Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.Grenzen natürlicher Dinge rasen wollen, wo Vernunft und Erfahrung -- siehe da, mein Enthusiasten
Grenzen natuͤrlicher Dinge raſen wollen, wo Vernunft und Erfahrung — ſiehe da, mein Enthuſiaſten
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0226" n="196"/> Grenzen natuͤrlicher Dinge raſen wollen, wo<lb/> Vernunft und Erfahrung unbeſcheidener Weiſe ihm<lb/> bald hie bald da den Schlagbaum vorſchieben?</p><lb/> <p>Vernunft und Erfahrung — ſiehe da, mein<lb/> Sohn, die beiden Erbfeinde der Schwaͤrmerei<lb/> uͤberhaupt, und des Fanatismus inſonderheit!<lb/> Siehe da einen untruͤglichen Probierſtein, woran<lb/> du dieſe leztern beiden ganz unfehlbar wirſt er-<lb/> kennen koͤnnen! So oft du nemlich noch zwei-<lb/> felhaft biſt, ob jemand deiner Bekantſchaft von<lb/> dieſer gefaͤhrlichen Selenkrankheit wirklich ange-<lb/> ſtekt ſei oder nicht, laß nur, wie aus Nachlaͤßig-<lb/> keit, das Wort <hi rendition="#fr">Vernunft</hi> fallen, und faſſe dei-<lb/> nen Man ins Auge. Siehſt du, daß er darnach<lb/> trit, indem ſeine Blikke ſich roͤthen, ſeine Lippen<lb/> ſich zuſammenpreſſen: ſo hoͤre auf zu zweifeln,<lb/> und beſorge laͤnger nicht, daß du ihm zu viel<lb/> thun moͤgteſt. Denn es iſt unmoͤglich, daß der-<lb/> jenige, der ein Veraͤchter der Vernunft iſt, nicht<lb/> auch Fantaſt und Schwaͤrmer ſein ſolte, es<lb/> muͤßte denn ſein, daß er ein Dumkopf und von<lb/> gar zu ſtumpfer Einbildungskraft waͤre.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Enthuſiaſten</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [196/0226]
Grenzen natuͤrlicher Dinge raſen wollen, wo
Vernunft und Erfahrung unbeſcheidener Weiſe ihm
bald hie bald da den Schlagbaum vorſchieben?
Vernunft und Erfahrung — ſiehe da, mein
Sohn, die beiden Erbfeinde der Schwaͤrmerei
uͤberhaupt, und des Fanatismus inſonderheit!
Siehe da einen untruͤglichen Probierſtein, woran
du dieſe leztern beiden ganz unfehlbar wirſt er-
kennen koͤnnen! So oft du nemlich noch zwei-
felhaft biſt, ob jemand deiner Bekantſchaft von
dieſer gefaͤhrlichen Selenkrankheit wirklich ange-
ſtekt ſei oder nicht, laß nur, wie aus Nachlaͤßig-
keit, das Wort Vernunft fallen, und faſſe dei-
nen Man ins Auge. Siehſt du, daß er darnach
trit, indem ſeine Blikke ſich roͤthen, ſeine Lippen
ſich zuſammenpreſſen: ſo hoͤre auf zu zweifeln,
und beſorge laͤnger nicht, daß du ihm zu viel
thun moͤgteſt. Denn es iſt unmoͤglich, daß der-
jenige, der ein Veraͤchter der Vernunft iſt, nicht
auch Fantaſt und Schwaͤrmer ſein ſolte, es
muͤßte denn ſein, daß er ein Dumkopf und von
gar zu ſtumpfer Einbildungskraft waͤre.
Enthuſiaſten
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