p1c_314.001 ins Plumpe fällt und die natürliche Schaamhaftigkeit p1c_314.002 ganz beleidigt, ist naiv und giebt eine wahrhaft schöne p1c_314.003 Empfindung, die heilig ist, wie alles Jdyllische. Allein die p1c_314.004 Allusionen zeigen von verdorbener Natur. Die Menschheit p1c_314.005 ist dabey im Widerspruche mit sich selbst. Es ist ein Spott p1c_314.006 über unsre eigne Thierheit und zugleich ein Vergnügen an p1c_314.007 derselben. Wir dünken uns, vermöge einer Art erkünstelter p1c_314.008 Schaamhaftigkeit, über den Jnstinkt erhaben, und können p1c_314.009 doch seinen Reitzungen nicht widerstehen. Wir verheimlichen p1c_314.010 unsre Schwäche und halten uns doch gern bey derselben p1c_314.011 auf. Kurz wir sind in einer Stimmung uns selbst zu verachten, p1c_314.012 und diese Stimmung kann nie schön seyn. Hierzu p1c_314.013 kommt, daß wenn die Zuhörer gewöhnt werden Zweydeutigkeiten p1c_314.014 zu suchen, die Sprache ein kakophaton erhält, welches p1c_314.015 sie zu jeder freyern dichterischen Wendung unfähig p1c_314.016 macht. Wenn Ausonius in seinem bekannten Cento nuptialisp1c_314.017 aus Versen des Virgils wahre obscoena zusammensetzt, p1c_314.018 die ins Ekelhafte fallen, (exhalat opaca mephitim p1c_314.019 destillat ab inguine virus) welcher Dichter kann der p1c_314.020 malae consuetudini widerstehen, qua verba in obscoenum p1c_314.021 intellectum detorquentur. Schon Cicero bemerkt p1c_314.022 und Quinctilian wiederholt es, daß man sich hüten müsse p1c_314.023 ne obscoenius concurrant litterae. Aus Varros grammatischen p1c_314.024 Untersuchungen sieht man schon, wie tief die p1c_314.025 Sprache der Römer gegen das Ende der Republik zugleich p1c_314.026 mit ihren Sitten gesunken war. Keine neuere Sprache ist p1c_314.027 so reich an aequivocis vocabulis, als die französische. p1c_314.028 Darum ist auch der poetische Geist von ihr gewichen. Auch
p1c_314.001 ins Plumpe fällt und die natürliche Schaamhaftigkeit p1c_314.002 ganz beleidigt, ist naiv und giebt eine wahrhaft schöne p1c_314.003 Empfindung, die heilig ist, wie alles Jdyllische. Allein die p1c_314.004 Allusionen zeigen von verdorbener Natur. Die Menschheit p1c_314.005 ist dabey im Widerspruche mit sich selbst. Es ist ein Spott p1c_314.006 über unsre eigne Thierheit und zugleich ein Vergnügen an p1c_314.007 derselben. Wir dünken uns, vermöge einer Art erkünstelter p1c_314.008 Schaamhaftigkeit, über den Jnstinkt erhaben, und können p1c_314.009 doch seinen Reitzungen nicht widerstehen. Wir verheimlichen p1c_314.010 unsre Schwäche und halten uns doch gern bey derselben p1c_314.011 auf. Kurz wir sind in einer Stimmung uns selbst zu verachten, p1c_314.012 und diese Stimmung kann nie schön seyn. Hierzu p1c_314.013 kommt, daß wenn die Zuhörer gewöhnt werden Zweydeutigkeiten p1c_314.014 zu suchen, die Sprache ein κακοφατον erhält, welches p1c_314.015 sie zu jeder freyern dichterischen Wendung unfähig p1c_314.016 macht. Wenn Ausonius in seinem bekannten Cento nuptialisp1c_314.017 aus Versen des Virgils wahre obscoena zusammensetzt, p1c_314.018 die ins Ekelhafte fallen, (exhalat opaca mephitim p1c_314.019 destillat ab inguine virus) welcher Dichter kann der p1c_314.020 malae consuetudini widerstehen, qua verba in obscoenum p1c_314.021 intellectum detorquentur. Schon Cicero bemerkt p1c_314.022 und Quinctilian wiederholt es, daß man sich hüten müsse p1c_314.023 ne obscoenius concurrant litterae. Aus Varros grammatischen p1c_314.024 Untersuchungen sieht man schon, wie tief die p1c_314.025 Sprache der Römer gegen das Ende der Republik zugleich p1c_314.026 mit ihren Sitten gesunken war. Keine neuere Sprache ist p1c_314.027 so reich an aequivocis vocabulis, als die französische. p1c_314.028 Darum ist auch der poetische Geist von ihr gewichen. Auch
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/372>, abgerufen am 23.11.2024.
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