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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Das arabische Pferd.
Geschriebene Stammbäume gibt es wahrscheinlich gar nicht mehr; wenigstens habe ich davon Nichts
erwähnen hören.

Unter allen edlen Pferden achten die Araber diejenigen am höchsten, welche in Nedschd, dem
inneren Gelände der arabischen Halbinsel, einem von schroffen Felsen durchzogenen Hochlande, gezüchtet
werden. Der Stamm der Khadam hat den Ruhm, die besten Pferde zu besitzen. Jn Nedschd gibt
es zwanzig Pferdefamilien vom ersten Range, deren alte Abstammung erwiesen ist, und von diesen
edlen Familien aus haben sich die Thiere nach anderen Gegenden hin verbreitet. Schon die Hengste
der echten Kohheeli werden mit hohen Preisen bezahlt, die Stuten sind kaum käuflich: ein Mann
büßt seinen guten Ruf ein, wenn er gegen Gold oder Silber einen so kostbaren Schatz hinweg gibt.
Gerade im Hedjahs gehört das Roß so recht eigentlich zur Familie, und diese widmet ihm ungleich
mehr Sorgfalt, als ihren Angehörigen selber. Wenn ein Krieger einen gefährlichen Zug vollführen
will, wünscht die Familie nicht dem Manne, sondern dem Pferde das beste Glück, und wenn dieses
nach einer Schlacht allein zum Zelte hereinkommt, ist der Schmerz über den im Gefechte gebliebenen
Reiter bei weitem nicht so groß, als die Freude über die Rettung des Rosses. Der Sohn oder ein
naher Verwandter des Gefallenen besteigt das edle Thier, und ihm liegt die Verpflichtung ob, den
Tod des Reiters zu rächen, während der Verlust des Pferdes auch nicht einmal durch erfüllte
Rache gesühnt werden kann. Wenn ein Pferd in der Schlacht getödtet oder vom Feinde genom-
men worden ist, und der Reiter allein zu Fuße zurückkommt, wartet seiner ein schlechter Empfang.
Das Schreien und Wehklagen will kein Ende nehmen, und die Trauer währet monatelang.

Aber ein solches Pferd ist auch nicht mit irgend einem anderen zu vergleichen! Der Araber
muthet seinen Kräften, wie bemerkt, sehr viel zu, er behandelt es jedoch auch mit einer Liebe
ohne Gleichen. Von Jugend auf vernimmt das Thier kein böses Wort, bekommt es keinen Schlag.
Es wird mit der größten Geduld, mit der größten Zärtlichkeit erzogen und theilt mit seinem
Herrn Freud und Leid, das Zelt, ja beinahe das Lager. Es bedarf keiner Peitsche, kaum eines
Sporenstoßes, ein Wort seines Reiters genügt, um es anzutreiben. Der Mensch und das Thier
haben sich hier eben auf das innigste verbrüdert, und der eine wie das andere fühlen sich gedrückt,
wenn der treue Gefährte fehlt. Mehr als einmal schon ist es vorgekommen, daß ein Pferd den Leich-
nam seines im Kampfe gefallenen Reiters noch von der Wahlstatt bis zum Zelte trug, gleichsam, als
wisse es, daß es den gefallenen Mann nicht dem Hohn und Spott des Feindes preisgeben dürfe.

Ebenso groß, als die liebenswürdigen Eigenschaften des Wesens sind die Genügsamkeit und An-
spruchslosigkeit des arabischen Pferdes, was die Nahrung anlangt. Es ist mit Wenigem zufrieden
und im Stande, bei schmaler Kost noch die größten Anstrengungen zu ertragen. Kein Wunder, daß
solch ein Thier von hundert Dichtern glühend besungen worden, daß es das ausschließliche Gespräch
der Männer am Lagerfeuer, daß es der Stolz und das höchste Kleinod des Arabers ist!

Man kennt eine Menge von Geschichten, welche beweisen, wie schwer es dem Wüstensohne wird,
sich von seinem Pferde zu trennen. Es ist begründet, daß nicht einmal der gleißnerische Schimmer
des Goldes, welcher sonst einen so großen Eindruck auf den räuberischen Mann zu machen pflegt, im
Stande ist, die Zuneigung zu seinem Pferde abzuschwächen. Je edler das Roß, um so theurer ist es
der glücklichen Familie, welche es besitzt; ja selbst um das einfachste Pferd, welches ein Besitzer ver-
kaufen muß, wird noch stundenlang gefeilscht, weil der erste Besitzer schon im voraus den Glücklichen
beneidet, der solchen Schatz ihm entreißen soll.

Wirklich spaßhaft anzuhören sind die Lobeserhebungen, welche dem edlen Pferde gespendet wer-
den. "Sage mir nicht, daß dies Thier mein Pferd ist, sage, daß es mein Sohn ist! Es läuft
schneller, als der Sturmwind, schneller noch, als der Blick über die Ebene schweift. Es ist rein, wie
das Gold. Sein Auge ist klar und so scharf, daß es ein Härchen im Dunkeln sieht. Die Gazelle
erreicht es im Laufe. Zu dem Adler sagt es: Jch eile, wie du, dahin! Wenn es das Jauchzen der
Mädchen vernimmt, wiehert es vor Freude, und an dem Pfeifen der Kugeln erhebt sich sein Herz.
Aus der Hand der Frauen erbettelt es sich Almosen, den Feind schlägt es mit dem Hufe ins Gesicht.

Das arabiſche Pferd.
Geſchriebene Stammbäume gibt es wahrſcheinlich gar nicht mehr; wenigſtens habe ich davon Nichts
erwähnen hören.

Unter allen edlen Pferden achten die Araber diejenigen am höchſten, welche in Nedſchd, dem
inneren Gelände der arabiſchen Halbinſel, einem von ſchroffen Felſen durchzogenen Hochlande, gezüchtet
werden. Der Stamm der Khadam hat den Ruhm, die beſten Pferde zu beſitzen. Jn Nedſchd gibt
es zwanzig Pferdefamilien vom erſten Range, deren alte Abſtammung erwieſen iſt, und von dieſen
edlen Familien aus haben ſich die Thiere nach anderen Gegenden hin verbreitet. Schon die Hengſte
der echten Kohheeli werden mit hohen Preiſen bezahlt, die Stuten ſind kaum käuflich: ein Mann
büßt ſeinen guten Ruf ein, wenn er gegen Gold oder Silber einen ſo koſtbaren Schatz hinweg gibt.
Gerade im Hedjahs gehört das Roß ſo recht eigentlich zur Familie, und dieſe widmet ihm ungleich
mehr Sorgfalt, als ihren Angehörigen ſelber. Wenn ein Krieger einen gefährlichen Zug vollführen
will, wünſcht die Familie nicht dem Manne, ſondern dem Pferde das beſte Glück, und wenn dieſes
nach einer Schlacht allein zum Zelte hereinkommt, iſt der Schmerz über den im Gefechte gebliebenen
Reiter bei weitem nicht ſo groß, als die Freude über die Rettung des Roſſes. Der Sohn oder ein
naher Verwandter des Gefallenen beſteigt das edle Thier, und ihm liegt die Verpflichtung ob, den
Tod des Reiters zu rächen, während der Verluſt des Pferdes auch nicht einmal durch erfüllte
Rache geſühnt werden kann. Wenn ein Pferd in der Schlacht getödtet oder vom Feinde genom-
men worden iſt, und der Reiter allein zu Fuße zurückkommt, wartet ſeiner ein ſchlechter Empfang.
Das Schreien und Wehklagen will kein Ende nehmen, und die Trauer währet monatelang.

Aber ein ſolches Pferd iſt auch nicht mit irgend einem anderen zu vergleichen! Der Araber
muthet ſeinen Kräften, wie bemerkt, ſehr viel zu, er behandelt es jedoch auch mit einer Liebe
ohne Gleichen. Von Jugend auf vernimmt das Thier kein böſes Wort, bekommt es keinen Schlag.
Es wird mit der größten Geduld, mit der größten Zärtlichkeit erzogen und theilt mit ſeinem
Herrn Freud und Leid, das Zelt, ja beinahe das Lager. Es bedarf keiner Peitſche, kaum eines
Sporenſtoßes, ein Wort ſeines Reiters genügt, um es anzutreiben. Der Menſch und das Thier
haben ſich hier eben auf das innigſte verbrüdert, und der eine wie das andere fühlen ſich gedrückt,
wenn der treue Gefährte fehlt. Mehr als einmal ſchon iſt es vorgekommen, daß ein Pferd den Leich-
nam ſeines im Kampfe gefallenen Reiters noch von der Wahlſtatt bis zum Zelte trug, gleichſam, als
wiſſe es, daß es den gefallenen Mann nicht dem Hohn und Spott des Feindes preisgeben dürfe.

Ebenſo groß, als die liebenswürdigen Eigenſchaften des Weſens ſind die Genügſamkeit und An-
ſpruchsloſigkeit des arabiſchen Pferdes, was die Nahrung anlangt. Es iſt mit Wenigem zufrieden
und im Stande, bei ſchmaler Koſt noch die größten Anſtrengungen zu ertragen. Kein Wunder, daß
ſolch ein Thier von hundert Dichtern glühend beſungen worden, daß es das ausſchließliche Geſpräch
der Männer am Lagerfeuer, daß es der Stolz und das höchſte Kleinod des Arabers iſt!

Man kennt eine Menge von Geſchichten, welche beweiſen, wie ſchwer es dem Wüſtenſohne wird,
ſich von ſeinem Pferde zu trennen. Es iſt begründet, daß nicht einmal der gleißneriſche Schimmer
des Goldes, welcher ſonſt einen ſo großen Eindruck auf den räuberiſchen Mann zu machen pflegt, im
Stande iſt, die Zuneigung zu ſeinem Pferde abzuſchwächen. Je edler das Roß, um ſo theurer iſt es
der glücklichen Familie, welche es beſitzt; ja ſelbſt um das einfachſte Pferd, welches ein Beſitzer ver-
kaufen muß, wird noch ſtundenlang gefeilſcht, weil der erſte Beſitzer ſchon im voraus den Glücklichen
beneidet, der ſolchen Schatz ihm entreißen ſoll.

Wirklich ſpaßhaft anzuhören ſind die Lobeserhebungen, welche dem edlen Pferde geſpendet wer-
den. „Sage mir nicht, daß dies Thier mein Pferd iſt, ſage, daß es mein Sohn iſt! Es läuft
ſchneller, als der Sturmwind, ſchneller noch, als der Blick über die Ebene ſchweift. Es iſt rein, wie
das Gold. Sein Auge iſt klar und ſo ſcharf, daß es ein Härchen im Dunkeln ſieht. Die Gazelle
erreicht es im Laufe. Zu dem Adler ſagt es: Jch eile, wie du, dahin! Wenn es das Jauchzen der
Mädchen vernimmt, wiehert es vor Freude, und an dem Pfeifen der Kugeln erhebt ſich ſein Herz.
Aus der Hand der Frauen erbettelt es ſich Almoſen, den Feind ſchlägt es mit dem Hufe ins Geſicht.

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[349/0369] Das arabiſche Pferd. Geſchriebene Stammbäume gibt es wahrſcheinlich gar nicht mehr; wenigſtens habe ich davon Nichts erwähnen hören. Unter allen edlen Pferden achten die Araber diejenigen am höchſten, welche in Nedſchd, dem inneren Gelände der arabiſchen Halbinſel, einem von ſchroffen Felſen durchzogenen Hochlande, gezüchtet werden. Der Stamm der Khadam hat den Ruhm, die beſten Pferde zu beſitzen. Jn Nedſchd gibt es zwanzig Pferdefamilien vom erſten Range, deren alte Abſtammung erwieſen iſt, und von dieſen edlen Familien aus haben ſich die Thiere nach anderen Gegenden hin verbreitet. Schon die Hengſte der echten Kohheeli werden mit hohen Preiſen bezahlt, die Stuten ſind kaum käuflich: ein Mann büßt ſeinen guten Ruf ein, wenn er gegen Gold oder Silber einen ſo koſtbaren Schatz hinweg gibt. Gerade im Hedjahs gehört das Roß ſo recht eigentlich zur Familie, und dieſe widmet ihm ungleich mehr Sorgfalt, als ihren Angehörigen ſelber. Wenn ein Krieger einen gefährlichen Zug vollführen will, wünſcht die Familie nicht dem Manne, ſondern dem Pferde das beſte Glück, und wenn dieſes nach einer Schlacht allein zum Zelte hereinkommt, iſt der Schmerz über den im Gefechte gebliebenen Reiter bei weitem nicht ſo groß, als die Freude über die Rettung des Roſſes. Der Sohn oder ein naher Verwandter des Gefallenen beſteigt das edle Thier, und ihm liegt die Verpflichtung ob, den Tod des Reiters zu rächen, während der Verluſt des Pferdes auch nicht einmal durch erfüllte Rache geſühnt werden kann. Wenn ein Pferd in der Schlacht getödtet oder vom Feinde genom- men worden iſt, und der Reiter allein zu Fuße zurückkommt, wartet ſeiner ein ſchlechter Empfang. Das Schreien und Wehklagen will kein Ende nehmen, und die Trauer währet monatelang. Aber ein ſolches Pferd iſt auch nicht mit irgend einem anderen zu vergleichen! Der Araber muthet ſeinen Kräften, wie bemerkt, ſehr viel zu, er behandelt es jedoch auch mit einer Liebe ohne Gleichen. Von Jugend auf vernimmt das Thier kein böſes Wort, bekommt es keinen Schlag. Es wird mit der größten Geduld, mit der größten Zärtlichkeit erzogen und theilt mit ſeinem Herrn Freud und Leid, das Zelt, ja beinahe das Lager. Es bedarf keiner Peitſche, kaum eines Sporenſtoßes, ein Wort ſeines Reiters genügt, um es anzutreiben. Der Menſch und das Thier haben ſich hier eben auf das innigſte verbrüdert, und der eine wie das andere fühlen ſich gedrückt, wenn der treue Gefährte fehlt. Mehr als einmal ſchon iſt es vorgekommen, daß ein Pferd den Leich- nam ſeines im Kampfe gefallenen Reiters noch von der Wahlſtatt bis zum Zelte trug, gleichſam, als wiſſe es, daß es den gefallenen Mann nicht dem Hohn und Spott des Feindes preisgeben dürfe. Ebenſo groß, als die liebenswürdigen Eigenſchaften des Weſens ſind die Genügſamkeit und An- ſpruchsloſigkeit des arabiſchen Pferdes, was die Nahrung anlangt. Es iſt mit Wenigem zufrieden und im Stande, bei ſchmaler Koſt noch die größten Anſtrengungen zu ertragen. Kein Wunder, daß ſolch ein Thier von hundert Dichtern glühend beſungen worden, daß es das ausſchließliche Geſpräch der Männer am Lagerfeuer, daß es der Stolz und das höchſte Kleinod des Arabers iſt! Man kennt eine Menge von Geſchichten, welche beweiſen, wie ſchwer es dem Wüſtenſohne wird, ſich von ſeinem Pferde zu trennen. Es iſt begründet, daß nicht einmal der gleißneriſche Schimmer des Goldes, welcher ſonſt einen ſo großen Eindruck auf den räuberiſchen Mann zu machen pflegt, im Stande iſt, die Zuneigung zu ſeinem Pferde abzuſchwächen. Je edler das Roß, um ſo theurer iſt es der glücklichen Familie, welche es beſitzt; ja ſelbſt um das einfachſte Pferd, welches ein Beſitzer ver- kaufen muß, wird noch ſtundenlang gefeilſcht, weil der erſte Beſitzer ſchon im voraus den Glücklichen beneidet, der ſolchen Schatz ihm entreißen ſoll. Wirklich ſpaßhaft anzuhören ſind die Lobeserhebungen, welche dem edlen Pferde geſpendet wer- den. „Sage mir nicht, daß dies Thier mein Pferd iſt, ſage, daß es mein Sohn iſt! Es läuft ſchneller, als der Sturmwind, ſchneller noch, als der Blick über die Ebene ſchweift. Es iſt rein, wie das Gold. Sein Auge iſt klar und ſo ſcharf, daß es ein Härchen im Dunkeln ſieht. Die Gazelle erreicht es im Laufe. Zu dem Adler ſagt es: Jch eile, wie du, dahin! Wenn es das Jauchzen der Mädchen vernimmt, wiehert es vor Freude, und an dem Pfeifen der Kugeln erhebt ſich ſein Herz. Aus der Hand der Frauen erbettelt es ſich Almoſen, den Feind ſchlägt es mit dem Hufe ins Geſicht.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/369>, abgerufen am 23.11.2024.