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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Das Maulthier. Der Maulesel.
Stimme hören läßt, -- welch ein Aufruhr unter der gesammten Eselei! Der nächststehende Hengst
fühlt sich überaus geschmeichelt, Derjenige zu sein, welcher die für ihn so zarten Töne sofort pflicht-
schuldigst beantworten darf, und brüllt aus Leibeskräften los. Ein zweiter, dritter, vierter,
zehnter fällt ein: endlich brüllen alle, alle, alle, und man möchte taub oder halb verrückt werden
über ihre Ausdauer. Ob dieses Mitschreien auf zartem Mitgefühl oder nur in der Lust am
Schreien selbst beruht, wage ich nicht zu entscheiden; soviel aber ist sicher, daß Ein Esel alle
übrigen zum Brüllen anregen kann. Die vorhin beschriebenen Eselbuben Kairos, denen die
Stimme ihrer Brodthiere viel Vergnügen zu machen scheint, wecken das gesittete Ohren so fürch-
terlich rührende J -- a einfach dadurch, daß sie die ersten Töne jenes unnachahmlichen, kurz-
gestoßenen "Ji, Ji, Ji", welches dem Hauptinhalte der Eselrede vorausgeht, nachahmen; dann
übernimmt schon einer der Esel die Mühe, die freudige Erregung weiter fortzupflanzen.

Etwa elf Monate nach der Paarung -- gewöhnlich nimmt man einen Zeitraum von 290 Tagen
an -- wirft die Eselin ein (höchst selten auch zwei) vollkommen ausgebildetes, sehendes Junge, leckt
es mit großer Zärtlichkeit ab und bietet ihm schon eine halbe Stunde nach seiner Geburt das Euter
dar. Nach 5 bis 6 Monaten kann das Fohlen entwöhnt werden; aber es folgt noch lange seiner
Mutter auf allen Wegen nach. Es verlangt auch in der zartesten Jugend keine besondere Wartung
oder Pflege, sondern begnügt sich, wie es seine Eltern thun, mit jeder Nahrung, welche ihm gereicht
wird. Gegen Witterungseinflüsse ist es wenig empfindlich, und daher erkrankt es auch nicht so leicht.
Es ist ein überaus munteres, lebhaftes Thier, welches seinen Muthwillen und die innere Fröhlich-
keit seines Herzens durch die possirlichsten Sprünge und Bewegungen zu erkennen gibt. Jedem
anderen Esel geht es mit großer Freude entgegen; aber auch an den Menschen gewöhnt es sich.
Wenn man es von der Mutter trennen will, gibt es auf beiden Seiten große Noth. Mutter wie
Kind widersetzen sich und geben, wenn ihnen Dies nicht hilft, ihren Schmerz und ihre Sehnsucht
noch tagelang durch Schreien oder wenigstens durch große Unruhe zu erkennen. Bei Gefahr verthei-
digt die Alte ihre Kinder mit Muth, und gibt sich selbst lieber preis, achtet sogar Feuer und
Wasser nicht, wenn es gilt, ihren Liebling zu schützen. Schon im zweiten Jahre ist der Esel er-
wachsen; aber erst im dritten Jahre erreicht er seine volle Kraft. Er kann, auch wenn er tüchtig
arbeiten muß, ein ziemlich hohes Alter erlangen: man kennt Beispiele, daß Esel 40, 50, ja selbst
56 Jahre alt wurden.

Schon seit alten Zeiten hat man Pferd und Esel mit einander gepaart und durch solche Kren-
zung Bastarde erhalten, welche man Maulthiere nennt, wenn der Vater, Maulesel aber,
wenn die Mutter ein Pferd war. Beide haben in ihrer Gestalt mehr von der Mutter, als vom
Vater, in ihrem Wesen aber mehr von diesem, als von jener ererbt.

Das Maulthier (Asinus vulgaris Mulus) kommt an Größe fast dem Pferde gleich und ist
ihm auch ähnlich gebildet, aber durch die Form des Kopfes, die Länge der Ohren, den an der
Wurzel kurz behaarten Schwanz, die schmächtigen Schenkel und die schmaleren Hufe, welche an den
Esel erinnern, unterschieden. Jn der Färbung ähnelt es regelmäßig der Mutter. Es röhrt, wie sein
Herr Vater.

Der Maulesel (Asinus vulgaris Hinnus) behält die unansehnliche Gestalt und die geringe
Größe seiner Mutter, empfängt vom Pferde nur den dünneren und längeren Kopf, die längeren
Ohren, die volleren Schenkel, den seiner ganzen Länge nach behaarten Schwanz und die wiehernde
Stimme, von seiner Mutter hingegen, außer der Gestalt auch die Trägheit. -- Er ist also ein weit
weniger nutzbares Geschöpf, als jenes.

Pferde und Esel kreuzen sich niemals freiwillig, und deshalb bedarf die Maulthierzucht immer
der menschlichen Beihilfe. Gerade unter den Pferden und Eseln, welche in größerer Freiheit leben,

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Das Maulthier. Der Mauleſel.
Stimme hören läßt, — welch ein Aufruhr unter der geſammten Eſelei! Der nächſtſtehende Hengſt
fühlt ſich überaus geſchmeichelt, Derjenige zu ſein, welcher die für ihn ſo zarten Töne ſofort pflicht-
ſchuldigſt beantworten darf, und brüllt aus Leibeskräften los. Ein zweiter, dritter, vierter,
zehnter fällt ein: endlich brüllen alle, alle, alle, und man möchte taub oder halb verrückt werden
über ihre Ausdauer. Ob dieſes Mitſchreien auf zartem Mitgefühl oder nur in der Luſt am
Schreien ſelbſt beruht, wage ich nicht zu entſcheiden; ſoviel aber iſt ſicher, daß Ein Eſel alle
übrigen zum Brüllen anregen kann. Die vorhin beſchriebenen Eſelbuben Kairos, denen die
Stimme ihrer Brodthiere viel Vergnügen zu machen ſcheint, wecken das geſittete Ohren ſo fürch-
terlich rührende J — a einfach dadurch, daß ſie die erſten Töne jenes unnachahmlichen, kurz-
geſtoßenen „Ji, Ji, Ji‟, welches dem Hauptinhalte der Eſelrede vorausgeht, nachahmen; dann
übernimmt ſchon einer der Eſel die Mühe, die freudige Erregung weiter fortzupflanzen.

Etwa elf Monate nach der Paarung — gewöhnlich nimmt man einen Zeitraum von 290 Tagen
an — wirft die Eſelin ein (höchſt ſelten auch zwei) vollkommen ausgebildetes, ſehendes Junge, leckt
es mit großer Zärtlichkeit ab und bietet ihm ſchon eine halbe Stunde nach ſeiner Geburt das Euter
dar. Nach 5 bis 6 Monaten kann das Fohlen entwöhnt werden; aber es folgt noch lange ſeiner
Mutter auf allen Wegen nach. Es verlangt auch in der zarteſten Jugend keine beſondere Wartung
oder Pflege, ſondern begnügt ſich, wie es ſeine Eltern thun, mit jeder Nahrung, welche ihm gereicht
wird. Gegen Witterungseinflüſſe iſt es wenig empfindlich, und daher erkrankt es auch nicht ſo leicht.
Es iſt ein überaus munteres, lebhaftes Thier, welches ſeinen Muthwillen und die innere Fröhlich-
keit ſeines Herzens durch die poſſirlichſten Sprünge und Bewegungen zu erkennen gibt. Jedem
anderen Eſel geht es mit großer Freude entgegen; aber auch an den Menſchen gewöhnt es ſich.
Wenn man es von der Mutter trennen will, gibt es auf beiden Seiten große Noth. Mutter wie
Kind widerſetzen ſich und geben, wenn ihnen Dies nicht hilft, ihren Schmerz und ihre Sehnſucht
noch tagelang durch Schreien oder wenigſtens durch große Unruhe zu erkennen. Bei Gefahr verthei-
digt die Alte ihre Kinder mit Muth, und gibt ſich ſelbſt lieber preis, achtet ſogar Feuer und
Waſſer nicht, wenn es gilt, ihren Liebling zu ſchützen. Schon im zweiten Jahre iſt der Eſel er-
wachſen; aber erſt im dritten Jahre erreicht er ſeine volle Kraft. Er kann, auch wenn er tüchtig
arbeiten muß, ein ziemlich hohes Alter erlangen: man kennt Beiſpiele, daß Eſel 40, 50, ja ſelbſt
56 Jahre alt wurden.

Schon ſeit alten Zeiten hat man Pferd und Eſel mit einander gepaart und durch ſolche Kren-
zung Baſtarde erhalten, welche man Maulthiere nennt, wenn der Vater, Mauleſel aber,
wenn die Mutter ein Pferd war. Beide haben in ihrer Geſtalt mehr von der Mutter, als vom
Vater, in ihrem Weſen aber mehr von dieſem, als von jener ererbt.

Das Maulthier (Asinus vulgaris Mulus) kommt an Größe faſt dem Pferde gleich und iſt
ihm auch ähnlich gebildet, aber durch die Form des Kopfes, die Länge der Ohren, den an der
Wurzel kurz behaarten Schwanz, die ſchmächtigen Schenkel und die ſchmaleren Hufe, welche an den
Eſel erinnern, unterſchieden. Jn der Färbung ähnelt es regelmäßig der Mutter. Es röhrt, wie ſein
Herr Vater.

Der Mauleſel (Asinus vulgaris Hinnus) behält die unanſehnliche Geſtalt und die geringe
Größe ſeiner Mutter, empfängt vom Pferde nur den dünneren und längeren Kopf, die längeren
Ohren, die volleren Schenkel, den ſeiner ganzen Länge nach behaarten Schwanz und die wiehernde
Stimme, von ſeiner Mutter hingegen, außer der Geſtalt auch die Trägheit. — Er iſt alſo ein weit
weniger nutzbares Geſchöpf, als jenes.

Pferde und Eſel kreuzen ſich niemals freiwillig, und deshalb bedarf die Maulthierzucht immer
der menſchlichen Beihilfe. Gerade unter den Pferden und Eſeln, welche in größerer Freiheit leben,

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[371/0393] Das Maulthier. Der Mauleſel. Stimme hören läßt, — welch ein Aufruhr unter der geſammten Eſelei! Der nächſtſtehende Hengſt fühlt ſich überaus geſchmeichelt, Derjenige zu ſein, welcher die für ihn ſo zarten Töne ſofort pflicht- ſchuldigſt beantworten darf, und brüllt aus Leibeskräften los. Ein zweiter, dritter, vierter, zehnter fällt ein: endlich brüllen alle, alle, alle, und man möchte taub oder halb verrückt werden über ihre Ausdauer. Ob dieſes Mitſchreien auf zartem Mitgefühl oder nur in der Luſt am Schreien ſelbſt beruht, wage ich nicht zu entſcheiden; ſoviel aber iſt ſicher, daß Ein Eſel alle übrigen zum Brüllen anregen kann. Die vorhin beſchriebenen Eſelbuben Kairos, denen die Stimme ihrer Brodthiere viel Vergnügen zu machen ſcheint, wecken das geſittete Ohren ſo fürch- terlich rührende J — a einfach dadurch, daß ſie die erſten Töne jenes unnachahmlichen, kurz- geſtoßenen „Ji, Ji, Ji‟, welches dem Hauptinhalte der Eſelrede vorausgeht, nachahmen; dann übernimmt ſchon einer der Eſel die Mühe, die freudige Erregung weiter fortzupflanzen. Etwa elf Monate nach der Paarung — gewöhnlich nimmt man einen Zeitraum von 290 Tagen an — wirft die Eſelin ein (höchſt ſelten auch zwei) vollkommen ausgebildetes, ſehendes Junge, leckt es mit großer Zärtlichkeit ab und bietet ihm ſchon eine halbe Stunde nach ſeiner Geburt das Euter dar. Nach 5 bis 6 Monaten kann das Fohlen entwöhnt werden; aber es folgt noch lange ſeiner Mutter auf allen Wegen nach. Es verlangt auch in der zarteſten Jugend keine beſondere Wartung oder Pflege, ſondern begnügt ſich, wie es ſeine Eltern thun, mit jeder Nahrung, welche ihm gereicht wird. Gegen Witterungseinflüſſe iſt es wenig empfindlich, und daher erkrankt es auch nicht ſo leicht. Es iſt ein überaus munteres, lebhaftes Thier, welches ſeinen Muthwillen und die innere Fröhlich- keit ſeines Herzens durch die poſſirlichſten Sprünge und Bewegungen zu erkennen gibt. Jedem anderen Eſel geht es mit großer Freude entgegen; aber auch an den Menſchen gewöhnt es ſich. Wenn man es von der Mutter trennen will, gibt es auf beiden Seiten große Noth. Mutter wie Kind widerſetzen ſich und geben, wenn ihnen Dies nicht hilft, ihren Schmerz und ihre Sehnſucht noch tagelang durch Schreien oder wenigſtens durch große Unruhe zu erkennen. Bei Gefahr verthei- digt die Alte ihre Kinder mit Muth, und gibt ſich ſelbſt lieber preis, achtet ſogar Feuer und Waſſer nicht, wenn es gilt, ihren Liebling zu ſchützen. Schon im zweiten Jahre iſt der Eſel er- wachſen; aber erſt im dritten Jahre erreicht er ſeine volle Kraft. Er kann, auch wenn er tüchtig arbeiten muß, ein ziemlich hohes Alter erlangen: man kennt Beiſpiele, daß Eſel 40, 50, ja ſelbſt 56 Jahre alt wurden. Schon ſeit alten Zeiten hat man Pferd und Eſel mit einander gepaart und durch ſolche Kren- zung Baſtarde erhalten, welche man Maulthiere nennt, wenn der Vater, Mauleſel aber, wenn die Mutter ein Pferd war. Beide haben in ihrer Geſtalt mehr von der Mutter, als vom Vater, in ihrem Weſen aber mehr von dieſem, als von jener ererbt. Das Maulthier (Asinus vulgaris Mulus) kommt an Größe faſt dem Pferde gleich und iſt ihm auch ähnlich gebildet, aber durch die Form des Kopfes, die Länge der Ohren, den an der Wurzel kurz behaarten Schwanz, die ſchmächtigen Schenkel und die ſchmaleren Hufe, welche an den Eſel erinnern, unterſchieden. Jn der Färbung ähnelt es regelmäßig der Mutter. Es röhrt, wie ſein Herr Vater. Der Mauleſel (Asinus vulgaris Hinnus) behält die unanſehnliche Geſtalt und die geringe Größe ſeiner Mutter, empfängt vom Pferde nur den dünneren und längeren Kopf, die längeren Ohren, die volleren Schenkel, den ſeiner ganzen Länge nach behaarten Schwanz und die wiehernde Stimme, von ſeiner Mutter hingegen, außer der Geſtalt auch die Trägheit. — Er iſt alſo ein weit weniger nutzbares Geſchöpf, als jenes. Pferde und Eſel kreuzen ſich niemals freiwillig, und deshalb bedarf die Maulthierzucht immer der menſchlichen Beihilfe. Gerade unter den Pferden und Eſeln, welche in größerer Freiheit leben, 24*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/393>, abgerufen am 23.11.2024.