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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Hausziegen.
Luft streckt. Der siegreiche Bock, fast erschrocken über diese Widerstandslosigkeit eines Britenschädels,
steigt mit dem einen Vorderfuße auf den Stamm und sieht neugierig nach seinem zappelnden und
schreienden Opfer."

Jch erinnere mich mit Vergnügen eines sehr starken Ziegenbockes, welcher ruhig wiederkäuend in
einem Dorfe lag. Es war die lustige Zeit des Schülerlebens und wir, die Uebermüthigen, ver-
mochten nicht, das behaglich hingestreckte Thier so ganz unbehelligt zu lassen. Einer von uns
forderte also durch einen Stoß mit der flach vorgehaltenen Hand den Bock zum Kampfe heraus. Der
erhob sich langsam, streckte und reckte sich, besann sich erst lange; dann aber stellte er sich seinem
Herausforderer und nahm nunmehr die Sache viel ernsthafter, als jener gewollt hatte. Er verfolgte
uns durch das ganze Dorf, entschieden mißmuthig, daß wir ihm den Rücken kehrten; denn sobald sich
einer nach ihm herumdrehte, stellte er sich augenblicklich ernsthaft auf und nickte bedeutungsvoll mit dem
Kopfe. Erst nachdem er uns etwa zehn Minuten weit begleitet und zu seinem großen Bedauern ge-
sehen hatte, daß mit solchen Feiglingen kein ehrenfester Strauß auszufechten, verließ er uns und
trabte, grollend über die verpaßte Gelegenheit, seinen Muth zu zeigen, wieder dem Dorfe zu.

Kämpfe mit dem Menschen und anderen Thieren sind selten ernst gemeint; es scheint eher mehr,
daß es dem Bock darum zu thun ist, seine Bereitwilligkeit zum Kampfe zu zeigen, als den Gegner
wirklich zu gefährden. Allerliebst sieht es aus, wenn junge Ziegenböcke mit jungen, spiellustigen
Hunden kämpfen: -- doch das hat ja unser Kinderfreund Otto Speckter so allerliebst in Bild
und Wort gezeichnet, daß ich Nichts darüber zu sagen brauche.

Sicher ist, daß die Ziege eine natürliche Zuneigung zum Menschen hat. Sie ist ehrgeizig
und für Liebkosungen im höchsten Grade empfänglich. Weiß eine, daß sie gut steht bei ihrem Herrn,
so zeigt sie sich eifersüchtig wie ein verwöhnter Hund, und stößt auf die andere los, wenn der
Herr diese ihr vorzieht. Dabei ist sie klug und versteht es, ob der Mensch ihr eine Unbilde zu-
gefügt, oder sie in aller Form Rechtens bestraft hat. Geschulte Ziegenböcke ziehen die Knaben bereit-
willig und gern stundenlang, widersetzen sich aber der Arbeit aufs entschiedenste, sobald sie gequält
oder unnöthigerweise geneckt werden. Ja, der Verstand dieser vortrefflichen Thiere geht noch weiter,
ich kenne Ziegen, welche förmlich die menschliche Sprache verstehen. Daß abgerichtete Ziegen auf Be-
fehl die verschiedensten Dinge ausrichten, ist bekannt, -- ihre Lernfähigkeit geht ja soweit, daß sie
sogar mit einzelnen Buchstabentäfelchen Worte zusammensetzen: -- daß aber Ziegen, so zu sagen,
sprechende Antworten auf vorgelegte Fragen geben, ohne irgendwie abgerichtet worden zu sein, Das
spricht sicherlich für ihren hohen Verstand. Meine Mutter hält Ziegen und achtet sie hoch, ist des-
halb auch sehr besorgt, daß sie gut abgewartet werden. Nun ereignet es sich zuweilen, daß die
leichtsinnigen Dienstboten die Thiere nicht gehörig füttern. Meine Mutter kann aber sofort
erfahren, ob ihre Ziegen sich befriedigt fühlen, oder nicht. Sie braucht die Thiere nur zum Fenster
heraus zu fragen, so erhält sie die richtige Antwort. Denn sobald die Ziegen die Stimme ihrer
Pflegerin hören und irgendwie sich vernachlässigt fühlen, schreien sie laut auf, im entgegengesetzten
Fall schweigen sie hartnäckig. Genau so benehmen sie sich, falls sie unrechtmäßigerweise gezüch-
tigt worden. Wenn sie einmal in den Garten gerathen und dort mit ein paar Peitschenhieben von den
Blumenbeeten oder Obstbäumen weggetrieben werden, vernimmt man keinen Laut von ihnen; wenn
aber die Magd ihnen im Stalle einen Schlag gibt, schreien sie jämmerlich. Jm Hochgebirge begleiten
sie den Wanderer bettelnd und sich an ihn schmiegend oft halbe Stunden weit, und Denjenigen,
welcher ihnen nur ein Mal Etwas reichte, kennen sie genau und begrüßen ihn freudig, sobald er
sich wieder zeigt.

Auf den spanischen Hochgebirgen wendet man die Ziegen, ihrer großen Klugheit wegen, als Leit-
thiere der Schafherden an. Die edleren Schafrassen werden dort während des Sommers auf den
Hochgebirgen geweidet, im Süden oft in Höhen zwischen 8 bis 10,000 Fuß über dem Meere. Hier
können die Hirten ohne Ziegen gar nicht bestehen; allein sie betrachten die ihnen so nützlichen Thiere
doch nur als nothwendiges Uebel.

Die Hausziegen.
Luft ſtreckt. Der ſiegreiche Bock, faſt erſchrocken über dieſe Widerſtandsloſigkeit eines Britenſchädels,
ſteigt mit dem einen Vorderfuße auf den Stamm und ſieht neugierig nach ſeinem zappelnden und
ſchreienden Opfer.‟

Jch erinnere mich mit Vergnügen eines ſehr ſtarken Ziegenbockes, welcher ruhig wiederkäuend in
einem Dorfe lag. Es war die luſtige Zeit des Schülerlebens und wir, die Uebermüthigen, ver-
mochten nicht, das behaglich hingeſtreckte Thier ſo ganz unbehelligt zu laſſen. Einer von uns
forderte alſo durch einen Stoß mit der flach vorgehaltenen Hand den Bock zum Kampfe heraus. Der
erhob ſich langſam, ſtreckte und reckte ſich, beſann ſich erſt lange; dann aber ſtellte er ſich ſeinem
Herausforderer und nahm nunmehr die Sache viel ernſthafter, als jener gewollt hatte. Er verfolgte
uns durch das ganze Dorf, entſchieden mißmuthig, daß wir ihm den Rücken kehrten; denn ſobald ſich
einer nach ihm herumdrehte, ſtellte er ſich augenblicklich ernſthaft auf und nickte bedeutungsvoll mit dem
Kopfe. Erſt nachdem er uns etwa zehn Minuten weit begleitet und zu ſeinem großen Bedauern ge-
ſehen hatte, daß mit ſolchen Feiglingen kein ehrenfeſter Strauß auszufechten, verließ er uns und
trabte, grollend über die verpaßte Gelegenheit, ſeinen Muth zu zeigen, wieder dem Dorfe zu.

Kämpfe mit dem Menſchen und anderen Thieren ſind ſelten ernſt gemeint; es ſcheint eher mehr,
daß es dem Bock darum zu thun iſt, ſeine Bereitwilligkeit zum Kampfe zu zeigen, als den Gegner
wirklich zu gefährden. Allerliebſt ſieht es aus, wenn junge Ziegenböcke mit jungen, ſpielluſtigen
Hunden kämpfen: — doch das hat ja unſer Kinderfreund Otto Speckter ſo allerliebſt in Bild
und Wort gezeichnet, daß ich Nichts darüber zu ſagen brauche.

Sicher iſt, daß die Ziege eine natürliche Zuneigung zum Menſchen hat. Sie iſt ehrgeizig
und für Liebkoſungen im höchſten Grade empfänglich. Weiß eine, daß ſie gut ſteht bei ihrem Herrn,
ſo zeigt ſie ſich eiferſüchtig wie ein verwöhnter Hund, und ſtößt auf die andere los, wenn der
Herr dieſe ihr vorzieht. Dabei iſt ſie klug und verſteht es, ob der Menſch ihr eine Unbilde zu-
gefügt, oder ſie in aller Form Rechtens beſtraft hat. Geſchulte Ziegenböcke ziehen die Knaben bereit-
willig und gern ſtundenlang, widerſetzen ſich aber der Arbeit aufs entſchiedenſte, ſobald ſie gequält
oder unnöthigerweiſe geneckt werden. Ja, der Verſtand dieſer vortrefflichen Thiere geht noch weiter,
ich kenne Ziegen, welche förmlich die menſchliche Sprache verſtehen. Daß abgerichtete Ziegen auf Be-
fehl die verſchiedenſten Dinge ausrichten, iſt bekannt, — ihre Lernfähigkeit geht ja ſoweit, daß ſie
ſogar mit einzelnen Buchſtabentäfelchen Worte zuſammenſetzen: — daß aber Ziegen, ſo zu ſagen,
ſprechende Antworten auf vorgelegte Fragen geben, ohne irgendwie abgerichtet worden zu ſein, Das
ſpricht ſicherlich für ihren hohen Verſtand. Meine Mutter hält Ziegen und achtet ſie hoch, iſt des-
halb auch ſehr beſorgt, daß ſie gut abgewartet werden. Nun ereignet es ſich zuweilen, daß die
leichtſinnigen Dienſtboten die Thiere nicht gehörig füttern. Meine Mutter kann aber ſofort
erfahren, ob ihre Ziegen ſich befriedigt fühlen, oder nicht. Sie braucht die Thiere nur zum Fenſter
heraus zu fragen, ſo erhält ſie die richtige Antwort. Denn ſobald die Ziegen die Stimme ihrer
Pflegerin hören und irgendwie ſich vernachläſſigt fühlen, ſchreien ſie laut auf, im entgegengeſetzten
Fall ſchweigen ſie hartnäckig. Genau ſo benehmen ſie ſich, falls ſie unrechtmäßigerweiſe gezüch-
tigt worden. Wenn ſie einmal in den Garten gerathen und dort mit ein paar Peitſchenhieben von den
Blumenbeeten oder Obſtbäumen weggetrieben werden, vernimmt man keinen Laut von ihnen; wenn
aber die Magd ihnen im Stalle einen Schlag gibt, ſchreien ſie jämmerlich. Jm Hochgebirge begleiten
ſie den Wanderer bettelnd und ſich an ihn ſchmiegend oft halbe Stunden weit, und Denjenigen,
welcher ihnen nur ein Mal Etwas reichte, kennen ſie genau und begrüßen ihn freudig, ſobald er
ſich wieder zeigt.

Auf den ſpaniſchen Hochgebirgen wendet man die Ziegen, ihrer großen Klugheit wegen, als Leit-
thiere der Schafherden an. Die edleren Schafraſſen werden dort während des Sommers auf den
Hochgebirgen geweidet, im Süden oft in Höhen zwiſchen 8 bis 10,000 Fuß über dem Meere. Hier
können die Hirten ohne Ziegen gar nicht beſtehen; allein ſie betrachten die ihnen ſo nützlichen Thiere
doch nur als nothwendiges Uebel.

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[589/0619] Die Hausziegen. Luft ſtreckt. Der ſiegreiche Bock, faſt erſchrocken über dieſe Widerſtandsloſigkeit eines Britenſchädels, ſteigt mit dem einen Vorderfuße auf den Stamm und ſieht neugierig nach ſeinem zappelnden und ſchreienden Opfer.‟ Jch erinnere mich mit Vergnügen eines ſehr ſtarken Ziegenbockes, welcher ruhig wiederkäuend in einem Dorfe lag. Es war die luſtige Zeit des Schülerlebens und wir, die Uebermüthigen, ver- mochten nicht, das behaglich hingeſtreckte Thier ſo ganz unbehelligt zu laſſen. Einer von uns forderte alſo durch einen Stoß mit der flach vorgehaltenen Hand den Bock zum Kampfe heraus. Der erhob ſich langſam, ſtreckte und reckte ſich, beſann ſich erſt lange; dann aber ſtellte er ſich ſeinem Herausforderer und nahm nunmehr die Sache viel ernſthafter, als jener gewollt hatte. Er verfolgte uns durch das ganze Dorf, entſchieden mißmuthig, daß wir ihm den Rücken kehrten; denn ſobald ſich einer nach ihm herumdrehte, ſtellte er ſich augenblicklich ernſthaft auf und nickte bedeutungsvoll mit dem Kopfe. Erſt nachdem er uns etwa zehn Minuten weit begleitet und zu ſeinem großen Bedauern ge- ſehen hatte, daß mit ſolchen Feiglingen kein ehrenfeſter Strauß auszufechten, verließ er uns und trabte, grollend über die verpaßte Gelegenheit, ſeinen Muth zu zeigen, wieder dem Dorfe zu. Kämpfe mit dem Menſchen und anderen Thieren ſind ſelten ernſt gemeint; es ſcheint eher mehr, daß es dem Bock darum zu thun iſt, ſeine Bereitwilligkeit zum Kampfe zu zeigen, als den Gegner wirklich zu gefährden. Allerliebſt ſieht es aus, wenn junge Ziegenböcke mit jungen, ſpielluſtigen Hunden kämpfen: — doch das hat ja unſer Kinderfreund Otto Speckter ſo allerliebſt in Bild und Wort gezeichnet, daß ich Nichts darüber zu ſagen brauche. Sicher iſt, daß die Ziege eine natürliche Zuneigung zum Menſchen hat. Sie iſt ehrgeizig und für Liebkoſungen im höchſten Grade empfänglich. Weiß eine, daß ſie gut ſteht bei ihrem Herrn, ſo zeigt ſie ſich eiferſüchtig wie ein verwöhnter Hund, und ſtößt auf die andere los, wenn der Herr dieſe ihr vorzieht. Dabei iſt ſie klug und verſteht es, ob der Menſch ihr eine Unbilde zu- gefügt, oder ſie in aller Form Rechtens beſtraft hat. Geſchulte Ziegenböcke ziehen die Knaben bereit- willig und gern ſtundenlang, widerſetzen ſich aber der Arbeit aufs entſchiedenſte, ſobald ſie gequält oder unnöthigerweiſe geneckt werden. Ja, der Verſtand dieſer vortrefflichen Thiere geht noch weiter, ich kenne Ziegen, welche förmlich die menſchliche Sprache verſtehen. Daß abgerichtete Ziegen auf Be- fehl die verſchiedenſten Dinge ausrichten, iſt bekannt, — ihre Lernfähigkeit geht ja ſoweit, daß ſie ſogar mit einzelnen Buchſtabentäfelchen Worte zuſammenſetzen: — daß aber Ziegen, ſo zu ſagen, ſprechende Antworten auf vorgelegte Fragen geben, ohne irgendwie abgerichtet worden zu ſein, Das ſpricht ſicherlich für ihren hohen Verſtand. Meine Mutter hält Ziegen und achtet ſie hoch, iſt des- halb auch ſehr beſorgt, daß ſie gut abgewartet werden. Nun ereignet es ſich zuweilen, daß die leichtſinnigen Dienſtboten die Thiere nicht gehörig füttern. Meine Mutter kann aber ſofort erfahren, ob ihre Ziegen ſich befriedigt fühlen, oder nicht. Sie braucht die Thiere nur zum Fenſter heraus zu fragen, ſo erhält ſie die richtige Antwort. Denn ſobald die Ziegen die Stimme ihrer Pflegerin hören und irgendwie ſich vernachläſſigt fühlen, ſchreien ſie laut auf, im entgegengeſetzten Fall ſchweigen ſie hartnäckig. Genau ſo benehmen ſie ſich, falls ſie unrechtmäßigerweiſe gezüch- tigt worden. Wenn ſie einmal in den Garten gerathen und dort mit ein paar Peitſchenhieben von den Blumenbeeten oder Obſtbäumen weggetrieben werden, vernimmt man keinen Laut von ihnen; wenn aber die Magd ihnen im Stalle einen Schlag gibt, ſchreien ſie jämmerlich. Jm Hochgebirge begleiten ſie den Wanderer bettelnd und ſich an ihn ſchmiegend oft halbe Stunden weit, und Denjenigen, welcher ihnen nur ein Mal Etwas reichte, kennen ſie genau und begrüßen ihn freudig, ſobald er ſich wieder zeigt. Auf den ſpaniſchen Hochgebirgen wendet man die Ziegen, ihrer großen Klugheit wegen, als Leit- thiere der Schafherden an. Die edleren Schafraſſen werden dort während des Sommers auf den Hochgebirgen geweidet, im Süden oft in Höhen zwiſchen 8 bis 10,000 Fuß über dem Meere. Hier können die Hirten ohne Ziegen gar nicht beſtehen; allein ſie betrachten die ihnen ſo nützlichen Thiere doch nur als nothwendiges Uebel.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/619>, abgerufen am 23.11.2024.