p1c_356.001 Ottfried auch Zahl. Aber Adelung unter dem Worte p1c_356.002 Reim bemerkt sehr richtig, daß Schall der ursprüngliche, p1c_356.003 Zahl ein späterer Begriff sey, wenn gleich das p1c_356.004 Beyspiel aus dem Griechischen: ruthmos und aruthmos, p1c_356.005 (lies: arithmos) das er anführt, wegen der Orthographie p1c_356.006 nicht paßt. (arithmos leiten die Etymologen von aro, p1c_356.007 adapto, und armos, coagmentatio, her.) Jm Deutschen p1c_356.008 aber ist gewiß reden eher, als das Oberdeutsche reiten,p1c_356.009 rechnen, und beyde beziehen sich ursprünglich auf p1c_356.010 einen Schall. 2) Der Reim gewährt aber durch die Aehnlichkeit p1c_356.011 des Schalls an sich ein Vergnügen. Er macht uns p1c_356.012 aufmerksam, daß mehrere Theile der Rede auf einander p1c_356.013 passen, einander proportionirt sind, und das Wiederkehren p1c_356.014 eines gewissen Schalls unterstützt die Jdee des Passenden. p1c_356.015 Das Ohr ruht also gleichsam auf dieser wiederkehrenden p1c_356.016 Aehnlichkeit des Schalls aus, und fühlt eine Ordnung im p1c_356.017 Klange selbst. 3) Der Reim ist nicht, wie Gravina und p1c_356.018 Sulzer glauben, ein Surrogat des Metrums, sondern p1c_356.019 hat seine eigenen Schönheiten und Gesetze, die mit denen p1c_356.020 des freyen Rhythmus verwandt sind. 4) Jndeß, da die p1c_356.021 neuern Sprachen auch mehr oder weniger des Metrums fähig p1c_356.022 sind, so ist der Reim auch zeitig mit dem Metrum verbunden p1c_356.023 worden. Z. B. Winsbeck, ein alter deutscher Dichter p1c_356.024 aus den Zeiten Friedrich des Ersten, beginnt die Ermahnung p1c_356.025 an seinen Sohn also: Ein wiser Mann hat einen p1c_356.026 Sun - Der war im lieb als mannigen ist - Den p1c_356.027 wollt er leren rechte tun - Und sprach also: Mein p1c_356.028 Sun du bist - Mir lieb an allen falschen List -
p1c_356.001 Ottfried auch Zahl. Aber Adelung unter dem Worte p1c_356.002 Reim bemerkt sehr richtig, daß Schall der ursprüngliche, p1c_356.003 Zahl ein späterer Begriff sey, wenn gleich das p1c_356.004 Beyspiel aus dem Griechischen: ρυθμος und ἀρυθμος, p1c_356.005 (lies: ἀριθμος) das er anführt, wegen der Orthographie p1c_356.006 nicht paßt. (ἀριθμος leiten die Etymologen von ἀρω, p1c_356.007 adapto, und ἀρμος, coagmentatio, her.) Jm Deutschen p1c_356.008 aber ist gewiß reden eher, als das Oberdeutsche reiten,p1c_356.009 rechnen, und beyde beziehen sich ursprünglich auf p1c_356.010 einen Schall. 2) Der Reim gewährt aber durch die Aehnlichkeit p1c_356.011 des Schalls an sich ein Vergnügen. Er macht uns p1c_356.012 aufmerksam, daß mehrere Theile der Rede auf einander p1c_356.013 passen, einander proportionirt sind, und das Wiederkehren p1c_356.014 eines gewissen Schalls unterstützt die Jdee des Passenden. p1c_356.015 Das Ohr ruht also gleichsam auf dieser wiederkehrenden p1c_356.016 Aehnlichkeit des Schalls aus, und fühlt eine Ordnung im p1c_356.017 Klange selbst. 3) Der Reim ist nicht, wie Gravina und p1c_356.018 Sulzer glauben, ein Surrogat des Metrums, sondern p1c_356.019 hat seine eigenen Schönheiten und Gesetze, die mit denen p1c_356.020 des freyen Rhythmus verwandt sind. 4) Jndeß, da die p1c_356.021 neuern Sprachen auch mehr oder weniger des Metrums fähig p1c_356.022 sind, so ist der Reim auch zeitig mit dem Metrum verbunden p1c_356.023 worden. Z. B. Winsbeck, ein alter deutscher Dichter p1c_356.024 aus den Zeiten Friedrich des Ersten, beginnt die Ermahnung p1c_356.025 an seinen Sohn also: Ein wiser Mann hat einen p1c_356.026 Sun ─ Der war im lieb als mannigen ist ─ Den p1c_356.027 wollt er leren rechte tun ─ Und sprach also: Mein p1c_356.028 Sun du bist ─ Mir lieb an allen falschen List ─
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Ottfried auch Zahl. Aber Adelung unter dem Worte p1c_356.002
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Zahl ein späterer Begriff sey, wenn gleich das p1c_356.004
Beyspiel aus dem Griechischen: ρυθμος und ἀρυθμος, p1c_356.005
(lies: ἀριθμος) das er anführt, wegen der Orthographie p1c_356.006
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adapto, und ἀρμος, coagmentatio, her.) Jm Deutschen p1c_356.008
aber ist gewiß reden eher, als das Oberdeutsche reiten, p1c_356.009
rechnen, und beyde beziehen sich ursprünglich auf p1c_356.010
einen Schall. 2) Der Reim gewährt aber durch die Aehnlichkeit p1c_356.011
des Schalls an sich ein Vergnügen. Er macht uns p1c_356.012
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neuern Sprachen auch mehr oder weniger des Metrums fähig p1c_356.022
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/414>, abgerufen am 23.11.2024.
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