Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_107.001 § 70. Besonderer Charakter des Dramas. pbo_107.004 *) pbo_107.028
Vergl. Sammlung Göschen Nr. 8. Lessings dramaturgische Abhandlungen. pbo_107.029 S. 134 ff. pbo_107.001 § 70. Besonderer Charakter des Dramas. pbo_107.004 *) pbo_107.028
Vergl. Sammlung Göschen Nr. 8. Lessings dramaturgische Abhandlungen. pbo_107.029 S. 134 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0111" n="107"/><lb n="pbo_107.001"/> in die Handlung selbst einzugreifen. Ein sprechender Beleg <lb n="pbo_107.002"/> für das innere Verhältnis der Lyrik zum Drama.</p> <lb n="pbo_107.003"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 70. Besonderer Charakter des Dramas.</hi> </head> <p><lb n="pbo_107.004"/> Jst die Lyrik die Dichtung der <hi rendition="#g">Persönlichkeit,</hi> so <lb n="pbo_107.005"/> wird das Drama, wie wir sehen, streng vermittelt durch den <lb n="pbo_107.006"/> Chor, zur Dichtung der <hi rendition="#g">Persönlichkeiten.</hi> Und zwar <lb n="pbo_107.007"/> nicht mehr wie im Chor der Persönlichkeiten <hi rendition="#g">mit</hi> einander, <lb n="pbo_107.008"/> sondern der Persönlichkeiten <hi rendition="#g">gegen</hi> einander. Das Drama <lb n="pbo_107.009"/> bedeutet in der Dichtung die Auseinandersetzung handelnder <lb n="pbo_107.010"/> Persönlichkeiten in <hi rendition="#g">einem</hi> bestimmten Falle, mit <hi rendition="#g">ausschließlich</hi> <lb n="pbo_107.011"/> auf diesen Fall bezüglichen Voraussetzungen und <hi rendition="#g">notwendig</hi> <lb n="pbo_107.012"/> daraus folgendem Endergebnis. Eine Folge von <lb n="pbo_107.013"/> <hi rendition="#g">Scenen,</hi> d. h. dargestellter Lebensvorgänge, giebt noch kein <lb n="pbo_107.014"/> Drama. Das poetische Jnteresse muß schlechterdings die ganze <lb n="pbo_107.015"/> Scenenfolge unter sich zusammenfassen und auf einen bestimmten <lb n="pbo_107.016"/> Mittelpunkt beziehen, um die dem Drama eigentümlichen <lb n="pbo_107.017"/> poetischen Wirkungen zu erzielen. Dies ist die dem Drama <lb n="pbo_107.018"/> eigentümliche Punktualität des poetischen Schaffens, die <hi rendition="#g">Einheit <lb n="pbo_107.019"/> des Jnteresses,</hi> und alles was man seit des Aristoteles <lb n="pbo_107.020"/> ersten wichtigen Sätzen über diese Frage behauptet und <lb n="pbo_107.021"/> gestritten hat, geht darauf zurück. Ein irriger Schluß daraus <lb n="pbo_107.022"/> sind die durch Lessings Kritik<note corresp="PBO_107_*" place="foot" n="*)"><lb n="pbo_107.028"/> Vergl. <hi rendition="#g">Sammlung Göschen</hi> Nr. 8. Lessings dramaturgische Abhandlungen. <lb n="pbo_107.029"/> S. 134 ff.</note> aus dem dramaturgischen <lb n="pbo_107.023"/> Kanon beseitigten <hi rendition="#g">drei Einheiten</hi> der Franzosen (des Orts, <lb n="pbo_107.024"/> der Zeit und der Handlung), welche äußerliche Forderungen <lb n="pbo_107.025"/> der theatralischen Natürlichkeit (daß <hi rendition="#g">ein</hi> Vorwurf sich binnen <lb n="pbo_107.026"/> 24 Stunden an demselben Flecke abspiele) an die Stelle der <lb n="pbo_107.027"/> dramatischen Konsequenz setzen. </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [107/0111]
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in die Handlung selbst einzugreifen. Ein sprechender Beleg pbo_107.002
für das innere Verhältnis der Lyrik zum Drama.
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§ 70. Besonderer Charakter des Dramas. pbo_107.004
Jst die Lyrik die Dichtung der Persönlichkeit, so pbo_107.005
wird das Drama, wie wir sehen, streng vermittelt durch den pbo_107.006
Chor, zur Dichtung der Persönlichkeiten. Und zwar pbo_107.007
nicht mehr wie im Chor der Persönlichkeiten mit einander, pbo_107.008
sondern der Persönlichkeiten gegen einander. Das Drama pbo_107.009
bedeutet in der Dichtung die Auseinandersetzung handelnder pbo_107.010
Persönlichkeiten in einem bestimmten Falle, mit ausschließlich pbo_107.011
auf diesen Fall bezüglichen Voraussetzungen und notwendig pbo_107.012
daraus folgendem Endergebnis. Eine Folge von pbo_107.013
Scenen, d. h. dargestellter Lebensvorgänge, giebt noch kein pbo_107.014
Drama. Das poetische Jnteresse muß schlechterdings die ganze pbo_107.015
Scenenfolge unter sich zusammenfassen und auf einen bestimmten pbo_107.016
Mittelpunkt beziehen, um die dem Drama eigentümlichen pbo_107.017
poetischen Wirkungen zu erzielen. Dies ist die dem Drama pbo_107.018
eigentümliche Punktualität des poetischen Schaffens, die Einheit pbo_107.019
des Jnteresses, und alles was man seit des Aristoteles pbo_107.020
ersten wichtigen Sätzen über diese Frage behauptet und pbo_107.021
gestritten hat, geht darauf zurück. Ein irriger Schluß daraus pbo_107.022
sind die durch Lessings Kritik *) aus dem dramaturgischen pbo_107.023
Kanon beseitigten drei Einheiten der Franzosen (des Orts, pbo_107.024
der Zeit und der Handlung), welche äußerliche Forderungen pbo_107.025
der theatralischen Natürlichkeit (daß ein Vorwurf sich binnen pbo_107.026
24 Stunden an demselben Flecke abspiele) an die Stelle der pbo_107.027
dramatischen Konsequenz setzen.
*) pbo_107.028
Vergl. Sammlung Göschen Nr. 8. Lessings dramaturgische Abhandlungen. pbo_107.029
S. 134 ff.
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