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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

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"Aus der Geschichte nicht, meine Gnädigste.
Sie ist ein großes Quodlibet, wo Platz ist für vieles.
Nur aus dem Katechismus der Wenigen, streiche
ich sie, welche wissen, was sie wollen."

"Und wie wenige Größen bleiben dann übrig,"
erwiederte die Geheimräthin.

"Wenige, aber zum belehrenden Exempel genug.
Cäsar blieb sich gleich bis zum Gipfelpunkt."

"Und fiel durch Mörderhand."

"Der rohe Zufall liegt außer unserer Berech¬
nung; er fiel, nachdem er erreicht, was er erstrebt.
Und doch vielleicht war's auch nicht ganz Zufall!"

"Wie hätte Cäsar den Arm des Brutus hem¬
men können, wenn er keine Ahnung seines Vorsatzes
hatte!"

Der Legationsrath lächelte: "Cäsar hatte Ver¬
trauen, wo er nur Argwohn haben durfte. Cäsar
war der große Mann, weil er sich selbst Alles ver¬
dankte, weil er im Siegerglück nicht glaubte, daß er
nun genug gehandelt, daß nun das Schicksal für ihn
wieder handeln müsse, weil er nicht, von der eignen
Größe trunken, an eine Mission glaubte. Aber er
irrte, als er glaubte, daß ein großer Mann auch so¬
genannte menschliche Regungen haben, daß er, ohne
ein bestimmtes Interesse, großmüthig sein dürfe. Er
durfte nur auf die Schlechtigkeit der Menschen spe¬
culiren, und er speculirte auf ihren Edelsinn. Er,
in seiner Lage, durfte nicht hoffen und lieben, nur
beobachten und rechnen, und ihm war der Argwohn

„Aus der Geſchichte nicht, meine Gnädigſte.
Sie iſt ein großes Quodlibet, wo Platz iſt für vieles.
Nur aus dem Katechismus der Wenigen, ſtreiche
ich ſie, welche wiſſen, was ſie wollen.“

„Und wie wenige Größen bleiben dann übrig,“
erwiederte die Geheimräthin.

„Wenige, aber zum belehrenden Exempel genug.
Cäſar blieb ſich gleich bis zum Gipfelpunkt.“

„Und fiel durch Mörderhand.“

„Der rohe Zufall liegt außer unſerer Berech¬
nung; er fiel, nachdem er erreicht, was er erſtrebt.
Und doch vielleicht war's auch nicht ganz Zufall!“

„Wie hätte Cäſar den Arm des Brutus hem¬
men können, wenn er keine Ahnung ſeines Vorſatzes
hatte!“

Der Legationsrath lächelte: „Cäſar hatte Ver¬
trauen, wo er nur Argwohn haben durfte. Cäſar
war der große Mann, weil er ſich ſelbſt Alles ver¬
dankte, weil er im Siegerglück nicht glaubte, daß er
nun genug gehandelt, daß nun das Schickſal für ihn
wieder handeln müſſe, weil er nicht, von der eignen
Größe trunken, an eine Miſſion glaubte. Aber er
irrte, als er glaubte, daß ein großer Mann auch ſo¬
genannte menſchliche Regungen haben, daß er, ohne
ein beſtimmtes Intereſſe, großmüthig ſein dürfe. Er
durfte nur auf die Schlechtigkeit der Menſchen ſpe¬
culiren, und er ſpeculirte auf ihren Edelſinn. Er,
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[64/0074] „Aus der Geſchichte nicht, meine Gnädigſte. Sie iſt ein großes Quodlibet, wo Platz iſt für vieles. Nur aus dem Katechismus der Wenigen, ſtreiche ich ſie, welche wiſſen, was ſie wollen.“ „Und wie wenige Größen bleiben dann übrig,“ erwiederte die Geheimräthin. „Wenige, aber zum belehrenden Exempel genug. Cäſar blieb ſich gleich bis zum Gipfelpunkt.“ „Und fiel durch Mörderhand.“ „Der rohe Zufall liegt außer unſerer Berech¬ nung; er fiel, nachdem er erreicht, was er erſtrebt. Und doch vielleicht war's auch nicht ganz Zufall!“ „Wie hätte Cäſar den Arm des Brutus hem¬ men können, wenn er keine Ahnung ſeines Vorſatzes hatte!“ Der Legationsrath lächelte: „Cäſar hatte Ver¬ trauen, wo er nur Argwohn haben durfte. Cäſar war der große Mann, weil er ſich ſelbſt Alles ver¬ dankte, weil er im Siegerglück nicht glaubte, daß er nun genug gehandelt, daß nun das Schickſal für ihn wieder handeln müſſe, weil er nicht, von der eignen Größe trunken, an eine Miſſion glaubte. Aber er irrte, als er glaubte, daß ein großer Mann auch ſo¬ genannte menſchliche Regungen haben, daß er, ohne ein beſtimmtes Intereſſe, großmüthig ſein dürfe. Er durfte nur auf die Schlechtigkeit der Menſchen ſpe¬ culiren, und er ſpeculirte auf ihren Edelſinn. Er, in ſeiner Lage, durfte nicht hoffen und lieben, nur beobachten und rechnen, und ihm war der Argwohn

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/74>, abgerufen am 23.11.2024.