größter Entschiedenheit, und tiefer, in unserm Sinne, un¬ bewußter Weisheit seinen ganz gemessenen Gang, und bildet sein Wesen oft dar mit einer Schönheit, die in ihrem ganzen Umfange von dem bewußten Leben nie erfaßt, geschweige denn nachgeahmt werden kann.
Erst wenn also auf diese Weise im Bewußtsein und in der Freiheit wieder die Ehrfurcht aufgeht gegen das Unbewußte und Nothwendige, wird es möglich, allen die¬ sen Betrachtungen diejenige Folge zu geben, welche wir um so mehr fordern müssen, da bereits früher deutlich gemacht worden ist, daß das Wissen, wenn es vom Be¬ wußtsein aus das Unbewußte durchdringt, eben so gewiß sein höchstes Ziel erreicht, als das Können erst dann zur höchsten Kunst wird, wenn es vom Bewußten aus wieder ein Unbewußtes zu werden vermag.
Der Psycholog hat sich demnach in Bezug auf das Reich des Unbewußtseins vor allen Dingen deutlich zu machen, in welch' vielfältiger, eigenthümlich combinirter, durchaus von Innerung des Vorhergegangenen und Ahnung des Kommenden durchdrungener Weise, die Lebens-Idee unseres Daseins in den Vorgängen der Bildung und Um¬ bildung unseres Organismus unausgesetzt sich bethätigt. Je mehr er hier in die Erkenntniß des Einzelnen dieser unbewußten Welt eindringt, desto wichtigere Resultate wer¬ den sich ihm ergeben. Eine der ersten Bemerkungen, die sich ihm da aufdringen, wird es sein, daß die in sich ewige Wesenheit der Seele, sich im Unbewußten in so fern mehr bethätigt als im Bewußtsein, als in jenem kein Augenblick Stillstand, keine Unterbrechung, sondern ein während des ganzen Lebens schlechthin unausgesetzter Zug der Thätigkeit erscheint, dahingegen das Bewußtsein nicht dieser Stätigkeit fähig, sondern aus Ursachen, die bei Erwägung des bewußten Lebens in Betrachtung kommen müssen, einer periodischen Rückkehr ins Unbewußte bedürf¬ tig ist, einer Rückkehr, welche wir mit dem Namen des
größter Entſchiedenheit, und tiefer, in unſerm Sinne, un¬ bewußter Weisheit ſeinen ganz gemeſſenen Gang, und bildet ſein Weſen oft dar mit einer Schönheit, die in ihrem ganzen Umfange von dem bewußten Leben nie erfaßt, geſchweige denn nachgeahmt werden kann.
Erſt wenn alſo auf dieſe Weiſe im Bewußtſein und in der Freiheit wieder die Ehrfurcht aufgeht gegen das Unbewußte und Nothwendige, wird es möglich, allen die¬ ſen Betrachtungen diejenige Folge zu geben, welche wir um ſo mehr fordern müſſen, da bereits früher deutlich gemacht worden iſt, daß das Wiſſen, wenn es vom Be¬ wußtſein aus das Unbewußte durchdringt, eben ſo gewiß ſein höchſtes Ziel erreicht, als das Können erſt dann zur höchſten Kunſt wird, wenn es vom Bewußten aus wieder ein Unbewußtes zu werden vermag.
Der Pſycholog hat ſich demnach in Bezug auf das Reich des Unbewußtſeins vor allen Dingen deutlich zu machen, in welch' vielfältiger, eigenthümlich combinirter, durchaus von Innerung des Vorhergegangenen und Ahnung des Kommenden durchdrungener Weiſe, die Lebens-Idee unſeres Daſeins in den Vorgängen der Bildung und Um¬ bildung unſeres Organismus unausgeſetzt ſich bethätigt. Je mehr er hier in die Erkenntniß des Einzelnen dieſer unbewußten Welt eindringt, deſto wichtigere Reſultate wer¬ den ſich ihm ergeben. Eine der erſten Bemerkungen, die ſich ihm da aufdringen, wird es ſein, daß die in ſich ewige Weſenheit der Seele, ſich im Unbewußten in ſo fern mehr bethätigt als im Bewußtſein, als in jenem kein Augenblick Stillſtand, keine Unterbrechung, ſondern ein während des ganzen Lebens ſchlechthin unausgeſetzter Zug der Thätigkeit erſcheint, dahingegen das Bewußtſein nicht dieſer Stätigkeit fähig, ſondern aus Urſachen, die bei Erwägung des bewußten Lebens in Betrachtung kommen müſſen, einer periodiſchen Rückkehr ins Unbewußte bedürf¬ tig iſt, einer Rückkehr, welche wir mit dem Namen des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0089"n="73"/>
größter Entſchiedenheit, und tiefer, in unſerm Sinne, <hirendition="#g">un¬<lb/>
bewußter Weisheit</hi>ſeinen ganz gemeſſenen Gang, und<lb/>
bildet ſein Weſen oft dar mit einer Schönheit, die in<lb/>
ihrem ganzen Umfange von dem bewußten Leben nie erfaßt,<lb/>
geſchweige denn nachgeahmt werden kann.</p><lb/><p>Erſt wenn alſo auf dieſe Weiſe im Bewußtſein und<lb/>
in der Freiheit wieder <hirendition="#g">die Ehrfurcht</hi> aufgeht gegen das<lb/>
Unbewußte und Nothwendige, wird es möglich, allen die¬<lb/>ſen Betrachtungen diejenige Folge zu geben, welche wir<lb/>
um ſo mehr fordern müſſen, da bereits früher deutlich<lb/>
gemacht worden iſt, daß das Wiſſen, wenn es vom Be¬<lb/>
wußtſein aus das Unbewußte durchdringt, eben ſo gewiß<lb/>ſein höchſtes Ziel erreicht, als das Können erſt dann zur<lb/>
höchſten Kunſt wird, wenn es vom Bewußten aus wieder<lb/>
ein Unbewußtes zu werden vermag.</p><lb/><p>Der Pſycholog hat ſich demnach in Bezug auf das<lb/>
Reich des Unbewußtſeins vor allen Dingen deutlich zu<lb/>
machen, in welch' vielfältiger, eigenthümlich combinirter,<lb/>
durchaus von Innerung des Vorhergegangenen und Ahnung<lb/>
des Kommenden durchdrungener Weiſe, die Lebens-Idee<lb/>
unſeres Daſeins in den Vorgängen der Bildung und Um¬<lb/>
bildung unſeres Organismus unausgeſetzt ſich bethätigt.<lb/>
Je mehr er hier in die Erkenntniß des Einzelnen dieſer<lb/>
unbewußten Welt eindringt, deſto wichtigere Reſultate wer¬<lb/>
den ſich ihm ergeben. Eine der erſten Bemerkungen, die<lb/>ſich ihm da aufdringen, wird es ſein, daß die in ſich<lb/>
ewige Weſenheit der Seele, ſich im Unbewußten <hirendition="#g">in ſo<lb/>
fern mehr</hi> bethätigt als im Bewußtſein, als in <hirendition="#g">jenem</hi><lb/>
kein Augenblick Stillſtand, <hirendition="#g">keine</hi> Unterbrechung, ſondern<lb/>
ein während des ganzen Lebens ſchlechthin unausgeſetzter<lb/>
Zug der Thätigkeit erſcheint, dahingegen das Bewußtſein<lb/>
nicht dieſer Stätigkeit fähig, ſondern aus Urſachen, die<lb/>
bei Erwägung des bewußten Lebens in Betrachtung kommen<lb/>
müſſen, einer periodiſchen Rückkehr ins Unbewußte bedürf¬<lb/>
tig iſt, einer Rückkehr, welche wir mit dem Namen des<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[73/0089]
größter Entſchiedenheit, und tiefer, in unſerm Sinne, un¬
bewußter Weisheit ſeinen ganz gemeſſenen Gang, und
bildet ſein Weſen oft dar mit einer Schönheit, die in
ihrem ganzen Umfange von dem bewußten Leben nie erfaßt,
geſchweige denn nachgeahmt werden kann.
Erſt wenn alſo auf dieſe Weiſe im Bewußtſein und
in der Freiheit wieder die Ehrfurcht aufgeht gegen das
Unbewußte und Nothwendige, wird es möglich, allen die¬
ſen Betrachtungen diejenige Folge zu geben, welche wir
um ſo mehr fordern müſſen, da bereits früher deutlich
gemacht worden iſt, daß das Wiſſen, wenn es vom Be¬
wußtſein aus das Unbewußte durchdringt, eben ſo gewiß
ſein höchſtes Ziel erreicht, als das Können erſt dann zur
höchſten Kunſt wird, wenn es vom Bewußten aus wieder
ein Unbewußtes zu werden vermag.
Der Pſycholog hat ſich demnach in Bezug auf das
Reich des Unbewußtſeins vor allen Dingen deutlich zu
machen, in welch' vielfältiger, eigenthümlich combinirter,
durchaus von Innerung des Vorhergegangenen und Ahnung
des Kommenden durchdrungener Weiſe, die Lebens-Idee
unſeres Daſeins in den Vorgängen der Bildung und Um¬
bildung unſeres Organismus unausgeſetzt ſich bethätigt.
Je mehr er hier in die Erkenntniß des Einzelnen dieſer
unbewußten Welt eindringt, deſto wichtigere Reſultate wer¬
den ſich ihm ergeben. Eine der erſten Bemerkungen, die
ſich ihm da aufdringen, wird es ſein, daß die in ſich
ewige Weſenheit der Seele, ſich im Unbewußten in ſo
fern mehr bethätigt als im Bewußtſein, als in jenem
kein Augenblick Stillſtand, keine Unterbrechung, ſondern
ein während des ganzen Lebens ſchlechthin unausgeſetzter
Zug der Thätigkeit erſcheint, dahingegen das Bewußtſein
nicht dieſer Stätigkeit fähig, ſondern aus Urſachen, die
bei Erwägung des bewußten Lebens in Betrachtung kommen
müſſen, einer periodiſchen Rückkehr ins Unbewußte bedürf¬
tig iſt, einer Rückkehr, welche wir mit dem Namen des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/89>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.