Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Hirsche.
Schon vor der Geburt des Hirsches ist die Stelle, welche das Geweih tragen soll, durch eine
starke Verknöcherung des Schädels angedeutet. Mit dem sechsten oder achten Monate des Alters
bildet sich durch Erhebung der äußeren Decke am Stirnbein ein Knochenzapfen, welcher während
des ganzen Lebens hindurch stehen bleibt. Dies ist der sogenannte Rosenstock, auf dem sich die
Geweihe aufsetzen. Anfänglich sind die Stangen nur einfach spitz, später verästeln sie sich mehr
und mehr, indem von der Hauptstange Sprossen auslaufen, deren Zahl bis zwölf an jeder
Stange ansteigen kann. "Mit dem Alter der Hirsche," sagt Blasius, "geht eine gewaltige Um-
änderung der Geweihe vor sich. Die erste und allgemein auffallende Veränderung ist die der
Rosenstöcke, welche mit der zunehmenden Größe der Stirnzapfen sich mit jedem Jahr mehr erweitern
und nach der Mitte der Stirn einander nahe rücken; ebenso verringert sich auch mit dem Auf-
rücken der Stirnkante die Rose und der Schädel in jedem Jahr. Noch auffallender aber sind die
Veränderungen in der Gestalt der Geweihe und in der Anzahl der Enden."

"Die jungen Geweihe, in deren ersten Bildungsanfängen der Grund zum Abwerfen der
alten liegt, sind anfangs von einer gefäßreichen, behaarten Haut umgeben, kolbig, weich und
biegsam. Erst lösen sich die tieferen, dann die höher stehenden Enden von der Hauptstange los
und nachdem alle in bleibende Verhältnisse ausgebildet und die Enden vereckt sind, stockt der
Blutumlauf, und der Hirsch hat das Bedürfniß, die Haut oder den Bast abzuschlagen, der nun
auch anfängt, sich von selbst abzulösen." Die Veränderung des Geweihes, gewissermaßen seine
Weiterausbildung, geht nun folgendermaßen vor sich: Schon ehe der Hirsch das erste Lebensjahr
erreicht, bilden sich als unmittelbare Fortsetzungen der Rosenstöcke Stangen, welche bei manchen
Arten der Familie wohl abgeworfen, aber immer in gleicher Weise wieder ersetzt werden, während
bei den meisten Hirschen die auf die erste Stange, die sogenannten Spieße, folgenden Geweihe,
also der Kopfschmuck des zweiten Jahres einen, bisweilen wohl auch zwei Zacken, Sprossen oder
Zinken erhalten. Jm Frühjahr des dritten Jahres wiederholt sich derselbe Vorgang; aber die neu
aufgesetzte Stange enthält einen Sprossen mehr, als im vorigen Jahre, und so geht es fort, bis die
größtmöglichste Ausbildung des Thieres erreicht worden ist. Krankheiten oder schlechte Nahrung
bringen zuweilen einen Rückgang hervor, indem dann die neu aufgesetzten Stangen je einen oder zwei
Sprossen weniger zählen, als vorher.

Dem Abfallen des Geweihes geht eine erhöhte Thätigkeit der Gefäßzweige voraus, welche um
den Rosenstock verlaufen. Die Geweihstange wird durch Vordringen der Gefäße von dem Rosenstock
abgelöst und von den Hirschen entweder abgestoßen, oder einfach durch ihre eigene Schwere zum
Fallen gebracht. Dabei werden aber die Blutgefäße verletzt; es entsteht eine kurze Blutung, und
auf der beschädigten Stelle wölbt sich ein Schorf, unter dem nun die neue Bildungsthätigkeit be-
ginnt. Das Wachsthum der Geweihe währt zehn bis dreißig Wochen. Die Masse, aus der die
Stangen gebildet werden, ist anfangs gallertartig, wird aber durch Zufuhr von Phosphorsäure
und kohlensaurem Kalk allmählich in Knochen verwandelt. Die Haut über dem Geweih, der soge-
nannte Bast, ist weich, dünn mit Haar besetzt und abstehend, gewöhnlich licht von Farbe; die Haut
selbst ist außerordentlich gefäßreich und blutet bei der geringsten Verletzung; eine solche pflegt Miß-
bildung des Geweihes hervorzubringen.

Jm allgemeinen ist die Gestalt des Geweihes eine sehr regelmäßige, obgleich die Oertlichkeit
und die Nahrung wohl Veränderungen zur Folge haben mögen. Für die Artbestimmung bleibt das
Geweih immer noch eins der Hauptmerkmale; aber viele Naturforscher sprechen solcher Bestimmung
nur einen sehr zweifelhaften Werth zu. Gewöhnlich zeigen die verschiedenen Hirscharten aber auch noch
außerdem durchgreifende Unterschiede, und somit unterliegt ihre Bestimmung bei weitem nicht den
Schwierigkeiten, welche die Familie der scheidenhörnigen Wiederkäuer einer genaueren Artbestimmung
entgegensetzen.

Die inneren Leibestheile der Hirsche stimmen im allgemeinen mit denen anderer Wiederkäuer
überein und bedürfen hier keiner besonderen Beschreibung.

Die Hirſche.
Schon vor der Geburt des Hirſches iſt die Stelle, welche das Geweih tragen ſoll, durch eine
ſtarke Verknöcherung des Schädels angedeutet. Mit dem ſechſten oder achten Monate des Alters
bildet ſich durch Erhebung der äußeren Decke am Stirnbein ein Knochenzapfen, welcher während
des ganzen Lebens hindurch ſtehen bleibt. Dies iſt der ſogenannte Roſenſtock, auf dem ſich die
Geweihe aufſetzen. Anfänglich ſind die Stangen nur einfach ſpitz, ſpäter veräſteln ſie ſich mehr
und mehr, indem von der Hauptſtange Sproſſen auslaufen, deren Zahl bis zwölf an jeder
Stange anſteigen kann. „Mit dem Alter der Hirſche,‟ ſagt Blaſius, „geht eine gewaltige Um-
änderung der Geweihe vor ſich. Die erſte und allgemein auffallende Veränderung iſt die der
Roſenſtöcke, welche mit der zunehmenden Größe der Stirnzapfen ſich mit jedem Jahr mehr erweitern
und nach der Mitte der Stirn einander nahe rücken; ebenſo verringert ſich auch mit dem Auf-
rücken der Stirnkante die Roſe und der Schädel in jedem Jahr. Noch auffallender aber ſind die
Veränderungen in der Geſtalt der Geweihe und in der Anzahl der Enden.‟

„Die jungen Geweihe, in deren erſten Bildungsanfängen der Grund zum Abwerfen der
alten liegt, ſind anfangs von einer gefäßreichen, behaarten Haut umgeben, kolbig, weich und
biegſam. Erſt löſen ſich die tieferen, dann die höher ſtehenden Enden von der Hauptſtange los
und nachdem alle in bleibende Verhältniſſe ausgebildet und die Enden vereckt ſind, ſtockt der
Blutumlauf, und der Hirſch hat das Bedürfniß, die Haut oder den Baſt abzuſchlagen, der nun
auch anfängt, ſich von ſelbſt abzulöſen.‟ Die Veränderung des Geweihes, gewiſſermaßen ſeine
Weiterausbildung, geht nun folgendermaßen vor ſich: Schon ehe der Hirſch das erſte Lebensjahr
erreicht, bilden ſich als unmittelbare Fortſetzungen der Roſenſtöcke Stangen, welche bei manchen
Arten der Familie wohl abgeworfen, aber immer in gleicher Weiſe wieder erſetzt werden, während
bei den meiſten Hirſchen die auf die erſte Stange, die ſogenannten Spieße, folgenden Geweihe,
alſo der Kopfſchmuck des zweiten Jahres einen, bisweilen wohl auch zwei Zacken, Sproſſen oder
Zinken erhalten. Jm Frühjahr des dritten Jahres wiederholt ſich derſelbe Vorgang; aber die neu
aufgeſetzte Stange enthält einen Sproſſen mehr, als im vorigen Jahre, und ſo geht es fort, bis die
größtmöglichſte Ausbildung des Thieres erreicht worden iſt. Krankheiten oder ſchlechte Nahrung
bringen zuweilen einen Rückgang hervor, indem dann die neu aufgeſetzten Stangen je einen oder zwei
Sproſſen weniger zählen, als vorher.

Dem Abfallen des Geweihes geht eine erhöhte Thätigkeit der Gefäßzweige voraus, welche um
den Roſenſtock verlaufen. Die Geweihſtange wird durch Vordringen der Gefäße von dem Roſenſtock
abgelöſt und von den Hirſchen entweder abgeſtoßen, oder einfach durch ihre eigene Schwere zum
Fallen gebracht. Dabei werden aber die Blutgefäße verletzt; es entſteht eine kurze Blutung, und
auf der beſchädigten Stelle wölbt ſich ein Schorf, unter dem nun die neue Bildungsthätigkeit be-
ginnt. Das Wachsthum der Geweihe währt zehn bis dreißig Wochen. Die Maſſe, aus der die
Stangen gebildet werden, iſt anfangs gallertartig, wird aber durch Zufuhr von Phosphorſäure
und kohlenſaurem Kalk allmählich in Knochen verwandelt. Die Haut über dem Geweih, der ſoge-
nannte Baſt, iſt weich, dünn mit Haar beſetzt und abſtehend, gewöhnlich licht von Farbe; die Haut
ſelbſt iſt außerordentlich gefäßreich und blutet bei der geringſten Verletzung; eine ſolche pflegt Miß-
bildung des Geweihes hervorzubringen.

Jm allgemeinen iſt die Geſtalt des Geweihes eine ſehr regelmäßige, obgleich die Oertlichkeit
und die Nahrung wohl Veränderungen zur Folge haben mögen. Für die Artbeſtimmung bleibt das
Geweih immer noch eins der Hauptmerkmale; aber viele Naturforſcher ſprechen ſolcher Beſtimmung
nur einen ſehr zweifelhaften Werth zu. Gewöhnlich zeigen die verſchiedenen Hirſcharten aber auch noch
außerdem durchgreifende Unterſchiede, und ſomit unterliegt ihre Beſtimmung bei weitem nicht den
Schwierigkeiten, welche die Familie der ſcheidenhörnigen Wiederkäuer einer genaueren Artbeſtimmung
entgegenſetzen.

Die inneren Leibestheile der Hirſche ſtimmen im allgemeinen mit denen anderer Wiederkäuer
überein und bedürfen hier keiner beſonderen Beſchreibung.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0446" n="422"/><fw place="top" type="header">Die Hir&#x017F;che.</fw><lb/>
Schon vor der Geburt des Hir&#x017F;ches i&#x017F;t die Stelle, welche das Geweih tragen &#x017F;oll, durch eine<lb/>
&#x017F;tarke Verknöcherung des Schädels angedeutet. Mit dem &#x017F;ech&#x017F;ten oder achten Monate des Alters<lb/>
bildet &#x017F;ich durch Erhebung der äußeren Decke am Stirnbein ein Knochenzapfen, welcher während<lb/>
des ganzen Lebens hindurch &#x017F;tehen bleibt. Dies i&#x017F;t der &#x017F;ogenannte Ro&#x017F;en&#x017F;tock, auf dem &#x017F;ich die<lb/>
Geweihe auf&#x017F;etzen. Anfänglich &#x017F;ind die Stangen nur einfach &#x017F;pitz, &#x017F;päter verä&#x017F;teln &#x017F;ie &#x017F;ich mehr<lb/>
und mehr, indem von der Haupt&#x017F;tange Spro&#x017F;&#x017F;en auslaufen, deren Zahl bis zwölf an jeder<lb/>
Stange an&#x017F;teigen kann. &#x201E;Mit dem Alter der Hir&#x017F;che,&#x201F; &#x017F;agt <hi rendition="#g">Bla&#x017F;ius,</hi> &#x201E;geht eine gewaltige Um-<lb/>
änderung der Geweihe vor &#x017F;ich. Die er&#x017F;te und allgemein auffallende Veränderung i&#x017F;t die der<lb/>
Ro&#x017F;en&#x017F;töcke, welche mit der zunehmenden Größe der Stirnzapfen &#x017F;ich mit jedem Jahr mehr erweitern<lb/>
und nach der Mitte der Stirn einander nahe rücken; eben&#x017F;o verringert &#x017F;ich auch mit dem Auf-<lb/>
rücken der Stirnkante die Ro&#x017F;e und der Schädel in jedem Jahr. Noch auffallender aber &#x017F;ind die<lb/>
Veränderungen in der Ge&#x017F;talt der Geweihe und in der Anzahl der Enden.&#x201F;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Die jungen Geweihe, in deren er&#x017F;ten Bildungsanfängen der Grund zum Abwerfen der<lb/>
alten liegt, &#x017F;ind anfangs von einer gefäßreichen, behaarten Haut umgeben, kolbig, weich und<lb/>
bieg&#x017F;am. Er&#x017F;t lö&#x017F;en &#x017F;ich die tieferen, dann die höher &#x017F;tehenden Enden von der Haupt&#x017F;tange los<lb/>
und nachdem alle in bleibende Verhältni&#x017F;&#x017F;e ausgebildet und die Enden vereckt &#x017F;ind, &#x017F;tockt der<lb/>
Blutumlauf, und der Hir&#x017F;ch hat das Bedürfniß, die Haut oder den Ba&#x017F;t abzu&#x017F;chlagen, der nun<lb/>
auch anfängt, &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t abzulö&#x017F;en.&#x201F; Die Veränderung des Geweihes, gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen &#x017F;eine<lb/>
Weiterausbildung, geht nun folgendermaßen vor &#x017F;ich: Schon ehe der Hir&#x017F;ch das er&#x017F;te Lebensjahr<lb/>
erreicht, bilden &#x017F;ich als unmittelbare Fort&#x017F;etzungen der Ro&#x017F;en&#x017F;töcke Stangen, welche bei manchen<lb/>
Arten der Familie wohl abgeworfen, aber immer in gleicher Wei&#x017F;e wieder er&#x017F;etzt werden, während<lb/>
bei den mei&#x017F;ten Hir&#x017F;chen die auf die er&#x017F;te Stange, die &#x017F;ogenannten Spieße, folgenden Geweihe,<lb/>
al&#x017F;o der Kopf&#x017F;chmuck des zweiten Jahres einen, bisweilen wohl auch zwei Zacken, Spro&#x017F;&#x017F;en oder<lb/>
Zinken erhalten. Jm Frühjahr des dritten Jahres wiederholt &#x017F;ich der&#x017F;elbe Vorgang; aber die neu<lb/>
aufge&#x017F;etzte Stange enthält einen Spro&#x017F;&#x017F;en mehr, als im vorigen Jahre, und &#x017F;o geht es fort, bis die<lb/>
größtmöglich&#x017F;te Ausbildung des Thieres erreicht worden i&#x017F;t. Krankheiten oder &#x017F;chlechte Nahrung<lb/>
bringen zuweilen einen Rückgang hervor, indem dann die neu aufge&#x017F;etzten Stangen je einen oder zwei<lb/>
Spro&#x017F;&#x017F;en weniger zählen, als vorher.</p><lb/>
              <p>Dem Abfallen des Geweihes geht eine erhöhte Thätigkeit der Gefäßzweige voraus, welche um<lb/>
den Ro&#x017F;en&#x017F;tock verlaufen. Die Geweih&#x017F;tange wird durch Vordringen der Gefäße von dem Ro&#x017F;en&#x017F;tock<lb/>
abgelö&#x017F;t und von den Hir&#x017F;chen entweder abge&#x017F;toßen, oder einfach durch ihre eigene Schwere zum<lb/>
Fallen gebracht. Dabei werden aber die Blutgefäße verletzt; es ent&#x017F;teht eine kurze Blutung, und<lb/>
auf der be&#x017F;chädigten Stelle wölbt &#x017F;ich ein Schorf, unter dem nun die neue Bildungsthätigkeit be-<lb/>
ginnt. Das Wachsthum der Geweihe währt zehn bis dreißig Wochen. Die Ma&#x017F;&#x017F;e, aus der die<lb/>
Stangen gebildet werden, i&#x017F;t anfangs gallertartig, wird aber durch Zufuhr von Phosphor&#x017F;äure<lb/>
und kohlen&#x017F;aurem Kalk allmählich in Knochen verwandelt. Die Haut über dem Geweih, der &#x017F;oge-<lb/>
nannte Ba&#x017F;t, i&#x017F;t weich, dünn mit Haar be&#x017F;etzt und ab&#x017F;tehend, gewöhnlich licht von Farbe; die Haut<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t außerordentlich gefäßreich und blutet bei der gering&#x017F;ten Verletzung; eine &#x017F;olche pflegt Miß-<lb/>
bildung des Geweihes hervorzubringen.</p><lb/>
              <p>Jm allgemeinen i&#x017F;t die Ge&#x017F;talt des Geweihes eine &#x017F;ehr regelmäßige, obgleich die Oertlichkeit<lb/>
und die Nahrung wohl Veränderungen zur Folge haben mögen. Für die Artbe&#x017F;timmung bleibt das<lb/>
Geweih immer noch eins der Hauptmerkmale; aber viele Naturfor&#x017F;cher &#x017F;prechen &#x017F;olcher Be&#x017F;timmung<lb/>
nur einen &#x017F;ehr zweifelhaften Werth zu. Gewöhnlich zeigen die ver&#x017F;chiedenen Hir&#x017F;charten aber auch noch<lb/>
außerdem durchgreifende Unter&#x017F;chiede, und &#x017F;omit unterliegt ihre Be&#x017F;timmung bei weitem nicht den<lb/>
Schwierigkeiten, welche die Familie der &#x017F;cheidenhörnigen Wiederkäuer einer genaueren Artbe&#x017F;timmung<lb/>
entgegen&#x017F;etzen.</p><lb/>
              <p>Die inneren Leibestheile der Hir&#x017F;che &#x017F;timmen im allgemeinen mit denen anderer Wiederkäuer<lb/>
überein und bedürfen hier keiner be&#x017F;onderen Be&#x017F;chreibung.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[422/0446] Die Hirſche. Schon vor der Geburt des Hirſches iſt die Stelle, welche das Geweih tragen ſoll, durch eine ſtarke Verknöcherung des Schädels angedeutet. Mit dem ſechſten oder achten Monate des Alters bildet ſich durch Erhebung der äußeren Decke am Stirnbein ein Knochenzapfen, welcher während des ganzen Lebens hindurch ſtehen bleibt. Dies iſt der ſogenannte Roſenſtock, auf dem ſich die Geweihe aufſetzen. Anfänglich ſind die Stangen nur einfach ſpitz, ſpäter veräſteln ſie ſich mehr und mehr, indem von der Hauptſtange Sproſſen auslaufen, deren Zahl bis zwölf an jeder Stange anſteigen kann. „Mit dem Alter der Hirſche,‟ ſagt Blaſius, „geht eine gewaltige Um- änderung der Geweihe vor ſich. Die erſte und allgemein auffallende Veränderung iſt die der Roſenſtöcke, welche mit der zunehmenden Größe der Stirnzapfen ſich mit jedem Jahr mehr erweitern und nach der Mitte der Stirn einander nahe rücken; ebenſo verringert ſich auch mit dem Auf- rücken der Stirnkante die Roſe und der Schädel in jedem Jahr. Noch auffallender aber ſind die Veränderungen in der Geſtalt der Geweihe und in der Anzahl der Enden.‟ „Die jungen Geweihe, in deren erſten Bildungsanfängen der Grund zum Abwerfen der alten liegt, ſind anfangs von einer gefäßreichen, behaarten Haut umgeben, kolbig, weich und biegſam. Erſt löſen ſich die tieferen, dann die höher ſtehenden Enden von der Hauptſtange los und nachdem alle in bleibende Verhältniſſe ausgebildet und die Enden vereckt ſind, ſtockt der Blutumlauf, und der Hirſch hat das Bedürfniß, die Haut oder den Baſt abzuſchlagen, der nun auch anfängt, ſich von ſelbſt abzulöſen.‟ Die Veränderung des Geweihes, gewiſſermaßen ſeine Weiterausbildung, geht nun folgendermaßen vor ſich: Schon ehe der Hirſch das erſte Lebensjahr erreicht, bilden ſich als unmittelbare Fortſetzungen der Roſenſtöcke Stangen, welche bei manchen Arten der Familie wohl abgeworfen, aber immer in gleicher Weiſe wieder erſetzt werden, während bei den meiſten Hirſchen die auf die erſte Stange, die ſogenannten Spieße, folgenden Geweihe, alſo der Kopfſchmuck des zweiten Jahres einen, bisweilen wohl auch zwei Zacken, Sproſſen oder Zinken erhalten. Jm Frühjahr des dritten Jahres wiederholt ſich derſelbe Vorgang; aber die neu aufgeſetzte Stange enthält einen Sproſſen mehr, als im vorigen Jahre, und ſo geht es fort, bis die größtmöglichſte Ausbildung des Thieres erreicht worden iſt. Krankheiten oder ſchlechte Nahrung bringen zuweilen einen Rückgang hervor, indem dann die neu aufgeſetzten Stangen je einen oder zwei Sproſſen weniger zählen, als vorher. Dem Abfallen des Geweihes geht eine erhöhte Thätigkeit der Gefäßzweige voraus, welche um den Roſenſtock verlaufen. Die Geweihſtange wird durch Vordringen der Gefäße von dem Roſenſtock abgelöſt und von den Hirſchen entweder abgeſtoßen, oder einfach durch ihre eigene Schwere zum Fallen gebracht. Dabei werden aber die Blutgefäße verletzt; es entſteht eine kurze Blutung, und auf der beſchädigten Stelle wölbt ſich ein Schorf, unter dem nun die neue Bildungsthätigkeit be- ginnt. Das Wachsthum der Geweihe währt zehn bis dreißig Wochen. Die Maſſe, aus der die Stangen gebildet werden, iſt anfangs gallertartig, wird aber durch Zufuhr von Phosphorſäure und kohlenſaurem Kalk allmählich in Knochen verwandelt. Die Haut über dem Geweih, der ſoge- nannte Baſt, iſt weich, dünn mit Haar beſetzt und abſtehend, gewöhnlich licht von Farbe; die Haut ſelbſt iſt außerordentlich gefäßreich und blutet bei der geringſten Verletzung; eine ſolche pflegt Miß- bildung des Geweihes hervorzubringen. Jm allgemeinen iſt die Geſtalt des Geweihes eine ſehr regelmäßige, obgleich die Oertlichkeit und die Nahrung wohl Veränderungen zur Folge haben mögen. Für die Artbeſtimmung bleibt das Geweih immer noch eins der Hauptmerkmale; aber viele Naturforſcher ſprechen ſolcher Beſtimmung nur einen ſehr zweifelhaften Werth zu. Gewöhnlich zeigen die verſchiedenen Hirſcharten aber auch noch außerdem durchgreifende Unterſchiede, und ſomit unterliegt ihre Beſtimmung bei weitem nicht den Schwierigkeiten, welche die Familie der ſcheidenhörnigen Wiederkäuer einer genaueren Artbeſtimmung entgegenſetzen. Die inneren Leibestheile der Hirſche ſtimmen im allgemeinen mit denen anderer Wiederkäuer überein und bedürfen hier keiner beſonderen Beſchreibung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/446
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/446>, abgerufen am 23.11.2024.