Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_377.001
anwendbar. Wer auf den Reim hört, wird zu viel auf den p1c_377.002
freyen Rhythmus aufmerksam gemacht, und das Metrum p1c_377.003
verlangt dagegen gemessenes Taktgefühl. Der Reim zeichnet p1c_377.004
in einer ganzen Sylbenreihe nur eine oder zwey aus. p1c_377.005
Das Metrum verlangt einen Jctus auf jede Sylbe in der p1c_377.006
Reihe, die, dem Takte nach, wie eine gute Note anzusehen p1c_377.007
ist, und der Reim hebt durch seinen Accent diese Gleichheit p1c_377.008
auf. Der Reim bezieht Reihen auf einander, das Metrum p1c_377.009
einzelne Glieder in den einzelnen Reihen. Metrum p1c_377.010
und Reim sind also in der Regel einander immer im Wege, p1c_377.011
wenn beyde ihre ganze Kraft zeigen wollen. Auch werden p1c_377.012
Sprachen, die Reim und Prosodie haben, nie ihre p1c_377.013
Prosodie so ausbilden können, als andre, die den Reim p1c_377.014
nicht kennen. Jndessen verlöre man zu viel, wenn man p1c_377.015
ihn um deswillen ganz wegwerfen wollte. Uebrigens haben p1c_377.016
alle neueren Nazionen, auch die, welche den Reim sehr cultivirten, p1c_377.017
ihn doch immer für ihre Poesie überhaupt als entbehrlich p1c_377.018
angesehen. Die reimfreyen Verse, z. B. die eilfsylbigen, p1c_377.019
finden sich bey den Spaniern und bey den Jtalienern p1c_377.020
schon in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, wo p1c_377.021
Alonso de Fuentes und Trissino schrieben.

p1c_377.022
§. 12.

p1c_377.023
Die Vernunftidee einer gesetzlichen Totalität wird p1c_377.024
von der dichterischen Sprache, ihrem musikalischen Wesen p1c_377.025
nach, durch das Metrum, oder ein nach bestimmter

p1c_377.001
anwendbar. Wer auf den Reim hört, wird zu viel auf den p1c_377.002
freyen Rhythmus aufmerksam gemacht, und das Metrum p1c_377.003
verlangt dagegen gemessenes Taktgefühl. Der Reim zeichnet p1c_377.004
in einer ganzen Sylbenreihe nur eine oder zwey aus. p1c_377.005
Das Metrum verlangt einen Jctus auf jede Sylbe in der p1c_377.006
Reihe, die, dem Takte nach, wie eine gute Note anzusehen p1c_377.007
ist, und der Reim hebt durch seinen Accent diese Gleichheit p1c_377.008
auf. Der Reim bezieht Reihen auf einander, das Metrum p1c_377.009
einzelne Glieder in den einzelnen Reihen. Metrum p1c_377.010
und Reim sind also in der Regel einander immer im Wege, p1c_377.011
wenn beyde ihre ganze Kraft zeigen wollen. Auch werden p1c_377.012
Sprachen, die Reim und Prosodie haben, nie ihre p1c_377.013
Prosodie so ausbilden können, als andre, die den Reim p1c_377.014
nicht kennen. Jndessen verlöre man zu viel, wenn man p1c_377.015
ihn um deswillen ganz wegwerfen wollte. Uebrigens haben p1c_377.016
alle neueren Nazionen, auch die, welche den Reim sehr cultivirten, p1c_377.017
ihn doch immer für ihre Poesie überhaupt als entbehrlich p1c_377.018
angesehen. Die reimfreyen Verse, z. B. die eilfsylbigen, p1c_377.019
finden sich bey den Spaniern und bey den Jtalienern p1c_377.020
schon in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, wo p1c_377.021
Alonso de Fuentes und Trissino schrieben.

p1c_377.022
§. 12.

p1c_377.023
Die Vernunftidee einer gesetzlichen Totalität wird p1c_377.024
von der dichterischen Sprache, ihrem musikalischen Wesen p1c_377.025
nach, durch das Metrum, oder ein nach bestimmter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0435" n="377"/><lb n="p1c_377.001"/>
anwendbar. Wer auf den Reim hört, wird zu viel auf den <lb n="p1c_377.002"/>
freyen Rhythmus aufmerksam gemacht, und das Metrum <lb n="p1c_377.003"/>
verlangt dagegen gemessenes Taktgefühl. Der Reim zeichnet <lb n="p1c_377.004"/>
in einer ganzen Sylbenreihe nur <hi rendition="#g">eine</hi> oder <hi rendition="#g">zwey</hi> aus. <lb n="p1c_377.005"/>
Das <hi rendition="#g">Metrum</hi> verlangt einen Jctus auf jede Sylbe in der <lb n="p1c_377.006"/>
Reihe, die, dem Takte nach, wie eine gute Note anzusehen <lb n="p1c_377.007"/>
ist, und der Reim hebt durch seinen Accent diese Gleichheit <lb n="p1c_377.008"/>
auf. Der <hi rendition="#g">Reim</hi> bezieht <hi rendition="#g">Reihen</hi> auf einander, das Metrum <lb n="p1c_377.009"/>
einzelne Glieder in den einzelnen Reihen. Metrum <lb n="p1c_377.010"/>
und Reim sind also in der Regel einander immer im Wege, <lb n="p1c_377.011"/>
wenn beyde ihre ganze Kraft zeigen wollen. Auch werden <lb n="p1c_377.012"/>
Sprachen, die <hi rendition="#g">Reim</hi> und <hi rendition="#g">Prosodie</hi> haben, nie ihre <lb n="p1c_377.013"/> <hi rendition="#g">Prosodie</hi> so ausbilden können, als andre, die den Reim <lb n="p1c_377.014"/>
nicht kennen. Jndessen verlöre man zu viel, wenn man <lb n="p1c_377.015"/>
ihn um deswillen ganz wegwerfen wollte. Uebrigens haben <lb n="p1c_377.016"/>
alle neueren Nazionen, auch die, welche den Reim sehr cultivirten, <lb n="p1c_377.017"/>
ihn doch immer für ihre Poesie überhaupt als entbehrlich <lb n="p1c_377.018"/>
angesehen. Die reimfreyen Verse, z. B. die eilfsylbigen, <lb n="p1c_377.019"/>
finden sich bey den Spaniern und bey den Jtalienern <lb n="p1c_377.020"/>
schon in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, wo <lb n="p1c_377.021"/>
Alonso de Fuentes und Trissino schrieben.</p>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#c"><lb n="p1c_377.022"/>
§. 12. </hi> </head>
          <p><lb n="p1c_377.023"/>
Die Vernunftidee einer gesetzlichen Totalität wird <lb n="p1c_377.024"/>
von der dichterischen Sprache, ihrem musikalischen Wesen     <lb n="p1c_377.025"/>
nach, durch das <hi rendition="#g">Metrum,</hi> oder ein nach bestimmter
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[377/0435] p1c_377.001 anwendbar. Wer auf den Reim hört, wird zu viel auf den p1c_377.002 freyen Rhythmus aufmerksam gemacht, und das Metrum p1c_377.003 verlangt dagegen gemessenes Taktgefühl. Der Reim zeichnet p1c_377.004 in einer ganzen Sylbenreihe nur eine oder zwey aus. p1c_377.005 Das Metrum verlangt einen Jctus auf jede Sylbe in der p1c_377.006 Reihe, die, dem Takte nach, wie eine gute Note anzusehen p1c_377.007 ist, und der Reim hebt durch seinen Accent diese Gleichheit p1c_377.008 auf. Der Reim bezieht Reihen auf einander, das Metrum p1c_377.009 einzelne Glieder in den einzelnen Reihen. Metrum p1c_377.010 und Reim sind also in der Regel einander immer im Wege, p1c_377.011 wenn beyde ihre ganze Kraft zeigen wollen. Auch werden p1c_377.012 Sprachen, die Reim und Prosodie haben, nie ihre p1c_377.013 Prosodie so ausbilden können, als andre, die den Reim p1c_377.014 nicht kennen. Jndessen verlöre man zu viel, wenn man p1c_377.015 ihn um deswillen ganz wegwerfen wollte. Uebrigens haben p1c_377.016 alle neueren Nazionen, auch die, welche den Reim sehr cultivirten, p1c_377.017 ihn doch immer für ihre Poesie überhaupt als entbehrlich p1c_377.018 angesehen. Die reimfreyen Verse, z. B. die eilfsylbigen, p1c_377.019 finden sich bey den Spaniern und bey den Jtalienern p1c_377.020 schon in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, wo p1c_377.021 Alonso de Fuentes und Trissino schrieben. p1c_377.022 §. 12. p1c_377.023 Die Vernunftidee einer gesetzlichen Totalität wird p1c_377.024 von der dichterischen Sprache, ihrem musikalischen Wesen p1c_377.025 nach, durch das Metrum, oder ein nach bestimmter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/435
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/435>, abgerufen am 23.11.2024.