Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. der Ankunft in Palästina an, zum Teil anderen modifizierenden Ein-flüssen unterlag als weiter nördlich, und zwar nach der Richtung hin, dass das semitische Element im Süden fortwährend Zuwachs erfuhr. Wahrscheinlich reichte dieser Unterschied noch weiter zurück. Von Anfang an sehen wir die grossen, starken Stämme der Josephiten, Ephraim und Manasse, um die sich die meisten übrigen Stämme wie eine Familie gruppierten, mit einer gewissen Geringschätzung oder vielleicht mit Misstrauen auf Juda blicken.1) Der Auszug aus Ägypten und die Eroberung Palästinas geschieht unter der Führung der Josephiten: Moses gehört zu ihnen, nicht zu Juda (wenn er nicht überhaupt ein gänzlich unsemitischer Ägypter war);2) Josua gehört zu ihnen, Jerubbaal ebenfalls, überhaupt alle Männer von Bedeutung bis inklusive Samuel; Juda spielt in frühen Zeiten eine so unscheinbare Rolle, dass dieser Stamm in dem Triumphlied der Deborah z. B. überhaupt gar nicht genannt wird; wie Simeon und Levi, war auch Juda beim Betreten Palästinas fast vernichtet worden, so dass er "kaum mitgerechnet" wurde; von den drei Zweigen, aus dem er bestand, war ein einziger übriggeblieben und erst durch die Amalgamierung mit den angesessenen Hethitern und Amoritern erstarkte Juda nach und nach zu neuem Leben.3) Mit David tritt er auch nur vorüber- gehend in den Vordergrund, und zwar nachdem der Benjamit Saul, dem Exil zu Idumäa geschlagen, dagegen dehnte sich das Gebiet durch die Annexionen des Judas Makkabäus später ein wenig nach Norden aus, in das frühere Ephraimitische. 1) Schon im Alten Testament wird in späterer Zeit zwischen Juda und Israel scharf unterschieden: "Und ich zerbrach meinen Stab genannt ,Einigkeit', dass ich aufhöbe die Brüderschaft zwischen Juda und Israel" (Sacharja XI, 14, siehe auch I. Sam. XVIII, 16); nicht selten wird auch Israel (d. h. die zehn Stämme ausser Juda und Benjamin) einfach als "das Haus Joseph's" bezeichnet, im Gegen- satz zum "Haus Juda's" (s. z. B. Sacharja X, 6). 2) Renan meint: "il faut considerer Moise presque comme un Egyptien" (Israel I, 220); sein Name soll ägyptischen, nicht hebräischen Ursprungs sein (idem p. 160). Nach der ägyptischen Tradition ist er ein entlaufener Priester aus Heliopolis, Namens Osarsyph (siehe Maspero: Histoire ancienne II, 449). Heute, als Reaktion gegen frühere Übertreibungen, ist es Mode, jeden Einfluss Ägyptens auf den israelitischen Kultus zu leugnen; diese Frage können nur Fachgelehrte ent- scheiden, namentlich insofern sie Zeremoniell, priesterliche Kleidung u s. w. betrifft; doch muss uns Ungelehrten das eine auffallen, dass die Kardinaltugenden der Ägypter -- Keuschheit, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Demut (siehe Chantepie de la Saussaye: Religionsgeschichte I, 305), -- welche zu denen der Kanaaniter wenig stimmen, gerade diejenigen sind, welche das mosaische Gesetz ebenfalls am höchsten stellt. 3) Wellhausen: Die Komposition des Hexateuchs, 2. Ausg., S. 320, 355. Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 27
Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. der Ankunft in Palästina an, zum Teil anderen modifizierenden Ein-flüssen unterlag als weiter nördlich, und zwar nach der Richtung hin, dass das semitische Element im Süden fortwährend Zuwachs erfuhr. Wahrscheinlich reichte dieser Unterschied noch weiter zurück. Von Anfang an sehen wir die grossen, starken Stämme der Josephiten, Ephraim und Manasse, um die sich die meisten übrigen Stämme wie eine Familie gruppierten, mit einer gewissen Geringschätzung oder vielleicht mit Misstrauen auf Juda blicken.1) Der Auszug aus Ägypten und die Eroberung Palästinas geschieht unter der Führung der Josephiten: Moses gehört zu ihnen, nicht zu Juda (wenn er nicht überhaupt ein gänzlich unsemitischer Ägypter war);2) Josua gehört zu ihnen, Jerubbaal ebenfalls, überhaupt alle Männer von Bedeutung bis inklusive Samuel; Juda spielt in frühen Zeiten eine so unscheinbare Rolle, dass dieser Stamm in dem Triumphlied der Deborah z. B. überhaupt gar nicht genannt wird; wie Simeon und Levi, war auch Juda beim Betreten Palästinas fast vernichtet worden, so dass er »kaum mitgerechnet« wurde; von den drei Zweigen, aus dem er bestand, war ein einziger übriggeblieben und erst durch die Amalgamierung mit den angesessenen Hethitern und Amoritern erstarkte Juda nach und nach zu neuem Leben.3) Mit David tritt er auch nur vorüber- gehend in den Vordergrund, und zwar nachdem der Benjamit Saul, dem Exil zu Idumäa geschlagen, dagegen dehnte sich das Gebiet durch die Annexionen des Judas Makkabäus später ein wenig nach Norden aus, in das frühere Ephraimitische. 1) Schon im Alten Testament wird in späterer Zeit zwischen Juda und Israel scharf unterschieden: »Und ich zerbrach meinen Stab genannt ‚Einigkeit‛, dass ich aufhöbe die Brüderschaft zwischen Juda und Israel« (Sacharja XI, 14, siehe auch I. Sam. XVIII, 16); nicht selten wird auch Israel (d. h. die zehn Stämme ausser Juda und Benjamin) einfach als »das Haus Joseph’s« bezeichnet, im Gegen- satz zum »Haus Juda’s« (s. z. B. Sacharja X, 6). 2) Renan meint: »il faut considérer Moïse presque comme un Égyptien« (Israël I, 220); sein Name soll ägyptischen, nicht hebräischen Ursprungs sein (idem p. 160). Nach der ägyptischen Tradition ist er ein entlaufener Priester aus Heliopolis, Namens Osarsyph (siehe Maspero: Histoire ancienne II, 449). Heute, als Reaktion gegen frühere Übertreibungen, ist es Mode, jeden Einfluss Ägyptens auf den israelitischen Kultus zu leugnen; diese Frage können nur Fachgelehrte ent- scheiden, namentlich insofern sie Zeremoniell, priesterliche Kleidung u s. w. betrifft; doch muss uns Ungelehrten das eine auffallen, dass die Kardinaltugenden der Ägypter — Keuschheit, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Demut (siehe Chantepie de la Saussaye: Religionsgeschichte I, 305), — welche zu denen der Kanaaniter wenig stimmen, gerade diejenigen sind, welche das mosaische Gesetz ebenfalls am höchsten stellt. 3) Wellhausen: Die Komposition des Hexateuchs, 2. Ausg., S. 320, 355. Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 27
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der Ankunft in Palästina an, zum Teil anderen modifizierenden Ein-
flüssen unterlag als weiter nördlich, und zwar nach der Richtung
hin, dass das semitische Element im Süden fortwährend Zuwachs
erfuhr. Wahrscheinlich reichte dieser Unterschied noch weiter zurück.
Von Anfang an sehen wir die grossen, starken Stämme der Josephiten,
Ephraim und Manasse, um die sich die meisten übrigen Stämme wie
eine Familie gruppierten, mit einer gewissen Geringschätzung oder
vielleicht mit Misstrauen auf Juda blicken. 1) Der Auszug aus
Ägypten und die Eroberung Palästinas geschieht unter der Führung
der Josephiten: Moses gehört zu ihnen, nicht zu Juda (wenn er nicht
überhaupt ein gänzlich unsemitischer Ägypter war); 2) Josua gehört
zu ihnen, Jerubbaal ebenfalls, überhaupt alle Männer von Bedeutung
bis inklusive Samuel; Juda spielt in frühen Zeiten eine so unscheinbare
Rolle, dass dieser Stamm in dem Triumphlied der Deborah z. B.
überhaupt gar nicht genannt wird; wie Simeon und Levi, war auch
Juda beim Betreten Palästinas fast vernichtet worden, so dass er »kaum
mitgerechnet« wurde; von den drei Zweigen, aus dem er bestand,
war ein einziger übriggeblieben und erst durch die Amalgamierung
mit den angesessenen Hethitern und Amoritern erstarkte Juda nach
und nach zu neuem Leben. 3) Mit David tritt er auch nur vorüber-
gehend in den Vordergrund, und zwar nachdem der Benjamit Saul,
3)
1) Schon im Alten Testament wird in späterer Zeit zwischen Juda und
Israel scharf unterschieden: »Und ich zerbrach meinen Stab genannt ‚Einigkeit‛,
dass ich aufhöbe die Brüderschaft zwischen Juda und Israel« (Sacharja XI, 14,
siehe auch I. Sam. XVIII, 16); nicht selten wird auch Israel (d. h. die zehn Stämme
ausser Juda und Benjamin) einfach als »das Haus Joseph’s« bezeichnet, im Gegen-
satz zum »Haus Juda’s« (s. z. B. Sacharja X, 6).
2) Renan meint: »il faut considérer Moïse presque comme un Égyptien«
(Israël I, 220); sein Name soll ägyptischen, nicht hebräischen Ursprungs sein
(idem p. 160). Nach der ägyptischen Tradition ist er ein entlaufener Priester aus
Heliopolis, Namens Osarsyph (siehe Maspero: Histoire ancienne II, 449). Heute, als
Reaktion gegen frühere Übertreibungen, ist es Mode, jeden Einfluss Ägyptens auf
den israelitischen Kultus zu leugnen; diese Frage können nur Fachgelehrte ent-
scheiden, namentlich insofern sie Zeremoniell, priesterliche Kleidung u s. w. betrifft;
doch muss uns Ungelehrten das eine auffallen, dass die Kardinaltugenden der
Ägypter — Keuschheit, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Demut (siehe Chantepie de la
Saussaye: Religionsgeschichte I, 305), — welche zu denen der Kanaaniter wenig stimmen,
gerade diejenigen sind, welche das mosaische Gesetz ebenfalls am höchsten stellt.
3) Wellhausen: Die Komposition des Hexateuchs, 2. Ausg., S. 320, 355.
3) dem Exil zu Idumäa geschlagen, dagegen dehnte sich das Gebiet durch die
Annexionen des Judas Makkabäus später ein wenig nach Norden aus, in das
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