p1c_311.001 eine förmliche Allegorie. Zum Beyspiel dient der p1c_311.002 80ste Psalm, wo der Weinstock anfangs ein bloßes Bild ist, p1c_311.003 das hernach bis ans Ende durchgeführt wird. - Die Allegorie p1c_311.004 erweckt eben wegen des Geheimnißvollen, das sie hat, p1c_311.005 oft auch grausende Empfindungen. Wenn z. B. Hamlet p1c_311.006 den Geist seines Vaters hört, der aus dem Grabe ruft, und p1c_311.007 ihn einen Maulwurf nennt, so muß dies Bild bey seiner weitern p1c_311.008 Ausführung auf jeden Zuschauer wirken, der den eigentlichen p1c_311.009 Sinn der Worte weiß, während Hamlets Freunde p1c_311.010 ihn nicht wissen. - Zuweilen wird die Allegorie vom Dichter p1c_311.011 gebraucht, wenn er den wahren Sinn aus subjektiven, p1c_311.012 vielleicht politischen Gründen verstecken will, wie in der Ode p1c_311.013 des Horaz: o navis referent in mare te novi fluctus - p1c_311.014 wo er, nach Quinctilians Meynung, die Republik unter p1c_311.015 diesem Bilde versteht. Freylich sind zuweilen auch andre p1c_311.016 Auslegungen möglich. Wird aber der wahre Sinn zu unverständlich, p1c_311.017 so ist dies ein Fehler. Die Allegorie muß nicht nur p1c_311.018 als für sich bestehendes Bild dichterischen Gehalt haben, sondern p1c_311.019 von Rechtswegen eigentlich auch nur eine durchgängig p1c_311.020 passende Auslegung verstatten, sonst ist der Gedanke logisch p1c_311.021 unvollkommen. Aus der allegorischen Diction entstehen nach p1c_311.022 und nach die eigentlichen Parabeln als Dichtungsart, der p1c_311.023 ainos und apologos der Griechen, wie z. B. die Allegorie p1c_311.024 von der Büchse der Pandora, die Bitten (Il. IX. 510.), p1c_311.025 der Gürtel der Venus u. s. w. Dann gränzt die Allegorie p1c_311.026 an die Personendichtung. - Die Alten haben in ihren p1c_311.027 Erzählungen viel offenbar Allegorisches. Ariost läßt auch p1c_311.028 zuweilen allegorische Wesen auftreten. Wird aber eine
p1c_311.001 eine förmliche Allegorie. Zum Beyspiel dient der p1c_311.002 80ste Psalm, wo der Weinstock anfangs ein bloßes Bild ist, p1c_311.003 das hernach bis ans Ende durchgeführt wird. ─ Die Allegorie p1c_311.004 erweckt eben wegen des Geheimnißvollen, das sie hat, p1c_311.005 oft auch grausende Empfindungen. Wenn z. B. Hamlet p1c_311.006 den Geist seines Vaters hört, der aus dem Grabe ruft, und p1c_311.007 ihn einen Maulwurf nennt, so muß dies Bild bey seiner weitern p1c_311.008 Ausführung auf jeden Zuschauer wirken, der den eigentlichen p1c_311.009 Sinn der Worte weiß, während Hamlets Freunde p1c_311.010 ihn nicht wissen. ─ Zuweilen wird die Allegorie vom Dichter p1c_311.011 gebraucht, wenn er den wahren Sinn aus subjektiven, p1c_311.012 vielleicht politischen Gründen verstecken will, wie in der Ode p1c_311.013 des Horaz: o navis referent in mare te novi fluctus ─ p1c_311.014 wo er, nach Quinctilians Meynung, die Republik unter p1c_311.015 diesem Bilde versteht. Freylich sind zuweilen auch andre p1c_311.016 Auslegungen möglich. Wird aber der wahre Sinn zu unverständlich, p1c_311.017 so ist dies ein Fehler. Die Allegorie muß nicht nur p1c_311.018 als für sich bestehendes Bild dichterischen Gehalt haben, sondern p1c_311.019 von Rechtswegen eigentlich auch nur eine durchgängig p1c_311.020 passende Auslegung verstatten, sonst ist der Gedanke logisch p1c_311.021 unvollkommen. Aus der allegorischen Diction entstehen nach p1c_311.022 und nach die eigentlichen Parabeln als Dichtungsart, der p1c_311.023 αἰνος und ἀπολογος der Griechen, wie z. B. die Allegorie p1c_311.024 von der Büchse der Pandora, die Bitten (Il. IX. 510.), p1c_311.025 der Gürtel der Venus u. s. w. Dann gränzt die Allegorie p1c_311.026 an die Personendichtung. ─ Die Alten haben in ihren p1c_311.027 Erzählungen viel offenbar Allegorisches. Ariost läßt auch p1c_311.028 zuweilen allegorische Wesen auftreten. Wird aber eine
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wo er, nach Quinctilians Meynung, die Republik unter p1c_311.015
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so ist dies ein Fehler. Die Allegorie muß nicht nur p1c_311.018
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/369>, abgerufen am 23.11.2024.
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