Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_383.001
Verse ihre metrischen Reihen nicht mit der Arsis, sondern p1c_383.002
mit Zeitabtheilungen, ohne Accent, wie der Auftakt in der p1c_383.003
Musik, gleichsam Theilen einer unendlichen Reihe, die vor p1c_383.004
dem eigentlichen bestimmten Abschnitt vorausgehen, welches p1c_383.005
Hermann die anakrousis nennt. Quid hoc hic clamoris p1c_383.006
quid hoc hic tumulti est? Ennius
. Daher setzen p1c_383.007
die Dichter vor Reihen, und gemeiniglich für solche, welche p1c_383.008
mit der Arsis anfangen, z. B. vor die Choriamben, noch p1c_383.009
einige Sylben von willkührlichem Maaß, welche Hermann p1c_383.010
basis nennt. elthes ek peraton gas elephantinan. p1c_383.011
- - - - - . Alcaeus. Daher haben so p1c_383.012
viel Verse am Ende einer metrischen Reihe Sylben übrig, p1c_383.013
und sind in Rücksicht auf eine gewisse Art zu messen, catalectici p1c_383.014
oder hypercatalectici, je nachdem ihnen mangelt, p1c_383.015
oder sie zu viel haben. Daher endlich greift der freye unendliche p1c_383.016
Rhythmus in jeden Vers aus metrischen Reihen p1c_383.017
ein, und schneidet die metrischen Reihen durch Caesuren p1c_383.018
ab, macht aus jedem Vers Theile, welche wieder, zufolge p1c_383.019
des Hauptgesetzes der rhythmischen Schönheit, ungleich p1c_383.020
sind, wenn auch in jedem ungleichen Theile die metrische p1c_383.021
Reihe an sich nach einem gleichen bleibenden Maaße erscheint. p1c_383.022
Die eigentliche musikalische Schönheit der Verse entsteht also p1c_383.023
durch ein beständiges Entgegenwirken des Metrums und des p1c_383.024
Rhythmus. Das Metrum muß eine gleiche Zeiteintheilung p1c_383.025
einführen, und der freye Rhythmus muß sie wieder aufzuheben p1c_383.026
suchen. So giebt die Jdee des Metrums die Vollständigkeit, p1c_383.027
der Rhythmus die Unendlichkeit, beyde zusammen

p1c_383.001
Verse ihre metrischen Reihen nicht mit der Arsis, sondern p1c_383.002
mit Zeitabtheilungen, ohne Accent, wie der Auftakt in der p1c_383.003
Musik, gleichsam Theilen einer unendlichen Reihe, die vor p1c_383.004
dem eigentlichen bestimmten Abschnitt vorausgehen, welches p1c_383.005
Hermann die ἀνακρουσις nennt. Quid hóc hic clamoris p1c_383.006
quid hóc hic tumulti est? Ennius
. Daher setzen p1c_383.007
die Dichter vor Reihen, und gemeiniglich für solche, welche p1c_383.008
mit der Arsis anfangen, z. B. vor die Choriamben, noch p1c_383.009
einige Sylben von willkührlichem Maaß, welche Hermann p1c_383.010
basis nennt. ἠλθες ἐκ περατων γας ἐλεφαντιναν. p1c_383.011
─ ⏝ ─́ ⏝ ⏝ ─ ─́ ⏝ ⏝ ─ ⏝ ⏝. Alcaeus. Daher haben so p1c_383.012
viel Verse am Ende einer metrischen Reihe Sylben übrig, p1c_383.013
und sind in Rücksicht auf eine gewisse Art zu messen, catalectici p1c_383.014
oder hypercatalectici, je nachdem ihnen mangelt, p1c_383.015
oder sie zu viel haben. Daher endlich greift der freye unendliche p1c_383.016
Rhythmus in jeden Vers aus metrischen Reihen p1c_383.017
ein, und schneidet die metrischen Reihen durch Caesuren p1c_383.018
ab, macht aus jedem Vers Theile, welche wieder, zufolge p1c_383.019
des Hauptgesetzes der rhythmischen Schönheit, ungleich p1c_383.020
sind, wenn auch in jedem ungleichen Theile die metrische p1c_383.021
Reihe an sich nach einem gleichen bleibenden Maaße erscheint. p1c_383.022
Die eigentliche musikalische Schönheit der Verse entsteht also p1c_383.023
durch ein beständiges Entgegenwirken des Metrums und des p1c_383.024
Rhythmus. Das Metrum muß eine gleiche Zeiteintheilung p1c_383.025
einführen, und der freye Rhythmus muß sie wieder aufzuheben p1c_383.026
suchen. So giebt die Jdee des Metrums die Vollständigkeit, p1c_383.027
der Rhythmus die Unendlichkeit, beyde zusammen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0441" n="383"/><lb n="p1c_383.001"/>
Verse ihre metrischen Reihen nicht mit der Arsis, sondern <lb n="p1c_383.002"/>
mit Zeitabtheilungen, ohne Accent, wie der Auftakt in der <lb n="p1c_383.003"/>
Musik, gleichsam Theilen einer unendlichen Reihe, die vor <lb n="p1c_383.004"/>
dem eigentlichen bestimmten Abschnitt vorausgehen, welches <lb n="p1c_383.005"/>
Hermann die <foreign xml:lang="grc">&#x1F00;&#x03BD;&#x03B1;&#x03BA;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C5;&#x03C3;&#x03B9;&#x03C2;</foreign> nennt. <hi rendition="#aq">Quid hóc hic clamoris <lb n="p1c_383.006"/>
quid hóc hic tumulti est? <hi rendition="#g">Ennius</hi></hi>. Daher setzen <lb n="p1c_383.007"/>
die Dichter vor Reihen, und gemeiniglich für solche, welche <lb n="p1c_383.008"/>
mit der Arsis anfangen, z. B. vor die Choriamben, noch <lb n="p1c_383.009"/>
einige Sylben von willkührlichem Maaß, welche Hermann <lb n="p1c_383.010"/> <hi rendition="#aq">basis</hi> nennt. <foreign xml:lang="grc">&#x1F20;&#x03BB;&#x03B8;&#x03B5;&#x03C2; &#x1F10;&#x03BA; &#x03C0;&#x03B5;&#x03C1;&#x03B1;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD; &#x03B3;&#x03B1;&#x03C2; &#x1F10;&#x03BB;&#x03B5;&#x03C6;&#x03B1;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BD;&#x03B1;&#x03BD;</foreign>. <lb n="p1c_383.011"/>
&#x2500; &#x23DD; &#x2500;&#x0301; &#x23DD; &#x23DD; &#x2500; &#x2500;&#x0301; &#x23DD; &#x23DD; &#x2500; &#x23DD; &#x23DD;. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Alcaeus</hi></hi>. Daher haben so <lb n="p1c_383.012"/>
viel Verse am Ende einer metrischen Reihe Sylben übrig, <lb n="p1c_383.013"/>
und sind in Rücksicht auf eine gewisse Art zu messen, <hi rendition="#aq">catalectici</hi> <lb n="p1c_383.014"/>
oder <hi rendition="#aq">hypercatalectici</hi>, je nachdem ihnen mangelt, <lb n="p1c_383.015"/>
oder sie zu viel haben. Daher endlich greift der freye unendliche <lb n="p1c_383.016"/>
Rhythmus in jeden Vers aus metrischen Reihen <lb n="p1c_383.017"/>
ein, und schneidet die metrischen Reihen durch <hi rendition="#g">Caesuren</hi> <lb n="p1c_383.018"/>
ab, macht aus jedem Vers Theile, welche wieder, zufolge <lb n="p1c_383.019"/>
des Hauptgesetzes der rhythmischen Schönheit, <hi rendition="#g">ungleich</hi> <lb n="p1c_383.020"/>
sind, wenn auch in jedem ungleichen Theile die metrische <lb n="p1c_383.021"/>
Reihe an sich nach einem gleichen bleibenden Maaße erscheint. <lb n="p1c_383.022"/>
Die eigentliche musikalische Schönheit der Verse entsteht also <lb n="p1c_383.023"/>
durch ein beständiges Entgegenwirken des Metrums und des <lb n="p1c_383.024"/>
Rhythmus. Das Metrum muß eine gleiche Zeiteintheilung <lb n="p1c_383.025"/>
einführen, und der freye Rhythmus muß sie wieder aufzuheben <lb n="p1c_383.026"/>
suchen. So giebt die Jdee des Metrums die Vollständigkeit,     <lb n="p1c_383.027"/>
der Rhythmus die Unendlichkeit, beyde zusammen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[383/0441] p1c_383.001 Verse ihre metrischen Reihen nicht mit der Arsis, sondern p1c_383.002 mit Zeitabtheilungen, ohne Accent, wie der Auftakt in der p1c_383.003 Musik, gleichsam Theilen einer unendlichen Reihe, die vor p1c_383.004 dem eigentlichen bestimmten Abschnitt vorausgehen, welches p1c_383.005 Hermann die ἀνακρουσις nennt. Quid hóc hic clamoris p1c_383.006 quid hóc hic tumulti est? Ennius. Daher setzen p1c_383.007 die Dichter vor Reihen, und gemeiniglich für solche, welche p1c_383.008 mit der Arsis anfangen, z. B. vor die Choriamben, noch p1c_383.009 einige Sylben von willkührlichem Maaß, welche Hermann p1c_383.010 basis nennt. ἠλθες ἐκ περατων γας ἐλεφαντιναν. p1c_383.011 ─ ⏝ ─́ ⏝ ⏝ ─ ─́ ⏝ ⏝ ─ ⏝ ⏝. Alcaeus. Daher haben so p1c_383.012 viel Verse am Ende einer metrischen Reihe Sylben übrig, p1c_383.013 und sind in Rücksicht auf eine gewisse Art zu messen, catalectici p1c_383.014 oder hypercatalectici, je nachdem ihnen mangelt, p1c_383.015 oder sie zu viel haben. Daher endlich greift der freye unendliche p1c_383.016 Rhythmus in jeden Vers aus metrischen Reihen p1c_383.017 ein, und schneidet die metrischen Reihen durch Caesuren p1c_383.018 ab, macht aus jedem Vers Theile, welche wieder, zufolge p1c_383.019 des Hauptgesetzes der rhythmischen Schönheit, ungleich p1c_383.020 sind, wenn auch in jedem ungleichen Theile die metrische p1c_383.021 Reihe an sich nach einem gleichen bleibenden Maaße erscheint. p1c_383.022 Die eigentliche musikalische Schönheit der Verse entsteht also p1c_383.023 durch ein beständiges Entgegenwirken des Metrums und des p1c_383.024 Rhythmus. Das Metrum muß eine gleiche Zeiteintheilung p1c_383.025 einführen, und der freye Rhythmus muß sie wieder aufzuheben p1c_383.026 suchen. So giebt die Jdee des Metrums die Vollständigkeit, p1c_383.027 der Rhythmus die Unendlichkeit, beyde zusammen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/441
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/441>, abgerufen am 23.11.2024.