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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Schmetterlinge. Tagfalter. Weißlinge.
Schienenstranges befanden sich nämlich einige Felder, an deren abgefressenen Kohlstrünken die
Leistungen besagter Raupe deutlich genug zu erkennen waren. Da sich nun in einiger Entfernung
rechts von den Schienen noch einige Kohlbeete wahrnehmen ließen, deren Pflanzen noch im vollen
Blätterschmucke prangten, so war offenbar kurz vorher in einer Raupen-Volksversammlung ein-
stimmig beschlossen worden, nach der Regel ubi bene ibi patria das enge Vaterländchen des
Kleinherzogthums Linksstrang mit dem Großherzogthum Rechtsstrang zu vertauschen. Jn Folge
dessen waren gerade im Momente, als unser Zug mit voller Geschwindigkeit heranbrauste, die
Schienen auf mehr denn 200 Fuß Länge mit den Kohlraupen dicht bedeckt. Daß auf den ersten
60 bis 80 Fuß die unglücklichen Fuß- und Afterfußwanderer durch die tölpischen Räder der
Locomotive in einer Sekunde zerquetscht waren, das war natürlich -- aber die schmierige Masse
der Tausende von kleinen Fettkörpern legte sich auch gleich mit solcher Cohäsion an die Räder,
daß diese in den nächsten Sekunden nur mit Schwierigkeit noch Reibung genug besaßen, um vor-
wärts zu kommen. Da aber jeder Schritt vorwärts durch neues Raupenquetschen neues Fett
auf die Räder schmierte, so versagten diese vollständig den Dienst, noch ehe die marschirende
Colonne der Pieris-Larven durchbrochen war. Es dauerte länger als zehn Minuten, ehe mit
Besen die Schienen vor der Locomotive gekehrt und mit wollenen Lappen die Näder der Locomo-
tive und des Tenders so weit geputzt waren, daß der Zug wieder in Bewegung gesetzt werden
konnte." Die anderen Beweise von massenhaftem Auftreten beziehen sich auf unermeßliche Züge
des Schmetterlings. Gegen Ende des Sommers 1846 ward ein solcher bei Dover beobachtet,
welcher aus dem großen und kleinen Kohlweißlinge bestand und von Frankreich gekommen sein
sollte. Wahrscheinlich von denselben Schmetterlingen sah Pastor Kopp am 26. Juli 1777 Nach-
mittags 3 Uhr bei Culmbach einen gewaltigen Heereszug. Die Schmetterlinge flogen in solcher
Anzahl, daß man sie überall sah, wo man das Auge hinwendete. Sie flogen weit und breit,
nicht in einerlei Höhe, theils so hoch, daß man sie kaum bemerken konnte, in der Höhe des Kirch-
thurmes, theils auch niedriger, ohne sich niederzulassen, in gerader Richtung, als wollten sie eine
weite Reise machen, beeilten sich aber nicht zu sehr dabei, da ihr Flug bekanntlich kein eben leb-
hafter ist. Bald kam ein einzelner, bald ein Trupp von 20, 30, 100 und noch mehr. So ging
es ein paar Stunden fort in der Richtung von Nordost nach Südwest. Die Luft war heiß und
windstill. Man hat dergleichen Züge auch anderwärts beobachtet, kann aber nicht angeben, was
die Thiere dazu veranlaßt haben mag.

Daß der kleine Kohlweißling (P. rapae) ein getreuer Begleiter des großen ist, ward
bereits erwähnt. Er mißt kaum einen Zoll und zehn Linien von der einen Flügelspitze bis zur
anderen und gleicht dem vorigen sehr in der Färbung, nur ist das Schwarz der Vorderflügelspitze
matter und weniger ausgedehnt, der schwarze Wisch am Jnnenrande fehlt dem Weibchen meist,
dagegen hat das Männchen öfter einen schwarzen Fleck auf der Oberseite der genannten Flügel.
Die Puppe ist wie die vorige gebildet, grün oder grünlichgrau von Farbe, schwarz punktirt und
mit drei gelben, mehr oder weniger deutlichen Längslinien gezeichnet. Dagegen unterscheidet sich
die Raupe wesentlich. Sie ist schmuzig grün, etwas sammetartig in Folge dichter und kurzer
Behaarung, und über den Rücken und die Seiten läuft je eine feine, bisweilen etwas unterbrochene,
gelbe Längslinie, die äußere in Begleitung der schwarz umrandeten Luftlöcher. Sie frißt die-
selben Pflanzen wie die vorige, sitzt aber auch gern an der wohlriechenden Reseda. Obgleich
sie Behuß der Verwandlung, gleich der vorigen, andere Orte aufsucht, so kann man sie doch
öfter auch an den Blattrippen der Futterpflanze antreffen; auch erscheint sie in der Regel unver-
wandelt länger im Jahre. Jch fand sie noch am 29. October an einer Wand, welche sich eben
den Gürtel um den Leib gelegt hatte. Von einigen Anfangs September eingesammelten Raupen,
welche sich bald verpuppten, lieferten die ersten am 27. genannten Monats schon die Schmetter-
linge, so daß hier ebenfalls unter günstigen Verhältnissen die zum Ueberwintern bestimmten Puppen
einer dritten Generation angehören können.

Die Schmetterlinge. Tagfalter. Weißlinge.
Schienenſtranges befanden ſich nämlich einige Felder, an deren abgefreſſenen Kohlſtrünken die
Leiſtungen beſagter Raupe deutlich genug zu erkennen waren. Da ſich nun in einiger Entfernung
rechts von den Schienen noch einige Kohlbeete wahrnehmen ließen, deren Pflanzen noch im vollen
Blätterſchmucke prangten, ſo war offenbar kurz vorher in einer Raupen-Volksverſammlung ein-
ſtimmig beſchloſſen worden, nach der Regel ubi bene ibi patria das enge Vaterländchen des
Kleinherzogthums Linksſtrang mit dem Großherzogthum Rechtsſtrang zu vertauſchen. Jn Folge
deſſen waren gerade im Momente, als unſer Zug mit voller Geſchwindigkeit heranbrauſte, die
Schienen auf mehr denn 200 Fuß Länge mit den Kohlraupen dicht bedeckt. Daß auf den erſten
60 bis 80 Fuß die unglücklichen Fuß- und Afterfußwanderer durch die tölpiſchen Räder der
Locomotive in einer Sekunde zerquetſcht waren, das war natürlich — aber die ſchmierige Maſſe
der Tauſende von kleinen Fettkörpern legte ſich auch gleich mit ſolcher Cohäſion an die Räder,
daß dieſe in den nächſten Sekunden nur mit Schwierigkeit noch Reibung genug beſaßen, um vor-
wärts zu kommen. Da aber jeder Schritt vorwärts durch neues Raupenquetſchen neues Fett
auf die Räder ſchmierte, ſo verſagten dieſe vollſtändig den Dienſt, noch ehe die marſchirende
Colonne der Pieris-Larven durchbrochen war. Es dauerte länger als zehn Minuten, ehe mit
Beſen die Schienen vor der Locomotive gekehrt und mit wollenen Lappen die Näder der Locomo-
tive und des Tenders ſo weit geputzt waren, daß der Zug wieder in Bewegung geſetzt werden
konnte.“ Die anderen Beweiſe von maſſenhaftem Auftreten beziehen ſich auf unermeßliche Züge
des Schmetterlings. Gegen Ende des Sommers 1846 ward ein ſolcher bei Dover beobachtet,
welcher aus dem großen und kleinen Kohlweißlinge beſtand und von Frankreich gekommen ſein
ſollte. Wahrſcheinlich von denſelben Schmetterlingen ſah Paſtor Kopp am 26. Juli 1777 Nach-
mittags 3 Uhr bei Culmbach einen gewaltigen Heereszug. Die Schmetterlinge flogen in ſolcher
Anzahl, daß man ſie überall ſah, wo man das Auge hinwendete. Sie flogen weit und breit,
nicht in einerlei Höhe, theils ſo hoch, daß man ſie kaum bemerken konnte, in der Höhe des Kirch-
thurmes, theils auch niedriger, ohne ſich niederzulaſſen, in gerader Richtung, als wollten ſie eine
weite Reiſe machen, beeilten ſich aber nicht zu ſehr dabei, da ihr Flug bekanntlich kein eben leb-
hafter iſt. Bald kam ein einzelner, bald ein Trupp von 20, 30, 100 und noch mehr. So ging
es ein paar Stunden fort in der Richtung von Nordoſt nach Südweſt. Die Luft war heiß und
windſtill. Man hat dergleichen Züge auch anderwärts beobachtet, kann aber nicht angeben, was
die Thiere dazu veranlaßt haben mag.

Daß der kleine Kohlweißling (P. rapae) ein getreuer Begleiter des großen iſt, ward
bereits erwähnt. Er mißt kaum einen Zoll und zehn Linien von der einen Flügelſpitze bis zur
anderen und gleicht dem vorigen ſehr in der Färbung, nur iſt das Schwarz der Vorderflügelſpitze
matter und weniger ausgedehnt, der ſchwarze Wiſch am Jnnenrande fehlt dem Weibchen meiſt,
dagegen hat das Männchen öfter einen ſchwarzen Fleck auf der Oberſeite der genannten Flügel.
Die Puppe iſt wie die vorige gebildet, grün oder grünlichgrau von Farbe, ſchwarz punktirt und
mit drei gelben, mehr oder weniger deutlichen Längslinien gezeichnet. Dagegen unterſcheidet ſich
die Raupe weſentlich. Sie iſt ſchmuzig grün, etwas ſammetartig in Folge dichter und kurzer
Behaarung, und über den Rücken und die Seiten läuft je eine feine, bisweilen etwas unterbrochene,
gelbe Längslinie, die äußere in Begleitung der ſchwarz umrandeten Luftlöcher. Sie frißt die-
ſelben Pflanzen wie die vorige, ſitzt aber auch gern an der wohlriechenden Reſeda. Obgleich
ſie Behuß der Verwandlung, gleich der vorigen, andere Orte aufſucht, ſo kann man ſie doch
öfter auch an den Blattrippen der Futterpflanze antreffen; auch erſcheint ſie in der Regel unver-
wandelt länger im Jahre. Jch fand ſie noch am 29. October an einer Wand, welche ſich eben
den Gürtel um den Leib gelegt hatte. Von einigen Anfangs September eingeſammelten Raupen,
welche ſich bald verpuppten, lieferten die erſten am 27. genannten Monats ſchon die Schmetter-
linge, ſo daß hier ebenfalls unter günſtigen Verhältniſſen die zum Ueberwintern beſtimmten Puppen
einer dritten Generation angehören können.

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[300/0322] Die Schmetterlinge. Tagfalter. Weißlinge. Schienenſtranges befanden ſich nämlich einige Felder, an deren abgefreſſenen Kohlſtrünken die Leiſtungen beſagter Raupe deutlich genug zu erkennen waren. Da ſich nun in einiger Entfernung rechts von den Schienen noch einige Kohlbeete wahrnehmen ließen, deren Pflanzen noch im vollen Blätterſchmucke prangten, ſo war offenbar kurz vorher in einer Raupen-Volksverſammlung ein- ſtimmig beſchloſſen worden, nach der Regel ubi bene ibi patria das enge Vaterländchen des Kleinherzogthums Linksſtrang mit dem Großherzogthum Rechtsſtrang zu vertauſchen. Jn Folge deſſen waren gerade im Momente, als unſer Zug mit voller Geſchwindigkeit heranbrauſte, die Schienen auf mehr denn 200 Fuß Länge mit den Kohlraupen dicht bedeckt. Daß auf den erſten 60 bis 80 Fuß die unglücklichen Fuß- und Afterfußwanderer durch die tölpiſchen Räder der Locomotive in einer Sekunde zerquetſcht waren, das war natürlich — aber die ſchmierige Maſſe der Tauſende von kleinen Fettkörpern legte ſich auch gleich mit ſolcher Cohäſion an die Räder, daß dieſe in den nächſten Sekunden nur mit Schwierigkeit noch Reibung genug beſaßen, um vor- wärts zu kommen. Da aber jeder Schritt vorwärts durch neues Raupenquetſchen neues Fett auf die Räder ſchmierte, ſo verſagten dieſe vollſtändig den Dienſt, noch ehe die marſchirende Colonne der Pieris-Larven durchbrochen war. Es dauerte länger als zehn Minuten, ehe mit Beſen die Schienen vor der Locomotive gekehrt und mit wollenen Lappen die Näder der Locomo- tive und des Tenders ſo weit geputzt waren, daß der Zug wieder in Bewegung geſetzt werden konnte.“ Die anderen Beweiſe von maſſenhaftem Auftreten beziehen ſich auf unermeßliche Züge des Schmetterlings. Gegen Ende des Sommers 1846 ward ein ſolcher bei Dover beobachtet, welcher aus dem großen und kleinen Kohlweißlinge beſtand und von Frankreich gekommen ſein ſollte. Wahrſcheinlich von denſelben Schmetterlingen ſah Paſtor Kopp am 26. Juli 1777 Nach- mittags 3 Uhr bei Culmbach einen gewaltigen Heereszug. Die Schmetterlinge flogen in ſolcher Anzahl, daß man ſie überall ſah, wo man das Auge hinwendete. Sie flogen weit und breit, nicht in einerlei Höhe, theils ſo hoch, daß man ſie kaum bemerken konnte, in der Höhe des Kirch- thurmes, theils auch niedriger, ohne ſich niederzulaſſen, in gerader Richtung, als wollten ſie eine weite Reiſe machen, beeilten ſich aber nicht zu ſehr dabei, da ihr Flug bekanntlich kein eben leb- hafter iſt. Bald kam ein einzelner, bald ein Trupp von 20, 30, 100 und noch mehr. So ging es ein paar Stunden fort in der Richtung von Nordoſt nach Südweſt. Die Luft war heiß und windſtill. Man hat dergleichen Züge auch anderwärts beobachtet, kann aber nicht angeben, was die Thiere dazu veranlaßt haben mag. Daß der kleine Kohlweißling (P. rapae) ein getreuer Begleiter des großen iſt, ward bereits erwähnt. Er mißt kaum einen Zoll und zehn Linien von der einen Flügelſpitze bis zur anderen und gleicht dem vorigen ſehr in der Färbung, nur iſt das Schwarz der Vorderflügelſpitze matter und weniger ausgedehnt, der ſchwarze Wiſch am Jnnenrande fehlt dem Weibchen meiſt, dagegen hat das Männchen öfter einen ſchwarzen Fleck auf der Oberſeite der genannten Flügel. Die Puppe iſt wie die vorige gebildet, grün oder grünlichgrau von Farbe, ſchwarz punktirt und mit drei gelben, mehr oder weniger deutlichen Längslinien gezeichnet. Dagegen unterſcheidet ſich die Raupe weſentlich. Sie iſt ſchmuzig grün, etwas ſammetartig in Folge dichter und kurzer Behaarung, und über den Rücken und die Seiten läuft je eine feine, bisweilen etwas unterbrochene, gelbe Längslinie, die äußere in Begleitung der ſchwarz umrandeten Luftlöcher. Sie frißt die- ſelben Pflanzen wie die vorige, ſitzt aber auch gern an der wohlriechenden Reſeda. Obgleich ſie Behuß der Verwandlung, gleich der vorigen, andere Orte aufſucht, ſo kann man ſie doch öfter auch an den Blattrippen der Futterpflanze antreffen; auch erſcheint ſie in der Regel unver- wandelt länger im Jahre. Jch fand ſie noch am 29. October an einer Wand, welche ſich eben den Gürtel um den Leib gelegt hatte. Von einigen Anfangs September eingeſammelten Raupen, welche ſich bald verpuppten, lieferten die erſten am 27. genannten Monats ſchon die Schmetter- linge, ſo daß hier ebenfalls unter günſtigen Verhältniſſen die zum Ueberwintern beſtimmten Puppen einer dritten Generation angehören können.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/322>, abgerufen am 23.11.2024.