nur für ihn ſo gut, ſo zärt¬
lich, ſo liebevoll ſeyn, die Eiferſucht bewacht
ihn vor jeder fremden Liebe, verlöre jener
ſich im Strudel der allgemeinen Welt, ſo
wäre er auch dem Freunde verloren und ab¬
geſtorben. — Sieh her, mein Sohn, er
hat ſein Futter nicht einmal verzehrt, ſo
lieb iſt es ihm geweſen, mich zu verlaſſen.
Ich habe ihn ſo ſorgfältig gepflegt, und
doch iſt ihm die Freiheit lieber.
Ihr habt die Menſchen gewißlich recht
von Herzen geliebt! rief Sternbald aus.
Nicht immer, ſagte jener, die Thiere
ſtehn uns näher, denn ſie ſind wie kindiſche
Kinder, deren Liebe immer unterhalten ſeyn
will, weil ſie ungewiß und unbegreiflich iſt,
mit dem Menſchen rechnen wir gern, und
wenn wir Bezahlung wahrnehmen, vermiſ¬
ſen wir ſchon die Liebe; gegen Thiere ſind
wir duldend, weil ſie unſre Trefflichkeiten
nicht bemerken können, und wir ihnen da¬
durch immer wieder gleich ſtehn; indem wir
aber ihre dumpfe Exiſtenz fühlen und ein¬
ſehn, entſteht eine magiſche Freundſchaft,
aus Mitleiden, Zuneigung, ja ich möchte
ſagen
ſagen aus Furcht, gemiſcht, die ſich durch¬
aus nicht erklären läßt. Ich will Euch kürz¬
lich meine Geſchichte im Auszuge erzählen,
damit Ihr begreifen könnt, wie ich hierher
gerathen bin.
Sie verließen die Hütte, und ſetzten ſich
in den Schatten eines alten Baumes, ſie
ſchwiegen eine Weile, dann fing der alte
Mahler folgende Erzählung an:
Ich bin in Italien gebohren und heiße
Anſelm. Weiter kann ich Euch eben von
meiner Jugend nichts ſagen. Meine Eltern
ſtarben früh, und hinterließen mir ein klei¬
nes Vermögen, das mir zufiel, als ich mün¬
dig war. Meine Jugend war wie ein leich¬
ter Traum verflogen, keine Erinnerung war
in meinem Gedächtniſſe gehaftet, ich hatte
nicht eine Erfahrung gemacht. Aber ich
hatte die entflohene Zeit auf meine Art ge¬
(2r Th.) J
noſſen, ich war immer zufrieden und ver¬
gnügt geweſen.
Jetzt nahm ich mir vor, in's Leben ein¬
zutreten, und auch, wie andre, einen Platz
anzufüllen, damit von mir die Rede ſey,
daß ich geachtet würde. Schon von meiner
Kindheit hatte ich in mir einen großen Trieb
zur Kunſt geſpürt, die Mahlerei war es,
die meine Seele angezogen hatte, der Ruhm
der damaligen Künſtler begeiſterte mich. Ich
ging nach Perugia, wo damals Pietro in
beſonderm Rufe ſtand, ihm wollte ich mich
in die Lehre geben. Aber bald ermüdete
meine Geduld, ich lernte junge Leute ken¬
nen, deren ähnliche Gemüthsart mich
zu ihrem vertrauten Freunde machte. Wir
waren luſtig mit einander, wir ſangen, wir
tanzten und ſcherzten, an die Kunſt ward
wenig gedacht.
Franz fiel ihm in die Rede, indem er
fragte: Könnt Ihr Euch vielleicht erinnern,
ob damals bei dieſem Meiſter Pietro noch
Rafael in der Lehre ſtand? Rafael Sanzio?
O ja, ſagte der Alte, es war ein klei¬
ner unbedeutender Knabe, auf den Niemand
ſonderliche Rückſicht nahm. Ich erſtaune,
daß Ihr den Namen ſo eigentlich wißt.
Und ich erſtaune über das, was Ihr
mir ſagt, rief Sternbald aus. So wißt Ihr
es denn gar nicht, daß dieſer Knabe ſeitdem
der erſte von allen Mahlern geworden iſt?
daß jedermann ihn im Munde führt, jeder
ihn anbetet? Er iſt ſeit einem Jahre geſtor¬
ben, und ganz Europa trauert über ſeinen
Verluſt, wo Menſchen wohnen, die die Kunſt
kennen, da iſt auch er gekannt, noch keiner
hat die Göttlichkeit der Mahlerei ſo tief er¬
gründet.
Anſelm ſtand eine Weile in ſich gekehrt,
dann brach er aus: O, wunderbare Ver¬
I 2
gangenheit! Wo iſt all' mein Beſtreben ge¬
blieben, wie iſt es gekommen, daß dieſer
mir Unbekannte meine innigſten Wünſche
ergriffen und zu ſeinem Eigenthume gemacht
hat? Ja, ich habe wahrlich umſonſt gelebt.
Aber ich will meine Erzählung beendigen.
Damals ſchien die ganze Welt glänzend
in mein junges Leben hinein, ich erblickte
auf allen Wegen Freundſchaft und Liebe.
Unter den Mädchen, die ich kennen lernte,
zog eine beſonders meine ganze Aufmerkſam¬
keit auf ſich, ich liebte ſie innig, nach eini¬
gen Wochen war ſie meine Gattin. Ich
hemmte meine Freude und meine Entzückun¬
gen durch nichts, ein blendender, ungeſtör¬
ter Strom war mein Lebenslauf. In der
Geſellſchaft der Freunde und der Liebe, vom
Wein erhitzt, war es mir oft, als wenn ſich
wunderbare Kräfte in meinem Innerſten ent¬
wickelten, als beginne mit mir die Welt eine
neue Epoche. In den Stunden, die mir
die Freude übrig ließ, legte ich mich wieder
auf die Kunſt, und es war zuweilen, als
wenn vom Himmel herab goldene Strahlen
in mein Herz hineinſchienen, und alle meine
Lebensgeiſter erläuterten und erfriſchten. Dann
drohte ich mir gleichſam mit ungebohrnen und
unſterblichen Werken, die meine Hand noch
ausführen ſollte, ich ſah auf die übrige Kunſt,
wie auf etwas Gemeines und Alltägliches
hinab, ich wartete ſelber mit Sehnſucht auf
die Mahlereien, durch die ſich mein hoher
Genius ankündigen würde. Dieſe Zeit war
die glücklichſte meines Lebens.
Indeſſen war mein kleines Vermögen
aufgegangen. Meine Freunde wurden käl¬
ter, meine Freude erloſch, meine Gattin war
krank, denn ihre Entbindung war nahe, und
ich fing an, an meinem Kunſttalent zu zwei¬
feln. Wie ein dürrer Herbſtwind wehte es
durch alle meine Empfindungen hindurch,
wie ein Traum wurde mein friſcher Geiſt
von mir entrückt. Meine Noth ward grö¬
ßer, ich ſuchte Hülfe bei meinen Freunden,
die mich verließen, die ſich bald ganz von
mir entfremdeten. Ich hatte geglaubt, ihr
Enthuſiasmus würde nie erlöſchen, es könne
mir an Glück niemals mangeln, und nun
ſah ich mich plötzlich einſam. Ich erſchrak,
daß mir mein Streben als etwas Thörichtes
erſchien, ja daß ich in meinem Innerſten
ahndete, ich habe die Kunſt niemals geliebt.
O, wenn ich an jene drückenden Mo¬
nate zurückdenke! Wie ſich nun in meinem
Herzen alles entwickelte, wie grauſam ſich
die Wirklichkeit von meinen Phantaſien los¬
arbeitete und trennte! Ich ſuchte allenthal¬
ben Hülfe, ich verſuchte die ſchmählichſten
Mittel, und kaum friſtete ich mich dadurch
von einem Tage zum andern hin. Nun
fühlte ich das Treiben der Welt, nun lernte
ich die Noth kennen, die meine armen Brü¬
der mit mir theilten. Vorher hatte ich die
menſchliche Thätigkeit, dieſe mitleidswürdige
Arbeitſeligkeit verachtet, mit Thränen in den
Augen verehrte ich ſie jetzt, ich ſchämte mich
vor dem zerlumpten Tagelöhner, der im
Schweiße ſeines Angeſichts ſein tägliches
Brod erwirbt, und nicht höher hinausdenkt,
als wie er morgen von neuem beginnen
will. Vorher hatte ich in der Welt die ſchö¬
nen Formen mit lachenden Augen aufgeſucht
und mir eingeprägt, jetzt ſah ich im ange¬
ſpannten Pferde und Ochſen nur die Skla¬
verei, die Dienſtbarkeit, die den Landmann
ernährte, ich ſah neidiſch in die kleinen
ſchmutzigen Fenſter der Hütten hinein, nicht
mehr um ſeltſame poetiſche Ideen anzutref¬
fen, ſondern um den Hausſtand und das
Glück dieſer Familien zu berechnen. O, ich
erröthete, wenn man das Wort Kunſt aus¬
ſprach, ich fühlte mich unwürdig, und das,
was mir vorher als das Göttlichſte erſchien,
kam mir nun als ein müßiges, zeitverder¬
bendes Spielwerk vor, als eine Anmaßung
über die leidende und arbeitende Menſch¬
heit. Ich war meines Daſeyns überdrüßig.
Einer meiner Freunde, der mir vielleicht
geholfen hätte, war verreiſ't. Ich überließ
mich der Verzweiflung. Meine Gattin ſtarb
im Wochenbette, das Kind war todt. Ich
lag in der Kammer neben an, und alles
erloſch vor meinen Augen. Alles, was mich
geliebt hatte, trat in einer fürchterlichen
Gleichgültigkeit auf mich zu: alles, was ich
für mein gehalten hatte, nahm wie Fremd¬
ling von mir auf immer Abſchied.
Alle Geſtalten der Welt, alles, was
ſich je in meinem Innern bewegt hatte,
verwirrte ſich verwildert durch einander. Es
war, als wenn ich mich verlor, und das
Fremdeſte, mir bis dahin Verhaßteſte mein
Selbſt wurde. So rang ich im Kampfe,
und konnte nicht ſterben, ſondern verlor nur
meine Vernunft. Ich wurde wahnſinnig.
Ich weiß nicht wo ich mich herumtrieb,
was ich damals erlebt habe. In einer klei¬
nen Kapelle einige Meilen von hier fand ich
zuerſt mich und meine Beſinnung wieder.
Wie man aus einem Traume erwacht, und
einen längſt vergeſſenen Freund vor ſich ſte¬
hen ſieht, ſo ſeltſam überraſcht, ſo durch
mich erſchreckt, war ich ſelber.
Seitdem wohne ich hier. Mein Gemüth
iſt dem Himmel gewidmet. Ich habe alles
vergeſſen. Ich brauche wenig, und dies
Wenige beſitze ich durch die Gutheit einiger
Menſchen.
Seitdem, fuhr er nach einigem Still¬
ſchweigen fort, iſt die Natur mein vorzüg¬
lichſtes Studium. Ich finde allenthalben
wunderbare Bedeutſamkeit und räthſelhafte
Winke. Jede Blume, jede Muſchel erzählt
mir eine Geſchichte, ſo wie ich Euch eine er¬
zählt habe. Seht dieſe wunderbaren Mooſe.
Ich weiß nicht, was alle dergleichenin der
Welt ſoll, und doch beſteht daraus die Welt.
So tröſte ich mich über mich und die übri¬
gen Menſchen. Die unendliche Mannigfal¬
tigkeit der Geſtalten, die ſich bewegen, die
gleichſam mehr ein Leben erſtreben und an¬
deuten, als wirklich leben, beruhigt mich,
daß auch ich vielleicht ſo ſeyn mußte, und
mich von meiner Bahn niemals ſo ſehr ver¬
irrt habe, als ich wohl ehemals wähnte. —
Es war indeſſen ſpät geworden. Franz
wollte gehen, ihm aber gern vorher etwas
abkaufen, damit er ihm auf eine leichtere
Art ein Geſchenk machen könne. Er ſah
noch einmal umher, und begriff es ſelber
nicht, wie ihm ein kleines Bild habe ent¬
gehn können, das er nun jetzt erſt bemerkte.
Es war das genaue Bildniß ſeiner Unbe¬
kannten, jeder Zug, jede Miene, ſo viel er
ſich erinnern konnte. Er nahm es haſtig
herab, und verſchlang es mit den Augen,
ſein Herz klopfte ungeſtüm. Als er darnach
fragte, erzählte der Alte, daß es ein junges
Frauenzimmer ſey, die er vor einem Jahre
gemahlt habe: ſie habe ihn beſucht, und
ihr holdſeliges Geſicht habe ſich ſeinem Ge¬
dächtniſſe dermaßen eingeprägt, daß er es
nachher mit Leichtigkeit habe zeichnen kön¬
nen. Weitere Nachricht konnte er von dem
Mädchen nicht geben.
Franz bat um das Bild, das ihm der
Alte gern bewilligte: Franz drückte ihm hier¬
auf ein größeres Geſchenk in die Hand, als
er ihm anfangs zugedacht hatte. Der Alte
ſteckte es ein, ohne die Goldſtücke nur zu
beſehn, dann umarmte er ihn und ſagte:
Bleibe immer herzlich und treu geſinnt,
mein Sohn, liebe Deine Kunſt und Dich,
dann wird es Dir immer wohl gehn. Der
Künſtler muß ſich ſelber lieben, ja verehren,
er darf keiner nachtheiligen Verachtung den
Zugang zu ſich verſtatten. Sey in allen
Dingen glücklich!
Franz drückte ihn an ſeine Bruſt, und
ging dann den Berg hinunter.
Er war durch die Erzählung des alten
Mahlers wehmüthig geworden, es leuchtete
ihm ein, daß es ihm möglich ſey, ſich auch
über ſeine Beſtimmung zu irren, dabei war
mit friſcher Kraft das Andenken und das
Bild ſeiner Geliebten in ſeine Seele zurück¬
gekommen. Er kam zum Schloſſe, indem
er den Weg kaum bemerkt hatte, von der
Gräfin war er ſchon vermißt, ſie war auf
ihr Bildniß begierig, und er mußte gleich
am folgenden Morgen weiter mahlen. Franz
fand ſie an dieſem Tage ungemein liebens¬
würdig, ja er war auch in ihrer Geſellſchaft
weniger verlegen; er erzählte ihr von ſeiner
Wallfahrt zum alten Mahler, deſſen Ge¬
ſchichte er ihr kürzlich wiederholte. Die Grä¬
fin ſagte: Nun wahrlich, der alte Einſiedler
muß Euch auf eine ungemeine Art liebge¬
wonnen haben, da er ſo viel mit Euch ge¬
ſprochen hat, denn es iſt ſonſt ſchon eine
große Gefälligkeit, wenn er dem Fragenden
nur ein einziges Wort antwortet, ſo viel
ich aber weiß, hat er bisher noch keinem
Einzigen ſeine Geſchichte erzählt.
Franz zeigte ihr hierauf das Gemählde,
das er gekauft hatte, ohne den Zuſammen¬
hang zu erwähnen, den dieſes Bild mit ſei¬
nem Leben hatte. Die Gräfin erſtaunte.
Ja, ſie iſt es! rief ſie aus, es iſt meine
arme, unglückliche Schweſter!
Eure Schweſter? ſagte Franz erſchrok¬
ken, und Ihr nennt ſie unglücklich?
Und mit Recht, antwortete die Gräfin;
jetzt iſt ſie ſeit neun Monaten todt.
Franz verlor die Sprache, ſeine Hand
zitterte, es war ihm unmöglich, weiter zu
mahlen. Jene fuhr fort: Sie trug und
quälte ſich mit einer unglücklichen Liebe, die
ihr Leben wegzehrte; vor einem Jahre machte
ſie eine Reiſe durch Deutſchland, um ſich zu
zerſtreuen und geſunder zu werden, aber ſie
kam zurück und ſtarb. Der Alte hat ſie da¬
mals noch geſehen, und wie ich jetzt er¬
fahre, nachher gemahlt.
Franz war durch und durch erſchüttert.
Er ſtand auf und verließ den Saal. Er
irrte umher, und warf ſich endlich weinend
an der dichteſten Stelle des Gehölzes nieder:
die Worte, die ihn betäubt hatten, ſchallten
noch immer in ſeinen Ohren. — So iſt ſie
denn auf ewig mir verloren, die niemals
mein war! rief er aus. O, wie hart iſt die
Weiſe, mit der mich das Schickſal von mei¬
nem Wahnſinne heilen will! O, Ihr Blu¬
men, Ihr ſüßen Worte, die Ihr mir ſo er¬
freulich war't, du holdſelige Schreibtafel,
die ich ſeitdem immer bei mir trage, — ach!
nun iſt alles vorüber! Von dieſem Tage,
von heute iſt meine Jugend beſchloſſen, alle
jungen Wünſche, alle liebreizenden Hoffnun¬
gen verlaſſen mich nun, alles ruht tief im
Grabe. Nun iſt mein Leben mir kein Leben
mehr, mein Ziel, nach dem ich ſtrebte, iſt
hinweggenommen, ich bin einſam. Das
Haupt, das meine Sonne war, nach dem
ich mich wie die Blume wandte, liegt nun
im Grabe und iſt unkenntlich. Ja, Anſelm,
ſie iſt nun auch in den großen weiten Wald
wieder hineingeflogen, meine liebſte Sänge¬
rin, die ich ſo gern an dieſem Herzen be¬
herbergt hätte, aller Geſang erinnert mich
nur an ſie, die fließenden Waldbäche hier
ermuntern mich, immer fort zu weinen, ſo
wie ſie ſelber thun. Was ſoll mir Kunſt,
was Ruhm, wenn ſie nicht mehr iſt, der
ich alles zu Füßen legen wollte?
Am folgenden Tage kam Rudolf zurück,
vor dem Franz ſein Geheimniß nun noch
gefliſſentlicher verbarg; er fürchtete den hei¬
tern Muthwillen ſeines Freundes, und moch¬
te dieſe Schmerzen nicht ſeinen Spöttereien
Preis geben. Rudolf erzählte ihm mit kur¬
zen Worten die Geſchichte ſeiner Wander¬
ſchaft, wo er ſich herumgetrieben, was er in
dieſen Tagen erlebt. Franz hörte kaum dar¬
auf hin, weil er mit ſeinem Verluſte zu in¬
nig beſchäftigt war.
Du haſt ja hier einen Verwandten gefun¬
den, ſagte Sternbald endlich, aber mich dünkt,
Du freuſt Dich darüber nicht ſonderlich.
Meine
Meine Familie, ſagte jener, iſt ziemlich
ausgebreitet, ich bin noch niemals lange an
einem Orte geblieben, ohne einen Vetter
oder eine Muhme anzutreffen. Darum iſt
mir dergleichen nichts Ungewöhnliches. Die¬
ſer da iſt ein guter langweiliger Mann, mit
dem ich nun ſchon alles geſprochen habe,
was er zu ſagen weiß. Ihr führt aber übri¬
gens hier ein recht langweiliges Leben, und
Du, mein lieber Sternbald, wirſt darüber
ganz traurig und verdrüßlich, ſo wie es ſich
auch ziemt. Ich habe alſo dafür geſorgt,
daß wir einige Beſchäftigung haben, womit
wir uns die Zeit vertreiben können.
Er hatte alle Diener des Schloſſes auf
ſeine Seite gebracht und beredet, auch ei¬
nige andre, beſonders Mädchen aus der
Nachbarſchaft eingeladen, um am folgenden
Tage ein luſtiges Feſt im Walde zu begehn.
Franz entſchuldigte ſich, daß er ihm nicht
(2r Th.) K
Geſellſchaft leiſten könne, aber Floreſtan
hörte nicht darauf. Ich werde nie wieder
vergnügt ſeyn, ſagte Franz, als er ſich al¬
lein ſah, meine Jugend iſt vorüber, ich
kann auch nicht mehr arbeiten, wenn ich in
der Zukunft vielleicht auch geſchäftig bin.
Der folgende Tag erſchien. Floreſtan
hatte alles angeordnet. Man verſammelte
ſich Nachmittags im Walde, die Gräfin
hatte allen die Erlaubniß ertheilt, der kühl¬
ſte, ſchattigſte Platz wurde ausgeſucht, wo
die dickſten Eichen ſtanden, wo der Raſen
am grünſten war. Rudolf empfing jeden
Ankömmling mit einem fröhlichen Schall¬
meiliede, die Mädchen waren zierlich ge¬
putzt, die Jäger und Diener mit Bändern
und bunten Zierrathen geſchmückt. Nun
kamen auch die Spielleute, die luſtig auf¬
ſpielten, wobei Wein und verſchiedene Ku¬
chen in die Runde gingen. Die Hitze des
Tages konnte an dieſen Ort nicht dringen,
die Bäche und fernen Gewäſſer ſpielten wie
eine liebliche Waldorgel dazu, alle Gemü¬
ther waren fröhlich.
Im grünen Graſe gelagert, wurden Lie¬
der geſungen, die alle Fröhlichkeit athmeten:
da war von Liebe und Kuß die Rede, da
wurde des ſchönen Buſens erwähnt, und
die Mädchen lachten fröhlich dazu. Franz
wehrte ſich anfangs gegen die Freude, die
alle beſeelte, er ſuchte ſeine Traurigkeit,
aber der helle, liebliche Strom ergriff auch
ihn mit ſeinen kryſtallenen plätſchernden
Wellen, er genoß die Gegenwart und ver¬
gaß, was er verloren hatte. Er ſaß neben
einem blonden Mädchen, mit der er bald
ein freundliches Geſpräch begonn, und den
runden friſchen Mund, die lieblichen Au¬
gen, den hebenden Buſen ununterbrochen
betrachtete.
K 2
Als es noch kühler ward, ordnete man
auf dem runden Raſenplatze einen luſtigen
Tanz an. Rudolf hatte ſich auf ſeine Art
fantaſtiſch geſchmückt, und glich einer ſchö¬
nen idealiſchen Figur auf einem Gemählde.
Er war der Ausgelaſſenſte, aber in ihm
ſpiegelte ſich die Fröhlichkeit am lieblichſten.
Franz tanzte mit ſeiner blonden Emma,
die manchen Händedruck erwiederte, wenn
ſie den Reigen herunter ihm entgegen kam.
Da aber der Platz für den Tanz faſt
ein wenig zu eng war, ſo ſonderten ſich ei¬
nige ab, um auszuruhen; unter dieſen wa¬
ren Floreſtan, Sternbald und die Blonde.
Abſeits befeſtigten Franz und Rudolf ein
Seil zwiſchen zwei dicken, naheſtehenden Ei¬
chen, ein Brett war bald gefunden und die
Schaukel fertig. Emma ſetzte ſich furchtſam
hinein, und flog nun nach dem Takte und
Schwunge der Muſik im Waldſchatten auf
und ab. Es war lieblich, wie ſie bald hin¬
auf in den Wipfel ſchwankte, bald wieder
wie eine Göttin herabkam, und mit leichter
Bewegung einen ſchönen Cirkel beſchrieb.
Franz fand ſie immer ſchöner; der Buſen
war verrätheriſch halb bloß, die Bewe¬
gung der Schaukel entblößte eine zierliche
Wade und ein ſchönes rundes Knie, wenn
der Schwung ſie etwas höher trieb, ent¬
deckte das lüſterne Auge den runden, weißen
Schenkel, ſie aber ſaß ängſtlich und unbe¬
fangen oben, und dachte nicht daran, vor¬
ſichtiger zu ſeyn, weil ſie zu vorſichtig war
und nur den Fall befürchtete.
Nun, mein Freund, rief Rudolf öfter,
biſt Du nun nicht vergnügt? Laß alle Gril¬
len ſchwinden! Franz ſah nur die reizende
Geſtalt, die ſich in der Luft bewegte.
Als man des Tanzes überdrüßig war,
ſetzte man ſich wieder nieder, und ergötzte
ſich an Liedern und aufgegebenen Räthſeln.
Jetzt ertrug Sternbald den Muthwillen der
Poeſie, die in alten Reimen die Reize der
Liebſten lobpries: er ſtimmte mit ein, und
verließ die blonde Emma niemals, wenig¬
ſtens mit den Augen.
Der Abend brach ein, in geſpaltenen
Schimmern floß das Abendroth durch den
Wald, die lieblichſte, ſtillſte Luft umgab die
Natur, und bewegte auch nicht die Blätter
am Baume. Rudolf, deſſen Phantaſie im¬
mer geſchäftig war, ließ nun eine lange
Tafel bereiten, auf die eben ſo viele Blu¬
men als Speiſen geſetzt wurden, dazwiſchen
die Lichter, die kein Wind verlöſchte, ſon¬
dern die ruhig fortbrannten, und einen zau¬
beriſchen, berauſchenden Anblick gewährten.
Man aß unter ſchallender Muſik, dann wur¬
den die Tiſche aus einander geſchoben, und
umher zwiſchen den Bäumen vertheilt, die
Wachskerzen brannten auch hier. Nun kam
ein muthwilliges Pfänderſpiel in den Gang,
bei dem Sternbald manchen herzlichen Kuß
von ſeiner Blonden empfing, wobei ihm je¬
desmal das Blut in die Wangen ſtieg.
Jetzt war es Nacht, man mußte ſich
trennen. Die Leute aus dem Dorfe und
der kleinen Stadt gingen zurück, Rudolf
und Sternbald begleiteten den Zug, Later¬
nen gingen voran, dann folgten die Spiel¬
leute, die faſt beſtändig ihre Muſik erſchal¬
len ließen, und dadurch den Zug im Takte
erhielten; Franz führte ſeine Emma, er
ſchlang ſeinen Arm um ihren Leib, ſeine
Hand fiel auf ihre ſchöne Bruſt, er wagte
es, von der Dunkelheit, von der Muſik be¬
rauſcht, das Gewand zurückzuſchieben, ſie
widerſetzte ſich nur ſchwach. Er drückte die
ſchöne volle Bruſt mit zitternden Fingern,
die ihm muthwillig entgegenquoll. — Jetzt
ſtanden ſie vor dem Dorfe, er nahm mit
einem herzlichen Kuſſe Abſchied; Emma war
ſtumm, er konnte kein Wort hervorbringen.
Schweigend ging er mit Rudolf durch
den Wald zurück: als ſie heraustraten,
glänzte ihnen über die Ebene herüber der
aufgehende Mond entgegen: das Schloß
brannte in ſanften goldenen Flammen.
Sechstes Kapitel.
Das Bildniß der Gräfin und des fremden
Ritters war beendigt, ſie war ſehr zufrieden,
und belohnte den Mahler reichlicher, als es
beide Freunde erwartet hatten. Franz und
Emma ſahen ſich oft, und Franzens Wün¬
ſche und Bitten wurden immer ungeſtümer
und ungeduldiger; er dachte auch dieſer Be¬
kanntſchaft wegen ungern an die Abreiſe,
an die ihn Rudolf oft erinnerte, um ihn zu
ängſtigen.
Franz erſtaunte oft in einſamen Stun¬
den über ſich ſelber, über die Ungenügſam¬
keit, die ihn peinigte. Er betrachtete dann
mit wehmüthiger Ungeduld das Bild ſeiner
ehemaligen Geliebten, er wollte ſie ſeiner
Phantaſie in aller vorigen Klarheit zurück¬
zaubern, aber ſein Geiſt und ſeine Sinne
waren wie mit ehernen Banden in der Ge¬
genwart feſtgehalten.
Bravo! ſagte an einem Morgen Rudolf
zu ſeinem Freunde, Du gefällſt mir, denn
ich ſehe, Du lernſt von mir. Du ahmſt mir
nach, daß Du auch eine Liebſchaft haſt, die
Deine Lebensgeiſter in Thätigkeit erhält'
glaube mir, man kann im Leben durchaus
nicht anders zurecht kommen. So aber ver¬
ſchönert ſich uns jede Gegend, der Name
der Dörfer und Städte wird uns theuer und
bedeutend, unſre Einbildung wird mit lieb¬
lichen Bildern angefüllt, ſo daß wir uns al¬
lenthalben wie in einer erſehnten Heimath
fühlen.
Aber wohin führt uns dieſer Leichtſinn?
fragte Franz.
Wohin? rief Rudolf aus, o mein Freund,
verbittere Dir nicht mit dergleichen Fragen
Deinen ſchönſten Lebensgenuß, denn wohin
führt Dich das Leben endlich?
Aber die Sinnlichkeit, ſagte Franz,
hörſt Du nicht jeden rechtlichen Menſchen
ſchlecht davon ſprechen?
O, über die rechtlichen Menſchen! ſagte
Floreſtan lachend, ſie wiſſen ſelbſt nicht,
was ſie wollen. Der Himmel giebt ſich die
Mühe, uns die Sinnen anzuſchaffen, nun,
ſo wollen wir uns deren auch nicht ſchämen,
nach unſerm löblichen Tode wollen wir uns
dann mit des Himmels Beiſtand zur Freude
beſſer gebehrden.
Was war das für ein Mädchen, fragte
Franz, das Du in der Gegend von Ant¬
werpen beſuchteſt?
O, das iſt eine Geſchichte, antwortete
jener, die ich Dir ſchon lange einmal habe
erzählen wollen. Ich war vor einem Jahre
auf der Reiſe, und ritt über's Feld, um
ſchneller fortzukommen. Ich war müde,
mein Pferd fing an zu hinken, die Meile
kam uns unendlich lang vor. Ich ſang
ein Liedchen, ich beſann mich auf hun¬
dert Schwänke, die mich in vielen an¬
dern Stunden erquickt hätten, aber alles
war vergebens. Indem ich mich noch ab¬
quäle, ſehe ich eine hübſche niederländiſche
Bäuerin am Wege ſitzen, die ſich die Augen
abtrocknet. Ich frage, was ihr fehlt, und
ſie erzählt mir mit der liebenswürdigſten
Unbefangenheit, daß ſie ſchon ſo weit ge¬
gangen ſey, ſich nun zu müde fühle, noch
zu ihren Eltern nach Hauſe zu kommen,
und darum weine ſie, wie billig. Die Däm¬
merung war indeß ſchon eingebrochen, mein
Entſchluß war bald gefaßt: weiter um
Rath zu fragen, bot ich ihr das müde Pferd
an, um bequemer fortzukommen. Sie ließ
ſich eine Weile zureden, dann ſtieg ſie hin¬
auf, und ſetzte ſich vor mich: ich hielt ſie
mit den Armen feſt. Nun fing ich an, die
Meile noch länger zu wünſchen, der nied¬
lichſte Fuß ſchwebte vor mir, von der Bewe¬
gung entblößt, die friſche rothe Wange dicht
an der meinigen, die freundlichen Augen mir
nahe gegenüber. So zogen wir über das
Feld, indem ſie mir ihre Herkunft und Er¬
ziehung erzählte: wir wurden bald vertrau¬
ter, und ſie ſträubte ſich gegen meine Küſſe
nicht mehr.
Nun wurde es Nacht, und die Bangig¬
keit, die ſie erfüllte, erlaubte mir, dreiſter
zu ſeyn. Endlich kamen wir in der Nähe
ihrer Behauſung, ſie ſtieg behende herunter,
wir hatten ſchon unſre Abrede genommen.
Sie eilte voraus, ich blieb eine Weile zu¬
rück, dann zwang ich mein Pferd, in einer
Art von Gallopp mit mir vor das Haus zu
ſprengen. Es war ein altes, weitläuftiges
Gebäude, das abſeits vom übrigen Dorfe
lag; das Mädchen kam mir entgegen, ich
trat als ein verirrter Fremdling ein, und
bat demüthig um ein Nachtlager. Die El¬
tern bewilligten es mir gern, die Kleine
ſpielte ihre Aufgabe gut durch, ſie zeigte
mir verſtohlen, daß ſie neben der Kammer
ſchlafen würde, die man mir einräumte; ſie
wollte die Thür offen laſſen. Das Abend¬
eſſen, die umſtändlichen Geſpräche wurden
mir ſehr lang, endlich ging alles ſchlafen,
meine Freundin aber hatte in der Wirth¬
ſchaft noch allerhand zu beſorgen. Ich be¬
trachtete indeſſen meine Kammer, ſie führte
auf der einen Seite nach dem Schlafzimmer
des Mädchens, auf der andern in einen
langen Gang, deſſen äußerſte Thür geöffnet
war. Freundlich ſchien durch dieſe die runde
Scheibe des Mondes, das ſchöne Licht lockt
mich hinaus, ein Garten empfängt mich.
Ich durchwandere auch dieſen, gehe durch
ein Gatterthor, und verliere mich voller Er¬
wartungen im Felde.
Man iſt indeſſen ſorgſam geweſen, alle
Thüren zu verſchließen, es war das letzte
Geſchäft des VateesVaters, nach allen Riegeln im
Hauſe zu ſehn. Beſtürzt komme ich zurück,
die Gartenthür iſt verſchloſſen; ich rufe, ich
klopfe, Niemand hört mich, ich verſuche
überzuſteigen, aber meine Mühe war ver¬
gebens. Ich verwünſche den Mond und
die Schönheiten der Natur, ich ſehe die
Freundliche vor mir, die mich erwartet und
mein Zögern nicht begreifen kann.
Unter Verwünſchungen und unnützen
Bemühungen ſah ich mich genöthigt, den
Morgen auf dem freien Felde abzuwarten:
alle Hunde wurden wach, aber kein Menſch
hörte mich, der mich eingelaſſen hätte. O,
wie ſegnete ich die erſten Strahlen des
Frühroths! Die Alten bedauerten mein Un¬
glück, das Mädchen war ſo verdrüßlich,
daß ſie anfangs nicht mit mir ſprechen
wollte, ich verſöhnte ſie aber endlich, ich
mußte fort, und verſprach ihr, auf meiner
Rückreiſe von England ſie gewiß wieder zu
beſuchen. Und Du ſahſt damals, daß ich
ihr auch Wort hielt.
Ich kam an: ſchon ſah ich mit Verdruß
und klopfendem Herzen den Garten mit der
mir ſo wohl bekannten Mauer, ſchon ſuchte
mein Auge das Mädchen, aber die Sachen
hatten ſich indeſſen ſehr verändert. Sie war
verheirathet, ſie wohnte in einem andern
Hauſe, und was das Schlimmſte war, ſie
liebte ſogar ihren Mann; als ich ſie beſuch¬
te, bat ſie mich mit der höchſten Angſt, doch
ja je eher je lieber wieder fortzugehn. Ich
gehorchte ihr, um ihr Glück nicht zu ſtören,
— Siehſt Du, mein Freund, das iſt die
unbedeutende Geſchichte einer Bekanntſchaft,
die ſich ganz anders endigte, als ich er¬
wartet hatte.
Dir
Dir geſchieht ſchon Recht, ſagte Franz,
wenn Du manchmal für Deinen übertriebe¬
nen Muthwillen beſtraft wirſt.
O, daß Ihr allenthalben Übertreibungen
findet! rief Floreſtan aus, Ihr ſeyd immer
beſorgt, Euch in allen Gedanken und Ge¬
fühlen zu mäßigen. Aber es gelingt nie¬
mals und iſt unmöglich, in einem Gebiete
zu meſſen und zu wägen, wo kein Maas
und Gewicht anerkannt wird. Es freut mich,
Dich auch einmal verliebt zu ſehn.
Franz ſagte: Ich weiß nicht, ob ich
verliebt bin, aber Du ängſtigeſt mich mit
Deinen Reden; wozu wäre es auch, da wir
ſo bald abreiſen müſſen?
Floreſtan lachte, und gab ihm gar keine
Antwort. — Nun, wie haben Dir die neu¬
lichen Lieder gefallen? ſagte er, und die Lich¬
ter, der Wald? Nicht wahr, es war der
Mühe werth, fröhlich zu ſeyn?
(2r Th.) L
Er ſtellte ſich vor Sternbald hin, und
ſang ihm einen von jenen altfränkiſchen
Geſängen:
Wann ich durch die Gaſſen ſchwärme
Suche dort und ſuche hier
Bei der ſanften Frühlingswärme,
Steht die Liebſte vor der Thür.
Wen erwart'ſt Du auf dem Platz? —
Ach! ich ſuche meinen Schatz.
Komm', ich will Dein Schatz Dir werden,
Findeſt keinen Treuern nicht. —
Nein, er iſt der Schönſt' auf Erden,
Meiner Augen liebſtes Licht. —
Nimm mich an zu dieſer Friſt,
Allzutreu nicht löblich iſt. —
Willſt Du wohl das Küſſen laſſen?
Nein bin ja nicht Dein Kind,
Geh', ich fange an zu haſſen,
Keiner ſo bei mir gewinnt.
Wider Willen küßt mein Mund,
Macht mit Frevlern keinen Bund. —
Aber ſchön ſind Deine Küſſe,
Deine Lippen kirſchenroth,
Ihr Berühren honigſüße,
Hier vergeß' ich meine Noth.
Mädchen, ach, wie klopft Dein Herz!
Iſt es Freude, iſt es Schmerz? — —
Laß das Herz, es iſt im Schelten
Über Deine freche Hand,
Nein, bei mir darf das nicht gelten,
Aufzulöſen jedes Band.
Erſt ſuchſt Du das Herz mit Liſt,
Nun Dein Mund den Buſen küßt. —
O, je freier von Gewändern
Du nur um ſo ſchöner prangſt,
Häßlich putze ſich mit Bändern,
Du gewandlos Ruhm erlangſt,
Dich verdunkelt nur Dein Kleid,
Überſchattet Dich mit Neid.
Herrlich iſt es, wenn die Hülle
Sich von jedem Gliede neigt,
Und des zarten Buſens Fülle
Unſerm Blick entgegenſteigt,
L 2
Wenn das Knie ſich uns entblößt,
Gürtel von den Hüften löſ’t.
Du marterſt mich nur, ſagte Sternbald,
als Rudolf geendigt hatte, ſprich wie Du
willſt, ich werde niemals Deiner Meinung
ſeyn. Man kann ſich in einem leichtſinni¬
gen Augenblicke vergeſſen, aber wenn man
freiwillig den Sinnen den Sieg über ſich
ſelbſt einräumt, ſo erniedrigt man ſich da¬
durch unter ſich ſelbſt.
Du willſt ein Mahler ſeyn, und ſprichſt
ſo? rief Rudolf aus, o, laß ja die Kunſt
fahren, wenn Dir Deine Sinnen nicht lie¬
ber ſind, denn durch dieſe allein vermagſt
Du die Rührungen hervorzubringen. Was
wollt Ihr mit allen Euren Farben darſtel¬
len und ausrichten, als die Sinnen auf die
ſchönſte Weiſe ergötzen? Durch nichts kann
der Künſtler unſre Phantaſie ſo gefangen
nehmen, als durch den Reiz der vollendeten
Schönheit, das iſt es, was wir in allen
Formen entdecken wollen, wonach unſer gie¬
riges Auge allenthalben ſucht. Wenn wir
ſie finden, ſo ſind es auch nicht die Sinne
allein, die in Bewegung ſind, ſondern alle
unſre Entzückungen erſchüttern uns auf ein¬
mal auf die lieblichſte Weiſe. Der freie un¬
verhüllte Körper iſt der höchſte Triumph der
Kunſt, denn was ſollen mir jene beſchleier¬
ten Geſtalten? Warum treten ſie nicht aus
ihren Gewändern heraus, die ſie ängſtigen
und ſind ſie ſelbſt? Gewand iſt höchſtens
nur Zugabe, Nebenſchönheit. Das griechiſche
Alterthum verkündigt ſich in ſeinen nackten
Figuren am göttlichſten und menſchlichſten.
Die Decenz unſers gemeinen proſaiſchen
Lebens iſt in der Kunſt unerlaubt, dort in
den heitern, reinen Regionen iſt ſie unge¬
ziemlich, ſie iſt unter uns ſelbſt das Doku¬
ment unſrer Gemeinheit und Unſittlichkeit.
Der Künſtler darf ſeine Bekanntſchaft mit
ihr nicht verrathen, oder er giebt zu erken¬
nen, daß ihm die Kunſt nicht das Liebſte
und Beſte iſt, er geſteht, daß er ſich nicht
ganz ausſprechen darf, und doch iſt ſein
verſchloſſenes Innerſtes gerade das, was
wir von ihm begehren.
In einigen Tagen war ihre Abreiſe be¬
ſchloſſen; die Gräfin hatte den verſproche¬
nen Brief an die italieniſche Familie geſchrie¬
ben, den Sternbald mit großer Gleichgül¬
tigkeit in ſeine Brieftaſche legte; er zeigte
ihn auch ſeinem Freunde nicht, ſondern war
ſogar ungewiß, ob er ihn abgeben ſolle.
Es war einer der heißeſten Tage gewe¬
ſen, als Sternbald gegen Abend das Ge¬
hölz beſuchte, um ſich ſeinen Gedanken zu
überlaſſen. Im Walde erreichte der durch¬
fließende Bach an der ſchönſten Stelle eine
eine ziemliche Breite und Tiefe, der Ort
war abgelegen, dichtes Gebüſch wuchs um¬
her, und machte hier die Kühlung noch
ſchöner. Franz entkleidete ſich, und warf
ſich in die kühlen Wellen des kleinen Fluſ¬
ſes. Sein Gemüth ward heiterer, als er
ſich rings vom friſchen Elemente umgeben
ſpürte, die Gebüſche rauſchten um ihn, ſein
Auge verlor ſich in die ſchöne Dunkelheit
des dichten Waldes, und ihm fielen aller¬
hand Gemählde ein, auf denen er ähnliche
Darſtellungen angetroffen hatte.
Indem er ſo nach dem Walde hinein¬
ſchaute, ſah er Emma aus der Dunkelheit
hervorkommen. Erſt traute er ſeinen eige¬
nen Augen nicht, aber ſie war es wirklich.
Er verbarg ſich in das dichte Gebüſch: ſie
kam näher, und ſchien von der Hitze des
Tages und des Weges ermattet, ſie ſank
auf den Raſen hin, der mit friſchem Grün
den Bach umkränzte, dann löſ'te ſie die
Schuhe ab, und erprobte mit dem nackten
Füße und Beine die Kälte des Waſſers.
Sternbald fand ſie ſchöner als je, er wand¬
te ſeine Augen in keinem Momente von ihr;
ſie ſah ſchüchtern und vorſichtig umher, dann
machte ſie den Buſen frei, und löſ'te die
ſchönen goldgelben Haare auf. Jetzt war
ſie nur noch mit einem dünnen Gewande
bekleidet, das die ſchönen, vollen Formen
ihres Körpers verrieth, im Augenblicke ſtand
ſie nackt, verſchämt und erröthend da, und
ſtieg ſo in das Bad. Franz konnte ſich in
ſeiner Verborgenheit nicht länger zurückhal¬
ten, er ſtürzte hervor, ſie erſchrak, der grü¬
ne Raſen, die dichten Gebüſche waren Zeu¬
gen ihrer Verſöhnung und ihres Glücks. —
Als ſie das Schloß verlaſſen hatten,
als beide Freunde ſich auf der weiten Heer¬
ſtraße befanden, geſtand Franz ſeinem Ver¬
trauten dieſen Vorfall, er erzählte ihm, wie
Emma bei ihrem Abſchiede geweint, wie ſie
gewünſcht, ihn wiederzuſehn. Rudolf blieb
bei dieſer Erzählung nachdenklich, er war
weniger fröhlich und leichtſinnig, als man
ihn ſonſt ſah, er ſchien Erinnerungen zu be¬
kämpfen, die ihn beinahe ſchwermüthig
machten.
Kein Menſch, rief er endlich aus, kann
ſeine frohe Laune verbürgen, es kommen
Augenblicke und Empfindungen, die ihn wie
in einem Kerker verſchließen, und ihn nicht
wieder frei geben wollen. Ich denke eben
daran, wie ohne Noth und ohne Zweck ich
mich hier herumtreibe, und indeſſen das ver¬
nachläſſige, was doch das einzige Glück in
der Welt iſt. Wahrlich, ich könnte in man¬
chen Augenblicken ſo ſchwermüthig ſeyn, daß
ich weinte, oder tiefſinnige Elegien nieder¬
ſchriebe, daß ich auf meinen Inſtrumenten
Töne hervorſuchte, die in Steine und Felſen
Mitleiden hineinzwängen. O, mein Freund,
wir wollen uns nicht mit unnützem Gram
den gegenwärtigen Augenblick verkümmern,
dieſe Gegenwart, in der wir jetzt ſind,
kömmt nicht zum zweitenmale wieder, mag
doch ein jeder Tag für das Seine ſorgen.
Auf, mein Freund, durch die Welt
Über Feld
Berg und Thal
Blum' und Blümlein ohne Zahl.
Heute hier, morgen dort
Jeder Ort
Freuden hegt
Wenn nur froh Dein Herze ſchlägt.
Darum, mein Frennd, entſchlage Dich al¬
ler Deiner trübſeligen Gedanken, keine ſchlech¬
tere Frucht hat die menſchliche Seele in ih¬
rer Verderbtheit hervorgebracht, als die
Reue: man ſey friſch und froh ein andrer
Menſch, wenn es ſeyn muß, nur quäle man
ſich nicht mit vergeblichen Wünſchen, daß
man die Vergangenheit zurückruft, und dar¬
über ſein Herz mit einer fürchterlichen Leere
anfüllt; oder man begehe unbekümmert die¬
ſelbe Thorheit wieder, wenn es die Um¬
ſtände ſo mit ſich bringen.
Es wurde Abend, ein ſchöner Himmel
erglänzte mit ſeinen wunderbaren, buntge¬
färbten Wolkenbildern über ihnen. Sieh'
fuhr Rudolf fort, wenn Ihr Mahler mir
dergleichen darſtellen könntet, ſo wollte ich
Euch oft Eure beweglichen Hiſtorien, Eure
leidenſchaftlichen und verwirrten Darſtellun¬
gen mit allen unzähligen Figuren erlaſſen.
Meine Seele ſollte ſich an dieſen grellen
Farben ohne Zuſammenhang, an dieſen mit
Gold ausgelegten Luftbildern ergötzen und
genügen, ich würde Handlung, Leiden¬
ſchaft, Compoſition und alles gern vermiſ¬
ſen, wenn Ihr mir, wie die gütige Natur
heute thut, ſo mit roſenrothem Schlüſſel
die Heimath aufſchließen könntet, wo die
Ahndungen der Kindheit wohnen, das glän¬
zende Land, wo in dem grünen, azurnen
Meere die goldenſten Träume ſchwimmen,
wo Lichtgeſtalten zwiſchen feurigen Blumen
gehn und uns die Hände reichen, die wir
an unſer Herz drücken möchten. O, mein
Freund, wenn Ihr doch dieſe wunderliche
Muſik, die der Himmel heute dichtet, in Eure
Mahlerei hineinlocken könntet! Aber Euch
fehlen Farben, und Bedeutung im gewöhn¬
lichen Sinne iſt leider eine Bedingung Eu¬
rer Kunſt.
Ich verſtehe, wie Du es meinſt, ſagte
Sternbald, und die freundlichen Himmels¬
lichter entwanken und entfliehen, indem wir
ſprechen. Wenn Du auf der Harfe muſi¬
cirſt, und mit den Fingern die Töne ſuchſt,
die mit Deinen Phantaſien verbrüdert ſind,
ſo daß beide ſich gegenſeitig erkennen, und
nun Töne und Phantaſie in der Umarmung
gleichſam entzückt immer höher, immer mehr
himmelwärts jauchzen, ſo haſt Du mir ſchon
oft geſagt, daß die Muſik die erſte, die un¬
mittelbarſte, die kühnſte von allen Künſten
ſey, daß ſie einzig das Herz habe, das aus¬
zuſprechen, was man ihr anvertraut, da
die übrigen ihren Auftrag immer nur halb
ausrichten, und das beſte verſchweigen: ich
habe Dir ſo oft Recht geben müſſen, aber,
mein Freund, ich glaube darum doch, daß
ſich Muſik, Poeſie und Mahlerei oft die
Hand bieten, ja daß ſie oft ein und daſſelbe
auf ihren Wegen ausrichten können. Frei¬
lich iſt es nicht nöthig, daß immer nur Hand¬
lung, Begebenheit mein Gemüth entzücke,
ja es ſcheint mir ſogar ſchwer zu beſtimmen,
ob in dieſem Gebiete unſre Kunſt ihre ſchön¬
ſten Lorbeern antreffe: allein erinnere Dich
nur ſelbſt der ſchönen, ſtillen, heiligen Fa¬
milien, die wir angetroffen haben; liegt nicht
in einigen unendlich viele Muſik, wie Du
es nennen willſt. Iſt in ihnen die Religion,
das Heil der Welt, die Anbetung des Höch¬
ſten nicht wie in einem Kindergeſpräche of¬
fenbart und ausgedrückt? Ich habe bei den
Figuren nicht bloß an die Figuren gedacht,
die Gruppirung war mir nur Nebenſache,
ja auch der Ausdruck der Mienen, in ſo
fern ich ihn auf die gegenwärtige Geſchichte,
auf den wirklichen Zuſammenhang bezog.
Der Mahler hat hier Gelegenheit, die Ein¬
bildung in ſich ſelbſt zu erregen, ohne ſie
durch Geſchichte, durch Beziehung vorzube¬
reiten. — Die Gemählde von Landſchaften
ſcheinen mir aber beſonders dazu Veranlaſ¬
ſung zu geben.
Biſt Du denn auch der Meinung, fragte
Rudolf, daß jede Landſchaft mit Figuren
ausſtaffirt ſeyn muß, damit dadurch Leben
und Intereſſe in das Bild hineinkomme?
So viel ich darüber habe einſehen kön¬
nen, antwortete Franz, ſcheint es mir un¬
nöthig. Eine gute Landſchaft kann etwas
Wunderbarers ausdrücken, ſo daß die Ein¬
ſamkeit gerade eine vortreffliche Wirkung
thut: auch können ſo mancherlei Empfin¬
dungen erregt werden, daß ſich eine Vor¬
ſchrift darüber wohl ſchwerlich in ſo allge¬
meine Worte faſſen läßt. Es können nur
ſelten die Figuren ſeyn, die die Theilnahme
erregen, die es beleben, wer ſie bloß dazu
braucht, ſcheint mir von ſeiner Kunſt wenig
begriffen zu haben, aber ſie können vielleicht
jenes Spiel der Ideen, jene Muſik mit er¬
regen helfen, die alle Kunſtwerke zu geheim¬
nißvollen Wunderwerken macht. Aber denke
Dir eine Waldgegend, die ſich im Hinter¬
grunde öffnet, und die Durchſicht in eine
Wieſe läßt, die Sonne ſteigt herauf, und
ganz in der Ferne wirſt Du ein kleines
ländliches Haus gewahr, mit rothem freund¬
lichen Dache, das gegen das Grün der Bü¬
ſche und der Wieſe lebhaft abſticht, ſo er¬
regt ſchon dieſe Einſamkeit ohne alle leben¬
dige Geſtalten eine wehmüthige, unbegreif¬
fliche Empfindung in Dir.
Am meiſten iſt mir das, was ich ſo oft
von der Mahlerei wünſche, bei allegoriſchen
Gemählden einleuchtend, ſagte Rudolf.
Gut, daß Du mich daran erinnerſt!
rief Franz aus, hier iſt recht der Ort, wo
der Mahler ſeine große Imagination, ſei¬
nen Sinn für die Magie der Kunſt offen¬
baren kann: hier kann er gleichſam über die
Gränzen ſeiner Kunſt hinausſchreiten, und
mit dem Dichter wetteifern. Die Begeben¬
heit, die Figuren ſind ihm nur Nebenſache,
und doch machen ſie das Bild, es iſt Ruhe
und
und Lebendigkeit, Fülle und Leere, und die
Kühnheit der Gedanken, der Zuſammenſez¬
zung findet erſt hier ihren rechten Platz.
Ich habe es ungern gehört, daß man dieſen
Gedichten ſo oft den Mangel an Zierlichkeit
vorrückt, daß man hier thätige Bewegung
und ſchnellen Reiz einer Handlung fordert,
wenn ſie ſtatt eines einzelnen Menſchen die
Menſchheit ausdrücken, ſtatt eines Vorfalls
eine erhabene Ruhe. Gerade dieſe anſchei¬
nende Kälte, die Unbiegſamkeit im Stoffe
iſt das, was mir ſo oft einen wehmüthigen
Schauder bei der Betrachtung erregte: daß
hier allgemeine Begriffe in ſinnlichen Geſtal¬
ten mit ſo ernſter Bedeutung aufgeſtellt ſind,
Kind und Greis in ihren Empfindungen ver¬
einigt, daß das Ganze unzuſammenhängend
erſcheint, wie das menſchliche Leben, und
doch eins um des andern nothwendig iſt,
wie man auch im Leben nichts aus ſeiner
(2r Th.) M
Verkettung reißen darf, alles dies iſt mir
immer ungemein erhaben erſchienen.
Ich erinnere mich, antwortete Rudolf,
eines alten Bildes in Piſa, das ſchon über
hundert Jahr alt wurde, und das Dir auch
vielleicht gefallen wird; wenn ich nicht irre,
iſt von Andrea Orgagna gemahlt. Dieſer
Künſtler hat den Dante mit beſondrer Vor¬
liebe ſtudirt, und in ſeiner Kunſt auch et¬
was ähnliches dichten wollen. Auf ſeinem
großen Bilde iſt in der That das ganze
menſchliche Leben auf eine recht wehmüthige
Art abgebildet. Ein Feld prangt mit ſchö¬
nen Blumen von friſchen und glänzenden
Farben, geſchmückte Herren und Damen ge¬
hen umher, und ergötzen ſich an der Pracht.
Tanzende Mädchen ziehen mit ihrer muntern
Bewegung den Blick auf ſich, in den Bäu¬
men, die von Orangen glühn, erblickt man
Liebesgötter, die ſchalkhaft mit ihren Ge¬
ſchoſſen herunterzielen, über den Mädchen
ſchweben andre Amorinen, die nach den ge¬
ſchmückten Spaziergängern zur Vergeltung
zielen. Spielleute blaſen auf Inſtrumenten
zum Tanz, eine bedeckte Tafel ſteht in der
Ferne. — Gegenüber ſieht man ſteile Fel¬
ſen, auf denen Einſiedler Buße thun und
in andächtiger Stellung beten, einige leſen,
einer melkt eine Ziege. Hier iſt die Dürf¬
tigkeit des armuthſeligen Lebens dem üppigen
glückſeligen recht herzhaft gegenüber geſtellt.
— Unten ſieht man drei Könige, die mit
ihren Gemahlinnen auf die Jagd reiten,
denen ein heiliger Mann eröffnete Gräber
zeigt, in denen man von Königen verweſ'te
Leichnahme ſieht. — Durch die Luft fliegt
der Tod, mit ſchwarzem Gewand, die Senſe
in der Hand, unter ihm Leichen aus allen
Ständen, auf die er hindeutet. — Dieſes
Bild mit ſeinen treuherzigen Reimen, die
M 2
vielen Perſonen aus dem Munde gehn, hat
immer in mir das Bild des großen menſch¬
lichen Lebens hervorgebracht, in welchem ei¬
ner vom andern weiß, und ſich alle blind
und taub durch einander bewegen.
Unter dieſen Geſprächen waren ſie an
eine dichte Stelle im Walde gekommen, ab¬
ſeits an einer Eiche gelehnt lag ein Ritters¬
mann, mit dem ſich ein Pilgrim beſchäftigte,
und ihm eine Wunde zu verbinden ſuchte.
Die beiden Wanderer eilten ſogleich hinzu,
ſie erkannten den Ritter, Franz zuerſt, es
war derſelbe, den ſie vor einiger Zeit als
Mönch geſehn hatten, und den Sternbald
im Schloſſe gemahlt hatte. Der Ritter war
in Ohnmacht geſunken, er hatte viel Blut
verloren, aber durch die vereinigte Hülfe
kam er bald wieder zu ſich. Der Pilgrim
dankte den beiden Freunden herzlich, daß
ſie ihm geholfen, den armen Verwundeten
zu pflegen, ſie machten in der Eile eine
Trage von Zweigen und Blättern, worauf
ſie ihn legten und ſo abwechſelnd trugen.
Der Ritter erholte ſich bald, ſo daß er bat,
ſie möchten dieſe Mühe unterlaſſen; er ver¬
ſuchte es, auf die Füße zu kommen, und es
gelang ihm, daß er ſich mit einiger Beſchwer¬
lichkeit und langſam fortbewegen konnte, die
übrigen führten und unterſtützten ihn. Der
Ritter erkannte Franz und Rudolf ebenfalls,
er geſtand, daß er derſelbe ſey, den ſie neu¬
lich in einer Verkleidung getroffen. Der Pil¬
grim erzählte, daß er nach Loretto wall¬
fahrte, um ein Gelübde zu bezahlen, das
er in einem Sturm auf der See gethan.
Es wurde dunkel, als ſie immer tiefer
in den Wald hineingeriethen und kaum
noch den Weg bemerken konnten. Franz
und Rudolf riefen laut, um jemand herbei¬
zulocken, der ihnen rathen, der ſie aus der
Irre führen könne, aber vergebens, ſie hör¬
ten nichts als das Echo ihrer eignen Stim¬
me. Endlich war es, als wenn ſie durch
die Verworrenheit der Gebüſche ein fernes
Glöcklein vernähmen, und ſogleich richteten
ſie nach dieſem Schalle ihre Schritte. Der
Pilger inſonderheit war ſehr ermüdet, und
wünſchte einen Ruheplatz anzutreffen, er
geſtand es ungern, daß ihn ſein übereiltes
Gelübde ſchon oft gereut habe, daß er es
aber nun ſchuldig ſey zu bezahlen, um Gott
nicht zu irren. Er ſeufzte faſt bei jedem
Schritte, und der Ritter konnte es nicht
unterlaſſen, ſo ermüdet er ſelber war, bis¬
weilen über ihn zu ſpotten. Franz und Ru¬
dolf ſangen Lieder, um die Ermüdeten zu
tröſten und anzufriſchen, ſehnten ſich aber
auch herzlich nach einer ruhigen Herberge.
Jetzt ſahen ſie ein Licht ungewiß durch
die Zweige ſchimmern, und die Hoffnung
von allen wurde geſtärkt, das Glöcklein ließ
ſich von Zeit zu Zeit wieder hören, und viel
vernehmlicher. Sie glaubten ſich in der
Nähe eines Dorfs zu befinden, als ſie aber
noch eine Weile gegangen waren, ſtanden
ſie vor einer kleinen Hütte, in der ein Licht
brannte, das ihnen entgegenglänzte, ein
Mann ſaß darin, und las mit vieler Auf¬
merkſamkeit in einem Buche, ein großer Ro¬
ſenkranz hing an ſeiner Seite, über der
Hütte war eine Glocke angebracht, die er
abwechſelnd anzog, und die den Schall ver¬
urſacht hatte.
Er erſtaunte, als er von der Geſellſchaft
in ſeinen Betrachtungen geſtört wurde, doch
nahm er alle ſehr freundlich auf. Er berei¬
tete ſchnell aus Kräutern einen Saft, mit
dem er die Wunde des Ritters verband,
wonach dieſer ſogleich Linderung ſpürte, und
zum Schlafe geneigt war. Auch Franz war
müde, der Pilgrim war ſchon in einem Win¬
kel des Hauſes eingeſchlafen, nur Rudolf
blieb munter, und verzehrte einiges von den
Früchten, Brod und Honig, das der Ein¬
ſiedler aufgetragen hatte. Ihr ſeyd in mei¬
ner Einſamkeit willkommen, ſagte dieſer zu
Floreſtan, und es iſt mein tägliches Gebet zu
Gott, daß er mir Gelegenheit geben möge,
zuweilen einiges Gute zu thun, und ſo iſt
ſie mir denn heute wider Erwarten gekom¬
men. Sonſt bringe ich meine Zeit mit An¬
dacht und Beten zu, auch laſſe ich nach ge¬
wiſſen Gebeten immer mein Glöcklein erſchal¬
len, damit die Hirten und Bauern im Walde,
oder die Leute im nächſten Dorfe wiſſen mö¬
gen, daß ich munter bin und für ſie den
Herrn danke, das einzige, was ich zur Ver¬
geltung für ihre Wohlthaten zu thun im
Stande bin.
Rudolf blieb mit dem Einſiedler noch
lange munter, ſie ſprachen allerhand, doch
ließ ſich der Alte nicht zu lange von ſeinen
vorgeſetzten Gebeten abwendig machen, ſon¬
dern wiederholte ſie während ihrer Erzäh¬
lung; Franz hörte im Schlummer die bei¬
den mit einander ſprechen, dann zuweilen
das Glöcklein klingen, den Geſang des Al¬
ten, und es dünkte ihm unter ſeinen Träu¬
men alles höchſt wunderbar.
Gegen Morgen ſchlief Rudolf auch ein,
ſo viele Mühe er ſich auch gab, wach zu
bleiben, der Alte ſang indeß:
Bald kommt des Morgens früher Strahl
Und funkelt tief in's ferne Thal
Und macht die Leutlein munter:
Dann regt zur Arbeit alles ſich
Und preiſ't den Schöpfer feſtiglich,
Weicht Nacht und Schlaf hinunter,
Weil' nicht
Süß' Licht,
Morgenröthe
Magſt die Öde,
Hell entzünden
Gottes Lieb' zu uns verkünden.
Das Morgenroth brach liebreich herauf,
und ſchimmerte erſt an den Baumwipfeln,
an den hellen Wolken, dann ſah man die
erſten Strahlen der Sonne durch den
Wald leuchten. Die Vögel wurden rege,
die Lerchen jubelten aus den Wolken herab,
der Morgenwind ſchüttelte die Zweige. Die
Schläfer wurden nach und nach wieder wach:
der Ritter fühlte ſich geſtärkt und munter,
der Einſiedel verſicherte, daß ſeine Wunde
nichts zu bedeuten habe. Franz und Ru¬
dolf machten einen Spaziergang durch den
Wald, wo ſie eine Anhöhe erſtiegen und
ſich niederſetzten.
Sind die Menſchen nicht wunderlich?
fing Floreſtan an, dieſer Pilgrim kreuzt
durch die Welt, verläßt ſein geliebtes Weib,
wie er uns ſelber erzählt hat, um Gott zu
Gefallen die Capelle zu Loretto zu beſuchen.
Der Einſiedler hat mir in der Nacht ſeine
ganze Geſchichte erzählt: er hat die Welt
auf immer verlaſſen, weil er unglücklich ge¬
liebt hat, das Mädchen, das ihn entzückte,
hat ſich einem andern ergeben, und darum
will er nun ſein Leben in der Einſamkeit
beſchließen, mit ſeinem Roſenkranze, Buche
und Glocke beſchäftigt.
Franz dachte an das Bildniß, an den
Tod ſeiner Geliebten, und ſagte ſeufzend:
O, laß ihn, denn ihm iſt wohl, tadle nicht
zu ſtrenge die Glückſeligkeit andrer Men¬
ſchen, weil ſie nicht die Deinige iſt. Wenn
er wirklich geliebt hat, was kann er nun
noch in der Welt wollen? In ſeiner Ge¬
liebten iſt ihm die ganze Welt abgeſtorben,
nun iſt ſein ganzes Leben ein ununterbroche¬
nes AndeukenAndenken an ſie, ein immerwährendes
Opfer, das er der Schönſten bringt. Ja,
ſeine Andacht vermiſcht ſich mit ſeiner Liebe,
ſeine Liebe iſt ſeine Religion, und ſein Herz
bleibt rein und geläutert. Sie ſtrahlt ihm
wie Morgenſonne in ſein Gedächtniß, —
kein gewöhnliches Leben hat ihr Bild ent¬
weiht, und ſo iſt ſie ihm Madonna, Ge¬
fährtin und Lehrerin im Gebet. O, mein
Freund, in manchen Stunden möchte ich
mich ſo, wie er, der Einſamkeit ergeben,
und von Vergangenheit und Zukunft Ab¬
ſchied nehmen. Wie wohl würde mir das
Rauſchen des Waldes thun, die Wieder¬
kehr der gleichförmigen Tage, der ununter¬
brochene leiſe Fluß der Zeit, der mich ſo un¬
vermerkt in's Alter hineintrüge, jedes Rau¬
ſchen ein andächtiger Gedanke, ein Lobge¬
ſang. Müſſen wir uns denn nicht doch einſt
von allem irrdiſchen Glücke trennen? Was
iſt dann Reichthum und Liebe und Kunſt?
Die edelſten Geiſter haben müſſen Abſchied
nehmen, warum ſollen es die ſchwächern
nicht ſchon früher thun, um ſich einzu¬
lernen?
Floreſtan verwunderte ſich über ſeinen
Freund, doch bezwang er diesmal ſeinen
Muthwillen, und antwortete mit keinem
Scherze, weil Franz zu ernſtlich geſprochen
hatte. Er vermuthete im Herzen Stern¬
balds einen geheimen Kummer, er gab ihn
daher ſchweigend die Hand, und Arm in
Arm gingen ſie herzlich zur Hütte des ar¬
men Klausners zurück.
Der Ritter ſtand angekleidet vor der
Thür. Die Röthe war auf ſeine Wangen
zurückgekommen und ſein Geſicht glänzte im
Sonnenſchein, ſeine Augen funkelten freund¬
lich, er war ein ſchöner Mann. Der Pil¬
grim und der Einſiedler hatten ſich zu einer
Andachtsübung vereinigt, und ſaßen in tief¬
ſinnigen Gebeten im kleinen Hauſe.
Die drei ſetzten ſich im Graſe nieder,
und Rudolf faßte die Hand des Fremden
und ſagte mit lachendem Geſicht: Herr Rit¬
ter, Ihr dürft es mir wahrlich nicht verar¬
gen, wenn ich nun meine Neugier nicht
mehr bezähmen kann, Ihr ſeyd überdies
auch ziemlich wieder hergeſtellt, ſo daß Ihr
wohl die Mühe des Erzählens über Euch
nehmen könnt. Ich und mein Freund haben
Euer Bildniß in dem Schloſſe einer ſchönen
Dame angetroffen, ſie hat uns vertraut,
wie ſie mit Euch verbunden iſt, Ihr könnt
kein andrer ſeyn, Ihr dürft alſo gegen uns
nicht weiter rückhalten.
Ich will es auch nicht, ſagte der junge
Ritter, ſchon neulich, als ich Euch ſah, fa߬
te ich ein recht herzliches Vertrauen zu Euch
und Eurem Freunde Sternbald, daher will
ich Euch recht gern erzählen, was ich ſelber
von mir weiß, denn noch nie habe ich mich
in ſolcher Verwirrung befunden. Ich be¬
dinge es mir aber aus, daß Ihr Niemand
von dem etwas ſagt, was ich jetzt erzählen
werde; Ihr dürft darum keine ſeltſame Ge¬
heimniſſe erwarten, ſondern ich bitte Euch
bloß darum, weil ich nicht weiß, in welche
Verlegenheiten mich etwa künftig Euer Man¬
gel an Verſchwiegenheit ſetzen dürfte.
Wißt alſo, daß ich kein Deutſcher bin,
ſondern ich bin aus einer edlen italieniſchen
Familie entſproſſen, mein Name iſt Rode
rigo. Meine Eltern gaben mir eine ſehr
freie Erziehung, mein Vater, der mich über¬
mäßig liebte, ſah mir in allen Wildheiten
nach, und als ich daher älter wurde und er
mit ſeinem guten Rathe nachkommen wollte,
war es natürlich, daß ich auf ſeine Worte
gar nicht achtete. Seine Liebe zu mir er¬
laubte ihm aber nicht, zu ſtrengern Mitteln
als gelinden Verweiſen ſeine Zuflucht zu
nehmen, und darüber wurde ich mit jedem
Tage wilder und ausgelaſſener. Er konnte
es nicht verbergen, daß er über meine un¬
beſonnenen Streiche mehr Vergnügen und
Zufriedenheit als Kummer empfand, und
das machte mich in meinem ſeltſamen Le¬
benslaufe nur deſto ſicherer. Er war ſelbſt
in ſeiner Jugend ein wilder Burſche gewe¬
ſen, und dadurch hatte er eine Vorliebe für
ſolche Lebensweiſe behalten, ja er ſah in
mir nur ſeine Jugend glänzend wieder auf¬
leben.
Was mich aber mehr als alles übrige
beſtimmte und begeiſterte, war ein junger
Menſch von meinem Alter, der ſich Ludo¬
viko nannte, und bald mein vertrauteſter
Freund wurde. Wir waren unzertrennlich,
wir ſtreiften in Romanien, Calabrien und
Ober¬
Oberitalien umher, denn die Reiſeſucht, das
Verlangen, fremde Gegenden zu ſehn, das
in uns beiden faſt gleich ſtark war, hatte
uns zuerſt an einander geknüpft. Ich habe
nie wieder einen ſo wunderbaren Menſchen
geſehn, als dieſen Lodoviko, ja ich kann
wohl ſagen, daß mir ein ſolcher Charakter
auch vorher in der Imagination nicht als
möglich vorgekommen war. Immer eben ſo
heiter als unbeſonnen, auch in der verdrie߬
lichſten Lage fröhlich und voll Muth: jede
Gelegenheit ergriff er, die ihn in Verwir¬
rung bringen konnte, und ſeine größte Freude
beſtand darin, mich in Noth oder Gefahr zu
verwickeln, und mich nachher ſtecken zu laſ¬
ſen. Dabei war er ſo unbeſchreiblich gutmü¬
thig, daß ich niemals auf ihn zürnen konnte.
So vertraut wir mit einander waren, hat
er mir doch niemals entdeckt, wer er eigent¬
lich ſey, welcher Familie er angehöre, ſo oft
(2r Th.) N
ich ihn darum fragte, wies er mich mit der
Antwort zurück: daß mir dergleichen völlig
gleichgültig bleiben müſſe, wenn ich ſein
wirklicher Freund ſey. Oft verließ er mich
wieder auf einige Wochen, und ſchwärmte
für ſich allein umher, dann erzählten wir
uns unſre Abentheuer, wenn wir uns wie¬
derfanden.
So giebt es doch noch ſo vernünftige
Menſchen in der Welt! rief Rudolf heftig
aus, wahrlich, das macht mir ganz neue
Luſt, in meinem Leben auf meine Art weiter
zu leben! O, wie freut es mich, daß ich
Euch habe kennen lernen, fahrt um Gottes
Willen in Eurer vortrefflichen Erzählung
fort!
Der Ritter lächelte über dieſe Unterbre¬
chung, und fuhr mit folgenden Worten fort:
Es war faſt kein Stand, keine Verkleidung
zu erdenken, in der wir nicht das Land
durchſtreift hätten, als Bauern, als Bett¬
ler, als Künſtler, oder wieder als Grafen
zogen wir umher, als Spielleute muſicirten
wir auf Hochzeiten und Jahrmärkten, ja
der muthwillige Lodoviko verſchmähte es
nicht, zuweilen als eine artige Zigeunerin
herumzuwandern, und den Leuten, beſonders
den hübſchen Mädchen, ihr Glück zu ver¬
kündigen. Von den lächerlichen Drangſalen,
die wir oft überſtehen mußten, ſo wie von
den verliebten Abentheuern, die uns ergötz¬
ten, laßt mich ſchweigen, denn ich würde
Euch in der That ermüden.
Gewiß nicht, ſagte Rudolf, aber macht
es, wie es Euch gefällt, denn ich glaube
ſelbſt, Ihr würdet über die Mannigfaltig¬
keit Eurer Erzählungen müde werden.
Vielleicht, ſagte der Ritter. Von mei¬
nem Freunde glaubte ich heimlich, daß er
ſeinen Eltern entlaufen ſey, und ſich nun
N 2
auf gut Glück in der Welt herumtreibe.
Aber dann konnte ich wieder nicht begreifen,
daß es ihm faſt niemals an Gelde fehle,
mit dem er verſchwenderiſch und unbeſchreib¬
lich großmüthig umging. Faſt ſo oft er mich
verließ, kam er mit einer reichen Börſe zu¬
rück. Unſre größte Aufmerkſamkeit war auf
die ſchönen Mädchen aus allen Ständen ge¬
richtet; in kurzer Zeit war unſre Bekannt¬
ſchaft unter dieſen außerordentlich ausgebrei¬
tet, wo wir uns aufhielten, wurden wir von
den Eltern ungern geſehn, nicht ſelten wur¬
den wir verfolgt, oft entgingen wir nur mit
genauer Noth der Rache der beleidigten
Liebhaber, den Nachſtellungen der Mädchen,
wenn wir ſie einer neuen Schönheit aufop¬
ferten. Aber dieſe Gefährlichkeiten waren
eben die Würze unſres Lebens, wir vermie¬
den mit gutem Willen keine.
Die Reiſeluſt ergriff meinen Freund oft
auf eine ſo gewaltſame Weiſe, daß er we¬
der auf die Vernunft, noch ſelber auf meine
Einwürfe hörte, der ich doch Thor gern ge¬
nug war. Nachdem wir Italien genug zu
kennen glaubten, wollte er plötzlich nach
Afrika überſetzen. Die See war von den
Corſaren ſo beunruhigt, daß kein Schiff
gern überfuhr, aber er lachte, als ich ihm
davon erzählte, er zwang mich beinahe, ſein
Begleiter zu ſeyn, und wir ſchifften mit
glücklichem Winde fort. Er ſtand auf dem
Verdecke und ſang verliebte Lieder, alle Ma¬
troſen waren ihm gut, jedermann drängte
ſich zu ihm, die afrikaniſche Küſte lag ſchon
vor uns. Plötzlich entdeckten wir ein Schiff,
das auf uns zuſeegelte, es waren Seeräu¬
ber. Nach einem hartnäckigen Gefechte, in
welchem mein Freund Wunder der Tapfer¬
keit that, wurden wir erobert und gefangen
fortgeführt. Lodoviko verlor ſeine Munter¬
keit nicht, er verſpottete meinen Kleinmuth,
und die Corſaren betheuerten, daß ſie noch
nie einen ſo tollkühnen Wagehals geſehen
hätten. Was ſoll mir das Leben? ſagte er
dagegen in ihrer Sprache, die wir beide ge¬
lernt hatten, heute iſt es da, morgen wieder
fort; jedermann ſey froh, ſo hat er ſeine
Pflicht gethan, keiner weiß, was morgen
iſt, keiner hat das Angeſicht der zukünftigen
Stunde geſehn. Spotte über die Falten,
über das Zürnen, das uns Saturn oft im
Vorüberfliegen vorhält, der Alte wird ſchon
wieder gut, er iſt wacker, und lächelt end¬
lich über ſeine eigne Verſpottung, er bittet
Euch, wie Alte Kindern thun, nachher ſeine
Unfreundlichkeit ab. Heute mir, morgen
Dir: wer Glück liebt, muß auch ſein Un¬
glück willkommen heißen. Das ganze Leben
iſt nicht der Sorge werth.
So ſtand er mit ſeinen Ketten unter
ihnen, und wahrlich! ich vergaß über ſeinen
Heldenmuth mein eignes Elend. — Wir
wurden an's Land geſetzt und als Sklaven
verkauft: noch als wir getrennt wurden,
nickte Lodoviko mir ein freundliches Lebe¬
wohl zu.
Wir arbeiteten in zwei benachbarten
Gärten, ich verlor in meiner Dürftigkeit, in
dieſer Unterjochung allen Muth, aber ich
hörte ihn aus der Ferne ſeine gewöhnlichen
Lieder ſingen, und wenn ich ihn einmal ſah,
war er ſo freundlich und vergnügt, wie im¬
mer. Er that gar nicht, als wäre etwas
Beſondres vorgefallen. Ich konnte innerlich
über ſeinen Leichtſinn recht von Herzen böſe
ſeyn, und wenn ich dann wieder ſein lächeln¬
des Geſicht vor mir ſah, war aller Zorn ver¬
ſchwunden, alles vergeſſen.
Nach acht Wochen ſteckte er mir ein
Briefchen zu, er hatte andre Chriſtenſklaven
auf ſeine Seite gebracht, ſie wollten ſich ei¬
nes Fahrzeugs bemächtigen und darauf ent¬
fliehen: er meldete mir, daß er mich mit¬
nehmen wolle, wenn dieſer Vorſatz gleich
ſeine Flucht um vieles erſchwere; ich ſolle
den Muth nicht verlieren.
Ich verließ mich auf ſein gutes Glück,
daß uns der Vorſatz gelingen werde. Wir
kamen in einer Nacht am Ufer der See zu¬
ſammen, wir bemächtigten uns des kleinen
Schiffs, der Wind war uns anfangs gün¬
ſtig. Wir waren ſchon tief in's Meer hin¬
ein, wir glaubten uns bald der italieniſchen
Küſte zu nähern, als ſich mit dem Anbruche
des Morgens ein Sturm erhob, der immer
ſtärker wurde. Ich rieth, an's nächſte Land
zurückzufahren, und uns dort zu verbergen,
bis ſich der Sturm gelegt hätte, aber mein
Freund war andrer Meinung, er glaubte,
wir könnten dann von unſern Feinden ent¬
deckt werden, er ſchlug vor, daß wir
auf der See bleiben, und uns lieber der
Gnade des Sturms überlaſſen ſollten. Seine
Überredung drang durch, wir zogen alle See¬
gel ein, und ſuchten uns ſo viel als möglich
zu erhalten, denn wir konnten überzeugt
ſeyn, daß bei dieſem Ungewitter uns Nie¬
mand verfolgen würde. Der Wind drehte
ſich, Sturm und Donner nahmen zu, das
empörte Meer warf uns bald bis in die
Wolken, bald verſchlang uns der Abgrund.
Alle verließ der Muth, ich brach in Klagen
aus, in Vorwürfe gegen meinen Freund.
Lodoviko, der bis dahin unabläſſig gearbei¬
tet und mit allen Elementen gerungen hatte,
wurde nun zum erſtenmale in ſeinem Leben
zornig, er ergriff mich und warf mich im
Schiffe zu Boden. Biſt Du, Elender, rief
er aus mein Freund, und unterſtehſt Dich
zu klagen, wie die Sklaven dort? Rode¬
rigo, ſey munter und fröhlich, das rath' ich
Dir, wenn ich Dir gewogen bleiben ſoll,
denn wir können in's Teufels Namen nicht
mehr als ſterben! Und unter dieſen Wor¬
ten ſetzte er mir mit derben Fauſtſchlägen
dermaßen zu, daß ich bald alle Beſinnung
verlor, und den Donner, die See und den
Sturm nicht mehr vernahm.
Als ich wieder zu mir kam, ſah ich Land
vor mir, der Sturm hatte ſich gelegt, ich
lag in den Armen meines Freundes. Ver¬
gieb mir, ſagte er leutſelig, wir ſind geret¬
tet, dort iſt Italien, Du hätteſt den Muth
nicht verlieren ſollen. — Ich gab ihm die
Hand, und nahm mir im Herzen vor, den
Menſchen künftig zu vermeiden, der meinem
Glücke und Leben gleichſam auf alle Weiſe
nachſtellte; aber ich hatte meinen Vorſatz
ſchon vergeſſen, noch ehe wir an's Land ge¬
ſtiegen waren, denn ich ſah ein, daß er mein
eigentliches Glück ſey.
Rudolf, der mit der geſpannteſten Auf¬
merkſamkeit zugehört hatte, konnte ſich nun
nicht länger halten, er ſprang heftig auf,
und rief: Nun, bei allen Heiligen, Euer
Freund iſt ein wahrer Teufelskerl! Wie
lumpig iſt alles, was ich erlebt habe, und
worauf ich mir wohl manchmal etwas zu
Gute that, gegen dieſen Menſchen! Ich
muß ihn kennen lernen, wahrhaftig, und
ſollte ich nach dieſer Seltenheit bis an's
Ende der Welt laufen!
Wenn er nur noch lebt, antwortete Ro¬
derigo, denn nun iſt es ſchon länger als ein
Jahr, daß ich ihn nicht geſehen habe. Ich
habe Euch dieſen Vorfall nur darum weit¬
läuftiger erzählt, um Euch einigermaßen ei¬
nen Begriff von ſeinem Charakter zu geben.
Meine Eltern prieſen ſich glücklich, als ſie
mich wiederſahen, aber Lodoviko hatte mich
bald wieder in neue Abentheuer verwickelt.
Ich wollte die Schweiz und Deutſchland be¬
ſuchen, er wollte ohne meine Geſellſchaft eine
andre Reiſe unternehmen, es war nichts ge¬
ringeres, als daß er nach Aegypten gehen
wollte, die ſeltſamen uralten Pyramiden,
das wunderbare rothe Meer, die Sandwü¬
ſten mit ihren Sphinxen, der fruchtbare Nil,
dieſe Gegenſtände, von denen man ſchon in
der Kindheit ſo viel hört, waren es, die ihn
dorthin riefen. Unſer Abſchied war überaus
zärtlich, er verſprach mir, in einem Jahre
nach Italien zurückzukommen; ich nahm auf
eben ſo lange von meinen Eltern Urlaub,
und trat meine Reiſe nach Deutſchland an.
Ich fühlte mich ohne meinen Gefährten
recht einſam und verlaſſen, der Muth wollte
ſich anfangs gar nicht einſtellen, der mich
ſonſt aufrecht gehalten hatte. Die hohen
Gebirge der Schweiz und in Tyrol, die
furchtbare Majeſtät der Natur, alles ſtimmte
mich auf lange Zeit traurig, ich bereute es
oft, ihm nicht wider ſeinen Willen gefolgt
zu ſeyn und an ſeinem Wahnſinne Theil zu
nehmen. Einigemal war ich im Begriff, zu
meiner Familie zurückzukehren, aber die
Sucht, ein fernes Land, fremde Menſchen
zu ſehn, trieb mich wieder vorwärts, auch
die Schaam, einer Lebensart untreu zu wer¬
den, die bis dahin mein höchſtes Glück aus¬
gemacht hatte. Ich will Euch die einzelnen
Vorfälle verſchweigen, und mich zu der Be¬
gebenheit wenden, die Urſache iſt, daß Ihr
mich hier angetroffen.
Nach manchen luſtigen Abentheuern,
nach manchen angenehmen Bekanntſchaf¬
ten langte ich in der Gegend des Schloſſes
an, wo Ihr gekannt ſeyd. Ich ſaß auf ei¬
ner Anhöhe und überdachte die Mannigfal¬
tigkeiten meines Lebenslaufs, als eine fröh¬
liche Jagdmuſik mich aufmerkſam machte.
Ein Zug von Jägern kam näher, in ihrer
Mitte eine ſchöne Dame, die einen Falken
auf der Hand trug; die Einſamkeit, ihr
ſchimmernder Anzug, alles trug dazu bei,
ſie ungemein reizend darzuſtellen. Meine
Sinne waren gefangen genommen, ich konn¬
te die Augen nicht von ihr abwenden: alle
Schönheiten, die ich ſonſt geſehn hatte, ſchienen
mir gegen dieſe alltäglich, es war nicht dieſer
und jener Zug, der mich an ihr entzückte,
nicht der Wuchs, nicht die Farbe der Wan¬
gen oder der Blick der Augen, ſondern auf
geheimnißvolle Weiſe alles dies zuſammen.
Es war ein Gefühl in meinem Buſen, das
ich bis dahin noch nicht empfunden hatte,
es durchdrang mich ganz, nur ſie allein ſah
ich in der weiten Welt, jenſeit ihres Beſiz¬
zes lag kein Wunſch mehr in der Welt.
Ich ſuchte ihre Bekanntſchaft, ich ver¬
ſchwieg ihr meinen Namen. Ich fand ſie
meinen Wünſchen geneigt, ich war auf dem
höchſten Gipfel meiner Seligkeit. Wie arm
kam mir mein Leben bis dahin vor, wie
entſagte ich allen meinen Schwärmereien!
Der Tag unſrer Hochzeit war feſtgeſetzt.
O, meine Freunde, ich kann Euch nicht
beſchreiben, ich kann ſie ſelber nicht begrei¬
fen, die wunderbare Veränderung, die nun
mit mir vorging! Ich ſah ein beſtimmtes
Glück vor mir liegen, aber ich war an die¬
ſem Glücke feſtgeſchmiedet: wie wenn ich in
Meeresſtille vor Anker läge, und nun ſähe,
wie Maſt und Seegel vom Schiffe herunter¬
geſchlagen würden, um mich hier, nur hier
ewig feſtzuhalten.
O, ſüße Reiſeluſt! ſagte ich zu mir ſel¬
ber, geheimnißreiche Ferne, ich werde nun
von Euch Abſchied nehmen und eine Hei¬
math dafür beſitzen! Lockt mich nicht mehr
weit weg, denn alle Eure Töne ſind vergeb¬
lich, ihr ziehenden Vögel, du Schwalbe
mit deinen lieblichen Geſängen, du Lerche
mit deinen Reiſeliedern! Keine Städte,
keine Dörfer werden mir mehr mit ihren
glänzenden Fenſtern entgegenblicken, und ich
werde nun nicht mehr denken: Welche weib¬
liche Geſtalt ſteht dort hinter den Vorhän¬
gen, und ſieht mir den Berg herauf entge¬
gen? Bei keinem fremden liebreizenden Ge¬
ſichte darf mir nun mehr einfallen: Wir
werden bekannter mit einander werden, die¬
ſer Buſen wird vielleicht am meinigen ruhn,
dieſe Lippen werden mit meinen Küſſen ver¬
traut ſeyn.
Mein Gemüth ward hin- und zurück¬
gezogen, häusliche Heimath, räthſelhafte
Fremde; ich ſtand in der Mitte, und wußte
nicht, wohin. Ich wünſchte, die Gräfin
möchte mich weniger lieben, ein Anderer
möchte mich aus ihrer Gunſt verdrängen,
dann
dann hätte ich ſie zürnend und verzweifelt
verlaſſen, um wieder umherzuſtreifen, und
in den Bergen, im Thalſchatten, den friſchen,
lebendigen Geiſt wiederzuſuchen, der mich ver¬
laſſen hatte. Aber ſie hing an mir mit al¬
lem Feuer der erſten Liebe, ſie zählte die
Minuten, die ich nicht bei ihr zugebracht:
ſie haderte mit meiner Kälte. Noch nie war
ich ſo geliebt, und die Fülle meines Glücks
übertäubte mich. Sehnſüchtig ſah ich jedem
Wandersmann nach, der auf der Landſtraße
vorüberzog; wie wohl iſt Dir, ſagte ich,
daß Du Dein ungewiſſes Glück noch ſuchſt!
ich habe es gefunden!
Ich ritt aus, um mich zu ſammeln. Ich
hielt mir in der Einſamkeit meinen Undank
vor. Was willſt Du in der Welt als Liebe?
ſo redete ich mich ſelber an; ſiehe, ſie iſt Dir
geworden, ſey zufrieden, begnüge Dich, Du
kannſt nicht mehr erobern: was Du in ein¬
(2r Th.) O
ſamen Abenden mit aller Sehnſucht des
Herzens erwünſchteſt, wonach Du in Wäl¬
dern jagteſt, was die Bergſtröme Dir entge¬
genſangen, dies unnennbare Glück iſt Dir
geworden, iſt wirklich Dein, die Seele, die
Du weit umher geſucht, iſt Dir entgegen
gekommen.
Wie kam es, daß die Dörfer mit ihren
kleinen Häuſern ſo ſeltſamlich vor mir la¬
gen? daß mir jede Heimath zu enge und
beſchränkt dünkte? Das Abendroth ſchien in
die Welt hinein, da ritt ich vor einem nie¬
drigen Bauernhauſe vorbei, auf dem Hofe
ſtand ein Brunnen, davor war ein Mägd¬
lein, das ſich bückte, den ſchweren gefüllten
Eimer heraufzuziehen. Sie ſah zu mir her¬
auf, indem ich ſtillhielt, der Abendſchein lag
auf ihren Wangen, ein knappes Mieder
ſchloß ſich traulich um den ſchönen vollen
Buſen, deſſen genaue Umriſſe ſich nicht ver¬
bergen ließen. Wer iſt ſie? ſagte ich zu mir,
warum hat ſie Dich betrachtet? Ich grüßte,
ſie dankte und lächelte. Ich ritt fort, und
rettete mich in die Dämmerung des Waldes
hinein: mein Herz klopfte, als wenn ich dem
Tode entgegen ginge, als mir die Lichter aus
dem Schloſſe entgegenglänzten. Sie wartet
auf Dich, ſagte ich zu mir, freundlich hat ſie
das Abendeſſen bereitet, ſie ſorgt, daß Du
müde biſt, ſie trocknet Dir die Stirn. Nein,
ich liebe ſie, rief ich aus, wie ſie mich liebt.
In der Nacht tönte der Lauf der Berg¬
quellen in mein Ohr, die Winde rauſchten
durch die Bäume, der Mond ſtieg herauf
und ging wieder unter: alles, die ganze
Natur in freier, willkührlicher Bewegung,
nur ich war gefeſſelt. Die Sonne war noch
nicht aufgegangen, als ich wieder durch das
Dorf ritt, es traf ſich, daß das Mädchen
wieder am Brunnen ſtand: ich war meiner
O 2
nicht mehr mächtig. Ich ſtieg vom Pferde,
ſie war ganz allein, ſie antwortete ſo freund¬
lich auf alle meine Fragen, ich war in mei¬
nem Leben zum erſtenmal mit einem Weibe
verlegen, ich machte mir Vorwürfe, ich wußte
nicht, was ich ſprach. Neben der Thür des
Hauſes war eine dichte Laube, wir ſetzten
uns nieder; die ſchönſten blauen Augen ſa¬
hen mich an, ich konnte den friſchen Lippen
nicht widerſtehen, die zum Kuß einluden,
ſie war nicht ſtrenge gegen mich, ich vergaß
die Stunde. Nachdenkend ritt ich zurück,
ich wußte nun beſtimmt, daß ich in dieſer
Einſchränkung, in der Ehe mit der ſchönen
Gräfin nicht glücklich ſeyn würde. Ich hatte
es ſonſt oft belacht, daß man mit dem ge¬
wechſelten Ringe die Freiheit fortſchenkte,
jetzt erſt verſtand ich den Sinn dieſer Re¬
densart. Ich vermied die Gräfin, ihre
Schönheit lockte mich wieder an, ich ver¬
achtete mich, daß ich zu keinem Entſchluſſe
kommen konnte. Der Hochzeitstag war in¬
deß ganz nahe herangerückt, meine Braut
machte alle Anſtalten, ich hörte immer ſchon
von den künftigen Einrichtungen ſprechen;
mein Herz ſchlug mir bei jedem Worte.
Man erzählt, daß man vor dem letzten
Unglück des Markus Antonius wunderbare
Töne wie von Inſtrumenten gehört habe,
wodurch ſein Schutzgott Herkules von ihm Ab¬
ſchied genommen: ſo hört ich in jedem Lerchen¬
geſange, in jedem Klang einer Trompete, jegli¬
chen Inſtruments das Glück, das mir ſeinen Ab¬
ſchied wehmüthig zurief. Immer lag mir die
gründämmernde Laube im Sinne, das blaue
Auge, der volle Buſen. Ich war entſchloſſen.
Nein, Lodoviko, rief ich aus, ich will Dir nicht
untreu werden. Du ſollſt mich nicht als Sklav
wiederfinden, nachdem Du mich von der erſten
Kette losgemacht haſt. Soll ich ein Ehemann
werden, weil ich liebte? Seltſame Folge!
Ich nahm Abſchied von ihr, ich ver¬
ſteckte mich in die Kleidung eines Mönchs,
ſo ſtreifte ich umher, und ſo traf ich auf je¬
nen Bildhauer Bolz, der eben aus Italien
zurückkam.
Ich glaubte in ihm einige Züge von
meinem Freunde anzutreffen, und entdeckte
ihm meine ſeltſame Leidenſchaft. Er ward
mein Begleiter. Wie genau lernte ich nun
Laube, Haus und Garten meiner Geliebten
kennen! Wie oft ſaßen wir da in den Nacht¬
ſtunden Arm in Arm geſchlungen, indem uns
der Vollmond in's Geſicht ſchien! In der
Kleidung eines gemeinen Bauern machte ich
auch mit den Eltern Bekanntſchaft, und
ſchmeckte nun nach langer Zeit wieder die
Süßigkeiten meiner ſonſtigen Lebensweiſe.
Dann brach ich plötzlich wieder auf;
nicht weit von hier wohnt ein ſchönes Mäd¬
chen, die die Eltern dem Kloſter beſtimmt
haben, ſie beweint ihr Schickſal. Ich war
bereit, ſie in dieſer Nacht zu entführen; ich
vertraute dem Gefährten meinen Plan, die¬
ſer Tückiſche, der ſie anbetet, lockt mich hier¬
her in den dichten Wald, und verſetzt mir
heimlich dieſe Wunde. Darauf verließ er
mich ſchnell. Seht, das iſt meine Geſchichte.
Unaufhörlich ſchwebt das Bild der Grä¬
fin nun vor meinen Augen. Soll ich ſie
laſſen? kann ich ſie wiederfinden? ſoll ich
einem Weſen mein ganzes Leben opfern?
Franz ſagte: Eure Geſchichte iſt ſelt¬
ſam, die Liebe heilt Euch vielleicht einmal,
daß Ihr Euch in der Beſchränkung durch¬
aus glücklich fühlt, denn noch habt Ihr die
Liebe nicht gekannt.
Du biſt zu voreilig, mein Freund, ſagte
Floreſtan, nicht alle Menſchen ſind wie Du,
und genau genommen, weißt Du auch noch
nicht einmal, wie Du beſchaffen biſt.
Der Einſiedler kam, um nach der Wunde
des Ritters zu ſehn, die ſich ſehr gebeſſert
hatte. Rudolf nahm ſeine Schreibtafel und
ſchrieb etwas hinein, Franz ging ſinnend im
Walde hin und her.
Nach einer halben Stunde ſuchte Flore¬
ſtan ſeinen Freund, und las ihm folgendes
Gedicht vor, das Sternbald ſehr bewegte.
Das Kind.
Ach! wie ſchön die Welt!
Ruht der freundliche Glanz auf den grünen Bergen,
Winkt mir der goldne Strahl durch die Bäume,
Durch den dichten Wald.
Welch' ein ſchönes Land mag hinter den Bergen an¬
fangen,
Hör' ich wie bunte Hähne von dorther krähen,
Hör' ich Hündchen bellen, mich locken,
Aber ich darf nicht folgen.
Über Wieſen kommen mir vielleicht mit vielen
Blumen
Schöne Kinder entgegen,
Goldne Haare hängen über die Stirne,
Herrliches, wunderbares Spielzeug halten ſie in den
kleinen Händen,
Alles wollen ſie mir gern und freundlich geben.
Meine Lippen würden ſie küſſen,
Gingen dann mit einander
Über die bunte, blumenglänzende Wieſe.
Ach! und einſam muß ich nun hier ſtehn,
Die Kinder, die ich kenne, gefallen mir nicht,
Sie ſpielen mit mir und ich muß weinen
Daß ich die Herrlichkeiten in der Ferne nicht ſuchen
darf.
O, wär' ich groß und ſtark, und dürfte der Vater
Nicht mehr ſchelten, die Mutter nicht mehr ſorgen,
Wie wollt' ich eilen hinein in die Welt, und alles
ſuchen,
Was ich mir wünſche.
Der Jüngling.
Raſtlos irrt' ich hin und her
Durch die Länder, über's Meer,
Weiter drängte mich der Muth,
Suchte unbekanntes Gut,
Immer weiter lockten die Sterne,
Zimmer ferner die zauberiſche Ferne,
Suchte immer in Meer und Land
Was mir gebrach, was ich doch nicht fand.
Schmachtend kam ich ſtets zurück,
Nirgend auf weiter Erde mein Glück.
O Thor, und haſt es nicht gefunden,
Wonach alle Sehnſucht rang,
Dem Dein Herz entgegen drang
In den bitterſüßen Stunden?
Zu ihr, zu ihr mein Herz geriſſen
Entgegen ihren Wonneküſſen!
Dieſe Trauer beengte die Bruſt,
Vergällte jede Lebensluſt,
Daß keiner dies mein Herz verſtand,
Jedweder Sinn mir abgewandt;
Das trieb mich her, das trieb mich hin,
Und nirgend war mein Leben mir Gewinn.
Die Schweſterſeele mein Geiſt gefunden,
Und Seele mit Seele feſt verbunden,
Das halbe Wort, der Blick, der Ton,
Mir mehr als Rede verſtändlich ſchon:
Seh' ich des Auges Holdſeligkeit,
Ihr Geiſt den ſüßen Gruß mir brut,
Die Lippe nicht allein, die küßt,
Im Küſſen ein Geiſt im andern iſt,
Himmelsothem umweht mich mit Engelsſchwingen,
Alle Pulſe Wonn' und Entzücken klingen.
Keine Sehnſucht weckt des Waldes Ton,
Blickt mich an der holde Augenſtern,
Fliegt mein Geiſt nach Strömen nicht davon,
Lockt mich keine zauberreiche Fern,
Bleibe in der Heimath gern.
Der Mann.
Irrte der Menſch in der ſchönſten Zeit des Le¬
bens nicht raſtlos
über Klippen und Fels, glücklich wäre der Menſch,
Aber er ſucht in Bergen, im Thal das befreundete
Weſen,
Jenes bleibt ihm fremd, er nur ſich ſelber getreu,
Könnte Vernunft durch's Leben den raſchen Jüng¬
ling geleiten,
Daß er das Leben nicht ſelbſt wie ein Verſchwender
verlör',
Suchend, was niemals noch vor ihm ein Einz'ger
gefunden,
Daß er doch glaubte, was ihn Mutter Erfahrung
belehrt.
Lernte zum Nutzen für ſich und andre die Kräfte
beherrſchen,
Die zur Zerſtörung nur leider die Jugend gebraucht. —
Hoben Muth und Geiſterkraft empfind' ich im Innern,
Aber noch iſt nichts Würdiges durch mich geſchehn,
Doch, zu Thalen ſoll mich die ſchönſte Hoffnung be¬
geiſtern,
Alles, was ich bin, Wohlthat für jeglichen ſey,
Heiter ſeh' ich dann am Abend in's Leben zurücke,
Mich beruhigt es dann, daß ich gewirkt und genützt,
Daß ich gethan, ſo viel das Geſchick mir immer er¬
laubte
Und von meinem Platz niemals den Beſſern ver¬
drängt.
Der Greis.
Von der langen Lebensreiſe müde,
Bin ich an des Todes Thor gekommen,
Sitze da und ſchau auf meinen Weg. —
Viele mühevolle Schritte, wie vergeblich,
Aber mich gereut nicht einer.
Unerfüllt dem Jüngling des Kindes Sehnſucht,
Ward die Hoffnung des Manne betrogen,
Aber ich traute nicht darob.
Hier im Baumſchatten ruhend ſchau ich
Wohlgemuth nach meinen gepflanzten Blumen,
Die mit ſüßen Düften mich erquicken;
Denke bei den kleinen Blumen jeder Gegend,
Die ich ſonſt wohl ſah, die mir jetzt fern liegt,
Aber nun lockt mich die Ferne nicht mehr.
Raſche Jünglinge nennen meine Blumenſorge
Spiel des Alters, was gewinnen ſie mit
Ihrer ſtürmenden Kraft?
Dieſe Blumen wachſen, blühn und duften,
Alle meine Wünſche ſind erfüllt.
In des Lebens harten Felſen ſtecken ſie
Ach! manche Hoffnung und wünſchen ihr Gedeihn,
Wie ſelten, daß der Saame grün emporſchießt,
Wie ſeltner, daß er Blüthen trägt!
Um mich ſammeln ſich die Kinder
Und es freut mich, Spielwerk für ſie zu ſchnitzen,
Dann ſeh' ich den ernſten Mann wohl lächeln,
Der den Geſchäften ſein Leben weiht.
Nennt mein Beginnen kindiſch, und weiß nicht
Daß er mit unzufried'nen Kindern nur zu thun hat,
Denen er das Spielzeug nimmer recht macht,
Thöricht iſt es, auf- und abzutreiben,
Der Seele Heimath hier auf Erden ſuchend,
Sie kann auf dieſer Erde nirgend ſeyn.
Auf meinen Blumen zittert das Abendroth
Und verſinkt dann hinter Bergen.
O, daß ich ſo in die kühle grüne Erde ſänke,
Dann ſuchte die freie Seele durch den Luftraum
Die ſchön're Heimath unter den Geſtirnen,
Dann fänd' ich den geliebten Bruder,
Den ich vergeblich mit Schmerzen hier geſucht,
Dann träf' ich die wirkende Kraft und Dauer,
Da ich mich hier in vergeblicher Arbeit abgequält.
Franz Sternbald ſuchte den Ritter wie¬
der auf, nachdem Floreſtan ihn verlaſſen
hatte, und ſagte: Ihr ſeyd vorher gegen
meinen Freund ſo willfährig geweſen, daß
Ihr mich dreiſt gemacht habt, Euch um die
Geſchichte jenes alten Mannes zu bitten,
deſſen Ihr an dem Morgen erwähntet, als
wir uns hinter Straßburg trafen.
So viel ich mich erinnern kann, ſagte
der Ritter, will ich Euch erzählen. — Auf
einer meiner einſamen Wanderungen kam
ich in ein Gehölz, das mich bald zu zwei
einſamen Felſen führte, die ſich wie zwei
Thore gegenüberſtanden. Ich bewunderte
die ſeltſame Symmetrie der Natur, als ich
auf einen ſchönen Baumgang aufmerkſam
wurde, der ſich hinter den Felſen eröffnete.
Ich ging hindurch, und fand einen weiten
Platz, durch den die Allee von Bäumen
gezogen war, ein ſchöner heller Bach floß
auf der Seite, Nachtigallen ſangen, und
eine ſchöne Ruhe lud mich ein, mich nieder¬
zuſetzen und auf das Plätſchern einer Fon¬
taine zu hören, die aus dichtem Gebüſche
herausplauderte.
Ich ſaß eine Weile, als mich der lieb¬
liche Ton einer Harfe aufmerkſam machte,
und als ich mich umſah, ward ich die Büſte
Arioſt's gewahr, die über einem kleinen Al¬
tar erhaben ſtand, unter dieſer ſpielte ein
ſchöner Jüngling auf dem Inſtrumente. —
Hier wurde die Erzählung des Ritters
durch einen ſonderbaren Vorfall unterbrochen.
Zweites
Zweites Buch.
(2r Th.) P
Erſtes Kapitel.
In der Klauſe entſtand ein Geräuſch und
Gezänk, gleich darauf ſah man den Eremi¬
ten und Pilgrim beide erhitzt heraustreten,
aus dem Walde kam ein großer anſehnli¬
cher Mann, auf den Roderigo ſogleich hin¬
zueilte, und ihn in ſeine Arme ſchloß. O,
mein Ludoviko! rief er aus, biſt Du wieder
da? Wie kömmſt Du hierher? geht es Dir
wohl? biſt Du noch wie ſonſt mein Freund?
Jener konnte vor dem Entzücken Rode¬
rigo's immer noch nicht zu Worte kommen,
indeſſen die heiligen Männer in ihrem eifri¬
gen Gezänk fortfuhren. Da Floreſtan den
Namen Ludoviko nennen hörte, verließ er
auch Sternbald, und eilte zu den beiden,
P 2
indem er aufrief: Gott ſey gedankt, wenn
Ihr Ludoviko ſeyd! Ihr ſeyd uns hier in
der Einſamkeit unausſprechlich willkommen!
Ludoviko umarmte ſeinen Freund, in¬
dem Sternbald voller Erſtaunen verlaſſen da
ſtand, dann ſagte er luſtig: Mich freut es,
Dich zu ſehn, aber wir müſſen doch dort die
ſtreitenden Partheyen aus einander bringen.
Als ſie den fremden ſchönen Mann auf
ſich zukommen ſahen, der ganz ſo that, als
wenn es ſeine Sache ſeyn müßte, ihren Zwiſt
zu ſchlichten, ließen ſie freiwillig von einan¬
der ab. Sie waren von der edlen Geſtalt
wie bezaubert, Roderigo war vor Freude
trunken, ſeinen Freund wieder zu beſitzen,
und Floreſtan konnte kein Auge von ihm
verwenden. Was haben die beiden heiligen
Männer gehabt? fragte Ludoviko.
Der Eremit fing an, ſeinen Unſtern zu
erzählen. Der Pilger ſey derſelbe, der ſeine
Geliebte geheirathet habe, dieſe Entdeckung
habe ſich unvermuthet während ihrer Gebe¬
ter hervorgethan, er ſey darüber erbittert
worden, daß er nun noch zum Überfluß ſei¬
nem ärgſten Feinde Herberge geben müßte.
Der Pilgrim verantwortete ſich dagegen:
daß es ſeine Schuld nicht ſey, daß jener ge¬
gen die Gaſtfreiheit gehandelt und ihn mit
Schimpfreden überhäuft habe.
Ludoviko ſagte: Mein lieber Pilger,
wenn Dir die Großmuth recht an die Seele
geheftet iſt, ſo überlaß jenem eifrigen Lieb¬
haber Deine bisherige Frau, und bewohne
Du ſeine Klauſe. Vielleicht, daß er ſich bald
hierher zurückſehnt, und Du dann gewiß nicht
zum zweitenmale den Tauſch eingehn wirſt.
Rudolf lachte laut über den wunderli¬
chen Zank und über dieſe luſtige Entſcheidung,
Franz aber erſtaunte, daß Einſiedler, heilige
Männer ſo unheiligen und gemeinen Leiden¬
ſchaften, als dem Zorne, Raum verſtatten
könnten. Der Pilgrim war gar nicht Wil¬
lens, ſeine Frau zu verlaſſen, um ein Wald¬
bruder zu werden, der Eremit ſchämte ſich
ſeiner Heftigkeit.
Alle Partheyen waren ausgeſöhnt, und
ſie ſetzten ſich mit friedlichen Gemüthern an
das kleine Mittagsmahl.
Du haſt Dich gar nicht verändert, ſagte
Roderigo.
Und muß man ſich denn immer verän¬
dern? rief Ludoviko aus; nein, auch Ae¬
gypten mit ſeinen Pyramiden und ſeiner hei¬
ßen Sonne kann mir nichts anhaben. Nichts
iſt lächerlicher, als die Menſchen, die mit
ernſthaftern Geſichtern zurückkommen, weil
ſie etwa entfernte Gegenden geſehn haben,
alte Gebäude und wunderliche Sitten. Was
iſt es denn nun mehr? Nein, mein Rode¬
rigo, hüte Dich vor dem Anderswerden,
denn an den meiſten Menſchen iſt die Ju¬
gend noch das Beſte, und was ich habe, iſt
mir auf jeden Fall lieber, als was ich erſt
bekommen ſoll. Eine Wahrheit, die nur bei
einer Frau eine Ausnahme leidet. Nicht
wahr, mein lieber Pilgrim? Du ſelbſt kömmſt
mir aber etwas anders vor.
Und wie ſteht es denn in Aegypten?
fragte Floreſtan, der gern mit dem ſeltſa¬
men Fremden bekannter werden wollte.
Die alten Sachen ſtehn noch immer am
alten Fleck, ſagte jener, und wenn man dort
iſt, vergißt man, daß man ſich vorher dar¬
über verwundert hat. Man iſt dann ſo eben
und gewöhnlich mit ſich und allem außer ſich,
wie mir hier im Walde iſt. Der Menſch
weiß nicht, was er will, wenn er Sehnſucht
nach der Fremde fühlt, und wenn er dort
iſt, hat er nichts. Das Lächerlichſte an mir
iſt, daß ich nicht immer an demſelben Orte
bleibe
Habt Ihr die ſeltſamen Kunſtſachen in
Augenſchein genommen? fragte Franz be¬
ſcheiden.
Was mir vor die Augen getreten iſt,
ſagte Ludoviko, habe ich ziemlich genau be¬
trachtet. Die Sphinxe ſehn unſer eins mit
gar wunderlichen Augen an, ſie ſtehn aus
dem fernen Alterthum gleichſam ſpöttiſch da,
und fragen: Wo biſt Du her? was willſt
Du hier? Ich habe in ihrer Gegenwart
meiner Tollkühnheit mich mehr geſchämt, als
wenn vernünftige Leute mich tadelten, oder
andre mittlern Alters mich lobten.
O, wie gern möchte ich Euer Gefährte
geweſen ſeyn! rief Franz aus, die Gegenden
wirklich und wahrhaftig zu ſehn, die ſchon
in der Imagination unſrer Kindheit vor uns
ſtehn, die Örter zu beſuchen, die gleichſam
die Wiege der Menſchheit ſind. Nun dem
wunderbaren Laufe des alten Nils zu fol¬
gen, von Ruinen in fremder, ſchauerlicher,
halbverſtändlicher Sprache angeredet zu wer¬
den, Sphinxe im Sande, die hohen Pyrami¬
den, Memnons wunderſame Bildſäule, und
immer das Gefühl der alten Geſchichten mit
ſich herumzutragen, noch einzelne lebende
Laute aus der längſt entflohenen Heldenzeit,
zu vernehmen, über's Meer nach Griechen¬
land hinüberzublicken, zu träumen, wie die
Vorwelt aus dem Staube ſich wieder empor¬
gearbeitet, wie wieder griechiſche Flotten lan¬
den, — o, alles das in unbegreiflicher Ge¬
genwart nun vor ſich zu haben, könnt Ihr
gegen Euer Glück wirklich ſo undankbar
ſeyn? —
Ich bin es nicht, ſagte Ludoviko, und
mir ſind dieſe Empfindungen auch oft auf
den Bergen, an der Seeküſte durch die
Bruſt gegangen. Oft faßte ich aber auch
eine Handvoll Sand, und dachte: Warum
biſt Du nun ſo mühſam, mit ſo mancher Ge¬
fahr, ſo weit gereiſ't, um dies Theilchen
Erde zu ſehn, das Sage und Geſchichte Dir
nun ſo lange nennt? Iſt denn die übrige
Erde jünger? Darfſt Du Dich in Deiner
Heimath nicht verwundern? Sieh die ewi¬
gen Felſen dort an, den Aetna in Sicilien,
den alten Schlund des Charybdis. Und mußt
Du Dich verwundern, um glücklich zu ſeyn?
— Ich ſagte dann zu mir ſelber: Thor!
Thor! und wahrlich, ich verachtete in eben
dem Augenblicke den Menſchen, der dieſe
Thorheit nicht mit mir hätte begehn können.
Unter mancherlei Erzählungen verſtrich
auch dieſer Tag, der Einſiedel ſagte oft:
Ich begreife nicht, wie ich in Eurer Geſell¬
ſchaft bin, ich bin wohl und ſogar luſtig,
ja meine Lebensweiſe iſt mir weniger ange¬
nehm, als bisher. Ihr ſteckt uns alle mit
der Reiſeſucht an; ich glaubte über alle
Thorheiten des Lebens hinüber zu ſeyn, und
Ihr weckt eine neue Luſt dazu in mir auf.
Am folgenden Morgen nahmen ſie Ab¬
ſchied; der Pilgrim hatte ſich mit dem Ein¬
ſiedel völlig verſöhnt, ſie ſchieden als gute
Freunde, Ludoviko führte den Zug an, die
übrigen folgten ihm.
Auf dem Wege erkundigte ſich Ludoviko
nach Sternbald und ſeinem Gefährten Flo¬
reſtan, er lachte über dieſen oft, der ſich alle
Mühe gab, von ihm bemerkt zu werden,
Sternbald war ſtill, und begleitete ſie in
tiefen Gedanken. Ludoviko ſagte zu Franz,
als er hörte, dieſer ſey ein Mahler: Nun,
mein Freund, wie treibt Ihr es mit Eurer
Kunſt? Ich bin gern in der Geſellſchaft von
Künſtlern, denn gewöhnlich ſind es die wun¬
derlichſten Menſchen, auch fallen wegen ih¬
rer ſeltſamen Beſchäftigung alle ihre Launen
mehr in die Augen, als bei andern Leuten.
Ihr Stolz macht einen wunderlichen Con¬
traſt mit ihrem übrigen Verhältniß im Le¬
ben, ihre poetiſchen Begeiſterungen tragen
ſie nur zu oft in alle Stunden über, auch
unterlaſſen ſie es ſelten, die Gemeinheit ih¬
res Lebens in ihre Kunſtbeſchäftigungen hin¬
einzunehmen Sie ſind ſchmeichelnde Skla¬
ven gegen die Großen, und doch verachten
ſie alles in ihrem Stolze, was nicht Künſt¬
ler iſt. Aus allen dieſen Mißhelligkeiten
entſtehen gewöhnlich Charaktere, die luſtig
genug in's Auge fallen.
Franz ſagte beſchämt: Ihr ſeyd ein ſehr
ſtrenger Ritter, Herr Ritter.
Ludoviko fuhr fort: Ich habe noch we¬
nige Künſtler geſehen, bei denen man es
nicht in den erſten Augenblicken bemerkt hät¬
te, daß man mit keinen gewöhnlichen Men¬
ſchen zu thun habe. Faſt alle ſind unnöthig
verſchloſſen und zudringlich offenherzig. Ich
habe mich ſelbſt zuweilen geübt, dergleichen
Leute darzuſtellen, und es niemals unterlaſ¬
ſen, dieſe Seltſamkeiten in das hellſte Licht
zu ſtellen. Es fällt gewiß ſchwer, Menſch
wie die übrigen zu bleiben, wenn man ſein
Leben damit zubringt, etwas zu thun und
zu treiben, wovon ein jeder glaubt, daß es
übermenſchlich ſey: in jedem Augenblicke zu
fühlen, daß man mit dem übrigen Menſchen¬
geſchlechte eben nicht weiter zuſammenhänge.
Dieſe Sterblichen leben nur in Tönen, in
Zeichen, gleichſam in einem Luftreviere wie
Feen und Kobolde, es iſt nur ſcheinbar,
wenn man ſie glaubt die Erde betreten zu
ſehen.
Ihr mögt in einiger Hinſicht nicht Un¬
recht haben, ſagte Franz.
Wer ſich der Kunſt ergiebt, ſagte jener
weiter, muß das, was er als Menſch iſt
und ſeyn könnte, aufopfern. Was aber das
ſchlimmſte iſt, ſo ſuchen jene Leute, die ſich
für Künſtler wollen halten laſſen, noch al¬
lerhand Seltſamkeiten und auffallenden Thor¬
heiten zuſammen, um ſie recht eigentlich zur
Schau zu tragen, als Orden oder Ordens¬
kreuz, in Ermangelung deſſen, damit man
ſie in der Ferne gleich erkennen ſoll, ja ſie
halten darauf mehr, als auf ihre wirkliche
Kunſt. Hütet Euch davor, Herr Mahler.
Man erzählt doch von manchem großen
Manne, ſagte Franz, der von dergleichen
Thorheiten frei geblieben iſt.
Nennt mir einige, rief Ludoviko.
Sternbald ſagte: Zum Beiſpiel der edle
Mahlergeiſt Rafael Sanzio von Urbin.
Ihr habt Recht, ſagte der heftige Rit¬
ter, und überhaupt, fuhr er nach einem klei¬
nen Nachdenken fort, laßt Euch meine Rede
nicht ſo ſehr auffallen, denn ſie braucht gar
nicht ſo ganz wahr zu ſeyn. Ihr habt mich
mit dem einzigen Namen beſchämt und in
die Flucht geſchlagen, und alle meine Worte
erſcheinen mir nun wie eine Läſterung auf
die menſchliche Größe. Ich bin ſelbſt ein
Thor, das wollen wir für ausgemacht gel¬
ten laſſen.
Roderigo ſagte: Du haſt manche Sei¬
ten von Dir ſelbſt geſchildert.
Mag ſeyn, ſagte ſein Freund, man
kann nichts beſſers und nichts ſchlechters
thun. Laßt uns lieber von der Kunſt ſelber
ſprechen. Ich habe mir in vielen Stunden
gewünſcht, ein Mahler zu ſeyn.
Sternbald fragte: Wie ſeyd Ihr dar¬
auf gekommen?
Erſtlich, antwortete der junge Ritter,
weil es mir ein großes Vergnügen ſeyn würde,
manche von den Mädchen ſo mit Farben
vor mich hinzuſtellen, die ich wohl ehemals
gekannt habe, dann mir andre noch ſchönere
abzuzeichnen, die ich manchmal in glückli¬
chen Stunden in meinem Gemüthe gewahr
werde. Dann erleide ich auch zuweilen recht
ſonderbare Begeiſterung, ſo daß mein Geiſt
ſehr heftig bewegt iſt, dann glaube ich, wenn
mir die Geſchicklichkeit zu Gebote ſtände,
ich würde recht wunderbare und merkwür¬
dige Sachen ausarbeiten können. Seht,
mein Freund, dann würde ich einſame, ſchauer¬
liche Gegenden abſchildern, morſche zerbro¬
chene Brücken über zwei ſchroffen Felſen, ei¬
nem Abgrunde hinüber, durch den ſich ein
Waldſtrom ſchäumend drängt: verirrte Wan¬
dersleute, deren Gewänder im feuchten Winde
flattern, furchtbare Räubergeſtalten aus dem
Hohlwege heraus, angefallene und geplün¬
derte Wägen, Kampf mit den Reiſenden. —
Dann wieder eine Gemſenjagd in einſamen,
furchtbaren Felſenklippen, die kletternden Jä¬
ger, die ſpringenden, gejagten Thiere von
oben
herab, die ſchwindelnden Abſtürze. Figuren,
die oben auf ſchmalen überragenden Stei¬
nen Schwindel ausdrücken, und ſich eben in
ihren Fall ergeben wollen, der Freund, der
jenen zu Hülfe eilt, in der Ferne das ruhige
Thal. Einzelne Bäume und Geſträuche, die
die Einſamkeit nur noch beſſer ausdrücken,
auf die Verlaſſenheit noch aufmerkſamer ma¬
chen. — Oder dann wieder den Bach und
Waſſerſturz, mit dem Fiſcher, der angelt,
mit der Mühle, die ſich dreht, vom Monde
beſchienen. Ein Kahn auf dem Waſſer,
ausgeworfene Netze. — Zuweilen kämpft
meine Imagination, und ruht nicht und
giebt ſich nicht zufrieden, um etwas durch¬
aus Unerhörtes zu erſinnen und zu Stande
zu bringen. Äußerſt ſeltſame Geſtalten würde
ich dann hinmahlen, in einer verworrenen,
faſt unverſtändlichen Verbindung, Figuren,
die ſich aus allen Thierarten zuſammenfän¬
(2r Th.) Q
den und unten wieder in Pflanzen endigten:
Inſekten und Gewürme, denen ich eine wun¬
derſame Ähnlichkeit mit menſchlichen Charakte¬
ren aufdrücken wollte, ſo daß ſie Geſinnun¬
gen und Leidenſchaften poſſierlich und doch
furchtbar äußerten; ich würde die ganze ſicht¬
bare Welt aufbieten, aus jedem das Selt¬
ſamſte wählen, um ein Gemählde zu machen,
das Herz und Sinnen ergriffe, das Erſtau¬
nen und Schauder erregte, und wovon man
noch nie etwas Ähnliches geſehn und gehört
hätte. Denn ich finde das an unſrer Kunſt
zu tadeln, daß alle Meiſter ohngefähr nach
einem Ziele hinarbeiten, es iſt alles gut und
löblich, aber es iſt immer mit wenigen Ab¬
änderungen das Alte.
Franz war einen Augenblick ſtumm, dann
ſagte er: Ihr würdet auf eine eigene Weiſe
das Gebiet unſrer Kunſt erweitern, mit wun¬
derbaren Mitteln das Wunderbarſte errin¬
gen, oder in Euren Bemühungen erliegen.
Eure Einbildung iſt ſo lebhaft und lebendig,
ſo zahlreich an Geſtalt und Erfindung, daß
ihr das Unmöglichſte nur ein leichtes Spiel
dünkt. O, wie viel billigere Forderungen
muß der Künſtler aufgeben, wenn er zur
wirklichen Arbeit ſchreitet!
Hier ſtimmte der Pilgrim plötzlich ein
geiſtliches Lied an, denn es war nun die
Tageszeit gekommen, an welcher er es nach
ſeinem Gelübde abſingen mußte. Das Ge¬
ſpräch wurde unterbrochen, weil alle auf¬
merkſam zuhörten, ohne daß eigentlich einer
von ihnen wußte, warum er es that.
Mit dem Schluſſe des Geſanges traten
ſie in ein anmuthiges Thal, in dem eine
Heerde weidete, eine Schallmey tönte her¬
über, und Sternbalds Gemüth ward ſo hei¬
ter und muthig geſtimmt, daß er von freien
Q 2
Stücken Floreſtan's Schallmeylied zum Er¬
götzen der übrigen wiederholte; als er geen¬
digt hatte, ſtieg der muthwillige Ludoviko
auf einen Baum, und ſang von oben in den
Tönen einer Wachtel, eines Kuckuks und ei¬
ner Nachtigall herunter. Nun haben wir
alle unſre Pflicht gethan, ſagte er, jetzt ha¬
ben wir es wohl verdient, daß wir uns aus¬
ruhen dürfen, wobei uns der junge Floreſtan
mit einem Liede erquicken ſoll.
Sie ſetzten ſich auf den Raſen nieder,
und Floreſtan fragte: welcher Inhalt ſoll
denn in meinem Liede ſeyn?
Welcher Du willſt, antwortete Ludoviko,
wenn es Dir recht iſt, gar keiner; wir ſind
mit allem zufrieden, wenn es Dir nur ge¬
müthlich iſt, warum ſoll eben Inhalt den
Inhalt eines Gedichts ausmachen?
Rudolf ſang:
Durch den Himmel zieht der Vögel Zug,
Sie ſind auf Wanderſchaft begriffen,
Da hört man gezwitſchert und gepfiffen
Von Groß und Klein der Melodien genug.
Der Kleine ſingt mit feiner Stimm',
Der Große krächzt gleich wie im Grimm
Und ein'ge ſtottern, andre ſchnarren,
Und Droſſel, Gimpel, Schwalbe, Staaren,
Sie wiſſen alle nicht, was ſie meinen,
Sie wiſſen's wohl und ſagen's nicht,
Und wenn ſie auch zu reden ſcheinen,
Iſt ihr Gerede nicht von Gewicht.
— «Holla! warum ſeyd Ihr auf der Reiſe?« —
Das iſt nun einmal unſre Weiſe.
— »Warum bleibt Ihr nicht zu jeglicher Stund?« —
Die Erd' iſt allenthalben rund.
Auf die armen Lerchen wird Jagd gemacht,
Die Schnepfen gar in Dohnen gefangen,
Dort ſind die Vöglein aufgehangen,
An keine Rückfahrt mehr gedacht.
— Iſt das die Art mit uns zu ſprechen?
Uns armen Vögeln den Hals zu brechen?
— »Verſtändlich iſt doch dieſe Sprache,
So ruft der Menſch, ſie dient zur Sache,
In allen Natur die Sprache regiert,
Das eins mit dem andern Kriege führt,
Man dann am beſten raiſonnirt und beweiſ't,
Wenn eins vom andern wird aufgeſpeiſ't:
Die Ströme ſind im Meere verſchlungen,
Vom Schickſal wieder der Menſch bezwungen,
Den tapferſten Magen hat die Zeit,
Ihr nimmermehr ein Eſſen gereut,
Doch wie von der Zeit eine alte Fabel beſagt
Macht auf ſie das jüngſte Gericht einſt Jagd.
Ein' andre Speiſe giebt's nachher nicht,
Heißt wohl mit Recht das letzte Gericht.
Rudolf ſang dieſe tollen Verſe mit ſo
lächerlichen Bewegungen, daß ſich keiner des
Lachens enthalten konnte. Als der Pilgrim
wieder ernſthaft war, ſagte er ſehr feierlich:
Verzeiht mir, man wird unter Euch wie ein
Trunkener, wenn Ihr mich noch lange be¬
gleitet, ſo wird aus meiner Pilgerſchaft
gleichſam eine Narrenreiſe.
Man verzehrte auf der Wieſe ein Mit¬
tagsmahl, das ſie mitgenommen hatten, und
Ludoviko wurde nicht müde, ſich bei Rode¬
rigo nach allerhand Neuigkeiten zu erkundi
gen. Roderigo verſchwieg, ob aus einer Art
von Schaam, oder weil er vor den beiden
die Erzählung nicht wiederholen mochte, ſeine
eigne Geſchichte. Er kam durch einen Zufall
auf Luthern und die Reformation zu ſprechen.
O, ſchweig mir davon, rief Ludoviko
aus, denn es iſt mir ein Verdruß zu hören.
Jedweder, der ſich für klug hält, nimmt in
unſern Tagen die Parthey dieſes Mannes,
der es gewiß gut und redlich meint, der
aber doch immer mit ſeinen Ideen nicht
recht weiß, wo er hinaus will.
Ihr erſtaunt mich! ſagte Franz.
Ihr ſeyd ein Deutſcher, fuhr Ludoviko
fort, ein Nürnberger, es nimmt mich nicht
Wunder, wenn Ihr Euch der guten Sache
annehmt, wie ſie Euch wohl erſcheinen muß.
Ich glaube auch, daß Luther einen wahr¬
haft großen Geiſt hat, aber ich bin ihm
darum doch nicht gewogen. Es iſt ſchlimm,
daß die Menſchen nichts einreißen können,
nicht die Wand eines Hofs, ohne gleich dar¬
auf Luſt zu kriegen, ein neues Gebäude auf¬
zuführen. Wir haben eingeſehn, daß Irren
möglich ſey, nun irren wir lieber noch jen¬
ſeits, als in der geraden lieblichen Straße
zu bleiben. Ich ſehe ſchon im Voraus die
Zeit kommen, die die gegenwärtige Zeit faſt
nothwendig hervorbringen muß, wo ein
Mann ſich ſchon für ein Wunder ſeines
Jahrhunderts hält, wenn er eigentlich nichts
iſt. Ihr fangt an zu unterſuchen, wo nichts
zu unterſuchen iſt, Ihr taſtet die Göttlich¬
keit unſrer Religion an, die wie ein wunder¬
bares Gedicht vor uns da liegt, und nun
einmal keinem andern verſtändlich iſt, als
der ſie verſteht: hier wollt Ihr ergrübeln
und widerlegen, und könnt mit allem Trach¬
ten nicht weiter vorwärts dringen, als es
dem Blödſinne auch gelingen würde, da im
Gegentheil die höhere Vernunft ſich in der
Unterſuchung wie in Netzen würde gefan¬
gen fühlen, und lieber die edle Poeſie
glauben, als ſie den Unmündigen erklären
wollen.
O, Martin Luther! ſeufzte Franz, Ihr
habt da ein kühnes Wort über ihn geſprochen.
Ludoviko ſagte: Es geht eigentlich nicht
ihn an, auch will ich die Mißbräuche des
Zeitalters nicht in Schutz nehmen, gegen die
er vornehmlich eifert, aber mich dünkt doch,
daß dieſe ihn zu weit führen, daß er nun
zu ängſtlich ſtrebt, das Gemeine zu ſondern,
und darüber das Edelſte mit ergreift. Wie
es den Menſchen geht, ſeine Nachfolger mö¬
gen leicht ihn ſelber nicht verſtehn, und ſo
erzeugt ſich ſtatt der Fülle einer göttlichen
Religion eine dürre vernünftige Leerheit, die
alle Herzen ſchmachtend zurückläßt, der ewige
Strom voll großer Bilder und koloſſaler
Lichtgeſtalten trocknet aus, die dürre gleich¬
gültige Welt bleibt zurück und einzeln, zer¬
ſtückt, und mit ohnmächtigen Kämpfen muß
das wieder erobert werden, was verloren
iſt, das Reich der Geiſter iſt entflohen, und
nur einzelne Engel kehren zurück.
Du biſt ein Prophet geworden, ſagte
Roderigo, ſeht, meine Freunde, er hat die
ägyptiſche Weisheit heimgebracht.
Wie könnt Ihr nur, ſagte der Pilgrim,
ſo weiſe und ſo thörichte Dinge in einem
Athem ſprechen und verrichten? Sollte man
Euch dieſe frommen Gemüthsbewegungen zu¬
trauen? —
Rudolf ſtand auf und gab dem Ludo¬
viko die Hand, und ſagte: Wollt Ihr mein
Freund ſeyn, oder mich für's Erſte nur um
Euch dulden, ſo will ich Euch begleiten, wo¬
hin Ihr auch geht, ſeyd Ihr mein Meiſter,
ich will Euer Schüler werden. Ich opfere
Euch jetzt alles auf, Braut und Vater und
Geſchwiſter.
Habt Ihr Geſchwiſter? fragte Ludoviko.
Zwei Brüder, antwortete Rudolf, wir
lieben uns von Kindesbeinen, aber ſeitdem
ich Euch geſehn habe, fühle ich gar keine
Sehnſucht mehr, Italien wiederzuſehn.
Ludoviko ſagte: Wenn ich über irgend
etwas in der Welt traurig werden könnte,
ſo wäre es darüber, daß ich nie eine Schwe¬
ſter, einen Bruder gekannt habe. Mir iſt
das Glück verſagt, in die Welt zu treten,
und Geſchwiſter anzutreffen, die gleich dem
Herzen am nächſten zugehören. Wie wollte
ich einen Bruder lieben, wie hätte ich ihm
mit voller Freude begegnen, meine Seele in
die ſeinige feſt hineinwachſen wollen, wenn
er ſchon meine Kinderſpiele getheilt hätte!
Aber ich habe mich immer einſam gefunden,
mein tolles Glück, mein wunderliches Land¬
ſchwärmen ſind mir nur ein geringer Erſatz
für die Bruderliebe, die ich immer geſucht
habe. Zürne mir nicht, Roderigo, denn Du
biſt mein beſter Freund. Aber wenn ich ein
Weſen fände, in dem ich den Vater, ſein
Temperament, ſeine Launen wahrnähme,
mit welchem Erſchrecken der Freude und des
Entzückens würde ich darauf zueilen und es
in meine brüderlichen Arme ſchließen! Mich
ſelbſt, im wahrſten Sinn, fände ich in einem
ſolchen wieder. — Aber ich habe eine ein¬
ſame Kindheit verlebt, ich habe niemand
weiter gekannt, der ſich um mein Herz be¬
worben hätte, und darum kann es wohl
ſeyn, daß ich keinen Menſchen auf die
wahre Art zu lieben verſtehe, denn durch
Geſchwiſter lernen wir die Liebe, und in der
Kindheit liebt das Herz am ſchönſten. —
So bin ich hartherzig geworden, und muß
mich nun ſelber dem Zufalle verſpielen, um
die Zeit nur hinzubringen. Die ſchönſte
Sehnſucht iſt mir unbekannt geblieben, kein
brüderliches Herz weiß von mir und ſchmach¬
tet nach mir, ich darf meine Arme nicht in
die weite Welt hineinſtrecken, denn es kommt
doch keiner meinem ſchlagenden Herzen ent¬
gegen.
Franz trocknete ſich die Thränen ab, er
unterdrückte ſein Schluchzen. Es war ihm,
als drängte ihn eine unſichtbare Gewalt auf¬
zuſtehn, die Hand des Unbekannten zu faſ¬
ſen, ihm in die Arme zu ſtürzen und auszu¬
rufen: Nimm mich zu Deinem Bruder an!
Er fühlte die Einſamkeit, die Leere in ſei¬
nem eignen Herzen, Ludoviko ſprach die
Wünſche aus, die ihn ſo oft in ſtillen Stun¬
den geängſtigt hatten, er wollte ſeinen Kla¬
gen, ſeinem Jammer den freien Lauf laſſen,
als er wieder innerlich fühlte: Nein, alle
dieſe Menſchen ſind mir doch fremd, er kann
ja doch nicht mein Bruder werden, und viel¬
leicht würde er nur meine Liebe verſpotten.
Unter allerhand Liedern, gegen die der
andächtige Geſang des Pilgers wunderlich
abſtach, gingen ſie weiter. Roderigo ſagte:
mein Freund, Du haſt nun ein paarmal
Deines Vaters erwähnt, willſt Du mir nicht
endlich einmal ſeinen Namen ſagen?
Und wißt Ihr denn nicht, fiel Rudolf
haſtig ein, daß Euer Freund dergleichen
Fragen nicht liebt? Wie könnt Ihr ihn
nur damit quälen?
Du kennſt mich ſchon beſſer, als jener,
ſagte Ludoviko, ich denke, wir ſollen gute
Kameraden werden. Aber warum iſt Dein
Freund Sternbald ſo betrübt?
Sternbald ſagte: Soll ich darüber nicht
trauern, daß der Menſch mich nun verläßt,
mit dem ich ſo lange gelebt habe? Denn
ich muß nun doch meine Reiſe fortſetzen, ich
habe mich nur zu lange aufhalten laſſen.
Ich weiß ſelbſt nicht, wie es kömmt, daß
ich meinen Zweck faſt ganz und gar vergeſſe.
Man kann ſeinen Zweck nicht vergeſſen,
fiel Ludoviko ein, weil der vernünftige
Menſch ſich ſchon ſo einrichtet, daß er gar
keinen Zweck hat. Ich muß nur lachen,
wenn ich Leute ſo große Anſtalten machen
ſehe, um ein Leben zu führen, das Leben
iſt dahin, noch ehe ſie mit den Vorbereitun¬
gen fertig ſind.
Unter ſolchen Geſprächen zogen ſie wie
auf einem Marſche über Feld. Rudolf ging
voran, indem er auf ſeiner Pfeife ein mun¬
teres Lied blies, ſeine Bänder flogen vom
Hute in der ſpielenden Luft, in ſeiner Schärpe
trug er einen kleinen Säbel. Ludoviko war
noch ſeltſamer gekleidet; ſein Gewand war
hellblau, ein ſchönes Schwerdt hing an ei¬
nem zierlich gewirkten Bandelier über ſeine
Schulter, eine goldene Kette trug er um
den Hals, ſein braunes Haar war lockig.
Roderigo folgte in Rittertracht, neben dem
der Pilgrim mit ſeinem Stabe und einfachen
Anzuge gut kontraſtirte. Sternbald glaubte
oft einen ſeltſamen Zug auf einem alten Ge¬
mählde anzuſehn.
Es war gegen Abend, als ſie alle ſehr
ermüdet waren, und noch ließ ſich keine
Stadt, kein Dorf antreffen. Sie wünſchten
wieder einen gutmüthigen ſtillen Einſiedel
zu finden, der ſie bewirthete, ſie horchten,
ob ſie nicht Glockenſchall vernähmen, aber
ihre Bemühung war ohne Erfolg. Ludo¬
viko ſchlug vor, im Walde das Nachtlager
aufzuſchlagen, aber alle, außer Floreſtan,
waren
waren dagegen, der die größte Luſt bezeigte,
ſein Handwerk als Abentheurer recht ſonder¬
bar und auffallend anzufangen. Der Pil¬
grim glaubte, daß ſie ſich verirrt hätten,
und daß alles vergebens ſeyn würde, bis
ſie den rechten Weg wieder angetroffen hät¬
ten. Rudolf wollte den längern Streit nicht
mit anhören, ſondern blies mit ſeiner Pfeife
dazwiſchen: alle waren in Verwirrung, und
ſprachen durch einander, jeder that Vor¬
ſchläge, und keiner ward gehört. Während
des Streites zogen ſie in der größten Eile
fort, als wenn ſie vor jemand flöhen, ſo
daß ſie in weniger Zeit eine große Strecke
Weges zurücklegten. Der Pilgrim ſank end¬
lich faſt athemlos nieder, und nöthigte ſie
auf dieſe Weiſe, ſtille zu halten.
Als ſie ſich ein wenig erholt hatten,
glänzten die Wolken ſchon vom Abendroth;
ſie gingen langſam weiter. — Sie zogen
(2r Th.) R
durch ein kleines, angenehmes Gehölz, und
fanden ſich auf einem runden, grünen
Raſenplatz, vor ihnen lag ein Garten,
mit einem Stakete umgeben, durch deſſen
Stäbe und Verzierungen man hindurchblicken
konnte. Alles war artig eingerichtet, das
Geländer war allenthalben durchbrochen ge¬
arbeitet, eiſerne Thüren zeigten ſich an etli¬
chen Stellen, kein Pallaſt war ſichtbar.
Dichte Baumgänge lagen vor ihnen, kühle
Felſengrotten, Springbrunnen hörte man
aus der Ferne plätſchern. Alle ſtanden ſtill,
in dem zauberiſchen Anblicke verloren, den
niemand erwartet hatte: ſpäte Roſen glüh¬
ten ihnen von ſchlanken, erhabenen Stäm¬
men entgegen, weiter ab ſtanden dunkel¬
rothe Malven, die wie krauſe gewundene
Säulen die dämmerndgrünen Gänge zu ſtützen
ſchienen. Alles umher war ſtill, keine Men¬
ſchenſtimme war zu vernehmen.
Iſt dieſer Feengarten, rief Roderigo aus,
nicht wie durch Zauberei hierher gekommen?
Wenn wir mit dem Beſitzer des Hauſes be¬
kannt wären, wie erquicklich müßte es ſeyn,
in dieſen anmuthigen Grotten auszuruhen,
in dieſen dunkeln Gängen zu ſpazieren, und
ſich mit ſüßen Früchten abzukühlen? Wenn
wir nur einen Menſchen wahrnähmen, der
uns die Erlaubniß ertheilen könnte!
Indem wurde Ludoviko einige Bäume
mit ſehr ſchönen Früchten gewahr, die im
Garten ſtanden, große ſaftige Birnen und
hochrothe Pflaumen. Er hatte einen ſchnel¬
len Entſchluß gefaßt. Laßt uns, meine gu¬
ten Freunde, rief er aus, ohne Zeremonien
über das Spalier dieſes Gartens ſteigen,
uns in jener Grotte ausruhen, mit Früchten
ſättigen, und dann den Mondſchein abwar¬
ten, um unſre Reiſe fortzuſetzen.
Alle waren über ſeine Verwegenheit in
R 2
Verwunderung geſetzt, aber Rudolf ging ſo¬
gleich zu ſeiner Meinung über. Sternbald
und der Pilgrim widerſetzten ſich am läng¬
ſten, aber indem ſie noch ſprachen, war Lu¬
doviko, ohne danach hinzuhören, ſchon in
den Garten geklettert und geſprungen, er
half Floreſtan nach, Roderigo rief den Rück¬
bleibenden ebenfalls zu, Sternbald bequemte
ſich, und der Pilgrim, den auch nach dem
Obſte gelüſtete, fand es bedenklich, ganz
ohne Geſellſchaft ſeine Reiſe fortzuſetzen. Er
machte nachher noch viele Einwendungen,
auf die niemand hörte, denn Ludoviko fing
an aus allen Kräften die Bäume zu ſchüt¬
teln, die auch reichlich Obſt hergaben, das
die übrigen mit vieler Ämſigkeit aufſammelten.
Dann ſetzten ſie ſich in der kühlen Grotte
zum Eſſen nieder und Ludoviko ſagte: Wenn
uns nun auch jemand antrifft, was iſt es
denn mehr? Er müßte ſehr ungeſittet ſeyn,
wenn er auf unſre Bitte um Verzeihung
nicht hören wollte, und ſehr ſtark, wenn
wir ihm nicht vereinigt widerſtehn ſollten.
Als der Pilger eine Weile gegeſſen hat¬
te, fing er an, große Reue zu fühlen, aber
Floreſtan ſagte im luſtigen Muthe: Seht,
Freunde, ſo leben wir im eigentlichen Stande
der Unſchuld, im goldenen Zeitalter, das wir
ſo oft zurückwünſchen, und das wir uns ei¬
genmächtig, wenigſtens auf einige Stunden
erſchaffen haben. O wahrlich, das freie Le¬
ben, das ein Räuber führt, der jeden Tag
erobert, iſt nicht ſo gänzlich zu verachten:
wir verwöhnen uns in unſrer Sicherheit und
Ruhe zu ſehr. Was kann es geben, als
höchſtens einen kleinen Kampf? Wir ſind
gut bewaffnet, wir fürchten uns nicht, wir
ſind durch uns ſelbſt geſichert.
Sie horchten auf, es war, als wenn ſie
ganz in der Ferne Töne von Waldhörnern
vernähmen, aber der Klang verſtummte wie¬
der. Seyd unverzagt, rief Ludoviko aus,
und thut, als wenn Ihr hier zu Hauſe wä¬
ret, ich ſtehe Euch für alles.
Der Pilgrim mußte nach dem Spring¬
brunnen, um ſeine Flaſche mit Waſſer zu
füllen, ſie tranken alle nach der Reihe mit
großem Wohlbehagen. Der Abend ward
immer kühler, die Blumen dufteten ſüßer,
alle Erinnerungen wurden im Herzen ge¬
weckt. Du weißt nicht, mein lieber Roderi¬
go, fing Ludoviko von neuem an, daß ich jetzt
in Italien, in Rom wieder eine Liebe habe,
die mir mehr iſt, als mir je eine geweſen
war. Ich verließ das ſchöne Land mit ei¬
nem gewiſſen Widerſtreben, ich ſah mit un¬
ausſprechlicher Sehnſucht nach der Stadt zu¬
rück, weil Marie dort zurückblieb. Ich
habe ſie erſt ſeit Kurzem kennen gelernt,
und ich möchte Dir faſt vorſchlagen, gleich
mit mir zurückzureiſen, dann blieben wir
alle, ſo wie wir hier ſind, in Einer Geſell¬
ſchaft. O Roderigo, Du haſt die Vollen¬
dung des Weibes noch nicht geſehn, denn
Du haſt ſie nicht geſehn! all' der ſüße, ge¬
heime Zauber, der die Geſtalt umſchwebt,
das Heilige, das Dir aus blauen verklärten
Augen entgegenblickt: die Unſchuld, der lok¬
kende Muthwille, der ſich auf Wange, in
den liebreizenden Lippen abbildet; — ich
kann es Dir nicht ſchildern. In ihrer Ge¬
genwart empfand ich die erſten Jugendge¬
fühle wieder, es war mir wieder, als wenn
ich mit dem erſten Mädchen ſpräche, da mir
die andern alle als meines Gleichen vorkom¬
men. Es iſt ein Zug zwiſchen den glatten
ſchönen Augenbraunen, der die Phantaſie
in Ehrfurcht hält, und doch ſtehn die Brau¬
nen, die langen Wimpern wie goldene Netze
des Liebesgottes da, um alle Seele, alle
Wünſche, alle fremde Augen wegzufangen.
Hat man ſie einmal geſehn, ſo ſieht man
keinem andern Mädchen mehr nach, kein
Blick, kein verſtohlenes Lächeln lockt Dich
mehr, ſie wohnt mit aller ihrer Holdſeligkeit
in Deiner Bruſt, Dein Herz iſt wie eine
treibende Feder, die Dich ihr, nur ihr durch
alle Gaſſen, durch alle Gärten nachdrängt;
und wenn dann ihr himmelſüßer Blick Dich
nur im Vorübergehen ſtreift, ſo zittert die
Seele in Dir, ſo ſchwindelt Dein Auge von
dem Blick in das rothe Lächeln der Lippen
hinunter, in die Lieblichkeit der Wangen ver¬
irrt, gern und ungern auf dem ſchönſten Bu¬
ſen feſtgehalten, den Du nur errathen darfſt.
O Himmel, gieb mir nur dies Mädchen in
meine Arme, und ich will Deine ganze übrige
Welt, mit allem, allem was ſie Köſtliches
hat, ohne Neid jedem andern überlaſſen!
Du ſchwärmſt, ſagte Roderigo, in dieſer
Sprache habe ich Dich noch niemals ſpre¬
chen hören.
Ich habe die Sprache noch nicht ge¬
kannt, fuhr Ludoviko fort, ich habe noch
nichts gekannt, ich bin bis dahin taub und
blind geweſen. Was fehlt uns hier, als
daß Rudolf nur noch ein Lied ſänge? Eins
von jenen leichten, ſcherzenden Liedern, die
die Erde nicht berühren, die mit luftigem
Schritt über den goldenen Fußboden des
Abendroths gehn, und von dort in die Welt
hineingrüßen. Laß einmal alle Liebe, die
Du je empfandeſt, in Deinem Herzen auf¬
zittern, und dann ſprich die Räthſelſprache,
die nur der Eingeweihte verſteht.
So gut ich kann, will ich Euch dienen,
ſagte Rudolf, mir fällt ſo eben ein Lied
von der Sehnſucht ein, das Euch viel¬
leicht gefallen wird.
Warum die Blume das Köpfchen ſenkt,
Warum die Roſen ſo blaß?
Ach! die Thräne am Blatt der Lilie hängt,
Vergangen das ſchön friſche Gras.
Die Blumen erbleichen,
Die Farben entweichen,
Denn ſie, denn ſie iſt weit
Die allerholdſeligſte Maid.
Keine Anmuth auf dem Feld,
Keine ſüße Blüthe am Baume mehr,
Die Farben, die Töne durchſtreifen die Welt
Und ſuchen die Schönſte weit umher.
Unſer Thal iſt leer
Bis zur Wiederkehr,
Ach! bringt ſie gefeſſelt in Schöne
Zurücke ihr Farben, ihr Töne.
Regenbogen leuchtet voran
Und Blumen folgen ihm nach,
Nacht'gall ſingt auf der Bahn,
Rieſelt der ſilberne Bach:
Thun als wäre der Frühling vergangen,
Doch bringen ſie ſie nur gefangen,
Wird Frühling aus dem Herbſt alsbald,
Herrſcht über uns kein Winter kalt.
Ach! ihr findet ſie nicht, ihr findet ſie nicht,
Habt kein Auge, die Schönſte zu ſuchen,
Euch mangelt der Liebe Augenlicht,
Ihr ermüdet über dem Suchen.
Treibt wie Blumen die Sache als fröhlichen Scherz,
Ach! nehmet mein Herz,
Damit nach dem holden Engelskinde
Der Frühling den Weg gewißlich finde.
Und habt Ihr Kinder entdeckt die Spur,
O, ſo hört, o, ſo hört mein ängſtlich Flehn,
Müßt nicht zu tief in die Augen ihr ſehn,
Ihre Blicke bezaubern, verblenden Euch nur.
Kein Weſen vor ihr beſteht,
All's in Liebe vergeht,
Mag nichts anders mehr ſeyn
Als ihre Lieb' allein.
Bedenkt, daß Frühling und Blumenglanz
Wo ihr Fuß wandelt, immer ſchon iſt,
Kommt zu mir zurück mit leichtem Tanz,
Daß Frühling und Nacht'gall doch um mich iſt;
Muß dann ſpät und früh
Mich behelfen ohne ſie,
Mit bitterſüßen Liebesthränen
Mich einſam nach der Schönſten ſehnen.
Aber bleibt, aber bleibt nur wo ihr ſeyd,
Mag euch auch ohne ſie nicht wiederſehn,
Blumen und Frühlingston wird Herzeleid,
Will indeß hier im bitterſten Tode vergehn.
Mich ſelber zu ſtrafen,
Im Grabe tief ſchlafen,
Fern von Lied, fern von Sonnenſchein
Lieber gar ein Todter ſeyn.
Ach! es bricht in der Sehnſucht ſchon
Heimlich mein Herz in der treuſten Bruſt,
Hat die Treu' ſo ſchwer bittern Lohn?
Bin keiner Sünde mir innig bewußt.
Muß die Liebſte alles erfreun,
Mir nur die quälendſte Pein?
Treuloſe Hoffnung, Du lächelſt mich an:
Nein, ich bin ein verlorner Mann!
Es war lieblich, wie die Gebüſche um¬
her von dieſen Tönen gleichſam erregt wur¬
den, einige verſpäteten Vögel erinnerten ſich
ihrer Frühlingslieder, und wiederholten ſie
jetzt wie in einer ſchönen Schläfrigkeit. Ro¬
derigo war durch ſeinen Freund beherzt ge¬
worden, er erzählte nun auch ſein Aben¬
theuer mit der ſchönen Gräfin, und ſeine
Freunde hörten ihn die Geſchichte gern noch
einmal erzählen. Und nun, was ſoll ich
Euch ſagen? ſo ſchloß Roderigo, ich habe
ſie verlaſſen, und denke jetzt nichts, als ſie;
immer ſehe ich ſie vor meinen Augen ſchwe¬
ben, und ich weiß mich in mancher Stunde
vor peinigender Angſt nicht zu laſſen. Ihr
edler Anſtand, ihr munteres Auge, ihr brau¬
nes Haar, alles, alle ihre Züge ſah ich in
meiner Einbildung. So oft bin ich in den
Nächten unter dem hellgeſtirnten Himmel ge¬
wandelt, von meinem Glücke voll, zauberte
ich mir dann ihre Geſtalt vor meine Augen,
und es war mir dann, als wenn die Sterne
noch heller funkelten, als wenn das Dach
des Himmels nur mit Freude ausgelegt ſey.
Ich ſage Dir, Freund Ludoviko, alle Sinne
werden ihr wie dienſtbare Sklaven nachge¬
zogen, wenn das Auge ſie nur erblickt hat:
jede ihrer ſanften, reizenden Bewegungen be¬
ſchreibt in Linien eine ſchöne Muſik, wenn ſie
durch den Wald geht, und das leichte Ge¬
wand ſich dem Fuße, der Lende geſchmeidig
anlegt, wenn ſie zu Pferde ſteigt und
im Gallopp die Kleider auf- und niederwo¬
gen, oder wenn ſie im Tanz wie eine Göt¬
tin ſchwebt, alles iſt Wohllaut in ihr, wie
man ſie ſieht, mag man ſie nie anders ſehn,
und doch vergißt man in jeder neuen Bewe¬
gung die vorige. Es iſt mehr Wolluſt, ſie
mit den Augen zu verfolgen, als in den Ar¬
men einer andern zu ruhn.
Nur Wein fehlt uns, rief Floreſtan aus,
die Liebe iſt wenigſtens im Bilde zugegen.
Wenn ich mir denke, ſprach Roderigo er¬
hitzt weiter, daß ſich ein andrer jetzt um ihre
Liebe bewirbt, daß ſie ihn mit freundlichen
Augen anblickt, ich könnte unſinnig werden.
Ich bin auf jedermann böſe, der ihr nur
vorübergeht: ich beneide das Gewand, das
ihren zarten Körper berührt und umſchließt.
Ich bin lauter Eiferſucht, und dennoch habe
ich ſie verlaſſen können.
Ludoviko ſagte: Du darfſt Dich darüber
nicht verwundern. Ich bin nicht nur bei je¬
dem Mädchen, das ich liebte, eiferſüchtig
geweſen, ſondern auch bei jeder andern.
wenn ſie nur hübſch war. Hatte ich ein ar¬
tiges Mädchen bemerkt, das ich weiter gar
nicht kannte, das von mir gar nichts wußte,
ſo ſtand meine Begier vor ihrem Bilde gleich¬
ſam Wache, ich war auf jedermann neidiſch
und böſe, der nur durch den Zufall zu ihr
in's Haus ging, der ſie grüßte und dem ſie
höflich dankte. — Sprach einer freundlich
mit ihr, ſo konnte ich mir dieſen Unbekann¬
ten auf mehrere Tage auszeichnen und mer¬
ken, um ihn zu haſſen. O, dieſe Eiferſucht
iſt noch viel unbegreiflicher als unſre Liebe,
denn wir können doch nicht alle Weiber und
Mädchen zu unſerm Eigenthum machen; aber
das lüſterne Auge läßt ſich keine Schranken
ſetzen, unſre Phantaſie iſt wie das Faß der
Danaiden, unſer Sehnen umfängt und um¬
armt jeglichen Buſen.
Indem war es ganz finſter geworden,
der müde Pilgrim war eingeſchlafen, einige
Hörner¬
Hörnertöne erſchallten, aber faſt ganz nahe
an den Sprechenden, dann ſang eine ange¬
nehme Stimme:
Treulieb' iſt nimmer weit,
Nach Kummer und nach Leid
Kehrt wieder Lieb' und Freud',
Dann kehrt der holde Gruß,
Händedrücken,
Zärtlich Blicken,
Liebeskuß.
Nun werden die Obſtdiebe ertappt wer¬
den, rief Ludoviko aus.
Ich kenne dieſe Melodie, ich kenne dieſe
Worte, ſagte Sternbald, und wenn ich mich
recht erinnere — —
Wieder einige Töne, dann fuhr die
Stimme fort zu ſingen:
Treulieb' iſt nimmer weit,
Ihr Gang durch Einſamkeit
Iſt Dir, nur Dir geweiht.
(2r Th.) S
Bald kömmt der Morgen ſchön,
Ihn begrüßet
Wie er küſſet
Freudenthrän'.
Jetzt kamen durch's Gebüſch Geſtalten,
zwei Damen gingen voran, mehrere Diener
folgten. Die fremde Geſellſchaft war indeß
aufgeſtanden, Roderigo trat vor, und mit
einem Ausruf des Entzückens lag er in den
Armen der Unbekannten. Die Gräfin war
es, die vor Freude erſt nicht die Sprache
wiederfinden konnte. Ich habe Dich wieder!
rief ſie dann aus, o gütiges Schickſal, ſey
gedankt!
Man konnte ſich anfangs wenig erzäh¬
len. Sie hatte, um ſich zu zerſtreuen, eine
Freundin ihrer Jugend beſucht, dieſer gehörte
Schloß und Garten. Von dem Unerlaubten
des Überſteigens war gar die Rede nicht.
Die Abendmahlzeit ſtand bereit, der
Pilgrim ließ ſich nach ſeiner mühſeligen Wan¬
derſchaft ſehr wohl ſeyn, Franz ward von
der Freundin Adelheid's (dies war der Na¬
me der Gräfin) ſehr vorgezogen, da ſie die
Kunſt vorzüglich liebte. Auch ihr Gemahl
ſprach viel über Mahlerei, und lobte den
Albert Dürer vorzüglich, von dem er ſelbſt
einige ſchöne Stücke beſaß.
Alle waren wie berauſcht, ſie legten ſich
früh ſchlafen, nur Roderigo und die Gräfin
blieben länger munter.
Franz konnte nicht bemerken, ob Rode¬
rigo und die Gräfin ſich ſo völlig ausge¬
ſöhnt hatten, um ſich zu vermählen, er
wollte nicht länger als noch einen Tag zö¬
gern, um ſeine Reiſe fortzuſetzen, er machte
ſich Vorwürfe, daß er ſchon zu lange ge¬
ſäumt habe. Er hätte gern von Roderigo
ſich die Erzählung fortſetzen laſſen, die beim
Eremiten in ihrem Anfange abgebrochen
S 2
wurde, aber es fand ſich keine Gelegenheit
dazu. Der Herr des Schloſſes nöthigte ihn
zu bleiben, aber Franz fürchtete, daß das
Jahr zu Ende laufen, und er noch immer
nicht in Italien ſeyn möchte.
Nach zweien Tagen nahm er von allen
Abſchied, Ludoviko wollte bei ſeinem Freunde
bleiben, auch Floreſtan blieb bei den beiden
zurück. Jetzt fühlte Sternbald erſt, wie lieb
ihm Rudolf ſey, auch ergriff ihn eine un¬
erklärliche Wehmuth, als er dem Ludoviko
die Hand zum Abſchiede reichte. Floreſtan
war auf ſeine Weiſe recht gerührt, er ver¬
ſprach unſerm Freunde, ihm bald nach Ita¬
lien zu folgen, ihn binnen kurzem gewiß in
Rom anzutreffen. Sternbald konnte ſeine
Thränen nicht zurückhalten, als er zur Thür
hinausging, den Garten noch einmal mit
einem flüchtigen Blicke durchirrte. Der Pil¬
grim war ſein Gefährte.
Draußen in der freien Landſchaft, als
er nach und nach das Schloß verſchwinden
ſah, fühlte er ſich erſt recht einſam. Der
Morgen war friſch, er ging ſtumm neben
dem Pilger hin, erinnerte ſich aller Geſprä¬
che, die ſie mit einander geführt, aller klei¬
nen Begebenheiten, die er in Rudolfs Ge¬
ſellſchaft erlebt hatte. Sein Kopf wurde
wüſt, ihm war, als habe er die Freude ſei¬
nes Lebens verloren. Der Pilgrim verrich¬
tete ſeine Gebete, ohne ſich ſonderlich um
Sternbald zu kümmern.
Nachher geriethen ſie in ein Geſpräch,
worin der Pilger ihm den genauen Zuſtand
ſeiner Haushaltung erzählte. Sternbald er¬
fuhr alle die Armſeligkeiten des gewöhnli¬
chen Lebens, wie jener ein Kaufmann von
mittelmäßigen Glücksumſtänden ſey, wie er
darnach trachte, mehr zu gewinnen und ſeine
Lage zu verbeſſern. Franz, dem die Empfin¬
dung drückend war, aus ſeinem leichten poe¬
tiſchen Leben ſo in das wirkliche zurückge¬
führt zu werden, antwortete nicht, und gab
ſich Mühe, gar nicht darnach hinzuhören.
Jeder Schritt ſeines Weges ward ihm ſauer,
er kam ſich ganz einſam vor, es war ihm
wieder, als wenn ihn ſeine Freunde verlaſ¬
ſen hätten und ſich nicht um ihn kümmerten.
Sie kamen in eine Stadt, wo Franz
einen Brief von ſeinem Sebaſtian zu finden
hoffte, von dem er ſeit lange nichts gehört
hatte. Er trennte ſich hier von dem Pil¬
grim und eilte nach dem bezeichneten Mann.
Es war wirklich ein Brief für ihn da, er
erbrach ihn begierig, und las:
Liebſter Franz!
Wie Du glücklich biſt, daß Du in freier,
ſchöner Welt herumwanderſt, daß Dir nun
das alles in Erfüllung geht, was Du ſonſt
nur in Entfernung dachteſt, dieſes Dein
großes Glück ſehe ich nun erſt vollkommen
ein. Ach, lieber Bruder, es will mir manch¬
mal vorkommen, als ſey mein Lebenslauf
durchaus verloren: aller Muth entgeht mir,
ſo in der Kunſt, als im Leben fortzufahren.
Jetzt iſt es dahin gekommen, daß Du mich
tröſten könnteſt, wie ich Dir ſonſt wohl oft
gethan habe.
Unſer Meiſter fängt an, oft zu krän¬
keln, er kam damals ſo geſund von ſeiner
Reiſe zurück, aber dieſe ſchöne Zeit hat ſich
nun ſchon verloren. Er iſt in manchen Stun¬
den recht melancholiſch: dann wird er es nicht
müde, von Dir zu ſprechen, und Dir das
beſte Schickſal zu wünſchen.
Ich bin fleißig, aber meine Arbeit will
nicht auf die wahre Art aus der Stelle rük¬
ken, mir fehlt der Muth, der die Hand be¬
leben muß, ein wehmüthiges Gefühl zieht
mich von der Staffelei zurück. — Du ſchreibſt
mir von Deiner ſeltſamen Liebe, von Deiner
fröhligen Geſellſchaft: ach, Franz, ich bin
hier verlaſſen, arm, vergeſſen oder verach¬
tet, ich habe die Kühnheit nicht, Liebe in
mein trauriges Leben hineinzuwünſchen. Ich
ſpreche zur Freude: was machſt Du? und
zum Lachen: Du biſt toll! — Ich kann es
mir nicht vorſtellen, daß mich einſt ein We¬
ſen liebte, daß ich es lieben dürfte. Ich
gehe oft im trüben Wetter durch die Stadt,
und betrachte Gebäude und Thürme, die
mühſelige Arbeit, das künſtliche Schnitzwerk,
die gemahlten Wände, und frage dann: Wo¬
zu ſoll es? Der Anblick eines Armen kann
mich ſo betrübt machen, daß ich die Augen
nicht wieder aufheben mag.
Meine Mutter iſt geſtorben, mein Va¬
ter liegt in der Vorſtadt krank. Sein Hand¬
werk kann ihn jetzt nicht nähren, ich kann
nur wenig für ihn thun. Meiſter Dürer iſt
gut, er hilft ihm und auf die beſte Art, ſo
daß er mich nichts davon fühlen läßt, ich
werde es ihm zeitlebens nicht vergeſſen.
Aber warum kann ich nicht mehr für ihn
thun? Warum fiel es mir noch im ſechs¬
zehnten Jahre ein, ein Mahler zu werden?
Wenn ich ein ordentliches Handwerk ergrif¬
fen hätte, ſo könnte ich vielleicht jetzt ſelber
meinen Vater ernähren. Es dünkt mir thö¬
richt, daß ich an der Ausarbeitung einer Ge¬
ſchichte arbeite, und indeſſen alles wirkliche
Leben um mich her vergeſſe.
Lebe wohl, bleibe geſund. Sey in allen
Dingen glücklich. Liebe immer noch
Deinen Sebaſtian.
Franz ließ das Blatt ſinken und ſah
den Himmel an. Sein Freund, Dürer,
Nürnberg und alle ehemaligen bekannten
Gegenſtände kamen mit friſcher Kraft in
ſein Gedächtniß. Ja, ich bin glücklich, rief
er aus, ich fühle es jetzt, wie glücklich ich
bin! Mein Leben ſpinnt ſich wie ein golde¬
ner Faden aus einander: ich bin auf der
Reiſe, ich finde Freunde, die ſich meiner an¬
nehmen, die mich lieben, meine Kunſt hat
mich wider Erwarten fortgeholfen, was will
ich denn mehr? Und vielleicht lebt ſie doch
noch, vielleicht hat ſich die Gräfin geirrt, —
und wenn ſie todt iſt, — bin ich nicht von
Emma geliebt? Habe ich in ihren Armen
nicht mein ſchönſtes Glück genoſſen? Leben
nicht Rudolf und Sebaſtian noch? Wer
weiß, wo ich meine Eltern finde. O Seba¬
ſtian, wärſt Du zugegen, daß ich Dir die
Hälfte meines Muthes geben könnte!
Zweites Kapitel.
Als Sternbald durch die Stadt ſtreifte,
glaubte er einmal in der Ferne den Bild¬
hauer Bolz zu bemerken, aber die Perſon,
die er dafür hielt, verlor ſich wieder aus
den Augen. Franz ergötzte ſich, wieder in
einem Gewühl von unbekannten Menſchen
herumirren. Es war Jahrmarkt, und aus
den benachbarten kleinen Städten und Dör¬
fern hatten ſich Menſchen aller Art verſam¬
melt, um hier zu verkaufen und einzukau¬
fen. Sternbald freute ſich an der allgemei¬
nen Fröhlichkeit, die alle Geſichter beherrſch¬
te, die ſo viele verworrene Töne laut durch
einander erregte.
Er ſtellte ſich etwas abſeits, und ſah
nun die Ankommenden, oder die ſchon mit
ihren eingekauften Waaren zurückgingen.
Alle Fenſter am Markte waren mit Men¬
ſchen angefüllt, die auf das verworrene Ge¬
tümmel herunterſahen. Franz ſagte zu ſich
ſelbſt: Welch' ein ſchönes Gemählde! und
wie wäre es möglich, es darzuſtellen? Wel¬
che angenehme Unordnung, die ſich aber auf
keinem Bilde nachahmen läßt! Dieſer ewige
Wechſel der Geſtalten, dies mannichfaltige,
ſich durchkreuzende Intereſſe, daß dieſe Fi¬
guren nie auch nur auf einen Augenblick in
Stillſtand gerathen, iſt es gerade, was es
ſo wunderbar ſchön macht. Alle Arten von
Kleidungen und Farben verirren ſich durch
einander, alle Geſchlechter und Alter, Men¬
ſchen, dicht zuſammengedrängt, von denen
keiner am nächſtſtehenden Theil nimmt, ſon¬
dern nur für ſich ſelber ſorgt. Jeder ſucht
und holt das Gut, das er ſich wünſcht, mit
lachendem Muthe, als wenn die Götter plötz¬
lich ein großes Füllhorn aus den Boden
ausgeſchüttet hätten, und ämſig nun dieſe
Tauſende herausraffen, was ein jeder be¬
darf.
Leute zogen mit Bildern umher, die ſie
erklärten, und zu denen ſich eine Menge
Volks verſammelte. Es waren ſchlechte,
grobe Figuren auf Leinwand gemahlt. Das
eine war die Geſchichte eines Handwerkers,
der auf ſeiner Wanderſchaft den Seeräubern
in die Hände gerathen war, und in Algier
ſchmähliche Sklavendienſte hatte thun müſ¬
ſen. Er war dargeſtellt, wie er mit andern
Chriſten im Garten den Pflug ziehen mußte,
und ſein Aufſeher ihn mit einer fürchterli¬fürchterlichen
Geißel dazu antrieb. Eine zweite Vorſtel¬
lung war das Bild eines ſeltſamlichen Un¬
geheuers, von dem der Erklärer behauptete,
daß es jüngſt in der mittelländiſchen See
gefangen ſey. Es hatte einen Menſchenkopf
und einen Panzer auf der Bruſt, ſeine Füße
waren wie Hände gebildet und große Flo߬
federn hingen herunter, hinten war es
Pferd.
Alles Volk war erſtaunt. Dies iſt es,
ſagte Franz zu ſich, was die Menge will,
was einem jeden gefällt. Ein wunderbares
Schickſal, wovon ein jeder glaubt, es hätte
auch ihn ergreifen können, weil es einen
Menſchen trifft, deſſen Stand der ſeinige iſt.
Oder eine lächerliche Unmöglichkeit. Seht,
dies muß der Künſtler erfüllen, dieſe abge¬
ſchmackten Neigungen muß er befriedigen,
wenn er gefallen will.
Ein Arzt hatte auf der andern Seite des
Marktes ſein Gerüſt aufgeſchlagen, und bot
mit kreiſchender Stimme ſeine Arzneien aus.
Er erzählte die ungeheuerſten Wunder, die
er vermittelſt ſeiner Medikamente verrichtet
hatte. Auch er hatte großen Zulauf, die
Leute verwunderten ſich und kauften.
Er verließ das Gewühl, und ging vor's
Thor, um recht lebhaft die ruhige Einſam¬
keit gegen das lärmende Geräuſch zu empfin¬
den. Als er unter den Bäumen auf- und
abging, begegnete ihm wirklich Bolz, der
Bildhauer. Jener erkannte ihn ſogleich, ſie
gingen mit einander und erzählten ſich ihre
Begebenheiten. Franz ſagte: ich hätte nie¬
mals geglaubt, daß Ihr im Stande wäret,
einen Mann zu verletzen, der Euch für ſei¬
nen Freund hielt. Wie könnt Ihr die That
entſchuldigen?
O, junger Mann, rief Auguſtin aus,
Ihr ſeyd entweder noch niemals beleidigt,
oder habt ſehr wenig Galle in Euch. Ro¬
derigo ruhte mit ſeinen Schmähworten nicht
eher, bis ich ihm den Stoß verſetzt hatte,
es war ſeine eigne Schuld. Er reizte mich
ſo lange, bis ich mich nicht mehr zurück¬
halten konnte.
Franz, der keinen Streit anfangen wollte,
ließ die Entſchuldigung gelten, und Bolz
fragte ihn: wie lange er ſich in der Stadt
aufzuhalten gedächte? Ich will morgen ab¬
reiſen, antwortete Sternbald. Ich rathe
Euch, etwas zu bleiben, ſagte der Bild¬
hauer, und wenn Ihr denn geneigt ſeyd,
kann ich Euch eine einträgliche Arbeit nach¬
weiſen. Hier vor der Stadt liegt ein Non¬
nenkloſter, in dem Ihr, wenn Ihr wollt,
ein Gemählde mit Öl auf der Wand er¬
neuern könnt. Man hat ſchon nach einem
ungeſchickten Mahler ſenden wollen, ich will
Euch lieber dazu vorſchlagen.
Franz nahm den Antrag an, er hatte
ſchon lange gewünſcht, ſeinen Pinſel einmal
an größern Figuren zu üben. Bolz verließ
ihn mit dem Verſprechen, ihn noch am Abend
wiederzuſehn.
Bolz kam zurück, als die Sonne ſchon
untergegangen war. Er hatte den Vertrag
mit
mit der Äbtiſſin des Kloſters gemacht, Stern¬
bald war damit zufrieden. Sie gingen wie¬
der vor die Stadt hinaus, Bolz ſchien un¬
ruhig, und etwas zu haben, das er dem
jungen Mahler gern mittheilen möchte; er
brach aber immer wieder ab, und Stern¬
bald, der im Geiſte ſchon mit ſeiner Mah¬
lerei beſchäftigt war, achtete nicht darauf.
Es wurde finſter. Sie hatten ſich in
die benachbarten Berge hineingewendet, ihr
Geſpräch fiel auf die Kunſt. Ihr habt mich,
ſagte Sternbald, auf die unſterblichen Werke
des großen Michael Angelo ſehr begierig ge¬
macht, Ihr haltet ſie für das Höchſte, was
die Kunſt bisher hervorgebracht hat.
Und hervorbringen kann! rief Bolz aus,
es iſt bei ihnen nicht von der oder der Vor¬
trefflichkeit, von dieſer oder jener Schönheit
die Rede, ſondern ſie ſind durchaus ſchön,
durchaus vortrefflich. Alle übrigen Künſtler
(2r Th.) T
ſind gleichſam als die Vorbereitung, als die
Ahndung zu dieſem einzig großen Manne
anzuſehn: vor ihm hat noch keiner die Kunſt
verſtanden, noch gewußt, was er mit ihr
ausrichten ſoll.
Aber wie kömmt es denn, ſagte Stern¬
bald, daß auch noch andre außer ihm ver¬
ehrt werden, und daß noch niemand nach
dieſer Vollkommenheit geſtrebt hat?
Das iſt leicht einzuſehn, ſagte der Bild¬
hauer. Die Menge will nicht die Kunſt, ſie
will nicht das Ideal, ſie will unterhalten
und gereizt ſeyn, und es verſteht ſich, daß
die niedrigern Geiſter dies weit beſſer in's
Werk zu richten wiſſen, weil ſie ſelber mit
den Geiſtesbedürfniſſen der Menge, der Lieb¬
haber und Unkenner vertraut ſind. Sie er¬
blicken wohl gar beim ächten Künſtler Man¬
gel, und glauben über ſeine Fehler und
Schwächen urtheilen zu können, weil er
vorſätzlich das verſchmäht hat, was ihnen
an ihren Lieblingen gefällt. Warum kein
Künſtler noch dieſe Größe erſtrebt hat? Wer
hat denn richtigen Begriff von ſeiner Kunſt,
um das Beſte zu wollen? Ja, wer von
den Künſtlern will denn überhaupt irgend
was? Sie können ſich ja nie von ihrem
Talente Rechenſchaft geben, das ſie blind¬
lings ausüben, ſie ſind ja zufrieden, wenn
ſie den leichteſten Wohlgefallen erregen, auf
welchem Wege es auch ſey. Sie wiſſen ja
gar nicht, daß es eine Kunſt giebt, woher
ſollen ſie denn erfahren, daß dieſe Kunſt
eine höchſte, letzte Spitze habe. Mit Mi¬
chael Angelo iſt die Kunſt erſt gebohren wor¬
den, und von ihm wird eine Schule aus¬
gehn, die die erſte iſt und bald die einzige
ſeyn wird.
Und wie meint Ihr, fragte Franz, daß
dann die Kunſt beſchaffen ſeyn wird?
T 2
Man wird, ſagte Bolz, die unnützen
Beſtrebungen, die ſchlechten Manieren ganz
niederlegen, und nur dem allmächtigen Buo¬
narotti folgen. Es iſt in jeder ausgeübten
Kunſt natürlich, daß ſie ſich vollendet, wenn
nur ein erhabener Geiſt aufgeſtanden iſt,
der den Irrenden hat zurufen können: dort¬
hin, meine Freunde, geht der Weg! Das
hat Buonarotti gethan, und man wird nach¬
her nicht mehr zweifeln und fragen, was
Kunſt ſey. In jeglicher Darſtellung wird
dann ein großer Sinn liegen, und man wird
die gewöhnlichen Mittel verſchmähen, um
zu gefallen. Jetzt nehmen faſt alle Künſtler
die Sinnen in Anſpruch, um nur ein In¬
tereſſe zu erregen, dann wird das Ideal
verſtanden werden.
Indem war es ganz dunkel geworden.
Der Mond ſtieg eben unten am Horizont
herauf, ſie hatten ſchon fernher Hammer¬
ſchläge gehört, jetzt ſtanden ſie vor einer
Eiſenhütte, in der gearbeitet wurde. Der An¬
blick war ſchön; die Felſen ſtanden ſchwarz
umher, Schlacken lagen aufgehäuft, dazwi¬
ſchen einzelne grüne Geſträuche, faſt un¬
kenntlich in der Finſterniß. Vom Feuer und
dem funkenden Eiſen war die offene Hütte
erhellt, die hämmernden Arbeiter, ihre Be¬
wegungen, alles glich bewegten Schatten,
die von dem hellglühenden Erzklumpen an¬
geſchienen wurden. Hinten war der wildbe¬
wachſene Berg ſo eben ſichtbar, auf dem
alte Ruinen auf der Spitze vom aufgehen¬
den Monde ſchon beſchimmert waren: gegen¬
über waren noch einige leichte Streifen des
Abendroths am Himmel.
Bolz rief aus: Seht den ſchönen, be¬
zaubernden Anblick!
Auch Sternbald war überraſcht, er ſtand
eine Weile in Gedanken und ſchwieg, dann
rief er aus: Nun, mein Freund, was könn¬
tet Ihr ſagen, wenn Euch ein Künſtler auf
einem Gemählde dieſe wunderbare Scene
darſtellte? Hier iſt keine Handlung, kein
Ideal, nur Schimmer und verworrene
Geſtalten, die ſich wie faſt unkenntliche
Schatten bewegen. Aber wenn Ihr dies
Gemählde ſähet, würdet Ihr Euch nicht mit
mächtiger Empfindung in den Gegenſtand
hineinſehnen? Würde er die übrige Kunſt
und Natur nicht auf eine Zeitlang aus Eu¬
rem Gedächtniſſe hinwegrücken, und was
wollt Ihr mehr? Dieſe Stimmung würde
dann ſo wie jetzt Euer ganzes Inneres durch¬
aus ausfüllen, Euch bliebe nichts zu wün¬
ſchen übrig, und doch wäre es nichts wei¬
ter, als ein künſtliches, faſt tändelndes
Spiel der Farben. Und doch iſt es Hand¬
lung, Ideal, Vollendung, weil es das im
höchſten Sinne iſt, was es ſeyn kann, und
ſo kann jeder Künſtler an ſich der Trefflichſte
ſeyn, wenn er ſich kennt und nichts Fremd¬
artiges in ſich hineinnimmt. Wahrlich! es
iſt, als hätte die alte Welt ſich mit ihren
Wundern aufgethan, als ſtänden dort die
fabelhaften Cyklopen vor uns, die für Mars
oder Achilles die Waffen ſchmieden. Die
ganze Götterwelt kömmt dabei in mein Ge¬
dächtniß zurück: ich ſehe nicht nur, was vor
mir iſt, ſondern die ſchönſten Erinnerungen
entwickeln ſich im Innern meiner Seele, al¬
les wird lebendig und wach, was ſeit lange
ſchlief. Nein, mein Freund, ich bin innigſt
überzeugt, die Kunſt iſt wie die Natur, ſie
hat mehr als Eine Schönheit.
Bolz war ſtill, beide Künſtler ergötzten
ſich lange an dem Anblick, dann ſuchten ſie
den Rückweg nach der Stadt. Der Mond
war indeß heraufgekommen und glänzte ih¬
nen im vollen Lichte entgegen, durch die
Hohlwege, die ſie durchkreuzten, über die
feuchte Wieſe herüber, von den Bergen in
zauberiſchen Widerſcheinen. Die ganze Ge¬
gend war in Eine Maſſe verſchmolzen, und
doch waren die verſchiedenen Gründe leicht
geſondert, mehr angedeutet, als ausgezeich¬
net; keine Wolke war am Himmel, es war,
als wenn ſich ein Meer mit unendlichen gol¬
denen Glanzwogen ſanft über Wieſe und
Wald ausſtrömte und herüber nach den Fel¬
ſen bewegte.
Könnten wir nur die Natur genau nach¬
ahmen, ſagte Sternbald, oder begleitete
uns dieſe Stimmung nur ſo lange, als wir
an einem Werke arbeiten, um in friſcher
Kraft, in voller Neuheit das hinzuſtellen,
was wir jetzt empfinden, damit auch andre
ſo davon ergriffen würden, wahrlich, wir
könnten oft Handlung und Compoſition ent¬
behren, und doch eine große, herrliche Wir¬
kung hervorbringen!
Bolz wußte nicht recht, was er antwor¬
ten ſollte, er mochte nicht gern nachgeben,
und doch konnte er Franz jetzt nicht wider¬
legen, ſie ſtritten hin und her, und verwun¬
derten ſich endlich, daß ſie die Stadt nicht
erſcheinen ſahen. Bolz ſuchte nach dem We¬
ge, und ward endlich inne, daß er ſich ver¬
irrt habe. Beide Wanderer wurden verdrü߬
lich, denn ſie waren müde und ſehnten ſich
nach dem Abendeſſen, aber es ſchoben ſich
immer mehr Gebüſche zwiſchen ſie, immer
neue Hügel, und der blendende Schimmer
des Mondes erlaubte ihnen keine Ausſicht.
Der Streit über die Kunſt hörte auf, ſie
dachten nur darauf, wie ſie ſich wieder zu¬
recht finden wollten. Bolz ſagte: Seht,
mein Freund, über die Kunſt haben wir die
Natur vernachläſſigt; wollt Ihr Euch noch
ſo in eine Gegend hineinſehnen, aus der
wir uns ſo gern wieder herauswickeln möch¬
ten? Jetzt gäbt Ihr alle Ideale und Kunſt¬
wörter für eine gute Ruheſtelle hin.
Wie Ihr auch ſprecht! ſagte Sternbald,
davon kann ja gar nicht die Rede ſeyn. Wir
haben uns durch Eure Schuld verirrt, und
es ſteht Euch nicht zu, nun noch zu ſpotten.
Sie ſetzten ſich ermüdet auf den Stumpf
eines abgehauenen Baumes nieder. Franz
ſagte: Wir werden hier wohl übernachten
müſſen, denn ich ſehe noch keinen möglichen
Ausweg.
Gut denn! rief Bolz aus, wenn es die
Noth ſo haben will, ſo wollen wir uns auch
in die Noth finden. Wir wollen ſprechen,
Lieder ſingen, und ſchlafen, ſo gut es ſich
thun läßt. Mit dem Aufgange der Sonne
ſind wir dann wieder munter, und kehren
zur Stadt zurück. Fangt Ihr an zu ſingen.
Sternbald ſagte: Da wir nichts Beſ¬
ſers zu thun wiſſen, will ich Euch ein Lied
von der Einſamkeit ſingen, ſchickt ſich
gut zu unſerm Zuſtande.
Über mir das hellgeſtirnte Himmelsdach,
Alle Menſchen dem Schlaf ergeben,
Ruhend von dem mühevollen Leben,
Ich allein, allein im Hauſe wach.
Trübe brennt das Licht herunter;
Soll ich aus dem Fenſter ſchauen,
'nüber nach den fernen Auen?
Meine Augen bleiben munter.
Soll ich mich im Strahl ergehen
Und des Mondes Aufgang ſuchen?
Sieh', er flimmert durch die Buchen,
Weiden am Bach im Walde ſtehen.
Iſt es nicht, als käme aus den Weiden
Ach ein Freund, den ich lange nicht geſehn,
Ach, wie viel iſt ſchon ſeither geſchehn,
Seit dem quaalenvollen, bittern Scheiden!
An den Buſen will ich ihn mächtig drücken,
Sagen, was ſo ofte mir gebangt,
Wie mich inniglich nach ihn verlangt,
Und ihm in die ſüßen Augen blicken.
Aber der Schatten bleibt dort unter den Zweigen,
Iſt nur Mondenſchein,
Kömmt nicht zu mir herein,
Sich als Freund zu zeigen.
Iſt anchauch ſchon geſtorben und begraben,
Und vergeſſ' es jeden Tag,
Weil ich's ſo übergerne vergeſſen mag;
Wie kann ich ihn denn in den Armen haben?
Geht der Fluß murmelnd durch die Klüfte,
Sucht die Ferne nach eigner Melodie,
Unermüdet ſprechend ſpat und früh:
Wehn vom Berge ſchon Septemberlüfte.
Töne fallen von oben in die Welt,
Luſt'ge Pfeifen, fröhliche Schallmey'n,
Ach! ſollten es Bekannte ſeyn?
Sie wandern zu mir über's Feld.
Fernab ertönen ſie, keiner weiß von mir,
Alle meine Freunde mich verlaſſen,
Die mich liebten, jetzt mich haſſen,
Kümmert ſich keiner, daß ich wohne hier.
Ziehn mit Netzen oft luſtig am See,
Höre oft das ferne Gelach;
Seufze mein kümmerlich Ach!
Thut mir der Buſen ſo weh.
Ach! wo biſt du Bild geblieben,
Engelsbild vom ſchönſten Kind?
Keine Freuden übrig ſind,
Unterſtund mich, Dich zu lieben.
Haſt den Gatten längſt gefunden,
Wie der fernſte Schimmerſchein,
Fällt mein Name Dir wohl ein,
Nie in Deinen guten Stunden.
Und das Licht iſt ausgegangen,
Sitze in der Dunkelheit,
Denke, was mich ſonſt gefreut,
Als noch Nachtigallen ſangen.
Ach! und warſt nicht einſam immer?
Keiner, der Dein Herz verſtand,
Keiner ſich zu Dir verband.
Geh auch unter Mondesſchimmer!
Löſche, löſche letztes Licht!
Auch wenn Freunde mich umgeben,
Führ ich doch einſames Leben:
Löſche, löſche letztes Licht,
Der Unglückliche braucht Dich nicht!
Indem hörten ſie nicht weit von ſich
eine Stimme ſingen:
Wer luſt'gen Muth zur Arbeit trägt
Und raſch die Arme ſtets bewegt,
Sich durch die Welt noch immer ſchlägt.
Der Träge ſitzt, weiß nicht wo aus
Und über ihm ſtürzt ein das Haus,
Mit vollen Seegeln munter
Fährt der Frohe das Leben hinunter.
Der Singende war ein Kohlenbrenner,
der jetzt näher kam. Bolz und Sternbald
gingen auf ihn zu, ſie ſtanden ſeiner Hütte
ganz nahe, ohne daß ſie es bemerkt hatten.
Er war freundlich, und bot ihnen von freien
Stücken ſein kleines Haus zum Nachtlager
an. Die beiden Ermüdeten folgten ihm gern.
Drinnen war ein kleines Abendeſſen zu¬
recht gemacht, kein Licht brannte, aber ei¬
nige Späne, die auf dem Heerde unterhal¬
ten wurden, erleuchteten die Hütte. Eine
junge Frau war geſchäftig, den Fremden ei¬
nen Sitz auf einer Bank zu bereiten, die ſie
an den Tiſch ſchob. Alle ſetzten ſich nieder,
und aßen aus derſelben Schüſſel; Franz ſaß
neben der Frau des Köhlers, die ihn mit
luſtigen Augen zum Eſſen nöthigte. Er fand
ſie artig, und bewunderte die Wirkung des
Lichtes auf die Figuren.
Der Köhler erzählte viel vom nahen
Eiſenhammer, für den er die meiſten Kohlen
lieferte, er hatte noch ſo ſpät einen Weiler
beſucht. Ein kleiner Hund geſellte ſich zu
ihnen und war äußerſt freundlich, die Frau,
die lebhaft war, ſpielte und ſprach mit ihm,
wie mit einem Kinde. Sternbald fühlte in
der Hütte wieder die ruhigen, frommen Em¬
pfindungen, die ihn ſchon ſo oft beglückt hat¬
ten: er prägte ſich die Figuren und Erleuch¬
tung ſeinem Gedächtniſſe ein, um einmal ein
ſolches Gemählde darzuſtellen.
Als ſie mit dem Eſſen beinahe fertig
waren, klopfte noch jemand an die Thür,
und eine klägliche Stimme flehte um nächt¬
liche Herberge. Alle verwunderten ſich, der
Köhler öffnete die Hütte, und Sternbald er¬
ſtaunte, als er den Pilgrim hereintreten ſah.
Der Köhler war gegen den Wallfahrter ſehr
ehrerbietig, es wurde Speiſe herbeigeſchafft,
die Stube heller gemacht. Der Pilgrim er¬
ſchrack, als er hörte, daß er der Stadt ſo
nahe ſey, er hatte ſie ſchon ſeit zwei Tagen
verlaſſen, ſich auf eine unbegreifliche Art
verirrt, und bei allen Zurechtweiſungen im¬
mer den unrechten Weg ergriffen, ſo daß er
jetzt kaum eine halbe Meile von dem Orte
entfernt war, von dem er ausging.
Der Wirth erzählte noch allerhand, die
junge Frau war geſchäftig, der Hund war
gegen Sternbald ſehr zuthunlich. Nach der
Mahlzeit wurde für die Fremden eine Streu
zubereitet, auf der ſich der Wallfahrter und
Bolz ſogleich ausſtreckten. Franz war gegen
ſein Erwarten munter. Der Köhler und ſeine
Frau
Frau gingen nun auch zu Bette, der Hund
ward nach ſeiner Behauſung auf den kleinen
Hof gebracht, Sternbald blieb bei den Schla¬
fenden allein.
Der Mond ſah durch das Fenſter, in
der Einſamkeit fiel des Bildhauers Geſicht
dem Wachenden auf, es war eine Phyſio¬
gnomie, die Heftigkeit und Ungeſtüm aus¬
drückte. Franz begriff es nicht, wie er ſei¬
nen anfänglichen Widerwillen gegen dieſen
Menſchen ſo habe überwinden können, daß
er jetzt mit ihm umgehe, daß er ſich ihm ſo¬
gar vertraue.
Bolz ſchien unruhig zu ſchlafen, er
warf ſich oft umher, ein Traum ängſtigte
ihn. Franz vergaß beinahe, wo er war,
denn alles umher erhielt eine ſonderbare Be¬
deutung. Seine Phantaſie ward erhitzt, und
es währte nicht lange, ſo glaubte er ſich un¬
ter Räubern zu befinden, die es auf ſein
(2r Th.) U
Leben angeſehn hätten, jedes Wort des Koh¬
lenbrenners, deſſen er ſich nur erinnerte, war
ihm verdächtig, er erwartete es ängſtlich,
wie er mit ſeinen Spiesgeſellen wieder aus
der Thür herauskommen würde, um ſie im
Schlafe umzubringen und zu plündern. Über
dieſe Betrachtungen ſchlief er ein, aber ein
fürchterlicher Traum ängſtigte ihn noch mehr,
er ſah die entſetzlichſten Geſtalten, die ſelt¬
ſamſten Wunder, er erwachte unter drücken¬
den Beklemmungen.
Am Himmel ſammelten ſich Wolken,
auf die die Strahlen des Mondes fielen,
die Bäume vor der Hütte bewegten ſich.
Um ſich zu zerſtreuen, ſchrieb er folgendes
in ſeiner Schreibtafel nieder:
Die Phantaſie.
Wer iſt dort der alte Mann,
In einer Ecke feſt gebunden,
Daß er ſich nicht rührt und regt?
Vernunft hält über ihn Wache,
Sieht und erkundet jene Miene.
Der Alte iſt verdrüßlich,
Um ihn in tauſend Falten
Ein weiter Mantel geſchlagen.
Es iſt der launige Phantaſus,
Ein wunderlicher Alter,
Folgt ſtets ſeiner närriſchen Laune,
Sie haben ihn jetzt feſtgebunden,
Daß er nur ſeine Poſſen läßt,
Vernunft im Denken nicht ſtört,
Den armen Menſchen nicht irrt,
Daß er ſein Tagesgeſchäft
In Ruhe vollbringe,
Mit dem Nachbar verſtändig ſpreche
Und nicht wie ein Thor erſcheine.
Denn der Alte hat nie was Kluges im Sinn,
Immer tändelt er mit dem Spielzeug
Und kramt es aus, und lärmt damit
So wie nur nicht nach ihm geſehn wird.
Der alte Mann ſchweigt und runzelt die Stirn,
Als wenn er die Rede ungern vernähme,
Schilt gern alles langweilig,
U 2
Was in ſeinen Kram nicht taugt.
Der Menſch handelt, denkt, die Pflicht
Wird indeß ſtets von ihm gethan;
Fällt in die Augen das Abendroth hinein,
Stehn Schlummer und Schlaf aus ihrem Winkel auf
Da ſie den Schimmer merken.
Vernunft muß ruhn und wird zu Bett gebracht,
Schlummer ſingt ihr ein Wiegenlied:
Schlaf ruhig, mein Kind, morgen iſt auch noch
ein Tag.
Mußt nicht alles auf einmal denken,
Biſt unermüdet und das iſt ſchön,
Wirſt auch immer weiter kommen,
Wirſt Deinem lieben Menſchen Ehre bringen,
Er ſchätzt Dich auch über alles,
Schlaf ruhig, ſchlaf ein. —
Wo iſt meine Vernunft geblieben? ſagt der Menſch,
Geh' Erinnrung, und ſuch' ſie auf.
Erinnrung geht und trifft ſie ſchlafend,
Gefällt ihr die Ruhe auch,
Nickt über der Gefährtin ein.
»Nun werden ſie gewiß dem Alten die Hände
frei machen,
Denkt der Menſch, und fürchtet ſich ſchon.
Da kömmt der Schlaf zum Alten geſchlichen,
Und ſagt: mein Beſter, Du mußt erlahmen,
Wenn Dir die Glieder nicht frei gemacht werden,
Pflicht, Vernunft und Verſtand bringen Dich ganz
herunter,
Und Du biſt gutwillig, wie ein Kind. —
Indem macht der Schlaf ihm ſchon die Hände los,
Und der Alte ſchmunzelt: ſie haben mir viel zu
danken,
Mühſam hab' ich ſie erzogen,
Aber nun verachten ſie mich alten Mann,
Meinen ich würde kindiſch,
Sey zu gar nichts zu gebrauchen.
Du, mein Liebſter, nimmſt Dich mein noch an,
Wir beiden bleiben immer gute Kameraden.
Der Alte ſieht auf und iſt der Banden frei,
Er ſchüttelt ſich vor Freude:
Er breitet den weiten Mantel aus,
Und aus allen Falten ſtürzen wunderbare Sachen
Die er mit Wohlgefallen anſieht.
Er kehrt den Mantel um und ſpreitet ihn weit
umher,
Eine bunte Tapete iſt die untre Seite.
Nun handthiert Phantaſus in ſeinem Zelte
Und weiß ſich vor Freuden nicht zu laſſen.
Aus Glas und Kryſtallen baut er Schlöſſer,
Läßt oben aus den Zinnen Zwerge kucken,
Die mit dem großen Kopfe wackeln.
Unten gehn Fontainen im Garten ſpazieren,
Aus Röhren ſprudeln Blumen in die Luft,
Dazu ſingt der Alte ein ſeltſam Lied
Und klimpert mit aller Gewalt auf der Harfe.
Der Menſch ſieht ſeinen Spielen zu
Und freut ſich, vergißt, daß Vernunft
Ihn vor allen Weſen herrlich macht.
Spricht: fahre fort, mein lieber Alter.
Und der Alte läßt ſich nicht lange bitten,
Schreiten Geiſtergeſtalten heran,
Zieht die kleinen Marionetten an Fäden
Und läßt ſie aus der Ferne größer ſcheinen.
Tummeln ſich Reuter und Fußvolk,
Hängen Engel in Wolken oben,
Abendröthen und Mondſchein gehn durch einander.
Verſchämte Schönen ſitzen in Lauben,
Die Wangen roth, der Buſen weiß,
Das Gewand aus blinkenden Strahlen gewebt.
Ein Heer von Kobolden lärmt und tanzt,
Alte Helden kommen von Troja wieder,
Achilles, der greiſe Neſtor, verſammeln ſich zum
Spiel
Und entzweien ſich wie die Knaben. —
Ja, der Alte hat daran noch nicht genug,
Er ſpricht und ſingt: Laß Deine Thaten fahren,
Dein Streben, Menſch, Deine Grübelei'n,
Sieh, ich will Dir goldne Kegel ſchenken,
Ein ganzes Spiel, und ſilberne Kugeln dazu,
Männerchen, die von ſelbſt immer auf den Bei¬
nen ſtehn,
Warum willſt Du Dich des Lebens nicht freun?
Dann bleiben wir beiſammen,
Vertreiben mit Geſpräch die Zeit,
Ich lehre Dich tauſend Dinge,
Von denen Du noch nichts weißt. —
Das blinkende Spielwerk ſticht dem Menſchen
in die Augen,
Er reckt die Hände gierig aus,
Indem erwacht mit dem Morgen die Vernunft.
Reibt die Augen und gähnt und dehnt ſich:
Wo iſt mein lieber Menſch?
Iſt er zu neuen Thaten geſtärkt? ſo ruft ſie
Der Alte hört die Stimme und fängt an zu zittern,
Der Menſch ſchämt ſich, läßt Kegel und Kugel
fallen,
Vernunft tritt in's Gemach.
Iſt der alte Wirrwarr ſchon wieder los geworden
Ruft Vernunft aus, läßt Du Dich immer wieder
locken
Von dem kind'ſchen GeiſeGeiſte, der ſelber nicht weiß
Was er beginnt? —
Der Alte fängt an zu weinen,
Der Mantel wieder umgekehrt
Ihm um die Schultern gehängt,
Arm' und Beine feſtgebunden.
Sitzt wieder grämlich da.
Sein Spielzeug eingepackt,
Ihm alles wieder in's Kleid geſteckt
Und Vernunft macht 'ne drohende Miene.
Der Menſch muß an die Geſchäfte gehn,
Sieht den Alten nur von der Seite an
Und zuckt die Schultern über ihn.
Warum verführt ihr mir den lieben Menſchen!
Grämelt der alte Phantaſus,
Ihr werdet ihn matt und todt noch machen,
Wird vor der Zeit kindiſch werden,
Sein Leben nicht genießen.
Sein beſter Freund ſitzt hier gebunden,
Der es gut mit ihm meint.
Er verzehrt ſich und möcht' es gern mit mir
halten,
Aber ihr Überklugen
Hat ihm meinen Umgang verleidet
Und wißt nicht, was ihr mit ihm wollt.
Schlaf iſt weg und keiner ſteht mir bei.
Der Morgen brach indeſſen an, die übri¬
gen im Hauſe wurden munter, und Franz
las dem Bildhauer ſeine Verſe vor, der dar¬
über lachte und ſagte: Auch dies Gedicht,
mein Freund, rührt vom Phantaſus her,
man ſieht es ihm wohl an, daß es in der
Nacht geſchrieben iſt; dieſer Mann hat, wie
es ſcheint, Spott und Ernſt gleich lieb.
Das dunkle Gemach wurde erhellt, der
Köhler trat mit ſeiner Frau herein. Franz
lächelte über ſeine nächtliche Einbildung, er
ſah nun die Thür, die er immer gefürchtet
hatte, deutlich vor ſich ſtehn, nichts Furcht¬
bares war an ihr ſichtbar. Die Geſellſchaft
frühſtückte, wobei der muntere Köhler noch
allerhand erzählte. Er ſagte, daß in eini¬
gen Tagen eine Nonne im benachbarten Klo¬
ſter ihr Gelübde ablegen würde, und daß
ſich dann zu dieſer Feierlichkeit alle Leute
aus der umliegenden Gegend verſammelten.
Er beſchrieb die Zeremonien, die dabei vor¬
fielen, er freute ſich auf das Feſt, Stern¬
bald ſchied von ihm und dem Pilgrim, und
ging mit dem Bildhauer zur Stadt zurück.
Sternbald ließ ſich im Kloſter melden,
er ward der Äbtiſſin vorgeſtellt, er betrach¬
tete das alte Gemählde, das er auffriſchen
ſollte. Es war die Geſchichte der heiligen
Genovefa, wie ſie mit ihrem Sohne unter
einſamen Felſen in der Wildniß ſitzt, und
von freundlichen, liebkoſenden Thieren um¬
geben iſt. Das Bild ſchien alt, er konnte
nicht das Zeichen eines ihm bekannten Künſt¬
lers entdecken. Denkſprüche gingen aus dem
Munde der Heiligen, ihres Sohnes und der
Thiere, die Compoſition war einfach und
ohne Künſtlichkeit, das Gemählde ſollte nichts
als den Gegenſtand auf die einfältigſte Weiſe
ausdrücken. Sternbald war Willens, die
Buchſtaben zu verlöſchen und den Ausdruck
der Figur zu erhöhen, aber die Äbtiſſin ſag¬
te: Nein, Herr Mahler, Ihr müßt das Bild
im Ganzen ſo laſſen, wie es iſt, und um
alles ja die Worte ſtehen laſſen. Ich mag
es durchaus nicht, wenn ein Gemählde zu
zierlich iſt.
Franz machte ihr deutlich, wie dieſe
weißen Zettul alle Täuſchung aufhöben und
unnatürlich wären, ja wie ſie gewiſſermaßen
das ganze Gemählde vernichteten, aber die
Äbtiſſin antwortete: Dies alles iſt mir ſehr
gleich, aber eine geiſtliche, bewegliche Hi¬
ſtorie muß durchaus nicht auf eine ganz
weltliche Art ausgedrückt werden, Reiz,
und was Ihr Mahler Schönheit nennt, ge¬
hört gar nicht in ein Bild, das zur Er¬
bauung dienen und heilige Gedanken erwek¬
ken ſoll. Mir iſt hier das Steife, Altfrän¬
kiſche viel erwünſchter, dies ſchon trägt zu
einer gewiſſen Erhebung bei. Die Worte
ſind aber eigentlich die Erklärung des Ge¬
mähldes, und dieſe gottſeligen Betrachtun¬
gen könnt Ihr nimmermehr durch den Aus¬
druck der Mienen erſetzen. An der ſoge¬
nannten Wahrheit und Täuſchung liegt mir
ſehr wenig: wenn ich mich einmal davon
überzeugen kann, daß ich hier in der Kirche
dieſe Wildniß mit Thieren und Felſen an¬
treffe, ſo iſt es mir ein kleines, auch anzu¬
nehmen, daß dieſe Thiere ſprechen, und daß
ihre Worte hingeſchrieben ſind, wie ſie ſelbſt
nur gemahlt ſind. Es entſteht dadurch et¬
was Geheimnißvolles, wovon ich nicht gut ſa¬
gen kann, worin es liegt. Die übertriebenen
Mienen und Gebehrden aber ſind mir zuwi¬
der. Wenn die Mahler immer bei dieſer
alten Methode bleiben, ſo werden ſie ſich
auch ſtets in den Schranken der guten Sit¬
ten halten, denn dieſer Ausdruck mit Wor¬
ten führt gleichſam eine Aufſicht über ihr
Werk. Ein Gemählde iſt und bleibt eine
gutgemeinte Spielerei, und darum muß man
ſie auch niemals zu ernſthaft treiben.
Franz ging betrübt hinweg, er wollte
am folgenden Morgen anfangen. Das Ge¬
rüſt wurde eingerichtet, die Farben waren
zubereitet; als er in der Kirche oben allein
ſtand, und in die trüben Gitter hineinſah,
fühlte er ſich unbeſchreiblich einſam, er lä¬
chelte über ſich ſelber, daß er den Pinſel in
der Hand führe. Er fühlte, daß er nur als
Handwerker gedungen ſey, etwas zu machen,
wobei ihm ſeine Kunſtliebe, ja ſein Talent
völlig überflüſſig war. Was iſt bis jetzt von
mir geſchehen? ſagte er zu ſich ſelber, in
Antwerpen habe ich einige Conterfeye ohne
ſonderliche Liebe gemacht, die Gräfin und
Roderigo nachher gemahlt, weil ſie in ihn
verliebt war, und nun ſtehe ich hier, um
Denkſprüche, ſchlecht geworfene Gewänder,
Hirſche und Wölfe neu anzuſtreichen.
Indem hatten ſich die Nonnen zur Hora
verſammelt, und ihr feiner, wohlklingender
Geſang ſchwung ſich wunderſam hinüber,
die erloſchene Genovefa ſchien darnach hin¬
zuhören, die gemahlten Kirchenfenſter ertön¬
ten. Eine neue Luſt erwachte in Franz, er
nahm Pallette und Pinſel mit friſchen Muth
und färbte Genovefens dunkles Gewand.
Warum ſollte ein Mahler, ſagte er zu ſich,
nicht allenthalben, auch am unwürdigen Orte,
Spuren ſeines Daſeyns laſſen? Er kann
allenthalben ein Monument ſeiner ſchönen
Exiſtenz ſchaffen, vielleicht daß doch ein ſel¬
tener zarter Geiſt ergriffen und gerührt wird,
ihm dankt, und aus den Trübſeligkeiten ſich
eine ſchöne Stunde hervorſucht. Er nahm
ſich nehmlich vor, in dem Geſichte der Ge¬
novefa das Bildniß ſeiner theuren Unbekann¬
ten abzuſchildern, ſo viel es ihm möglich
war. Die Figuren wurden ihm durch die¬
ſen Gedanken theurer, die Arbeit lieber.
Er ſuchte in ſeiner Wohnung das Bild¬
niß hervor, das ihm der alte Mahler gege¬
ben hatte, er ſah es an, und Emma ſtand
unwillkührlich vor ſeinen Augen. Sein Ge¬
müth war wunderbar beängſtigt, er wußte
nicht, wofür er ſich entſcheiden ſolle. Dieſer
Liebreiz, dieſe Heiterkeit ſeiner Phantaſie
bei Emma's Angedenken, die lüſternen Bil¬
der und Erinnerungen, die ſich ihn offen¬
barten, und dann das Zauberlicht, das ihm
aus dem Bildniſſe des theuren Angeſichts
aus herrlicher Ferne entgegenleuchtete, die
Geſänge von Engeln, die ihn dorthin rie¬
fen, die ſchuldloſe Kindheit, die wehmüthige
Sehnſucht, das Goldenſte, Fernſte und
Schönſte, was er erwünſchen und erlan¬
gen konnte, daneben Sebaſtian's Freude
und Erſtaunen, dazwiſchen das Grab.
Die Verworrenheit aller dieſer Vorſtel¬
lungen bemächtigte ſich ſeiner ſo ſehr, daß
er zu weinen anfing, und keinen Gedanken
erhaſchte, der ihn tröſten konnte. Ihm war,
als wenn ſeine innerſte Seele in den bren¬
nenden Thränen ſich aus ſeinen Augen hin¬
ausweinte, als wenn er nachher nichts wün¬
ſchen und hoffen dürfte, und nur ungewiſſe,
irrende
irrende Reue ihn verfolgen könne. Seine
Kunſt, ſein Streben, ein edler Künſtler zu
werden, ſein Wirken und Werden auf der
Erde erſchien ihm als etwas Armſeliges,
Kaltes und jämmerlich Dürftiges. In Däm¬
merung gingen die Geſtalten der großen
Meiſter an ihm vorüber, er mochte nach
keinem mehr die Arme ausſtrecken; alles war
ſchon vorüber und geendigt, wovon er noch
erſt den Anfang erwartete.
Er ſchweifte durch die Stadt, und die
bunten Häuſer, die Brücken, die Kirchen mit
ihrer künſtlichen Steinarbeit, nichts reizte
ihn, es genau zu betrachten, es ſich einzu¬
prägen, wie er ſonſt ſo gern that, in jedem
Werke ſchaute ihn Vergänglichkeit und zweck¬
loſes Spiel mit trüben Augen, mit ſpötti¬
ſcher Miene an. Die Mühſeligkeit des Hand¬
werkers, die Ämſigkeit des Kaufmanns, das
troſtloſe Leben des Bettlers daneben ſchien
(2r Th.) X
ihm nun nicht mehr, wie immer, durch große
Klüfte getrennt: ſie waren Figuren und Ver¬
zierungen von einem großen Gemählde,
Wald, Bergſtrom, Gebirge, Sonnenauf¬
gang waren Anhang zur trüben, dunkeln
Hiſtorie, die Dichtkunſt, die Muſik machten
die Worte und Denkſprüche, die mit unge¬
ſchickter Hand hineingeſchrieben wurden. Jetzt
weiß ich, rief er im Unmuthe aus, wie Dir
zu Muthe iſt, mein vielgeliebter Sebaſtian,
erſt jetzt leſe ich aus mir ſelber Deinen Brief,
erſt jetzt entſetze ich mich darüber, daß Du
Recht haſt. So kann keiner dem andern ſa¬
gen und ſprechen, was er denkt; wenn wir
ſelbſt wie todte Inſtrumente, die ſich nicht
beherrſchen können, ſo angeſchlagen werden,
daß wir dieſelben Töne angeben, dann glau¬
ben wir den andern zu vernehmen.
Die Melodie des Liedes von der Ein¬
ſamkeit kam ihm in's Gedächtniß, er konnte
es nicht unterlaſſen, das Gedicht leiſe vor
ſich hinzuſingen, wobei er immer durch die
Straßen lief, und ſich endlich in das Ge¬
tümmel des Marktes verlor.
Er ſtand im Gedränge ſtill, und ihm
fiel bei, daß vielleicht keiner von den hier
bewegten unzähligen Menſchen ſeine Gedan¬
ken und ſeine Empfindungen kenne, daß er
ſchon oft ſelbſt ohne Arg herumgewandert
ſey, daß er auch vielleicht in wenigen Ta¬
gen alles vergeſſen habe, was ihn jetzt er¬
ſchüttre, und er ſich dann wohl wieder klü¬
ger und beſſer als jetzt vorkomme. Wenn
er ſo in ſein bewegtes Gemüth ſah, ſo war
es, als wenn er in einen unergründlichen
Strudel hinabſchaute, wo Woge Woge drängt
und ſchäumt, und man doch keine Welle ſon¬
dern kann, wo alle Fluthen ſich verwirren
und trennen, und immer wieder durch ein¬
ander wirbeln, ohne Stillſtand, ohne Ruhe,
X 2
wo dieſelbe Melodie ſich immer wiederholt,
und doch immer neue Abwechſelung ertönt:
kein Stillſtand, keine Bewegung, ein rau¬
ſchendes, toſendes Räthſel, eine endloſe, end¬
loſe Wuth des erzürnten, ſtürzenden Elements.
Kaufer und Verkäufer ſchrien und lärm¬
ten durch einander, Fremde, die ſich zurecht¬
fragten, Wagen, die ſich gewaltſam Platz
machten. Alle Arten von Eßwaaren umher
gelagert, Kinder und Greiſe im Gewühl,
alle Stimmen und Zungen zum verwirrten
Uniſono vereinigt. Nach der andern Seite
drängte ſich das Volk voll Neugier, und
Franz ward von dem ungeſtümen Strome
mit ergriffen und fortgezogen, er bemerkte
es kaum, daß er von der Stelle kam.
Als er näher ſtand, hörte er durch das
Geräuſch der Stimmen, durch die öftere Un¬
terbrechung, Fragen, Antworten und Ver¬
wunderung folgendes Lied ſingen:
Wie über Matten
Die Wolke zieht,
So auch der Schatten
Vom Leben flieht.
Die Jahre eilen
Kein Stilleſtand,
Und kein Verweilen,
Sie hält kein Band.
Nur Freude kettet
Das Leben hier,
Der Frohe rettet
Die Zeiten ſchier.
Ihm ſind die Stunden
Was Jahre ſind,
Sind nicht verſchwunden
Wer ſo geſinnt.
Ihm ſind die Küſſe
Der goldne Wein
Noch 'mal ſo ſüße
Im Sonnenſchein.
Ihm naht kein Schatten
Vergänglichkeit,
Für ihn begatten
Sich Freud' und Zeit.
Drum nehmt die Freude
Und ſperrt ſie ein.
Dann müßt ihr beide
Unſterblich ſeyn.
Es war ein Mädchen, die dieſes Lied
abſang, indem kam Franz durch eine unver¬
muthete Wendung dicht an die Sängerin zu
ſtehn, das Gedränge preßte ihn an ſie, und
indem er ſie genau betrachtete, glaubte er
Ludoviko zu erkennen. Jetzt hatte ihn der
Strom von Menſchen wieder entfernt, und
er konnte daher ſeiner Sache nicht gewiß
ſeyn, ein Leyerkaſten fiel ihm mit ſeinen
ſchwerfälligen Tönen in die Ohren, und eine
andre Stimme ſang:
Aus Wolken kommt die frohe Stunde,
O Menſch geſunde,
Laß Leiden ſeyn und Bangigkeit
Wenn Liebchens Kuß Dein Herz erfreut.
In Küſſen webt ein Zauberſegen,
Drum ſey verwegen,
Was ſchadet's, wenn der Donner rollt,
Wenn nur der rothe Mund nicht ſchmollt.
Franz war erſtaunt, denn er glaubte in
dieſem begleitenden Sänger Floreſtan zu er¬
kennen. Er war wie ein alter Mann ge¬
ſtaltet, und verſtellte, wie Sternbald glaub¬
te, auch ſeine Stimme; doch war er noch
zweifelhaft. — In kurzer Zeit hatte er
beide aus den Augen verloren, ſo ſehr er
ſich auch bemühte, ſich durch die Menſchen
hindurchzudrängen.
Die beiden Geſtalten lagen ihm immer
im Sinne, er ging zum Kloſter zurück, aber
er konnte ſie nicht vergeſſen, er wollte ſie
wieder aufſuchen, aber es war vergebens.
Indem er mahlte, kam die Äbtiſſin mit ei¬
nigen Nonnen hinzu, um ihm bei der Arbeit
zuzuſehn, die größte von ihnen ſchlug den
Schleier zurück, und Franz erſchrack über
die Schönheit, über die Majeſtät eines An¬
geſichts, die ihm plötzlich in die Augen fie¬
len. Dieſe reine Stirn, dieſe großen dun¬
keln Augen, das ſchwermüthige, unausſprech¬
lich ſüße Lächeln der Lippen nahm ſein Auge
gleichſam mit Gewalt gefangen, ſein Ge¬
mählde, jede andre Geſtalt kam ihm gegen
dieſe Herrlichkeit trübe und unſcheinbar vor.
Er glaubte auch noch nie einen ſo ſchlanken
Wuchs geſehen zu haben, ihm fielen ein
paar Stellen aus alten Gedichten ein, wo
der Dichter von der ſiegenden Gewalt der
Allerholdſeligſten ſprach, von der unüber¬
windlichen Waffenrüſtung ihrer Schöne. —
Ein altes Lied ſagte:
Laß mich los, um Gotteswillen
Gieb mich armen Sklaven frei,
Laß die Augen Dir verhüllen,
Daß ihr Glanz nicht tödtlich ſey.
Mußt Du mich in Ketten ſchleifen
Stärker als von Demantſtein?
Muß das Schickſal mich ergreifen,
Ich ihr Kriegsgefangner ſeyn? —
Wie, dachte Sternbild, muß dem Man¬
ne ſeyn, dem ſich dieſe Arme freundlich öff¬
nen? dem dieſer heilige Mund den Kuß ent¬
gegenbringt? Die Grazie dieſer übermenſch¬
lichen Engelsgeſtalt ganz ſein Eigenthum!
Die Nonne betrachtete das Gemählde
und den Mahler in einer nachdenklichen
Stellung, keine ihrer Bewegungen war leb¬
haft, aber wider Willen ward das Auge
nachgerufen, wenn ſie ging, wenn ſie die
Hand erhob, das Auge war entzückt, in den
Linien mitzugehn, die ſie beſchrieb. Franz
gedachte an Roderigo's Worte, der von der
Gräfin geſagt hatte, daß ſie in Bewegun¬
gen Muſik ſchriebe, daß jede Biegung der
Gelenke ein Wohllaut ſey.
Sie gingen fort, der Geſang der Non¬
nen erklang wieder. Franz fühlte ſich ver¬
laſſen, daß er nicht neben der ſchönen Heili¬
gen knien konnte, ganz in Andacht hinge¬
goſſen, die Augen dahin gerichtet, wohin
die ihrigen blickten, er glaubte, daß das al¬
lein ſchon ein höchſt ſeliges Gefühl ſeyn müſſe,
nur mit ihr dieſelben Worte zu ſingen, zu
denken. Wie widerlich waren ihm die Far¬
ben, die er auftragen, die Figuren, die er
neu beleben ſollte!
Auf den Abend ſprach er den Bildhauer.
Er ſchilderte ihm die Schönheit, die er ge¬
ſehn hatte, Auguſtin ſchien beinahe eiferſüch¬
tig. Er erzählte, wie es daſſelbe Mädchen
ſey, das in Kurzem das Gelübde ablegen
werde, von der der Köhler geſprochen habe,
ſie ſey mit ihrem Stande unzufrieden, müſſe
ſich aber dem Willen der Eltern fügen. Ihr
habt Recht, fuhr er gegen Franz fort, wenn
Ihr ſie eine Heilige nennt, ich habe noch
nie eine Geſtalt geſehn, die etwas ſo Hohes,
ſo Überirrdiſches ausgedrückt hätte. Und nun
denkt Euch dieſen züchtigen Buſen entfeſſelt,
dieſe Wangen mit Schaam und Liebe käm¬
pfend, dieſe Lippen in Küſſen entbrannt, das
große Auge der Trunkenheit dahin gegeben,
dies Himmliſche des Weibes im Widerſpruch
mit ſich ſelbſt und doch ihre ſchönſte Beſtim¬
mung erfüllend, — o, wer auf weiter Erde
iſt denn glückſeliger und gebenedeiter, als
dieſer ihr Geliebter? Höhere Wonne wird
auf dieſer magern Erde nicht reif, und wem
dieſe beſcheret iſt, vergißt die Erde und ſich,
und alles!
Er ſchien noch weiter ſprechen zu wol¬
len, aber plötzlich brach er ab, und verließ
Sternbald im unnützen Nachſinnen verloren.
Franz hatte noch keine ſeiner Arbeiten
mit dieſer Unentſchloſſenheit und Beklem¬
mung gemacht, er ſchämte ſich eigentlich ſei¬
nes Mahlens an dieſem Orte, beſonders in
Gegenwart der majeſtätiſchen Geſtalt. Sie
beſuchte ihn regelmäßig und betrachtete ihn
genau. Ihre Geſtalt prägte ſich jedesmal
tiefer in ſeine Phantaſie, er ſchied immer
ungerner.
Die Mahlerei ging raſcher fort, als er
ſich gedacht hatte. Die Genovefa machte er
ſeiner theuren Unbekannten ähnlich, er ſuch¬
te den Ausdruck ihrer Phyſiognomie zu er¬
höhen, und den geiſtreichen Schmerz gut ge¬
gen die unſchuldigen Geſichter der Thierge¬
ſtalten abſtechen zu laſſen. Wenn die Orgel
zuweilen ertönte, fühlte er ſich wohl ſelbſt
in ſchauerliche Einſamkeit entrückt, dann
fühlte er Mitleid mit der Geſchichte, die er
darſtellte, ihn erſchreckte dann der wehmü¬
thige Blick, den die Unbekannte von der
Wand herab auf ihn warf, die Thiere mit
ihren Denkſprüchen rührten ihn innerlich.
Aber faſt immer ſehnte er ſich zu einer an¬
dern Arbeit hin.
Manchmal glaubte er, daß die ſchöne
Nonne ihn mit Theilnahme und Rührung
betrachte, denn es ſchien zuweilen, als wenn
ſie jeden ſeiner Blicke aufzuhaſchen ſuchte,
ſo oft er die Augen auf ſie wandte, begeg¬
nete er ihrem bedeutenden Blicke. Er wurde
roth, der Glanz ihrer Augen traf ihn wie
ein Blitz. Die Äbtiſſin hatte ſich an einem
Morgen auf eine Weile entfernt, die übri¬
gen Nonnen waren nicht zugegen, und Stern¬
bald war gerade unten am Gemählde be¬
ſchäftigt, als das ſchöne Mädchen ihm plötz¬
lich ein Papier in die Hand drückte. Er
wußte nicht, wie ihm geſchah, er verbarg
es ſchnell. Die wunderbarſte Zeit des Alter¬
thums mit allen ihren ungeheuren Mähr¬
chen, dünkte ihm, wäre ihm nahe getreten,
hätte ihn berührt, und ſein gewöhnliches Le¬
ben ſey auf ewig völlig entſchwunden. Seine
Hand zitterte, ſein Geſicht glühte, ſeine Au¬
gen irrten umher, und ſcheuten ſich, den ih¬
rigen zu begegnen. Er ſchwur ihr im Her¬
zen Treue und feſte Kühnheit, er unternahm
jegliche Gefahr, ihm ſchien es Kleinigkeit,
das Gräßlichſte um ihrentwillen zu unter¬
nehmen. Er ſah im Geiſte Entführung und
Verfolgung vor ſich, er flüchtete ſich ſchon
in Gedanken zu ſeiner Genovefa in die un¬
zugängliche Wüſte.
Wer hätte das gedacht, ſagte er zu
ſich, als ich zuerſt den ſteinernen Fußboden
dieſes Kloſters betrat, daß hier mein Leben
einen neuen Anfang nehmen würde? daß
mir das gelingen könne, was ich für das
Unmöglichſte hielt?
Indem verſammelten ſich die Nonnen
auf dem Chor, die Glocke ſchlug ihre Töne,
die ihm in's Herz redeten, man ließ ihn al¬
lein, und der herzdurchdringende, einfache
Geſang hob wieder an. Er konnte kaum
athmen, ſo ſchienen ihn die Töne wie mit
mächtigen Armen zu umfaſſen und ſich dicht
an ſeine entzückte Bruſt zu drücken.
Als alles wieder ruhig war, als er ſich
allein befand, nahm er den Brief wieder
hervor, ſeine Hand zitterte, als er ihn er¬
brechen wollte, aber wie erſtaunte er, als
er die Aufſchrift: An Ludoviko, las! —
Er ſchämte ſich vor ſich ſelber, er ſtand eine
Weile tief nachſinnend, dann arbeitete er
mit neuer Inbrunſt am Antlitz ſeiner Heili¬
gen weiter, er konnte den Zuſammenhang
nicht begreifen, alle ſeine Sinne verwirrten
ſich. Das Gemählde ſchien ihn mit ſeinen
alten Verſen anzureden, Genovefa ihm ſeine
Untreue, ſeinen Wankelmuth vorzuwerfen.
Es war Abend geworden, als er das
Kloſter verließ. Er ging über den Kirchhof
nach dem Felde zu, als ihm wieder die
dumpfen Leyertöne auffielen. Der Alte kam
auf ihn zu und nannte ihn bei Namen. Es
war niemand anders als Floreſtan.
Sternbald konnte ſich vor Erſtaunen
nicht finden, aber jener ſagte: Sieh, mein
Freund, dies iſt das menſchliche Leben, wir
nahmen vor kurzem ſo wehmüthig Abſchied
von einander, und nun triffſt Du mich ſo
unerwartet und bald wieder, und zwar als
alten Mann, Sey künftig niemals traurig,
wenn Du einen Freund verläſſeſt. Aber haſt
Du nichts an Ludoviko abzugeben?
Sternbald ahndete nun den Zuſammen¬
hang, mit zitternder Hand gab er ihm den
Brief,
Brief, den er von der Nonne empfangen
hatte. Floreſtan empfing ihn freudig. Als
Franz ihn weiter befragte, antwortete er
luſtig: Sieh, mein Freund, wir ſind jetzt
auf Abentheuer, Ludoviko liebt ſie, ſie ihn,
in wenigen Tagen will er ſie entführen, alle
Anſtalten dazu ſind getroffen, ich führe bei ihm
ein Leben wie im Himmel, alle Tage neue Ge¬
fahren, die wir glücklich überſtehn, neue Ge¬
genden, neue Lieder und neue Geſinnungen.
Franz wurde empfindlich. Wie? ſagte
er im Eifer, ſoll auch ſie ein Schlachtopfer
ſeiner Verführungskunſt, ſeiner Treuloſigkeit
werden? Nimmermehr!
Rudolf hörte darauf nicht, ſondern bat
ihn, nur einen Augenblick zu verweilen, er
müſſe Ludoviko ſprechen, würde aber ſogleich
zurückkommen. Vor allen Dingen aber ſolle
er dem Bildhauer Bolz nicht ein Wort da¬
von entdecken.
(2r Th.) Y
Franz blieb allein und konnte ſich über
ſich ſelbſt nicht zufrieden geben, er wußte
nicht, was er zu allem ſagen ſolle. Er ſetz¬
te ſich unter einem Baume nieder, und Ru¬
dolf kam nach kurzer Zeit zurück. Hier,
mein liebſter Freund, ſagte dieſer, dieſen Zet¬
tul mußt Du morgen Deiner ſchönen Heili¬
gen übergeben, er entſcheidet ihr Schickſal.
Wie? rief Franz bewegt aus, ſoll ich
mich dazu erniedrigen, das herrlichſte Ge¬
ſchöpf vernichten zu helfen? Und Du Ru¬
dolf kannſt mit dieſem Gleichmuthe ein ſol¬
ches Unternehmen beginnen? Nein, mein
Freund, ich werde ſie vor dem Verführer
warnen, ich werde ihr rathen, ihn zu ver¬
geſſen wenn ſie ihn liebt, ich werde ihr er¬
zählen, wie er geſinnt iſt.
Sey nicht unbeſonnen, ſagte Floreſtan,
denn Du ſchadeſt dadurch Dir und allen.
Sie liebt ihn, ſie zittert vor dem Tage ih¬
rer Einkleidung, die Flucht iſt ihr freier Ent¬
ſchluß, was geht Dich das übrige an? Und
Ludoviko wird und kann ihr nicht niedrig be¬
gegnen. — Seit er ſie kennt, iſt er, möch¬
te ich ſagen, durchaus verändert. Er betet
ſie an, wie ein himmliſches, überirrdiſches
Weſen, er will ſie zu ſeiner Gattin machen,
und ihr die Treue ſeines Lebens widmen.
Aber lebe wohl, ich habe keine Zeit zu ver¬
lieren, ſprich zum Bildhauer kein Wort,
ich laſſe Dir den Brief, denn Du biſt mein
und Ludoviko's Freund, und wir trauen Dir
beide keine Schändlichkeit zu.
Mit dieſen Worten eilte Floreſtan fort,
und Sternbald ging zur Stadt zurück. Er
wich dem Bildhauer aus, um ſich nicht zu
verrathen. Am folgenden Morgen erwartete
er mit Herzklopfen die Gelegenheit, mit der
er der ſchönen Nonne das Billet zuſtecken
könne. Sie nahm es mit Erröthen, und
D 2
verbarg es im Buſen. Über ihr lilienweißes
Geſicht legte ſich ein ſo holdes Schaamroth,
ihre geſenkten Augen glänzten ſo hell, daß
Franz ein vom Himmel verklärtes Weſen
vor ſich zu ſehn glaubte. Sie ſchien nun
ein Vertrauen zu Franz zu haben und doch
ſeine Augen zu fürchten, ihre Majeſtät war
ſanfter und um ſo lieblicher. Franz war im
innerſten Herzen bewegt.
Die Zeit verging, die Arbeit am Ge¬
mählde nahte ſich ihrer Vollendung. Bolz
ſchien mit einem großen Unternehmen ſchwan¬
ger zu gehen, ſeinem Freunde Sternbald ſich
aber nicht ganz vertrauen zu wollen. An
einem Morgen, als er wieder zum Mahlen
ging, es war der letzte Tag ſeiner Arbeit,
fand er das ganze Kloſter in der größten
Bewegung. Alle liefen unruhig durch ein¬
ander, man ſuchte, man fragte, man erkun¬
digte ſich, die ſchöne Novize ward vermißt,
der Tag ihrer Einkleidung war ganz nahe.
Sternbald ging ſchnell an ſeine Arbeit, ſein
Herz war unruhig er war ungewiß, ob er
ſich etwas vorzuwerfen habe.
Wie freute er ſich, als er nun das Ge¬
mählde vollendet hatte, als er wußte, daß
er das Kloſter nicht mehr zu beſuchen brau¬
che, in welchem die Schönheit nicht mehr
war, die ſeine Augen nur zu gern aufge¬
ſucht hatten. Er erhielt von der Äbtiſſin
ſeine Bezahlung, betrachtete das Gemählde
noch einmal, und ging dann über's Feld
nach der Stadt zurück.
Er zitterte für ſeine Freunde, für die
ſchöne Nonne; er ſuchte den Bildhauer auf,
der aber nirgends anzutreffen war. Er ver¬
ließ ſchon am folgenden Morgen die Stadt,
um ſich endlich Italien zu nähern, und Rom
den erwünſchten Ort zu ſehn.
Gegen Mittag fand er am Wege den
Bildhauer Bolz liegen, der ganz entkräftet
war. Franz erſtaunte nicht wenig, ihn dort
zu finden. Mit Hülfe einiger Vorüberwan¬
dernden brachte er ihn in's nahe Städtchen,
er war verwundet, entkräftet und verblutet,
aber ohne Gefahr.
Franz ſorgte für ihn, und als ſie allein
waren, ſagte Auguſtin: Ihr trefft mich hier,
mein Freund, gewiß gegen Eure Erwartung
an, ich hätte Euch mehr vertrauen, und
mich früher Eurer Hülfe bedienen ſollen, ſo
wäre mir dies Unglück nicht begegnet. Ich
wollte die Nonne, die man in wenigen Ta¬
gen einkleiden wollte, entführen, ich beredete
Euch deshalb, Euch im Kloſter dort zu ver¬
dingen. Aber man iſt mir zuvorgekommen.
In der verwichenen Nacht traf ich ſie in Ge¬
ſellſchaft von zwei unbekannten Männern,
ich fiel ſie an und ward überwältigt. Ich
zweifle nicht, daß es ein Streich von Rode¬
rigo iſt, der ſie kannte, und ſie ſchon vor
einiger Zeit rauben wollte.
Franz blieb einige Tage bei ihm, bis
er ſich gebeſſert hatte, dann nahm er Ab¬
ſchied, und ließ ihm einen Theil ſeines Gel¬
des zur Pflege des Bildhauers zurück.
Drittes Kapitel.
Aus Florenz antwortete Franz ſeinem Freun¬
de Sebaſtian folgendermaßen:
Liebſter Sebaſtian!
Ich möchte zu Dir ſagen: ſey gutes
Muths! wenn Du jetzt im Stande wäreſt,
auf meine Worte zu hören. Aber leider iſt
es ſo beſchaffen, daß wenn der andre uns zu
tröſten vermöchte, wir uns auch ſelber ohne
weiteres tröſten könnten. Darum will ich
lieber ſchweigen, liebſter Freund, weil über¬
dies wohl bei Dir die trüben Tage vorüber¬
gegangen ſeyn mögen.
In jedem Falle, lieber Bruder, verliere
nicht den Muth zum Leben, bedenke, daß
die traurigen Tage eben ſo gewiß als die
fröhlichen vorübergehen, daß auf dieſer ver¬
änderlichen Welt nichts eine dauernde Stelle
hat. Das ſollte uns im Unglück tröſten und
unſre übermüthige Fröhlichkeit dämpfen.
Wenn ich Dich doch, mein Liebſter, auf
meiner Reiſe bei mir hätte! Wie ich da al¬
les mehr und inniger genießen würde! Wenn
ich Dir nur alles ſagen könnte, was ich lerne
und erfahre, und wie viel Neues ich ſehe
und ſchon geſehn habe! Es überſchüttet und
überwältigt mich oft ſo, daß ich mich äng¬
ſtige, wie ich alles im Gedächtniß, in mei¬
nen Sinnen aufbewahren will. Die Welt
und die Kunſt iſt viel reicher, als ich vor¬
her glauben konnte. Fahre nur eifrig fort
zu mahlen, Sebaſtian, damit Dein Name
auch einmal unter den würdigen Künſtlern
genannt werde, Dir gelingt es gewiß eher
und beſſer, als mir. Mein Geiſt iſt zu un¬
ſtät, zu wankelmüthig, zu ſchnell von jeder
Neuheit ergriffen; ich möchte gern alles lei¬
ſten, und darüber werde ich am Ende gar
nichts thun können.
So iſt mein Gemüth auf's heftigſte von
zwei neuen großen Meiſtern bewegt, vom
venetianiſchen Titian, und von dem aller¬
lieblichſten Antonio Allegri von Cor¬
reggio. Ich habe, möcht' ich ſagen, alle
übrige Kunſt vergeſſen, indem dieſe edlen
Künſtler mein Gemüth erfüllen, doch hat
der letztere auch beinahe den erſtern ver¬
drängt. Ich weiß mir in meinen Gedanken
nichts Holdſeligers vorzuſtellen, als er uns
vor die Augen bringt, die Welt hat keine
ſo liebliche, ſo vollreizende Geſtalten, als er
zu mahlen verſteht. Es iſt, als hätte der
Gott der Liebe ſelber in ſeiner Behauſung
gearbeitet und ihm die Hand geführt. We¬
nigſtens ſollte ſich nach ihm keiner unterfan¬
gen, Liebe und Wolluſt darzuſtellen, denn
keinem andern Geiſte hat ſich ſo das Glor¬
reiche der Sinnenwelt offenbart.
Es iſt etwas Köſtliches, Unbezahlbares,
Göttliches, daß ein Mahler, was er in der
Natur nur Reizendes findet, was ſeine Ima¬
gination nur veredeln und vollenden kann,
uns nicht in Gleichniſſen, in Tönen, in Er¬
innerungen oder Nachahmungen aufbewahrt,
ſondern es auf die kräftigſte und fertigſte
Weiſe ſelber hinſtellt und giebt. Darum iſt
auch in dieſer Hinſicht die Mahlerei die erſte
und vollendeteſte Kunſt, das Geheimniß der
Farben iſt anbetungswürdig. Der Reiche,
der Correggio's Gemählde, ſeine Leda, ſeine
badenden ſchönſten Nymphen beſitzt hat ſie
wirklich, ſie blühen in ſeinem Pallaſt in ewi¬
ger Jugend, der allerhöchſte Reiz iſt bei ihm
einheimiſch, wonach andre mit glühender
Phantaſie ſuchen, was ſtumpfere mit ihren
Sinnen ſich nicht vorſtellen können, lebt und
webt bei ihm wirklich, iſt ſeine Göttin, ſeine
Geliebte, ſie lächelt ihn an, ſie iſt gern in
ſeiner Gegenwart.
Wie iſt es möglich, wenn man dieſe
Bilder geſehn hat, daß man noch vom Co¬
lorit geringſchätzend ſprechen kann? Wer
würde nicht von der Allmacht der Schön¬
heit beſiegt werden, wenn ſie ſich ihm nackt
und unverhüllt, ganz in Liebe hingegeben,
zu zeigen wagte? — Das Studium dieſer
himmliſchen Jugendgeiſter hat die große Zau¬
berei erfunden, dies und noch mehr unſern
Augen möglich zu machen.
Was die Geſänge des liebenden Petrarka
wie aus der Ferne herüberwehen, Schatten¬
bilder im Waſſer, die mit den Wogen wie¬
der wegfließen, was Arioſt's feuriger Ge¬
nius nur lüſtern und in der Ferne zeigen
kann, wonach wir ſehen und es doch nicht
entdecken können, im Walde fernab die un¬
gewiſſeſten Spuren, die dunkeln Gebüſche
verhüllen es, ſo ſehr wir darnach irren und
ſuchen; alles das ſteht in der allerholdſelig¬
ſten Gegenwart dicht vor uns. Es iſt mehr,
als wenn Venus uns mit ihrem Knaben ſel¬
ber beſuchte, der Genuß an dieſen Bildern
iſt die hohe Schule der Liebe, die Einwei¬
hung in die höchſten Myſterien, wer dieſe
Gemählde nicht verehrt, verſteht und ſich
an ihnen ergötzt, der kann auch nicht lieben,
der muß nur gleich ſein Leben an irgend
eine unnütze, mühſelige Beſchäftigung weg¬
werfen, denn ihm iſt es verborgen, was er
damit anfangen kann.
Eine Zeichnung mag noch ſo edel ſeyn,
die Farbe bringt erſt die Lebenswärme, und
iſt mehr und inniger, als der körperliche
Umfang der Bildſäule.
Ich hätte mich glücklich geſchätzt, wenn
ich dieſen Allegri noch im Leben angetroffen
hätte, aber er iſt geſtorben. Er ſoll ein
dürftiges, unbekanntes Leben geführt haben.
Seine Phantaſie, die immer in Liebe ent¬
brannt war, hat ihn gewiß dafür entſchä¬
digt. Auch in ſeinen geiſtlichen Compoſitio¬
nen ſpiegelt ſich eine liebende Seele, der
Gürtel der Venus iſt auch hier verborgen,
und man weiß immer nicht, welche ſeiner
Figuren ihn heimlich trägt. Auge und Herz
bleiben gern verweilend zurückgezogen; der
Menſch fühlt ſich bei ihm in der Heimath
der glücklichſten Poeſie, er denkt: ja, das
war es, was ich ſuchte, was ich wollte und
es immer zu finden verzweifelte. Vulkan's
künſtliches Netz zieht ſich unzerreißbar um
uns her, und ſchließt uns eng und enger an
Venus, die vollendete Schönheit an.
Es herrſcht in ſeinen Bildern nicht halbe
Lüſternheit, die ſich verſtohlen und ungern
zu erkennen giebt, die der Mahler errathen
läßt, der ſich gleich darauf gern wieder zu¬
rückzöge, um viel zu verantworten zu ha¬
ben, ſich aber auch wirklich zu verantwor¬
ten; es iſt auch nicht gemeine Sinnlichkeit,
die ſich gegen den edlern Geiſt empört, um
ſich nur bloßzuſtellen, um in frecher Schande
zu triumphiren, ſondern die reinſte und hellſte
Menſchheit, die ſich nicht ſchämt, weil ſie
ſich nicht zu ſchämen braucht, die in ſich
ſelbſt durchaus glückſelig iſt. Es iſt, ſo
möcht' ich ſagen, der Frühling, die Blüthe
der Menſchheit: alles im vollen, ſchwelgen¬
den Genuß, alle Schönheit emporgehoben
in vollſter Herrlichkeit, alle Kräfte ſpielend
und ſich übend im neuen Leben, im friſchen
Daſeyn. Herbſt iſt weit ab, Winter iſt ver¬
geſſen, und unter den Blumen, unter den
Düften und grünglänzenden Blättern wie
ein Mährchen, von Kindern erfunden.
Es iſt, als wenn ich mit der weichen,
ermattenden und doch erfriſchenden Luft Ita¬
liens eine andre Seele einzöge, als wenn
mein inneres Gemüth auch einen ewigen
Frühling hervortriebe, wie er von außen
um mich glänzt und ſchwillt und ſich trei¬
bend blüht. Der Himmel hier iſt faſt im¬
mer heiter, alle Wolken ziehn nach Norden,
ſo auch die Sorgen, die Unzufriedenheit.
O, liebſter Bruder, Du ſollteſt hier ſeyn,
die Harfenſtimmen der Geiſter, die Blumen¬
hände der unſichtbaren Engel würden auch
Dich berühren und heilen.
In wenigen Tagen reiſe ich nach Rom.
Ein verſtändiger Mann, der die Kunſt über
alles liebt, iſt mein Begleiter, er und ſeine
junge ſchöne Frau reiſen ebenfalls nach Rom.
Er heißt Caſtellani.
Ich habe mancherlei unterdeſſen gear¬
beitet, womit ich aber nicht ſonderlich zu¬
frieden bin: doch erleichtert mir mein Ver¬
dienſt die Reiſe. Laß es mir doch niemals
an Nachrichten von Dir mangeln. Lebe
wohl, liebe immer wie ſonſt
Deinen Franz Sternbald.
Als Franz dieſen Brief geendigt hatte,
nahm er ſeine Zitter und ſpielte darauf,
wodurch er bewegt ward, folgende Verſe
niederzuſchreiben:
Der Frühling.
Die liebe Erde hat ihr Winterkleid abgelegt,
Die Hügel ihrer Bruſt ſind ſchon durch Liebe bewegt,
Die Finſterniß, die Wolken ſind dahin,
Sie hat nun einer Braut, oder jungen Witwen Sinn.
Ihr ſchöner Leib iſt um und um geſchmückt,
Mit tauſend Blumen ſchön auf ihrem Gewande
geſtickt,
Ihr bunter Rock iſt vom kunſtreichen April gewebt,
Der durch und durch mit hellen, glänzenden Farben
lebt.
Hier Lilien weiß, dort Roſen röthlich ſeyn,
Und goldne Blumen machen blanken Schein,
Und flimmern unter ſilberne hinein,
Als ſollt' die Erd' ein Sternenhimmel ſeyn.
Wie Augen ſehen blaue Blumen her,
Wie Lippen rufen rothe Blüthen dort,
(2r Th.) Z
Ich wandle durch ein duftend, farbend Meer,
Die Herrlichkeit winkt mir von Ort zu Ort.
Ich höre Voglein um mich ſingen,
Die mit dem Stimmlein klar der Liebſten Grüße
bringen.
So ſchwingt Geſang ſich durch den ſüßen Duft,
Im Wohllaut zittert warme Frühlingsluft,
Vom Berge her die Winde leutſelig ſpielen
Und ſcherzend in den Blumenbeeten wühlen.
O ſüße Frühlingszeit!
Der Blumen Bringerin,
Der Liebe Führerin,
Der Erde Schmückerin,
Wie herrlich Deine Hallen weit und breit!
DnDu pflegſt das Blumenkind,
Haſt Liebe an der Hand,
Geſchmückt mit Roſenband,
Sie wird von uns erkannt
Und jeder liebend nur auf Küſſe ſinnt.
Viertes Kapitel.
Franz blieb länger in Florenz, als er ſich
vorgenommen hatte, ſein neuer Freund Ca¬
ſtellani ward krank, und Sternbald war gut¬
herzig genug, ihm Geſellſchaft zu leiſten, da
jener zu Florenz faſt ganz fremde war. Er
konnte den Bitten ſeiner jungen Frau, der
freundlichen Lenore, ſich nicht widerſetzen,
und da er in Florenz für ſeine Kunſt noch
genug zu lernen fand, ſo gereute ihn auch
dieſer Abſchub nicht.
Es ereignete ſich außerdem noch ein
ſonderbarer Vorfall. Es fügte ſich oft, daß
er bei ſeinen Beſuchen ſeinen Freund nicht
ſprechen konnte, Lenore war dann allein,
und noch ehe er es bemerken konnte, war
er an ſie gefeſſelt. Er kam bald nur, um
ſie zu ſehn. Lenore ſchien gegen Franz ſehr
gefällig, ihre ſchalkhaften Augen ſahen ihn
Z 2
immer luſtig an, ihr muthwilliges Geſpräch
war immer belebt. An einem Morgen ent¬
deckte ſie ihm unverholen, daß Caſtellani
nicht mit ihr verheirathet ſey, ſie reiſe, ſie
lebe nur mit ihm, in Turin habe ſie ihn
kennen gelernt, und er ſey ihr damals lie¬
benswürdig vorgekommen. Franz war ſehr
verlegen, was er antworten ſolle; ihn ent¬
zückte der leichte, flatterhafte Sinn dieſes
Weibes, obgleich er ihn verdammen mußte,
ihre Geſtalt, ihre Freundlichkeit gegen ihn.
Sie ſahen ſich öfter und waren bald einver¬
ſtanden; Franz machte ſich Vorwürfe, aber
er war zu ſchwach, dies Band wieder zu
zerreißen.
Es gelang ihm, mit einem Mahler in
Florenz in Bekanntſchaft zu gerathen, der
niemand anders war, als Franz Ruſtici,
der damals in dieſer Stadt und Italien in
großem Anſehn ſtand. Dieſer verſchaffte ihm
ein Bild zu mahlen, und ſchien an Stern¬
bald Antheil zu nehmen. Sie ſahen ſich öf¬
ter, und Franz ward in Ruſtici's Freund¬
ſchaft aufgenommen.
Dieſer Mahler war ein luſtiger, offener
Mann, der ernſt ſeyn konnte, wenn er woll¬
te, aber immer für leichten Scherz Zeit ge¬
nug übrig behielt. Franz beſuchte ihn oft,
um von ihm zu lernen und ſich an ſeinen
ſinnreichen Geſprächen zu ergötzen. Ruſtici
war ein angeſehener Mann in Florenz, aus
einer guten Familie, der bei Andrea
Verocchio und dem berühmten Leonard
da Vinci ſeine Kunſt erlernt hatte. Franz
bewunderte den großen Ausdruck an ſeinen
Bildern, die wohl überdachte Compoſition.
Nachdem ſich beide oft geſehn hatten,
ſagte Ruſtici an einem Tage zu Stern¬
bald: Mein lieber deutſcher Freund, be¬
ſucht mich am künftigen Sonnabend in mei¬
nem Garten vor dem Thore, wir wollen
dort luſtig mit einander ſeyn, wie es ſich für
Künſtler ziemt. Wir machen oft eine fröh¬
liche Geſellſchaft zuſammen, zu der der
Mahler Andrea gehört, den Ihr kennt,
und den man immer del Sarto von ſei¬
nem Vater her zu nennen pflegt; dieſer
wird auch dort ſeyn. Die Reihe, einen
Schmaus zu geben, iſt nun an mich gekom¬
men, Ihr mögt auch Eure Geliebte mitbrin¬
gen, denn wir wollen tanzen, lachen und
ſcherzen.
Wenn ich nun keine habe, die ich mit¬
bringen kann, antwortete Franz.
O, mein Freund, ſagte der Florentiner,
ich würde Euch für keinen guten Künſtler
halten, wenn es Euch daran fehlen ſollte.
Die Liebe iſt die halbe Mahlerei, ſie gehört
mit zu den Lehrmeiſtern in der Kunſt. Ver¬
geßt mich nicht, und ſeyd in meiner Geſell¬
ſchaft recht fröhlich.
Franz verließ ihn. Caſtellani war nach
Genua gereiſt, um dort einen Arzt, ſeinen
Freund, zu ſehn, ſeine Geliebte war in Flo¬
renz zurückgeblieben. Franz bat um ihre
Geſellſchaft auf den kommenden Schmaus,
die ſie ihm auch zuſagte, da ſie ſich wenig
um die Reden der Leute kümmerte.
Der Tag des Feſtes war gekommen.
Lenore hatte ihren ſchönſten Putz angelegt,
und war liebenswürdiger, als gewöhnlich.
Franz war zufrieden, daß ſie Aufmerkſam¬
keit und Flüſtern erregte, als er ſie durch
die Straßen der Stadt führte. Sie ſchien
ſich auch an ſeiner Seite zu gefallen, denn
Franz war jetzt in der blühendſten Periode
ſeines Lebens, ſein Anſehn war munter, ſein
Auge feurig, ſeine Wangen roth, ſein Schritt
und Gang edel, beinahe ſtolz. Er hatte die
Demuth und Schüchternheit faſt ganz abge¬
legt, die ihn bis dahin immer noch als einen
Fremden kennbar machte. Er gerieth nun
nicht mehr ſo, wie ſonſt, in Verlegenheit,
wenn ein Mahler ſeine Arbeiten lobte, weil
er ſich auch daran mehr gewöhnt hatte.
Sternbald fand ſchon einen Theil der
Geſellſchaft verſammelt, die ganz aus jun¬
gen Männern und Mädchen oder ſchönen
Weibern beſtand. Er grüßte den Meiſter
Andrea freundlich, der ihn ſchon kannte,
und der ihm mit ſeiner gewöhnlichen leicht¬
ſinnigen und doch blöden Art dankte. Man
erwartete den Wirth, von dem ſein Schüler
Bandinelli erzählte, daß er nur noch ein
fertiges Gemählde in der Stadt nach dem
Eigenthümer gebracht habe, und eine an¬
ſehnliche Summe dafür empfangen werde.
Der Garten war annmuthig mit Blu¬
mengängen geſchmückt, mit ſchönen grünen
Raſenplätzen dazwiſchen und dunkeln, ſchat¬
tigen Gängen. Das Wetter war ſchön, ein
erfriſchender Wind ſpielte durch die laue
Luft, und erregte ein ſtetes Flüſtern in den
bewegten Bäumen. Die großen Blumen
dufteten, alle Geſichter waren fröhlich.
Francesko Ruſtici kam endlich, nach¬
dem man ihn lange erwartet hatte, er nä¬
herte ſich der Geſellſchaft freundlich, und
hatte das kleine Körbchen in der Hand, in
dem er immer ſeine Baarſchaft zu tragen
pflegte. Er grüßte alle höflich, und bewill¬
kommte Franz vorzüglich freundſchaftlich.
Andrea ging aufgeräumt auf ihn zu, und
ſagte: Nun, Freund, Du haſt noch vorher
ein anſehnliches Geſchäft abgemacht, lege
Deinen Schatz ab, der Dir zur Laſt fällt,
vergiß Deine Mahlereien, und ſey nun ganz
mit uns fröhlich.
Francesko warf lachend den leeren Korb
in's Gebüſch, und rief aus: O, mein Freund,
heute fallen mir keine Geldſummen zur Laſt,
ich habe nichts mehr.
Du biſt nicht bezahlt worden? rief An¬
drea aus, ja, ich kenne die vornehmen und
reichen Leute, die es gar nicht wiſſen und
nicht zu begreifen ſcheinen, in welche Noth
ein armer Künſtler gerathen kann, der ihnen
nun endlich ſeine fertige Arbeit bringt, und
doch mit leeren Händen wieder zurückgehn
muß. Ich bin manchmal ſchon ſo böſe ge¬
worden, daß ich Pinſel uudund Pallette nach¬
her in den Winkel warf und die ganze Mah¬
lereikunſt verfluchte. Sey nicht böſe dar¬
über, Francesko, Du mußt Dich ein Paar
unnütze Gänge nicht verdrießen laſſen.
Er iſt bezahlt, ſagte ein junger Mann,
der mit dem Mahler gekommen war.
Und wo hat er denn ſein Geld gelaſ¬
ſen? fragte Andrea verwundert.
Ihr kennt ja ſeine Art, fuhr jener fort,
wie er keinen Armen vor ſich ſehn kann,
ohne ihn zu beſchenken, wenn er Geld bei
ſich hat. Kaum ſahen ſie ihn daher heute
aus dem Pallaſt kommen und ſeinen bekann¬
ten Korb an ſeinem Arm, als ihm auch alle
Bettler folgen, die mit ſeiner Gutherzigkeit
bekannt ſind. Er gab jedem reichlich, und
nahm es nicht übel, daß einige darunter
waren, denen er erſt geſtern gegeben hatte;
als ich es ihm heimlich ſagte, antwortete er
lachend: mein Freund, ſie wollen aber heute
wieder eſſen. Ein alter Mann ſtand von
der Seite und ſah dem Austheilen zu, er
heftete die Augen aufmerkſam auf den Korb,
und ſeufzte für ſich: Ach Gott, wenn ich
doch nur das Geld hätte, das in dieſem
Korbe iſt! Francesko hatte es unvermuthe¬
terweiſe gehört. Er geht auf den Alten zu,
und frägt, ob es ihn glücklich machen würde?
O, mich und meine Familie, ruft jener, aber
ſeyd nicht böſe, ich dachte nicht, das Ihr es
hören würdet. — Sogleich kehrt mein lau¬
niger Francesko den ganzen Korb um, und
ſchüttet ihm dem alten Bettler in ſeine le¬
derne Mütze, geht davon, ohne auch nur
den Dank abzuwarten.
Ihr ſeyd ein edler Mann! rief Stern¬
bald aus.
O, Ihr irrt, ſagte der Mahler, es iſt
gar nichts Beſondres, ich kann den Armen
nicht ſehn, er jammert mich, und ſo gebe ich
ihm wenigſtens, da ich nicht mehr thun kann.
Bei dieſem Alten fiel mir ein, wie manche
unnütze Ausgaben ich in meinem Leben ſchon
gemacht hätte, wie wenig ich aufopfre, wenn
ich mir eine Tapete oder ein koſtbares Haus¬
geräth verſage. Ich dachte: wenn Du nun
kein Geld bekommen, wenn Du das Ge¬
mählde gar nicht gemahlt hätteſt? Ich ſah
Kinder und ſeine alte zerlumpte Gattin in
Gedanken vor mir, die mit ſo heißer Sehn¬
ſucht ſeine Rückkehr erwarteten.
Aber wenn Du ſo handeln willſt, ſagte
Andrea, ſo kannſt Du Deinem Geben gar
keinen Einhalt thun.
Das iſt es eben, was mich betrübt, fuhr
Ruſtici fort, daß ich meine Gutherzigkeit
einſchränken muß, daß alles, was wir an
Wohlthaten thun können, nichts iſt, weil
wir nicht immer, weil wir nicht alles geben
können. Es iſt eine ſonderbare Fügung des
Schickſals, daß Überfluß und Pracht und
drückender Mangel dicht neben einander be¬
ſtehn müſſen, die Armuth auf Erden kann
niemals aufgehoben werden, und wenn alle
Menſchen gleich wären, müßten ſie alle bet¬
teln, und keiner könnte geben. Das allein
tröſtet mich auch oft darüber, wenn mir ein¬
fällt, daß ich mich bei meiner Kunſt wohl
befinde, indeſſen andre, die weit härtere Ar¬
beiten thun, die weit fleißiger ſind, Mangel
leiden müſſen. Hier iſt auf Erden See und
Weltmeer, hier ſtrömen große Flüſſe, dort
leiden die heißen Ebenen, die wenigen Pflan¬
zen erſterben aus Mangel am nöthigen Waſ¬
ſer. Einer ſoll gar nicht dem andern nützen,
jedes Weſen in der Natur iſt um ſein ſelbſt
willen da. — Doch, wir müſſen über das
Geſpräch nicht unſers Gaſtmahls vergeſſen.
Er verſammelte hierauf die Geſellſchaft.
Ein ſchöner Knabe ging mit einem Korbe
voll großer Blumenkränze herum, jeder
mußte einen davon nehmen und ihn ſich
auf die Stirn drücken. Nun ſetzte man ſich
um einen runden Tiſch, der auf einem ſchat¬
tigen kühlen Platze im Garten gedeckt war,
an allen Orten ſtanden ſchöne Blumen, die
Speiſen wurden aufgetragen. Die Geſell¬
ſchaft nahm ſich ſehr mahleriſch aus, mit
den großen, vollen, bunten Kränzen, jeder
ſaß bei ſeiner Geliebten, Wein ward
herumgegeben, aus den Gebüſchen erſchall¬
ten Inſtrumente von unſichtbaren Mu¬
ſikanten.
Ruſtici ſtand auf, und nahm ein vol¬
les Glas: Nun zuerſt, rief er aus, dem
Stolze von Toskana, dem größten Manne,
den das florentiniſche Vaterland hervorge¬
bracht hat, dem großen Michael Agnolo
Buonarotti! — Alle ſtießen an, alle lie¬
ßen ihr »Er lebe!« ertönen.
Schade, ſagte Andrea, daß unſer wahn¬
ſinnige Camillo uns verlaſſen hat, und
jetzt in Rom herumwandert, er würde uns
eine Rede halten, die ſich gut zu dieſer Ge¬
legenheit ſchickt.
Muntre Trompeten ertönten zu den Ge¬
ſundheiten, und Flöten mit Waldhörnern
gemiſcht klangen, wenn ſie ſchwiegen, vom
entfernten Ende des Gartens. Die Schönen
wurden erheitert, ſie legten nun auch den
Schleier ab, ſie löſ'ten die Locken aus ihren
Feſſeln, der Buſen war bloß. Franz ſagte:
Nur ein Künſtler kann die Welt und ihre
Freuden auf die wahre und edelſte Art ge¬
nießen, er hat das große Geheimniß erfun¬
den, alles in Gold zu verwandeln. In Ita¬
lien iſt es, wo die Wolluſt die Vögel zum
Singen antreibt, wo jeder kühle Baumſchat¬
ten Liebe duftet, wo es dem Bache in den
Mund gelegt iſt, von Wonne zu rieſeln und
zu ſcherzen. In der Fremde, im Norden iſt
die Freude ſelbſt eine Klage, man wagt dort
nicht, den vorüberſchwebenden Engel bei ſei¬
nen großen goldenen Flügel herunterzuziehn.
Ein Mädchen gegenüber nahm den Blu¬
menſtraus von der weißen Bruſt, und warf
ihn Franzen nach den Augen, indem ſie aus¬
rief: Ihr ſolltet ein Dichter ſeyn, Freund,
und kein Mahler, dann ſolltet Ihr lieben,
und Euch täglich in einem neuen Sonnette
hören laſſen.
Nehmt
Nehmt mich zu Eurem Geliebten an,
rief Sternbald aus, ſo mögt Ihr mich viel¬
leicht begeiſtern. Dieſe Blumen will ich als
ein Andenken an Eure Schönheit aufbe¬
wahren.
Sie welken, ſagte jene, der liebliche
Brunnquell, aus dem ihr Duft emporſteigt,
verſiegt, ſie fallen zuſammen, ſie laſſen die
Häupter ſinken, und freilich vergeht alles
ſo, was ſchön genannt wird.
Franz war von der wundervollen Ver¬
ſammlung, von den Blumen, den ſchönen
Mädchen, Muſik und Wein begeiſtert, er
ſtand auf und ſang:
Warum Klagen, daß die Blume ſinkt
Und in Aſche bald zerfällt:
Daß mir heut ein lüſtern Auge winkt
Und das Alter dieſen Glanz entſtellt.
Ihm mit allen Kräften nachzuringen,
Feſt zu halten unſrer Schönen Hand, —
2r Th.) A a
Ja, die Liebe leiht die mächt'gen Schwingen
Von Vergänglichkeit, ſie knüpft das Band.
Sagt, was wäre Glück, was Liebe?
Keiner betete zu ihr
Wenn ſie ewig bei uns bliebe,
Schönheit angefeſſelt hier.
Aber wenn auch keine Trennung droht,
Eiferſucht und Ungetreue ſchweigen,
Alle ſich der Liebe neigen,
Fürchten gleich Geliebte keinen Tod —
Ach! Vergänglichkeit knüpft ſchon die Ketten,
Denen kein Entrinnen möglich bleibt,
Lieb' und Treue können hier nicht retten,
Wenn die harte Zeit Geſetze ſchreibt.
Darum geizen wir nach Küſſen,
Beugen Schönen unſer Knie,
Winke, Lippen, Lächeln grüßen
Allzuoft zur Freude nie.
Als er geendigt hatte, ſchämte er ſich
ſeines Rauſches, und Ruſtici rief aus:
Seht, meine Landsleute, da einen Deut¬
ſchen, der uns Italiener beſchämt! Er wird
uns alle unſre Schönen abtrünnig machen.
Andrea ſagte: Ein Glück, daß ich noch
Bräutigam bin, für meine Frau würd' ich
ſehr beſorgt ſeyn. Aber ſeht ihn nur an,
jetzt ſitzt er ſo ernſthaft da, als wenn er auf
eine Leichenrede dächte. Mir fällt dabei mein
Lehrer Piero di Coſimo ein, der immer von
ſo vielen recht trübſeligen Gedanken beun¬
ruhigt wurde, der ſich vor dem Tode über
alle Maaßen fürchtete, der ſich unter ſon¬
derbaren Phantomen abängſtigte, und ſich
doch wieder an recht reizenden, ja ich möch¬
te beinahe ſagen, leichtfertigen Phantaſieen
ergötzte.
Ruſtici ſagte: Er war gewiß eins der
ſeltſamſten Gemüther, die noch auf Erden
gelebt haben, ſeine Bilder ſind zart und
vom Geiſte der Wolluſt und Lieblichkeit be¬
ſeelt, und er ſaß, gleich einem Gefan¬
A a 2
genen, in ſich ſelber eingeſchloſſen, ſeine
Hand nur ragte aus dem Kerker hervor,
und hatte keinen Theil an ſeinem übrigen
Menſchen. Seine Kunſt luſtwandelte auf
grüner Wieſe, indem ſeine Phantaſie den
Tod herbeirief, nndund tolle, ſchwermüthige
Maskeraden erfand.
Das Geſpräch der Mahler ward hier
unterbrochen, denn die Mädchen und jungen
Leute ſprachen von allerhand luſtigen Neuig¬
keiten aus der Stadt, wodurch die Sprechen¬
den überſtimmt wurden. Das lebhafte Mäd¬
chen, das Laura hieß, erzählte von einigen
Nachbarinnen aus der Stadt überaus fröh¬
liche Geſchichten, die keiner als Franz an¬
ſtößig fand. Er ſaß ihren ſchwarzen Augen
gegenüber, die ihn unabläſſig verfolgten,
bei jeder lebhaften Bewegung, wenn ſie ſich
vorüberbog, machte ſie den ſchönſten Buſen
ſichtbarer, ihre Arme wurden ganz frei,
und zeigten die weißeſte Rundung. — Le¬
nore ward etwas eiferſüchtig, und entblößte
ihre Arme, um ſie mit denen ihrer Gegne¬
rin zu vergleichen, die übrigen Mädchen
lachten.
Mit jeder Minute ward das Geſpräch
munterer. Man ſchlug einen Geſang vor,
die ſanftern Inſtrumente ſollten ihn beglei¬
ten, und Lenore und Laura recitirten ein
damals bekanntes Wechſelliedche n.
Lenore.
Von mir will der Geliebte ziehen,
Deine ſüßen Augen haben die Treu gefangen,
Die treuſte Treu und ſein Verlangen
Will Deiner Schönheit nur entglühen.
Was blühen
Mir Blumen nun, ein läſt'ger Schwarm,
Ich bin im innerſten Herzen arm.
Laura.
Sein Blick ſchweift durch die leere Weite,
Von Sehnſucht wird er fortgeführet,
Er will gewinnen und verlieret,
Ich Arme bin zu geringe Beute,
Ach leite
Die treuſte Treu, den holden Blick
In Dein holdſelig's Reich zurück.
Lenore.
Wenn erſt der Fuß zum Tanz ſich hebet,
Wenn ſchöne Knie mit Bändern prangen,
Sich leicht die vollen Hüften ſchwangen,
Das Mädchen leicht wie Welle ſchwebet,
Dann lebet
Die treuſte Treu für Dich allein,
Zieht fort und läßt mir meine Pein.
Laura.
Er ſieht nach Deines Buſens Glänzen,
Der lockend ihm entgegen reget,
Sein innerſtes Gemüth beweget,
Vergiſſet mich mit allen Tänzen,
Mit Kränzen
Aus meiner Lieb' kommt er zurück,
Die treuſte Treu zu Deinem Glück.
Beide.
Was neiden
Wir beiden
Die Freuden
Der andern?
Es wandern
Die Triebe
Bald ferne,
Die Sterne
Der Liebe
Bald nahe.
Wer ſahe
Der Liebe Kronen
Bei Treue wohnen?
Wir wollen uns beide des Glückes freun,
In Zwietracht nimmer uns entzwei'n,
Durch Neid die Wonne nicht entweihn.
Die Küſſe
So ſüße
Umarmen,
Erwarmen
Am Herzen,
Das Scherzen
Die Eide, die Grüße,
Das Winken, die Küſſe,
Ich gönne ſie Dir,
Wir lieben ihn beide,
Es brennt die Freude
Nur heller allhier,
Damit er nicht ſcheide
Und beide
Mit Zürnen vermeide
Beglücken mit Eintracht den Lieblichſten wir.
Die Mädchen ſangen dieſen lebhaften
Wettgeſang mit einer unausſprechlichen An¬
muth, jede Bewegung ihrer Mienen, jedes
Winken ihrer Augen war lüſtern und ver¬
führeriſch: die ganze Tafel klatſchte, als ſie
geendigt hatten, der junge Mann, der Laura
zum Feſte geführt hatte, wurde verdrüßlich
und einſilbig. Der Strom der Freude nahm
ihn aber bald wieder mit.
Andrea und Francesko hatten ſich ab¬
ſeits unter einen Baum geſetzt, und führten
ein ernſthaftes Geſpräch; beide waren von
Wein begeiſtert. Du verſtehſt mich nicht,
ſagte Ruſtici mit vielem Eifer, der Sinn
dafür iſt Dir verſchloſſen, ich gebe aber dar¬
um doch meine Bemühungen nicht auf.
Glaube nur, mein Beſter, daß zu allen
großen Dingen eine Offenbarung gehört,
wenn ſie ſich unſern Sinnen mittheilen ſollen,
ein Geiſt muß plötzlich herabſteigen, der un¬
ſern Geiſt mit ſeinem fremden Einfluß durch¬
dringt. So iſt es auch mit der erhabenen
Kunſt der Alchymie beſchaffen.
Es iſt und bleibt immer unbegreiflich,
ſagte der langſamere Andrea, daß Du durch
Zeichen und wunderbare, unverſtändliche Ver¬
bindungen ſo viel ausrichten willſt.
Laß mich nur erſt zum Ende kommen,
eiferte Francesko, ſo ſind dieſe Verbindun¬
gen nicht mehr wunderbar, ſo erſcheint alles
einfach und klar vor unſern Augen. Die
anſcheinende Verwirrung muß uns nur nicht
abſchrecken, es iſt die Ordnung ſelbſt, die in
dieſen Buchſtaben, in dieſen unverſtändlichen
Hieroglyphen uns gleichſam ſtammelnd oder
wie aus der Ferne anredet. Treten wir nur
dreiſt näher hinzu, ſo wird jede Sylbe deut¬
licher, und wir verwundern uns denn nur
darüber, daß wir uns vorher verwundern
konnten. Ein guter Geiſt hat dem Stern¬
bald eingegeben, zu ſagen, daß ſich alles
unter der Hand des Künſtlers in Gold ver¬
wandle. Wie ſchwierig iſt der Anfang zu
jeglicher Kunſt! Und wird nicht alles in die¬
ſer Welt verwandelt und aus unkenntlichen
Maſſen zu fremdartigen Maſſen erzogen?
Warum ſoll es mit den Metallen anders
ſeyn? Schweben nicht über die ganze Na¬
tur wohlthätige Geiſter, die nur Seltſam¬
keiten aushauchen, nur in einer Atmosſphäre
von Unbegreiflichkeiten leben, und ſo wie
der Menſch alles ſich gleich oder ähnlich
macht, ſie eben ſo alle Elemente umher, wenn
ſie noch ſo feindſelig ſind, noch ſo träge in
der Alltäglichkeit ſich herumbewegen, anrüh¬
ren und in Wunder umſchaffen. An dieſe
Geiſter müſſen wir glauben, um auf ſie zu
wirken; Du mußt der Begeiſterung beim
Mahlen vertrauen, und Du weißt nicht,
was ſie iſt, woher ſie kömmt, die Geiſter¬
atmosſphäre umweht Dich und es geſchieht:
— mit unſerm innerlichen Seelenothem müſ¬
ſen wir jene Geiſterwelt herbeiſaugen, unſer
Herz muß ſie magnetiſch an ſich reißen, und
ſiehe, ſie muß ihrer Natur nach, durch ihre
bloße Gegenwart das unbegreifliche Wunder
wirken.
Andrea wollte etwas antworten, als
die Trompeten laut ertönten, und ihr ſon¬
derbares Geſpräch unterbrachen. Ihr ſeyd,
ſagte die ſchalkhafte Laura, nach unſerm
Geſange ſehr ernſthaft geworden, das war
nicht unſre Abſicht.
Verzeiht, antwortete der freundliche
Ruſtici, ich kann meine Natur nicht im¬
mer ganz beherrſchen, und alle ſüßen Töne
der Inſtrumente und der Sängerin ziehen
ſie zur Melancholie. Ich habe mich oft
gefragt: woher? warum? aber ich kann
mir ſelber keine Rechenſchaft geben.
Ihr werdet vielleicht dadurch an trübſe¬
lige Gegenſtände erinnert, ſagte Laura.
Nein, das iſt es nicht, fuhr der Mah¬
ler fort, ſondern mir iſt im Gegentheil in¬
nerlich dann ſehr wohl, meine Freude, die
wie ein gefangener Adler in Ketten geſeſſen
hat, ſchlägt nun mit einemmale die muntern,
tapfern Schwingen aus einander. Ich fühle,
wie die Kette zerreißt, die mich noch an der
Erde hielt, über die Wolken hinaus, über
die Bergſpitzen hinüber, der Sonne entgegen
mein Flug gewendet. Aber nun verlieren
ſich unter mir die Farben, und die Abwech¬
ſelungen und Abſonderungen der bunten
Welt. Ich bin frei, aber die Freiheit ge¬
nügt mir nicht, ich kehre zurück und reiße
mich von neuem empor. Es iſt, als wenn
Stimmen mich erinnerten, daß ich ſchon einſt
viel glücklicher geweſen ſey, und daß ich
aus dieſes Glück von neuem hoffen müſſe.
Die Muſik iſt es nicht ſelbſt, die ſo zu mir
ſpricht, aber ich höre ſie wie abgebrochene
Laute aus einer ehemaligen verlornen Welt,
die ganz und durchaus nur Muſik war,
die nicht Theile, Abgeſonderheit hatte,
ſondern wie ein einziger Wohllaut, lauter
Biegſamkeit und Glück dahinſchwebte, und
meinen Geiſt auf ihren weichen Schwanen¬
federn trug, ſtatt daß er auch jetzt noch auf
den ſüßeſten Tönen wie auf Steinen liegt,
und ſein Unglück fühlt und beklagt.
So iſt Euch nicht zu helfen, phantaſti¬
ſcher lieber Mahler und Freund, ſagte Laura
lachend, indem ſie ihm die weiße Hand reichte,
die er ehrerbietig küßte. Dann drehte ſie
ſich von ihm, und ſprach im Getümmel der
übrigen Mädchen umher, ſie hatten beſchloſ¬
ſen, daß ſie nun, da es kühl geworden war,
einen muntern Tanz aufführen wollten, wie
ihn die fröhlichen Landleute in Italien zu
tanzen pflegen.
Der Tanz ging vor ſich, aber Stern¬
bald und Lenore blieben zurück, weil er es
nicht wagen mochte, dieſe leichten, ſchnellen
und ihm ungewöhnlichen Bewegungen mit¬
zumachen, um die übrigen nicht durch ſeine
Ungeſchicklichkeit zu verwirren. Laura tanzte
von allen am zierlichſten, ohne alle Bemü¬
hung gelangen ihr die ſchwierigſten Stellun¬
gen und die ſchnellſten Veränderungen. Franz
ergötzte ſich an den leichten, flatternden Ge¬
wändern, an den ſchön verſchlungenen Figu¬
ren. Die zierlichſten Füße ſchwebten, trip¬
pelten und ſprangen auf und ab, im
Schwunge des Rocks ward das leichte, wohl¬
geformte Bein ſichtbar, weiße Arme und Bu¬
ſen, üppige Hüften, die das Gewand deckte und
verrieth, zogen das Auge nach ſich, und ver¬
wirrten es in dem fröhlichen Tumult. Laura
und einige andre junge Mädchen waren aus¬
gelaſſen, wenn ſie im Sprunge in den Arm
ihres Tänzers flogen, hob dieſer ſie im
Schwunge hoch, und in der Luft ſchwebend
ſangen ſie Stellen aus Liebesliedern in die
Muſik hinein.
Der wilde bacchantiſche Taumel war be¬
ſchloſſen, ein andrer Tanz, der Zärtlichkeit
ausdrückte, wurde angeordnet, auch Lenore
und Sternbald ſchloſſen ſich dem Reihen
an. — Eine ſanfte Muſik erklang, die
Paare umſchlangen ſich und ſchwebten hin¬
auf und hinab, die Hände und Arme be¬
gegneten ſich wieder, und Buſen an Buſen
an Buſen geſchmiegt, begonn eine neue Wen¬
dung. Da ſah man die verführeriſchſten Stel¬
lungen knüpfen, alle Gelenke wurden bieg¬
ſamer, Franz war wie in Trunkenheit ver¬
loren. Die Luft duftete ihnen Wonne und
Freude entgegen, wie auf den Wellen der
Muſik ſchwebte er an Laura's oder Leno¬
rens Arm einher, in jedem tanzenden Ge¬
ſicht kam ihm ein ſchalkhafter Engel ent¬
gegen, der ihm Entzücken predigte. Er
drückte Laura's Hand, die ſeine Zärtlichkeit
erwiederte.
Man ruhte im Schatten der Bäume
aus. Knaben gaben gaben kühlende, wohl¬
ſchmeckende Früchte herum, die Schönen la¬
gerten ſich im Graſe. Andrea war vom
Tanz erhitzt und ſagte: Seht, mein Freund
Sternbald, ſo müßt Ihr Deutſche erſt nach
Italien kommen, um zu lernen, was ſchön
ſey, hier erſt offenbart ſich Euch Natur und
Kunſt.
Kunſt. In Eurem trüben Norden iſt es der
Imagination unmöglich, ihre Flügel auszu¬
dehnen und das Edle zu empfinden.
Mein Lehrmeiſter, Albrecht Dürer, ſagte
Franz, den Ihr doch für einen großen Mann
erkennen müßt, iſt nicht hier geweſen.
Andrea ſagte: Wie ſehr wünſchen aber
auch alle Kunſtfreunde, daß er ſich möchte
hierher bemüht haben, um erſt einzuſehn,
wie viel er iſt, und dann zu lernen, was er
mit ſeinem großen Talente ausrichten könne.
So aber, wie er iſt, iſt er merkwürdig ge¬
nug, doch ohne Bedeutung für die Kunſt,
der Italiener mit weit geringerem Talente
wird doch immer den Sieg über ihn davon
tragen.
Ihr ſeyd unbillig, fuhr Sternbald auf,
ja undankbar, denn ohne ihn, ohne ſeine
Erfindungen würden ſich manche Eurer Ge¬
mählde ohne Figuren behelfen müſſen.
(2r Th.) B 6
Ihr müßt nicht heftig werden, ſagte der
lindernde Fransesko, wahr iſt es, Dürer iſt
Andrea's hülfreicher Freund, und vielleicht
verläſtert er ihn eben darum, weil er ſich
der Dienſte zu gut bewußt iſt, die jener ihm
geleiſtet hat. Aber wir wollen lieber ein
Geſpräch abbrechen, das Euch nur erhitzt.
Die Muſik lärmte dazwiſchen, Andrea,
der wenig ſtreitſüchtig war, gab ſeine Mei¬
nung auf, die Tänze fingen von neuem an.
Es wurde Abend: manche von der Geſell¬
ſchaft gingen nach Hauſe, einigen wurden
von ihren Dienern Pferde gebracht. Ruſtici
ließ eins der ſchönſten Pferde in den Garten
kommen, und ſetzte ſich hinauf, indem er
durch die Baumgänge ritt, die muthwillige
Laura ließ ſich zu ihm hinaufheben, und in
einem leichten Gallopp ritt ſie hin und her,
indem ſie vor dem Mahler ſaß, der ſie mit
ſeinen Armen feſthielt. Franz bewunderte
das ſchöne Gemählde, er glaubte den Raub
der Dejanire vor ſich zu ſehn, der Kranz in
ihren Haaren ſchwankte und drohte herab¬
zufallen, leicht ſaß ſie oben, und doch von
einer kleinen Ängſtlichkeit beunruhigt, die
ſie noch ſchöner machte: das Pferd hob
ſich majeſtätiſch, auf ſeine Beute ſtolz. Zwei
Trompeten blieſen einen muthigen Marſch,
die prächtigen Töne begleiteten die Bewe¬
gungen des Roſſes und der gewandte und
ſtarke Ruſtici ſaß wie ein Gott oben.
Die zurückgebliebenen Freunde führte
Francesko nun nach einem andern Theile
ſeines Gartens. Hier war ein runder Zirkel
von Bäumen, und Feſtons und Guirlanden
von allerhand Blumen hingen in den Zwei¬
gen und ſchaukelten im Abendwinde, farbige
Lampen brannten dazwiſchen, dämmernde Lau¬
ben waren in den Baumniſchen angelegt. Wein
und Früchte wurden genoſſen: die zärtlichen
B b 2
Paare ſaßen neben einander, Muſik ermun¬
terte ſie, ihr Liebesgeſpräch zu führen, Lau¬
ra's Tänzer hatte Abſchied genommen, Franz
umſchlang das Mädchen und Lenore mit ſei¬
nen Armen.
Spät trennte man ſich, Laura und Le¬
nore gingen mit einander, die Dirne blieb
in der Nacht bei ihr, und Franz gab freu¬
dig der Einladung nach, auch dort zu ver¬
weilen.
Fünftes Kapitel.
Caſtellani war zurückgekommen, Franz hatte
in ſeiner und Lenorens Geſellſchaft Florenz
verlaſſen. Jetzt waren ſie vor Rom, die
Sonne ging unter, alle ſtiegen aus dem
Wagen, um den erhabenen Anblick zu ge¬
nießen. Eine mächtige Gluth hing über der
Stadt, das Rieſengebäude, die Peterskirche,
ragte über allen Häuſern hervor, alle Ge¬
bäude ſahen dagegen nur wie Hütten
aus. — Sternbald's Herz klopfte, er hat¬
te nun das, was er von Jugend auf im¬
mer mit ſo vieler Inbrunſt gewünſcht hat¬
te, er ſtand nun an der Stelle, die ihm ſo
oft ahndungsvoll vorgeſchwebt war, die er
ſchon in ſeinen Träumen geſehn hatte.
Sie fuhren durch's Thor, ſie ſtiegen in
ihrem Quartiere ab. Sternbald fühlte ſich
immer begeiſtert, die Straßen, die Häuſer,
alles redete ihn an. Noch ſpät ſah er dem
Mondſchein nach, er verwunderte ſich über
ſich ſelbſt, als er nach Lenorens Gemach
ging, die ihn erwartete.
Caſtellani war ein großer Freund der
Kunſt, er ſtudirte ſie unabläſſig, und ſchrieb
darüber, ſprach auch viel mit ſeinen Freun¬
den. Sternbald war ſein Liebling, dem er
gern alle ſeine Gedanken mittheilte, dem er
nichts verbarg. Er hatte in Rom viele Be¬
kannte, meiſtens junge Leute, die ſich an
ihn ſchloſſen, ihn oft beſuchten und gewiſſer¬
maßen eine Schule oder Akademie um ihn
bildeten. Auch ein gewiſſer Camillo, deſſen
Andrea del Sarto ſchon erwähnt hatte, be¬
ſuchte ihn. Dieſer Camillo war ein Greis,
lang und ſtark, der Ausdruck ſeiner Mienen
hatte etwas Seltſames, ſeine großen feuri¬
gen Augen konnten erſchrecken, wenn er ſie
plötzlich herumrollte. Seine Art zu ſprechen
war eben ſo auffallend, er galt bei allen
ſeinen Bekannten für wahnſinnig, ſie behan¬
delten ihn als einen Unverſtändigen, den
man ſchonen müſſe, weil er der Schwächere
ſey. Er ſprach wenig, und hörte nur zu,
Caſtellani war freundlich gegen ihn, nahm
aber ſonſt mit ihm wenige Rückſicht.
Sternbald beſuchte die Kirchen, die Ge¬
mähldeſammlungen, die Mahler. Er konnte
nicht zur Ruhe kommen, er ſah und erfuhr
ſo viel, daß er nicht Zeit hatte, ſeine Vor¬
ſtellungen zu ordnen. Dabei gab er ſich
Mühe, mit jedem Tage in ſeinen Begriffen
weiter zu kommen, und in das eigentliche
Weſen und die Natur der Kunſt einzudrin¬
gen. Er fühlte ſich zu Caſtellani freund¬
ſchaftlich hingezogen, weil er durch dieſen
am meiſten in ſeiner Ausbildung, in der Er¬
kenntniß gewann; er beſuchte die Geſellſchaf¬
ten fleißig, und beſtrebte ſich, kein Wort,
nichts, was er dort lernte, wieder zu ver¬
lieren
Caſtellani's Begriffe von der Kunſt wa¬
ren ſo erhaben, daß er keinen der lebenden
oder geſtorbenen Künſtler für ein Muſterbild,
für vollendet wollte gelten laſſen. Er belä¬
chelte oft Sternbald's Heftigkeit, der ihm
Rafael, Buonarotti, oder gar Albrecht Dü¬
rer nannte, der ſich ungern in Vergleichun¬
gen einließ, und meinte, jeder ſey für
ſich der Höchſte und Trefflichſte. Ihr ſeyd
noch jung, ſagte dann ſein älterer Freund,
wenn Ihr weiter kommt, werdet Ihr ſtatt
der Künſtler die Kunſt verehren, und ein¬
ſehn, wie viel noch einem jeden gebricht.
Sternbald gewöhnte ſich mit einiger Über¬
windung an ſeine Art zu denken, er zwang
ſich, nicht heftig zu ſeyn, nicht ſeine Ge¬
fühle ſprechen zu laſſen, wenn ſein Verſtand
und Urtheil in Anſpruch genommen wurden.
Er ſah jetzt mehr als jemals ein, wie weit
er in der Kunſt zurück ſey, ja wie wenig
die Künſtler ſelbſt von ihrer Beſchäftigung
Rechenſchaft geben könnten.
Es ward ſo eingerichtet, daß ſich die
Geſellſchaft zweimal in der Woche verſam¬
melte, und jedesmal wurde über die Kunſt
disputirt, wobei ſich Caſtellani beſonders mit
ſeinen Reden hervorthat. Sie waren an ei¬
nem Nachmittage wieder verſammelt, auch
Camillo war zugegen, der abſeits in einer
Ecke ſtand und kaum hinzuhören ſchien.
Ihr weicht, ſagte Sternbald zu ſeinem
Freunde Caſtellani, darin von den meiſten
Eurer Zeitgenoſſen ab, daß Ihr Buonarot¬
ti's jüngſtes Gericht nicht für den Triumph
der Kunſt haltet.
Die Nachwelt, ſagte Caſtellani, wird
gewiß meiner Meinung ſeyn, wenn erſt mehr
Menſchen die Frage unterſuchen werden:
Was ſoll Kunſt ſeyn? was kann ſie ſeyn?
Ich bin gar nicht in Abrede, und es wäre
thöricht von mir, dergleichen zu läugnen,
daß Michael Angelo ein ausgezeichneter
Geiſt iſt, nur iſt es wohl Übereilung des
Zeitalters, ihn und Rafael über alle übri¬
gen Sterblichen hinüberzuheben, und zu ſa¬
gen: ſeht, ſie haben die Kunſt erfüllt!
Jegliche Kunſt hat ihr eigenthümliches
Gebiet, ihre Gränzen, über die ſie nicht
hinausſchreiten darf, ohne ſich zu verſündi¬
gen. So die Poeſie, Muſik, Sculptur und
Mahlerei. Keiner muß in das Gebiet des
andern ſtreifen, jeder Künſtler muß ſeine
Heimath kennen. Dann muß jeglicher die
Frage genau unterſuchen: was er mit ſei¬
nen Mitteln für vernünftige Menſchen zu
leiſten im Stande iſt. Er wird ſeine Hiſto¬
rie wählen, er wird den Gegenſtand über¬
denken, um ſich keine Unwahrſcheinlichkeiten
zu Schulden kommen zu laſſen, um nicht
durch Einwürfe des kalten, richtenden Ver¬
ſtandes ſeinen Zauber der Compoſition wie¬
der zu zerſtören. Den Gegenſtand gut zu
wählen iſt aber nicht genug, auch den Au¬
genblick ſeiner Handlung muß er fleißig über¬
denken, damit er den größten, intereſſante¬
ſten heraushebe, und nicht am Ende mahle,
was ſich nicht darſtellen läßt. Dazu muß
er die Menſchen kennen, er muß ſein Ge¬
müth und fremde Geſinnungen beobachtet
haben, um den Eindruck hervorzubringen,
dann wird er mit gereinigtem Geſchmacke
das Bizarre vermeiden, er wird nur täu¬
ſchen und hinreißen, rühren aber nicht er¬
ſtaunen wollen. Nach meinem wohlüber¬
dachten Urtheil hat noch keiner unſrer Mah¬
ler alle dieſe Forderungen erfüllt, und wie
könnte es irgend einer, da ſich noch keiner der
erſt genannten Studien befliſſen hat? Dieſe
müſſen erſt in einem hohen Grade ausgebil¬
det ſeyn, ehe die Künſtler nur dieſe Forde¬
rungen anerkennen werden.
Um namentlich von Buonarotti zu ſpre¬
chen, ſo glaube ich, daß er durch ſein Bei¬
ſpiel die Kunſt um viele wichtige Schritte
wieder zurückgebracht hat, ſtatt ihr weiter
zu helfen, denn er hat gegen alle Erforder¬
niſſe eines guten Kunſtwerks geſündigt. Was
will die richtige Zeichnung ſeiner einzelnen
Figuren, ſeine Gelehrſamkeit im Bau des
menſchlichen Körpers, wenn ſeine Gemählde
ſelbſt ſo gar nichts ſind? Sein jüngſtes Ge¬
richt iſt eine ungeheure Wand voller Figu¬
ren in mannichfaltigen Stellungen, aber ohne
alle Verbindung, ohne Wirkung. Der Zweck
ſeiner Darſtellung iſt ohne Schönheit, eine
Handlung, die keine iſt, die ſich nicht an¬
ſchauen, nicht darſtellen läßt, die ſich ſelbſt
nicht in der Erzählung vortragen läßt: es
ſind tauſend Begebenheiten, die ſich durch¬
aus nicht zu einer einzigen verbinden laſſen.
Schwebende Geſtalten, ruhende Selige und
Verdammte, Engel und die Madonna. Das
Auge findet keinen Ruhepunkt, es frägt:
was ſoll ich hier ſehn? Mythologie der Al¬
ten mit chriſtlicher Idee vermiſcht, Verzer¬
rung der Verzweiflung. Der Augenblick im
Gemählde ſelbſt iſt unentſchieden, die Engel
oben mit Zubereitungen beſchäftigt, ein all¬
gemeiner Moment des Entſetzens, und unten
ſchon die Verdammung Vieler entſchieden.
Es ſcheint, das jüngſte Gericht iſt noch nicht
fertig, und darin hat der Mahler beſonders
ſeine wenige Überlegung bewieſen. Was ſoll
ich aber genießen und fühlen, wenn die Aus¬
führung auch gar keinen Tadel verdiente?
Nichts! rief Camillo aus, indem er mit
dem höchſten Unwillen hervortrat. Glaubt
Ihr, daß der große, der übergroße Buona¬
rotti daran gedacht hat, Euch zu entzücken,
als er ſein mächtiges Werk entwarf? O,
Ihr Kurzſichtigen, die Ihr das Meer in
Bechern erſchöpfen wollt, die Ihr dem Stro¬
me der Herrlichkeit ſeine Ufer macht, welcher
unſelige Geiſt iſt über Euch gekommen, daß
Ihr alſo verwegen ſeyn dürft? Ihr glaubt
die Kunſt zu ergründen, und ergründet nur
Eure Engherzigkeit, nach dieſer ſoll ſich der
Geiſt Gottes richten, der jene erhabene
Ebenbilder des Schöpfers beſeelt. Ihr lä¬
ſtert die Kunſt, wenn Ihr ſie erhebt, ſie iſt
nur ein Spiel Eurer nichtigen Eitelkeit. Wie
der Allmächtige den Sünder duldet, ſo er¬
laubt auch Angelo's Größe, ſeine unſterbli¬
chen Werke, ſeine Rieſengeſtalten dulden es,
daß Ihr ſo von ihnen ſprechen dürft, und
beides iſt wunderbar.
Er verließ im Zorne den Saal, und
alle erhuben ein lautes Lachen. Was er
nicht verſteht, ſagte Sternbald's Nachbar,
hält er für Unſinn. Sternbald aber war
von den Worten und den Gebehrden des
Greiſes tief ergriffen, dieſer enthuſiaſtiſche
Unwille hatte ihn mit angefaßt, er verließ
ſchnell die Geſellſchaft, ohne ſich zu entſchul¬
digen, ohne Abſchied zu nehmen.
Er ging dem Alten durch die Straßen
nach, und traf ihn in der Nähe des Vati¬
kans. Verzeiht, ſagte Sternbald, daß ich
Euch anrede, ich gehöre nicht zu jenen,
meine Meinung iſt nicht die ihrige, immer
hat ſich mein Herz dagegen empört, ſo mit
dem Ehrwürdigſten der Welt umzugehn.
Ich war ein Thor, ſagte der Greis,
daß ich mich wieder, wie mir oft geſchieht,
von meiner Hitze übereilen ließ. Wozu
Worte? Wer verſteht die Rede des andern?
Er nahm Franz bei der Hand, ſie gin¬
gen durch das große Vatikan, der Alte eilte
nach der Capelle des Sixtus. Schon fiel
der Abend und ſeine Dämmerung herein,
die großen Säle waren nur ungewiß er¬
leuchtet. Er ſtellte ihn vor das jüngſte Ge¬
richt, und ging ſchweigend wieder fort.
In der ruhigen Einſamkeit ſchaute Stern¬
bald das erhabene Gedicht mit demüthigen
Augen an. Die großen Geſtalten ſchienen
ſich von oben herab zu bewegen, das ge¬
waltige Entſetzen des Augenblick's bemächtigte
ſich auch ſeiner. Er ſtand da, und bat den
Figuren, dem Geiſte Michael Angelo's ſeine
Verirrung ab.
Die großen Apoſtel an der Decke ſahen
ihn ernſt mit ihren ewigen Zügen und Mie¬
nen an, die Schöpfungsgeſchichte lag wun¬
derbar da, der Allmächtige auf dem Sturm¬
winde herfahrend. Aber wie ein donnerndes
Gewitter ſtand vorzüglich das jüngſte Ge¬
richt vor ſeinen Augen; er fühlte ſich inner¬
lich
lich neu verändert, neu geſchaffen, noch nie
war die Kunſt ſo mit Heeresmacht auf ihn
zugekommen.
Hier haſt Du Dich verklärt, Buona¬
rotti, großer Eingeweihter, ſagte Franz,
hier ſchweben Deine furchtbaren Räthſel,
Du kümmerſt Dich nicht darum, wer ſie
verſteht.
(2r Th.) C c
Sechstes Kapitel.
Franz fand den bisherigen Leichtſinn ſeiner
Lebensweiſe nüchtern und ungenügend, er
bereute manche Stunde, er nahm ſich vor,
ſich inniger der Kunſt zu widmen. Er brach
den Umgang mit der ſchönen Lenore ab, er
fühlte es innig, daß er ſie nicht liebe. Sein
Freund Caſtellani verſpottete ihn, und be¬
dauerte ſeine Anlagen, die nun nothwendig
verderben müßten, aber Franz empfand die
Leerheit dieſes Menſchen, und achtete jetzt
nicht darauf.
Eine neue Liebe zur Kunſt erwachte in
ihm, ſein Jugendleben in Nürnberg, ſein
Freund Sebaſtian traten mit friſcher Lieb¬
lichkeit vor ſeine Seele. Er machte ſich Vor¬
würfe, daß er bisher ſo oft Dürer und Se¬
baſtian aus ſeinem Gedächtniſſe verloren.
Er nahm ſeine geliebte Schreibtafel hervor,
und küßte ſie, die verwelkten Blumen rühr¬
ten ihn zu Thränen: ach, Du biſt nun auch
verwelkt und dahin! ſeufzte er. Auch das
Bildniß, das er vom Berge mitgenommen
hatte, ſtellte er vor ſich. — Ihm fiel der
Brief der Gräfin in die Hände, den er bis
dahin ganz vergeſſen hatte.
Er beſchloß, die Familie noch an die¬
ſem Tage aufzuſuchen, er fühlte ein Bedürf¬
niß nach neuen Freunden. Franz nahm den
Brief und erkundigte ſich nach der Woh¬
nung, ſie ward ihm bezeichnet. Die Leute,
die er ſuchte, lebten vor der Stadt in einem
Garten. Ein Diener empfing ihn, und lei¬
tete ihn durch angenehme Baumgänge, der
Garten war nicht groß, aber voller Obſt
und Gemüſe. In einem kleinem niedlichen
Gartenhauſe, ſagte der Diener, würde er
die Tochter finden, die Mutter ſey ausge¬
gangen, der Vater ſchon ſeit ſechszehn Jah¬
ren todt. Franz bemerkte durch das Fenſter
einen weißen runden Arm, eine ſchöne Hand,
die auf einer Zitter ſpielte. Indem begeg¬
nete ihm ein alter Mann, der faſt achtzig
Jahre alt zu ſeyn ſchien, er verließ das
Gartenhaus, und ging durch den Garten
nach dem Wohnhauſe zurück. Franz trat
in das Zimmer. Das Mädchen legte die
Zitter weg, als ſie ihn bemerkte, ſie ging
ihm entgegen.
Beide ſtanden ſich gegenüber und erſtaun¬
ten, beide erkannten ſich im Augenblicke.
Franz zitterte, er konnte die Sprache nicht
wiederfinden, die Stunde, die er ſo oft als
die ſeligſte ſeines Lebens herbeigewünſcht
hatte, überraſchte ihn zu unerwartet. Es
war das Weſen, dem er nachgeeilt war,
die er in ſeinem Geburtsdorfe geſprochen,
die er mit aller Seele liebte, die er verlo¬
ren glaubte. Sie ſchien faſt eben ſo be¬
wegt, er gab ihr den Brief der Gräfin, ſie
durchflog ihn ſchnell, ſie ſprach nur von dem
Orte, wo ſie ihn vor anderthalb Jahren ge¬
ſehn und geſprochen. Er nahm die theure
Brieftaſche, er reichte ſie ihr hin, und in¬
dem hörte man durch den Garten ein Wald¬
horn ſpielen. Nun konnte ſich Franz nicht
länger aufrecht halten, er ſank vor der ſchö¬
nen bewegten Geſtalt in die Knie, weinend
küßte er ihre Hände. Die wunderbare Stim¬
mung hatte auch ſie ergriffen, ſie hielt die
vertrockneten Blumen ſchweigend und ſtau¬
nend in Händen, ſie beugte ſich zu ihm hin¬
ab. — O, daß ich Euch wiederſehe! ſagte
ſie ſtammelnd; allenthalben iſt mir Euer Bild
gefolgt.— Und dieſe Blumen, rief Sternbald
aus, erinnert Ihr Euch des Knaben, der ſie
Euch gab? Ich war es; ich weiß mich nicht
zu faſſen. — Er ſank mit dem Kopfe in
ihren Schooß, ihr holdes Geſicht war auf
ihn herabgebeugt, das Waldhorn phanta¬
ſirte mit herzdurchdringenden Tönen, er
drückte ſie an ſich und küßte ſie, ſie ſchloß
ſich feſter an ihn, beide verloren ſich im
ſtaunenden Entzücken.
Franz wußte immer noch nicht, ob er
träume, ob alles nicht Einbildung ſey. Das
Waldhorn verſtummte, er ſammelte ſich wie¬
der. Ohne daß ſie es gewollt hatten, faſt oh¬
ne daß ſie es wußten, hatten beide ſich ihre
Liebe geſtanden. — Was denkt Ihr von
mir? ſagte Marie mit einem holdſeligen
Erröthen. Ich begreife es ewig nicht, aber
Ihr ſeyd mir wie ein längſtgekannter Freund,
Ihr ſeyd mir nicht fremde.
Iſt unſre eigne Seele, iſt unſer Herz
uns fremd? rief Sternbald aus. Nein, von
dieſem Augenblicke an erſt beginnt mein Le¬
ben, o, es iſt ſo wunderbar und doch ſo
wahr. Warum wollen wir's begreifen? —
Seyd Ihr glücklich? — Biſt Du meine
ſüße Geliebte? Bin ich der, den Du ſuch¬
teſt? Findeſt Du mich gern wieder?
Sie gab ihm beſchämt die Hand und
drückte ſie. Der alte Mann kam zurück,
und meldete, daß er ausgehn müſſe, Franz
betrachtete ihn mit Erſtaunen, er errieth,
daß es derſelbe ſeyn müſſe, der muſicirt
habe, den er ſchon in der Kindheit auf dem
grünen Raſenplatze geſehn. Die Bäume
rauſchten draußen ſo wunderbar, er hörte
aus der Ferne das Geräuſch auf der Land¬
ſtraße, jedes andre Leben erſchien ihm trau¬
rig, nur ſein Daſeyn war das freudigſte und
glorreichſte.
Er ging, weil er die Rückkehr der Mut¬
ter nicht erwarten wollte, er verſprach, ſeine
Geliebte am folgenden Tage zu beſuchen.
Durch's Feld ſchweifte er umher, er
ſah noch immer ſie, den Garten, ihr Zim¬
mer vor ſich. Er war in der Stadt, und
konnte ſich nicht beſinnen, welchen Weg er
gekommen war. In ſeiner Stube nahm er
ſeine Zitter und küßte ſie, er griff in die
Töne hinein, und Liebe und Entzücken ant¬
wortete ihm in der Sprache der Muſik.
In der ganzen Natur vernahm er Gruß
und Glückwunſch. Er wollte ſeinem Se¬
baſtian ſchreiben, aber er konnte nicht zur
Ruhe kommen. Er fing an, aber ſeine Ge¬
danken verließen ihn, er ſchrieb folgendes
nieder:
Sanft umfangen
Vom Verlangen,
Abendwolken ziehn,
O, gegrüßt ſey holdes Glücke,
Endlich, endlich meinem Blicke,
Längſt gepflanzte Blumen blühn.
Abendröthe winkt herunter:
Hoffe auf den Morgen munter;
Winde eilen, verkünden's der Ferne,
Blicken auf mich nieder die freundlichen Sterne.
Keiner, der nicht grüßend niederſchaute:
Iſt es, ſingen ſie, Dir gelungen?
Welche Töne rühren ſich in der Laute,
Von unſichtbarer Geiſterhand durchklungen?
Von ſelbſt erregt ſie ſich zum Spiele,
Will ihre Worte gern verkünden,
Kennſt Du, Vertraute, die Gefühle,
Die quälend, beglückend mein Herz entzünden?
O töne, ich kann das Lied nicht finden,
Das Leid, das Glück, das mich bewegt,
Und Klang und Luſt in mir erregt.
Will ich von Glück, von Freude ſingen,
Von alten, wonnevollen Stunden?
Es iſt nicht da und fern verſchwunden,
Mein Geiſt von Entzücken feſtgebunden,
Beengt, beſchränkt die goldnen Schwingen.
Geht die Liebe wohl auf Deinem Klange
Iſt ſie's, die Deine Töne rührt?
Und dieſes Herz mit ſtrebendem Drange
Auf Deinen Melodien entführt?
Mit Zitterklang kam ſie mir entgegen,
Mein Geiſt in Netzen von Tönen gefangen,
Ich fühlte ſchon dies Beben, dies Bangen,
Entzücken überſtrömte, ein goldner Regen.
Sie ſaß im Zimmer, wartete mein,
Die Liebe führte mich hinein,
Erklang das alte Waldhorn drein.
Dein voller Klang
Mein Herz ſchon oft durchdrang,
Meiner Liebe vertraut,
Von Deinem Ton mein Herz durchſchaut.
Nun verſtummen nie die Töne,
Lautenklang mein ganzes Leben,
Herz verklärt in ſchönſter Schöne,
Wundervollem Glanz und Weben
Hingegeben.
Ende des zweiten Theils.