Eine Sippe, welche uns näher angeht, als die meisten anderen, ist die der Hirschziegen- antilopen (Cervicapra). Man versteht darunter schlank gebaute Thiere mit runden, nach auf- und rückwärts gerichteten, schraubenförmig gedrehten und geringelten, fast geraden Hörnern, welche aber blos dem Männchen zukommen. Der Schwanz ist kurz und buschig behaart. Das Weibchen trägt zwei Zitzen. Große, bewegliche Thränengruben und Drüsensäcke zwischen den Zehen und in den Weichen, sowie Klauendrüsen dienen zur weiteren Kennzeichnung.
Die eigentliche Hirschziegenantilope (Cervicapra bezoartica) spielt in der indischen Götterlehre eine wichtige Rolle. Sie nimmt in dem Thierkreise der Hindus die Stelle des Stein- bocks ein und ist nebst vielen anderen Arten der Göttin Tschandra oder dem Monde geheiligt. Jm Sanskrit heißt sie Ena, die Gefleckte; gegenwärtig trägt sie den Namen Safin oder Safi. Unzählige
[Abbildung]
Die eigentliche Hirschziegenantilope (Cervicapra bezoartica).
Gedichte preisen und rühmen ihre Schönheit. Sie hat viel Aehnlichkeit mit unserem Damhirsch, ist aber etwas kleiner, schlanker und weit zierlicher, als dieser. Jhre Leibeslänge beträgt fast 4 Fuß; die Länge des Schwanzes 6 Zoll und mit dem Haarbüschel am Ende 9 Zoll, die Höhe am Widerrist 21/2 Fuß. Der Leib ist schwach, gestreckt und untersetzt; der Rücken ziemlich gerade und hinten etwas höher, als am Widerrist. Der Hals ist schmächtig und seitlich zusammengedrückt, der Kopf ziemlich rund, hinten hoch, nach vorn zu verschmälert, an der Stirn breit, längs der Nase gerade und an der Schnauze gerundet. Die Beine sind hoch, schlank und dünn, die hinteren etwas länger, als die vorderen. Die Augen sind verhältnißmäßig groß und außerordentlich lebhaft. Jhre Thränen- gruben bilden eine Art von Tasche, welche willkürlich geöffnet und geschlossen werden kann. Die Ohren sind groß und lang, unten geschlossen, in der Mitte ausgebreitet, gegen das Ende verschmä- lert und zugespitzt. Das Gehörn wird bis sechzehn Zoll lang, ist nach vorn und rückwärts gerichtet,
Brehm, Thierleben. II. 32
Die eigentliche Hirſchziegenantilope.
Eine Sippe, welche uns näher angeht, als die meiſten anderen, iſt die der Hirſchziegen- antilopen (Cervicapra). Man verſteht darunter ſchlank gebaute Thiere mit runden, nach auf- und rückwärts gerichteten, ſchraubenförmig gedrehten und geringelten, faſt geraden Hörnern, welche aber blos dem Männchen zukommen. Der Schwanz iſt kurz und buſchig behaart. Das Weibchen trägt zwei Zitzen. Große, bewegliche Thränengruben und Drüſenſäcke zwiſchen den Zehen und in den Weichen, ſowie Klauendrüſen dienen zur weiteren Kennzeichnung.
Die eigentliche Hirſchziegenantilope (Cervicapra bezoartica) ſpielt in der indiſchen Götterlehre eine wichtige Rolle. Sie nimmt in dem Thierkreiſe der Hindus die Stelle des Stein- bocks ein und iſt nebſt vielen anderen Arten der Göttin Tſchandra oder dem Monde geheiligt. Jm Sanskrit heißt ſie Ena, die Gefleckte; gegenwärtig trägt ſie den Namen Safin oder Safi. Unzählige
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Die eigentliche Hirſchziegenantilope (Cervicapra bezoartica).
Gedichte preiſen und rühmen ihre Schönheit. Sie hat viel Aehnlichkeit mit unſerem Damhirſch, iſt aber etwas kleiner, ſchlanker und weit zierlicher, als dieſer. Jhre Leibeslänge beträgt faſt 4 Fuß; die Länge des Schwanzes 6 Zoll und mit dem Haarbüſchel am Ende 9 Zoll, die Höhe am Widerriſt 2½ Fuß. Der Leib iſt ſchwach, geſtreckt und unterſetzt; der Rücken ziemlich gerade und hinten etwas höher, als am Widerriſt. Der Hals iſt ſchmächtig und ſeitlich zuſammengedrückt, der Kopf ziemlich rund, hinten hoch, nach vorn zu verſchmälert, an der Stirn breit, längs der Naſe gerade und an der Schnauze gerundet. Die Beine ſind hoch, ſchlank und dünn, die hinteren etwas länger, als die vorderen. Die Augen ſind verhältnißmäßig groß und außerordentlich lebhaft. Jhre Thränen- gruben bilden eine Art von Taſche, welche willkürlich geöffnet und geſchloſſen werden kann. Die Ohren ſind groß und lang, unten geſchloſſen, in der Mitte ausgebreitet, gegen das Ende verſchmä- lert und zugeſpitzt. Das Gehörn wird bis ſechzehn Zoll lang, iſt nach vorn und rückwärts gerichtet,
Brehm, Thierleben. II. 32
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Die eigentliche Hirſchziegenantilope.
Eine Sippe, welche uns näher angeht, als die meiſten anderen, iſt die der Hirſchziegen-
antilopen (Cervicapra). Man verſteht darunter ſchlank gebaute Thiere mit runden, nach auf-
und rückwärts gerichteten, ſchraubenförmig gedrehten und geringelten, faſt geraden Hörnern, welche
aber blos dem Männchen zukommen. Der Schwanz iſt kurz und buſchig behaart. Das Weibchen
trägt zwei Zitzen. Große, bewegliche Thränengruben und Drüſenſäcke zwiſchen den Zehen und in
den Weichen, ſowie Klauendrüſen dienen zur weiteren Kennzeichnung.
Die eigentliche Hirſchziegenantilope (Cervicapra bezoartica) ſpielt in der indiſchen
Götterlehre eine wichtige Rolle. Sie nimmt in dem Thierkreiſe der Hindus die Stelle des Stein-
bocks ein und iſt nebſt vielen anderen Arten der Göttin Tſchandra oder dem Monde geheiligt. Jm
Sanskrit heißt ſie Ena, die Gefleckte; gegenwärtig trägt ſie den Namen Safin oder Safi. Unzählige
[Abbildung Die eigentliche Hirſchziegenantilope (Cervicapra bezoartica).]
Gedichte preiſen und rühmen ihre Schönheit. Sie hat viel Aehnlichkeit mit unſerem Damhirſch, iſt
aber etwas kleiner, ſchlanker und weit zierlicher, als dieſer. Jhre Leibeslänge beträgt faſt 4 Fuß;
die Länge des Schwanzes 6 Zoll und mit dem Haarbüſchel am Ende 9 Zoll, die Höhe am Widerriſt
2½ Fuß. Der Leib iſt ſchwach, geſtreckt und unterſetzt; der Rücken ziemlich gerade und hinten
etwas höher, als am Widerriſt. Der Hals iſt ſchmächtig und ſeitlich zuſammengedrückt, der Kopf
ziemlich rund, hinten hoch, nach vorn zu verſchmälert, an der Stirn breit, längs der Naſe gerade
und an der Schnauze gerundet. Die Beine ſind hoch, ſchlank und dünn, die hinteren etwas länger,
als die vorderen. Die Augen ſind verhältnißmäßig groß und außerordentlich lebhaft. Jhre Thränen-
gruben bilden eine Art von Taſche, welche willkürlich geöffnet und geſchloſſen werden kann. Die
Ohren ſind groß und lang, unten geſchloſſen, in der Mitte ausgebreitet, gegen das Ende verſchmä-
lert und zugeſpitzt. Das Gehörn wird bis ſechzehn Zoll lang, iſt nach vorn und rückwärts gerichtet,
Brehm, Thierleben. II. 32
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/525>, abgerufen am 23.11.2024.
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