Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.

Bild:
<< vorherige Seite

Strukaras,
Gedancke in den Weg legete. Diese Jünglinge
wurden mit zunehmenden Jahren zwar am Cör-
per, aber nicht am Geschmacke stärcker. Jhr Ge-
schmack blieb verzärtelt, blöde und ungewiß.
Sie brachten ihn mit sich in die untern Classen,
auf die Universitäten, in die Staatscabinete,
und an die Höfe. Der Rector, der Professor,
der Staatsminister, der Consistorialrath, wa-
ren verderbt, und verderbten wieder. Dadurch
wurden die falschen Lehrsätze des Verführers
beynahe allgemein. Sie machten eine Secte, ja
es schien daß sie den Dienst des Apollo und der
Musen noch verdringen würden. Die Köpfe
von gutem Geschmacke, deren man noch allezeit
zwanzig bis dreissig zehlete, berieffen sich zwar
auf das Urtheil der Nachwelt, aber das half
ihnen wenig, weil diese zu ihren Zeiten nicht er-
schien, oder nicht reden wollte. Sie schrien mit
einem glücklichern Fortgang den Apollo an, er
warf einen gütigen Blick auf sie. Der Stoltz,
die Gewalt und der Jammer, den sie in dem
Reiche des Witzes anstelleten, verdroß ihn. Er
gab der Critick, einer Göttin, die unter ihm
herrschete, Befehl, sich den Betriegern zu wi-
dersetzen, und den reinen Lehren der Musen, sei-
ner Töchter, wieder aufzuhelfen.

Die Critick munterte in dieser Absicht etliche
einsichtsreiche Köpfe auf, welche in der poe-
tischen und andern angenehmen Schreibarten
bald ein neues Licht aufstecketen. Denn sie
holeten die unveränderlichen Grundsätze wieder
hervor, welche mit der menschlichen Natur ihren

Ursprung

Strukaras,
Gedancke in den Weg legete. Dieſe Juͤnglinge
wurden mit zunehmenden Jahren zwar am Coͤr-
per, aber nicht am Geſchmacke ſtaͤrcker. Jhr Ge-
ſchmack blieb verzaͤrtelt, bloͤde und ungewiß.
Sie brachten ihn mit ſich in die untern Claſſen,
auf die Univerſitaͤten, in die Staatscabinete,
und an die Hoͤfe. Der Rector, der Profeſſor,
der Staatsminiſter, der Conſiſtorialrath, wa-
ren verderbt, und verderbten wieder. Dadurch
wurden die falſchen Lehrſaͤtze des Verfuͤhrers
beynahe allgemein. Sie machten eine Secte, ja
es ſchien daß ſie den Dienſt des Apollo und der
Muſen noch verdringen wuͤrden. Die Koͤpfe
von gutem Geſchmacke, deren man noch allezeit
zwanzig bis dreiſſig zehlete, berieffen ſich zwar
auf das Urtheil der Nachwelt, aber das half
ihnen wenig, weil dieſe zu ihren Zeiten nicht er-
ſchien, oder nicht reden wollte. Sie ſchrien mit
einem gluͤcklichern Fortgang den Apollo an, er
warf einen guͤtigen Blick auf ſie. Der Stoltz,
die Gewalt und der Jammer, den ſie in dem
Reiche des Witzes anſtelleten, verdroß ihn. Er
gab der Critick, einer Goͤttin, die unter ihm
herrſchete, Befehl, ſich den Betriegern zu wi-
derſetzen, und den reinen Lehren der Muſen, ſei-
ner Toͤchter, wieder aufzuhelfen.

Die Critick munterte in dieſer Abſicht etliche
einſichtsreiche Koͤpfe auf, welche in der poe-
tiſchen und andern angenehmen Schreibarten
bald ein neues Licht aufſtecketen. Denn ſie
holeten die unveraͤnderlichen Grundſaͤtze wieder
hervor, welche mit der menſchlichen Natur ihren

Urſprung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0058" n="56"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Strukaras,</hi></fw><lb/>
Gedancke in den Weg legete. Die&#x017F;e Ju&#x0364;nglinge<lb/>
wurden mit zunehmenden Jahren zwar am Co&#x0364;r-<lb/>
per, aber nicht am Ge&#x017F;chmacke &#x017F;ta&#x0364;rcker. Jhr Ge-<lb/>
&#x017F;chmack blieb verza&#x0364;rtelt, blo&#x0364;de und ungewiß.<lb/>
Sie brachten ihn mit &#x017F;ich in die untern Cla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
auf die Univer&#x017F;ita&#x0364;ten, in die Staatscabinete,<lb/>
und an die Ho&#x0364;fe. Der Rector, der Profe&#x017F;&#x017F;or,<lb/>
der Staatsmini&#x017F;ter, der Con&#x017F;i&#x017F;torialrath, wa-<lb/>
ren verderbt, und verderbten wieder. Dadurch<lb/>
wurden die fal&#x017F;chen Lehr&#x017F;a&#x0364;tze des Verfu&#x0364;hrers<lb/>
beynahe allgemein. Sie machten eine Secte, ja<lb/>
es &#x017F;chien daß &#x017F;ie den Dien&#x017F;t des Apollo und der<lb/>
Mu&#x017F;en noch verdringen wu&#x0364;rden. Die Ko&#x0364;pfe<lb/>
von gutem Ge&#x017F;chmacke, deren man noch allezeit<lb/>
zwanzig bis drei&#x017F;&#x017F;ig zehlete, berieffen &#x017F;ich zwar<lb/>
auf das Urtheil der Nachwelt, aber das half<lb/>
ihnen wenig, weil die&#x017F;e zu ihren Zeiten nicht er-<lb/>
&#x017F;chien, oder nicht reden wollte. Sie &#x017F;chrien mit<lb/>
einem glu&#x0364;cklichern Fortgang den Apollo an, er<lb/>
warf einen gu&#x0364;tigen Blick auf &#x017F;ie. Der Stoltz,<lb/>
die Gewalt und der Jammer, den &#x017F;ie in dem<lb/>
Reiche des Witzes an&#x017F;telleten, verdroß ihn. Er<lb/>
gab der <hi rendition="#fr">Critick,</hi> einer Go&#x0364;ttin, die unter ihm<lb/>
herr&#x017F;chete, Befehl, &#x017F;ich den Betriegern zu wi-<lb/>
der&#x017F;etzen, und den reinen Lehren der Mu&#x017F;en, &#x017F;ei-<lb/>
ner To&#x0364;chter, wieder aufzuhelfen.</p><lb/>
        <p>Die <hi rendition="#fr">Critick</hi> munterte in die&#x017F;er Ab&#x017F;icht etliche<lb/>
ein&#x017F;ichtsreiche Ko&#x0364;pfe auf, welche in der poe-<lb/>
ti&#x017F;chen und andern angenehmen Schreibarten<lb/>
bald ein neues Licht auf&#x017F;tecketen. Denn &#x017F;ie<lb/>
holeten die unvera&#x0364;nderlichen Grund&#x017F;a&#x0364;tze wieder<lb/>
hervor, welche mit der men&#x017F;chlichen Natur ihren<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ur&#x017F;prung</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0058] Strukaras, Gedancke in den Weg legete. Dieſe Juͤnglinge wurden mit zunehmenden Jahren zwar am Coͤr- per, aber nicht am Geſchmacke ſtaͤrcker. Jhr Ge- ſchmack blieb verzaͤrtelt, bloͤde und ungewiß. Sie brachten ihn mit ſich in die untern Claſſen, auf die Univerſitaͤten, in die Staatscabinete, und an die Hoͤfe. Der Rector, der Profeſſor, der Staatsminiſter, der Conſiſtorialrath, wa- ren verderbt, und verderbten wieder. Dadurch wurden die falſchen Lehrſaͤtze des Verfuͤhrers beynahe allgemein. Sie machten eine Secte, ja es ſchien daß ſie den Dienſt des Apollo und der Muſen noch verdringen wuͤrden. Die Koͤpfe von gutem Geſchmacke, deren man noch allezeit zwanzig bis dreiſſig zehlete, berieffen ſich zwar auf das Urtheil der Nachwelt, aber das half ihnen wenig, weil dieſe zu ihren Zeiten nicht er- ſchien, oder nicht reden wollte. Sie ſchrien mit einem gluͤcklichern Fortgang den Apollo an, er warf einen guͤtigen Blick auf ſie. Der Stoltz, die Gewalt und der Jammer, den ſie in dem Reiche des Witzes anſtelleten, verdroß ihn. Er gab der Critick, einer Goͤttin, die unter ihm herrſchete, Befehl, ſich den Betriegern zu wi- derſetzen, und den reinen Lehren der Muſen, ſei- ner Toͤchter, wieder aufzuhelfen. Die Critick munterte in dieſer Abſicht etliche einſichtsreiche Koͤpfe auf, welche in der poe- tiſchen und andern angenehmen Schreibarten bald ein neues Licht aufſtecketen. Denn ſie holeten die unveraͤnderlichen Grundſaͤtze wieder hervor, welche mit der menſchlichen Natur ihren Urſprung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744/58
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744/58>, abgerufen am 23.11.2024.