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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Einhufer. -- Das Pferd.
nach den Gruben, "Kunden" oder "Bohnen" in den Zähnen, linsengroßen, schwarzbraunen
Höhlungen auf der Schneide der Pferdezähne. Diese verwischen sich an der unteren Kinnlade im Alter
von fünf bis sechs Jahren, an den Mittelzähnen im siebenten, an den Eckzähnen im achten Jahre des
Alters; dann kommen in gleicher Zeitfolge die Oberzähne daran, bis im elsten bis zwölften Jahre
sämmtliche Gruben verschwunden sind. Mit zunehmendem Alter verändert sich auch allmählich die
Gestalt der Zähne: sie werden um so schmäler, je älter sie sind. Bei manchen Pferden verwischen sich
die Kunden niemals, weil die Schneidezähne der oberen Kinnlade nicht auf die anderen passen.

Das Pferd wechselt nur die kleinen, kurzen Haare und zwar hauptsächlich im Frühjahre. Das
längere Winterhaar fällt um diese Zeit so schnell aus, daß es schon in Zeit eines Monats der Haupt-
sache nach beendigt ist. Nach und nach werden die Haare ersetzt und von Anfang Septembers oder
Oktobers an beginnen sie sich wieder merklich zu verlängern. Die Haare in der Mähne und im
Schwanze bleiben unverändert.

Leider ist das edle Roß vielen Krankheiten unterworfen, und oft hausen ansteckende Seuchen in
furchtbarer Weise unter dem Pferdebestand einer Gegend. Die wichtigsten Krankheiten sind der
Spath, eine Geschwulst und spätere Verhärtung des Sprunggelenkes, die Druse, eine Anschwellung
der Drüsen unter den Kinnladen, die Räute, ein trockner oder nasser Ausschlag, wobei die Haare
ausgehen, der Rotz, eine starke Entzündung in der Nasenscheidewand, welche furchtbar ansteckt, sich
selbst auf Menschen überträgt, der rasende Koller, eine Gehirnentzündung, oder der Dumm-
koller,
ein ähnliches Leiden, der graue und der schwarze Star, welche beide unheilbar sind,
und andere. Jn den Gedärmen und in der Nase wohnen die Larven von Biesfliegen, in den
Nieren "Palisaden", in den Augen Fadenwürmer, auf der Haut Lausfliegen und
Milben.

Das Pferd kann ein Alter von vierzig Jahren erreichen, wird aber meist so schlecht behandelt,
daß es oft schon mit zwanzig Jahren greisenhaft ist. Das Pferd, welches der österreichische Feldmar-
schall Lacy im Türkenkriege ritt, wurde auf Befehl des Kaisers sorgfältig gepflegt und erreichte ein
Alter von 46 Jahren. Der Bischof von Metz besaß ein Pferd, welches 50 Jahre alt und noch bis
zu den letzten Tagen zu leichter Arbeit verwendet wurde. Jn England soll ein Pferd sogar 62 Jahre
erreicht haben.

Ueber die Eigenschaften, Gewohnheiten, Sitten und Eigenthümlichkeiten der Pferde, kurz, über
das geistige Wefen will ich Scheitlin reden lassen. "Das Pferd," sagt er, "hat Unterscheidungs-
kraft für Nahrung, Wohnung, Raum, Zeit, Licht, Farbe, Gestaltung, für seine Familie, für Nach-
barn, Freunde, Feinde, Mitthiere, Menschen und Sachen. Es hat Wahrnehmungsgabe, innere
Vorstellungskraft, Gedächtniß, Erinnerungsvermögen, Einbildungskraft, manchfache Empfindungs-
fähigkeiten für eine große Anzahl von Zuständen des Leibes und der Seele. Es fühlt sich in allen
Verhältnissen angenehm oder unangenehm, ist der Zufriedenheit mit seinem gegebenen Verhält-
nisse und des Verlangens nach einem anderen, ja selbst der Leidenschaften, gemüthlicher Liebe
und gemüthlichen Hasses fähig. Sein Verstand ist groß und wird leicht in Geschicklichkeit umge-
wandelt; denn das Pferd ist außerordentlich gelehrsam."

"Viele Thiere sehen und hören besser, als das Pferd. Dieses riecht und schmeckt auch nicht
besonders fein, und sein Gefühl ist nur an den Lippen gesteigert. Dafür ist seine Wahrnehmungs-
gabe für nahe Gegenstände ganz außerordentlich, so daß es alle Gegenstände um sich her genau
kennen lernt, womit dann erst noch ein vortreffliches Gedächtniß verbunden ist. Wir kennen die
Erzeugnisse seiner Wahrnehmungsgabe, seinen Ort-, Stall-, Steg- und Wegsinn, und seine
Sicherheit, einen Pfad, wenn es ihn auch nur einmal gemacht hat, wieder zu erkennen. Es
kennt den Weg viel besser, als sein Führer. Seiner Kenntniß gewiß, widersetzt es sich an einem
Scheideweg fast starrsinnig dem Unrechtführer. Reiter und Kutscher können ruhig schlafen und
im tiefsten Dunkel dem Pferde die Wahl des Weges überlassen. Diese Wahl ist schon vielen
betrunkenen Fuhrleuten aufs Beste zu Statten gekommen und hat schon Tausenden Leben und

Einhufer. — Das Pferd.
nach den Gruben, „Kunden‟ oder „Bohnen‟ in den Zähnen, linſengroßen, ſchwarzbraunen
Höhlungen auf der Schneide der Pferdezähne. Dieſe verwiſchen ſich an der unteren Kinnlade im Alter
von fünf bis ſechs Jahren, an den Mittelzähnen im ſiebenten, an den Eckzähnen im achten Jahre des
Alters; dann kommen in gleicher Zeitfolge die Oberzähne daran, bis im elſten bis zwölften Jahre
ſämmtliche Gruben verſchwunden ſind. Mit zunehmendem Alter verändert ſich auch allmählich die
Geſtalt der Zähne: ſie werden um ſo ſchmäler, je älter ſie ſind. Bei manchen Pferden verwiſchen ſich
die Kunden niemals, weil die Schneidezähne der oberen Kinnlade nicht auf die anderen paſſen.

Das Pferd wechſelt nur die kleinen, kurzen Haare und zwar hauptſächlich im Frühjahre. Das
längere Winterhaar fällt um dieſe Zeit ſo ſchnell aus, daß es ſchon in Zeit eines Monats der Haupt-
ſache nach beendigt iſt. Nach und nach werden die Haare erſetzt und von Anfang Septembers oder
Oktobers an beginnen ſie ſich wieder merklich zu verlängern. Die Haare in der Mähne und im
Schwanze bleiben unverändert.

Leider iſt das edle Roß vielen Krankheiten unterworfen, und oft hauſen anſteckende Seuchen in
furchtbarer Weiſe unter dem Pferdebeſtand einer Gegend. Die wichtigſten Krankheiten ſind der
Spath, eine Geſchwulſt und ſpätere Verhärtung des Sprunggelenkes, die Druſe, eine Anſchwellung
der Drüſen unter den Kinnladen, die Räute, ein trockner oder naſſer Ausſchlag, wobei die Haare
ausgehen, der Rotz, eine ſtarke Entzündung in der Naſenſcheidewand, welche furchtbar anſteckt, ſich
ſelbſt auf Menſchen überträgt, der raſende Koller, eine Gehirnentzündung, oder der Dumm-
koller,
ein ähnliches Leiden, der graue und der ſchwarze Star, welche beide unheilbar ſind,
und andere. Jn den Gedärmen und in der Naſe wohnen die Larven von Biesfliegen, in den
Nieren „Paliſaden‟, in den Augen Fadenwürmer, auf der Haut Lausfliegen und
Milben.

Das Pferd kann ein Alter von vierzig Jahren erreichen, wird aber meiſt ſo ſchlecht behandelt,
daß es oft ſchon mit zwanzig Jahren greiſenhaft iſt. Das Pferd, welches der öſterreichiſche Feldmar-
ſchall Lacy im Türkenkriege ritt, wurde auf Befehl des Kaiſers ſorgfältig gepflegt und erreichte ein
Alter von 46 Jahren. Der Biſchof von Metz beſaß ein Pferd, welches 50 Jahre alt und noch bis
zu den letzten Tagen zu leichter Arbeit verwendet wurde. Jn England ſoll ein Pferd ſogar 62 Jahre
erreicht haben.

Ueber die Eigenſchaften, Gewohnheiten, Sitten und Eigenthümlichkeiten der Pferde, kurz, über
das geiſtige Wefen will ich Scheitlin reden laſſen. „Das Pferd,‟ ſagt er, „hat Unterſcheidungs-
kraft für Nahrung, Wohnung, Raum, Zeit, Licht, Farbe, Geſtaltung, für ſeine Familie, für Nach-
barn, Freunde, Feinde, Mitthiere, Menſchen und Sachen. Es hat Wahrnehmungsgabe, innere
Vorſtellungskraft, Gedächtniß, Erinnerungsvermögen, Einbildungskraft, manchfache Empfindungs-
fähigkeiten für eine große Anzahl von Zuſtänden des Leibes und der Seele. Es fühlt ſich in allen
Verhältniſſen angenehm oder unangenehm, iſt der Zufriedenheit mit ſeinem gegebenen Verhält-
niſſe und des Verlangens nach einem anderen, ja ſelbſt der Leidenſchaften, gemüthlicher Liebe
und gemüthlichen Haſſes fähig. Sein Verſtand iſt groß und wird leicht in Geſchicklichkeit umge-
wandelt; denn das Pferd iſt außerordentlich gelehrſam.‟

„Viele Thiere ſehen und hören beſſer, als das Pferd. Dieſes riecht und ſchmeckt auch nicht
beſonders fein, und ſein Gefühl iſt nur an den Lippen geſteigert. Dafür iſt ſeine Wahrnehmungs-
gabe für nahe Gegenſtände ganz außerordentlich, ſo daß es alle Gegenſtände um ſich her genau
kennen lernt, womit dann erſt noch ein vortreffliches Gedächtniß verbunden iſt. Wir kennen die
Erzeugniſſe ſeiner Wahrnehmungsgabe, ſeinen Ort-, Stall-, Steg- und Wegſinn, und ſeine
Sicherheit, einen Pfad, wenn es ihn auch nur einmal gemacht hat, wieder zu erkennen. Es
kennt den Weg viel beſſer, als ſein Führer. Seiner Kenntniß gewiß, widerſetzt es ſich an einem
Scheideweg faſt ſtarrſinnig dem Unrechtführer. Reiter und Kutſcher können ruhig ſchlafen und
im tiefſten Dunkel dem Pferde die Wahl des Weges überlaſſen. Dieſe Wahl iſt ſchon vielen
betrunkenen Fuhrleuten aufs Beſte zu Statten gekommen und hat ſchon Tauſenden Leben und

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[354/0376] Einhufer. — Das Pferd. nach den Gruben, „Kunden‟ oder „Bohnen‟ in den Zähnen, linſengroßen, ſchwarzbraunen Höhlungen auf der Schneide der Pferdezähne. Dieſe verwiſchen ſich an der unteren Kinnlade im Alter von fünf bis ſechs Jahren, an den Mittelzähnen im ſiebenten, an den Eckzähnen im achten Jahre des Alters; dann kommen in gleicher Zeitfolge die Oberzähne daran, bis im elſten bis zwölften Jahre ſämmtliche Gruben verſchwunden ſind. Mit zunehmendem Alter verändert ſich auch allmählich die Geſtalt der Zähne: ſie werden um ſo ſchmäler, je älter ſie ſind. Bei manchen Pferden verwiſchen ſich die Kunden niemals, weil die Schneidezähne der oberen Kinnlade nicht auf die anderen paſſen. Das Pferd wechſelt nur die kleinen, kurzen Haare und zwar hauptſächlich im Frühjahre. Das längere Winterhaar fällt um dieſe Zeit ſo ſchnell aus, daß es ſchon in Zeit eines Monats der Haupt- ſache nach beendigt iſt. Nach und nach werden die Haare erſetzt und von Anfang Septembers oder Oktobers an beginnen ſie ſich wieder merklich zu verlängern. Die Haare in der Mähne und im Schwanze bleiben unverändert. Leider iſt das edle Roß vielen Krankheiten unterworfen, und oft hauſen anſteckende Seuchen in furchtbarer Weiſe unter dem Pferdebeſtand einer Gegend. Die wichtigſten Krankheiten ſind der Spath, eine Geſchwulſt und ſpätere Verhärtung des Sprunggelenkes, die Druſe, eine Anſchwellung der Drüſen unter den Kinnladen, die Räute, ein trockner oder naſſer Ausſchlag, wobei die Haare ausgehen, der Rotz, eine ſtarke Entzündung in der Naſenſcheidewand, welche furchtbar anſteckt, ſich ſelbſt auf Menſchen überträgt, der raſende Koller, eine Gehirnentzündung, oder der Dumm- koller, ein ähnliches Leiden, der graue und der ſchwarze Star, welche beide unheilbar ſind, und andere. Jn den Gedärmen und in der Naſe wohnen die Larven von Biesfliegen, in den Nieren „Paliſaden‟, in den Augen Fadenwürmer, auf der Haut Lausfliegen und Milben. Das Pferd kann ein Alter von vierzig Jahren erreichen, wird aber meiſt ſo ſchlecht behandelt, daß es oft ſchon mit zwanzig Jahren greiſenhaft iſt. Das Pferd, welches der öſterreichiſche Feldmar- ſchall Lacy im Türkenkriege ritt, wurde auf Befehl des Kaiſers ſorgfältig gepflegt und erreichte ein Alter von 46 Jahren. Der Biſchof von Metz beſaß ein Pferd, welches 50 Jahre alt und noch bis zu den letzten Tagen zu leichter Arbeit verwendet wurde. Jn England ſoll ein Pferd ſogar 62 Jahre erreicht haben. Ueber die Eigenſchaften, Gewohnheiten, Sitten und Eigenthümlichkeiten der Pferde, kurz, über das geiſtige Wefen will ich Scheitlin reden laſſen. „Das Pferd,‟ ſagt er, „hat Unterſcheidungs- kraft für Nahrung, Wohnung, Raum, Zeit, Licht, Farbe, Geſtaltung, für ſeine Familie, für Nach- barn, Freunde, Feinde, Mitthiere, Menſchen und Sachen. Es hat Wahrnehmungsgabe, innere Vorſtellungskraft, Gedächtniß, Erinnerungsvermögen, Einbildungskraft, manchfache Empfindungs- fähigkeiten für eine große Anzahl von Zuſtänden des Leibes und der Seele. Es fühlt ſich in allen Verhältniſſen angenehm oder unangenehm, iſt der Zufriedenheit mit ſeinem gegebenen Verhält- niſſe und des Verlangens nach einem anderen, ja ſelbſt der Leidenſchaften, gemüthlicher Liebe und gemüthlichen Haſſes fähig. Sein Verſtand iſt groß und wird leicht in Geſchicklichkeit umge- wandelt; denn das Pferd iſt außerordentlich gelehrſam.‟ „Viele Thiere ſehen und hören beſſer, als das Pferd. Dieſes riecht und ſchmeckt auch nicht beſonders fein, und ſein Gefühl iſt nur an den Lippen geſteigert. Dafür iſt ſeine Wahrnehmungs- gabe für nahe Gegenſtände ganz außerordentlich, ſo daß es alle Gegenſtände um ſich her genau kennen lernt, womit dann erſt noch ein vortreffliches Gedächtniß verbunden iſt. Wir kennen die Erzeugniſſe ſeiner Wahrnehmungsgabe, ſeinen Ort-, Stall-, Steg- und Wegſinn, und ſeine Sicherheit, einen Pfad, wenn es ihn auch nur einmal gemacht hat, wieder zu erkennen. Es kennt den Weg viel beſſer, als ſein Führer. Seiner Kenntniß gewiß, widerſetzt es ſich an einem Scheideweg faſt ſtarrſinnig dem Unrechtführer. Reiter und Kutſcher können ruhig ſchlafen und im tiefſten Dunkel dem Pferde die Wahl des Weges überlaſſen. Dieſe Wahl iſt ſchon vielen betrunkenen Fuhrleuten aufs Beſte zu Statten gekommen und hat ſchon Tauſenden Leben und

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/376>, abgerufen am 23.11.2024.