Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie früher bei der Thierheit sind hier drei Stufen zu
unterscheiden:

Bullet1, die Offenbarung der durchaus unbewußten Idee in
der Organisation;

Bullet2, die Offenbarung der als Seele zum Weltbewußtsein
gelangten Idee, aber noch ohne Freiheit, mit Nothwen¬
digkeit gleichsam nur die Organisation selbst fortsetzend --
im Triebe;

Bullet3, die Offenbarung der Seele durch entwickeltes Selbst¬
bewußtsein -- im Geiste. -- Das Höhere und Spätere
wird auch hier immer das Niedere und Frühere mit um¬
fassen und einschließen.

Was die Offenbarung der Idee in der Or¬
ganisation
betrifft, so ist sie es eigentlich, deren Ge¬
schichte das ganze Gebiet der Morphologie und
Physiologie des Menschen
umfaßt. Es war ein
alter Fehlgriff daß man, anstatt die Physiologie in diesem
Sinne als einen Theil der Psychologie abzuhandeln, die
Psychologie gleichsam als Anhang der Physiologie darzu¬
stellen pflegte. Hier liegt allerdings eigentlich der Grund¬
irrthum, der alles tiefere Verständniß auch in der Physio¬
logie hinderte und auf den ich hier insbesondere aufmerksam
machen muß. Dieser Irrthum ist so eingebürgert in der
Betrachtung des Lebens, daß, obwohl die Bearbeitung mei¬
nes Systems der Physiologie schon ganz darauf gegründet
war, in allem und jedem Momente menschlichen Lebens die
Entwicklung der Idee des Menschen an der Organisation
zu zeigen, doch selbst dort noch jene so allgemein verbrei¬
tete Irrung mich hinderte, damals schon bei Ausarbeitung
dieses Werkes geradezu in dem Sinne zu verfahren, daß
die Physiologie als Theil der Psychologie dargestellt werden
müsse. Vielleicht findet sich noch später einmal Gelegenheit,
eben so wie hier die Psyche, so alsdann die Physis
ganz scharf nach diesem Standpunkte zu ordnen. Einst¬
weilen muß daher gegenwärtig auf das Studium der bis¬

Wie früher bei der Thierheit ſind hier drei Stufen zu
unterſcheiden:

∙1, die Offenbarung der durchaus unbewußten Idee in
der Organiſation;

∙2, die Offenbarung der als Seele zum Weltbewußtſein
gelangten Idee, aber noch ohne Freiheit, mit Nothwen¬
digkeit gleichſam nur die Organiſation ſelbſt fortſetzend —
im Triebe;

∙3, die Offenbarung der Seele durch entwickeltes Selbſt¬
bewußtſein — im Geiſte. — Das Höhere und Spätere
wird auch hier immer das Niedere und Frühere mit um¬
faſſen und einſchließen.

Was die Offenbarung der Idee in der Or¬
ganiſation
betrifft, ſo iſt ſie es eigentlich, deren Ge¬
ſchichte das ganze Gebiet der Morphologie und
Phyſiologie des Menſchen
umfaßt. Es war ein
alter Fehlgriff daß man, anſtatt die Phyſiologie in dieſem
Sinne als einen Theil der Pſychologie abzuhandeln, die
Pſychologie gleichſam als Anhang der Phyſiologie darzu¬
ſtellen pflegte. Hier liegt allerdings eigentlich der Grund¬
irrthum, der alles tiefere Verſtändniß auch in der Phyſio¬
logie hinderte und auf den ich hier insbeſondere aufmerkſam
machen muß. Dieſer Irrthum iſt ſo eingebürgert in der
Betrachtung des Lebens, daß, obwohl die Bearbeitung mei¬
nes Syſtems der Phyſiologie ſchon ganz darauf gegründet
war, in allem und jedem Momente menſchlichen Lebens die
Entwicklung der Idee des Menſchen an der Organiſation
zu zeigen, doch ſelbſt dort noch jene ſo allgemein verbrei¬
tete Irrung mich hinderte, damals ſchon bei Ausarbeitung
dieſes Werkes geradezu in dem Sinne zu verfahren, daß
die Phyſiologie als Theil der Pſychologie dargeſtellt werden
müſſe. Vielleicht findet ſich noch ſpäter einmal Gelegenheit,
eben ſo wie hier die Pſyche, ſo alsdann die Phyſis
ganz ſcharf nach dieſem Standpunkte zu ordnen. Einſt¬
weilen muß daher gegenwärtig auf das Studium der bis¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0169" n="153"/>
            <p>Wie früher bei der Thierheit &#x017F;ind hier drei Stufen zu<lb/>
unter&#x017F;cheiden:</p><lb/>
            <p>&#x2219;1, die Offenbarung der durchaus unbewußten Idee in<lb/>
der Organi&#x017F;ation;</p><lb/>
            <p>&#x2219;2, die Offenbarung der als Seele zum Weltbewußt&#x017F;ein<lb/>
gelangten Idee, aber noch ohne Freiheit, mit Nothwen¬<lb/>
digkeit gleich&#x017F;am nur die Organi&#x017F;ation &#x017F;elb&#x017F;t fort&#x017F;etzend &#x2014;<lb/>
im Triebe;</p><lb/>
            <p>&#x2219;3, die Offenbarung der Seele durch entwickeltes Selb&#x017F;<lb/>
bewußt&#x017F;ein &#x2014; im Gei&#x017F;te. &#x2014; Das Höhere und Spätere<lb/>
wird auch hier immer das Niedere und Frühere mit um¬<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en und ein&#x017F;chließen.</p><lb/>
            <p>Was <hi rendition="#g">die Offenbarung der Idee in der Or¬<lb/>
gani&#x017F;ation</hi> betrifft, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie es eigentlich, deren Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte das <hi rendition="#g">ganze Gebiet der Morphologie und<lb/>
Phy&#x017F;iologie des Men&#x017F;chen</hi> umfaßt. Es war ein<lb/>
alter Fehlgriff daß man, an&#x017F;tatt die Phy&#x017F;iologie in die&#x017F;em<lb/>
Sinne als einen Theil der P&#x017F;ychologie abzuhandeln, die<lb/>
P&#x017F;ychologie gleich&#x017F;am als Anhang der Phy&#x017F;iologie darzu¬<lb/>
&#x017F;tellen pflegte. Hier liegt allerdings eigentlich der Grund¬<lb/>
irrthum, der alles tiefere Ver&#x017F;tändniß auch in der Phy&#x017F;io¬<lb/>
logie hinderte und auf den ich hier insbe&#x017F;ondere aufmerk&#x017F;am<lb/>
machen muß. Die&#x017F;er Irrthum i&#x017F;t &#x017F;o eingebürgert in der<lb/>
Betrachtung des Lebens, daß, obwohl die Bearbeitung mei¬<lb/>
nes Sy&#x017F;tems der Phy&#x017F;iologie &#x017F;chon ganz darauf gegründet<lb/>
war, in allem und jedem Momente men&#x017F;chlichen Lebens die<lb/>
Entwicklung der Idee des Men&#x017F;chen an der Organi&#x017F;ation<lb/>
zu zeigen, doch &#x017F;elb&#x017F;t dort noch jene &#x017F;o allgemein verbrei¬<lb/>
tete Irrung mich hinderte, damals &#x017F;chon bei Ausarbeitung<lb/>
die&#x017F;es Werkes geradezu in dem Sinne zu verfahren, daß<lb/>
die Phy&#x017F;iologie als Theil der P&#x017F;ychologie darge&#x017F;tellt werden<lb/>&#x017F;&#x017F;e. Vielleicht findet &#x017F;ich noch &#x017F;päter einmal Gelegenheit,<lb/>
eben &#x017F;o wie hier die <hi rendition="#g">P&#x017F;yche</hi>, &#x017F;o alsdann die <hi rendition="#g">Phy&#x017F;is</hi><lb/>
ganz &#x017F;charf nach die&#x017F;em Standpunkte zu ordnen. Ein&#x017F;<lb/>
weilen muß daher gegenwärtig auf das Studium der bis¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0169] Wie früher bei der Thierheit ſind hier drei Stufen zu unterſcheiden: ∙1, die Offenbarung der durchaus unbewußten Idee in der Organiſation; ∙2, die Offenbarung der als Seele zum Weltbewußtſein gelangten Idee, aber noch ohne Freiheit, mit Nothwen¬ digkeit gleichſam nur die Organiſation ſelbſt fortſetzend — im Triebe; ∙3, die Offenbarung der Seele durch entwickeltes Selbſt¬ bewußtſein — im Geiſte. — Das Höhere und Spätere wird auch hier immer das Niedere und Frühere mit um¬ faſſen und einſchließen. Was die Offenbarung der Idee in der Or¬ ganiſation betrifft, ſo iſt ſie es eigentlich, deren Ge¬ ſchichte das ganze Gebiet der Morphologie und Phyſiologie des Menſchen umfaßt. Es war ein alter Fehlgriff daß man, anſtatt die Phyſiologie in dieſem Sinne als einen Theil der Pſychologie abzuhandeln, die Pſychologie gleichſam als Anhang der Phyſiologie darzu¬ ſtellen pflegte. Hier liegt allerdings eigentlich der Grund¬ irrthum, der alles tiefere Verſtändniß auch in der Phyſio¬ logie hinderte und auf den ich hier insbeſondere aufmerkſam machen muß. Dieſer Irrthum iſt ſo eingebürgert in der Betrachtung des Lebens, daß, obwohl die Bearbeitung mei¬ nes Syſtems der Phyſiologie ſchon ganz darauf gegründet war, in allem und jedem Momente menſchlichen Lebens die Entwicklung der Idee des Menſchen an der Organiſation zu zeigen, doch ſelbſt dort noch jene ſo allgemein verbrei¬ tete Irrung mich hinderte, damals ſchon bei Ausarbeitung dieſes Werkes geradezu in dem Sinne zu verfahren, daß die Phyſiologie als Theil der Pſychologie dargeſtellt werden müſſe. Vielleicht findet ſich noch ſpäter einmal Gelegenheit, eben ſo wie hier die Pſyche, ſo alsdann die Phyſis ganz ſcharf nach dieſem Standpunkte zu ordnen. Einſt¬ weilen muß daher gegenwärtig auf das Studium der bis¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/169
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/169>, abgerufen am 23.11.2024.