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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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Zeichen ist willkührlich. Man giebt nicht auf das p1c_328.002
Zeichen Acht, weil man blos auf die Erkenntniß des Gegenstandes p1c_328.003
sieht, und man sit nicht in Abrede, die Sache p1c_328.004
ließe sich noch anders bezeichnen. Bey einem schönen Gedicht p1c_328.005
hingegen ist es anders. Es läßt in mir das Gefühl p1c_328.006
zurück, daß sich in der und der Gemüthsstimmung der und p1c_328.007
der Gedanke nicht anders als so ausdrücken ließe. Die gewählte p1c_328.008
Diktion erregt in mir das Gefühl der absoluten Nothwendigkeit. p1c_328.009
Ueber einen Gedanken ist nur ein vollkommen p1c_328.010
schönes Gedicht möglich. Vorausgesetzt, was sich p1c_328.011
vielleicht nicht einmal voraussetzen läßt, es könnten zwey p1c_328.012
Dichter ganz denselben Gegenstand wählen. Jch behaupte: p1c_328.013
wenn jedes ihrer Gedichte vollkommen schön wäre, so p1c_328.014
müßte es mir das andre ganz entbehrlich machen, ja ich p1c_328.015
müßte im Augenblick des Anhörens überzeugt seyn, es sey p1c_328.016
kein andrer eben so schöner Ausdruck denkbar. Man möchte p1c_328.017
mich mit der Verschiedenheit der Sprachen widerlegen wollen. p1c_328.018
Allein eine Uebersetzung muß mir eigentlich, wenn p1c_328.019
das Original vollkommen schön war, eben dieselben Wendungen p1c_328.020
wieder geben, und die Diction nach einer eben p1c_328.021
so absoluten Nothwendigkeit darstellen. Nirgends fühlt sich p1c_328.022
auch die Unmöglichkeit einer Uebersetzung besser, als bey p1c_328.023
ausgemacht schönen Stellen, wo uns der Dichter die Worte p1c_328.024
gleichsam aus der Seele nahm. Es wird auch keiner einen p1c_328.025
Dichter in Ansehung der Diction ganz empfinden, der sich p1c_328.026
nicht ganz in die Originalsprache versetzen kann, der beym p1c_328.027
Anhören in Gedanken erst eine Uebersetzung vornimmt. Die p1c_328.028
Natur hat tausend verschiedene Arten ihre Empfindungen

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Zeichen ist willkührlich. Man giebt nicht auf das p1c_328.002
Zeichen Acht, weil man blos auf die Erkenntniß des Gegenstandes p1c_328.003
sieht, und man sit nicht in Abrede, die Sache p1c_328.004
ließe sich noch anders bezeichnen. Bey einem schönen Gedicht p1c_328.005
hingegen ist es anders. Es läßt in mir das Gefühl p1c_328.006
zurück, daß sich in der und der Gemüthsstimmung der und p1c_328.007
der Gedanke nicht anders als so ausdrücken ließe. Die gewählte p1c_328.008
Diktion erregt in mir das Gefühl der absoluten Nothwendigkeit. p1c_328.009
Ueber einen Gedanken ist nur ein vollkommen p1c_328.010
schönes Gedicht möglich. Vorausgesetzt, was sich p1c_328.011
vielleicht nicht einmal voraussetzen läßt, es könnten zwey p1c_328.012
Dichter ganz denselben Gegenstand wählen. Jch behaupte: p1c_328.013
wenn jedes ihrer Gedichte vollkommen schön wäre, so p1c_328.014
müßte es mir das andre ganz entbehrlich machen, ja ich p1c_328.015
müßte im Augenblick des Anhörens überzeugt seyn, es sey p1c_328.016
kein andrer eben so schöner Ausdruck denkbar. Man möchte p1c_328.017
mich mit der Verschiedenheit der Sprachen widerlegen wollen. p1c_328.018
Allein eine Uebersetzung muß mir eigentlich, wenn p1c_328.019
das Original vollkommen schön war, eben dieselben Wendungen p1c_328.020
wieder geben, und die Diction nach einer eben p1c_328.021
so absoluten Nothwendigkeit darstellen. Nirgends fühlt sich p1c_328.022
auch die Unmöglichkeit einer Uebersetzung besser, als bey p1c_328.023
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gleichsam aus der Seele nahm. Es wird auch keiner einen p1c_328.025
Dichter in Ansehung der Diction ganz empfinden, der sich p1c_328.026
nicht ganz in die Originalsprache versetzen kann, der beym p1c_328.027
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[328/0386] p1c_328.001 Zeichen ist willkührlich. Man giebt nicht auf das p1c_328.002 Zeichen Acht, weil man blos auf die Erkenntniß des Gegenstandes p1c_328.003 sieht, und man sit nicht in Abrede, die Sache p1c_328.004 ließe sich noch anders bezeichnen. Bey einem schönen Gedicht p1c_328.005 hingegen ist es anders. Es läßt in mir das Gefühl p1c_328.006 zurück, daß sich in der und der Gemüthsstimmung der und p1c_328.007 der Gedanke nicht anders als so ausdrücken ließe. Die gewählte p1c_328.008 Diktion erregt in mir das Gefühl der absoluten Nothwendigkeit. p1c_328.009 Ueber einen Gedanken ist nur ein vollkommen p1c_328.010 schönes Gedicht möglich. Vorausgesetzt, was sich p1c_328.011 vielleicht nicht einmal voraussetzen läßt, es könnten zwey p1c_328.012 Dichter ganz denselben Gegenstand wählen. Jch behaupte: p1c_328.013 wenn jedes ihrer Gedichte vollkommen schön wäre, so p1c_328.014 müßte es mir das andre ganz entbehrlich machen, ja ich p1c_328.015 müßte im Augenblick des Anhörens überzeugt seyn, es sey p1c_328.016 kein andrer eben so schöner Ausdruck denkbar. Man möchte p1c_328.017 mich mit der Verschiedenheit der Sprachen widerlegen wollen. p1c_328.018 Allein eine Uebersetzung muß mir eigentlich, wenn p1c_328.019 das Original vollkommen schön war, eben dieselben Wendungen p1c_328.020 wieder geben, und die Diction nach einer eben p1c_328.021 so absoluten Nothwendigkeit darstellen. Nirgends fühlt sich p1c_328.022 auch die Unmöglichkeit einer Uebersetzung besser, als bey p1c_328.023 ausgemacht schönen Stellen, wo uns der Dichter die Worte p1c_328.024 gleichsam aus der Seele nahm. Es wird auch keiner einen p1c_328.025 Dichter in Ansehung der Diction ganz empfinden, der sich p1c_328.026 nicht ganz in die Originalsprache versetzen kann, der beym p1c_328.027 Anhören in Gedanken erst eine Uebersetzung vornimmt. Die p1c_328.028 Natur hat tausend verschiedene Arten ihre Empfindungen

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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/386>, abgerufen am 23.11.2024.